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Full text of "Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Volkswohlstandes"

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University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/untersuchungbe1v2smit 


Bibliothek 


der 


Volkswirtschaftslehre 


und 


Gesellschaftswissenschaft. 

Begründet  von  F.  Stöpel. 

Fortgeführt 
von 

Robert  Prager. 
III. 


BERLIN 

VERLAG  VON  R.  L.  PRAGER 

1905. 


Adam  Smith 

Untersuchung 

über 

das  Wesen  und  die  Ursachen 

des 

Volkswohlstandes. 

Aus  dem  Englischen  übertragen 

von 

F.  Stöpel. 


Zweite  Auflage  durchgesehen  und  verbessert 

von 

Robert  Prager. 

Erster  Band.   —    X'    BK' 


BERLIN 

VERLAG  VON  R.  L.  PRAGER 

1905. 


HB, 


A.dam  Smith,  geb.  am  5.  Juni  1723  zu  Kirkaldy  in  Schott- 
land, gest.  zu  Edinburg  im  Jahre  1790,  kam  vierzehnjährig  auf 
die  Universität  Glasgow,  drei  Jalu-e  später  nach  Oxford.  Seine 
Mutter  —  der  Vater  war  schon  vor  der  Geburt  Adams  gestorben 
—  hatte  ihn  zum  Geistlichen  bestimmt,  doch  beschäftigte  er  sich 
bereits  auf  der  Universität  mit  ganz  anderen  als  theologischen 
Studien  und  kehlte  nach  siebenjährigem  Aufenthalt  in  Oxford 
1747  nach  Schottland  zurück,  um  lediglich  den  Wissenschaften 
zu  leben.  17-48  wandte  er  sich  nach  Edinburg  und  hielt  dort 
einige  Jahre  hindurch  Vorlesungen  über  Rhetorik  und  schöne 
Wissenschaften.  Hier  wurde  er  mit  Hume,  dessen  philosophische 
und  ökonomische  Werke  großen  Einfluß  auf  ihn  übten,  per- 
sönlich bekannt.  1751  wurde  er  Professor  der  Logik,  1752  Pro- 
fessor der  Moralphilosophie  in  Glasgow.  1759  erschien  seine 
„Theoi'ie  der  sittlichen  Empfindungen",  worin  er  nachzuweisen 
sucht,  daß  alle  Moral  ihre  Grundlage  in  der  Sympathie  habe. 
Einige  Jahre  später  legte  er  seine  Professur  nieder,  um  den 
jungen  Herzog  von  Buccleugh  auf  Reisen  zu  begleiten  (1764 — 66). 
Nach  längerem  Aufenthalt  im  südlichen  Frankreich  verweilte  er 
mit  seinem.  Zögling  von  Weihnachten  1765  bis  zum  Oktober  1766 
in  Paris,  wo  er  mit  Tui-got,  Quesnay,  Necker  und  anderen  aus- 
gezeichneten Männern  bekannt  wurde.  Nach  der  Rückkehr  in 
sein  Vaterland  ging  Smith  wieder  nach  Kirkaldy,  wo  er  die 
nächsten  zehn  Jahre  lediglich  mit  Ausarbeitung  seines  epoche- 
machenden Werkes  über  den  Volkswohlstand  beschäftigt  war. 
Dieses  Werk  erschien  im  Jahi-e  1776.  Einige  Jahre  darauf  erhielt 
er  auf  Verwendung  des  Herzogs  von  Buccleugh  die  Stellung 
eines  Zollkommissärs  für  Schottland,  und  lebte  als  solcher  in 
Edinburg,  ohne  für  die  Wissenschaft  noch  Erhebliches  zu  leisten. 
Einige  kleinere  Abhandlungen  wurden  nach  seinem  Tode  ver- 
öffentlicht ;  den  größten  Teil  seiner  Handschriften  aber  ver- 
brannte Smith  einige  Tage  vor  seinem  Tode  selbst.  —  Die  erste 


VI 

Ausgabe  des  „Volkswohlstandes"  wurde  Ende  des  Jahres  1775 
und  anfangs  des  folgenden  Jahres  gedruckt.  So  oft  daher  vom 
„gegenwärtigen"  Zustande  der  Dinge  die  Rede  ist,  hat  man 
diese  oder  eine  etwas  frühere  Zeit  darunter  zu  verstehen.  In 
der  dritten  Ausgabe  sind  verschiedene  Zusätze  gemacht,  nament- 
lich zu  dem  Kapitel  über  Rückzölle  und  Ausfuhrprämien ;  ferner 
ist  ein  neues  Kapitel  „über  das  Merkantilsystem"  und  zum 
Kapitel  „über  die  Staatsausgaben"  ein  neuer  Abschnitt  hinzu- 
gekommen. So  oft  in  diesen  Zusätzen  von  dem  „gegenwärtigen" 
Zustande  der  Dinge  gesprochen  wird,  ist  das  Jahr  1783  und  der 
Anfang;  des  Jahres  1781  darunter  zu  verstehen. 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 

Seite 
Einleitung-  und  Plan  des  Werks 1 

Erstes  Buch. 

Von  den  Ursachen  der  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der 
Arbeit  und  von  den  Regeln,  nach  welchen  ihr  Ertrag 
sich  naturgemäß  unter  die  verschiedenen  Volksklassen 
verteilt. 

Erstes  Kapitel. 

Teilung  der  Arbeit 6 

Zweites  Kapitel. 

Über  den  Trieb,  der  die  'l'eilung  der  Arbeit  veranlaßt    .     .     18 

Drittes  Kapitel. 

Die  Teilung  der  Arbeit  hat  ihre  Schranken  an  der  Aus- 
dehnung des  Marktes 24 

Viertes  Kapitel. 
Vom  Ursprung  und  Gebrauch  des  Geldes 31 

Fünftes  Kapitel. 

Vom  wahren  und  nominellen  Preise  der  Waren  oder  von 

ihi'em  Preise  in  Arbeit  und  ihrem  Preise  in  Geld     .     .     41 

Sechstes  Kapitel. 

Die  Bestandteile  des  Warenpreises 65 

Siebentes  Kapitel. 

Der  natürliche  Preis  und  der  Marktpreis  der  Waren  ...     76 
Achtes  Kapitel. 

Der  Arbeitslohn 89 

Neuntes  Kapitel. 
Der  Kapitalgewinn 122 

Zehntes  Kapitel. 

Lohn  und  Gewinn  in  den  verschiedenen  Verwendungen  der 

Arbeit  und  des  Kapitals 137 

Erste  Abteilung. 

Verschiedenheiten,  die  aus   der  Natur  der  Verwendungen 

selbst  entspringen 138 


VIII 

Zweite  Abteilung.  Seite 
Ungleichheiten,  welche  durch  die   europäische  Wirtschafts- 
politik veranlaßt  sind 165 

Elftes  Kapitel. 

Die  Grundrente , 201 

Erste  Abteilung. 
Bodenerzeugnisse,  die  immer  eine  Rente  abwerfen      .     .     .  20-1 

Zweite  Abteilung. 
Bodenerzeugnisse,  die  zuweilen  Rente  geben,  zuweilen  nicht  225 

Dritte  Abteilung. 
Die  Vei"änderungen  in  dem  Verhältnis  zwischen  dem  Werte 
derjenigen  Art  von  Produkten,  welche  immer  eine  Rente 
bringen,  und  dem  Werte  derer,  die  zuweilen  eine  Rente 

gewähren  und  zuweilen  keine 245 

Abschweifung,   über    die    Schwankungen    des    Silberwertes 
während  der  letzten  vier  Jahrhunderte. 

Erste  Periode 247 

Zweite  Periode 266 

Dritte  Periode 268 

Veränderungen  in  dem  Wertverhältnis  zwischen  Gold  und 

Silber 291 

Gründe  für  die  Vermutung,  daß  der  Wert  des  Silbers  noch 

immer  sinkt 298 

Verschiedene  Wirkungen    des  Fortschritts    der  Kultur    auf 

drei  verschiedene  Arten  von  Rohprodukten       ....  299 

Erste  Art 300 

Zweite  Art ,     ...  302 

Dritte  Art 316 

Ergebnis    der  Abschweifung    über   die  Wertveränderungen 

des  Silbers 328 

Wirkungen    der   Kulturfortschritte    auf   den  Sachpreis    der 

Industrieerzeugnisse 336 

Schluß  des  Kapitels 342 

Die  Weizenpreise  in  England  nach  Fleetwood 347 


Untersuchung 

über 

das  Wesen  und  die  Ursachen 

des 

Volkswohlstandes. 


Einleitung  und  Plan  des  Werkes. 

Die  jährliche  Arbeit  eines  jeden  Volkes  ist  der 
Fonds,  welcher  es  ursprünglich  mit  allen  Bedürf- 
nissen und  Annehmlichkeiten  des  Lebens  versorgt,  die 
es  jährlich  verbraucht,  und  die  immer  entweder  in 
dem  unmittelbaren  Erzeugnis  dieser  Arbeit  oder  in 
demjenigen  bestehen,  was  für  dieses  Erzeugnis  von 
anderen  Völkern  gekauft  wird. 

Je  nachdem  daher  dieses  Erzeugnis,  oder  das,  was 
mit  ihm  gekauft  wird,  in  einem  größeren  oder  kleineren 
Verhältnis  zu  der  Zahl  derjenigen  steht,  welche  es 
verbrauchen  wollen,  wird  auch  das  Volk  mit  allen  Be- 
dürfnissen und  Annehmlichkeiten  besser  oder  schlechter 
versorgt  sein. 

Adam  Smitti,  Volkswohistaad.  I.  1 


2  Einleitung. 

Dieses  Verhältnis  muß  aber  bei  jedem  Volke  durch 
zwei  verschiedene  Umstände  bestimmt  werden;  erstens 
durch  die  Geschicklichkeit,  Fertigkeit  und  Einsicht,  mit 
der  seine  Arbeit  im  Allgemeinen  verrichtet  wird;  und 
zweitens  durch  das  Verhältnis  zwischen  der  Anzahl 
derer,  die  einer  nützlichen  Arbeit  obliegen  und  derer, 
die  dies  nicht  tun.  Wie  auch  immer  der  Boden, 
das  Klima  oder  der  Gebietsumfang  eines  bestimmten 
Volkes  beschaffen  sein  mag,  der  Überfluß  oder  die 
Unzulänglichkeit  seines  jährlichen  Vorrats  muß  in 
dieser  bestimmten  Lage  von  jenen  beiden  Umständen 
abhängen . 

Der  Überfluß  oder  die  Unzulänglichkeit  dieses 
Vorrats  scheint  übrigens  mehr  von  dem  ersten  Um- 
stände abzuhängen,  als  von  dem  zweiten.  Unter  den 
wilden  Fischer-  und  Jägervülkern  ist  jedes  arbeits- 
fähige Individuum  mehr  oder  weniger  mit  nützlicher 
Ai'beit  beschäftigt  und  sucht  nach  Kräften  die  Bedürf- 
nisse und  Annehmlichkeiten  des  Lebens  für  sich  selbst 
oder  für  solche  Glieder  seiner  Familie  oder  seines  Stam- 
mes herbeizuschaffen,  die  zu  alt,  zu  jung  oderzu  schwach 
sind,  um  auf  die  Jagd  und  den  Fischfang  auszugehen. 
Solche  Völkerschaften  sind  jedoch  so  jämmerlich  arm, 
daß  sie  aus  bloßem  Mangel  häufig  gezwungen  sind  oder 
sich  wenigstens  für  gezwungen  halten,  ihre  Kinder, 
ihre  Alten  und  die  mit  langwierigen  Krankheiten  Be- 
hafteten entweder  umzubringen  oder  auszusetzen  und 
dem  Hungertode  oder  den  wilden  Tieren  preiszugeben. 
Unter  gesitteten  und  blühenden  Völkern  hingegen  ist, 
obwohl  oft  eine  große  Menge  Menschen  gar  nicht  ai-- 
beiten  und  viele  von  ihnen  das  Produkt  von  zehn,  ja 
hundert  Mal  mehr  Arbeit  verbrauchen,  als  der  größere 
Teil  der  Arbeitenden,  dennoch  das  Produkt  der  gesam- 
ten Arbeit  der  Gesellschaft  so  groß,  daß  Alle  oft  reich- 
lich  versorgt  sind  und  ein  Arbeiter,  selbst  der  niedrig- 


Einleitung.  3 

sten  und  ärmsten  Klasse,  wenn  er  mäßig  und  fleißig 
ist,  sich  eines  größeren  Anteils  an  den  Bedürfnissen 
und  den  Annehmlichkeiten  des  Lebens  erfreuen  kann, 
als  ein   Wilder   sich  je  zu  verschaffen  imstande  wäre. 

Die  Ursache  dieser  Zunahme  in  den  produktiven 
Kräften  der  Arbeit  und  die  Ordnung,  nach  welcher  ihr 
Erzeugnis  sich  naturgemäß  unter  die  verschiedenen 
Stände  und  Klassen  der  Gesellschaft  verteilt,  macht  den 
Gegenstand  des  ersten  Buches  dieser  Untersuchung  aus. 

"Welches  auch  der  wirkliche  Zustand  der  Geschick- 
lichkeit, Fertigkeit  und  Einsicht  ist,  womit  die  Arbeit 
in  einem  Volke  verrichtet  wird,  der  Überfluß  oder  die 
Unzulänglichkeit  seines  jährlichen  Vorrats  muß  wäh- 
rend der  Dauer  dieses  Zustandes  von  dem  Verhältnisse 
abhängen,  in  welchem  die  Zahl  derer,  die  das  Jahr  hin- 
durch mit  nützlicher  Arbeit  beschäftigt  sind,  zur  Zahl 
derjenigen  steht,  welche  es  nicht  sind.  Die  Zahl  der 
nützlichen  und  produktiven  Arbeiter  steht,  wie  sich 
später  zeigen  wird,  überall  im  Verhältnis  zu  der  Menge 
des  Kapitalvorrats,  welcher  dazu  verwendet  wird,  sie  zu 
beschäftigen,  und  zu  der  besondern  Art,  in  welcher  es 
dazu  verwendet  wird.  Das  zweite  Buch  handelt  daher 
von  der  Natur  des  Kapitals,  von  der  Art,  wie  es  sich 
allmählich  anhäuft,  und  von  den  verschiedenen  Mengen 
der  Arbeit,  welche  es  je  nach  der  verschiedenen  Weise 
seiner  Anwendung  in  Bewegung  setzt. 

Völker,  die  es  in  der  Geschicklichkeit,  Fertigkeit 
und  Einsicht  bei  Verrichtung  der  Arbeit  ziemlich  weit 
gebracht  haben,  folgten  sehr  verschiedenen  Plänen  in 
ihrer  allgemeinen  Leitung  oder  Richtung;  und  diese 
Pläne  sind  nicht  alle  der  Größe  des  Arbeitserzeug- 
nisses gleich  günstig  gewesen.  Die  Politik  mancher 
Völker  begünstigte  vorzüglich  den  Ackerbau,  die  ande- 
rer den  städtischen  Gewerbfleiß.  Kaum  irgend  ein  Volk 
hat  jede  Art  des  Gewerbfleißes  gleich  und  unparteiisch 


4  Einleitung. 

behandelt.  Seit  dem  Untergang  des  römischen  Reiches 
ist  die  Politik  in  Europa  den  Künsten,  den  Gewerben 
und  dem  Handel  —  der  Industrie  der  Städte  —  günsti- 
ger gewesen,  als  der  Agrikultur  —  der  Industrie  des 
platten  Landes.  Die  Umstände,  welche  diese  Politik 
eingeführt  und  befestigt  zu  haben  scheinen,  sind  im 
dritten  Bache  auseinander  gesetzt. 

Obgleich  diese  verschiedenen  Pläne  vielleicht  zuerst 
durch  die  privaten  Interessen  und  Vorurteile  einzelner 
Stände,  ohne  Rücksicht  und  Voraussicht  der  Folgen, 
welche  sie  für  die  allgemeine  Wohlfahrt  der  Gesellschaft 
haben  mußten,  zur  Geltung  kamen,  so  haben  sie  doch 
zu  sehr  verschiedenen  Theorien  der  politischen  Ökono- 
mie, von  denen  die  einen  die  Wichtigkeit  der  städtischen, 
die  anderen  die  der  ländlichen  Industrie  preisen,  Ver- 
anlassung gegeben.  Diese  Theorien  haben  nicht  bloß 
auf  die  Meinungen  der  Gelehrten,  sondern  auch  auf  die 
Maßregeln  der  Fürsten  und  Staaten  einen  beträchtlichen 
Einfluß  geübt.  Ich  habe  mich  im  vierten  Buche  be- 
müht, diese  verschiedenen  Theorien  und  die  hauptsäch- 
lichsten Wirkungen,  die  sie  in  verschiedenen  Zeiten  und 
bei  verschiedenen  Nationen  geäuiiert  haben,  so  voll- 
ständig und  klar,  als  ich  es  vermag,  auseinanderzusetzen. 

Zu  erörtern,  worin  das  Einkommen  der  großen 
Masse  des  Volkes,  oder  jene  Fonds  bestanden,  welche  zu 
verschiedenen  Zeiten  und  unter  verschiedenen  Völkern 
ihnen  den  jährlichen  Bedarf  lieferten,  ist  der  Gegenstand 
der  vier  ersten  Bücher.  Das  fünfte  und  letzte  Buch 
handelt  von  dem  Einkommen  des  Souveräns  oder  des 
Gemeinwesens.  In  diesem  Buche  habe  ich  mich  bemüht, 
zu  zeigen,  erstens,  welches  die  notwendigen  Ausgaben 
des  Souveräns  oder  Gemeinwesens  sind;  welche  dieser 
Ausgaben  durch  allgemeine  Beisteuern  der  ganzen  Ge- 
sellschaft bestritten,  und  welche  nur  von  einem  einzel- 
nen   Teile    oder    von    einigen    ihrer   Glieder    getragen 


Einleitun.o-.  5 

werden  sollten;  zweitens,  nach  welchen  verschiedenen 
Methoden  die  ganze  Gesellschaft  zur  Bestreitung  der 
ihr  obliegenden  Ausgaben  herangezogen  werden  kann, 
und  welche  hauptsächlichen  Vorteile  und  Nachteile  jede 
dieser  Methoden  hat;  drittens  endlich,  welche  Gründe 
und  Ursachen  fast  alle  neueren  Regierungen  veranlaßt 
haben,  einen  Teil  dieses  Einkommens  zu  verpfänden 
oder  Schulden  zu  kontrahieren,  und  welche  Wirkung 
diese  Schulden  auf  den  wahren  Wohlstand:  den  jähr- 
lichen Ertrag  des  Bodens  und  der  Arbeit  der  Gesell- 
schaft, gehabt  haben. 


Erstes  Buch. 

Von  den  Ursachen  der  Zunahme  in  der  Ertrags- 
kraft  der   Arbeit   und   von    den    Regeln,    nach 
welchen  ihr  Ertrag  sich  naturgemäss  unter  die 
verschiedenen  Volksklassen  verteilt. 


Erstes   Kapitel. 
Teilung  der  Arbeit. 

Die  größte  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der 
Arbeit  und  der  größere  Teil  der  Geschicklichkeit, 
Fertigkeit  und  Einsicht,  womit  sie  irgendwo  geleitet 
oder  verrichtet  wird,  scheint  aus  den  Wirkungen  der 
Arbeitsteilung  hervorgegangen  zu  sein. 

Die  Wirkungen  der  Arbeitsteilung  in  der  allge« 
meinen  Tätigkeit  der  Gesellschaft  werden  leichter  zu 
verstehen  sein,  wenn  man  beachtet,  in  welcher  Weise 
sie  in  einigen  besonderen  Gewerben  wirkt.  Man  nimmt 
gewöhnlich  an,  daß  sie  in  gewissen  sehr  unbedeutenden 
Gewerben  am  weitesten  getrieben  sei;  und  vielleicht 
wird  sie  in  diesen  wirklich  weiter  getrieben,  als  in  anderen 
von  größerem  Belang;  aber  in  den  unbedeutenderen  Ge- 
werben, welche  die  wenig  umfangreichen  Bedürfnisse 
einer  nur  geringen  Menschenzahl  zu  versorgen  haben, 
muß  die  Zahl  der  Arbeiter  notwendig  gering  sein;  und 
die  in  den  verschiedenen  Zweigen  der  Arbeit  Be- 
schäftigten   können    oft    in    derselben    Werkstatt    bei- 


Kap.  1. :  Teilung  der  Arbeit.  7 

sammen  sein  und  sämtlich  von  einem  Beobachter  mit 
einem  BHck  übersehen  werden.  In  den  großen  Fabriken 
dagegen,  welche  die  wichtigsten  Bedürfnisse  des  ganzen 
Volks  zu  beschaffen  haben,  beschäftigt  jeder  einzelne 
Arbeitszweig  eine  so  große  Zahl  von  Arbeitern,  daß 
es  unmöglich  ist,  sie  alle  in  derselben  Werkstatt  zu 
versammeln.  Man  sieht  da  selten  zu  gleicher  Zeit 
mehr  als  diejenigen,  welche  in  einem  einzelnen  Zweige 
tätig  sind.  Obgleich  daher  in  solchen  Fabriken  die 
Arbeit  in  der  Tat  in  viel  mehr  Abteilungen  zerfallen 
kann,  als  in  Gewerben  geringfügigerer  Art,  so  ist  die 
Teilung  doch  nicht  entfernt  so  augenfällig  und  deshalb 
auch  weit  weniger  beobachtet  worden. 

Nehmen  wir  also  ein  Beispiel  von  einem  sehr  unbe- 
deutenden Betriebe,  der  jedoch  sehr  oft  wegen  der 
darin  herrschenden  Teilung  der  Arbeit  angeführt  wor- 
den, nämlich  von  dem  Geschäfte  des  Nadlers,  so  könnte 
ein  für  dieses  Geschäft,  aus  dem  die  Teilung  der  Arbeit 
ein  eigenes  Gewerbe  gemacht  hat,  nicht  angelernter 
Arbeiter,  der  mit  dem  Gebrauch  der  dazu  verwendeten 
Maschinen,  zu  deren  Erfindung  wahrscheinlich  erst  die 
Teilung  der  Arbeit  Veranlassung  gegeben  hat,  nicht 
vertraut  wäre,  vielleicht  mit  dem  äußersten  Fleiße  täg- 
lich kaum  eine,  gewiß  aber  keine  zwanzig  Nadeln 
machen.  In  der  Art  aber,  wie  dies  Geschäft  jetzt  be- 
trieben wird,  ist  nicht  allein  die  ganze  Verrichtung  ein 
eigenes  Gewerbe,  sondern  es  ist  noch  in  eine  Anzahl 
von  Zweigen  eingeteilt,  von  denen  die  meisten  ebenfalls 
eigene  Gewerbe  sind.  Ein  Mann  zieht  den  Draht,  ein 
Anderer  streckt  ihn,  ein  Dritter  schneidet  ihn  in  Stücke, 
ein  Vierter  spitzt  ihn  zu,  ein  Fünfter  schleift  ihn  am 
oberen  Ende,  wo  der  Kopf  angesetzt  wird ;  die  Ver- 
fertigung des  Kopfes  erfordert  zwei  oder  drei  ver- 
schiedene Verrichtungen ;  sein  Ansetzen  ist  ein  eigenes 
Geschäft,  die  Nadeln  weiß  zu  glühen  ein  anderes;  sogar 


8      Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

das  Einstecken  der  Nadeln  in  Papier  bildet  eine  Arbeit 
für  sich.  Und  so  ist  das  wichtige  Gewerbe,  Stecknadeln 
zu  machen,  in  ungefähr  achtzehn  verschiedene  Tätig- 
keiten geteilt,  die  in  manchen  Fabriken  alle  von  ver- 
schiedenen Händen  verrichtet  werden,  während  in 
andern  manchmal  derselbe  Mann  zwei  oder  drei  ver- 
richtet. Ich  habe  eine  kleine  Fabrik  dieser  Art  ge- 
sehen, in  der  nur  zehn  Menschen  beschäftigt  waren 
und  manche  daher  zwei  oder  drei  verschiedene  Verrich- 
tungen zu  erfüllen  hatten.  Obgleich  nun  diese  Leute 
sehr  arm  und  darum  nur  notdürftig  mit  den  erforder- 
lichen Maschinen  versehen  waren,  so  konnten  sie  doch, 
wenn  sie  tüchtig  arbeiteten,  zusammen  etwa  zwölf 
Pfund  Stecknadeln  täglich  liefern.  Ein  Pfund  enthält 
über  viertausend  Nadeln  von  mittlerer  Größe.  Jene 
zehn  Personen  konnten  mithin  zusammen  täglich  über 
acht  und  vierzig  Tausend  Nadeln  machen.  Jeder  Ein- 
zelne kann  daher,  da  er  den  zehnten  Teil  von  acht 
und  vierzig  Tausend  Nadeln  machte,  als  Verfertiger 
von  vier  Tausend  acht  Hundert  Nadeln  an  einem  Tage 
angesehen  werden.  Hätten  sie  jedoch  alle  einzeln 
und  unabhängig  von  einander  gearbeitet  und  wäre 
keiner  für  sein  besonderes  Geschäft  angelernt  worden, 
so  hätte  gewiß  keiner  zwanzig,  vielleicht  nicht  Eine 
Nadel  täglich  machen  können,  d.  h.  nicht  den  zwei- 
hundertvierzigsten, vielleicht  nicht  den  viertausend 
achthundertsten  Teil  von  dem,  was  sie  jetzt  infolge 
einer  geeigneten  Teilung  und  Verbindung  ihrer  ver- 
schiedenen Verrichtungen  zu  leisten  imstande  sind. 

In  jeder  andern  Kunst  und  jedem  anderen  Ge- 
werbe sind  die  Wirkungen  der  Arbeitsteilung  ähnliche, 
wie  in  diesem  sehr  unbedeutenden  Geschäft;  obgleich 
in  vielen  von  ihnen  die  Arbeit  weder  in  so  viele  Unter- 
abteilungen zerlegt,  noch  auf  eine  so  große  Einfachheit 
in  der  Verrichtung  zurückgeführt  werden  kann,  so  ver- 


Kap.  I.:  Teilung  der  x\rbeit.  y 

anlaßt  doch  die  Arbeitsteilung  in  jedem  Grewerbe  eine 
dem  Maße  ihrer  Durchführbarkeit  entsprechende  Steige- 
rung der  Ertragskraft  der  Arbeit.  Die  Trennung  der 
verschiedenen  Gewerbe  und  Beschäftigungen  scheint  in- 
folge dieses  Vorteils  Platz  gegriffen  zu  liaben.  Auch 
geht  diese  Trennung  gewöhnlich  in  denjenigen  Ländern 
am  weitesten,  welche  sich  der  höchsten  Entwickelung 
der  Industrie  und  Kultur  erfreuen;  was  in  einem  rohen 
Gesellschaftszustande  das  Werk  eines  einzigen  Menschen 
ist,  pflegt  in  einem  vorgeschrittenen  dasjenige  Mehrerer 
zu  sein.  In  jeder  vorgeschrittenen  Gesellschaft  ist  der 
Landmann  gewöhnlich  nichts  als  Landmann,  der  Hand- 
werker nichts  als  Handwerker.  Auch  die  Arbeit,  die 
zur  Herstellung  irgend  eines  vollständigen  Fabrikats 
nötig  ist,  wird  fast  immer  unter  eine  Menge  von  Hän- 
den verteilt.  Wie  viele  verschiedene  Gewerbe  sind  in 
•jedem  Zweige  der  Leinen-  und  Wollen-Manufaktur  be- 
schäftigt, von  den  Flachs-  und  Wollzüchtern  bis  zu  den 
Bleichern  und  Mangern  der  Leinwand  oder  zu  den 
Färbern  und  Appreteuren  des  Tuches !  Die  Natur  der 
Landwirtschaft  läßt  nicht  so  viele  Unterabteilungen 
der  Arbeit  noch  eine  so  vollständige  Trennung  eines 
Geschäftes  vom  andern  zu,  als  die  Gewerbe.  Es  ist 
unmöglich,  das  Geschäft  des  Viehzüchters  von  dem  des 
Kornbauers  so  gänzlich  zu  trennen,  wie  das  Gewerbe 
des  Zimmermanns  von  dem  des  Schmiedes  gewöhnlich 
getrennt  ist.  Der  Spinner  ist  fast  immer  eine  vom 
Weber  verschiedene  Person ;  aber  der  Pflüger,  der  Egger, 
der  Sämann  und  der  Schnitter  sind  oft  ein  und  dieselbe. 
Da  die  Anlässe  zu  diesen  verschiedenen  Arten  der  Arbeit 
mit  den  verschiedenen  Jahreszeiten  wiederkehren,  so 
ist  es  unmöglich,  daß  ein  Mann  fortwährend  mit  einer 
von  ihnen  beschäftigt  sein  kann.  Diese  Unmöglichkeit 
einer  so  gänzlichen  Trennung  aller  in  der  Landwirtschaft 
vorkommenden  Arbeitszwoige  ist  vielleicht  der  Grund, 


10    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Eitragskraft  der  Arbeit. 

warum  die  Steigerung  der  Erfcragskräfte  der  Arbeit  in 
dieser  Kunst  nicht  immer  mit  ihrer  Steigerung  in  den 
Gewerben  gleichen  Schritt  hält.  Die  reichsten  Nationen 
übertreffen  allerdings  gewöhnlich  alle  ihre  Nachbarn 
sowohl  in  der  Landwirtschaft  wie  in  den  Gewerben; 
allein  sie  sind  in  der  Regel  mehr  durch  ihre  Übeilegen- 
heit  in  den  letzteren,  als  in  der  ersteren  ausgezeichnet. 
Ihre  Ländereien  sind  im  allgemeinen  besser  kultiviert 
und  bringen,  da  mehr  Arbeit  und  Kosten  darauf  ver- 
wendet sind,  im  Verhältniß  zur  Ausdehnung  und  natür- 
lichen Fruchtbarkeit  des  Bodens  mehr  hervor.  Aber 
diese  Überlegenheit  der  Produktion  ist  selten  größer 
als  der  verhältnismäßige  Mehraufwand  an  Arbeit  und 
Kosten.  In  der  Landwirtschaft  ist  die  Arbeit  des  reichen 
Landes  nicht  immer  viel  produktiver,  als  die  des  armen, 
oder  wenigstens  ist  sie  niemals  in  dem  Grade  produk- 
tiver, als  dies  gewöhnlich  bei  den  Gewerben  der  Fall 
ist.  Das  Getreide  des  reichen  Landes  wird  daher  bei 
derselben  Güte  nicht  immer  wohlfeiler  zu  Markte 
kommen  als  das  des  armen.  Das  Getreide  Polens  ist 
bei  derselben  Güte  ebenso  wohlfeil,  als  dasjenige  Frank- 
reichs, trotz  des  höheren  Reichtums  und  der  höheren 
Kultur  letzteren  Landes.  Das  Getreide  Frankreichs 
ist  in  den  Kornprovinzen  ebenso  gut  und  hat  in  den 
meisten  Jahren  beinahe  denselben  Preis,  wie  das  Ge- 
treide Englands,  obgleich  Frankreich  an  Reichtum  und 
Kultur  vielleicht  gegen  England  zurücksteht.  Dennoch 
ist  das  englische  Getreideland  besser  kultiviert,  als 
dasjenige  Frankreichs,  und  das  französische  soll  viel 
besser  kultiviert  sein,  als  dasjenige  Polens.  Obgleich 
aber  das  arme  Land,  trotz  des  niederen  Standes  seiner 
Kultur,  mit  dem  reichen  bis  auf  einen  gewissen  Grad 
in  der  "Wohlfeilheit  und  Güte  seines  Getreides  zu  wett- 
eifern vermag,  so  kann  es  doch  in  seinen  Gewerben 
auf  keine  solche  Konkurrenz  Anspruch  machen,  wenig- 


Kap.  I.:  Teilung  der  Arbeit.  11 

stens  dann  nicht,  wenn  diese  Gewerbe  dem  Boden,  dem 
Klima  und  der  Lage  des  reichen  Landes  angemessen 
sind.  Die  französischen  Seidenwaren  sind  besser  als 
die  englischen,  weil  die  Seidenmanufaktur,  wenigstens 
unter  den  jetzigen  hohen  Zöllen  auf  die  Einfuhr  der 
Rohseide,  für  das  englische  Klima  nicht  so  gut  paßt 
als  für  das  französische.  Aber  die  englischen  Kurz- 
und  groben  "Wollenwaren  sind  ohne  allen  Vergleich 
besser  als  die  französischen,  und  überdies  bei  gleicher 
Güte  viel  ^vohlfeiler.  In  Polen  soll  es  kaum  irgend 
welche  Gewerbe  geben,  ausgenommen  wenige  gröbere 
Hausindustrien,  ohne  die  wohl  kein  Land  bestehen  kann. 

Diese  große  Zunahme  in  der  Produktionsmenge, 
welche  in  Folge  der  Arbeitsteilung  die  nämliche  An- 
zahl von  Leuten  zu  erzielen  vermag,  ist  drei  verschie- 
denen Umständen  zu  danken:  erstens  der  gesteigerten 
Geschicklichkeit  jedes  einzelnen  Arbeiters,  zweitens  der 
Ersparnis  an  Zeit,  welche  gewöhnlich  bei  dem  Über- 
gänge von  einer  Arbeit  zur  andern  verloren  geht,  und 
endlich  der  Erfindung  zahlreicher  Maschinen,  welche 
die  Arbeit  erleichtern  und  abkürzen  und  einen  Mann 
in  Stand  setzen,  die  Arbeit  Vieler   zu  verrichten. 

Erstens  vergrößert  die  gesteigerte  Geschicklichkeit 
des  Arbeiters  notwendig  die  Menge  dessen,  was  er 
hervorbringen  kann ;  und  die  Arbeitsteilung,  indem  sie 
Jedermanns  Geschäft  auf  eine  einfache  Verrichtung 
einschränkt  und  diese  Verrichtung  zur  alleinigen  Be- 
schäftigung seines  Lebens  macht,  steigert  notwendig 
die  Geschicklichkeit  des  Arbeiters  in  hohem  Maße.  Ein 
gewöhnlicher  Schmied,  der,  wenn  er  auch  den  Hammer 
zu  führen  gewohnt  ist,  doch  niemals  Nägel  zu  machen 
pflegte,  wird,  wenn  er  es  in  einem  besonderen  Falle 
versuchen  muß,  sicherlich  kaum  im  Stande  sein^  über 
zwei-  oder  dreihundert  Nägel  des  Tags  zu  verfertigen, 
und  auch  diese  werden  schlecht  genug  sein.  Ein  Schmied, 
der  zwar  Nägel  zu  machen  pflegte,  aber  die  Anfertigung 


12    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

von  Nägeln  nicht  als  alleiniges  oder  hauptsäcliliclies 
Geschäft  betrieb,  kann  bei  äußerstem  Fleiße  selten 
mehr  als  achthundert  bis  tausend  Nägel  in  einem  Tage 
machen.  Dagegen  habe  ich  Burschen  unter  zwanzig 
Jahren  gesehen,  die  nie  etwas  anderes  getan  hatten, 
als  Nägel  zu  machen,  und  die,  wenn  sie  sich  anstrengten, 
je  über  zweitausend  dreihundert  Nägel  an  einem  Tage 
machen  konnten.  Das  Verfertigen  eines  Nagels  ist  je- 
doch keines weges  eine  der  einfachsten  Verrichtungen. 
Ein  und  derselbe  Mensch  bläst  die  Bälge,  schürt  das 
Feuer  oder  legt  gelegentlich  Feuerung  zu,  glüht  das 
Eisen  und  schmiedet  jeden  Teil  des  Nagels:  beim 
Schmieden  des  Kopfes  ist  er  sogar  genötigt,  die  Werk- 
zeuge zu  wechseln.  Die  verschiedenen  Operationen,  in 
welche  die  Verfertigung  einer  Stecknadel  oder  eines 
Metallknopfes  zerfällt,  sind  sämtlich  viel  einfacher,  und 
die  Fertigkeit  desjenigen,  der  sein  ganzes  Leben  kein 
anderes  Geschäft  als  dieses  getrieben  hat,  ist  gewöhn- 
lich weit  größer.  Die  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
einige  Tätigkeiten  dieser  Gewerbe  verrichtet  werden, 
übertrifft  Alles,  was  dei'jenige,  der  es  nie  gesehen  hat, 
der  menschlichen  Hand  zugetraut  haben  würde. 

Zweitens  ist  der  Vorteil,  welcher  durch  Ersparung 
der  im  Übergänge  von  einer  Arbeit  zur  andern  gewöhn- 
lich verlorenen  Zeit  gewonnen  wird,  bei  w^ eitern  größer, 
als  wir  es  uns  auf  den  ersten  Blick  denken  mögen.  Es 
ist  unmöglich,  sehr  schnell  von  einer  Art  Arbeit  zur 
andern  überzugehen,  wenn  sie  an  einer  andern  Stelle 
und  mit  ganz  anderen  Werkzeugen  ausgeführt  wird. 
Ein  Weber  auf  dem  Lande,  der  ein  kleines  Gut  be- 
wirtschaftet, muß  ein  gut  Teil  Zeit  damit  verlieren,  dal3 
er  von  seinem  Webstuhl  aufs  Feld  und  vom  Felde  zum 
Webstuhl  geht.  Wenn  die  beiden  Geschäfte  in  derselben 
Werkstätto  betrieben  werden  könnten,  wäre  der  Zeit- 
verlust ohne  Zweifel  weit  geringer;  doch  ist  er  auch  in 
diesem  Falle  sehr  beträchtlich.   In  der  ßegel  schlendert 


Kap.  I.:  Teiluns:  der   Arbeit.  13 

man  ein  wenig,  wenn  man  seine  Hand  von  einer  Art 
der  Beschäftigung  auf  eine  andere  wendet.  Wenn  man 
zuerst  an  die  neue  Arbeit  geht,  ist  man  selten  recht 
rührig  und  herzhaft:  der  Geist  ist,  wie  man  zu  sagen 
pflegt,  noch  nicht  bei  der  Sache,  und  eine  Zeit  lang 
trödelt  man  mehr,  als  daß  man  die  Zeit  zu  Rate  hält. 
Die  Gewohnheit  des  Schlenderns  und  des  gleichgiltigen, 
lässigen  Arbeitens,  welche  natürlicher  oder  vielmehr 
notwendiger  Weise  jeder  Dorfhandwerker  annimmt, 
der  seine  Verrichtungen  und  Werkzeuge  alle  halben 
Stunden  wechseln  und  jeden  Tag  seines  Lebens  seine 
Hände  auf  zwanzigerlei  Art  brauchen  muß,  macht  ihn 
fast  immer  träge  und  lässig  und  jedes  angestrengten 
Fleißes  selbst  in  den  dringendsten  Fällen  unfähig.  Da- 
her muß,  abgesehen  von  seiner  mangelhaften  Fertigkeit, 
schon  dieser  Grund  allein  das  Arbeitsquantum,  das  er 
herzustellen  vermag,  stets  bedeutend  reduzieren. 

Drittens  und  letztens  muß  Jeder  sehen,  wie  sehr 
die  Arbeit  durch  Anwendung  geeigneter  Maschinen  er- 
leichtert und  abgekürzt  wird.  Es  ist  unnötig,  ein  Bei- 
spiel anzuführen.  Ich  will  daher  nur  bemer-ken,  daß 
die  Erfindung  aller  jener  Maschinen,  durch  welche 
die  Arbeit  so  sehr  erleichtert  und  abgekürzt  wird,  ur- 
spi'ünglich,  wie  es  scheint,  der  Teilung  der  Arbeit  zu 
verdanken  ist.  Man  entdeckt  leichtere  und  be(|uemere 
Methoden  zur  Erreichung  eines  Zweckes  viel  eher, 
wenn  die  ganze  Aufmerksamkeit  auf  diesen  einzigen 
Gegenstand  gerichtet  ist,  als  wenn  sie  auf  eine  große 
Mannigfaltigkeit  von  Dingen  zerstreut  wird.  In  Folge 
der  Arbeitsteilung  aber  wird  Jedermanns  ganze  Auf- 
merksamkeit natürlicherweise  auf  einen  sehr  einfachen 
Gegenstand  gerichtet.  Es  ist  daher  selbstverständlich 
zu  erwarten,  daß  Einer  oder  der  Andere  unter  denen, 
welche  je  in  einem  besonderen  Arbeitszweige  beschäf- 
tigt sind,  bald  leichtere  und  bequemere  Methoden,  ihre 


14    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

besondere  Arbeit  zu  verrichten,  wenn  anders  ihre 
Natur  eine  solche  Vervollkommnung  zuläßt,  ausfindig 
machen  werden.  Ein  großer  Teil  der  in  solchen 
Fabriken,  in  denen  die  Arbeit  am  meisten  geteilt  ist, 
im  Gebrauch  befindlichen  Maschinen  waren  ursprüng- 
lich Eifindungen  gemeiner  Arbeitsleute,  die,  bei  irgend 
einer  sehr  einfachen  Tätigkeit  beschäftigt,  natürlich 
ihre  Gedanken  darauf  richteten,  leichtere  und  bequemere 
Methoden  der  Herstellung  zu  ersinnen.  Wer  solche 
Fabriken  viel  zu  besuchen  pflegte,  dem  müssen  oft 
sehr  hübsche  Maschinen  gezeigt  worden  sein,  die  von 
Arbeitern  erfunden  waren,  um  ihren  besonderen  Teil 
der  Arbeit  zu  erleichtern  und  zu  beschleunigen.  Bei 
den  ersten  Dampfmaschinen  war  ein  Knabe  fortwährend 
damit  beschäftigt,  die  Kommunikation  zwischen  dem 
Kessel  und  Zylinder  wechselsweise  zu  öffnen  und  zu 
schließen,  je  nachdem  der  Kolben  hinauf-  oder  hin- 
unterging. Einer  dieser  Knaben,  der  gern  mit  seinen 
Kameraden  spielte,  bemerkte,  daß,  wenn  man  den 
Griff  des  diese  Kommunikation  öffnenden  Ventils 
durch  eine  Schnur  mit  einem  anderen  Teil  der  Ma- 
schine verbände,  „  das  Ventil  sich  ohne  sein  Zutun 
öffnen  und  schließen  und  ihm  Freiheit  lassen  würde, 
sich  mit  seinen  Spielkameraden  zu  unterhalten.  Eine 
der  größten  Vervollkommnungen,  die  an  dieser  Ma- 
schine seit  ihrer  Erfindung  gemacht  wurden,  war  auf 
diese  Weise  die  Entdeckung  eines  Knaben,  der  sich 
die  Arbeit  ersparen  wollte. 

Doch  sind  keineswegs  alle  Vervollkommnungen 
im  Maschinenwesen  Erfindungen  derjenigen  gewesen, 
welche  sich  mit  den  Maschinen  zu  beschäftigen  hatten. 
Viele  Fortschritte  sind  durch  das  Genie  der  Mechaniker 
gemacht  worden,  als  der  Maschinenbau  ein  eigenes  Ge- 
werbe wurde;  und  manche  durch  das  Genie  der  soge- 
nannten Denkei-  oder  Männer   der  Spekulation,    deren 


"Kap.  T. :  Teiluno-  der  Arbeit.  15 

Geschäft  es  ist,  nicht  Etwas  zu  machen,  sondern  Alles 
zu  beobachten,  und  die  deswegen  oft  imstande  sind, 
die  Kräfte  der  entferntesten  und  unähnlichsten  Dinge 
mit  einander  zu  kombinieren.  Mit  dem  Fortschritt  der 
Gesellschaft  wird  das  Denken  oder  Spekulieren  so  gut 
wie  jede  andere  Beschäftigung,  das  hauptsächliche  oder 
einzige  Geschäft  und  Beruf  einer  besonderen  Klasse 
von  Bürgern,  und  zerfällt,  wie  jede  andere  Beschäfti- 
gung, in  eine  große  Anzahl  verschiedener  Zweige, 
deren  jeder  für  eine  besondere  Gruppe  oder  Klasse  von 
Denkern  zum  Beruf  wird;  und  diese  Arbeitsteilung 
steigert  im  Denkgeschäft  so  gut,  wie  in  jedem  anderen 
Berufe,  die  Fertigkeit  und  erspart  Zeit.  Jeder  Einzelne 
wird  dadurch  in  seinem  besonderen  Arbeitszweige  er- 
fahrener, es  wird  im  Ganzen  mehr  ausgerichtet  und 
die  Menge  des  Wissens  ansehnlich  vermehrt. 

Die  große  durch  die  Arbeitsteilung  herbeigeführte 
Vervielfältigung  der  Produkte  aller  verschiedenen 
Künste  ist  es,  die  in  einer  wohlregierten  Gesellschaft 
jene  allgemeine  AVohlhabenheit  hervorbringt,  die  sich 
bis  auf  die  untersten  Stände  des  Volkes  erstreckt.  Jeder 
Arbeiter  hat  eine  große  Menge  seiner  Arbeitsprodukte, 
außer  denen,  die  er  selbst  braucht,  zur  Verfügung; 
und  da  jeder  andere  Arbeiter  sich  genau  in  derselben 
Lage  befindet,  so  ist  er  imstande,  einen  großen  Teil 
seiner  eigenen  Waren  gegen  eine  große  Menge,  oder, 
was  auf  dasselbe  hinauskommt,  für  den  Preis  einer 
großen  Menge  der  ihrigen  auszutauschen.  Er  versorgt 
sie  reichlich  mit  dem,  was  sie  brauchen,  und  sie  ver- 
sehen ihn  ebenso  vollkommen  mit  dem,  dessen  er  be- 
darf, und  ein  allgemeiner  Überfluß  verbreitet  sich  durch 
alle  verschiedenen  Stände  der  Gesellschaft. 

Man  betrachte  die  Habseligkeiten  des  gemeinsten 
Handwerkers  oder  Tagelöhners  in  einem  zivilisierten 
und  blühenden  Lande,  und  man  wird  gewahr  werden, 
daß  die  Zahl  der  Menschen,  von   deren  Fleiß  ein  Teil, 


16    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

wiewohl  nur  ein  kleiner  Teil,  dazu  gebraucht  wurde, 
ihm  diese  Sachen  zu  verschaffen,  alle  Berechnung  über- 
steigt. Der  wollene  Rock  z.  B.,  der  den  Tagelöhner 
bekleidet,  ist,  so  grob  und  gemein  er  auch  aussehen 
mag,  doch  das  Produkt  der  vereinigten  Arbeit  einer 
großen  Menge  von  Arbeitern.  Der  Schäfer,  der  Woll- 
sortierer, der  Wollkämmer  oder  Krempler,  der  Färber, 
der  Schrobbler,  der  Spinner,  der  Weber,  der  Walker, 
der  Appreteur  samt  vielen  anderen,  sie  Alle  müssen 
ihre  verschiedenen  Künste  vereinigen,  um  auch  nur 
dieses  grobe  Produkt  herzustellen.  Wie  viele  Kaufleute 
und  Fuhrleute  mußten  außerdem  mit  dem  Transport 
der  Materialien  von  den  einen  Arbeitern  zu  den  andern, 
die  oft  in  einem  sehr  entfernten  Teile  des  Landes 
wohnen,  beschäftigt  sein!  Wie  viel  Handel  und  Schiff- 
fahrt, insbesondere  wie  viele  Schiffbauer,  Seeleute,  Segel- 
raacher,  Seiler  mußten  tätig  gewesen  sein,  um  die  vom 
Färber  gebrauchten  Drogen,  die  oft  von  den  entlegen- 
sten Enden  der  Welt  kommen,  herbeizuschaffen !  Welch' 
eine  Mannigfaltigkeit  der  Arbeit  ist  ferner  nötig,  um 
die  Werkzeuge  des  geringsten  unter  diesen  Arbeitern 
hervorzubringen!  Um  nichts  zu  sagen  von  so  kom- 
plizierten Maschinen,  wie  ein  Schiff,  eine  Walkmühle 
oder  selbst  ein  Webstuhl  ist,  erwäge  man  nur,  welch' 
mannigfaltige  Arbeit  erforderlich  ist,  um  jene  sehr 
einfache  Maschine  herzustellen :  die  Scheere,  mit  welcher 
der  Schäfer  die  Wolle  scheert.  Der  Bergmann,  der 
Erbauer  des  Hochofens,  der  Holzfäller,  der  Brenner 
der  im  Schmelzofen  verwendeten  Holzkohlen,  der  Ziegel- 
streicher, der  Maurer,  der  Ofenheizer,  der  Mühlenbauer, 
der  Hammerschmied,  der  Schmied  müssen  sämtlich  ihre 
verschiedenen  Künste  zu  ihrer  Hervorbriugung  ver- 
einigen. Wollten  wir  auf  dieselbe  Weise  alle  verschie- 
denen Teile  seiner  Kleidung  und  seines  Hausrats 
untersuchen,  das  grobe  Leinenhemde,  das  er  auf  dem 
Leibe  trägt,  die  Schuhe,  die  seine  Füße  bedecken,  das 


Kap.  I.:  Teiluno-  der  Arbeit.  17 

Bett,  auf  dem  er  liegt,  und  alle  die  verschiedenen  Teile, 
aus  denen  es  besteht,  den  Küchenherd,  auf  dem  er  seine 
Speisen  zubereitet,  die  dazu  gebrauchten  Kohlen,  die  aus 
den  Schachten  gegraben  und  ihm  vielleicht  durch  eine 
weite  See-  und  Landreise  zugeführt  worden  sind,  alle 
anderen  Gerätschaften  seiner  Küche,  alles  Tischgeschirr, 
die  Messer  und  Gabeln,  die  irdenen  oder  zinnernen 
Teller,  auf  denen  er  seine  Gerichte  aufträgt  und  schnei- 
det, die  verschiedenen  Hände,  welche  mit  Bereitung 
seines  Brots  und  Biers  beschäftigt  sind,  die  Glasfenster, 
welche  Wärme  und  Licht  hereinlassen  und  Wind  und 
Regen  abhalten,  samt  aller  der  Kenntnis  und  Kunst, 
welche  diese  schöne  und  glückliche  Erfindung  vorbe- 
reiten mußten:  eine  Erfindung,  ohne  welche  diese  nörd- 
lichen Teile  der  Erde  kaum  eine  recht  behagliche  Woh- 
nung hätten  erhalten  können;  samt  den  Werkzeugen 
all'  der  vielen  mit  der  Hervorbringung  so  verschiedener 
Bedarfsgegenstände  beschäftigten  Arbeiter —  wenn  wir, 
sage  ich,  alle  diese  Dinge  prüfen,  und  erwägen,  welche 
MannigfaltigkeitderArbeitaufjedesvonihnen  verwendet 
worden  ist,  so  werden  wir  einsehen,  daß  ohne  den  Bei- 
stand und  die  Mitwirkung  vieler  Tausende  nicht  der 
allergeringste  Einwohner  eines  zivilisierten  Landes  auch 
nur  in  der,  wie  wir  sie  uns  fälschlich  vorstellen,  leichten 
und  einfachen  Art.  in  der  er  gewöhnlich  ausgestattet  ist, 
versorgt  werden  könnte.  Verglichen  freilich  mit  dem 
ausschweifenderen  Luxus  der  Großen  muß  seine  Aus- 
stattung ohne  Zweifel  außerordentlich  einfach  und  gering 
erscheinen;  und  dennoch  ist  es  vielleicht  wahr,  daß  der 
Komfort  eines  europäischen  Fürsten  nicht  immer  den 
eines  fleißigen  und  mäßigen  Bauern  in  dem  Grade 
übertrifft,  wie  der  Komfort  des  letzteren  denjenigen 
manches  afrikanischen  Königs,  des  absoluten  Herrn  über 
Leben  und  Freiheit  von  zehntausend  nackten  Wilden. 


Adam  Smitli,  VolkswoLlstaiid.  1. 


Zweites  Kapitel. 

Über  den  Trieb, 
der  die  Teilung  der  Arbeit  veranlaßt. 

Diese  Teilung  der  Arbeit,  aus  der  so  viele  Vor- 
teile gezogen  werden,  ist  ursprünglich  nicht  das  Werk 
menschlicher  Weisheit,  welche  die  allgemeine  Wohl- 
habenheit, zu  der  es  führt,  vorhergesehen  und  bezweckt 
hätte.  Sie  ist  die  notwendige,  obwohl  sehr  langsame 
und  allmähliche  Folge  eines  gewissen  Hanges  der 
menschlichen  Natur,  der  keinen  so  ausgebreiteten 
Nutzen  erstrebt:  des  Hanges  zu  tauschen,  sich  gegen- 
seitig auszuhelfen  und  ein  Ding  gegen  ein  anderes  zu 
verhandeln. 

Ob  dieser  Hang  einer  jener  ursprünglichen  Triebe 
in  der  menschlichen  Natur  ist,  von  denen  sich  weiter 
keine  Rechenschaft  geben  läßt,  oder-  ob  er,  was  wahr- 
scheinlicher ist,  die  notwendige  Folge  des  Vernunft- 
und  Sprachvermögens  ist,  das  zu  untersuchen  gehört 
nicht  hierher.  Er  ist  allen  Menschen  gemeinsam  und 
bei  keiner  anderen  Gattung  von  Tieren  zu  finden,  die 
weder  diesen  noch  irgend  eine  andere  Art  von  Verträgen 
zu  kennen  scheinen.  Zwei  Windhunde,  die  den  näm- 
lichen Hasen  hetzen,  erwecken  zuweilen  den  Anschein, 
als  handelten  sie  in  einer  Art  von  Einverständnis. 
Jeder  treibt  ihn  seinem  Gefährten  zu,  oder  sucht  ihn 
abzufangen,  wenn  sein  Gefährte  ihn  ihm  zutreibt. 
Dies  ist  jedoch  nicht  die  Folge  eines  Vertrages,  sondern 


Kap.  II.:  Über  den  Trieb,  dev  d.  Teilung  d.  Arbeit  veranlaßt.  19 

der  zufälligen  Konkurrenz  ihrer  zu  gleicher  Zeit  auf 
dasselbe  Ziel  gerichteten  Leidenschaften.  Niemand  hat 
je  einen  Hund  mit  einem  andern  einen  gütlichen  und 
überlegten  Tausch  eines  Knochens  gegen  einen  andern 
machen  sehen.  Niemand  hat  je  ein  Tier  durch  seine 
Geberden  und  Natuilaute  einem  anderen  andeuten 
sehen:  „dies  ist  mein,  dies  dein;  ich  bin  willens,  dies 
für  jenes  zu  geben."  Wenn  ein  Tier  entweder  von 
einem  Menschen  oder  einem  anderen  Tiere  Etwas  er- 
langen will,  so  hat  es  keine  anderen  Mittel  der  Über- 
redung, als  die  Gunst  derer  zu  gewinnen,  deren  Dienst 
es  begehrt.  Ein  Junges  liebkost  seine  Alte,  und  ein 
Hund  sucht  durch  tausend  Bewegungen  die  Aufmerk- 
samkeit seines  bei  Tische  sitzenden  Herrn  zu  erregen, 
wenn  er  von  ihm  etwas  zu  fressen  haben  will.  Der 
Mensch  bedient  sich  bisweilen  derselben  Künste  seinen 
Mitmenschen  gegenüber,  und  wenn  er  kein  anderes 
Mittel  hat,  sie  seinen  Wünschen  geneigt  zu  machen, 
so  sucht  er  durch  jede  mögliche  knechtische  und 
schweifwedelnde  Aufmerksamkeit  ihre  Willfährigkeit 
zu  gewinnen.  Er  hat  jedoch  keine  Zeit,  dies  bei  jeder 
Gelegenheit  zu  tun.  In  einer  zivilisierten  Gesellschaft 
bedarf  er  allezeit  der  Mitwirkung  und  des  Beistandes 
vieler  Menschen,  während  sein  ganzes  Leben  kaum 
hinreicht,  die  Freundschaft  einiger  weniger  Personen 
zu  gewinnen.  In  fast  allen  anderen  Tiergattungen  ist 
jedes  einzelne  Tier,  wenn  es  zur  Reife  gelangt  ist,  ganz 
unabhängig  und  bedarf  in  seinem  Naturzustande  keines 
anderen  lebenden  Wesens  Beistand.  Der  Mensch 
braucht  die  Hilfe  seiner  Mitmenschen  fast  immer,  und 
würde  diese  vergeblich  von  ihrem  Wohlwollen  allein 
erwarten.  Er  wird  viel  leichter  Erfolg  haben,  wenn 
er  ihre  Eigenliebe  zu  seinen  Gunsten  interessieren  und 
ihnen  zeigen  kann,  daß  es  ihr  eigener  Vorteil  ist,  für 
ihn    zu   tun,    was    er  von    ihnen    fordert.      Wer   einem 

2* 


20    Ei'stes  Biicli:  Zunahme  in  dor  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Anderen  einen  Handel  irgend  einer  Art  anträgt,  ver- 
fährt auf  diese  Weise.  Gieb  mir  dies,  was  ich  brauche, 
und  Du  sollst  das  haben,  was  Du  brauchst  —  ist  der 
Sinn  jedes  solchen  Anerbietens;  und  auf  diese  Weise 
erhalten  wir  von  einander  den  bei  Weitem  größten 
Teil  der  guten  Dienste,  deren  wir  benötigt  sind.  Nicht 
von  dem  Wohlwollen  des  Fleischers,  Brauers  oder 
Bäckers  erwarten  wir  unsere  Mahlzeit,  sondern  von 
ihrer  Bedachtnahme  auf  ihr  eigenes  Interesse.  Wir 
wenden  uns  nicht  an  ihre  Humanität,  sondern  an  ihre 
Eigenliebe,  und  sprechen  ihnen  nie  von  unseren  Be- 
dürfnissen, sondern  stets  von  ihren  Vorteilen.  Nur  ein 
Bettler  will  lieber  ganz  vom  Wohlwollen  seiner  Mit- 
bürger abhängen.  Und  selbst  ein  Bettler  hängt  nicht 
völlig  davon  ab.  Die  Mildtätigkeit  gutherziger  Leute 
verschafft  ihm  allerdings  den  ganzen  Fonds  seiner 
Unterhaltsmittel.  Aber  obgleich  diese  Triebfeder  ihn 
schließlich  mit  allen  seinen  Lebensbedürfnissen  ver- 
sorgt, versieht  sie  ihn  doch  nicht  und  kann  sie  ihn 
nicht  so  damit  versehen,  wie  es  sein  Bedürfnis  erheischt. 
Der  größere  Teil  seines  gelegentlichen  Bedarfs  wird 
ebenso  wie  der  anderer  Leute  beschafft,  durch  Über- 
einkommen, Tausch  und  Kauf.  Mit  dem  Grelde,  was 
ihm  der  Eine  giebt,  kauft  er  Nahrung.  Die  alten 
Kleider,  die  ihm  ein  Anderer  schenkt,  vertauscht  er 
gegen  andere  alte  Kleider,  die  ihm  besser  passen,  oder 
gegen  Wohnung,  Lebensmittel  oder  Geld,  mit  dem  er 
je  nach  Bedarf  ebensowohl  Lebensmittel,  wie  neue 
Kleider  oder  Wohnung  kaufen  kann. 

Wie  wir  durch  Übereinkommen,  Tausch  und  Kauf 
von  einander  den  größten  Teil  der  gegenseitigen  guten 
Dienste,  deren  wir  bedürfen,  gewinnen,  so  giebt  dieselbe 
Neigung  zum  Tauschen  ursprünglich  Veianlassung  zur 
Teilung  der  Arbeit.  Jn  einem  Jäger-  oder  Hirten- 
stamm  macht  z.   B.    irixend   Einer  Bogen    und   Pfeile 


Kap.  IL:  Über  den  Trieb,  der  d.  Teüunisr  d.  Arbeit  Aeranlaßt.   21 

schneller  und  geschickter  als  ein  Anderer.  Er  ver- 
tauscht sie  oft  gegen  zahmes  Vieh  oder  AVildpret  mit 
seinen  Gefährten  und  findet  schliei^lich,  daß  er  auf 
diese  Weise  mehr  Vieh  und  Wildpret  gewinnen  kann, 
als  wenn  er  selbst  auf  die  Jagd  ginge.  Aus  ßücksicht 
auf  sein  eigenes  Interesse  macht  er  daher  das  Ver- 
fertigen von  Bogen  und  Pfeilen  zu  seinem  Hauptge- 
schäft, und  wird  eine  Art  Waffenschmied.  Ein  anderer 
zeichnet  sich  im  Bau  und  in  der  Bedachung  ihrer 
kleinen  Hütten  odor  transportabeln  Häuser  aus.  Er 
pflegt  auf  diese  Weise  seinen  Nachbarn  nützlich  zu 
sein,  die  ihn  dafür  ebenso  mit  Vieh  und  Wildpret  be- 
lohnen, bis  er  es  zuletzt  in  seinem  Interesse  findet, 
sich  gänzlich  dieser  Beschäftigung  zu  widmen  und 
eine  Art  Zimmermann  zu  werden.  Auf  dieselbe  Art 
wird  ein  Dritter  ein  Schmied  oder  Kupferschmied,  ein 
vierter  ein  Gerber  oder  Zubereiter  von  Häuten  oder 
Fellen,  dem  Hauj)tteil  der  Bekleidung  wilder  Völker. 
Und  so  spornt  die  Gewißheit,  allen  Überschuß  seiner 
Arbeit,  der  über  seinen  eigenen  Verbrauch  hinausgeht, 
für  solche  Erzeugnisse  Anderer,  wie  er  sie  gerade 
braucht,  austauschen  zu  können,  einen  Jeden  an,  sich 
einer  bestimmten  Beschäftigung  zu  widmen  und  das 
Talent  oder  Genie,  das  er  für  diesen  bestimmten  Er- 
werbszweig besitzt,  auszubilden  und  zur  Vollkommen- 
heit zu  bringen. 

Die  Verschiedenheit  der  natürlichen  Talente  bei 
den  verschiedenen  Menschen  ist  in  Wahrheit  viel  ge- 
ringer, als  wir  glauben,  und  der  sehr  verschiedene 
Geist,  welcher,  wenn  er  zur  Eeife  gelangt  ist,  Tjeute 
von  verschiedenem  Beruf  zu  unterscheiden  scheint,  ist 
in  vielen  Fällen  nicht  sowohl  der  Grund  als  die  Folge 
der  Arbeitsteilung.  Die  Verschiedenheit  zwischen  den 
unähnlichen  Charakteren,  wie  z.  B.  zwischen  einem 
Philosophen   und   einem   gemeinen  Lastträger,   scheint 


22    Ki'stes  Buch:  Zunahme  in  der  ErtTa,i^-skraft  der  Arbeit. 

nicht  sowohl  ihrem  Wesen,  als  der  Gewöhnung  und 
Erziehung  zu  entspringen.  Als  sie  auf  die  Welt  kamen, 
und  in  den  ersten  sechs  bis  acht  Jahren  ihres  Daseins 
waren  sie  einander  vielleicht  sehr  ähnlich,  und  weder 
ihre  Eltern  noch  ihre  Gespielen  konnten  eine  merkliche 
Verschiedenheit  gewahr  werden.  Etwa  in  diesem  Alter 
oder  bald  darauf  wurden  sie  zu  sehr  verschiedenen  Be- 
schäftigungen angehalten.  Dann  wird  die  Verschieden- 
heit ihrer  Talente  bemerkt  und  erweitert  sich  nach  und 
nach,  bis  zuletzt  die  Eitelkeit  des  Philosophen  kaum 
noch  irgend  eine  Ähnlichkeit  anzuerkennen  bereit  ist. 
Aber  ohne  den  Hang  zum  Tausch  und  Handel  würde 
sich  Jedermann  die  Notwendigkeiten  und  Annehmlich- 
keiten des  Lebens  selber  haben  verschaffen  müssen. 
Alle  hätten  dieselben  Obliegenheiten  zu  erfüllen  und 
dasselbe  zu  tun  gehabt,  und  es  hätte  keine  solche  Ver- 
schiedenheit der  Beschäftigung  eintreten  können,  wie 
sie  allein  eine  irgend  bedeutende  Verschiedenheit  der 
Talente  herbeiführen  konnte. 

Wie  nun  dieser  Hang  jene  unter  den  Menschen 
verschiedenen  Berufs  so  merkliche  Verschiedenheit  der 
Talente  bildet,  so  ist  es  derselbe  Hang,  der  jene  Ver- 
schiedenheit nutzbringend  macht.  Viele  Tierarten,  die 
anerkannter  Weise  zu  derselben  Gattung  gehören, 
haben  von  Natur  weit  verschiedenere  Anlagen,  als  sie 
vor  der  Gewöhnung  und  Erziehung  unter  den  Menschen 
platzzugreifen  scheinen.  Von  Natur  ist  ein  Philosoph 
an  Anlagen  und  Neigungen  nicht  halb  so  sehr  von 
einem  Lastträger  verschieden,  als  ein  Bullenbeisser 
von  einem  Windhund,  oder  ein  Windhund  von  einem 
Jagdhund,  oder  dieser  von  einem  Schäferhunde.  Gleich- 
wohl sind  diese  verschiedenen  Tierarten,  obschon  alle 
derselben  Gattung  angehören,  einander  kaum  irgend 
wie  nützlich.  Die  Stärke  des  Bulleubeissers  wird  nicht 
im  Geringsten  durch  die  Schnelligkeit  des  Windhundes 


Kap.  II.:  Über  den  Trieb,  der  d.  Teilung  d.  Arbeit  veranlaßt.    23 

oder  die  Spürkraft  des  Jagdhundes  oder  die  Gelehrig- 
keit des  Schäferhundes  unterstützt.  Da  diese  Tiere 
derjenigen  Fähigkeiten  oder  Triebe  ermangeln,  die 
zum  Tausch  und  zu  gegenseitiger  Aushülfe  erforder- 
lich sind,  können  die  Erzeugnisse  jener  verschiedenen 
Anlagen  und  Talente  nicht  zu  einem  Gesamtvorrat 
vereinigt  werden  und  tragen  nicht  das  Geringste  zur 
besseren  Versorgung  und  zum  höheren  Komfort  der 
Gattung  bei.  Jedes  Tier  ist  gezwungen,  sich  abge- 
sondert und  unabhängig  seinen  Unterhalt  zu  ver- 
schaffen und  sich  selbst  zu  verteidigen,  und  hat 
keinerlei  Vorteil  von  den  mannigfaltigen  Talenten, 
mit  denen  die  Natur  seine  Genossen  ausgestattet  hat. 
Unter  den  Menschen  sind  im  Gegenteil  die  unähn- 
lichsten Anlagen  einander  von  Nutzen,  indem  die  ver- 
schiedenen Erzeugnisse  ihrer  bezüglichen  Talente  durch 
den  allgemeinen  Hang  zum  Tausch  und  zu  gegen- 
seitiger Aushülfe  in  einen  Gesamtvorrat  vereinigt  wer- 
den, woraus  Jedermann  den  Teil  des  Erzeugnisses 
der  Talente  anderer  Menschen  kaufen  kann,  dessen 
er  bedarf. 


Drittes  Kapitel. 

Die  Teilung  der  Arbeit  hat  ihre  Schranken 
an  der  Ausdehnung  des  Marktes. 

Wie  die  Möglichkeit  des  Tauschens  Anlaß  zur  Tei- 
lung der  Arbeit  gibt,  so  muß  das  Maß  dieser  Teilung 
stets  durch  das  Maß  jener  Möglichkeit,  oder  mit  andern 
Worten,  durch  die  Ausdehnung  des  Marktes  begrenzt 
sein.  Wenn  der  Markt  sehr  klein  ist,  kann  Niemand 
sich  ermutigt  finden,  sich  gänzlich  einer  Beschäftigung 
zu  widmen,  weil  es  an  der  Möglichkeit  fehlt,  den  ganzen 
Überschuß  des  Erzeugnisses  seiner  Arbeit,  der  über 
seinen  eigenen  Verbrauch  hinausgeht,  für  solche  Teile 
der  Erzeugnisse  Anderer,  die  er  gerade  braucht,  aus- 
zutauschen. 

Es  gibt  einige  Gewerbszweige,  selbst  der  niedrig- 
sten Art,  die  nirgendwo  anders,  als  in  einer  großen 
Stadt  getrieben  werden  können.  Ein  Lastträger  z.  B. 
kann  an  keinem  anderen  Orte  Beschäftigung  und  Unter- 
halt finden.  Ein  Dorf  ist  viel  zu  eng  für  ihn;  selbst 
ein  gewöhnlicher  Marktflecken  ist  kaum  groß  genug, 
ihm  fortwährend  Beschäftigung  zu  geben.  In  den 
einzeln  stehenden  Häusern  und  sehr  kleinen  Dcirfern, 
die  in  einem  so  öden  Lande,  wie  die  schottischen  Hoch- 
lande es  sind,  zerstreut  liegen,  muß  ein  Jeder  Bauer, 
Fleischer,  Bäcker  und  Brauer  für  seine  eigene  Familie 
sein.  In  solchen  Gegenden  kann  man  kaum   erwarten, 


Kap.  III.:  Schranken  der  Arbeitsteilung.  25 

auch  nur  einen  Scliinied,  Zimmermann  oder  Maurer 
in  weniger  als  einem  Umkreise  von  zwanzig  Meilen 
zu  finden.  Die  zerstreuten  Familien,  die  acht  oder  zehn 
Meilen  von  dem  nächsten  Handwerker  entfernt  leben, 
müssen  sehr  viele  kleine  Sachen,  welche  sie  in  volk- 
reicheren Gegenden  von  solchen  Handwerkern  machen 
lassen  würden,  selbst  zu  verfertigen  lernen.  Dorfhand- 
werker  sind  fast  überall  gezwungen,  sich  mit  all'  den 
verschiedenen  Gewerbszweigen  zu  befassen,  die  ein- 
ander durch  die  Verwendung  gleichen  Materials  ver- 
wandt sind.  Ein  Dorfzimmermann  gibt  sich  mit  jeder 
Art  Holzarbeit  ab,  ein  Dorfschmied  mit  jeder  Art  Eisen- 
arbeit. Der  erstere  ist  nicht  blos  Zimmermann,  sondern 
Schreiner,  Kunsttischler  und  sogar  Bildschnitzer,  sowie 
Rad-,  Pflug-  und  Stellmacher.  Die  Beschäftigungen 
des  Schmieds  sind  noch  mannigfacher.  In  den  ent- 
legenen inneren  Teilen  der  schottischen  Hochlande 
kann  unmöglich  selbst  ein  Gewerbe  wie  das  des  Nagel- 
schmieds bestehen.  Ein  solcher  Handwerker  würde, 
nach  dem  Satze  von  Tausend  Nägeln  des  Tages  und 
bei  dreihundert  Arbeitstagen  im  Jahr,  jährlich  dreimal- 
hunderttausend  Nägel  machen;  allein  an  einem  solchen 
Orte  würde  er  jährlich  kaum  tausend,  d.  h.  die  Arbeit 
eines  einzigen  Tages,  absetzen  können. 

Da  durch  den  Wassertransport  für  jede  Art  Indu- 
strie ein  ausgedehnterer  Markt  eröffnet  wird,  als  ihn 
der  Landtransport  allein  gewähren  kann,  so  sind  es 
die  Meeresküste  und  die  Ufer  schiffbarer  Flüsse,  wo 
der  Gewerbfleiß  jeder  Art  sich  abzuteilen  und  zu  ver- 
vollkommnen anfängt,  und  diese  Vervollkommnung 
dehnt  sich  oft  erst  lange  Zeit  nachher  auf  die  inneren 
Teile  des  Landes  aus.  Ein  Frachtwagen,  der  von  zwei 
Menschen  begleitet  und  mit  acht  Pferden  bespannt  ist, 
fährt  in  etwa  sechs  Wochen  mit  Waren  im  Gewicht 
von  ungefähr-  vier  Tonnen  zwischen  London  und  Edin- 


26    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

bürg  hin  und  zurück.  In  etwa  derselben  Zeit  führt 
ein  Schiff",  das  mit  sechs  oder  acht  Menschen  bemannt 
ist,  und  zwischen  den  Häfen  von  London  und  Leith 
segelt,  oft  Waren  von  zweihundert  Tonnen  an  Gewicht 
hin  und  her.  Sechs  oder  acht  Mann  können  demnach 
mittelst  Wassertransports  in  derselben  Zeit  dieselbe 
Menge  Waren  zwischen  London  und  Edinburg  hin- 
und  herfahren,  wie  fünfzig  von  hundert  Menschen 
begleitete  und  von  vierhundert  Pferden  gezogene 
Frachtwagen.  Auf  zweihundert  Tonnen  Waren,  die 
mit  der  wohlfeilsten  Landfracht  von  London  nach 
Edinburg  gebracht  werden,  muß  also  der  dreiwöchent- 
liche Unterhalt  von  hundert  Menschen  und  sowohl 
der  Unterhalt,  wie,  was  dem  Unterhalt  ziemlich  gleich- 
kommt, die  Abnutzung  von  vierhundert  Pferden  und 
fünfzig  Frachtwagen  gerechnet  werden;  während  bei 
derselben  Waren  masse,  wenn  sie  zu  Wasser  transpor- 
tiert wird,  nur  der  Unterhalt  von  sechs  oder  acht 
Menschen  und  die  Abnutzung  eines  Schiffes  von  zwei- 
hundert Tonnen  Gehalt,  samt  dem  AVerte  des  größeren 
Risikos  oder  des  Unterschieds  zwischen  der  Land- 
und  Wasserversicherung  gerechnet  zu  werden  braucht. 
Gäbe  es  also  keine  andere  Verbindung  zwischen  beiden 
Plätzen,  als  die  durch  Landtransport,  so  wären  sie, 
da  nur  solche  Waren  von  dem  einen  Ort  zum  andern 
gebracht  werden  könnten,  deren  Preis  im  Verhältnis 
zu  ihrem  Gewichte  sehr  hoch  wäre,  nur  einen  kleinen 
Teil  des  Verkehrs  zu  unterhalten  imstande,  der  jetzt 
zwischen  ihnen  stattfindet,  und  mithin  der  beiderseitigen 
Industrie  nur  einen  kleinen  Teil  der  Aufmunterung  zu 
teil  werden  zu  lassen,  die  sie  jetzt  einander  gewähren. 
Zwischen  den  entfernten  Teilen  der  Welt  könnte 
nur  wenig  oder  gar  kein  Vorkehr  stattfinden.  Welche 
Waren  vermöchten  die  Kosten  des  Landtransports 
zwischen  London  und  Kalkutta  zu  ortragen?  Oder,  wenn 


Kap.  TIL:  Schranken  der  Arbeitsteilung.  27 

einige  so  wertvoll  wären,  daß  sie  diese  Koston  zu 
ertragen  vormöchten,  mit  welcher  Sicherheit  könnten 
sie  durch  die  Gebiete  so  vieler  barbarischer  Völker- 
schaften gebracht  werden?  Jetzt  hingegen  treiben 
diese  beiden  Städte  einen  sehr  bedeutenden  Handel 
mit  einander  und  spornen,  indem  sie  einander  einen 
Markt  bieten,  die  beiderseitige  Industrio  erheblich  an. 

Bei  diesem  großen  Vorteil  des  Wassertransports 
ist  es  natürlich,  daß  die  ersten  Fortschritte  der  Kunst 
und  Industrie  da  gemacht  wurden,  wo  diese  günstige 
Gelegenheit  die  ganze  "Welt  zu  einem  Markte  für  die 
Produkte  jeglicher  Art  Arbeit  eröffnet,  und  daß  sie 
sich  immer  erst  viel  später  auf  die  inneren  Teile  des 
Landes  ausdehnen.  Die  inneren  Teile  des  Landes 
können  lange  Zeit  hindurch  keinen  anderen  Markt  für 
den  größten  Teil  ihrer  Waren  haben,  als  die  Land- 
schaft, die  sie  umgiebt  und  die  sie  von  der  Seeküste 
und  den  großen  schiffbaren  Flüssen  trennt.  Die  Aus- 
dehnung ihres  Marktes  hängt  daher  lange  Zeit  von 
dem  Reichtum  und  der  Bevölkerungsdichtigkeit  jener 
Landschaft  ab,  und  ihr  Fortschritt  muß  folglich  hinter 
dem  dieser  Landschaft  einherhinken.  In  unseren  nord- 
amerikanischen Kolonien  sind  die  Pflanzungen  beständig 
der  Seeküste  oder  den  Ufern  der  schiffbaren  Flüsse 
gefolgt  und  haben  sich  kaum  irgendwo  beträchtlich 
von  beiden  entfernt. 

Die  Völker,  welche  nach  den  glaubwürdigsten 
Geschichtsschreibern  am  frühesten  zivilisiert  gewesen 
zu  sein  scheinen,  waren  diejenigen,  die  rund  um  die 
Küste  des  mittelländischen  Meeres  wohnten.  Da  dieses 
Meer,  die  bei  Weitem  größte  bekannte  Bucht  der  Welt, 
keine  Ebbe  und  Flut  und  mithin  keine  anderen  Wollen 
hat,  als  die  der  Wind  verursacht,  so  war  es  durch  die 
Glätte  seiner  Oberfläche  nicht  minder  wie  durch  die 
Menge    seiner   Inseln    und    die    Nähe   seiner   Ufer   der 


28    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Schiffahrt  in  ihrer  Kindheit  außerordentlich  günstig, 
als  noch  die  Menschen,  unbekannt  mit  dem  Kompaß, 
sich  fürchteten,  die  Küste  aus  dem  Gesicht  zu  ver- 
lieren, und  wegen  der  Unvollkommonheit  der  Schiff- 
baukunst nicht  wagten,  sich  den  stürmischen  Wogen 
des  Ozeans  zu  überlassen.  Über  die  Säulen  des  Her- 
kules, d.  h.  durch  die  Meerenge  von  Gibraltar  hinaus- 
zusegeln, wurde  in  der  alten  Welt  lange  als  eine 
äußerst  wunderbare  und  gefährliche  Unternehmung 
der  Schiffahrt  betrachtet.  Selbst  die  Phönizier  und 
Karthager,  die  geschicktesten  Seefahrer  und  Schiff- 
bauer jener  alten  Zeiten,  versuchten  es  erst  spät  und 
waren  lange  die  einzigen  Völker,  die  es  wagten. 

Unter  allen  I^ändern  an  der  Küste  des  mittel- 
ländischen Meeres  scheint  Ägypten  das  erste  gewesen 
zu  sein,  in  welchem  sowohl  der  Ackerbau  wie  die 
Gewerbe  gepflegt  und  zu  einer  hohen  Stufe  entwickelt 
wurden.  Oberägypten  erstreckt  sich  nirgends  über 
einige  Meilen  vom  Nil,  und  in  Unteräg3^pten  teilt  sich 
dieser  große  Strom  in  viele  Kanäle,  welche  durch 
einige  künstliche  Nachhülfe  eine  Wasserverbindung 
nicht  nur  zwischen  allen  großen  Städten,  sondern  auch 
zwischen  allen  ansehnlichen  Dörfern  und  sogar  bis  zu 
vielen  Landgütern  geführt  zu  haben  scheinen,  etwa 
in  derselben  Art,  wie  heute  der  Rhein  und  die  Maas 
in  Holland.  Der  Umfang  und  die  Leichtigkeit  dieser 
Binnenschiffahrt  war  wahrscheinlich  eine  der  Haupt- 
ursachen der  frühen  Kultur  Ägyptens. 

Ebenso  scheinen  in  den  Provinzen  Bcngalens  in 
Ostindien  und  in  einigen  östlichen  Provinzen  Chinas 
die  Fortschritte  des  Ackerbaus  und  der  Gewerbe  von 
sehr  hohem  Alter  zu  sein,  obwohl  dies  Alter  durch 
keine  verläßlichen  Geschichtsnachrichten,  die  es  für 
diesen  Teil  der  Welt  nicht  giebt,  verbürgt  ist.  In 
Bengalen  bilden  der  Ganges  und  einige  andere  große 


Kap.  TIT.:  ?>rhranken  der  Avbeitstoilun.s,-.  29 

Ströme  eine  bedeutende  Menge  schiffbarer  Kanäle, 
ganz  so  wie  der  Nil  in  Agyj^ten.  In  den  östlichen 
Provinzen  Chinas  bilden  gleichfalls  einige  große  Flüsse 
durch  ihre  verschiedenen  Arme  eine  Menge  von  Ka- 
nälen und  gestatten  durch  Verbindung  untereinander 
eine  noch  viel  ausgedehntere  Binnenschiffahrt  als  der 
Nil  oder  Ganges  oder  vielleicht  beide  zusammen.  Es 
ist  merkwürdig,  daß  weder  die  alten  Ägypter,  noch 
die  Inder,  noch  die  Chinesen  den  auswärtigen  Handel 
ermunterten,  sondern  sämtlich  ihren  großen  Iteichtum 
aus  dieser  Binnenschiffahrt  gezogen  zu  haben  scheinen. 
Alle  inneren  Teile  Afrikas  und  jener  ganze  Teil 
Asiens,  der  weit  nördlich  vom  schwarzen  und  kaspi- 
schen  Meere  liegt,  das  alte  Scythien,  die  moderne 
Tartarei,  und  Sibirien  scheinen,  so  lange  die  Welt  steht, 
in  demselben  barbarischen  und  unzivilisierten  Zustande 
gewesen  zu  sein,  in  welchem  wir  sie  noch  heute  finden. 
Das  Meer  der  Tartarei  ist  das  Eismeer,  das  keine  Schiff- 
fahrt zuläßt,  und  obgleich  einige  der  größten  Ströme 
der  Welt  durch  dies  Land  fließen,  so  sind  sie  doch 
zu  weit  von  einander  entfernt,  um  Handel  und  Verkehr 
durch  den  größeren  Teil  von  ihm  herbeizuführen.  In 
Afrika  gibt  es  keine  so  großen  Buchten,  wie  das 
baltische  und  adriatische  Meer  in  Europa,  das  mittel- 
ländische und  schwarze  Meer  in  Europa  und  Asien, 
und  den  arabischen  und  persischen,  indischen,  benga- 
lischen und  siamesischen  Meerbusen  in  Asien,  um  den 
Seehandel  nach  den  inneren  Teilen  jenes  großen  Kon- 
tinents zu  führen  und  die  großen  Flüsse  Afrikas  sind 
zu  weit  von  einander  entfernt,  um  zu  einer  bedeuten- 
deren Binnenschiffahrt  Gelegenheit  zu  bieten.  Überdies 
kann  der  Verkehr  eines  Volks  auf  einem  Flusse,  der 
sich  nicht  in  eine  große  Menge  von  Armen  oder 
Kanälen  teilt,  und  der,  ehe  er  das  Meer  erreicht,  in 
ein  anderes  Gebiet  fließt,  niemals  sehr  bedeutend  sein, 


30    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

weil  die  Völker,  die  jenes  andere  Gebiet  besitzen,  es 
stets  in  ihrer  Macht  haben,  den  Verkehr  zwischen 
dem  Oberlande  und  dem  Meere  zu  hemmen.  Die 
Donauschiffahrt  ist  für  Baiern,  Österreich  und  Ungarn 
von  sehr  geringem  Nutzen,  im  Vergleich  zu  dem- 
jenigen, den  sie  haben  könnte,  wenn  einer  dieser 
Staaten  den  ganzen  Lauf  des  Flusses  bis  zu  seiner 
Mündung  in  das  schwarze  Meer  beherrschte. 


Viertes   Kapitel. 
Vom  Ursprung  und  Gebrauch  des  Geldes. 

Wenn  die  Teilung  der  Arbeit  einmal  durchweg 
eingeführt  ist,  so  ist  es  nur  ein  sehr  kleiner  Teil  der 
Bedürfnisse  eines  Menschen,  der  durch  das  Erzeugnis 
seiner  eigenen  Arbeit  beschafft  werden  kann.  Ihren 
bei  weitem  größten  Teil  verschafft  er  sich  durch  Aus- 
tausch jenes  Überschusses  seines  eignen  Arbeitsertrags, 
der  über  seinen  Verbrauch  hinausgeht,  gegen  solche 
Erzeugnisse  von  anderer  Leute  Arbeit,  die  er  gerade 
braucht.  Jedermann  lebt  so  durch  Tausch,  oder  wird 
gewissermaßen  ein  Kaufmann,  und  die  Gesellschaft 
selbst  wächst  zu  einer  eigentlichen  Handelsgesellschaft 
heran. 

Als  jedoch  die  Teilung  der  Arbeit  zuerst  Platz 
griff,  muß  die  Möglichkeit  zu  tauschen  häufig  sehr  ins 
Stocken  geraten  und  gehemmt  worden  sein.  Nehmen 
wir  an,  der  Eine  habe  mehr  von  einer  Ware,  als  er 
selbst  braucht,  während  ein  Anderer  weniger  hat.  Der 
Erstere  würde  mithin  froh  sein,  wenn  er  einen  Teil 
dieses  Überflusses  loswerden,  der  Letztere,  wenn  er 
ihn  kaufen  könnte.  Wenn  aber  dieser  Letztere  Nichts 
hat,  was  der  Erstere  bedarf,  so  kann  zwischen  ihnen 
kein  Tausch  Zustandekommen.  Der  Fleischer  hat 
mehr  Fleisch  in  seinem  Laden,  als  er  selbst  verzehren 
kann,  und  der  Biauer  und  Bäcker  würden  jeder  gern 
einen  Teil  davon  kaufen.  Allein  sie  haben  Nichts  zum 


32    Efstes  Bucli:  Zimalime  in  dei-  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Tauscli  zu  bieten,  als  die  verschiedenen  Erzeugnisse 
ihrer  bezüglichen  Gewerbe,  und  der  Fleischer  ist  schon 
mit  allem  Brot  und  Bier,  das  er  augenblicklich  braucht, 
versehen.  In  diesem  Falle  läßt  sich  kein  Tausch 
zwischen  ihnen  machen.  Er  kann  nicht  ihr  Kaufmann, 
noch  sie  seine  Kunden  sein,  und  alle  drei  leisten  so 
einander  weniger  Dienste.  Um  den  Übelstand  einer 
solchen  Lage  zu  vermeiden,  muß  jeder  vorsichtige 
Mann  zu  allen  Zeiten  der  Gesellschaft  nach  der  ersten 
Einführung  der  Arbeitsteilung  natürlich  bemüht  ge- 
wesen sein,  seine  Einrichtungen  so  zu  treffen,  daß  er 
außer  den  besonderen  Erzeugnissen  seines  eigenen 
Fleißes  jederzeit  noch  eine  gewisse  Menge  von  einer 
oder  der  anderen  Ware  in  Bereitschaft  hatte,  von  der 
er  voraussetzen  konnte,  daß  wahrscheinlich  wenige  Leute 
sie  in  Tausch  gegen  das  Erzeugnis  ihres  Fleißes  zu- 
rückweisen würden. 

Zu  diesem  Zwecke  sind  im  Laufe  der  Zeit  wahr- 
scheinlich viele  Waren  ausgedacht  und  verwendet 
worden.  In  den  rohen  Zeitaltern  der  Gesellschaft  soll 
Vieh  das  gewöhnliche  Werkzeug  des  Handels  gewesen 
sein,  und  obwohl  es  ein  sehr  unbequemes  sein  mußte, 
so  finden  wir  doch  in  alten  Zeiten  häufig  Dinge  nach 
der  Zahl  des  Viehs  geschätzt,  welches  dagegen  in 
Tausch  gegeben  wurde.  Die  Rüstung  des  Diomedes, 
sagt  Homer,  kostet  nur  neun  Ochsen,  die  des  Glaukus 
aber  hundert.  Salz  soll  das  gewöhnliche  Handels-  und 
Tauschmittel  in  Abyssinien  sein;  eine  Art  Muscheln 
in  einigen  Küstenstrichen  Indiens;  Stockfisch  in  Neu- 
fundland; Tabak  in  Virginien;  Zucker  in  einigen  unserer 
westindischen  Kolonien ;  Häute  oder  zugerichtetes  Leder 
in  anderen  Ländern;  und  noch  heutigen  Tages  gibt  es 
ein  Dorf  in  Schottland,  wo  es,  wie  man  sagt,  nichts 
Ungewöhnliches  ist,  daß  ein  Arbeiter  statt  des  Geldes 
Nägel   in   den    Bäckerladen    oder   ins  Bierhaus  bringt. 


Kap.  IV.:  Vom  Vi'spnmo-  und  Gebrauch  des  C ekles.      3,3 

In  allen  Ländern  jedoch  scheinen  die  Menschen 
zuletzt  durch  unwiderstehliche  Gründe  bestimmt  worden 
zu  sein,  den  Metallen  zu  diesem  Zwecke  vor  allen  an- 
deren AVaren  den  Vorzug  zu  geben.  Metalle  lassen 
sich  nicht  allein  mit  so  wenig  Verlust,  wie  nur  ii-gend 
eine  andere  Ware,  aufbewahren,  da  kaum  irgend  etwas 
Anderes  weniger  als  sie  dem  Verderben  ausgesetzt  ist, 
sondern  sie  können  auch  ohne  Verlust  in  irgend  eine 
Anzahl  Teile  zerlegt  werden,  da  diese  Teile  durch 
Schmelzung  sich  leicht  wieder  vereinigen  lassen:  eine 
Eigenschaft,  welche  keine  andere  gleich  dauerhafte 
Ware  besitzt,  und  die  mehr  als  irgend  etwas  Anderes 
sie  zum  Verkehis-  und  Umlaufsmittel  geeignet  macht. 
Wer  z.  B.  Salz  kaufen  wollte,  und  nur  Vieh  dagegen 
zu  geben  hatte,  war  gezwungen,  Salz  zum  Werte 
eines  ganzen  Ochsen  oder  eines  ganzen  Schafes  auf 
einmal  zu  kaufen.  Selten  konnte  er  weniger  kaufen, 
weil  dasjenige,  was  er  dafür  zu  geben  hatte,  kaum 
je  ohne  Verlust  geteilt  werden  konnte;  und  wenn  er 
Lust  hatte,  mehr  zu  kaufen,  so  mußte  er  aus  den- 
selben Gründen  das  Doppelte  oder  Dreifache  kaufen, 
d.  h.  für  den  Wert  von  zwei  oder  drei  Ochsen,  von 
zwei  oder  drei  Schafen.  Hatte  er  hingegen  statt  der 
Schafe  oder  Ochsen  Metalle  in  Tausch  zu  geben,  so 
konnte  er  leicht  die  Menge  des  Metalls  nach  der  ge- 
nauen Menge  der  Ware,  die  er  augenblicklich  brauchte, 
abmessen. 

Verschiedene  Metalle  sind  von  den  einzelnen  Na- 
tionen zu  diesem  Zwecke  angewandt  worden.  Eisen 
war  das  gewöhnliche  Verkehrsmittel  unter  den  alten 
Spartanern;  Kupfer  unter  den  alten  Römern;  und  Gold 
und  Silber  unter  allen  reichen  und  handeltreibenden 
Nationen. 

Diese  Metalle  scheinen  ursprünglich  in  rohen  Bar- 
ren ohne  Gepräge  oder  Ausmünzung  zu  jenen  Zwecken 

Adam  Smith,  Volkstv'ohlstand.  I.  3 


,^4    Erstes  Biicli:  Ziinahmo  in  flor  Ertragskraft  der  Arbeit. 

benutzt  worden  zu  sein.  So  berichtet  Plinius''')  auf  das 
Zeugnis  des  Timäus,  eines  alten  Geschichtsschreibers, 
daß  die  Römer  bis  auf  die  Zeit  des  Servius  Tullius 
kein  gemünztes  Geld  hatten,  und  ungestempelte  Kupfer- 
barren beim  Einkauf  ihrer  Bedürfnisse  gebrauchten.  Diese 
rohen  Barren  versahen  also  damals  den  Dienst  des  Geldes. 
Der  Gebrauch  der  Metalle  in  diesem  rohen  Zustande 
war  mit  zwei  sehr  großen  Übelständen  verbunden:  er- 
stens mit  der  Umständlichkeit  des  Wagens  und  zweitens 
mit  der  des  Probierens.  Bei  den  edlen  Metallen,  wo  ein 
geringer  Unterschied  in  der  Menge  einen  großen  Unter- 
schied im  Werte  ausmacht,  erfordert  schon  das  Geschäft 
des  Wagens,  wenn  es  mit  der  gehörigen  Genauigkeit  aus- 
geführt werden  soll,  wenigstens  sehr  genaue  Gewichte 
und  Wagen.  Namentlich  das  Wägen  des  Goldes  ist 
eine  Handhabung  von  einiger  Feinheit.  Bei  den  gröberen 
Metallen,  wo  ein  kleiner  Irrtum  von  wenig  Belang  ist, 
wäre  allerdings  weniger  Genauigkeit  erforderlich.  Man 
würde  es  jedoch  außerordentlich  beschwerlich  finden, 
wenn  ein  armer  Mann,  so  oft  er  für  einen  Dreier  kaufen 
oder  verkaufen  will,  den  Dreier  zu  Aviegen  genötigt 
wäre.  Die  Tätigkeit  des  Probierens  ist  noch  schwieriger 
und  langweiliger,  und  wenn  nicht  ein  Teil  des  Metalls 
mit  geeigneten  Auflösungsmitteln  im  Schmelztiegel  or- 
dentlich geschmolzen  wird,  äußerst  unsicher  bezüglich 
des  Schlusses,  der  daraus  zu  ziehen  ist.  Gleichwohl 
mußten  vor  der  Einführung  des  gemünzten  Geldes  die 
Leute  stets  den  gröbsten  Betrügereien  und  Täuschungen 
ausgesetzt  sein,  wenn  sie  diese  langweilige  und  schwierige 
Arbeit  nicht  vornahmen,  und  konnten,  statt  eines  Pfun- 
des reinen  Silbers  oder  reinen  Kupfers,  für  ihre  Waren 
leicht  eine  gefälschte  Zusammensetzung  aus  den  gröb- 
sten und  wohlfeilsten  Rohstoffen  erhalten,  die  jedoch 
in  ihrem  äußeren  Ansehen  jenen  Metallen  ähnlich  er- 

=••)   I'linius,   Mist.  Nat.,  lib.  'X],  cap.  ."l 


Kap.  TV.:  Vom  I'rspriin.o-  und  Gebrauch  des  Geldes.      35 

schien.  Um  solchen  Mißbräuchen  zuvorzukommen,  die 
Tausche  zu  erleichtern,  und  dadurch  alle  Arten  der 
Industrie  und  des  Handels  zu  ermutigen,  sah  man  sich 
in  allen  Ländern,  die  beträchtliche  Fortschritte  in  der 
Kultur  gemacht  hatten,  genötigt,  gewisse  Mengen  sol- 
cher Metalle,  die  daselbst  gewöhnlich  als  Tauschmittel 
benutzt  wurden,  von  Staatswegen  mit  einem  Stempel  zu 
versehen.  Dies  ist  der  Ursprung  des  gemünzten  Geldes 
und  jener  öffentlichen  Anstalten,  die  Münzen  heißen; 
Einrichtungen  genau  von  derselben  Art,  wie  die  der 
.Schau-  und  Stempelmeister  für  die  Wollen-  und  Leinen- 
waren. Sie  haben  alle  die  gleiche  Bestimmung,  durch 
einen  öffentlichen  Stempel  die  Menge  und  gleich- 
förmige Güte  dieser  verschiedenen  Waren,  w'enn  sie 
zu  Markt  gebracht  werden,  zu  verbürgen. 

Die  ersten  öffentlichen  Stempel  dieser  Art,  die  auf 
die  umlaufenden  Metalle  gedrückt  wurden,  scheinen  in 
vielen  Fällen  bestimmt  gewesen  zu  sein,  das  zu  ver- 
bürgen, was  zu  vei'bürgen  sowohl  am  schwierigsten,  wie 
am  wichtigsten  ist,  nämlich  die  Güte  und  Feinheit  des 
Metalls,  und  scheinen  der  Sterling-Marke  ähnlich  ge- 
wesen zu  sein,  die  man  jetzt  auf  Silbergeschirr  und 
Silberbarren  prägt,  oder  der  spanischen  Marke,  die  zu- 
weilen auf  Goldstangen  gesetzt  wird  und,  da  sie  nur 
auf  einer  Seite  des  Stückes  steht  und  nicht  die  ganze 
Oberfläche  bedeckt,  zwar  die  Feinheit,  aber  nicht  das 
Gewicht  des  Metalles  verbürgt.  Abraham  wieot  dem 
Ephron  die  vierhundert  Seckel  Silber  zu,  welche  er  ihm 
für  das  Feld  von  Machpelah  zu  zahlen  versprochen  hatte. 
Sie  sollen  die  Kourantmünzen  des  Kaufmanns  gewesen 
sein,  und  dennoch  wurden  sie  zugewogen,  nicht  zuge- 
zählt, gerade  wie  es  mit  den  Goldstangen  und  Silber- 
barren noch  heute  geschieht.  Die  Einkünfte  der  alten 
sächsischen  Könige  Englands  sollen  nicht  in  Geld  son- 
dern in  natura,    d.  h.    in  Lebensmitteln    und  Vorräten 


36    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertrag-skraft    der  Arbeit. 

aller  Art  gezahlt  worden  sein.  Wilhelm  der  Eroberer 
führte  die  Sitte  ein,  sie  in  Geld  zu  entrichten.  Dieses 
Geld  wurde  jedoch  lange  Zeit  bei  der  Schatzkammer 
nach  dem  Gewichte  und  nicht  nach  der  Stückzahl  in 
Empfang  genommen. 

Die  Unbeijuemlichkeit  und  Schwierigkeit,  jene  Me- 
talle mit  Genauigkeit  zu  wägen,  veranlaßte  die  Ein- 
führung von  Münzen,  deren  Stempel  beide  Seiten  des 
Stückes  und  zuweilen  auch  die  Ränder  gänzlich  be- 
deckte, und  als  genügende  Sicherheit  nicht  nur  für  die 
Feinheit,  sondern  auch  für  das  Gewicht  des  Metalls  an- 
gesehen wurde.  Solche  Münzen  wurden  daher  wie 
noch  heute,  ohne  daß  man  sich  die  Mühe  des  Wagens 
machte,  nach  der  Stückzahl  angenommen. 

Die  Namen  dieser  Münzen  scheinen  ursprünglich 
das  Gewicht  oder  die  in  ihnen  enthaltene  Metallmenge 
ausgedrückt  zu  haben.  Zur  Zeit  des  Servius  Tullius, 
der  zuerst  in  Rom  Geld  münzen  ließ,  enthielt  das  rö- 
mische As  oder  Pondo  ein  römisches  Pfund  guten  Kup- 
fers. Es  war  nach  der  Art  des  Troyes-Pfundes  in  zwölf 
Unzen  geteilt,  von  denen  jede  eine  wirkliche  Unze 
guten  Kupfers  enthielt.  Das  englische  Pfund  Sterling 
enthielt  zur  Zeit  Eduards  I.  nach  Tower-Gewicht  ein 
Pfund  Silber  von  einem  bekannten  Feinheitsgrade. 
Das  Tower-Pfund  scheint  etwas  mehr,  als  das  römi- 
sche Pfund  gewesen  zu  sein,  und  etwas  weniger  als 
das  Troj'es-Pfund.  Dieses  letztere  wurde  erst  im 
achtzehnten  Regierungsjahre  Heinrichs  VIIT.  in  der 
englischen  Münze  eingeführt.  Das  französische  Pfund 
(livre)  enthielt  zur  Zeit  Karls  des  Großen  nach  Troyes- 
Gewicht  ein  Pfund  Silber  von  bekanntem  Feinheitsgrade. 
Die  Messe  von  Troyes  in  der  Champagne  wurde  zu  jener 
Zeit  von  allen  europäischen  Völkern  besucht,  und  die 
Gewichte  und  Maße  eines  so  berühmten  Marktes  waren 
allgemein  bekannt  und  geschätzt.   Das  schottische  Geld- 


Kap.  IV.:  Vom  Ursprung  und  Gebrauch  des  Geldes.      37 

pfund  enthielt  von  Alexander  dem  Ersten  an  bis  auf 
Robert  Bruce  ein  Pfund  Silber  von  demselben  Schrot 
und  Korn,  wie  das  englische  Pfund  Sterling.  Die  eng- 
lischen, französischen  und  schottischen  Pence  ent- 
hielten gleichfalls  ursprünglich  alle  ein  wirkliches  Penny- 
gewicht  Silber,  den  zwanzigsten  Teil  einer  Unze  und 
den  zweihundertundvierzigsten  Teil  eines  Pfundes. 
Auch  der  Schilling  scheint  ursprünglich  die  Bezeichnung 
für  ein  Gewicht  gewesen  zu  sein.  „Wenn  der  Weizen 
zwölf  Schilling  das  Quarter  kostet",  sagt  ein  altes  Statut 
Heinrichs  III.,  „dann  soll  ein  Farthing-Brod  elf  Schilling 
und  vier  Pence  wiegen."  Doch  scheint  das  Verhältnis 
zwischen  dem  Schilling  und  Penny  einerseits  oder  dem 
Pfund  andrerseits  nicht  so  beständig  und  gleichförmig 
gewesen  zu  sein,  als  das  zwischen  dem  Penny  und  dem 
Pfund.  Während  der  Zeit  des  ersten  französischen 
Königsgeschlechtes  scheint  der  französische  Sou  oder 
Schilling  bald  fünf,  bald  zwölf,  bald  zwanzig,  bald 
vierzig  Pence  enthalten  zu  haben.  Unter  den  alten 
Sachsen  scheint  der  Schilling  zu  einer  gewissen  Zeit 
nur  fünf  Pence  enthalten  zu  haben,  und  es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  er  bei  ihnen  eben  so  veränder- 
lich war,  als  bei  ihren  Nachbarn,  den  alten  Franken. 
Seit  der  Zeit  Karls  des  Großen  unter  den  Franken,  und 
Wilhelms  des  Eroberers  unter  den  Engländern  scheint 
das  Verhältnis  zwischen  Pfund,  Schilling  und  Penny 
stets  dasselbe  gewesen  zu  sein,  wie  noch  heute,  obgleich 
ihi-  Wert  sehr  verschieden  war.  Denn  in  allen  Ländern 
der  Welt  haben,  glaube  ich,  der  Geiz  und  die  Unge- 
rechtigkeit der  Fürsten  und  Staaten,  das  Vertrauen  ihrer 
Untertanen  mißbrauchend,  nach  und  nach  den  wirk- 
Hchen  Metallgehalt,  der  ursprünglich  in  ihren  Münzen 
vorhanden  war,  verringert.  Das  römische  As  wurde  in 
der  letzten  Zeit  der  Republik  auf  den  vierundzwanzig- 
sten Teil  seines  ursprünglichen  Wertes  verringert,  so 


38    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der   Arbeit. 

daß  es  statt  eines  Pfundes  nur  eine  halbe  Unze  wog. 
Das  englische  Pfund  und  der  Penny  enthalten  gegen- 
wärtig etwa  nur  ein  Drittel,  das  schottische  Pfund  und 
der  Penny  etwa  ein  Sechsunddreißigstel,  und  das  fran- 
zösische Pfund  und  der  Penny  etwa  ein  Sechsundsech- 
zigstel  ihres  ursprünglichen  Wertes.  Mittelst  solcher 
Maßnahmen  waren  die  Fürsten  und  Staaten,  die  sich 
ihrer  bedienten,  imstande,  dem  Scheine  nach  ihre 
Schulden  zu  bezahlen,  und  ihre  Verpflichtungen  mit 
einer  geringeren  Masse  Silber,  als  sonst  nötig  gewesen 
wäre,  zu  erfüllen.  Allerdings  nur  dem  Scheine  nach; 
denn  die  Gläubiger  waren  in  Wirklichkeit  um  einen  Teil 
dessen,  was  ihnen  zukam,  betrogen.  Allen  anderen 
Schuldnern  im  Staate  wurde  dasselbe  Privileg  zu  Teil, 
und  sie  konnten,  was  sie  in  alter  Münze  geborgt  hatten, 
mit  derselben  nominellen  Summe  der  neuen  und  ver- 
schlechterten Münze  bezahlen.  Solche  Maßregeln  er- 
wiesen sich  daher  stets  günstig  für  den  Schuldner  und 
verderblich  für  den  Gläubiger,  und  brachten  zuweilen 
eine  größere  und  allgemeinere  Umwälzung  im  Ver- 
mögen der  Privatpersonen  hervor,  als  es  durch  die 
größte   öffentliche  Kalamität  hätte   geschehen  können. 

Auf  diese  Weise  ist  das  Geld  bei  allen  zivilisierten 
Völkern  das  allgemeine  Handelsinstrument  geworden, 
durch  dessen  Vermittelung  Waren  aller  Art  gekauft  und 
verkauft,  oder  gegen  einander  ausgetauscht  werden. 

Welche  Eegeln  die  Menschen  beim  Tausch  der 
Waren  gegen  Geld  oder  gegen  einander  der  Natur  der 
Sache  entsprechend  beobachten,  will  ich  nun  unter- 
suchen. Diese  Eegeln  bestimmen  das,  was  man  den 
relativen  oder  Tauschwert  der  Waren  nennen  kann. 

Das  Wort  Wert  hat,  was  zu  beachten  ist,  zwei 
verschiedene  Bedeutungen,  und  drückt  bald  die  Brauch- 
barkeit einer  Sache,  bald  die  dui'ch  den  Besitz  dieser 
Sache  gegebene  Möglichkeit    aus,    andere  Güter   dafür 


Kap.  ly. :  Vom  Ursprung  luid  Gebrauch  des  Geldes.      39 

ZU  kaufen.  Das  eine  kann  Gebrauchswert,  das  andere 
Tauschwert  genannt  werden.  Die  Dinge,  die  den  größten 
Gebrauchswert  haben,  haben  oft  wenig  oder  gar  keinen 
Tauschwert,  und  umgekehrt  haben  solche,  die  den 
gr()ßten  Tauschweit  haben,  oft  wenig  oder  gar  keinen 
Gebrauchswert.  Nichts  ist  nützlicher  als  Wasser,  aber 
man  kann  selten  etwas  dafür  kaufen,  selten  etwas  dafür 
in  Tausch  erhalten.  Dagegen  hat  ein  Diamant  kaum 
irgend  einen  Gebrauchswert,  aber  man  kann  oft  eine 
große  Menge  anderer  Güter  dafür  im  Tausch  erhalten. 

Um  die  Grundsätze  zu  erforschen,  welche  den 
Tauschwert  der  Ware  regeln,  werde  ich  zu  zeigen 
suchen, 

Erstens:  Welches  der  wahre  Maßstab  dieses  Tausch- 
wertes ist,  oder  worin  der  wahre  Preis  aller  Agaren 
besteht; 

Zweitens:  Aus  welchen  verschiedenen  Bestandteilen 
dieser  wahre  Preis  zusammengesetzt  oder  gebildet  ist; 

Und  endlich:  AVelche  verschiedenen  Umstände 
einige  oder  alle  diese  verschiedenen  Bestandteile  des 
Preises  bald  über,  bald  unter  ihren  natürlichen  oder 
gewöhnlichen  Satz  treiben,  oder  welche  Ursachen  den 
Marktpreis,  d.  h.  den  wirklichen  Preis  der  AVaren 
hindern,  genau  mit  dem,  was  man  ihren  natürlichen 
Preis  nennen  kann,  zusammen  zu  fallen. 

Ich  werde  mich  bemühen,  diese  drei  Gegenstände 
so  vollständig  und  deutlich,  als  ich  es  vermag,  in  den 
drei  folgenden  Kapiteln  auseinanderzusetzen,  für  welche 
ich  mir  die  Geduld  und  Aufmerksamkeit  des  Lesers 
auf  Angelegentlichste  erbitten  muß:  seine  Geduld,  um 
ein  Detail  zu  prüfen,  welches  ihm  vielleicht  an  vielen 
Stellen  ohne  Not  weitschweifig  zu  sein  scheint,  und 
seine  Aufmerksamkeit,  um  dasjenige  zu  fassen,  was 
vielleicht  nach  der  vollständigsten  Auseinandersetzung, 
die  ich  zu  geben  imstande  hin,  doch  immer  noch  ziem- 


40    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

lieh  dunkel  scheinen  mag.  Ich  will  stets  lieber  Gefahr 
laufen,  weitschweifig  zu  sein,  wenn  ich  nur  sicher  bin, 
klar  zu  bleiben,  und,  nachdem  ich  mir  alle  mögliche 
Mühe  gegeben  habe,  klar  zu  sein,  kann  es  noch  immer 
scheinen,  als  ob  über  einen  Gegenstand,  der  seiner 
Natur  nach  höchst  abstrakt  ist,  einige  Dunkelheit 
zurückgeblieben  ist. 


Fünftes  Kapitel. 

Vom  wahren  und  nominellen  Preise 

der  Waren,  oder  von  ihrem  Preise  in  Arbeit 

und  ihrem  Preise  in  Geld. 

Jeder  Mensch  ist  reich  oder  arm  in  dem  Grade, 
wie  er  imstande  ist,  sich  die  Bedürfnisse,  AnnohmHch- 
keiten  und  Vergnügungen  des  menschlichen  Lebens 
zu  beschaffen.  Nachdem  aber  einmal  die  Teilung  der 
Ä-rbeit  überall  Eingang  gefunden  hat,  kann  eines 
Menschen  eigne  Arbeit  ihn  nur  mit  einem  sehr  kleinen 
Teil  dieser  Dinge  versorgen.  Den  bei  Weitem  größeren 
Teil  von  ihnen  muß  er  von  der  Arbeit  Anderer  er- 
warten, und  er  muß  reich  oder  arm  sein,  je  nach  der 
Menge  von  Arbeit,  über  die  er  verfügen  oder  die  er 
kaufen  kann.  Der  Wert  einer  Ware  ist  demnach  für 
den,  der  sie  besitzt  und  der  sie  nicht  selbst  zu  ge- 
brauchen oder  zu  verbrauchen,  sondern  gegen  andere 
Waren  umzutauschen  gedenkt,  gleich  der  Menge  Arbeit, 
welche  zu  kaufen  oder  über  welche  zu  verfügen  sie 
ihm  gestattet.  Die  Arbeit  ist  also  der  wahre  Maßstab 
des  Tauschwertes  aller  Waren. 

Der  wahre  Preis  jedes  Dinges,  der  Preis,  den  jedes 
Ding  den  Mann,  der  es  sich  verschaffen  will,  wirklich 
kostet,  ist  die  Mühe  und  Beschwerde,  die  er  hat  an- 
wenden müssen,  um  es  sich  zu  verschaffen.  Was  jedes 
Ding  dem  Manne,  der  es  sich  verschafft  hat  und  da- 
rüber   verfügen    oder    es    gegen    etwas    Anderes    ver- 


42    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

tauschen  will,  wirklich  wert  ist,  das  ist  die  Mühe  und 
Beschwerde,  welche  er  sich  dadurch  ersparen  und  auf 
andere  Leute  abwälzen  kann.  Was  mit  Geld  oder 
Waren  erkauft  ist,  wird  ebenso  wie  das,  was  wir  durch 
die  Beschwerde  des  eignen  Körpers  erwerben,  mit 
Arbeit  erkauft.  Jenes  Geld  oder  jene  Güter  ersparen 
uns  in  der  Tat  diese  Boschwerde.  Sie  enthalten  den 
Wert  einer  gewissen  Menge  Arbeit,  welche  wir  gegen 
Etwas  vertauschen,  wovon  wir  zur  Zeit  glauben,  daß 
es  den  Wert  einer  gleichen  Menge  enthalte.  Die  Ar- 
beit war  der  erste  Preis,  das  ursprüngliche  Kaufgeld, 
welches  für  alle  Dingo  gezahlt  wurde.  Nicht  mit  Gold 
oder  Silber,  sondern  mit  Arbeit  wurden  alle  Güter  der 
Welt  ursprünglich  gekauft;  und  ihr  Wert  für  die, 
welche  sie  besitzen  und  gegen  neue  Erzeugnisse  ver- 
tauschen wollen,  ist  genau  der  Arbeitsmenge  gleich, 
welche  zu  kaufen  oder  über  welche  zu  verfügen  sie 
dadurch  instand  gesetzt  sind. 

Reichtum,  sagt  Hobbes,  ist  Macht.  Wer  jedoch 
ein  großes  Vermögen  erwirbt  oder  ererbt,  erwirbt  oder 
ererbt  damit  nicht  notwendig  politische  Macht,  sei  es 
im  Zivil-  oder  Kriegsdienst.  Sein  Vermögen  wird  ihm 
vielleicht  die  Mittel  bieten,  beide  zu  erwerben,  aber 
der  bloße  Besitz  dieses  Vermögens  verschafft  ihm  nicht 
notwendig  die  eine  oder  die  andere.  Die  Macht,  die 
jener  Besitz  ihm  unmittelbar  und  direkt  verschafft,  ist 
die  Macht  zu  kaufen,  d.  h.  eine  gewisse  Herrschaft  über 
alle  Arbeit  oder  alle  Arbeitserzeugnisse,  die  sich  auf 
dem  Markte  befinden.  Sein  Vermögen  ist  größer  oder 
geringer  genau  im  Verhältnis  zum  Umfange  dieser 
Macht,  oder  zur  Menge  der  Arbeit  oder,  was  dasselbe 
ist,  der  Arbeitserzeugnisse  Anderer,  welche  zu  kaufen 
oder  über  welche  zu  verfügen  or  dadurch  instand  ge- 
setzt ist.  Der  Tauschwert  eines  jeden  Dinges  muß  stets 


Kap.  v.:  Vom   wahren  und  nominellen  Preise  der  Waren.  48 

dem  Umfange  dieser  Macht,  die  es  seinem  Besitzer 
verschafft,  vollkommen  gleich  sein. 

Obwohl  aber  die  Arbeit  der  wahre  Maßstab  des 
Tauschwertes  aller  Waren  ist,  so  ist  sie  doch  nicht 
der  Maßstab,  nach  welchem  ihr  Wert  gewöhnlich  ge- 
schätzt wird.  Es  ist  oft  schwer,  das  Verhältnis  zwischen 
zwei  verschiedenen  Arbeitsmengen  genau  zu  bestimmen. 
Die  Zeit,  die  auf  zwei  verschiedene  Arten  von  Arbeit 
verwendet  ist,  wird  allein  dies  Verhältnis  nicht  immer 
entscheiden.  Die  verschiedenen  Grade  von  erduldeter 
Mühsal  und  von  aufgewendetem  Geist  müssen  ebenfalls 
in  Rechnung  gebracht  werden.  Es  kann  in  der  schweren 
Anstrengung  einer  Stunde  mehr  Arbeit  stecken,  als  in 
zw^ei  Stunden  leichter  Beschäftigung,  und  in  der  ein- 
stündigen Ausübung  eines  Geschäfts,  dessen  Erlernung 
zehn  Jahre  Arbeit  kostete,  mehr  als  in  dem  Fleiß  eines 
ganzen  Monats  bei  einer  gewöhnlichen  und  alltäglichen 
Beschäftigung.  Allein  es  ist  nicht  leicht,  einen  genauen 
Maßstab  für  die  Mühsal  wie  für  die  Geisteskraft  zu 
finden.  Allerdings  wird  beim  wechselseitigen  Austausch 
der  Erzeugnisse  verschiedener  Arbeitsgebiete  auf  beides 
einige  Rücksicht  genommen.  Indessen  wird  das  nicht 
nach  einem  genauen  Maßstabe,  sondern  nach  dem 
Dingen  und  Feilschen  des  Marktes  ausgeglichen,  jener 
rohen  Ausgleichung  gemäß,  welche  zwar  nicht  exakt  ist, 
aber  für  die  Geschäfte  des  geraeinen  Lebens  ausreicht. 

Überdies  werden  alle  Waren  häufiger  gegen  ein- 
ander, als  gegen  Arbeit  vertauscht  und  damit  ver- 
glichen. Es  ist  daher  naturgemäßer,  ihren  Tauschwert 
nach  der  Menge  einer  anderen  Ware  zu  schätzen,  als 
nach  der  der  Arbeit,  die  sie  kaufen  kann.  Auch  vor- 
stehen die  meisten  Leute  besser,  was  mit  der  Menge 
einer  bestimmten  Ware,  als  was  mit  einer  Menge  Arbeit 
gemeint  ist.  Jenes  ist  ein  einfacher  handgreiflicher 
Gegenstand,    dieses    ein    abstrakter    Begriff,    der    sich 


44    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

zwar  hinreichend  deutlich  machen  läßt,  aber  doch  nicht 
Allen  so  natürlich  und  geläufig  ist. 

Wenn  aber  der  Tauschhandel  aufhört,  und  das  Geld 
zum  gewöhnlichen  Yerkehrsinstrument  geworden  ist, 
dann  werden  alle  Waren  häufiger  gegen  Geld,  als  gegen 
andere  Waren  vertauscht.  Der  Fleischer  bringt  selten 
sein  Rind-  oder  Hammelfleisch  zum  Bäcker  oder  zum 
Brauer,  um  es  gegen  Brot  oder  Bier  zu  vertauschen, 
sondern  er  bringt  es  auf  den  Markt,  wo  er  es  gegen 
Geld  verhandelt;  und  später  vertauscht  er  dies  Geld 
gegen  Brot  und  Bier.  Die  Menge  des  Geldes,  welches  er 
dafür  einnimmt,  bestimmt  auch  die  Menge  des  Brotes 
und  Bieres,  die  er  nachher  kaufen  kann.  Es  ist  ihm 
daher  natürlicher  und  geläufiger,  ihren  Wert  nach  der 
Menge  des  Geldes,  der  Ware,  für  welche  er  sie  unmitel- 
bar  vertauscht,  als  nach  der  des  Brotes  und  Bieres  — 
Waren,  gegen  welche  er  sie  nur  durch  Vermittelung 
einer  anderen  Ware  vertauschen  kann  —  zu  schätzen 
und  zu  sagen,  sein  Fleisch  sei  das  Pfund  drei  oder  vier 
Pence  wert,  als  es  sei  drei  oder  vier  Pfund  Brot,  oder 
drei  oder  vier  Quart  Dünnbier  wert.  Daher  kommt  es, 
daß  der  Tauschwert  aller  Waren  häufiger  nach  der 
Menge  des  Geldes,  als  nach  der  Menge  der  Arbeit 
oder  einer  andern  Ware,  die  dafür  eingetauscht  werden 
kann,  geschätzt  wird. 

Übrigens  schwanken  Gold  und  Silber,  wie  jede 
andere  Ware,  im  Wert  und  sind  bald  wohlfeiler  und 
bald  teurer,  bald  leichter  und  bald  schworer  zu  kaufen. 
Die  Menge  Arbeit,  die  für  eine  bestimmte  Menge  Gold 
oder  Silber  zu  kaufen  ist  oder  zu  Gebote  steht,  oder 
die  Menge  anderer  Güter,  welche  dafür  eingetauscht 
werden  kann,  hängt  stets  von  der  Ergiebigkeit  oder 
Armut  der  Bergwerke  ab,  die  man  zur  Zeit  gerade 
kennt.  Die  Entdeckung  der  reichen  Minen  Amerikas 
setzte  im  sechzehnten  Jahrhundert  den  Wort  von  Gold 


Kap.  v.:  Vom  wahren  iind  nominellen  Preise  der  Waren.  45 

und  Silbers  in  Europa  ungefähr  auf  den  dritten  Teil 
seines  früheren  hei-ab.  Da  es  weniger  Arbeit  kostete, 
jene  Metalle  aus  den  Minen  auf  den  Markt  zu  bi'ingen, 
so  konnten  sie  auch,  als  sie  auf  den  Markt  kamen, 
weniger  Arbeit  kaufen  oder  über  weniger  verfügen;  und 
diese  Umwälzung  in  ihrem  Werte,  obwohl  vielleicht  die 
größte,  ist  doch  keineswegs  die  einzige,  von  der  die 
Geschichte  berichtet.  Wie  aber  ein  Maßstab  der  Menge, 
welcher  selbst  stets  veränderlich  ist,  wie  z.  B.  der  natür- 
liche Fuß,  die  Armlänge  oder  die  Handvoll,  niemals 
einen  genauen  Maßstab  für  die  Menge  anderer  Dinge 
abgeben  kann,  so  kann  auch  eine  Ware,  die  in  ihrem 
eigenen  Werte  fortwährend  veränderlich  ist,  niemals 
ein  genauer  Maßstab  des  Wertes  anderer  Waren  sein. 
Gleiche  Mengen  Arbeit  sind,  wie  man  zu  sagen  berech- 
tigt ist,  zu  allen  Zeiten  und  an  allen  Orten  für  den 
Arbeiter  von  gleichem  Werte.  Bei  einem  durchschnitt- 
lichen Stande  seiner  Gesundheit,  Kraft  und  Stimmung, 
bei  dem  gewöhnlichen  Grade  seiner  Geschicklichkeit 
und  Fertigkeit  muß  er  stets  denselben  Teil  seiner  Muße, 
seiner  Freiheit  und  seines  Glückes  dafür  einsetzen. 
Der  Preis,  den  er  zahlt,  bleibt  immer  der  nämliche, 
wie  groß  auch  die  Menge  der  Güter  sei,  welche  er  als 
Ersatz  dafür  erhält.  Allerdings  kann  seine  Arbeit  bald 
eine  größere,  bald  eine  geringere  Menge  von  Waren 
kaufen;  aber  es  ist  ihr  Wert,  der  schwankt,  nicht  dei- 
der  Arbeit,  die  sie  kauft.  Immer  und  übei'all  ist 
dasjenige  teuer,  was  schwer  zu  beschaffen  ist,  oder 
dessen  Erwerbung  viel  Arbeit  kostet,  und  dasjenige 
wohlfeil,  was  leicht  oder  mit  sehr  wenig  Arbeit  zu 
haben  ist.  Einzig  und  allein  nur  die  Arbeit,  die  in 
ihrem  Werte  niemals  schwankt,  ist  mithin  der  letzte 
und  wahre  Preismaßstab,  nach  welchem  der  Wert  aller 
Waren  immer  und  überall  geschätzt  und  verglichen 
werden  kann.  Sie  ist  ihr  wahrer  Preis;  Geld  nur  ihr 
nomineller. 


46    Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Obwohl  aber  gleiche  Mengen  Arbeit  für  den  Arbeiter 
immer  gleichen  Wert  haben,  so  scheinen  sie  doch  für 
den,  der  den  Arbeiter  beschäftigt,  bald  mehr,  bald 
weniger  wert  zu  sein.  Er  erkauft  sie  bald  mit  einer 
größeren,  bald  mit  einer  kleineren  Menge  von  Gütern, 
und  ihm  scheint  der  Preis  der  Arbeit  ebenso  wie  der 
aller  andern  Dinge  zu  schwanken.  In  dem  einen  Falle 
erscheint  sie  ihm  teuer,  in  dem  anderen  wohlfeil.  In 
Wahrheit  jedoch  sind  es  die  Güter,  die  in  dem  einen 
Falle  wohlfeil,  und  im  andern  teuer  sind. 

In  diesem  volkstümlichen  Sinne  kann  man  daher 
sagen,  die  Arbeit  habe  gleich  den  Waren  einen  wirk- 
lichen und  einen  nominellen  Preis.  Ihr  wirklicher,  kann 
man  sagen,  besteht  in  der  Menge  von  Bedürfnissen  und 
Annehmlichkniten  des .  Lebens,  welche  dafür  gegeben 
wird;  ihr  nomineller  Preis  in  der  Menge  Geld.  Der 
Arbeiter  ist  reich  oder  arm,  gut  oder  schlecht  belohnt, 
je  nach  dem  wirklichen,  nicht  dem  nominellen  Preise 
seiner  Arbeit. 

Die  Unterscheidung  zwischen  dem  wirklichen  oder 
Sachpreise  und  dem  nominellen  Preise  der  Waren  und 
der  Arbeit  ist  nicht  etwa  nur  eine  Sache  der  bloßen 
Theorie,  sondern  kann  bisweilen  in  der  Praxis  von 
großem  Nutzen  sein.  Der  gleiche  Sachpreis  hat  immer 
den  gleichen  Wert;  der  nominelle  Preis  dagegen  ist 
wegen  der  Schwankungen  im  Werte  des  Goldes  und 
Silbers  zuweilen  von  sehr  verschiedenem  Werte.  Wenn 
daher  ein  Landgut  unter  dem  Vorbehalt  einer  immer- 
währenden Rente  verkauft  wird,  und  die  Kente  stets 
denselben  Wert  haben  soll,  so  ist  es  für  die  Familie, 
zu  deren  Gunsten  dies  ausgemacht  wird,  von  Wichtig- 
keit, daß  sie  nicht  in  einer  bestimmten  Summe  Geldes 
bestehe.  In  diesem  Falle  würde  ihr  Wert  Schwan- 
kungen doppelter  Art  ausgesetzt  sein;  erstens  der, 
welche  aus  den  verschiedenen  Mengen  Goldes  und 
Silbers,   die  zu   verschiedenen  Zeiten    in  Münzen   von 


Kap.  v.:  Vom  wahron  iinrl  nominpllen  Preise  der  Waren.  47 

demselben  Nennwert  enthalten  sind,  entspringt,  und 
zAveitens  der,  welche  durch  den  verschiedenen  Wert 
gleicher  Mengen  Goldes  und  Silbers  zu  verschiedenen 
Zeiten  veranlaßt  wird. 

Fürsten  und  Republiken  haben  es  oft  für  einen 
zeitweihgen  Voi'teil  gehalten,  die  in  ihren  Münzen  ent- 
haltene Menge  reinen  Metalls  zu  vermindern ;  aber 
selten  fanden  sie  es  vorteilhaft,  sie  zu  vermehren.  Dem- 
gemäß hat,  glaube  ich,  die  Menge  des  in  den  Münzen 
aller  Nationen  enthaltenen  Metalls  sich  fast  beständig 
vermindert  und  kaum  jemals  zugenommen.  Solche  Ver- 
änderungen haben  daher  fast  überall  den  Erfolg,  den 
Wert  einer  Geldrente  zu  verringern. 

Die  Entdeckung  der  amerikanischen  Mineralschätze 
verminderte  den  Wert  des  Goldes  und  Silbers  in  Eu- 
ropa. Diese  Verringerung  geht,  wie  man  gewöhnlich, 
obgleich  nach  meinem  Dafürhalten  ohne  sichern  Be- 
weis annimmt,  noch  immer  stufenweise  fort  und  wird 
wahrscheinlich  noch  lange  Zeit  fortdauern.  Ist  diese 
Annahme  richtig,  so  werden  solche  Veränderungen  den 
Wert  einer  Geldrente  eher  vermindern,  als  vermehren, 
selbst  wenn  ihre  Zahlung  nicht  in  einer  bestimmten 
Summe  einer  so  oder  so  benannten  Münzsorte  (z.  B. 
in  so  und  so  viel  Pfund  Sterling),  sondern  in  so  und 
so  viel  Pfund  reinen  Silbers  oder  Silbers  von  einem 
gewissen  Feingehalt  ausbedungen  wäre. 

Die  in  Getreide  ausbedungenen  Renten  haben 
ihren  Wert  weit  besser  bewahrt,  als  die  in  Geld  aus- 
bedungenen, selbst  wenn  der  Nennwert  der  Münze  keine 
Änderung  erlitten  hatte.  Durch  eine  Parlamentsakte 
aus  dem  achtzehnten  Regierungsjahre  Elisabeths  wui'de 
verordnet,  daß  der  dritte  Teil  des  Pachtzinses  aller 
Universitätsgüter  in  Getreide  ausbedungon  werden  solle, 
das  entweder  in  natura  oder  nach  dem  Marktpreise  zu 
entrichten  sei.  Das  Geld,  welches  aus  dieser  Gotreide- 
rente  einkommt,  beträgt,  obgleich  ursprünglich  nur  ein 


48    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskrat't  der  Arbeit. 

Drittel  des  Ganzen,  nach  Dr.  Blackstone  gegenwärtig 
in  der  Regel  beinahe  das  Doppelte  der  andern  zwei 
Drittel.  Die  alten  Geldi'enten  der  Universitäten  müssen 
hiernach  beinahe  auf  den  vierten  Teil  ihres  früheren 
Wertes  gesunken  sein  oder  sie  sind  kaum  mehr  wert, 
als  den  vierten  Teil  des  Getreides,  welches  sie  früher 
wert  waren.  Dennoch  hat  seit  der  Regierung  Philipps 
und  Marias  der  Nennwert  der  englischen  Münze  wenig 
oder  keine  Änderung  erfahren,  und  dieselbe  Zahl 
Pfunde,  Schillinge  und  Pence  hat  immer  fast  dieselbe 
Menge  reinen  Silbeis  enthalten.  Jene  Entwertung  dei 
Geldrenten  der  Universitäten  ist  daher  ausschließlich 
durch  die  Entwertung  des  Silbers   entstanden. 

Wenn  zur  Entwertung  des  Silbers  noch  eine  Ver- 
minderung seiner  in  den  Münzen  von  gleicher  Be- 
nennung enthaltenen  Menge  hinzutritt,  so  ist  der  Verlust 
oft  noch  grüßer.  In  Schottland,  wo  der  Nennwert  der 
Münze  viel  größere  Veränderungen  erlitten  hat,  als 
jemals  in  England,  und  in  Frankreich,  wo  er  noch 
größere  erlitt,  als  jemals  in  Schottland,  sind  manche  alte 
Renten,  die  uisprünglich  einen  ansehnlichenWert  hatten, 
auf  diese  Weise  beinahe  auf  Nichts  herabgesunken. 

Gleiche  Mengen  Arbeit  werden  in  entfernten 
Epochen  mit  annähernd  gleichen  Mengen  Getreides, 
der  Hauptnahrung  der  Arbeiter,  weit  weniger  aber  mit 
gleichen  Mengen  Goldes  und  Silbers,  oder  vielleicht 
auch  aller  anderen  Waren  erkauft.  Gleiche  Mengen 
Getreide  werden  also  in  verschiedenen  Zeiten  denselben 
Sachwert  haben,  oder  den  Besitzer  befähigen,  annähernd 
dieselbe  Menge  Arbeit  andei-er  Leute  damit  zu  erkaufen 
oder  über  sie  zu  verfügen.  Sie  werden  dies,  sage  ich 
eher  tun,  als  gleiche  Mengen  fast  aller  anderen  Waren; 
denn  genau  tun  es  selbst  die  gleichen  Getreide- 
mengen nicht.  Die  Unterhaltsmittel  des  Arbeiters 
oder  der  wirkliche  Preis  der  Arbeit  ist,  wie  ich  später 


Kap.  v.:  Vom  wahren  und  noininellen  Preise  der  Waren.  49 

zeigen  weide,  unter  verschiedenen  Umständen  sehr 
verschieden:  reichlicher  bemessen  in  einer  zur  Wohl- 
habenheit fortschreitenden,  als  in  einer  stillstehenden 
Gesellschaft,  und  reichlicher  in  einer  stillstehenden,  als 
in  einer  rückwärtsgehenden.  Alle  andern  Waren  jedoch 
werden  zu  einer  gewissen  Zeit  eine  größere  oder  kleinere 
Menge  Arbeit  erkaufen,  je  nach  der  Menge  von  Lebens- 
mitteln, welche  sie  zu  dieser  Zeit  kaufen  können.  Eine 
in  Getreide  ausbedungene  Rente  ist  daher  nur  den 
Veränderungen  in  der  Arbeitsmenge  unterworfen,  die 
eine  bestimmte  Getreidemenge  kaufen  kann.  Eine  in 
irgend  einer  anderen  Ware  ausbedungene  Rente  ist 
dagegen  nicht  nur  den  Veränderungen  der  mit  einer 
gewissen  Getreidemenge  erkaufbaren  Arbeitsmenge, 
sondern  auch  den  Veränderungen  der  mit  einer  be- 
stimmten Menge  jener  Ware  erkauf  baren  Menge  Ge- 
treide ausgesetzt. 

Man  muß  indeß  beachten,  daß  der  Wert  einer 
Getreidereute  sich  zwar  von  Jahrhundert  zu  Jahr- 
hundert viel  weniger  verändert,  als  der  einer  Geld- 
rente, dafür  aber  von  Jahr  zu  Jahr  desto  mehr  schwankt. 
Der  Geldpreis  der  Arbeit  schwankt  nicht,  wie  ich 
später  zu  zeigen  suchen  werde,  von  Jahr  zu  Jahr  mit 
dem  Geldpreise  des  Getreides,  sondern  scheint  sich 
überall  nicht  dem  zeitweiligen  oder  gelegentlichen, 
sondern  dem  Durchschnitts-  oder  gewöhnlichen  Preise 
dieses  Lebensbedürfnisses  anzupassen.  Der  Durch- 
schnitts- oder  gewöhnliche  Preis  des  Getreides  wird 
wiederum,  wie  ich  gleichfalls  später  zeigen  werde, 
durch  den  Wert  des  Silbers,  durch  die  Ergiebigkeit 
oder  Unergiebigkeit  der  den  Markt  mit  diesem  Metall 
versehenden  Bergwerke  oder  durch  die  Arbeitsmenge, 
die  aufgewendet  und  folglich  des  Getreides,  das  ver- 
zehrt werden  muß,  um  eine  bestimmte  Menge  Silbers 
aus  den  Bergwerken  auf  den  Markt  zu  bringen,  be- 
Adam Smitli,  Volkswohlstand.  I.  i 


50    Erstes  Bncli:  Ziinahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

stimmt.  Der  Wert  des  Silbers  aber  ändert  sich  zwar 
zuweilen  beträchtlich  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert, 
doch  selten  bedeutend  von  Jahr  zu  Jahr;  sondei-n  er 
bleibt  oft  ein  halbes  oder  ein  ganzes  Jahrhundert  hin- 
durch derselbe  oder  nahezu  derselbe.  Mithin  kann 
auch  der  gewöhnliche  oder  durchschnittliche  Geldpreis 
des  Getreides  während  einer  solchen  Periode  derselbe 
oder  nahezu  derselbe  bleiben,  und  mit  ihm  auch  der 
Geldpreis  der 'Arbeit,  vorausgesetzt  natürlich,  daß  die 
Gesellschaft  auch  in  anderer  Beziehung  in  derselben 
oder  nahezu  derselben  Lage  verharrt.  Mittlerweile 
kann  der  zeitweilige  und  gelegentliche  Preis  des  Ge- 
treides oft  in  dem  einen  Jahre  doppelt  so  hoch  sein  als 
im  vorhergehenden,  und  z.  B.  der  Quarter  zwischen 
fünfundzwanzig  und  fünfzig  Schilling  schwanken. 
Wenn  aber  das  Getreide  auf  letzterem  Preise  steht,  so 
wird  nicht  nur  der  nominelle,  sondern  auch  der  Sach- 
wert einer  Getreiderente  gegen  die  vorhergehende  der 
doppelte  sein  oder  man  wird  dafür  die  doppelte  Menge 
Arbeit  oder  die  doppelte  Menge  der  meisten  anderen 
Waren  zur  Verfügung  haben,  da  der  Geldpreis  der 
Arbeit  und  mit  ihm  der  der  meisten  anderen  Dinge 
während  all  dieser  Schwankungen  unverändert  bleibt. 
Es  leuchtet  also  ein,  daß  die  Arbeit  sowohl  das 
einzige  allgemeine,  als  das  einzige  genaue  Maß  des 
Wertes  oder  der  einzige  Maßstab  ist,  nach  welchem 
die  Werte  der  verschiedenen  Waren  immer  und  überall 
verglichen  werden  können.  Es  ist  einzuräumen,  daß 
wir  den  wirklichen  Wert  verschiedener  Waren  nicht 
von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  nach  den  Mengen 
Silber,  die  dafür  gegeben  werden  müssen,  auch  nicht 
von  Jahr  zu  Jahr  nach  den  Getreidemengen  schätzen 
können.  Aber  nach  den  Arbeitsmengen  kann  man  ihn 
mit  der  grc)ßten  Genauigkeit  sowohl  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert,  als  von  Jahr  zu  Jahr  schätzen.  Von 
Jahrhundert  zu  Jahrhundert  ist  Getreide  ein  besserer 


Kap.  v.:   Vom  waln-on   und  nominellen  Prei.se  der  Waren.   51 

Maßstab  als  Silbei-,  weil  von  Jahilnmdert  zu  Jahrhundert 
für  gleiche  Getreidomengen  viel  eher  die  nämliche  Ar- 
beitsmenge zu  haben  sein  wiid,  als  für  gleiche  Mengen 
Silber.  Umgekehrt  ist  das  Silber  ein  besserer  Maßstab 
von  Jahr-  zu  Jahr,  als  das  Getreide,  weil  für  gleiche 
Mengen  Silber  viel  eher  die  nämliche  Menge  Arbeit 
zur  Verfügung  stehen  wird. 

Obschon  es  aber  bei  Feststellung  immerwährender 
Renten  oder  selbst  bei  Abschließung  sehr  langer  Pacht- 
verti'äge  von  Nutzen  sein  kann,  zwischen  dem  wahren 
und  dem  nominellen  Preis  zu  unterscheiden,  so  hat  es 
doch  keinen  Nutzen  beim  Kauf  und  Verkauf,  den  ge- 
wöhnlicheren und  häufigeren  Geschäften  des  mensch- 
lichen Lebens. 

Zu  derselben  Zeit  und  an  demselben  Orte  stehen 
der  wirkliche  und  der  nominelle  Preis  aller  Waren  in 
genauem  Verhältnis  zu  einander.  Je  mehr  oder  weniger 
Geld  man  für  eine  Ware  z.  B.  auf  dem  Londoner 
Markte  erhält,  desto  mehr  oder  weniger  Arbeit  wird 
man  zu  dieser  Zeit  und  an  diesem  Orte  dafür  kaufen 
und  erhalten  können.  Zu  derselben  Zeit  und  an  dem- 
selben Ort  ist  daher  Geld  der  genaue  Maßstab  des 
wirklichen  Tauschwerts  aller  Waren.  Doch  ist  dies  eben 
nur  zu  derselben  Zeit  und  an  demselben  Ort  der  Fall. 

Obgleich  an  entfernten  Plätzen  kein  geregeltes  Ver- 
hältnis zwischen  dem  wirklichen  und  dem  Geldpreise 
der  Waren  besteht,  so  hat  doch  der  Kaufmann,  der 
Güter  von  einem  Ort  zum  andern  bringt.  Nichts  als 
ihren  Geldpreis  oder  den  Unterschied  zwischen  der 
Menge  Silber,  für  die  er  sie  kauft,  und  der,  für  die 
er  sie  wahrscheinlich  verkaufen  wird,  zu  beachten.  Für 
eine  halbe  Unze  Silber  mag  zu  Canton  in  China  mehr 
Arbeit  und  mehr  an  Lebens-  und  Genußmitteln  zu  haben 
sein,  als  für  eine  Unze  in  London.  Eine  Ware,  die  in 
Canton  für  eine  halbe  Unze  Silber  verkauft  wird,  kann 

4* 


52    Erstes  Euch:  Zunahme  in  der  Ertrag-skraft  der  Arbeit. 

mithin  an  diesem  Ort  in  Wirklichkeit  teurer  und  für 
ihren  Besitzer  von  größerer  Bedeutung  sein,  als  es  eine 
Ware,  die  in  London  für  eine  Unze  verkauft  wird,  für 
ihren  Besitzer  in  London  ist.  AVenn  jedoch  ein  Londoner 
Kaufmann  zu  Canton  für  eine  halbe  Unze  Silber  eine 
Ware  kaufen  kann,  die  er  hernach  in  London  für  eine 
Unze  zu  verkaufen  imstande  ist,  so  gewinnt  er  hundert 
Prozent  bei  dem  Handel,  gerade  so  viel,  als  wenn  eine 
Unze  Silber  in  London  ganz  denselben  AVert  hätte,  als 
in  Canton.  Es  kommt  für  ihn  nicht  in  Betracht,  daß 
er  für  eine  halbe  Unze  Silber  in  Canton  mehr  Arbeit 
und  eine  gr()ßere  Menge  Lebens-  und  Genußmittel  zur 
Verfügung  haben  würde,  als  für  eine  Unze  in  London. 
Eine  Unze  verschafft  ihm  auch  in  London  doppelt  so 
viel,  als  was  ihm  eine  halbe  Unze  daselbst  verschaffen 
könnte,  und  das  ist  es  gerade,  was  er  wünscht. 

Da  es  also  der  nominelle  oder  Geldpreis  ist,  der 
schließlich  über  die  Vorsichtigkeit  und  Unvorsichtig- 
keit aller  Käufe  und  Verkäufe  entscheidet,  und  des- 
halb fast  alle  Geschäfte  des  täglichen  Lebens,  in  denen 
es  auf  den  Preis  ankommt,  regelt,  so  ist  es  kein  Wun- 
der, daß  man  auf  ihn  so  viel  mehr  als  auf  den  wirk- 
lichen Preis  geachtet  hat. 

In  einem  Werke  jedoch,  wie  das  gegenwärtige, 
kann  es  zuweilen  nützlich  sein,  die  wirklichen  Werte 
einer  Ware  zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  verschie- 
denen Orten,  oder  die  verschiedenen  Grade  der  Macht 
über  die  Arbeit  Anderer,  die  sie  in  verschiedenen 
Fällen  ihren  Besitzern  verliehen  haben  kann,  zu  ver- 
gleichen. Wir  müssen  in  diesem  Falle  nicht  sowohl  die 
verschiedenen  Mengen  Silber,  für  die  die  Ware  ge- 
wöhnlich verkauft  wurde,  als  die  verschiedenen  Mengen 
Arbeit,  die  für  jene  verschiedenen  Mengen  Silber  zu 
kaufen  waren,  vergleichen.  Allein  die  üblichen  Preise 
der  Arbeit  in  entlegenen  Zeiten  und  Orten  sind  kaum 


Kap.  v.:  Vom  walircii   uml  nominellen  Preise  der  Waren.  53 

jemals  mit  einiger  Genauigkeit  zu  ermitteln.  Die  Ge- 
treidepreise sind,  obwohl  auch  sie  nur  an  wenigen 
Orten  regelmäßig  aufgezeichnet  wurden,  im  Allge- 
meinen bekannt,  und  von  Geschichtsschreibern  und 
anderen  Schriftstellern  öfters  erwähnt  worden.  Daher 
müssen  wir  uns  im  Allgemeinen  an  ihnen  genügen 
lassen;  nicht  weil  sie  zu  dem  üblichen  Preise  der  Ar- 
beit immer  genau  in  demselben  Verhältnis  ständen, 
sondern  weil  sie  sich  gewöhnlich  diesem  Verhältnis 
am  meisten  nähern.  Ich  werde  künftig  Gelegenheit 
haben,   einige  Vergleichungen   dieser  Art  zu   machen. 

Bei  zunehmender  Betriebsamkeit  fanden  es  die 
handeltreibenden  Nationen  zweckmäßig,  verschiedene 
Metalle  zu  Geld  auszuprägen ;  Gold  für  größere  Zahl- 
ungen, Silber  für  Käufe  von  mäßigem  Werte,  und 
Kupfer  oder  ein  anderes  unedles  Metall  für  Käufe  von 
noch  geringerem  Belang.  Doch  betrachteten  sie  stets 
eines  dieser  Metalle  vorzugsweise  als  Maßstab  des 
Wertes,  und  diesei'  Vorzug  scheint  im  iVllgemeinen 
demjenigen  Metall  gegeben  worden  zu  sein,  welches 
sie  gerade  zuerst  als  Tauschwerkzeug  gebraucht  hatten. 
Nachdem  sie  einmal  angefangen  hatten,  es  als  ihren 
Maßstab  zu  benutzen  (was  sie  tun  mußten,  so  lange 
sie  noch  kein  anderes  Geld  hatten),  blieben  sie  ge- 
wöhnlich dabei,  auch  wenn  die  Nötigung  nicht  mehr 
die  gleiche  war. 

Die  Römer  sollen  bis  zum  fünften  Jahre  vor  dem 
ersten  punischen  Kriege'''),  wo  sie  zuerst  Silber  aus- 
münzten, nur  Kupfei-geld  gehabt  haben.  Daher  scheint 
Kupfer  auch  stets  der  Wertmaßstab  in  dieser  Republik 
geblieben  zu  sein.  In  Rom  scheinen  alle  Rechnungen 
und  der  Wert  aller  Grundstücke  entweder  nach  Assen 
oder  Sestertien  aufgestellt  worden  zu  sein.  As  war 
immer  der  Name  einer  Kupfermünze.  Das  Wort  Sester- 

''')  Plinins  lib.  XXXIII,  c.  3. 


54    Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

tius  bedeutet  zwei  und  einen  halben  As.  Obgleich 
also  der  Sestertius  ursprünglich  eine  Silbermünze  war, 
so  wurde  sein  Wert  doch  in  Kupfer  angegeben.  Von 
einem,  der  viel  Geld  schuldig  war,  sagte  man  in  ßom, 
er  habe  viel  von  anderer  Leute  Kupfer. 

Die  nordischen  Völker,  welche  sich  auf  den  Ruinen 
des  römischen  Reiches  festsetzten,  scheinen  gleich  im 
Anfang  ihrer  Niederlassungen  Silbergeld  gehabt  und 
noch  lange  Zeit  danach  weder  Gold-  noch  Kupfer- 
münzen gekannt  zu  haben.  In  England  gab  es  zur  Zeit 
der  Sachsen  Silbermünzen,  Gold  aber  wurde  bis  zur 
Zeit  Eduards  III.  nur  wenig,  und  Kupfer  bis  auf 
Jakob  I.  von  Großbritannien  gar  nicht  gemünzt.  Des- 
halb wurden  in  England,  und  aus  dem  gleichen  Grunde 
wohl  unter  allen  andern  neueren  Völkern  Europas,  alle 
Rechnungen  und  der  Wert  aller  Waren  und  Grund- 
stücke allgemein  in  Silber  berechnet;  und  wenn  wir  die 
Summe  eines  Vermögens  angeben  wollen,  so  sprechen 
wir  selten  von  der  Anzahl  Guineen,  sondern  gewöhnlich 
von  der  Zahl  Pfunde  Sterling,  auf  die  wir  es  schätzen. 

Ursprünglich  war,  glaube  ich,  in  allen  Ländern  nur 
die  Münze  aus  demjenigen  Metall,  welches  vorzugsweise 
als  Wertmaßstab  oder  Wertmesser  betrachtet  wurde, 
gesetzliches  Zahlungsmittel.  In  England  sah  man  das 
Gold  noch  lange,  nachdem  es  schon  zu  Geld  gemünzt 
wurde,  nicht  als  gesetzliches  Zahlungsmittel  an.  Das 
Wertverhältnis  zwischen  dem  Gold-  und  Silbergold 
war  nicht  durch  Gesetz  oder  Verordnung  festgestellt, 
sondern  seine  Bestimmung  war  dem  Markte  überlassen. 
Wenn  ein  Schuldner  Zahlung  in  Gold  anbot,  so  konnte 
der  Gläubiger  eine  solche  Zahlung  entweder  ganz  zurück- 
weisen, oder  sie  nach  einer  mit  dem  Schuldner  zu  ver- 
einbarenden Schätzung  des  Goldes  annehmen.  Ku|)fer 
ist  gegenwärtig  nur  für  die  Verwechslung  kleiner  Silber- 
münzen gesetzliches  Zahlungsmittel.  In  diesem  Stadium 


Kap.  v.:   Vom  vvuhron    und  nominellen  Prei.se  der  Waren.   55 

war  die  Unterscheidung  zwischen  dem  Währungsmetall 
und  demjenigen,  das  dies  nicht  war,  etwas  mehr  als 
eine  blos  nominelle  Unterscheidung. 

Im  Verlauf  der  Zeit,  und  als  die  Leute  mit  dem 
Gebrauch  der  verschiedenen  gemünzten  Metalle  all- 
mählich vertrauter  wurden  und  sich  folglich  an  das 
Verhältnis  zwischen  ihren  bezüglichen  Werten  besser 
gewöhnten,  fand  man  es  in  den  meisten  Ländern,  wie 
ich  glaube,  zweckmäßig,  dies  Verhältnis  festzustellen, 
und  durch  Gesetz  zu  bestimmen,  daß  z.  B.  eine  Guinee 
von  dem  und  dem  Schrot  und  Korn  einundzwanzig 
Schilling  gelten  oder  ein  gesetzliches  Zahlungsmittel 
für  eine  Schuld  von  diesem  Betrage  sein  solle.  In 
diesem  Stadium  und  während  der  Dauer  eines  derartig- 
geregelten  Verhältnisses  wird  die  Unterscheidung 
zwischen  dem  Währungsmetall  und  demjenigen,  das 
dies  nicht  ist,  wenig  mehr  als  eine  nominelle. 

Infolge  einer  Veränderung  dieses  geregelten  Ver- 
hältnisses wird  jedoch  diese  Unterscheidung  wieder 
etwas  mehr,  als  eine  bloß  nominelle,  oder  scheint  es 
wenigstens  zu  werden.  Wenn  z.  B.  der  geregelte  Wort 
einer  Guinee  entweder  auf  zwanzig  Schilling  vermindert 
oder  auf  zweiundzwanzig  erhöht  würde,  so  könnte,  da 
alle  Rechnungen  in  Silbergeld  geführt  und  fast  alle 
Schuldverschreibungen  in  diesem  ausgedrückt  sind,  der 
größte  Teil  der  Zahlungen  zwar  in  beiden  Fällen  mit 
derselben  Summe  Silbergeldes,  wie  früher,  geleistet 
werden,  würde  aber  in  Goldmünze  eine  sehr  abweichende 
Summe  erfordern:  eine  größere  in  dem  einen,  eine 
kleinere  in  dem  anderen  Falle.  Das  Silber  würde  in 
seinem  Werte  unveränderlicher  erscheinen,  als  das  Gold; 
es  würde  scheinen,  daß  das  Silber  den  Wert  des  Goldes, 
nicht  aber  das  Gold  den  dos  Silbers  messe.  Der  Weit 
des  Goldes  würde  von  der  Monge  Silbers,  gegen  die  es 
umtauschbar  wäre,  abhängig  scheinen,    und  der  Wert 


56    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

des  Silbers  würde  von  der  Menge  Gold,  die  dafür 
zu  haben  wäre,  unabhängig  scheinen.  Dieser  Unter- 
schied hätte  jedoch  seinen  Grund  lediglich  in  der  Ge- 
wohnheit, die  Rechnungen  lieber  in  Silber  als  in  Gold 
zu  führen  und  den  Betrag  aller  großen  und  kleinen 
Summen  in  Silbergeld  auszudrücken.  Eine  von  Herrn 
Drummonds  Noten  über  fünfundzwanzig  oder  fünfzig 
Guineen  würde  nach  einer  solchen  Veränderung  immer 
noch,  wie  früher,  mit  fünfundzwanzig  oder  fünfzig 
Guineen  zu  bezahlen  sein.  Sie  wäre  nach  einer  solchen 
Veränderung  mit  der  nämlichen  Menge  Gold  zu  be- 
zahlen, wie  früher,  aber  mit  sehr  verschiedenen  Mengen 
Silbers.  Hat  man  eine  solche  Note  zu  zahlen,  so  würde 
das  Gold  in  seinem  Werte  unveränderlicher  zu  sein 
scheinen,  als  das  Silber.  Gold  würde  den  Wert  des 
Silbers,  nicht  aber  Silber  den  des  Goldes  zu  messen 
scheinen.  Wenn  die  Gewohnheit,  Rechnungen  und 
Zahlungsversprechen,  so  wie  andere  Schuldverschrei- 
bungen, in  dieser  Weise  auszustellen,  einmal  allgemein 
werden  sollte,  so  würde  das  Gold,  und  nicht  das  Silber 
als  das  Metall  betrachtet  werden,  das  vorzugsweise  der 
Wertmaßstab  oder  Wertmesser  wäre. 

In  Wirklichkeit  regelt  während  der  Dauer  eines 
zwischen  den  bezüglichen  Werten  der  verschiedenen 
Münzmetalle  festgesetzten  Verhältnisses  der  Wert  des 
kostbarsten  Metalls  den  Wert  des  gesamten  Geldes. 
Zwölf  Kupferpen ce  enthalten  ein  halbes  Pfund  (Soll- 
gewicht) Kupfer  nicht  von  der  besten  Qualität,  welches, 
bevor  es  gemünzt  ist,  kaum  sieben  Pence  an  Silber  wert 
ist.  Da  aber  gesetzlich  zwölf  solche  Pence  einen 
Schilling  gelten,  so  werden  sie  auf  dem  Markte  als 
einen  Schilling  wert  betrachtet  und  kann  man  zu  jeder 
Zeit  einen  Schilling  dafür  erhalten.  Vor  der  letzten 
Umj)iägung  der  britischen  Goldmünzen  war  das  Gold, 
wenigstens  so  viel  davon  in  London    und  seiner  Um- 


Kap.  v.:  Vom  wahren  und  nominellen  Preise  der  Waren.  57 

gegend  im  Umlauf  war,  im  Allgemeinen  weit  weniger 
als  das  meiste  Silber,  unter  sein  gesetzliches  Gewicht 
gesunken.  Dennoch  wurden  einundzwanzig  abgenutzte 
und  verwischte  Schillinge  als  gleichwertig  mit  einer 
Guinee  betrachtet,  welche  allerdings  Tielleicht  auch  ab- 
genutzt und  verwischt  war,  aber  doch  selten  in  solchem 
Grade.  Die  neueren  Regelungen  haben  die  Goldmünze 
ihrem  Normalge  wicht  vielleicht  so  nahe  gebracht,  als 
dies  überhaupt  mit  dem  Kurantgeld  eines  Landes 
möglich  ist,  und  die  Verordnung,  kein  Gold  bei  den 
Staatskassen  anders  als  nach  dem  Gewicht  anzunehmen, 
wird  dieses  wahrscheinlich  so  lange  vollwichtig  erhalten, 
als  jene  Verordnung  aufrecht  erhalten  bleibt.  Die 
Silbermünze  ist  noch  immer  in  demselben  abgenutzten 
und  verschlechterten  Zustande,  wie  vor  dei"  Umprä- 
gung der  Goldmünze.  Auf  dem  Markt  jedoch  werden 
einundzwanzig  Schillinge  dieser  verschlechtorten  Silber- 
münze noch  immer  als  dem  Wert  einer  Guinee  von  dieser 
ausgezeichneten    Goldmünze    entsprechend    betrachtet. 

Die  Umprägung  der  Goldmünze  hat  offenbar  den 
Wert  der  Silbermünze,  die  dagegen  umgewechselt 
werden  kann,  gesteigert. 

In  der  englischen  Münze  wird  ein  Pfund  Gold  zu 
vierundvierzig  einer  halben  Guinee  ausgemünzt,  was,  die 
Guinee  zu  einundzwanzig  Schilling  gerechnet,  sechs- 
undvierzig Pfund  Sterling,  vierzehn  Schilling  und  sechs 
Pence  ausmacht.  Die  Unze  gemünzten  Goldes  ist  mithin 
£3  17  sh.  10^2  d.  in  Silber  wert.  In  England  wird 
kein  Aufschlag  oder  Schlagschatz  für  das  Prägen  ge- 
zahlt, und  wer  ein  Pfund  oder  eine  Unze  vollwichtiges 
Goldbullion  zur  Münze  bringt,  bekommt  ein  Pfund 
oder  eine  Unze  in  gemünztem  Golde  ohne  allen  Ab- 
zug zurück.  Drei  Pfund,  siebzehn  Schilling  und  zehn 
und  ein  halber  Penny  die  Unze,  nennt  man  daher  in 
England   den  Münzpreis   des  Goldes   oder   die   Menge 


58    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft   der  Arbeit. 

gemünzten  Goldes,  die  die  Münze  für  vollwichtiges 
Goldbullion  zurückgibt. 

Vor  der  Umprägung  der  Goldmünze  war  der 
Marktpreis  der  Unze  vollwichtigen  Goldbullions  viele 
Jahre  hindurch  über  £  3.  18  sh.,  manchmal  £  3.  19  sh.  und 
sehr  oft  £  4;  diese  Summe  wahrscheinlich  in  der  ab- 
genutzten und  verschlechterten  Goldmünze,  die  selten 
mehr  als  eine  Unze  vollwichtigen  Goldes  enthielt.  Seit 
der  Umprägung  der  Goldmünze  übersteigt  der  Markt- 
preis der  Unze  vollwichtigen  Barrengoldes  selten 
£  3.  17  sh.  7  d.  Vor  der  Umprägung  stand  der  Marktpreis 
stets  mehr  oder  weniger  über  dem  Münzproise;  nach 
ihr  hingegen  beständig  darunter.  Doch  ist  dieser 
Marktpreis  derselbe,  gleichviel  ob  er  in  Gold-  oder 
Silbermünze  gezahlt  wird.  Die  letzte  Umprägung  hat 
mithin  nicht  nur  den  Wert  der  Goldmünze,  sondern 
gleicherweise  den  der  Silbermünze  im  Verhältnis  zum 
Goldbullion  und  wahrscheinlich  auch  im  Verhältnis 
zu  allen  andern  Waren  erhöht,  obgleich  wegen  des 
Einflusses,  den  so  manche  andere  Umstände  auf  den 
Preis  der  meisten  andern  Waren  haben,  die  Erhöhung 
des  Wertes  sowohl  der  Gold-  wie  der  Silbermünzen, 
im  Vergleich  mit  dem  Warenpreise,  nicht  so  deutlich 
und  fühlbar  sein  kann. 

In  der  englischen  Münze  wird  ein  Pfund  vollwich- 
tigen Barrensilbers  zu  zweiundsochzig  Schilling  ausge- 
münzt, die  ebenfalls  ein  richtiges  Pfund  vollwichtigen 
Silbers  enthalten.  Fünf  Schillng  und  zwei  Pence  die 
Unze,  heißt  daher  in  England  der  Münzpreis  des  Sil- 
bers oder  die  Menge  Siibermünze,  die  die  Münze  für 
vollwichtiges  Barrensilber  gibt.  Vor  der  Umprägung 
der  Goldmünze  war  der  Marktpreis  des  vollwichtigen 
Barrensilbers  nach  Umständen  fünf  Schilling  und  vier 
Pence,  fünf  Schilling  und  fünf  Pence,  fünf  Schilling 
und  sechs  Pence,  fünf  Schilling  und  sieben  Pence, 
und   sehr  oft  fünf  Schilling  und  acht  Pence  die  Unze. 


Kap.  v.:  Vom  wahren  und  nominellen  Preise  der  Waren.  59 

Doch  scheint  fünf  Schilling  und  sieben  Pence  der  ge- 
wöhnlichste Preis  gewesen  zu  sein.  Seit  der  Uniprä- 
gung  der  Goldmünze  ist  der  Marktpreis  des  vollwichti- 
gen Barrensilbers  gelegentlich  auf  fünf  Schilling  und 
drei  Pence,  fünf  Schilling  und  vier  Pence,  und  fünf 
Schilling  und  fünf  Pence  die  Unze  gefallen,  welchen 
letzten  Preis  es  kaum  je  überstiegen  hat.  Obgleich  der 
Marktpreis  des  Barrensilbers  seit  der  Umprägung  der 
Goldmünze  beträchtlich  gefallen  ist,  so  ist  er  doch 
nicht  so  tief  gefallen  wie  der  Münzpreis. 

Wie  in  dem  Vorhältnisse  zwischen  den  verschie- 
denen Metallen  der  englischen  Münzen  das  Ku[)Fer 
weit  über  seinen  wirklichen  "Wert  angesetzt  ist,  so  das 
Silber  etwas  unter  ihm.  Auf  dem  europäischen  Markte, 
in  den  französischen  und  holländischen  Münzen  gilt 
eine  Unze  feinen  Goldes  etwa  vierzehn  Unzen  feinen 
Silbers.  Nach  englischem  Münzfuß  gilt  sie  etwa  fünf- 
zehn Unzen,  d.  h.  mehr  Silber  als  sie  nach  der  allge- 
meinen Schätzung  Europas  wert  ist.  So  wenig  aber 
der  Preis  des  rohen  Kupfers  in  England  durch  den 
hohen  Preis  des  Kupfers  in  den  englischen  Münzen 
gestiegen  ist,  so  wonig  ist  der  Preis  des  Barrensilbers 
durch  den  niedrigen  Satz  des  Silbers  in  den  englischen 
Münzen  gefallen.  Barrensilbor  steht  noch  in  seinem 
richtigen  Verhältnis  zum  Golde,  aus  demselben  Grunde, 
aus  dem  rohes  Kupfer  noch  in  seinem  richtigen  Ver- 
hältnis zum  Silber  steht. 

Nach  der  Umprägung  der  Silbermünze  unter  der 
Regierung  Wilhelms  IIJ.  blieb  der  Preis  des  Barren- 
silbers noch  immer  etwas  über  dem  Münzpreise.  Locke 
schrieb  diesen  hohen  Preis  dem  Umstände  zu,  daf.5  es 
wohl  gestattet  war,  Barrensilber,  aber  nicht  Silber- 
münze auszufüliren.  Jene  Ausfulirorhiubnis,  sagt  er, 
mache  die  Nachfrage  nach  iiai'rcnsilber  größer  als  die 
nach    Silbermünzo.     Allein    die   Zahl    derer,    die    zum 


60    Erstes  Buch:  Zmialime  in  der  Ertragski-aft  der  Arbeit. 

täglichen  Gebrauch  beim  Kaufen  und  Verkaufen  im  Lande 
Silbermünzc  nötig  haben,  ist  sicherHch  weit  gr()ßer,  als 
die  Zahl  derer,  welche  zur  Ausfuhr  oder  zu  irgend  einem 
anderen  Zweck  Barrensilber  brauchen.  Es  ist  gegen- 
wärtig  auch  gestattet  Goldbarren  —  und  verboten,  Gold- 
münzen auszuführen;  und  dennoch  ist  der  Preis  der 
Goldbarren  unter  den  Münzpreis  gefallen.  Aber  damals 
wurde  ganz  so  wie  jetzt,  in  den  englischen  Münzen 
das  Silber  im  Verhältnis  zum  Golde  zu  niedrig  ausge- 
bracht, und  die  Goldmünze,  von  der  man  zu  jener  Zeit 
auch  nicht  glaubte,  daß  sie  einer  Umprägung  bedürfe, 
regelte  ebenso  wie  jetzt,  den  wahren  Wert  aller  Mün- 
zen. Da  die  Umprägung  der  Silbermünze  den  Preis 
des  Barrensilbers  damals  nicht  auf  den  Münzpreis 
herabsetzte,  so  ist  es  nicht  sehr  wahrscheinlich,  daß 
eine  ähnliche  Umprägung  dies  jetzt  bewirken    würde. 

Wäre  die  Silbermünze  ihrem  Normalgewicht  so 
nahe  gebracht,  wie  das  Gold,  so  würde  man  nach  dem 
jetzigen  Verhältnis  für  eine  Guinee  wahrscheinlich  mehr 
Silber  in  Münze  erhalten,  als  in  Barren.  Enthielte  das 
Silbergeld  sein  volles  gesetzliches  Gewicht,  so  würde 
es  vorteilhaft  sein,  es  einzuschmelzen,  um  es  erst  in 
Barren  für  Goldmünze  zu  verkaufen,  und  diese  Gold- 
münze dann  wieder  gegen  Silbergeld  umzuwechseln, 
um  dies  gleichfalls  einzuschmelzen.  Eine  Änderung  im 
gegenwärtigen  Verhältnis  scheint  das  einzige  Mittel 
zu  sein,  diesem  Übelstande  zu  steuern. 

Der  Ubelstand  wäre  vielleicht  geringer,  wenn  das 
Silber  in  den  Münzen  um  eben  so  viel  über  seinem 
richtigen  Verhältnis  zum  Golde  ausgebracht  würde, 
als  jetzt  unter  ihm,  vorausgesetzt,  es  werde  zu  gleicher 
Zeit  verordnet,  daß  Silber  nicht  für  mehr  als  eine  Guinee 
gesetzliches  Zahlungsmittel  sein  solle,  gerade  so,  wie 
Kupfer  nicht  für  mehr  als  einen  Schilling  gesetzliches 
Zahlungsmittel  ist.    In  diesem  Falle  könnte  kein  Gläu- 


Kap.  v.:  Vom   waliron  ximl  nominellen  Preise  der  Waren,   ßl 

biger  durch  die  hohe  Wertung  des  Silbers  in  den  Münzen 
beeinträchtigt  werden,  so  wenig  jetzt  ein  Gläubiger  durch 
die  hohe  Wertung  des  Kupfers  verkürzt  wird.  Nur  die 
Bankiers  würden  unter  dieser  Anordnung  leiden.  AVenn 
ein  Andrang  zu  ihren  Zahlstellen  entsteht,  so  suchen  sie 
zuweilen  dadurch  Zeit  zu  gewinnen,  daß  sie  in  Six- 
pence-Stücken  zahlen;  durch  jene  Anordnung  aber 
würde  ihnen  dies  schimpfliche  Mittel,  einer  unmittelbaren 
Zahlung  auszuweichen,  abgeschnitten  sein.  Sie  würden 
sich  deshalb  gezwungen  sehen,  stets  eine  größere  Summe 
baren  Geldes  in  ihren  Kassen  liegen  zu  haben,  als  ge- 
genwärtig und  wenn  dies  auch  ohne  Zweifel  eine  große 
Unbequemlichkeit  für  sie  sein  könnte,  so  wäre  es  doch 
gleichzeitig  für  ihre  Gläubiger  eine  große  Sicherheit. 
Drei  Pfund,  siebzehn  Schilling  und  zehn  und  ein 
halber  Penn}^  (der  Münzpreis  des  Goldes)  enthalten  selbst 
in  unserer  dermaligen  ausgezeichneten  Goldmünze  gewiß 
nicht  mehr  als  eine  Unze  vollwichtigen  Goldes,  und  soll- 
ten also,  wie  man  denken  könnte,  auch  nicht  mehr  in 
vollwichtigen  Barren  zu  kaufen  vermögen.  Allein  ge- 
münztes Gold  ist  bequemer  als  Gold  in  Stangen,  und 
obwohl  in  England  das  Prägen  kostenfrei  geschieht,  so 
kann  doch  das  in  Stangen  zur  Münze  gebrachte  Gold 
dem  Eigentümer  selten  früher,  als  nach  Verlauf  einiger 
Wochen,  gemünzt  zurückgegeben  werden.  In  dem  jet- 
zigen Geschäftsdrange  der  Münze  könnte  es  erst  nach 
Verlauf  mehrerer  Monate  zurückgegeben  werden.  Dieser 
Verzug  kommt  einer  kleinen  Abgabe  gleich  und  macht 
gemünztes  Gold  etwas  wertvoller,  als  eine  gleiche  Menge 
Stangengold.  AVenn  in  den  englischen  Münzen  das 
Silber  nach  seinem  richtigen  Verhältnis  zum  Golde  aus- 
gebracht würde,  so  würde  der  Preis  des  Barrensilbers 
wahrscheinlich  schon  ohne  alle  Umprägung  der  Silber- 
münzen unter  den  Münzpreis  herabsinken,  da  sogar  der 
Wert  der  jetzigen  abgenutzten  und  verwischten  Silber- 


62    Erstes  Biich:  Zunahme  in  der  Ertragskral't  der  Arbeit. 

münzen  sich  nach  dem  Werte  der  vortrefflichen  Gold- 
münzen richtet,  für  die  es  umgetauscht  werden  kann. 

Ein  kleiner  Schlagschatz  o.ler  Aufschlag  sowohl  auf 
die  Gold-  wie  auf  die  Silbermünzen  würde  wahrschein- 
lich die  höhere  Geltung  dieser  Metalle  im  gemünzten, 
als  im  ungeprägten  Zustande  noch  steigern.  Das  Prägen 
würde  in  diesem  Falle  den  Wert  des  gemünzten  Metalls 
um  diese  kleine  Gebühr  erhöhen,  aus  demselben  Grunde, 
aus  dem  die  Facon  den  Wert  eines  Tafelgeschirrs  um 
den  Preis  der  Facon  erhöht.  Die  höhere  Geltung  der 
Münzen  als  der  Barren  würde  dem  Einschmelzen  der 
Münze  vorbeugen  und  von  ihrer  Ausfuhr  abhalten. 
Wenn  irgend  ein  öffentliches  Bedürfnis  es  nötig  machen 
sollte,  die  Münzen  auszuführen,  so  würde  der  größte 
Teil  von  ihnen  bald  von  selbst  wieder  zurückkehren. 
Im  Auslande  könnte  sie  nur  nach  ihrem  Barrengewicht 
verkauft  werden;  im  Lande  dagegen  gilt  sie  mehr  als 
dies  Gewicht,  und  es  wäre  daher  vorteilhaft,  sie  wieder 
nach  Hause  zu  bringen.  In  Frankreich  wird  ein  Schlag- 
schatz von  etwa  acht  Procent  vom  Prägen  erhoben, 
und  die  französische  Münze  soll,  wenn  sie  ausgeführt 
war,  von  selbst  ins  Land  zurückkehren. 

Die  gelegentlichen  Schwankungen  im  Marktpreise 
der  Gold-  und  Silberbarren  entstehen  aus  denselben 
Ursachen  wie  die  gleichen  Schwankungen  im  Preise 
aller  andern  Waren.  Das  häufige  Verlorengehen  dieser 
Metalle  bei  Unfällen  zur  See  und  zu  Lande,  ihr  fort- 
währender Abgang  durch  Vergolden  und  Plattieren,  in 
Borten  und  Stickereien,  durch  Abnutzung  des  Geldes 
und  Geschiirs  erfordert  in  allen  Ländern,  die  keine 
eigenen  Minen  besitzen,  zum  Ersatz  dieses  Verlustes  und 
Abganges  eine  beständige  Einfuhr.  Die  Importeure 
werden,  wie  alle  anderen  Kaufleute,  ihre  gelegentlichen 
Einfuhren  wahrscheinlich  der  mutmaßlichen  Nachfrage 
anzupassen    suchen.       Doch    tun    sie    darin    trotz    all 


Kap.  v.:  Vom  wahren   und  nominellen  Preise  der  "Waren.   (5.3 

ihrer  Aufmerksamkeit  manchmal  zu  viel  und  manchmal 
zu  wenig.  Wenn  sie  mehr  Barren  einführen,  als  bo- 
gehit  worden,  so  verkaufen  sie  bisweilen,  um  nur  nicht 
die  Gefahr  und  Mühe  der  AViederausfuhr  zu  haben, 
einen  Teil  von  ihnen  etwas  unter  dem  gewöhnlichen 
oder  Durchschnittspreise.  Haben  sie  dagegen  weniger 
eingeführt,  als  gebiaucht  wird,  so  nehmen  sie  etwas 
mehr  als  diesen  Preis.  Hält  aber  unter  all  diesen  zu- 
fälligen Schwankungen  der  Marktpreis  der  Gold-  oder 
Silbei'barren  mehreie  Jahre  hindurch  stetig  und  un- 
unterbrochen sich  entweder  über  oder  unter  dem  Münz- 
preise, so  künnen  wir  sicher  sein,  daß  diese  feste  Be- 
ständigkeit des  höheren  oder  niedrigeren  Preises  durch 
Etwas  in  dem  Zustande  der  Münze  bewirkt  sei,  was 
dermalen  einer  bestimmten  Münzmenge  entweder  mehr 
odei-  weniger  Weit  gibt,  als  der  genauen  Menge  Metall, 
die  sie  enthalten  sollte.  Die  Beständigkeit  und  »Stetig- 
keit der  Wirkung  setzt  eine  gleiche  Beständigkeit  und 
Stetigkeit  in  der  Ursache  voraus. 

Das  Geld  eines  Landes  ist  zu  bestimmter  Zeit  und 
an  bestimmtem  Orte  ein  mehr  oder  weniger  genauer 
Wertmesser,  je  nachdem  die  umlaufenden  Münzen 
mehr  oder  weniger  vollwichtig  sind,  oder  mehr  oder 
weniger  genau  die  Quantität  reineri  Goldes  oder  Silbers 
enthalten,  die  sie  enthalten  sollen.  Enthielten  z.  B.  in 
England  vierund vierzig  und  eine  halbe  Guinee  genau 
ein  Pfund  vollwichtigen  Goldes,  oder  elf  Unzen  feines 
Gold  und  eine  Unze  Zusatz,  so  würde  die  englische 
Goldmünze  ein  so  genauer  Maßstab  für  den  jeweiligen 
Wert  der  Waren  sein,  als  die  Natur  der  Dinge  dies 
überhaupt  zuläßt.  Wenn  aber  vierundvierzig  und  eine 
halbe  Guinee  infolge  der  Abnutzung  im  Allgemeinen 
weniger  als  ein  Pfund  vollwichtiges  Gold  enthalten, 
wobei  jedoch  die  Verminderung  in  einigen  Stücken 
größer  ist,  als  in  andeien,  so  unterliegt  der  Wertmesser 


(54    Ki'i^tes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

demselben  Lose  der  Unzuverlässigkeit,  dem  alle  anderen 
Gewichte  und  Maße  gewühnlicli  ausgesetzt  sind.  Da 
diese  selten  genau  mit  ihrem  Original  übereinstimmen, 
so  bestimmt  der  Kaufmann  nicht  nach  dem,  was  diese 
Gewichte  und  Maße  sein  sollten,  sondern  nach  dem, 
was  sie  nach  seiner  Erfahrung  im  Durchschnitt  wirk- 
lich sind,  so  gut  er  kann,  den  Preis  seiner  Waren. 
Auf  dieselbe  Weise  wird  infolge  einer  gleichen  Ver- 
wirrung in  der  Münze  der  Preis  der  Güter  nicht  nach 
der  Menge  reinen  Goldes  oder  Silbers  bestimmt,  welche 
das  Geld  enthalten  sollte,  sondern  nach  der,  die  es 
erfahrungsmäßig  im  Durchschnitt  wirklich  enthält. 

Unter  dem  Geldpreise  der  Güter  verstehe  ich,  was 
zu  beachten  ist,  stets  die  Menge  reinen  Goldes  oder 
Silbers,  für  welche  sie  verkauft  werden,  ohne  alle 
Rücksicht  auf  die  Benennung  der  Münze.  Sechs 
Schillinge  und  acht  Pence  zur  Zeit  Eduards  I.  sehe 
ich  z.  B.  als  gleichwertig  mit  einem  Pfund  Sterling 
in  unserer  Zeit  an,  weil  sie,  soweit  wir  darüber  urteilen 
können,  dieselbe  Menge  reinen  Silbers  enthielten. 


Sechstes   Kapitel. 
Die  Bestandteile  des  Warenpreises. 

In  dem  ersten  rohen  Zustande  der  Gesellschaft, 
der  der  Kapitalanhäufung  und  Landaneignung  vorher- 
geht, scheint  das  Verhältnis  zwischen  den  Arbeits- 
raengen,  die  zur  Erlangung  der  verschiedenen  Gegen- 
stände notwendig  sind,  der  einzige  Umstand  zu  sein, 
der  einen  Maßstab  für  den  Tausch  des  einen  gegen 
den  anderen  bilden  kann.  Wenn  es  z.  B.  unter  einem 
Jägervolke  in  der  Regel  zweimal  so  viel  Arbeit  kostet, 
einen  Biber  zu  erlegen,  als  ein  Reh,  so  müßte  natur- 
gemäß ein  Biber  zwei  Rehe  wert  sein.  Es  ist  be- 
greiflich, daß  das,  was  gewöhnlich  das  Produkt  zweier 
Tage  oder  zweier  Stunden  Arbeit  ist,  doppelt  so  viel 
wert  sein  muß,  als  das,  was  das  Produkt  von  einer 
eintägigen  oder  einstündigen  Arbeit  zu  sein  pflegt. 

Ist  die  eine  Art  der  Arbeit  anstrengender,  als  die 
andere,  so  wird  natürlich  eine  Vergütung  für  die 
größere  Mühe  zugestanden  werden,  und  das  Produkt 
einer  einstündigen  schwereren  Arbeit  kann  oft  dem 
Produkt  einer  zweistündigen  leichteren  Arbeit  im 
Tausch  gleich  gelten. 

Oder  wenn  die  eine  Art  Arbeit  einen  ungewöhn- 
lichen Grad  von  Geschicklichkeit  und  Talent  erfordert, 
so  wird  die  Achtung,  die  man  für  solche  Talente  hat, 
ihrem  Produkte  einen  höheren  Wert  geben,  als  den,  der 
nur  der  aufgewendeten  Zeit  gebührt.     Solche  Talente 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  1.  0 


6ß    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

können  selten  ohne  langjährige  Übung  erworben  werden, 
und  der  höhere  Wert  ihres  Produkts  kann  oft  Nichts 
weiter  sein,  als  ein  billiger  Ersatz  für  die  Zeit  und  Arbeit, 
welche  ihrer  Erwerbung  gewidmet  wurden.  In  dem 
vorgerückten  Stande  der  Gesellschaft  werden  derartige 
Zugeständnisse  für  grcjßere  Mühe  und  Geschicklichkeit 
gewöhnlich  im  Arbeitslohn  gemacht;  und  etwas  Ahn- 
liches muß  wahrscheinlich  auch  im  ersten  rohen  Ge- 
sellschaftszustande platzgegriffen  haben. 

In  diesem  Stadium  der  Dinge  gehört  das  ganze 
Arbeitsprodukt  dem  Arbeiter;  und  die  zur  Beschaffung 
oder  Hervorbringung  einer  Ware  gewöhnlich  aufge- 
wendete Arbeitsmenge  ist  der  einzige  Umstand,  nach 
dem  sich  diejenige  Arbeitsmenge  richtet,  für  die  man 
jene  Ware  gewöhnlich  kaufen   oder  eintauschen  muß. 

Sobald  sich  in  den  Händen  einiger  Personen  Kapital 
gesammelt  hat,  wird  bald  einer  oder  der  andere  unter 
ihnen  sein  Kapital  dazu  verwenden,  fleißige  Leute  zu 
beschäftigen  und  mit  Rohstoffen  und  Lebensmitteln  zu 
versorgen,  um  seinerseits  aus  dem  Verkauf  ihres  Ar- 
beitserzeugnisses, oder  aus  dem,  was  das  Material 
durch  ihre  Arbeit  an  Wert  gewinnt,  Vorteil  zu  ziehen. 
Bei  dem  Austausch  der  fertigen  Waren  gegen  Geld, 
Arbeit  oder  andere  Güter  muß  über  die  Kosten  des 
Rohstoffs  und  der  Arbeit  noch  Etwas  für  den  Gewinn 
des  Unternehmers  herauskommen,  der  sein  Kapital 
dabei  aufs  Spiel  gesetzt  hat.  Der  Wert,  den  die  Arbeiter 
den  Rohstoffen  hinzufügen,  löst  sich  daher  in  diesem 
Falle  in  zwei  Teile  auf,  von  denen  der  eine  ihren 
Lohn,  der  andere  den  Gewinn  des  Arbeitgebers  auf 
das  ganze  für  Materialien  und  Lohn  vorgeschossene 
Kapital  bezahlt.  Letzterer  würde  kein  Interesse  haben, 
Arbeiter  zu  beschäftigen,  wenn  er  nicht  aus  dem 
Verkaufe  ihrer  Arbeit  etwas  mehr,  als  den  Ersatz 
seines  Kapitals   zu  ziehen  hoffte,   und   er    würde  kein 


Kap.  VI.:  Die  Bestandteile  des  Warenpreises.  67 

Interesse  haben,  lieber  ein  großes  als  ein  kleines 
Kapital  anzulegen,  wenn  sein  Gewinn  sich  nicht  nach 
dem  Umfange  seines  Kapitals  richtete. 

Man  könnte  glauben,  der  Kapitalgewinn  sei  nur  ein 
anderer  Name  für  den  Lohn  einer  besonderen  Art  Arbeit, 
derjenigen  nämlich,  die  in  der  Aufsicht  und  Leitung 
besteht.  Der  Kapitalgewinn  ist  jedoch  etwas  ganz 
anderes,  wird  durch  ganz  andere  Prinzipien  bestimmt 
und  steht  zu  der  Menge,  der  Beschwerlichkeit  und  dem 
Talenterforderniß  jener  vorausgesetzten  Arbeit  der  Auf- 
sicht und  Leitung  in  keinem  Verhältniß.  Er  richtet 
sich  lediglich  nach  dem  Wert  des  aufgewendeten  Ka- 
pitals, und  ist  je  nach  dem  Umfange  dieses  Kapitals 
größer  oder  geringer.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  daß  an 
einem  Orte,  wo  der  gewöhnliche  Jahresgewinn  gewerb- 
licher Anlagen  zehn  Prozent  beträgt,  zwei  Fabriken  sich 
befinden,  in  deren  jeder  zwanzig  Arbeiter  zu  einem  Lohn 
von  je  fünfzehn  Pfund  jährlich  beschäftigt  sind,  die  also 
im  Ganzen  je  dreihundert  Pfund  Arbeitslohn  zahlen. 
Nehmen  wir  ferner  an,  daß  die  groben  Materialien, 
welche  jährlich  in  der  einen  verarbeitet  werden,  nur 
siebenhundert  Pfund  kosten,  während  die  feineren  in 
der  andern  siebentausend  kosten.  Das  in  der  einen 
jährlich  aufgewendete  Kapital  wird  in  diesem  Falle  nur 
tausend  Pfund  betragen,  wogegen  das  der  andern  sieben- 
tausend dreihundert  Pfund  beträgt.  Nach  dem  Satze  von 
zehn  Prozent  wird  mithin  der  Unternehmer  der  einen 
nur  auf  einen  jährlichen  Gewinn  von  etwa  hundert  Pfund 
rechnen,  während  der  Unternehmer  der  anderen  auf  etwa 
siebenhundert  und  dreißig  Pfund  rechnen  wird.  Obgleich 
aber  ihr  Gewinn  so  verschieden  ist,  kann  doch  ihre 
Arbeit  der  Aufsicht  und  Leitung  ganz  oder  nahezu 
dieselbe  sein.  In  manchen  großen  Fabriken  wird  fast 
die  ganze  Arbeit  dieser  Art  einem  Geschäftsführer  über- 
tragen.^ Sein  Lohn  drückt  den  Wert  dieser  Arbeit  der 


68    Erstes  Euch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Aufsicht  und  Leitung  richtig  aus.  Obwohl  bei  Fest- 
setzung seines  Lohns  gewöhnHch  nicht  nur  auf  seine 
Arbeit  und  Geschicklichkeit,  sondern  auch  auf  das  in 
ihn  gesetzte  Vertrauen  Rücksicht  genommen  wird,  so 
steht  dieser  Lohn  doch  niemals  in  einem  geregelten 
Verhältnis  zu  dem  Kapital,  dessen  Verwaltung  er  be- 
aufsichtigt: und  obwohl  der  Eigentümer  dieses  Kapitals 
fast  aller  Arbeit  enthoben  ist,  rechnet  er  doch  darauf, 
daß  sein  Gewinn  zu  seinem  Kapital  in  einem  geregelten 
Verhältnis  stehe.  Mithin  bildet  im  Preise  der  Waren 
der  Kapitalgewinn  einen  vom  Arbeitslohn  durchaus 
verschiedenen  und  nach  ganz  anderen  Grundsätzen 
geregelten  Bestandteil. 

Unter  diesen  Umständen  gehört  nicht  immer  das 
ganze  Produkt  der  Arbeit  dem  Arbeiter.  Er  muß  es 
in  den  meisten  Fällen  mit  dem  Kapitalisten,  welcher 
ihm  Beschäftigung  giebt,  teilen.  Auch  ist  die  zur  Er- 
werbung oder  Hervorbringung  einer  Wai'e  gewöhnlich 
erforderliche  Arbeitsmenge  nicht  mehr  das  Einzige, 
wonach  sich  die  Menge,  für  welche  man  jene  gewöhn- 
lich kaufen  oder  eintauschen  muß,  richtet.  Vielmehr 
muß  offenbar  eine  weitere  Menge  als  Gewinn  für 
das  den  Lohn  und  die  gelieferten  Rohstoffe  vor- 
streckende Kapital  hinzukommen. 

Sobald  aller  Grund  und  Boden  eines  Landes 
Privateigentum  geworden  ist,  möchten  auch  die  Grund- 
besitzer, gleich  allen  anderen  Menschen,  da  ernten, 
wo  sie  nicht  gesät  haben,  und  verlangen  sogar  für 
die  freiwilligen  Erzeugnisse  des  Bodens  eine  Rente. 
Das  Holz  des  Waldes,  das  Gras  der  Wiese  und  alle 
von  selbst  wachsenden  Früchte  der  Erde,  die,  so  lange 
der  Boden  Gemeingut  war,  den  Arbeiter  nur  die  Mühe 
des  Sammeins  kosteten,  werden  nun  auch  für  ihn  mit 
einem  Zuschlagspreise  belegt.  Er  muß  nun  für  die  Er- 
laubnis, sie  zu  sammeln,  bezahlen,  und  an  dejt  Grund- 


Kap.  VI.:  Die  Bestandteile  des  Warenpreises.  69 

besitzer  einen  Teil  dessen  abgeben,  \A'as  seine  Arbeit 
einsammelt  oder  hervorbringt.  Dieser  Teil,  oder  (was 
auf  dasselbe  hinauskommt)  der  Preis  dieses  Teiles 
bildet  die  Grundrente,  und  macht  in  dem  Preise  der 
meisten  Waren  einen  dritten  Bestandteil  aus. 

Der  wirkliche  Wert  aller  Bestandteile  des  Preises 
wird,  wie  zu  beachten  ist,  nach  der  Arbeitsmengo  ge- 
messen, die  für  einen  jeden  von  ihnen  zu  haben  ist. 
Die  Arbeit  mißt  den  Wert  nicht  nur  desjenigen  Teiles 
des  Preises,  der  sich  in  Arbeit  auflöst,  sondern  auch 
dessen,  der  sich  in  Rente,  und  dessen,  der  sich  in 
Gewinn  auflöst. 

In  jeder  Gesellschaft  löst  sich  am  Ende  der  Preis 
aller  Waren  in  den  einen  oder  andern,  oder  in  alle 
dieser  drei  Teile  auf;  und  in  jeder  zivilisierten  Gesell- 
schaft treten  alle  drei  mehr  oder  weniger  als  Bestand- 
teile in  den  Preis  der  bei  Weitem  meisten  Waren  ein. 

Im  Getreidepreis  z.  B.  zahlt  der  eine  Teil  die 
Rente  des  Grundbesitzers,  der  andere  den  Arbeitslohn 
oder  Unterhalt  der  zur  Getreideerzeugung  verwendeten 
Arbeiter  und  Arbeitstiere,  und  der  dritte  zahlt  den 
Gewinn  des  Pächters.  Diese  drei  Teile  scheinen  ent- 
weder sogleich  oder  zuletzt  den  ganzen  Getreidepreis 
auszumachen.  Man  könnte  vielleicht  meinen,  es  sei 
ein  vierter  Teil  nötig,  um  das  Kapital  des  Pächters 
wieder  zu  ersetzen,  oder  den  Abgang  an  Zugvieh  und 
Wirtschaftsgerät  auszugleichen.  Allein  man  muß  be- 
denken, daß  der  Preis  jedes  Wirtschaftsstückes,  wie 
etwa  eines  Arbeitspferdes,  selbst  aus  den  nämlichen 
drei  Teilen  besteht:  der  Rente  von  dem  Lande,  auf 
dem  es  großgezogen  wird,  der  Arbeit  es  zu  warton 
und  aufzuziehen,  und  dem  Gewinn  des  Pächters,  der 
sowohl  die  Rente  jenes  Landes  wie  den  Arbeitslohn 
vorschießt.  Obschon  daher  im  Getreidepreis  sowohl 
der  Preis  wie  der  Unterhalt  des  Pferdes  bezahlt  werden 


70    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

kann,  so  löst  sich  doch  der  ganze  Preis  entweder  so- 
fort oder  zuletzt  in  die  nämlichen  drei  Teile  der  Rente, 
der  Arbeit  und  des  Gewinnes  auf. 

Im  Preise  des  Mehls  muß  man  zum  Getreide- 
preise den  Gewinn  des  Müllers  und  den  Arbeitslohn 
seiner  Leute  hinzurechnen;  im  Preise  des  Brotes  den 
Gewinn  des  Bäckers  und  den  Lohn  seiner  Leute;  und 
im  Preise  beider  die  Arbeit,  das  Getreide  von  dem 
Pächter  zum  Müller,  und  von  diesem  zum  Bäcker  zu 
schaffen,  so  wie  den  Gewinn  derer,  die  den  Lohn  für 
diese  Arbeit  vorschießen. 

Der  Flachspreis  löst  sich  in  die  nämlichen  drei 
Teile,  wie  der  Getreidepreis,  auf.  Im  Preise  der  Lein- 
wand muß  man  noch  den  Arbeitslohn  des  Zurichters, 
Spinners,  Webers,  Bleichers  u.  s.  w.  samt  den  Gewinnen 
ihrer  bezüglichen  Arbeitgeber  hinzurechnen. 

Je  mehr  ein  Stoff  veredelt  wird,  desto  größer  wird 
der  Teil  des  Preises,  der  sich  in  Arbeitslohn  und  Ge- 
winn auflöst,  im  Verhältnis  zu  dem  anderen  Teil,  der 
sich  in  Rente  auflöst.  Mit  jedem  neuen  Arbeitsprozeß 
wächst  nicht  nur  die  Zahl  der  Gewinne,  sondern  jeder 
folgende  Gewinn  ist  auch  größer,  als  der  vorhergehende, 
weil  das  Kapital,  woraus  er  fließt,  stets  größer  sein 
muß.  So  muß  z.  B.  das  Kapital,  welches  die  Weber 
beschäftigt,  größer  sein,  als  dasjenige,  das  die  Spinner 
beschäftigt,  weil  es  nicht  nur  das  let,ztere  samt  seinen 
Gewinnen  wieder  erstattet,  sondern  außerdem  auch 
den  Arbeitslohn  der  Weber  bezahlt;  und  der  Gewinn 
muß  stets  dem  Kapital  entsprechen. 

Auch  in  den  zivilisiertesten  Gesellschaften  gibt 
es  jedoch  einige  Waren,  deren  Preis  sich  nur  in  zwei 
Teile,  nämlich  in  den  Arbeitslohn  und  Kapitalgewinn, 
auflöst,  und  eine  noch  kleinere  Anzahl  von  Waren, 
deren  Preis  nur  im  Arbeitslohn  besteht.  Im  Preise 
der    Seefische    z.  B.    deckt    ein  Teil    die    Arbeit    der 


Kap.  VI.:  Die  Bestandteile  des  ^Warenpreises.  71 

Fischer,  und  der  andere  den  Gewinn  des  in  der 
Fischerei  angelegten  Kapitals.  Die  Rente  macht  sehr 
selten  einen  Teil  von  ihm  aus,  obwohl  es  zuweilen 
vorkommt,  wie  ich  später  zeigen  w^erde.  Anders  ver- 
hält es  sich,  wenigstens  im  größten  Teile  von  Europa, 
mit  der  Flußfischerei.  Für  den  Lachsfang  wird  eine 
Rente  bezahlt,  und  die  Rente,  obwohl  man  sie  nicht 
gut  Grundrente  nennen  kann,  macht  eben  so  wie 
Arbeitslohn  und  Gewinn  einen  Teil  des  Lachspreises 
aus.  In  einigen  Teilen  Schottlands  machen  einige 
arme  Leute  ein  Gewerbe  daraus,  längs  der  Meeres- 
küste jene  bunten  Steinchen  zu  sammeln,  welche 
unter  dem  Namen  der  schottischen  Kiesel  allgemein 
bekannt  sind.  Der  Preis,  welcher  ihnen  vom  Stein- 
schneider dafür  bezahlt  wird,  ist  lediglich  der  Lohn 
für  ihre  Arbeit;  weder  Rente  noch  Gewinn  machen 
einen  Teil  von  ihm  aus. 

Der  Gesamtpreis  jeder  AVare  muß  sich  jedoch 
schließlich  in  den  einen  oder  andern,  oder  in  alle  drei 
dieser  Teile  auflösen,  da  jeder  Teil  davon,  der  nach 
Bezahlung  der  Grundrente  und  des  Preises  der  ge- 
samten auf  Erzeugung,  Verarbeitung  und  Markttrans- 
port verwendeten  Arbeit  übrig  bleibt,  notwendig  der 
Gevv'inn  irgend  Jemandes  sein  muß. 

Wie  der  Preis  oder  Tauschwert  jeder  Ware,  für 
sich  genommen,  sich  in  den  einen  oder  andern,  oder 
in  alle  drei  jener  Bestandteile  auflöst,  so  muß  der  Go- 
samtpreis  aller  Waren,  die  das  ganze  Jahreserzeugnis 
der  Arbeit  eines  Landes  bilden,  sich  gleichfalls  in  jene 
drei  Teile  auflösen,  und  sich  unter  die  Bewohner  des 
Landes  als  Arbeitslohn,  Kapitalgewinn  oder  Grundrente 
verteilen.  Die  Gesamtheit  dessen,  was  jährlich  durch 
die  Arbeit  einer  Gesellschaft  gesammelt  oder  hervor- 
gebracht wird,   oder   (was   auf  dasselbe    hinauskommt) 


72    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

der  Gesamtpreis  dieses  Ganzen  wird  auf  diese  Art 
ursprünglich  unter  die  verschiedenen  Gesellschafts- 
giieder  verteilt.  Arbeitslohn,  Gewinn  und  Rente  sind 
die  drei  ursprünglichen  Quellen  alles  Einkommens  wie 
aller  Tauschwerte.  Jedes  andere  Einkommen  fließt 
zuletzt  aus  einer  oder  der  anderen  dieser  Quellen. 

Wer  sein  Einkommen  aus  einem  ihm  als  Eigentum 
zugehörigen  Fonds  bezieht,  muß  es  entweder  von  seiner 
Arbeit,  seinem  Kapital,  oder  seinem  Grund  und  Boden 
beziehen.  Das  aus  Arbeit  gezogene  Einkommen  wird 
Lohn  genannt.  Das  aus  der  Verwaltung  oder  Be- 
schäftigung von  Kapital  gezogene  Einkommen  heißt 
Gewinn.  Dasjenige  Einkommen  aus  Kapital  aber, 
welches  Jemand  bezieht,  der  das  Kapital  nicht  selbst 
verwendet,  sondern  einem  x\nderen  leiht,  heißt  Zins. 
Zins  ist  die  Vergütung,  die  der  Borger  dem  Darleiher 
für  den  Gewinn  zahlt,  den  er  durch  den  Gebrauch 
des  Geldes  machen  kann.  Ein  Teil  dieses  Gewinnes 
kommt  natürlich  dem  Borgenden  zu,  der  die  Gefahr 
und  die  Geschäftslast  übernimmt;  ein  Teil  aber  dem 
Darleiher,  der  jenem  die  Gelegenheit  gibt,  den  Gewinn 
zu  machen.  Der  Geldzins  ist  immer  ein  abgeleitetes 
Einkommen,  das,  wenn  es  nicht  aus  dem  durch  die 
Geldbenutzung  erzielten  Gewinn  gezahlt  wird,  aus 
irgend  einer  andern  Einkommensquelle  gezahlt  Averden 
muß,  wenn  anders  der  Boi'ger  nicht  ein  Verschwender 
ist,  der  eine  zweite  Schuld  macht,  um  die  Zinsen  der 
ersten  zu  bezahlen.  Das  Einkommen,  welches  ledio-- 
lieh  aus  Grund  und  Boden  gezogen  wird,  heißt  Rente, 
und  gehört  dem  Grundbesitzer.  Das  Einkommen  des 
Pächters  ist  teilweise  aus  seiner  Arbeit,  teilweise  aus 
seinem  Kapital  entnommen.  Für  ihn  ist  der  Boden 
nur  das  Mittel,  das  ihn  instand  setzt,  den  Lohn  dieser 
Arbeit  zu  ernten  und  Gewinn    aus  diesem  Kapital  zu 


Kap.  VI.:  Die  Bestandteile  des  Warenpreises.  73 

ziehen.  Alle  Steuern  und  alle  auf  diese  gegründeten 
Einkünfte,  alle  Besoldungen,  Ruhegehälter  und  Jahr- 
gelder jeder  Art  entstammen  schließlich  einer  oder 
der  anderen  jener  drei  ursprünglichen  Einkommens- 
quellen und  werden  unmittelbar  oder  mittelbar  vom 
Arbeitslohn,  vom  Kapitalgewinn  oder  von  der  Grund- 
rente gezahlt. 

Wenn  diese  drei  Arten  des  Einkommens  verschie- 
denen Personen  gehören,  so  lassen  sie  sich  leicht  unter- 
scheiden; gehören  sie  aber  einer  einzigen,  so  werden 
sie,  wenigstens  im  Sprachgebrauch,  zuweilen  mit  ein- 
ander zusammengeworfen. 

Ein  Mann,  der  einen  Teil  seines  Gutes  selbst  be- 
wii'tschaftet,  muß,  nach  Bezahlung  der  Wirtschafts- 
kosten, sowohl  die  Rente  des  Gutsbesitzers,  als  den 
Gewinn  des  Pächters  erhalten.  Allein  er  pflegt  seinen 
ganzen  Ertrag  Gewinn  zu  nennen,  und  wirft  so,  wenig- 
stens im  gewöhnlichen  Sprachgebrauch,  die  Rente  mit 
dem  Gewinn  zusammen.  Die  meisten  unserer  nordarae- 
rikanischen  und  westindischen  Pflanzer  sind  in  dieser 
Lage.  Sic  bewirtschaften  meistens  ihre  Güter  selbst, 
und  man  hört  daher  selten  etwas  von  der  Rente  einer 
Pflanzung,   wohl  aber  häufig  von  dem  Gewinn  aus  ihr. 

Gewöhnliche  Pächter  haben  selten  einen  Aufseher 
zur  Leitung  der  Wirtschaftsarbeiten.  Auch  arbeiten 
sie  in  der  Regel  vieles  selbst,  wie  pflügen,  eggen  u.s.w. 
Was  daher  nach  Zahlung  der  Rente  von  der  Ernte 
übrig  bleibt,  muß  ihnen  nicht  nur  ihr  auf  den  Anbau 
verwendetes  Kapital  samt  den  üblichen  Zinsen  wieder- 
erstatten, sondern  auch  den  Lohn  bezahlen,  welcher 
ihnen,  ebenso  als  Arbeitern,  wie  als  Aufsehern  zu- 
kommt. Indessen  heißt  Alles,  was  nach  Zahlung  der 
Rente  und  Erstattung  des  Kapitals  übrig  bleibt,  Gewinn. 
Offenbar  aber  bildet  der  Lohn  einen  Teil  davon.  Wenn 


74    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

der  Pächter  diesen  Lohn  spart,  muß  er  ihn  notwendig 
gewinnen.  Folglich  wird  in  diesem  Falle  der  Arbeits- 
lohn mit  dem  Gewinn  zusammengeworfen. 

Ein  unabhängiger  Gewerbtreibender,  der  Kapital 
genug  besitzt,  um  Eohstoffe  zu  kaufen  und  sich  so 
lange  zu  unterhalten,  bis  er  seine  Arbeit  zu  Markte 
bringen  kann,  muß  sowohl  den  Lohn  eines  Gesellen, 
der  unter  einem  Meister  arbeitet,  wie  den  vom  Meister 
durch  den  Verkauf  der  Arbeit  des  Gesellen  zu  er- 
zielenden Gewinn  herausschlagen.  Dennoch  wird  sein 
ganzer  Erwerb  gewöhnlich  Gewinn  genannt,  und  der 
Lohn  ist  auch  in  diesem  Falle  mit  dem  Gewinn  zu- 
sammengeworfen. 

Ein  Gärtner,  der  seinen  Garten  mit  eigner  Hand 
bestellt,  vereinigt  in  seiner  Person  den  dreifachen  Cha- 
rakter eines  Grundbesitzers,  Pächters  und  Arbeiters. 
Daher  müßte  ihm  sein  Produkt  die  Rente  des  ersten, 
den  Gewinn  des  zweiten  und  den  Lohn  des  dritten 
eintragen.  Indessen  wird  das  Ganze  gewöhnlich  als  sein 
Arbeitserwerb  angesehen.  Sowohl  Rente  als  Gewinn 
sind  in  diesem  Falle  mit  dem  Lohn  zusammengeworfen. 

Da  es  in  einem  zivilisierten  Lande  nur  wenige 
Waren  gibt,  deren  Tauschwert  allein  der  Arbeit  ent- 
stammt, da  Rente  und  Gewinn  zum  Tauschwei'te  der 
allermeisten  Waren  reichlich  beitragen,  so  wird  das 
jährliche  Erzeugnis  der  Arbeit  des  Landes  stets  hin- 
reichen, eine  viel  größere  Menge  Arbeit  zu  bezahlen, 
als  zur  Erzeugung  und  Zubereitung  jenes  Produkts 
sowie  zu  seinem  Transport  auf  den  Markt  aufgewendet 
wurde.  Wenn  die  Gesellschaft  jährlich  die  ganze 
Arbeit,  die  sie  zu  kaufen  imstande  ist,  verwendete,  so 
würde  ebensowohl  die  Arbeitsmenge  mit  jedem  Jahre 
mächtig  wachsen,  wie  das  Erzeugnis  jedes  folgenden 
Jahres    von    weit  größerem   Werte   sein,    als   das    des 


Kap.  VI.:  Die  Bestandteile  des  Warenpreises.  75 

vorhergehenden.  Aber  es  gibt  kein  Land,  in  dem 
das  ganze  Jahresprodukt  zum  Unterhalt  der  Ge- 
werbtätigen  verwendet  wird.  Überall  verzehren  die 
Müssigen  einen  großen  Teil  von  ihm;  und  je  nach 
den  verschiedenen  Verhältnissen,  in  denen  es  jährhch 
unter  diese  beiden  Volksklassen  verteilt  wird,  muß  sein 
gewöhnlicher  oder  durchschnittlicher  Wert  entweder  zu- 
oder  abnehmen,  oder  von  Jahr  zu  Jahr  gleich  bleiben. 


Siebentes    Kapitel. 

Der  natürliche  Preis  und  der  Marktpreis 
der  Waren. 

In  jeder  Gesellschaft  oder  Gegend  giebt  es  einen 
gewöhnlichen  oder  Dnrchschnittssatz  sowohl  des  Ar- 
beitslohns wie  des  Gewinns  in  allen  verschiedenen 
Verwendungen  der  Arbeit  und  dos  Kapitals.  Dieser 
Satz  wird,  wie  ich  später  zeigen  will,  auf  natürliche 
Weise  teils  durch  die  allgemeine  Lage  der  Gesellschaft, 
ihren  Reichtum  oder  ihre  Armut,  ihr  Fortschreiton, 
Stehenbleiben  oder  Zurückgehen,  und  teils  durch  die 
besondere  Natur  jedes  Geschäfts  bestimmt. 

Ebenso  giebt  es  in  jeder  Gesellschaft  oder  Gegend 
einen  gewöhnlichen  oder  Durchschnittssatz  der  Rente, 
welcher  gleichfalls,  wie  ich  später  zeigen  werde,  teils 
durch  die  allgemeine  Lage  der  Gesellschaft  oder 
Gegend,  in  der  der  Boden  gelegen  ist,  und  teils  durch 
die  natürliche  oder  durch  Kultur  hervorgebrachte 
Fruchtbarkeit  des  Bodens  bestimmt  wird. 

Diese  gewöhnlichen  oder  Durchschnittssätze  kann 
man  die  natürlichen  Sätze  des  Arbeitslohns,  des  Ge- 
winns und  der  Rente  nennen  zu  der  Zeit  und  an  dem 
Orte,  wo  sie  herrschen. 

Wenn  der  Preis  einer  Ware  weder  höher  noch 
niedriger  ist,  als  er  sein  muß,  um  die  Grundrente,  den 
Lohn  der  Arbeit  und  den  Gewinn  des  Kapitals,  die  auf 


Kap.VII.:  Der  natürliche  Preis  und  der  Marlctpreis  der  Waren.  77 

Erzeugung  und  Zubereitung  sowie  auf  den  Markttrans- 
port der  Ware  verwendet  wurden,  nach  ihrem  natür- 
lichen Satze  zu  bezahlen,  so  wird  die  Ware  für  den 
Preis  verkauft,  den  man  ihren  natürlichen  nennen  kann. 

Die  Ware  wird  dann  genau  für  das  verkauft,  was 
sie  wert  ist,  oder  was  sie  den,  der  sie  zu  Markte  bringt, 
wirklich  kostet;  denn  obgleich  im  gewöhnlichen  Sprach- 
gebrauch der  sogenannte  Einkaufspreis  einer  Ware 
nicht  den  Gewinn  des  Wiederverkäufers  mit  einschließt, 
so  ist  doch  dieser,  wenn  er  sie  zu  einem  Preise  ver- 
kauft, der  ihm  nicht  den  in  seiner  Gegend  gewöhn- 
lichen Gewinnsatz  gewährt,  offenbar  bei  dem  Handel 
im  Verlust,  da  er  durch  eine  andere  Verwendung 
seines  Kapitals  diesen  Gewinn  hätte  ziehen  können. 
Überdies  ist  sein  Gewinn  sein  Einkommen,  die  eigent- 
liche Quelle  seines  Unterhalts.  Während  er  die  Waren 
zubereitet  und  zu  Markte  bringt,  streckt  er  seinen 
Arbeitern  ihren  Lohn  oder  Unterhalt  vor,  und  ebenso 
legt  er  für  sich  selbst  den  Unterhalt  aus,  der  sich  ge- 
wöhnlich nach  dem  Gewinn  richtet,  den  er  vernünf- 
tiger Weise  vom  Verkaufe  seiner  Waren  erwarten 
kann.  Wenn  sie  ihm  nun  also  diesen  Gewinn  nicht 
einbringen,  so  erstatten  sie  ihm  nicht,  was  sie  ihn  im 
eigentlichen  Sinne  wirklich  gekostet  haben. 

Obgleich  nun  der  Preis,  der  ihm  diesen  Gewinn 
läßt,  nicht  immer  der  niedrigste  ist,  zu  dem  ein  Kauf- 
mann zuweilen  seine  Waren  verkaufen  kann,  so  ist 
er  doch  der  niedi-igste,  zu  dem  er  sie  wahrscheinlich 
lange  Zeit  hindurch  verkaufen  kann;  wenigstens  da, 
wo  vollkommene  Freiheit  herrscht,  oder  wo  er  sein 
Geschäft,  so  oft  es  ihm  beliebt,  wechseln  kann. 

Der  wirkliche  Preis,  zu  welchem  eine  Ware  ge- 
wöhnlich verkauft  wird,  heißt  ihr  Marktpreis.  Er 
kann  über  dem  natürlichen  Preise,  oder  unter  ihm 
stehen,  oder  ihm  völlig  gleich  sein. 


78    Ei"Stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Der  Marktpreis  einer  jeden  Ware  wird  durch  das 
Verhältnis  zwischen  der  Menge,  welche  wirklich  zu 
Markte  gebracht  wird,  und  der  Nachfrage  derer  be- 
stimmt, die  den  natürliclien  Preis  der  Ware,  d.  h.  den 
ganzen  Wert  der  Rente,  der  Arbeit  und  des  Gewinnes, 
die  bis  zu  ihrer  Feilbietung  erforderlich  waren,  zu 
zahlen  gewillt  sind.  Solche  Leute  kann  man  die  wirk- 
samen Nachfrager  und  ihre  Nachfrage  die  wirksame 
Nachfrage  nennen,  insofern  sie  hinreichend  sein  kann, 
um  zu  bewirken,  daß  eben  die  Ware  zu  Markte  kommt. 
Sie  ist  zu  unterscheiden  von  der  Nachfrage  an  sich. 
Auch  von  einem  ganz  armen  Manne  läßt  sich  in  ge- 
wissem Sinne  sagen,  er  habe  ein  Verlangen  nach 
Kutsche  und  Pferden;  er  möchte  sie  gern  haben; 
aber  sein  Verlangen  ist  keine  wirkliche  Nachfrage,  da 
ihr  Gegenstand  niemals  zu  Markte  gebracht  werden 
kann,  um  es  zu  befriedigen. 

Wenn  die  Menge  einer  Ware,  die  zu  Markte 
kommt,  hinter  der  wirksamen  Nachfrage  zurückbleibt, 
so  können  Alle  die,  die  den  ganzen  Wert  der  Rente, 
der  Löhne  und  Gewinne,  der  bis  zur  Feilbietung 
ausgelegt  werden  mußte,  zu  bezahlen  gewillt  sind, 
nicht  mit  der  Menge  versorgt  werden,  deren  sie  be- 
dürfen. Um  sie  nicht  gänzlich  zu  entbehren,  werden 
einige  unter  ihnen  bereit  sein,  mehr  zu  geben.  Sogleich 
beginnt  ein  Wettbewerb  unter  ihnen,  und  der  Markt- 
preis wird  mehr  oder  weniger  über  den  natürlichen 
Preis  steigen,  je  nach  dem  Grade  des  Bedürfnisses, 
oder  je  nachdem  die  Wohlhabenheit  und  der  begehr- 
liche Luxus  der  Konkurrenten  die  Hitze  des  Wettbewerbs 
mehr  oder  weniger  entflammt.  Unter  Konkurrenten  von 
gleicher  Wohlhabenheit  und  gleichem  Luxusbedarf 
wird  dasselbe  Verlangen  gewöhnlich  einen  mehr  oder 
weniger  eifrigen  Wettbewerb  hervorrufen,  je  nachdem 
die   Erwerbung   der  Ware  für   sie    eine   größere   oder 


Kap.  VIT.:  Der  natürliche  Preis  und  der  Marktpreis  der  Waren.  79 

geringere  Wichtigkeit  hat.  Hieraus  erklärt  sich  der 
übermäßige  Preis  der  Lebensmittel  während  einer  Be- 
lagerung oder  bei  einer  Hungersnot. 

Wenn  die  feilgebotene  Menge  die  wirksame  Nach- 
frage übersteigt,  so  kann  nicht  Alles  an  die  verkauft 
werden,  welche  den  ganzen  Wert  der  Rente,  des 
Lohnes  und  des  Gewinnes,  der  bis  zur  Feilbietung 
ausgelegt  werden  mußte,  zu  bezahlen  gewillt  sind.  Ein 
Teil  der  Ware  muß  an  solche  abgelassen  werden, 
welche  weniger  zahlen  wollen,  und  der  niedrige  Preis, 
den  sie  dafür  geben,  muß  den  Preis  des  Ganzen  er- 
mässigen.  Der  Marktpreis  wird  mehr  oder  weniger 
unter  den  natürlichen  Preis  sinken,  je  nachdem  der 
Umfang  des  Überflusses  die  Konkurrenz  dei'  Verkäufer 
mehr  oder  weniger  steigert  oder  je  nachdem  es  für  sie 
mehr  oder  minder  wichtig  ist,  die  Ware  auf  der  Stelle 
loszuwerden.  Der  gleiche  Uberschuf3  in  der  Zufuhr 
leicht  verderbender  Waren  (wie  z.  B.  Orangen)  wird 
eine  viel  größere  Konkurrenz  veranlassen,  als  der- 
jenige dauerhafter  Waren  (wie  z.  B.  alten  Eisens). 

Wenn  die  feilgebotene  Menge  gerade  hinreicht, 
um  die  wirksame  Nachfrage  zu  befriedigen,  und  nicht 
mehr,  so  wird  der  Marktpreis  natürlich  entweder  genau 
oder-  doch  annähernd  dem  natürlichen  Preise  gleich- 
kommen. Die  ganze  vorhandene  Menge  kann  zu  diesem 
Preise  abgesetzt  werden,  aber  auch  nicht  zu  einem 
höheren.  Der  Wettbewerb  der  Verkäufer  zwingt  sie 
alle,  diesen  Preis  anzunehmen,  zwingt  sie  aber  nicht, 
auf  einen  geringeren  einzugehen. 

Die  Menge  jeder  zu  Markt  gebrachten  Ware 
richtet  sich  naturgemäß  nach  der  wirksamen  Nachfrage. 
Im  Interesse  aller  derer,  welche  ihren  Grund  und 
Boden,  ihie  Arbeit  oder  ihr  Kapital  anwenden,  um 
eine  Ware  auf  den  Markt  zu  biingon,  liegt  es,  daß 
die  Menge  niemals  die  wirksame  Nachfrage  übersteigt; 


80    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  im  Interesse  aller  andern  Leute  liegt  es,  daß  sie 
niemals  hinter  dieser  Nachfrage  zurückbleibt. 

Wenn  sie  irgend  einmal  die  wirksame  Nachfrage 
übersteigt,  so  müssen  gewisse  Bestandteile  ihres  Preises 
unter  ihrem  natürlichen  Satze  bezahlt  werden.  Betrifft 
dies  die  Rente,  so  wird  das  Interesse  der  Grundbe- 
sitzer diese  sogleich  veranlassen,  einen  Teil  ihres  Bodens 
anders  zu  verwenden;  betrifft  es  den  Arbeitslohn  oder 
den  Gewinn,  so  wird  das  Interesse  der  Arbeiter  in 
dem  einen  und  das  ihrer  Arbeitgeber  im  andern  Falle 
sie  bewegen,  einen  Teil  ihrer  Arbeit  oder  ihres 
Kapitals  dieser  Yerwendungsart  zu  entziehen.  Dann 
wird  die  feilgebotene  Menge  bald  nur  noch  hinreichend 
sein,  um  die  wirksame  Nachfrage  zu  befriedigen.  Alle 
Teile  des  Warenpreises  werden  auf  ihren  natürlichen 
Satz,  und  der  ganze  Preis  auf  den  natürlichen  Preis 
der  Ware  steigen. 

Wenn  dagegen  die  feilgebotene  Menge  irgend  ein- 
mal hinter  der  wirksamen  Nachfrage  zurückbleibt,  so 
müssen  einige  Bestandteile  ihres  Preises  über  ihren 
natürlichen  Satz  steigen.  Betrifft  dies  die  Rente,  so 
wird  das  Interesse  aller  übrigen  Grundbesitzer  sie 
naturgemäß  bestimmen,  mehr  Land  auf  die  Erzeugung 
dieser  Ware  zu  verwenden;  betrifft  es  den  Arbeitslohn 
oder  den  Gewinn,  so  wird  das  Interesse  aller  übrigen 
Arbeiter  und  Geschäftsleute  sie  veranlassen,  mehr 
Arbeit  und  Kapital  auf  die  Herstellung  der  Ware  und 
auf  ihren  Transport  nach  dem  Markte  zu  verwenden. 
Dann  wird  die  herbeigeschaffte  Menge  bald  hin- 
reichend sein,  die  wirksame  Nachfrage  zu  befriedigen. 
Alle  Teile  ihres  Preises  werden  bald  auf  ihren  natür- 
lichen Satz,  und  der  ganze  Preis  auf  den  natürlichen 
Preis  der  Ware  sinken. 

Der  natürliche  Preis  ist  daher,  so  zu  sagen,  der 
Zentralpreis,  gegen  den  die  Preise  aller  Waren  beständig 


Kap.  YII.:  Der  natürliche  Preis  und  der  Marktpreis  der  Waren.  Si 

gravitieren.  Mancherlei  Zufälle  können  sie  zuweilen 
ein  gut  Teil  über  ihm  erhalten,  und  sie  zuweilen  sogar 
etwas  unter  ihn  herabdrücken.  Welche  Hindernisse 
sie  aber  auch  abhalten  mögen,  sich  in  diesem  Mittel- 
punkte der  Ruhe  und  Beständigkeit  festzusetzen,  so 
streben  sie  doch  beständig  ihm  zu. 

Die  ganze  Menge  der  jährlich  darauf  verwendeten 
Bemühungen,  eine  Ware  auf  den  Markt  zu  bringen, 
richtet  sich  auf  diese  Weise  naturgemäß  nach  der 
wirksamen  Nachfrage.  Der  G-ewerbfleiß  strebt  natur- 
gemäß immer  genau  die  Menge  herbeizuschaffen,  die 
die  wirksame  Nachfrage  zu  befriedigen,  aber  nur  eben 
zu  befriedigen,  hinreicht. 

In  manchen  Gewerben  bringt  jedoch  die  gleiche 
Menge  Arbeit  in  verschiedenen  Jahren  sehr  verschie- 
dene Warenmengen  hervor,  während  sie  in  anderen 
stets  die  gleiche  oder  beinahe  die  gleiche  Menge  her- 
vorbringt. Die  gleiche  Zahl  landwirtschaftlicher  Arbeiter 
wird  in  verschiedenen  Jahren  sehr  verschiedene  Mengen 
Getreide,  Wein,  Ol,  Hopfen  u.  s.  w.  hervorbringen,  die 
gleiche  Zahl  Spinner  und  Weber  hingegen  jedes  Jahr 
die  nämliche  oder  beinahe  die  nämliche  Menge  Leinen- 
und  Wollenstoffe.  Bei  der  einen  Art  Gewerbe  kann  nur 
die  durchschnittliche  Erzeugung  sich  der  wirksamen 
Nachfrage  einigermaßen  anpassen,  und  da  ihre  wirk- 
liche Erzeugung  oft  viel  größer,  oft  viel  geringer  ist, 
als  die  durchschnittliche,  so  wird  entweder  die  Menge 
der  zu  Markt  gebrachten  Waren  die  wirksame  Nach- 
frage um  ein  gut  Teil  übersteigen,  oder  in  andern 
Fällen  erheblich  hinter  ihr  zurückbleiben.  Sollte  daher 
auch  jene  Naclifrage  immer  die  nämliche  bleiben,  so 
wird  dennoch  ihr  Marktpreis  großen  Schwankungen 
unterworfen  sein,  und  bald  erheblich  unter  ihren  natür- 
lichen Preis  fallen,  bald  erheblich  über  ihn  steigen. 
Bei  der  andern  Art  Gewerbe  kann  die  Erzeugung,  da 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  O 


82  Ei"stes  Blich:  Zunahme  in   der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

das  Produkt  gleicher  Arbeitsmengen  immer  das  näm- 
liche oder  beinahe  das  nämliche  ist,  der  wirksamen 
Nachfrage  genauer  angepaßt  werden.  So  lange  daher 
diese  Nachfrage  die  gleiche  bleibt,  wird  auch  wahr- 
scheinlich der  Marktpreis  der  Waren  sich  gleich  bleiben, 
und  entweder  völlig  oder  nahezu  der  gleiche  sein,  wie 
der  natürliche  Preis.  Daß  der  Preis  der  Leinen-  und 
Wollenzeuge  weder  so  häufigen  noch  so  großen  Ver- 
änderungen unterworfen  ist,  wie  der  Getreidepreis,  be- 
stätigt die  tägliche  Erfahrung.  Der  Preis  der  einen  Art 
Waren  ändert  sich  nur  mit  den  Veränderungen  in  der 
Nachfrage,  der  der  andern  Art  schwankt  nicht  allein 
mit  den  Veränderungen  in  der  Nachfrage,  sondern  auch 
mit  den  weit  größeren  und  häufigeren  Veränderungen 
in  der  Menge  dessen,  was  zur  Befriedigung  der  Nach- 
frage auf  den  Markt  gebracht  wird. 

Die  gelegentlichen  und  zeitweiligen  Schwankungen 
im  Marktpreise  einer  Ware  fallen  hauptsächlich  auf  die- 
jenigen Teile  ihres  Preises,  die  sich  in  Arbeitslohn 
und  Gewinn  auflösen.  Der  in  die  Rente  sich  auflösende 
Teil  wird  weniger  davon  betroffen.  Eine  in  Geld  fest- 
gesetzte Rente  wird  davon  weder  in  ihi-em  Satz,  noch 
in  ihrem  Werte  auch  nur  im  Mindesten  berührt.  Eine 
Rente,  welche  in  einem  bestimmten  Teile  oder  einer 
bestimmten  Menge  des  Rohprodukts  besteht,  wird  durch 
alle  gelegentlichen  und  zeitweiligen  Schwankungen  im 
Marktpreise  dieses  Rohproduktes  ohne  Zweifel  in  ihrem 
jährlichen  Werte,  selten  aber  in  ihrem  jährlichen  Satze 
berührt.  Bei  Festsetzung  der  Pachtbedingungen  be- 
mühen sich  der  Grundbesitzer  und  Pächter  nach  bestem 
Ermessen  diesen  Satz  nicht  nach  dem  zeitweiligen  und 
gelegentlichen,  sondern  nach  dem  durchschnittlichen 
und  gewöhnlichen  Preise  des  Erzeugnisses  festzusetzen. 

Solche  Schwankungen  treffen  den  Wert  wie  den 
Satz  sowohl  des  Arbeitslohns  als  auch  des  Gewinns,  je 


Kap.  VII.:  Der  natürliclie  Preis  und  der  Marktpreis  der  Waren.  83 

nachdem  der  Markt  gerade  mit  Waren  oder  mit  Arbeit, 
mit  geleisteter  oder  noch  zu  leistender  Arbeit  überführt, 
oder  unzulänglich  versorgt  ist.  Eine  allgemeine  Landes- 
trauer treibt  den  Preis  schwarzer  Zeuge,  mit  denen  der 
Markt  bei  solchen  Gelegenheiten  niemals  zureichend 
versorgt  ist,  in  die  Höhe,  und  steigert  die  Gewinne  der 
Kaufleute,  die  eine  beträchtliche  Menge  davon  besitzen. 
Sie  hat  aber  keinen  Einfluß  auf  den  Arbeitslohn  der 
Weber.  Der  Markt  leidet  Mangel  an  Waren,  nicht  an 
Arbeit :  an  schon  geleisteter,  nicht  an  erst  zu  leistender 
Arbeit.  Sie  steigert  dagegen  den  Arbeitslohn  der 
Schneidergesellen.  Hier  ist  der  Markt  mit  Arbeit  un- 
zulänglich versorgt,  und  es  ist  eine  wirksame  Nachfrage 
nach  mehr  Arbeit,  nach  erst  noch  zu  leistender  Arbeit 
vorhanden.  Den  Preis  farbiger  Seiden-  und  Wollen- 
zeuge erniedrigt  die  Trauer  und  schmälert  hierdurch 
die  Gewinne  der  Kaufleute,  die  davon  eine  ansehnliche 
Menge  vorrätig  haben.  Gleicherweise  erniedrigt  sie 
auch  die  Löhne  der  Arbeiter,  die  mit  Anfertigung 
solcher  Waren,  für  die  auf  sechs,  vielleicht  auf  zwölf 
Monate  alle  Nachfrage  aufhört,  beschäftigt  sind.  Hier  ist 
der  Markt  ebenso  mit  Waren  wie  mit  Arbeit  überführt. 

Obgleich  aber  der  Marktpreis  jeder  Ware  auf  diese 
Art  beständig  gegen  den  natürlichen  Preis  gravitiert, 
so  können  doch  bald  besondere  Umstände,  bald  natür- 
liche Ursachen,  bald  polizeiliche  Anordnungen  den 
Marktpreis  vieler  Waren  lange  Zeit  hindurch  erheblich 
über  dem  natürlichen  Preise  erhalten. 

Wenn  durch  ein  Anwachsen  der  wirksamen  Nach- 
frage der  Marktpreis  einer  Ware  beträchtlich  über  den 
natürlichen  Preis  steigt,  so  sind  die,  welche  ihre  Kapi- 
talien in  dem  bezüglichen  Geschäft  angelegt  haben,  ge- 
wöhnlich bemüht,  diese  Veränderung  zu  verheimlichen. 
Würde  sie  aligemein  bekannt,  so  würde  ihr  großer 
Nutzen  so  viele  neue  Mitwerber  reizen,  ihre  Kapitalien 

6* 


84    Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

in  gleicher  Weise  anzulegen,  daß  die  wirksame  Nach- 
frage vollkommen  befriedigt  und  der  Marktpreis  bald 
auf  den  natürlichen  Preis,  ja  vielleicht  eine  Zeit  lang 
selbst  unter  ihn  zurückgeführt  werden  würde.  Wenn 
der  Markt  weit  von  dem  Wohnorte  derer,  die  ihn 
versorgen,  entfernt  ist,  so  können  sie  manchmal  das 
Geheimnis  Jahre  lang  bewahren,  und  so  lange  Zeit 
ihre  außerordentlichen  Gewinne  ohne  alle  neue  Mit- 
werber genießen.  Allein  selten  können  solche  Geheim- 
nisse lange  bewahrt  werden,  und  der  außergewöhnliche 
Gewinn  kann  nicht  viel  länger  dauern,  als  das  Ge- 
heimnis bewahrt  wird. 

Fabrikgeheimnisse  lassen  sich  länger  bewahren  als 
Handelsgeheimnisse.  Ein  Färber,  der  ein  Verfahren 
entdeckt  hat,  eine  gewisse  Farbe  mit  halb  so  teuren 
Materialien  als  den  gewöhnlich  gebrauchten  herzu- 
stellen, kann  bei  gehöriger  Vorsicht  den  Vorteil  seiner 
Entdeckung  sein  ganzes  Leben  lang  genießen,  ja  ihn 
als  ein  Vermächtnis  seinen  Nachkommen  hinterlassen. 
Seine  außergewöhnlichen  Gewinne  entspringen  aus 
dem  hohen  Preise,  der  für  seine  geheim  betriebene 
Arbeit  gezahlt  wird.  Sie  bestehen  eigentlich  ganz  in 
dem  hohen  Lohn  dieser  Arbeit.  Da  sie  sich  jedoch 
auf  jeden  Teil  seines  Kapitals  wiederholen,  und  da 
ihr  Gesamtbetrag  sonach  in  einem  regelrechten  Ver- 
hältnis dazu  steht,  so  werden  sie  in  der  Regel  als 
außergewöhnlicher  Kapitalgewinn  betrachtet. 

Solche  Erhöhungen  des  Marktpreises  sind  offenbar 
Wirkungen  besonderer  Umstände,  deren  Einfluß  jedoch 
bisweilen  viele  Jahre  dauern  kann. 

Manche  Naturprodukte  erfordern  eine  so  eigen- 
tümliche Beschaffenheit  des  Bodens  und  der  Lage,  daß 
aller  Grund  und  Boden  in  einem  großen  Lande,  der  zu 
ihrer  Hervorbringung  geeignet  ist,  nicht  hinreicht,  um 
die  wirksame  Nachfrage  zu  befriedigen.  Daher  kann 
die   ganze   zu  Markt  gebrachte  Menge   an  Käufer   ab- 


Kap.  VII.:  Der  natürliche  Preis  uiTd  der  Marktpreis  der  Waren.  Ho 

gesetzt  werden,  die  mehr  zu  geben  geneigt  sind,  als  zur 
Bezahlung  der  Rente  des  Landes,  auf  dem  sie  gezogen 
sind,  sowie  des  Arbeitslohns  und  des  Kapitalgewinns 
ihren  natürlichen  Sätzen  entsprechend  hinreichend  wäre. 
Solche  "Waren  können  ganze  Jahrhunderte  hinduroh  zu 
diesem  hohen  Preise  verkauft  werden,  und  der  Teil 
davon,  welcher  sich  in  die  Grundrente  auflöst,  ist  in 
diesem  Falle  der  Teil,  welcher  im  Allgemeinen  über 
seinen  natürlichen  Satz  bezahlt  wird.  Die  Rente  des 
Bodens,  der  so  seltene  und  geschätzte  Produkte  her- 
vorbringt, wie  z.  B.  die  Rente  einiger  französischer 
Weinberge  von  besonders  glücklicher  Bodenbeschaffen- 
heit und  Lage,  steht  zu  der  Rente  anderen  gleich  frucht- 
baren und  gut  angebauten  Bodens  der  Umgegend  in 
keinem  geregelten  Verhältnis.  Dagegen  übersteigen 
die  Löhne  der  Arbeit  und  die  Gewinne  des  Kapitals, 
die  auf  die  Erzeugung  und  Herbeischaffung  verwendet 
wurden,  selten  das  natürliche  Verhältnis  zum  Lohn 
und  Gewinn  der  anderen  Aufwendungen  von  Arbeit 
und  Kapital  in  ihrer  Umgegend. 

Solche  Erhöhungen  des  Marktpreises  sind  offenbar 
Wirkungen  natürlicher  Ursachen,  welche  es  verhindern 
können,  daß  der  wirksamen  Nachfrage  stets  völlig 
genügt  werde,  und  welche  deshalb  auch  dauernd  fort- 
wirken können. 

Ein  einem  Einzelnen,  oder  einer  Handelsgesell- 
schaft verliehenes  Monopol  hat  die  nämliche  Wirkung, 
wie  ein  Handels-  oder  Fabrikgeheimnis.  Indem  die  Mo- 
nopolisten den  Markt  nie  vollständig  versorgen  und  die 
wirksame  Nachfrage  nie  völlig  befriedigen,  verkaufen 
sie  ihre  Waren  weit  über  dem  natürlichen  Preise,  und 
steigern  ihre  Vorteile,  ob  sie  nun  in  Arbeitslohn  oder 
Gewinn  bestehen,    weit    über   ihren   natürlichen   Satz. 

Der  Monopolpreis  ist  jederzeit  der  höchste,  der  zu 
erreichen  ist.  Der  natürliche  Preis,  oder  der  Preis  des 
freien  Wettbewerbs  hingegen  ist  der  niedrigste,  der  sich 


86    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

zwar  nicht  jedesmal,  aber  doch  im  Durchschnitt  einer 
längeren  Zeit  erzielen  läßt.  Der  erstere  ist  jedesmal 
der  höchste,  der  von  den  Käufern  erpreßt  werden 
kann,  oder  den  sie  mutmaßlich  bewilligen  werden;  der 
andere  ist  der  niedrigste,  mit  dem  die  Verkäufer  im 
Allgemeinen  auskommen  können,  ohne  ihr  Geschäft 
einstellen  zu  müssen. 

Die  ausschließlichen  Piivilegien  von  Korporationen, 
die  Bestimmungen  über  das  Lehrverhältnis  und  alle  die 
Gesetze,  welche  in  gewissen  Gewerben  den  Wettbewerb 
auf  eine  geringere  Anzahl  Mitwerber  beschränken,  als 
sonst  auftreten  würden,  haben,  wenn  auch  in  minderem 
Grade,  die  nämliche  Neigung.  Sie  sind  eine  Art  aus- 
gedehnter Monopole  und  können  oft  Menschenalter 
hindurch  in  ganzen  Klassen  von  Gewerben  den  Markt- 
preis einer  Ware  über  dem  natürlichen  Preise  erhalten, 
und  sowohl  den  Arbeitslohn  als  den  Kapitalgewinn 
etwas  über  ihren  natürlichen  Satz  steigern. 

Solche  Erhöhungen  des  Marktpreises  können  so 
lange  dauern,  als  die  Verwaltungsmaßregeln,  durch 
die  sie  veranlaßt  werden,  aufrecht  erhalten  bleiben. 

Der  Marktpreis  einer  Ware  kann  sich  zwar  lange 
überdem  natürlichen  Preise  halten,  aber  selten  lange  unter 
ihm  stehen.  Welcher  Teil  auch  unter  dem  natürlichen 
Satze  bezahlt  würde,  die  dabei  interessierten  Personen 
würden  doch  immer  den  Verlust  sogleich  fühlen,  und  so 
viel  Land,  Arbeit  oder  Kapital  aus  dem  Betriebe  zurück- 
ziehen, daß  die  zu  Markt  gebrachte  Ware  bald  nur 
noch  hinreichen  würde,  die  wirksame  Nachfrage  zu 
befriedigen.  Mithin  würde  ihr  Marktpreis  bald  auf 
den  natürlichen  Preis  steigen.  Wenigstens  träte  dieser 
Fall  da  ein,  wo  vollkommene  Freiheit  herrscht. 

DieselbenBestiramungen  über  das  Lehrlingsverhält- 
nis und  die  anderen  Zunftgesetze,  welche  den  Arbeiter, 
so  lange  ein  Gewerbszweig  blüht,  instand  setzen,  seinen 


Kap.  VII.:  Der  natürliche  Treis  und  der  Marktpreis  der  Waren.  87 

Arbeitslohn  weit  übor  den  natürlichen  Satz  zu  steigern, 
nötigen  ihn  übrigens  zuweilen  auch,  wenn  das  Gewerbe 
in  Verfall  gerät,  den  Lohn  weit  unter  jenen  Satz  fallen 
zu  lassen.  Wie  sie  im  ersteren  Falle  viele  Leute  von 
seinem  Gewerbe  ausschließen,  so  schließen  sie  im 
letzteren  ihn  von  vielen  anderen  Gewerben  aus.  Doch 
ist  die  Wirkung  solcher  Verordnungen  nicht  enfernt  so 
andauernd  auf  die  Herabsetzung  als  auf  die  Steigerung 
des  Arbeitslohns  über  seinen  natürlichen  Satz.  In  der 
ersteren  Richtung  kann  ihr  Einfluß  Jahrhunderte 
dauern,  in  der  anderen  aber  nicht  länger,  als  das  Leben 
der  Arbeiter  währt,  welche  zu  dem  Geschäfte  in  der 
Zeit  seiner  Blüte  erzogen  wurden.  Sind  sie  gestorben, 
so  wird  sich  die  Zahl  derer,  die  später  für  dies  Gewerbe 
erzogen  werden,  naturgemäß  nach  der  wirksamen  Nach- 
frage richten.  Die  Verwaltung  müßte  so  t3a-annisch  sein, 
wie  in  Hindostan  oder  im  alten  Ägypten,  wo  Jedermann 
durch  religiöse  Vorschriften  gezwungen  war,  das  Ge- 
schäft seines  Vaters  zu  betreiben  und  wo  es  für  den 
schrecklichsten  Frevel  galt,  es  mit  einem  andern  zu  ver- 
tauschen, wenn  sie  in  einem  Gewerbe  mehrere  Genera- 
tionen hindurch  den  Arbeitslohn  oder  denKapitalgewinn 
unter  ihrem  natürlichen  Satze  sollte  erhalten  können. 

Dies  ist  Alles,  was  ich  vorläufig  über  die  gelegent- 
lichen oder  dauernden  Abweichungen  des  Marktpreises 
der  Waren  vom  natürlichen  Preise  bemerken  zu 
müssen  glaubte. 

Der  natürliche  Preis  selbst  schwankt  mit  dem 
natürlichen  Satze  jedes  seiner  Bestandteile,  des  Arbeits- 
lohnes, des  Gewinnes  und  der  Rente;  und  in  jeder 
Gesellschaft  schwankt  dieser  Satz  je  nach  ihrer  Lage, 
ihrem  Reichtum  oder  ihrer  Armut,  ihrem  Fortschritt, 
Stillstande  oder  Rückgange.  Die  Ursachen  dieser  ver- 
schiedenen Schwankungen  werde  ich  so  vollständig 
und  deutlich,  als  ich  es  vermag,  in  den  vier  folgenden 
Kapiteln  behandeln. 


88    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Erstens  werde  ich  auseinanderzusetzen  suchen, 
welche  Umstände  naturgemäß  den  Satz  des  Arbeits- 
lohns bestimmen,  und  in  welcher  Art  diese  Umstände 
durch  den  Eeichtum  oder  die  Armut,  durch  das  Fort- 
schreiten, den  Stillstand  oder  den  Rückgang  der  Ge- 
sellschaft berührt  werden. 

Zweitens  werde  ich  mich  zu  zeigen  bemühen, 
welche  Umstände  naturgemäß  den  Satz  des  Kapital- 
gewinnes bestimmen,  und  in  welcher  Art  auch  diese 
Umstände  durch  die  gleichen  Veränderungen  im  Zu- 
stande der  Gesellschaft  berührt  werden. 

Obgleich  der  Geldlohn  und  Geldgewinn  in  den 
verschiedenen  Verwendungen  von  Arbeit  und  Kapital 
sehr  verschieden  sind,  so  scheint  doch  gewöhnlich  so- 
wohl zwischen  den  Löhnen  in  allen  verschiedenen  Ver- 
wendungen von  Arbeit,  wie  zwischen  den  Gewinnen 
in  allen  verschiedenen  Verwendungen  von  Kapital  ein 
gewisses  Verhältnis  stattzufinden.  Dies  Verhältnis 
hängt,  wie  sich  später  zeigen  wird,  teils  von  der  Natur 
der  verschiedenen  Anlagen,  teils  von  den  verschiedenen 
Gesetzen  und  der  Politik  der  Gesellschaft  ab,  in  der 
sie  gemacht  werden.  Wenn  dies  Verhältnis  aber  auch 
in  vieler  Beziehung  von  den  Gesetzen  und  der  Politik 
abhängig  ist,  so  scheint  es  doch  wenig  vom  Reichtum 
oder  der  Armut  jener  Gesellschaft,  von  ihrem  Fort- 
schreiten, Stillstande  oder  Rückgange  berührt  zu 
werden,  sondern  in  allen  diesen  Zuständen  das  näm- 
liche oder  beinahe  das  nämliche  zu  bleiben.  Ich  werde 
drittens  alle  die  verschiedenen  Umstände,  die  dies 
Verhältnis  regeln,  darzulegen  suchen. 

Viertens  und  letztens  werde  ich  zu  zeigen  suchen, 
welche  Umstände  die  Grundrente  regeln  und  den  Sach- 
preis aller  der  Stoffe,  welche  das  Land  erzeugt,  er- 
höhen oder  erniedrigen. 


Achtes   Kapitel. 
Der   Arbeitslohn. 

Das  Produkt  der  Arbeit  bildet  die  natürliche 
Vergütung  oder  den  Lohn  der  Arbeit. 

In  jenem  ursprünglichen  Zustande,  der  sowohl  der 
Bodenaneignung  wie  der  Kapitalienansammlung  vor- 
hergeht, gehört  das  ganze  Arbeitsprodukt  dem  Arbeiter. 
Er  hat  weder  mit  einem  Grundbesitzer,  noch  mit  einem 
Meister  zu  teilen. 

Hätte  dieser  Zustand  fortgedauert,  so  würde  der 
Lohn  der  Arbeit  mit  all  den  Steigerungen  ihrer  pro- 
duktiven Kräfte,  welche  durch  die  Arbeitsteilung  her- 
beigeführt werden,  zugleich  gewachsen  sein.  Alle  Dinge 
würden  nach  und  nach  wohlfeiler  geworden  sein.  Sie 
würden  durch  eine  geringere  Menge  Arbeit  hervoi'ge- 
bracht,  und,  da  bei  diesem  Zustande  die  durch  gleiche 
Arbeitsmengen  hervorgebrachten  Waren  natürlich  gegen 
einander  ausgetauscht  würden,  auch  mit  dem  Erzeugnis 
einer  kleineren  Arbeitsmenge  gekauft  worden  sein. 

Obschon  aber  in  Wirklichkeit  alle  Dinge  wohlfeiler 
geworden  wären,  so  könnten  doch  dem  Anscheine  nach 
viele  teurer  als  zuvor,  oder  gegen  eine  größere  Menge 
anderer  Waren  vertauschbar  geworden  sein.  Man  nehme 
z.  B.  au,  daß  in  den  meisten  Gewerben  die  Produktiv- 
kraft der  Arbeit  um  das  Zehnfache  gewachsen  wäre,  oder 
daß  eines  Tages  Arbeit  zehnmal  mehr  als  im  Anfange 


90    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

hervorbringen  könnte,  daß  aber  in  einem  einzelnen 
Gewerbe  sich  jene  Produktivkraft  nur  verdoppelt  hätte, 
oder  eines  Tages  Arbeit  nur  zweimal  so  viel  als  früher 
hervorbringen  könnte.  Beim  Tausch  des  Produkts 
eines  Tagewerks  in  den  meisten  Grewerben  gegen  das 
Produkt  eines  Tagewerks  in  diesem  einzelnen  Gewerbe 
würde  also  das  Zehnfache  der  ursprünglichen  Arbeits- 
menge in  jenen,  aber  nur  das  Doppelte  der  ursprüng- 
lichen Menge  in  diesem  kaufen  können.  Eine  bestimmte 
Menge  davon,  z.  B.  ein  Pfund,  würde  mithin  fünfmal 
teurer  als  früher  zu  sein  scheinen.  In  Wirklichkeit  wäre 
sie  zweimal  so  wohlfeil.  Denn  obwohl  ihr  Ankauf  eine 
fünfmal  so  große  Menge  andrer  Waren  erheischt,  er- 
fordert doch  ihre  Hervorbringung  oder  ihr  Kauf  nur 
eine  halb  so  große  Menge  Arbeit.  Ihre  Erwerbung 
wäre  mithin  doppelt  so  leicht  als  früher. 

Allein  dieser  ursprüngliche  Zustand,  in  welchem 
der  Arbeiter  das  ganze  Produkt  seiner  Arbeit  genoß, 
konnte  nicht  länger  dauern,  als  bis  die  Bodenaneignung 
und  Kapitalienansammlung  eingetreten  waren.  Er  war 
daher  auch  längst  zu  Ende,  ehe  die  bedeutendsten 
Steigerungen  in  den  Produktivkräften  der  Arbeit  ein- 
traten, und  es  wäre  nutzlos,  weiter  nachzuforschen, 
welchen  Einfluß  er  auf  die  Vergütung  oder  den  Lohn 
der  Arbeit  gehabt  haben  würde. 

Sobald  der  Boden  Privateigentum  wird,  fordert 
der  Grundbesitzer  einen  Teil  von  fast  allen  Erzeug- 
nissen, die  der  Arbeiter  auf  ihm  hervorbringen  oder 
sammeln  kann.  Seine  Rente  bildet  den  ersten  Abzug 
von  dem  Erzeugnis  der  auf  den  Boden  verwendeten 
Arbeit. 

Es  kommt  selten  vor,  daß  derjenige,  der  das  Land 
bestellt,  die  Mittel  hat,  sich  bis  zur  Zeit  der  Ernte  zu 
erhalten.  Sein  Unterhalt  wird  ihm  gewöhnlich  aus  dem 
Kapital  eines  Herrn,  des  Pächters,  der  ihn  beschäftigt, 


Kap.  VIII.:  Der  Arbeitslohn.  91 

vorgeschossen,  der  kein  Interesse  haben  würde,  ihn  zu 
beschäftigen,  wenn  er  nicht  von  dem  Erzeugnis  seiner 
Arbeit  einen  Anteil  erhielte,  oder  wenn  sein  Kapital 
ihm  nicht  mit  Gewinn  zurückerstattet  würde.  Dieser 
(Tcwinn  bildet  einen  zweiten  Abzug  von  dem  Er- 
zeugnis der  auf  den  Boden  verwendeten  Arbeit. 

Das  Erzeugnis  fast  aller  anderen  Arbeit  ist  dem 
gleichen  Gewinnabzuge  unterworfen.  In  allen  Hand- 
werken und  Fabriken  bedarf  der  größere  Teil  der 
Arbeiter  Jemandes,  der  ihnen  das  Arbeitsmaterial, 
ihren  Lohn  und  ihren  Unterhalt  bis  zur  Vollendung 
ihrer  Arbeit  vorschießt.  Er  fordert  von  dem  Erzeugnis 
ihrer  Arbeit  oder  von  dem  Werte,  den  diese  dem 
Material  hinzufügt,  einen  Anteil,  und  in  diesem  Anteil 
besteht  sein  Gewinn. 

Manchmal  kommt  es  freilich  vor,  daß  ein  einzelner 
unabhängiger  Arbeiter  genügend  Kapital  besitzt,  um 
selbst  die  Rohstoffe  zu  kaufen  und  sich  bis  zur  Voll- 
endung der  Arbeit  zu  unterhalten.  Dann  ist  er  Meister 
und  Arbeiter  zugleich,  und  genießt  das  ganze  Produkt 
seiner  Arbeit,  oder  den  ganzen  Wert,  welchen  diese 
dem 'Rohstoffe  hinzufügt.  Dies  umfaßt  zweierlei  ge- 
wöhnlich getrennt  erscheinende,  zwei  verschiedenen 
Personen  gehörende  Einkommensarten,  nämlich  den 
Kapitalgewinn  und  den  Arbeitslohn. 

Indeß  sind  solche  Fälle  nicht  sehr  häufig,  und  in 
allen  Teilen  Europas  dienen  zwanzig  Arbeiter  unter  einem 
Meistei'  gegen  einen,  der  unabhängig  ist,  und  der  Arbeits- 
lohn wird  überall  als  das  verstanden,  was  er  gewöhn- 
lich ist,  wenn  der  Arbeiter  die  eine  und  der  Kapital- 
besitzer,   der  ihn  beschäftigt,    eine   andere   Person    ist. 

Der  gebräuchliche  Arbeitslohn  hängt  überall  von 
dem  zwischen  jenen  beiden  Parteien,  deren  Interessen 
keineswegs  die  nämlichen  sind,  gewöhnlich  geschlossenen 
Vertrage  ab.  Die  Arbeiter  wollen  so  viel  als  möglich  er- 


92    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

halten,  die  Meister  so  wenig  als  möglich  geben.  Die 
ersteren  sind  zu  Koalitionen  geneigt,  um  den  Arbeitslohn 
hinaufzutreiben,  die  letzteren,  um  ihn  herunterzudrücken. 

Es  ist  indeß  nicht  schwer  vorauszusehen,  welche 
der  beiden  Parteien  unter  den  gewöhnlichen  Umständen 
in  diesem  Streite  die  Oberhand  behalten,  und  die  andere 
zur  Einwilligung  in  ihre  Bedingungen  zwingen  wird. 
Die  Meister  können  sich,  da  ihre  Zahl  geringer  ist, 
leichter  verbinden;  und  überdies  gestattet  das  Gesetz 
ihre  Koalitionen  oder  verbietet  sie  wenigstens  nicht, 
während  es  die  der  Arbeiter  verbietet.  Wir  haben  keine 
Parlamentsakten  gegen  Verabredungen  zur  Herabsetzung 
des  Arbeitspreises,  wohl  aber  viele  gegen  Verabredungen 
zu  seiner  Erhöhung.  In  allen  solchen  Streitigkeiten 
können  die  Herren  es  viel  länger  aushalten.  Ein  Guts- 
besitzer, ein  Pächter,  ein  Handwerksmeister  oder  ein 
Kaufmann  können,  wenn  sie  auch  keinen  einzigen 
Arbeiter  beschäftigen,  doch  im  Allgemeinen  ein  oder 
zwei  Jahre  von  den  Kapitalien  leben,  die  sie  bereits 
erworben  haben.  Viele  Arbeiter  dagegen  können  nicht 
eine  Woche,  nur  wenige  einen  Monat,  und  kaum  einer 
ein  Jahr  ohne  Beschäftigung  bestehen.  Auf  die  Dauer 
freilich  kann  der  Arbeiter  dem  Meister  ebenso  not- 
wendig werden,  wie  der  Meister  ihm;  aber  die  Not- 
wendigkeit ist  keine  so  unmittelbare. 

Man  hört,  wird  hierauf  erwidert,  von  Koalitionen 
der  Meister  selten,  häufig  aber  von  solchen  der  Arbeiter. 
Wer  sich  aber  darum  einbildet,  daß  sich  die  Meister 
selten  koalierten,  kennt  eben  so  wenig  die  Welt,  wie 
diesen  Gegenstand.  Die  Meister  stehen  stets  und  über- 
all in  einer  Art  stillschweigender,  aber  fortwährender 
und  gleichförmiger  Übereinkunft,  den  Arbeitslohn  nicht 
über  seinen  dermaligen  Satz  steigen  zu  lassen.  Diese 
Übereinkunft  zu  verletzen,  ist  überall  sehr  mißliebig 
und    gilt    für    einen    Meister    unter    seinen   Nachbarn 


Kap.  VIII.:  Der  Arbeitslohn.  93 

und  Gevverbsgenossen  als  eine  Art  Schande.  Man  hört 
allerdings  selten  von  dieser  Übereinkunft,  weil  sie  der 
gewöhnliche  und,  man  darf  sagen,  natürliche  Zustand 
der  Dinge  ist,  von  dem  Niemand  Etwas  hört.  Mitunter 
gehen  die  Meister  auch  besondere  Verbindungen  ein, 
um  den  Arbeitslohn  sogar  unter  seinen  Satz  herunter- 
zudrücken. Diese  werden  immer  in  äußerster  Stille 
und  ganz  geheim  betrieben,  bis  der  Augenblick  der 
Ausführung  da  ist,  und  wenn  dann  die  Arbeiter,  wie 
es  zuweilen  geschieht,  ohne  Widerstand  nachgeben,  so 
hören  andere  Leute  nichts  davon,  so  schmerzlich  es  jene 
auch  empfinden.  Oft  jedoch  stellt  sich  solchen  Ver- 
bindungen eine  abwehrende  Verbindung  der  Arbeiter 
entgegen,  die  manchmal  auch  ohne  eine  solche  Heraus- 
forderung sich  zur  Erhöhung  des  Preises  ihrer  Arbeit 
zusammen  tun.  Ihre  gewöhnlichen  Vorwände  sind 
bald  der  hohe  Preis  der  Lebensmittel,  bald  der  große 
Gewinn,  den  die  Meister  aus  ihrer  Arbeit  ziehen. 
Mögen  diese  Verbindungen  aber  angreifender  oder  ver- 
teidigender Natur  sein,  ruchbar  werden  sie  immer.  Um 
die  Sache  zu  einer  schnellen  Entscheidung  zu  bringen, 
nehmen  sie  immer  zu  lautestem  Geschrei  ihre  Zuflucht 
und  zuweilen  zu  den  schlimmsten  Gewalttätigkeiten 
und  Mißhandlungen.  Sie  sind  verzweifelt  und  handeln 
mit  der  Torheit  und  Maßlosigkeit  verwegener  Men- 
schen, die  entweder  verhungern  oder  ihre  Meister 
durch  Schrecken  zu  sofortiger  Einwilligung  in  ihr  Be- 
gehren bringen  müssen.  Die  Meister  ihrerseits  erheben 
bei  solchen  Gelegenheiten  nicht  weniger  Lärm,  rufen 
unaufhörlich  nach  dem  Beistande  der  Behörden  und 
verlangen  die  strikte  Ausführung  der  Gesetze,  die  mit 
so  großer  Härte  gegen  die  Verbindungen  der  Dienst- 
boten, Arbeiter  und  Gesellen  gegeben  sind.  Demgemäß 
haben  die  Arbeiter  sehr  selten  einen  Nutzen  von  dem 
Ungestüm  dieser  lärmenden  Verbindungen,  die  teils 
wegen  des  Einschreitens  der  Behörden,  teils  wegen  der 


94    Ei">>tes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

überlegenen  Beharrlichkeit  der  Meister,  teils  weil  der 
größere  Teil  der  Arbeiter  gezwungen  ist,  sich  um  des 
täglichen  Unterhalts  willen  zu  unterwerfen,  gewöhn- 
lich mit  nichts  anderem,  als  der  Bestrafung  oder  dem 
Untergange  der  Rädelsführer  enden. 

Wenn  aber  auch  die  Meister  bei  Streitigkeiten  mit 
ihren  Arbeitern  gewöhnlich  im  Vorteil  sind,  so  gibt  es 
doch  einen  bestimmten  Satz,  unter  den  der  gewöhnliche 
Lohn  selbst  der  geringsten  Art  von  Arbeit  nicht  auf 
längere  Zeit  herabgedrückt  werden  zu  können  scheint. 

Ein  Mensch  muß  stets  von  seiner  Arbeit  leben  und 
sein  Lohn  muß  wenigstens  hinreichend  sein,  um  ihm 
den  Unterhalt  zu  verschaffen.  In  den  meisten  Fällen 
muß  er  sogar  noch  etwas  höher  sein;  sonst  wäre  der 
Arbeiter  nicht  im  Stande,  eine  Familie  zu  gründen,  und 
das  Geschlecht  solcher  Arbeiter  würde  mit  der  ersten 
Generation  aussterben.  Aus  diesem  Grunde  nimmt  Can- 
tillon  an,  daß  die  geringste  Art  gewöhnlicher  Arbeiter 
immer  wenigstens  den  doppelten  Unterhalt  verdienen 
muß,  damit  durchschnittlich  Jeder  zwei  Kinder  ernähren 
kann,  wobei  die  Arbeit  der  Frau  wegen  der  notwendigen 
Pflege  der  Kinder  nur  als  hinreichend  angenommen 
wird,  um  sie  selbst  zu  erhalten.  Allein  die  Hälfte  der 
Kinder  stirbt,  wie  man  berechnet  hat,  vor  dem  mann- 
baren Alter.  Demgemäß  müssen  die  ärmsten  Arbeiter 
durchschnittlich  wenigstens  vier  Kinder  aufzuziehen 
suchen,  wenn  zwei  davon  Aussicht  haben  sollen,  jenes 
Alter  zu  erleben.  Der  notwendige  Unterhalt  für  vier 
Kinder  wird  aber  ungefähr  dem  eines  Mannes  gleich- 
geschätzt. Die  Arbeit  eines  kräftigen  Sklaven  ist,  wie 
derselbe  Schriftsteller  hinzufügt,  als  doppelt  soviel  wert 
zu  betrachten,  wie  sein  L^nterhalt,  und  diejenige  des 
geringsten  Arbeiters,  meint  er,  könne  doch  nicht  weniger 
wert  sein,  als  die  eines  kräftigen  Sklaven.  So  viel  scheint 
allerdings  gewiß  zu  sein,  daß,  um  eine  Familie  zu  er- 
nähren, die  Arbeit  des  Mannes  und  der  Frau  zusammen, 


Kap.  Vni.:  Der  Arbeitslohn.  95 

selbst  in  den  untersten  Klassen  gewöhnlicher  Arbeiter, 
etwas  mehr  einbringen  muß,  als  gerade  für  ihren 
eigenen  Unterhalt  nötig  ist;  in  welchem  Verhältnis 
dies  aber  geschehen  müsse,  ob  in  dem  oben  erwähnten 
oder  in  einem  änderten,  das  getraue  ich  mir  nicht  zu 
bestimmen. 

Es  gibt  jedoch  gewisse  Umstände,  die  den  Arbeitern 
zuweilen  einen  Vorteil  gewähren  und  sie  instand  setzen, 
ihren  Lohn  weit  über  jenen  Satz  zu  erhöhen,  welcher 
offenbar  der  niedrigste  ist,  der  sich  mit  der  gewöhn- 
lichsten Menschlichkeit  verträgt. 

Wenn  in  einem  Lande  die  Nachfrage  nach  denen, 
die  vom  Lohn  leben  —  Arbeiter,  Gesellen,  Dienstboten 
aller  Art  —  andauernd  wächst;  wenn  jedes  Jahr  für 
eine  größere  Anzahl  von  ihnen  Beschäftigung  liefert, 
als  das  vorhergehende:  so  haben  die  Arbeiter  keinen 
Anlaß,  sich  zur  Erhöhung  des  Lohnes  zu  verbinden. 
Der  Mangel  an  Händen  ruft  einen  Wettbewerb  unter 
den  Meistern  hervor,  die,  um  Arbeiter  zu  erhalten,  ein- 
ander überbieten  und  so  freiwillig  die  natürliche  Über- 
einkunft der  Meiste)',  den  Lohn  nicht  zu  steigern, 
durchbrechen. 

Die  Nachfrage  nach  Lohnarbeitern  kann  offenbar 
nur  im  Verhältnis  zur  Zunahme  der  Fonds  wachsen, 
welche  zur  Lohnzahlung  bestimmt  sind.  Diese  Fonds 
sind  von  zweierlei  Art;  sie  bestehen  erstens  aus  dem 
Einkommen,  welches  die  Kosten  des  notwendigen  Unter- 
halts, und  zweitens  aus  dem  Kapital,  welches  die  Aus- 
lagen für  die  Beschäftigung  ihrer  Meister   übersteigt. 

Wenn  der  Gutsbesitzer,  Rentner  oder  Geldmann 
ein  größeres  Einkommen  hat,  als  ihm  zum  Unterhalt 
seiner  Familie  hinreichend  erscheint,  so  verwendet  er 
den  ganzen  Überschuß  oder  einen  Teil  davon  dazu, 
einen  oder  mehrere  Dienstboten  zu  halten.  Nimmt 
dieser  Überschuß  zu,  so  wird  er  natürlich  die  Zahl 
der  Dienerschaft  vermehren. 


96    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Wenn  ein  unabhängiger  Handwerker,  etwa  ein 
Weber  oder  ein  Schuhmacher,  mehr  Kapital  erworben 
hat,  als  er  zum  Kauf  der  für  seine  eigene  i^rbeit  er- 
forderlichen Rohstoffe  und  zu  seinem  Unterhalte  bis 
zum  Verkauf  der  Arbeit  braucht,  so  beschäftigt  er 
natürlich  mit  dem  Überschuß  einen  oder  mehrere  Ge- 
sellen, um  aus  ihrer  Arbeit  Gewinn  zu  ziehen.  Nimmt 
dieser  Überschuß  zu,  so  wird  er  natürlich  auch  die 
Zahl  seiner  Gesellen  vermehren. 

Die  Nachfrage  nach  Lohnarbeitern  wächst  also 
notwendig  mit  der  Zunahme  des  Einkommens  und 
Kapitals  eines  Landes;  und  kann  unmöglich  auch 
ohne  diese  wachsen.  Die  Zunahme  des  Einkommens 
und  Kapitals  ist  die  Zunahme  des  National  Wohlstandes. 
Folglich  wächst  die  Nachfrage  nach  Lohnarbeitern 
naturgemäß  mit  der  Zunahme  des  National  Wohlstandes 
und  kann  unmöglich  ohne  sie  w-achsen. 

Nicht  die  dermalige  Größe  des  Nationalwohlstandes, 
sondern  seine  beständige  Zunahme  bringt  ein  Steigen  des 
Arbeitslohns  hervor.  Demnach  steht  der  Arbeitslohn 
nicht  in  den  reichsten  Ländern  am  höchsten,  sondern  in 
den  aufblühenden  oder  am  schnellsten  reich  werdenden. 
England  ist  gegenwärtig  sicher  ein  viel  reicheres  Land, 
als  ii-gend  ein  Teil  von  Nordamerika.  Der  Arbeitslohn 
steht  aber  in  Nordameiika  weit  höher,  als  in  irgend 
einem  Teile  Englands.  In  der  Provinz  New-York  ver- 
dienen gewöhnliche  Arbeiter*)  täglich  drei  Schilling 
sechs  Pence  Papier,  d.  h.  zwei  Schilling  Sterl. ;  Schiffs- 
zimmerleute zehn  Schilling  sechs  Pence  Papier  nebst 
einer  Pinte  Rum,  die  einen  halben  Schilling  Sterl.  wert 
ist,  also  im  Ganzen  sechs  und  einen  halben  Schilling 
Sterl.;  andere  Zimmerleute  und  Maurer  acht  Schilling- 
Papier,  d.  h.  vier   und   einen   halben   Schilling   Sterl.; 

*)  Dies  wurde  im  Jahre  1778  vor  dem  Beginn  der  letzten 
Unruhen  geschrieben. 


Kap.  Vni.:  Der  Arbeitslohn.  97 

Schneidergesellen  fünf  Schilling  Papier,  d.  h.  etwa  zwei 
Schilling  zehn  Pence  Sterl.  Diese  Löhne  sind  insge- 
samt höher  als  die  Londoner,  und  wie  es  heißt,  steht 
der  Arbeitslohn  in  den  übrigen  Kolonien  ebenso  hoch 
als  in  New-York.  Der  Preis  der  Nahrungsmittel  ist  in 
Nordamerika  durchweg  weit  niedriger,  als  in  England. 
Eine  Teuerung  hat  man  dort  nie  gekannt.  In  den 
schlechtesten  Jahren  hatten  sie  immer  noch  genug  für 
sich,  wenn  auch  zu  wenig  zur  Ausfuhr.  Wenn  also  der 
Geldpreis  der  Arbeit  dort  höher  ist,  als  irgend  wo  im 
Mutterlande,  so  muß  ihr  Sachpreis,  nämlich  dasjenige, 
was  dem  Arbeiter  dafür  an  Lebens-  und  Genußmitteln 
wirklich  zu  Gebote  steht,  noch  weit  höher  sein. 

Obgleich  nun  Nordamerika  noch  nicht  so  reich  als 
England  ist,  so  ist  es  doch  viel  mehr  im  Aufblühen  be- 
griffen und  schreitet  weit  rascher  zu  weiterer  Erwerbung 
von  Reichtümern  fort.  Das  entscheidendste  Kennzeichen 
des  Gedeihens  eines  Landes  ist  die  Zunahme  seiner  Ein- 
wohnerzahl. In  Großbritannien  und  den  meisten  übiigen 
Ländern  Europas  verdoppelt  sich  diese  Zahl,  wie  man 
annimmt,  erst  in  fünfhundert  Jahren.  In  den  britischen 
Kolonien  Nordamerikas  hat  man  gefunden,  daß  sie  sich 
in  zwanzig  oder  fünfundzwanzig  Jahren  verdoppelt.  Und 
gegenwärtig  ist  diese  Zunahme  nicht  hauptsächlich  der 
fortdauernden  Einwanderung  neuer  Bewohner,  sondern 
der  großen  Vermehrung  der  Rasse  zuzuschreiben.  Leute, 
die  ein  hohes  Alter  erreichen,  sollen  dort  oft  fünfzig  bis 
hundert  Menschen,  ja  manchmal  noch  mehr  als  Nachkom- 
men um  sich  sehen.  Die  Arbeit  wird  dort  so  gut  ge- 
lohnt, daß  eine  zahlreiche  Familie,  statt  eine  Last  für 
die  Eltern  zu  sein,  vielmehr  zu  einer  Quelle  der  Wohl- 
habenheit und  des  Gedeihens  für  sie  wird.  Man  rechnet 
die  Arbeit  jedes  Kindes,  bevor  es  das  elterliche  Haus 
verläßt,  auf  hundert  Pfund  reinen  Gewinn  für  die  Eltern. 
Um    eine    junge    Witwe    mit    vier   oder   fünf  jungen 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  ' 


98    Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Kindern,  die  in  den  mittleren  oder  unteren  Ständen 
der  Bewohner  Europas  nur  wenig  Aussicht  auf  einen 
zweiten  Mann  haben  würde,  wird  dort  oft  als  um  eine 
glückliche  Partie  gefreit.  Der  Wert  der  Kinder  ist  die 
bei  Weitem  grüßte  aller  Ermunterungen  zur  Heirat. 
Daher  darf  man  sich  auch  nicht  wundern,  daß  die 
Leute  in  Nordamerika  gewöhnlich  so  jung  heiraten. 
Dennoch  wird  dort  trotz  dieses  durch  solche  frühzeitigen 
Heiraten  bewirkten  großen  Zuwachses  forwährend  über 
Mangel  an  Händen  geklagt.  Die  Nachfrage  nach 
Arbeitern  und  die  zu  ihrem  Unterhalt  bestimmten 
Fonds  nehmen,  wie  es  scheint,  noch  schneller  zu,  als 
die  Arbeiter,  die  Beschäftigung  suchen. 

Mag  der  Reichtum  eines  Landes  noch  so  groß  sein, 
so  darf  man  doch,  wenn  er  lange  Zeit  stillstehend  ge- 
blieben ist,  keinen  sehr  hohen  Arbeitslohn  zu  finden 
erwarten.  Die  zur  Lohnzahlung  bestimmten  Fonds,  das 
Einkommen  und  das  Kapital  seiner  Einwohner  mag  noch 
so  bedeutend  sein;  aber,  wenn  sie  mehrere  Jahrhunderte 
gleich  oder  nahezu  gleich  geblieben  sind,  könnte  die  Zahl 
der  jedes  Jahr  beschäftigten  Arbeiter  leicht  zureichen 
oder  selbst  mehr  als  zureichen,  um  die  Nachfrage  des 
folgenden  Jahres  zu  bestreiten.  Da  kann  selten  ein  Mangel 
an  Händen  eintreten,  noch  werden  die  Meister  gezwungen 
sein,  einander  zu  überbieten,  um  Arbeiter  zu  erhalten. 
Im  Gegenteil  würden  in  diesem  Falle  natürlich  viele 
Hände  unbeschäftigt  sein.  Es  würde  ein  beständiger 
Mangel  an  Beschäftigung  statthaben  und  die  Arbeiter 
würden  gezwungen  sein,  sich  diese  einander  streitig  zu 
machen.  Wenn  in  einem  solchen  Lande  der  Arbeitslohn 
auch  einmal  mehr  als  hinreichend  war,  um  den  Arbeiter 
zu  unterhalten  und  ihn  zu  befähigen,  seine  Familie 
zu  ernähren,  so  wird  doch  der  Wettbewerb  der  Ar- 
beiter und  das  Interesse  der  Meister  ihn  bald  auf  den 
niedrigsten  Satz  reduzieren,  der  mit  der  gewöhnlichsten 
Menschlichkeit   sich  vereinigen  läßt.      China  ist  lange 


Kap.  VIIT.:  Der  Arbeitslohn.  99 

eines  der  reichsten,  d.  h.  eines  der  fruchtbarsten,  best- 
bebauten, gewerbfleißigsten  und  bevölkertsten  Länder 
der  Welt  gewesen.  Es  scheint  jedoch  lange  im  Still- 
stande verharrt  zu  sein.  Marco  Polo,  der  es  vor  mehr 
als  fünfhundert  Jahren  besuchte,  beschreibt  seine  Boden- 
kultur, seinen  Gevverbfleiß  und  seinen  Volksreichtum 
fast  mit  denselben  Ausdrücken,  mit  denen  es  von 
heutigen  Reisenden  geschieht.  Es  hatte  vielleicht  sogar 
schon  lauge  vor  seiner  Zeit  jene  Fülle  des  Reichtums 
erlangt,  welche  die  Natur  seiner  Gresetze  und  Institu- 
tionen ihm  zu  erreichen  gestattete.  Die  Berichte  aller 
Reisenden  stimmen,  so  unzuverlässig  sie  auch  in  man- 
cher anderen  Beziehung  sind,  in  Betreff  des  niedrigen 
Arbeitslohnes  und  der  Schwierigkeit,  welche  ein  Arbeiter 
findet,  eine  Familie  in  China  zu  ernähren,  völlig  über- 
ein. Wenn  er  sich  durch  Ackern  den  ganzen  Tag  über 
so  viel  erwerben  kann,  um  abends  eine  kleine  Portion 
Reis  zu  kaufen,  so  ist  er  zufrieden.  Die  Lage  der  Hand- 
werker ist  wo  möglich  noch  schlimmer.  Statt,  wie  in 
Europa,  ruhig  in  ihren  Werkstätten  die  Bestellungen 
ihrer  Kunden  abzuwarten,  ziehen  sie  mit  ihren  Werk- 
zeugen unaufhörlich  durch  die  Straßen,  bieten  ihre 
Dienste  an  und  betteln  so  zu  sagen  um  Beschäftigung. 
Die  Armut  der  niederen  Stände  in  China  übertrifft  bei 
Weitem  die  der  bettelhaftesten  Völker  Europas.  In 
der  Umgegend  von  Kanton  haben  viele  hundert,  ja 
wie  es  allgemein  heißt,  viele  tausend  Familien  keine 
Wohnung  auf  dem  Lande,  sondern  leben  beständig  in 
kleinen  Fischerkähnen  auf  den  Flüssen  und  Kanälen. 
Der  Unterhalt,  den  sie  da  finden,  ist  so  kärglich,  daß 
sie  die  ekelhaftesten  Abfälle,  welche  von  einem  euro- 
päischen Schiffe  über  Bord  geworfen  werden,  gierig 
auffischen.  Jedes  Aas,  z.  B.  das  eines  verreckten 
Hundes  oder  einer  Katze,  wenn  es  auch  halb  faul  und 
stinkend  ist,  ist  ihnen  so  willkommen,  wie  den  Leuten 

7* 


loo  Ei'stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragski'ai't  der  Arbeit. 

in  andern  Länder  die  gesündeste  Nahrung.  Die  Ehe 
wird  in  China  nicht  durch  die  Eintiäglichkeit  der 
Kinder,  sondern  durch  die  Freiheit,  sie  umzubringen, 
befördert.  In  allen  großen  Städten  werden  nächtlich 
mehrere  in  den  Straßen  ausgesetzt  oder  gleich  jungen 
Hunden  ertränkt.  Die  Besorgung  dieses  schrecklichen 
Geschäftes  soll  sogar  ein  zugestandener  Erwerbszweig 
sein,  durch  den  Manche  ihren  Unterhalt  verdienen. 

Obgleich  indeß  China  vielleicht  stillsteht,  so  scheint 
es  doch  nicht  rückwärts  zu  gehen.  Seine  Städte  sind 
nirgends  von  ihren  Einwohnern  verlassen.  Das  einmal 
angebaute  Land  wird  nirgends  vernachlässigt.  Daher 
muß  immer  noch  die  nämliche  oder  fast  die  nämliche 
jährliche  Arbeit  verrichtet  werden,  und  die  für  ihren 
Unterhalt  bestimmten  Fonds  müssen  folglich  noch  nicht 
merkbar  abgenommen  haben.  Die  unterste  Schicht  der 
Arbeiter  muß  also  ungeachtet  ihrer  kärglichen  Existenz 
sich  soweit  forthelfen,  um  die  Rasse  fortzupflanzen  und 
die  gewöhnliche  Volkszahl  aufrecht  zu  halten. 

Anders  würde  es  in  einem  Lande  stehen,  wo  die 
für  den  Unterhalt  der  Arbeit  bestimmten  Fonds  eine 
merkliche  Abnahme  erlitten.  Da  würde  die  Nachfrage 
nach  Dienern  und  Arbeitern  in  allen  Arten  der  Beschäf- 
tigung mit  jedem  Jahre  geringer  werden.  Viele,  die  in 
den  höhern  Klassen  aufgezogen  waren,  würden  in  ihrem 
eigentlichen  Gewerbe  keine  Beschäftigung  mehr  finden 
und  sie  gern  in  dem  niedrigsten  suchen.  Da  nun  aber 
die  niedrigste  Klasse  nicht  nur  mit  ihren  eigenen  Ar- 
beitern, sondern  auch  mit  den  aus  allen  anderen  Klassen 
einströmenden  überfüllt  wäre,  so  würde  die  Konkurrenz 
um  Arbeit  in  ihr  so  groß  werden,  daß  der  Arbeitslohn 
auf  den  elendesten  und  kärglichsten  Unterhalt  des  Arbei- 
ters herabgedrückt  würde.  Selbst  unter  diesen  harten 
Bedingungen  würden  viele  keine  Beschäftigung  finden 
können,  sondern  entweder  verhungern  müssen  oder  sich 


Kap.  VTTT.:  Der  Arbeitslohn,  101 

genötigt  sehen,  durch  Betteln  oder  durch  Frevel  der 
schlimmsten  Art  ihr  Leben  zu  fristen.  Mangel,  Hunger 
und  Sterblichkeit  würde  in  dieser  Klasse  sofort  um  sich 
greifen  und  sich  von  da  über  alle  höheren  Klassen  ver- 
breiten, bis  die  Zahl  der  Einwohner  so  weit  verringert 
wäre,  um  von  dem  Einkommen  und  Kapital,  welches 
im  Lande  geblieben,  und  der  Tyrannei  oder  dem 
Unglück,  wodurch  das  Übrige  zerstört  wurde,  ent- 
gangen ist,  leicht  erhalten  werden  könnte.  Dies  ist 
vielleicht  so  ziemlich  der  gegenwärtige  Zustand  Ben- 
galens  und  einiger  anderer  Niederlassungen  der  Eng- 
länder in  Ostindien.  In  einem  fruchtbaren  Lande,  das 
zuvor  sehr  entvölkert  gewesen  war,  wo  mithin  der 
Unterhalt  nicht  schwierig  sein  sollte,  und  wo  dessen- 
ungeachtet in  einem  Jahre  drei  bis  viermal  hundert- 
tausend Menschen  Hungers  sterben,  befinden  sich,  wie 
wir  mit  Sicherheit  annehmen  können,  die  für  den  Unter- 
halt der  arbeitenden  Armen  bestimmten  Fonds  sehr 
in  Abnahme.  Der  Unterschied  zwischen  dem  Geiste 
der  britischen  Staatsverfassung,  welche  Nordamerika 
schützt  und  regiert,  und  demjenigen  der  Handelsgesell- 
schaft, die  Ostindien  unterdrückt  und  beherrscht,  kann 
vielleicht  durch  Nichts  besser  ins  Licht  gestellt  werden, 
als   durch   den  verschiedenen  Zustand    dieser  Länder. 

Der  reichliche  Lohn  der  Arbeit  ist  demnach  eben- 
sowohl die  notwendige  Wirkung,  wie  das  natürliche 
Merkmal  wachsenden  Nationalreichtums.  Der  kärgliche 
Unterhalt  der  arbeitenden  Armen  andererseits  ist  das 
natürliche  Merkmal,  daß  die  Dinge  im  Stillstand,  und 
ihre  Not,  daß  sie  gewaltig  im  Rückschritt  begriffen  sind. 

In  Großbritannien  scheint  gegenwärtig  der  Arbeits- 
lohn offenbar  höher  zu  sein,  als  gerade  nötig  ist,  um 
eine  Familie  zu  erhalten.  Um  uns  über  diesen  Punkt 
zu  vergewissern,  wird  es  nicht  nötig  sein,  eine  weit- 
läufige  und   zweifelhafte  Berechnung   der  niedrigsten 


102  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Summe,  womit  dies  möglicher  Weise  geschehen  kann, 
anzustellen.  Es  sind  viele  klare  Merkmale  dafür  vor- 
handen, daß  der  Arbeitslohn  in  diesem  Lande  nirgends 
nach  seinem  niedrigsten  Satze,  der  sich  mit  gewöhn- 
licher Menschlichkeit  verträgt,  geregelt  wird. 

Erstens  besteht  in  fast  allen  Teilen  Großbritanniens, 
selbst  in  den  niedrigsten  Arten  der  Arbeit,  ein  Unter- 
schied zwischen  dem  Sommer-  und  Winterlohn.  Im 
Sommer  ist  der  Lohn  immer  am  höchsten.  Allein  wegen 
der  außerordentlichen  Ausgabe  für  Brennmaterial  ist 
der  Unterhalt  einer  Familie  im  Winter  am  kostspielig- 
sten. Da  nun  der  Arbeitslohn  am  höchsten  ist,  wenn 
diese  Ausgabe  am  niedrigsten,  so  scheint  es  klar,  daß 
er  sich  nicht  nach  dem,  was  zu  dieser  Ausgabe  er- 
forderlich ist,  sondern  nach  der  Menge  und  dem  mut- 
maßlichen Werte  der  Arbeit  richtet.  Ein  Arbeiter 
sollte  allerdings  einen  Teil  seines  Sommerlohnes  sparen, 
um  seine  Winterausgaben  damit  zu  bestreiten  und  man 
kann  sagen,  daß  sein  Lohn  des  ganzen  Jahres  nicht 
mehr  als  gerade  hinlänglich  sei,  um  seine  Familie 
während  des  ganzen  Jahres  zu  unterhalten.  Ein  Sklave 
hingegen  oder  ein  in  seinem  Unterhalt  von  uns  durch- 
aus abhängiger  Mensch  würde  nicht  so  behandelt  werden. 
Seine  täglichen  Lebensmittel  würden  ihm  nach  seinem 
täglichen  Bedarf  zugemessen  werden. 

Zweitens  schwankt  in  Großbritannien  der  Arbeits- 
lohn nicht  zugleich  mit  dem  Preise  der  Nahrungsmittel. 
Dieser  ändert  sich  überall  von  Jahr  zu  Jahr,  oft  von 
Monat  zu  Monat.  An  vielen  Orten  hingegen  bleibt  der 
Geldpreis  der  Arbeit  bisweilen  ein  halbes  Jahrhundort 
hindurch  sich  gleich.  Wenn  daher  der  arbeitende  Arme 
an  diesen  Orten  seine  Familie  in  teuren  Jahren  ernähren 
kann,  so  muß  er  in  Zeiten  mäßiger  Fülle  bequem  und 
in  Zeiten  außerordentlicher  Wohlfeilheit  reichhch  zu 
leben  haben.  Der  hohe  Preis  der  Lebensmittel  während 


Kap.  VIII.:  Der  Arbeitslohn.  103 

der  letzten  zehn  Jahre  war  nur  in  wenigen  Teilen  des 
Königreichs  von  einer  merklichen  Steigerung  des  Geld- 
preises der  Arbeit  begleitet.  In  einigen  Teilen  war 
es  allerdings  der  Fall,  wahrscheinlich  mehr  in  Folge 
der  wachsenden  Nachfrage  nach  Arbeit,  als  des  teureren 
Preises  der  Lebensmittel. 

Drittens  wechselt  der  Preis  der  Lebensmittel  mehr 
als  der  Arbeitslohn  von  Jahr  zu  Jahr  und  andererseits 
wechselt  der  Arbeitslohn  mehr  als  der  Preis  der  Lebens- 
mittel von  Ort  zu  Ort.  Die  Brot-  und  Fleischpreise  sind 
im  größten  Teile  des  vereinigten  Königreichs  so  ziem- 
lich die  nämlichen.  Diese  und  die  meisten  anderen 
Dinge,  welche  im  Kleinen  verkauft  werden  (die  Art  wie 
der  arbeitende  Arme  Alles  kauft),  sind  gewöhnlich  in 
großen  Städten  eben  so  wohlfeil  oder  noch  wohlfeiler, 
als  in  abgelegenen  Gegenden,  aus  Gründen,  die  ich 
später  zu  entwickeln  Gelegenheit  haben  werde.  Da- 
gegen ist  der  Arbeitslohn  in  einer  großen  Stadt  und 
ihrer  Umgegend  oft  um  ein  Viertel  oder  ein  Fünftel, 
zwanzig  oder  fünfundzwanzig  Prozent  höher,  als  wenige 
Meilen  davon.  Achtzehn  Pence  täglich  kann  als  ge- 
wöhnlicher Preis  der  Arbeit  in  London  und  seiner  Um- 
gegend angesehen  werden,  wenige  Meilen  davon  fällt 
er  auf  vierzehn  und  fünfzehn  Pence.  Zehn  Pence 
kann  als  ihr  Preis  in  Edinburg  und  Umgegend  gerech- 
net werden.  Wenige  Meilen  davon  fällt  er  auf  acht 
Pence,  den  gewöhnlichen  Preis  gemeiner  Arbeit  im 
größten  Teile  des  schottischen  Tieflands,  wo  er  viel 
weniger  wechselt,  als  in  England.  Solch  ein  Unter- 
schied der  Preise,  der  anscheinend  nicht  immer  hin- 
reicht, um  einen  Menschen  aus  einem  Kirchspiel  in  das 
andere  zu  überführen,  würde  notwendig  eine  so  starke 
Versendung  der  massigsten  Waren  nicht  nur  von  einem 
Kirchspiel  ins  andere,  sondern  von  einem  Ende  des 
Königreichs  zum  anderen,  ja  beinahe  von  einem  Ende 
der  Welt  zum  anderen  bewirken,  daß  die  Preise  bald 


X04  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

ins  Gleichgewicht  kommen  würden.  Trotz  allem,  was 
von  dem  Leichtsinn  und  der  Unbeständigkeit  der 
menschlichen  Natur  gesagt  worden  ist,  geht  doch 
deutlich  aus  der  Erfahrung  hervor,  daß  keine  Last  so 
schwer  von  der  »Stelle  zu  bringen  ist,  als  der  Mensch. 
Wenn  also  der  arbeitende  Arme  seine  Familie  in  den 
Teilen  des  Königreichs,  in  denen  der  Arbeitspreis  am 
niedrigsten  steht,  ernähien  kann,  so  muß  er  da,  wo 
er  am  höchsten  ist,  reichlich  leben  können. 

Viertens  entsprechen  die  Veränderungen  im  Preise 
der  Arbeit  nicht  nur  denen  im  Preise  der  Lebensmittel 
nicht,  sei  es  im  Ort  oder  in  der  Zeit,  sondern  sie 
sind  oft  durchaus  entgegengesetzt. 

Das  Korn,  die  Nahrung  des  gemeinen  Volkes,  ist 
in  Schottland  teurer  als  in  England,  woher  Schottland 
fast  alle  Jahre  sehr  bedeutende  Zufuhren  erhält.  Aber 
englisches  Korn  muß  in  Schottland,  wohin  es  gebracht 
wird,  teurer  bezahlt  werden,  als  in  England,  woher 
es  kommt;  und  im  Verhältnis  zu  seiner  Güte  kann  es 
in  Schottland  nicht  teurer  verkauft  werden,  als  das 
schottische  Korn,  welches  mit  ihm  auf  demselben 
Markte  in  Wettbewerb  tritt.  Die  Güte  des  Korns 
hängt  besonders  von  der  Mehlmenge  ab,  die  es  auf  der 
Mühle  liefert,  und  in  dieser  Beziehung  ist  englisclies 
Korn  dem  schottischen  so  überlegen,  daß  es,  obwohl 
anscheinend  oder  im  Verhältnis  seines  Maßes  oft  teurei-, 
doch  in  Wirklichkeit  oder  im  Verhältnis  zu  seiner  Be- 
schaffenheit, ja  sogar  zu  seinem  Gewicht  gewöhnlich 
wohlfeiler  ist.  Der  Preis  der  Arbeit  ist  hingegen  in 
England  teurer  als  in  Schottland.  Wenn  demnach  der 
arbeitende  Arme  in  dem  einen  Teile  des  vereinigten 
Königreichs  seine  Familie  ernähren  kann,  so  muß  er 
in  dem  anderen  reichlich  loben.  Allerdings  macht  für 
die  gemeinen  Leute  in  Schottland  Hafermehl  den 
größten  und  besten  Teil  ihrer  Nahrung  aus,  die  über- 
haupt   weit    schlechter    ist,    als    die    ihrer    Nachbarn 


Kap.  VIII.:  Per  Arbeitslohn.  105 

gleichen  Standes  in  England.  Doch  ist  dieser  Unter- 
schied in  der  Art  ihres  Lcbensuntei'halts  nicht  die  Ui'- 
sache,  sondern  die  Wirkung  des  Unterschiedes  in  iliron 
Löhnen,  obwohl  ich  ihn,  durch  ein  befremdliches  Miü- 
vorständi^is,  oft  als  die  Ursache  habe  angeben  h('»ren. 
Nicht  deshalb,  weil  sich  der  eine  eine  Kutsche  hält, 
während  sein  Nachbar  zu  Fuße  geht,  ist  jener  reich 
und  dieser  arm,  sondern  weil  jener  reich  ist,  darum 
hält  er  sich  eine  Kutsche,  und  weil  der  andere  arm 
ist,  darum  geht  er  zu  Fuße. 

Im  Laufe  des  vorigen  Jahrhunderts  war,  ein  Jahr 
ins  andere  gerechnet,  das  Korn  in  beiden  Teilen  des 
vereinigten  Königreichs  teurer,  als  in  dem  gegenwärti- 
gen. Dies  ist  eine  Tatsache,  die  sich  vernünftiger 
Weise  nicht  bezweifeln  läßt,  und  für  die  der  Beweis 
hinsichtlich  Schottlands  wo  möglich  noch  entscheiden- 
der ist,  als  hinsichtlich  Englands.  In  Schottland  wird 
er  durch  das  Zeugnis  der  öffentlichen  Fiars  geführt, 
d.  h.  jährlicher  Preislisten  vereideter  Sachverständiger 
über  alle  Getreidearten,  welche  auf  die  Märkte  der  ver- 
schiedenen schottischen  Grafschaften  kommen.  Wenn 
solch  ein  direkter  Beweis  noch  einer  Ergänzung  und 
Bestärkung  bedürfte,  so  würdeich  hinzufügen,  daß  jenes 
gleicherweise  in  Fi'ankreich  und  wahrscheinlich  auch  in 
den  meisten  übrigen  Teilen  Europas  der  Fall  gewesen 
ist.  Bezüglich  Frankreichs  ist  der  klarste  Nachweis 
vorhanden.  So  gewiß  es  aber  ist,  daß  in  beiden  Teilen 
des  vereinigten  Königsreichs  das  Getreide  im  letzten 
Jahrhundert  etwas  teurer  war,  als  im  gegenwärtigen, 
eben  so  gewiß  ist  es,  daß  die  Arbeit  viel  wohlfeiler 
war.  Wenn  daher  die  arbeitenden  Armen  ihre  Familien 
damals  ernähren  konnton,  so  muß  es  ihnen  jetzt  um  so 
leichter  werden.  Im  vorigen  Jahrhundert  betrug  der 
übl#;hste  Tagelohn  gemeiner  Arbeit  im  größten  Teile 
Schottlands  sechs  Pence  im  Sommer  und  fünf  Pence  im 


106  Ei'stes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

"Winter.  Drei  Schilling  die  Woche,  also  so  ziemlich 
dasselbe,  wird  noch  heute  in  einigen  Teilen  der  Hoch- 
lande und  auf  den  westlichen  Inseln  bezahlt.  Im  größten 
Teile  des  Tieflandes  ist  der  üblichste  Lohn  für  gemeine 
Arbeit  acht  Pence  täglich;  zehn  Pence,  bisweilen  einen 
Schilling,  beträgt  er  um  Kdinburg,  in  den  an  England 
grenzenden  Grafschaften,  wahrscheinlich  wegen  dieser 
Nachbarschaft,  und  an  einigen  wenigen  Orten,  wo  sich 
jüngst  eine  beträchtliche  Zunahme  der  Nachfrage  nach 
Arbeit  eingestellt  hat,  um  Glasgow,  Carron,  Ayrshire 
u.  s.  w.  In  England  begannen  die  Fortschritte  im 
Landbau,  in  den  Gewerben  und  im  Handel  viel  früher, 
als  in  Schottland.  Mit  diesen  Fortschritten  mußte  not- 
wendig die  Nachfrage  nach  Arbeit  und  folglich  ihr  Preis 
steigen.  Daher  war  sowohl  im  vorigen  wie  im  jetzigen 
Jahrhundert  der  Arbeitslohn  in  England  höher,  als  in 
Schottland.  Er  ist  seit  jener  Zeit  noch  beträchtlich  ge- 
stiegen, obgleich  wegen  der  größeren  Schwankungen 
der  Löhne  je  nach  den  verschiedenen  Orten  schwer  zu 
bestimmen  ist,  wie  sehr  er  stieg.  Im  Jahre  1614  war 
der  Sold  eines  Fußsoldaten  der  nämliche,  wie  jetzt, 
nämlich  acht  Pence  den  Tag.  Als  er  zuerst  festgesetzt 
wurde,  wurde  er  natürlich  nach  dem  üblichen  Lohn 
gemeiner  Arbeiter  bestimmt,  d.  h.  desjenigen  Standes, 
aus  dem  Fußsoldaten  gewöhnlich  genommen  werden. 
Der  Lord-Oberrichter  Haies,  der  zur  Zeit  Karls  II. 
schrieb,  berechnet  die  notwendigen  Ausgaben  einer 
Arbeiterfamilie,  die  aus  sechs  Personen,  dem  Vater, 
der  Mutter,  zwei  zu  etwas  Arbeit  fähigen  und  zwei 
arbeitsunfähigen  Kindern  besteht,  auf  zehn  Schilling- 
die  "Woche  oder  sechsundzwanzig  Pfund  im  Jahr.  "Wenn 
sie  dies  mit  ihrer  Arbeit  nicht  verdienen  können,  so 
müssen  sie  es  nach  seiner  Meinung  durch  Betteln  oder 
Stehlen  aufbringen;  und  er  scheint  sehr  sorgfältige 
Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand  angestellt  zu 


Kap.  YLII.:  Der  Arbeitslohn.  107 

haben*)  Im  Jahre  1688  berechnete  Gregory  King, 
dessen  statistisches  Geschick  von  Doktor  Davenant  so 
sehr  gerühmt  wird,  das  gewöhnliche  Einkommen  der 
Arbeiter  und  Lohndiener  auf  jährhch  fünfzehn  Pfund 
für  eine  Familie,  deren  Bestand  er  im  Durchschnitt 
zu  drei  und  einer  halben  Person  annahm.  Seine  Be- 
rechnung ist,  obwohl  scheinbar  von  der  des  Richters 
Haies  verschieden,  im  Grunde  doch  mit  dieser  ziemlich 
übereinstimmend.  Beide  nehmen  die  wöchentliche  Aus- 
gabe solcher  Familien  auf  etwa  zwanzig  Pence  für  den 
Kopf  an.  Seit  dieser  Zeit  sind  sowohl  die  Einkünfte 
als  die  Ausgaben  solcher  Familien  im  größten  Teile 
des  Königreichs  ansehnlich  gewachsen;  an  dem  einen 
Orte  mehr,  an  einem  anderen  weniger,  obgleich  vielleicht 
nirgends  so  sehr,  wie  gewisse  übertriebene  Berech- 
nungen des  gegenwärtigen  Arbeitslohns  sie  neuerdings 
dem  Publikum  darstellten.  Der  Preis  der  Arbeit  kann, 
wie  bemerkt  werden  muß,  nirgends  sehr  genau  fest- 
gestellt werden,  da  oft  an  demselben  Orte  und  für 
dieselbe  Sorte  von  Arbeit  nicht  blos  je  nach  der  ver- 
schiedenen Geschicklichkeit  der  Arbeiter,  sondern 
auch  nach  der  Willigkeit  oder  Kargheit  der  Meistor 
verschiedene  Preise  gezahlt  werden.  Wo  der  Arbeits- 
lohn nicht  gesetzlich  geregelt  ist,  können  wir  nicht 
beanspruchen,  etwas  anderes  festzustellen  als,  welches 
der  üblichste  ist,  und  die  Erfahrung  scheint  zu  be- 
weisen, daß  Gesetze  ihn  niemals  angemessen  regeln, 
so  oft  sie  auch  mit  diesem  Anspruch  auftraten. 

Die  Sachvergütung  der  Arbeit,  die  wirkliche 
Menge  von  Lebens-  und  Genußmitteln,  welche  sie  dem 
Arbeiter  einbringt,  nahm  im  Laufe  des  gegenwärtigen 
Jahrhundert  vielleicht  in  noch  größerem  Maße  zu,  als 


*)  Man   sehe   sein  Scheme  for  the   maintenance  of  the  pour, 
in  Burn's  Histori/  of  the  Poor-laws- 


108  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

ihr  Geldpreis.  Nicht  nur  das  Getreide  ist  etwas  wohl- 
feiler geworden,  sondern  auch  viele  andere  Dingo,  welche 
den  fleißigen  Armen  eine  angenehme  und  gesunde  Ab- 
wechslung in  den  Nahrungsmitteln  darbieten,  sind  um 
ein  gut  Teil  billiger  geworden.  Die  Kartoffeln  z.  B. 
kosten  jetzt  im  größten  Teil  des  Königreichs  nur  halb 
soviel,  als  vor  dreißig  oder  vierzig  Jahren.  Dasselbe 
läßt  sich  von  den  Hüben,  dem  Kohl,  den  Mohrrüben 
sagen,  lauter  Gewächse,  die  früher  mit  dem  Spaten, 
jetzt  aber  gewöhnlich  mittels  des  Pfluges  bestellt  werden. 
Auch  alle  Arten  von  Gartengewächsen  sind  wohlfeiler 
geworden.  Die  Apfel  und  selbst  die  Zwiebeln  kamen 
im  vorigen  Jahrhundert  meist  aus  Flandern.  Die  großen 
Fortschritte  in  der  Verfertigung  der  gröberen  Leinen- 
und  Wollenzeuge  haben  den  Arbeitern  billigere  und 
bessere  Kleidung  und  die  Fortschritte  in  der  Verfer- 
tigung der  groben  Metallwaren  billigeres  und  besseres 
Handwerkzeug,  sowie  viele  angenehme  und  bequeme 
Hausgeräte  verschafft.  Seife,  Salz,  Lichter,  Leder 
und  gegohrene  Getränke  sind  allerdings,  hauptsächlich 
durch  die  darauf  gelegton  Steuern,  viel  teurer  geworden. 
Allein  die  Menge,  die  der  arbeitende  Arme  von  diesen 
Dingen  notwendig  braucht,  ist  so  gering,  daß  die  Er- 
höhung ihres  Preises  der  Verminderung  des  Preises  so 
vieler  anderen  Dinge  nicht  gleichkommt.  Die  gewöhn- 
liche Klage,  daß  der  Luxus  sich  selbst  bis  auf  die 
untersten  Volksklassen  erstreckt  und  die  arbeitenden 
Armen  jetzt  nicht  mehr  mit  der  Nahrung,  Kleidung 
und  Wohnung  zufrieden  sein  wollen,  an  der  sie  sich 
früher  haben  genügen  lassen,  kann  uns  überzeugen, 
daß  nicht  nur  der  Geldpreis  der  Arbeit,  sondern  auch 
ihre  Sachvergütung  gestiegen  ist. 

1st  nun  diese  Verbesserung  in  den  Umständen  der 
niederen  Volksklassen  als  ein  Vorteil  oder  als  ein 
Nachteil  für  die  Gesellschaft  anzusehen?   Die  Antwort 


Kap.  VIIL:  Der  Arbeitslohn.  109 

scheint  auf  den  ersten  Blick  außerordentlich  einfach. 
Dienstboten,  Tagelöhner  und  Arbeiter  verschiedener  Art 
machen  den  bei  Weitem  größten  Teil  jeder  großen 
politischen  Gemeinschaft  aus.  Was  immer  aber  die  Um- 
stände des  größten  Teils  verbessert,  kann  niemals  als 
ein  Nachteil  für  das  Ganze  angesehen  werden.  Sicher- 
lich kann  keine  Gesellschaft  blühend  und  glücklich  sein, 
deren  meiste  Glieder  arm  und  elend  sind.  Überdies  ist 
es  nicht  mehr  als  billig,  daß  die,  die  die  gesamte 
Masse  des  Volkes  mit  Nahrung,  Kleidung  und  Wohnung 
versorgen,  einen  solchen  Anteil  von  dem  Produkt  ihrer 
eigenen  Arbeit  erhalten,  um  sich  selbst  erträglich 
nähren,  kleiden  und  wohnen  zu  können. 

Die  Armut  ermutigt  zwar  nicht  zur  Ehe,  verhindert 
aber  auch  sie  nicht  immer.  Sie  scheint  sogar  der  Kin- 
dererzeugung günstig  zu  sein.  Eine  halbverhungerte 
Bergschottin  bringt  oft  mehr  als  zwanzig  Kinder  zur 
Welt,  während  eine  wohlgenährte  schöne  Dame  oft 
unfähig  ist,  ein  einziges  zu  gebären  und  im  Allge- 
meinen höchstens  zwei  oder  drei  Niederkünften  abhält. 
Die  unter  vornehmen  Frauen  so  häufige  Unfruchtbar- 
keit ist  unter  den  Frauen  niederen  Standes  sehr  selten. 
Während  die  Üppigkeit  im  schönen  Geschlecht  zwar 
vielleicht  die  Begierde  nach  Genuß  entflammt,  scheint 
sie  stets  die  Zeugungskraft  zu  schwächen  und  oft 
ganz  zu  zerstören. 

Allein  die  Armut  ist,  obwohl  sie  die  Kindererzeu- 
gung nicht  hemmt,  höchst  ungünstig  für  die  Kinder- 
erziehung. Die  zarte  Pflanze  ist  hervorgebracht,  muß 
aber  in  so  kaltem  Boden  und  so  rauhem  Klima  bald 
welken  und  sterben.  Es  ist,  wie  man  mir  oft  gesagt 
hat,  in  den  schottischen  Hochlanden  nichts  Ungewöhn- 
liches, daß  eine  Mutter,  die  zwanzig  Kinder  geboren 
hat,  nicht  zwei  am  Leben  behält.  Einige  sehr  erfahrene 
Offiziere  haben  mich  versichert,  daß  sie,  weit  entfernt, 
ihr  Regiment  damit  rekrutieren  zu  können,  niemals  im- 


110  Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Erti'agskraft  der  Arbeit. 

Stande  waren,  mit  allen  in  ilim  geborenen  Soldaten- 
kindern auch  nur  die  Zahl  der  Trommler  und  Pfeifer 
voll  zu  machen.  Dennoch  sieht  man  selten  irgend  wo 
so  viele  hübsche  Kinder,  als  um  eine  Kaserne  herum ; 
aber  sehr  wenige  von  ihnen  erreichen,  wie  es  scheint, 
das  vierzehnte  oder  fünfzehnte  Jahr.  An  einigen  Orten 
stirbt  die  Hälfte  der  Kinder  vor  dem  vierten  Jahre, 
an  vielen  vor  dem  siebenten,  und  fast  überall  vor  dem 
neunten  oder  zehnten.  Aber  diese  große  Sterblichkeit 
findet  sich  überall  hauptsächlich  unter  den  Kindern  des 
niederen  Volkes,  das  sie  nicht  mit  der  Sorgfalt  warten 
kann,  wie  die  besseren  Stände.  Obgleich  ihre  Ehen 
im  Allgemeinen  fruchtbarer  sind,  als  die  der  vor- 
nehmen Leute,  so  gelangen  doch  weniger  Kinder  aus 
jenen  zur  Reife.  In  Findelhäusern  und  unter  den  auf 
Kosten  der  Gemeinde  verpflegten  Kindern  ist  die 
Sterblichkeit  noch  größer,  als  unter  den  Kindern  der 
gewöhnlichen  Leute. 

Jede  Tiergattung  vermehrt  sich  naturgemäß  im 
Verhältnis  zu  den  Mitteln  ihres  Unterhalts,  und  keine 
Gattung  kann  sich  jemals  darüber  hinaus  vermehren. 
Aber  in  einer  zivilisierten  Gesellschaft  kann  der  Mangel 
an  Nahrungsmitteln  nur  unter  den  unteren  Volksklassen 
einer  weiteren  Vermehrung  der  Menschen  Schranken 
setzen  ;  und  er  kann  dies  nur  dadurch,  daß  er  einen 
großen  Teil  der  Kinder,  die  ihre  fruchtbaren  Ehen 
hervorbringen,  vernichtet. 

Die  reichliche  Belohnung  der  Arbeit,  welche  die 
niederen  Volksklassen  in  Stand  setzt,  für  ihre  Kinder 
besser  zu  sorgen  und  also  eine  größere  Anzahl  von 
ihnen  durchzubringen,  bewirkt  naturgemäß  eine  Erwei- 
terung und  Ausdehnung  jener  Schranken.  Es  verdient 
bemerkt  zu  werden,  daß  sie  dies  möglichst  genau  in  dem 
Verhältnisse  tut,  welches  die  Nachfrage  nach  Arbeit 
erfordert.      Wenn    diese   Nachfrage    beständig    wächst. 


Kap.  Vrn.:  Dei-  Arbeitslohn.  Hl 

SO  muß  die  Belohnung  der  Arbeit  notwendig  zur  Ehe 
und  zur  Vermehrung  der  Arbeiter  derart  ermuntern, 
um  sie  instand  zu  setzen,  jene  stets  wachsende  Nach- 
IVage  durch  eine  stets  zunehmende  Volkszahl  zu  be- 
friedigen. Wäre  der  Lohn  einmal  geringer,  als  es  zu 
diesem  Zweck  nötig  ist,  so  würde  der  Mangel  an  Händen 
ihn  bald  in  die  Höhe  treiben,  und  wäre  er  einmal  größer, 
so  würde  die  unmäßige  Vermehrung  der  Hände  ihn 
bald  wieder  auf  seinen  notwendigen  Satz  herunter- 
bringen. Der  Markt  würde  in  dem  einen  Falle  so 
schlecht  mit  Arbeit  versorgt  und  in  dem  anderen  so 
sehr  damit  überfüllt  sein,  daß  ihr  Preis  bald  auf  den 
richtigen  Satz  zurückkäme,  den  die  Verhähnisse  der 
Gesellschaft  erheischen.  So  regelt  die  Nachfrage  nach 
Menschen,  gleich  der  nach  jeder  anderen  Ware,  not- 
wendig auch  die  Erzeugung  der  Menschen,  beschleunigt 
sie,  wenn  sie  zu  langsam  vor  sich  geht,  und  verzögert 
sie,  wenn  sie  zu  rasch  fortschreitet.  Es  ist  diese  Nach- 
frage, die  die  Fortpflanzung  in  allen  Ländern  der  Welt, 
in  Nordamerika,  in  Europa  und  in  China  regelt  und  be- 
stimmt, die  sie  zu  einer  reißend  schnellen  in  dem  ersten, 
zu  einer  langsamen  und  schrittweisen  in  dem  zweiten, 
und  zu  einer  völlig  stillstehenden  in  dem  letzten  macht. 
Die  Abnutzung  eines  Sklaven,  hat  man  gesagt,  geht 
auf  Kosten  seines  Herrn,  die  eines  freien  Dieners  auf 
seine  eigenen  Kosten.  Allein  die  Abnutzung  des  letzteren 
geht  in  Wahrheit  ebenso  auf  Kosten  seines  Herrn,  als 
die  des  ersteren.  Der  an  Taglöhner  und  Dienstboten 
aller  Art  bezahlte  Lohn  muß  diese  im  Ganzen  ge- 
nommen instand  setzen,  das  Geschlecht  der  Taglöhner 
und  Dienstboten  in  dem  Maße  fortzupflanzen,  als  es 
die  wachsende,  abnehmende  oder  sich  gleichbleibende 
Nachfrage  der  Gesellschaft  gerade  verlangt.  Wenn  in- 
deß  auch  die  Abnutzung  eines  freien  Dieners  gleich- 
falls auf  Kosten  seines  Herrn  geschieht,  so  kostet  sie 


112  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

letzteren  doch  in  der  Regel  weit  weniger,  als  die  eines 
Sklaven.  Der  zum  Ersatz  oder  so  zu  sagen  zur  Wieder- 
herstellung eines  abgenutzten  Sklaven  bestiuimte  Fonds 
wird  gewöhnlich  von  einem  nachlässigen  Heri'n  oder 
einem  sorglosen  Aufseher  verwaltet.  Der  zu  demselben 
Zwecke  für  einen  freien  Mann  bestimmte  Fonds  wird 
von  dem  freien  Manne  selbst  verwaltet.  Die  Unordnung, 
welche  gewöhnlich  im  Haushalt  des  Reichen  herrscht, 
macht  sich  naturgemäß  in  der  Beaufsichtigung  des  Er- 
steren  geltend:  die  strikte  Mäßigkeit  und  aufmerksame 
Sparsamkeit  des  Armen  herrscht  eben  so  natürlich  in 
der  Beaufsichtigung  des  Letzteren.  Unter  so  ungleicher 
Aufsicht  muß  derselbe  Zweck  sehr  ungleiche  Kosten 
verursachen.  Und  so  lehrt,  wie  ich  glaube,  die  Erfahrung 
aller  Zeiten  und  Völker,  daß  die  Arbeit  freier  Leute 
am  Ende  wohlfeiler  ist,  als  die  der  Sklaven.  Dies  findet 
sich  sogar  in  Boston,  New- York  und  Philadelphia  be- 
stätigt, wo  doch  der  Lohn  gemeiner  Arbeit  sehr  hoch  ist. 

Die  reichliche  Belohnung  der  Arbeit  ist  mithin  eben- 
sowohl die  Wirkung  des  zunehmenden  Reichtums  wie 
die  Ursache  der  zunehmenden  Volksmenge.  Darüber 
klagen  heißt  über  die  notwendige  Wirkung  und  Ur- 
sache der  größten  öffentlichen  Wohlfahrt  jammern. 

Es  verdient  vielleicht  bemerkt  zu  werden,  daß  die 
Lage  der  arbeitenden  Armen,  der  großen  Masse  des 
Volks,  mehr  in  dem  fortschreitenden  Stadium,  wo  die 
Gesellschaft  weiterem  Erwerb  zueilt,  als  in  dem,  wo  sie 
eine  Fülle  des  Reichtums  bereits  erworben  hat,  am 
glücklichsten  und  behaglichsten  zu  sein  scheint.  Sie 
ist  hart  in  dem  Stadium  des  Stillstands  und  elend  in 
dem  des  Verfalls.  Der  Zustand  des  Fortschritts  ist  in 
der  Tat  für  alle  Gesellschaftsklassen  ein  Zustand  des 
Frohsinns  und  der  Kraft.  Der  Stillstand  macht  träge, 
der  Verfall  traurig. 

Die  reichliche  Belohnung  der  Arbeit  ermuntert  eben- 


Kap.  Vin.:  Der  Arbeitslohn.  113 

sowohl  den  gemeinen  Mann  zur  Fortpflanzung,  wie  sie 
ihn  zum  Fleiße  anspornt.  Der  Arbeitslohn  ist  die  Auf- 
munterung zum  Fleiße,  der,  wie  jede  andre  menschliche 
Eigenschaft,  in  dem  Grade  zunimmt,  wie  er  Aufmunte- 
rung erfährt.  Reichliche  Nahrung  stärkt  die  Körper- 
kräfte  des  Arbeiters,  und  die  wohltuende  Hoffnung 
seine  Lage  zu  verbessern,  und  seine  Tage  vielleicht  in 
Ruhe  und  Fülle  zu  beschließen,  feuert  ihn  an,  seine 
Kräfte  aufs  Ausserste  anzustrengen.  Wo  der  Arbeits- 
lohn hoch  ist,  finden  wir  demnach  stets  die  Arbeiter 
tätiger,  fleißiger  und  flinker,  als  da,  wo  er  niedrig  ist; 
in  England  z.  B.  mehr  als  in  Schottland,  in  der  Um- 
gebung großer  Städte  mehr,  als  an  entlegenen  Orten 
des  platten  Landes.  Freilich  werden  manche  Arbeiter, 
wenn  sie  in  vier  Tagen  soviel  verdienen  können,  um 
eine  Woche  davon  zu  leben,  in  den  übrigen  drei  Tagen 
müßig  gehen ;  aber  dies  ist  durchaus  nicht  bei  der  Mehr- 
zahl der  Fall.  Im  Gegenteil  sind  die  Arbeiter,  wenn  sie 
reichlich  nach  dem  Stück  bezahlt  werden,  sehr  geneigt, 
sich  zu  überarbeiten,  und  in  wenigen  Jahren  ihre  Gesund- 
heit undKürperbeschaffenheit  zu  ruinieren.  Ein  Zimmer- 
mann in  London  und  einigen  anderen  Orten  bleibt,  wie 
man  annimmt,  nicht  über  acht  Jahre  bei  vollen  Kräften. 
Ahnlich  verhält  es  sich  in  vielen  anderen  Gewerben, 
in  denen  der  Arbeiter  nach  dem  Stück  bezahlt  wird, 
wie  dies  allgemein  in  den  Fabriken  der  Fall  ist  und 
selbst  bei  den  Feldarbeiten  überall,  wo  der  Lohn  hoher 
als  gewöhnlich  ist.  BeinahejedeKlasse  von  Handwerkern 
ist  einer  eigentümlichen  Krankheit  ausgesetzt,  die  durch 
übermäßige  Anstrengung  bei  der  besonderen  Art  ihrer 
Arbeit  veranlaßt  wird.  Ramuzzini,  ein  ausgezeichneter 
italienischer  Arzt,  hat  über  solche  Krankheiten  ein  be- 
sonderes Buch  geschrieben.  Wir  rechnen  unsre  Soldaten 
nicht  gerade  zu  den  fleißigsten  Leuten  unter  uns.  Wenn 
aber  Soldaten  zu  gewissen  Arbeiten  gebraucht  und  reich- 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  8 


i  14  Erstes  Buoli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

lieh  nach  dem  Stück  bezahlt  wurden,  mußten  ihre 
Offiziere  mit  dem  Unternehmer  das  Abkommen  treffen, 
daß  ihnen  nicht  gestattet  sein  solle,  bei  dem  Satze, 
nach  welchem  sie  bezahlt  wurden,  mehr  als  eine  gewisse 
Summe  täglich  zu  verdienen.  Ehe  dies  ausgemacht 
worden  war,  reizte  sie  oft  ihr-  gegenseitiger  Wetteifer 
und  das  Verlangen  nach  größerem  Gewinn,  sich  zu 
überarbeiten  und  ihrer  Gesundheit  durch  übermäßige 
Anstrengung  zu  schaden.  Der  übertriebene  Fleiß  wäh- 
rend vier  Tagen  der  Woche  ist  oft  die  wirkliche  Ursache 
jenes  Müssiggangs  an  den  drei  übrigen,  über  den  so  viele 
und  so  laute  Klage  geführt  wird.  Großer  Anstrengung 
des  Geistes  oder  des  Körpers,  mehrere  Tage  hinterein- 
ander fortgesetzt,  folgt  bei  den  meisten  Menschen  na- 
turgemäß ein  starkes  Verlangen  nach  Ei-holung,  das, 
wenn  es  nicht  mit  Gewalt  oder  durch  herbe  Not  bc' 
zwungen  wird,  fast  unwiderstehlich  ist.  Es  ist  der  Ruf 
der  Natur,  die  eine  gewisse  Schonung  fordert,  zuweilen 
durch  bloße  Ruhe,  zuweilen  auch  durch  Zerstreuung 
und  Vergnügung.  Wird  ihm  nicht  nachgegeben,  so 
sind  die  Folgen  oft  gefährlich  und  manchmal  tödlich 
und  fast  immer  so,  daß  sie  früher  oder  später  zu  der 
dem  Gewerbe  eigentümlichen  Krankheit  führen.  Wenn 
die  Meister  immer  auf  die  Eingebungen  der  Vernunft 
und  Menschlichkeit  hörten,  so  würden  sie  oft  Veran- 
lassung haben,  den  Fleiß  vieler  ihrer  Arbeiter  eher  zu 
mäßigen  als  anzufeuern.  Es  wird  sich,  wie  ich  glaube, 
bei  jedem  Gewerbe  herausstellen,  daß  der  Mann,  der 
mit  Maßen  arbeitet,  um  auf  die  Dauer  zur  Arbeit 
tauglich  zu  sein,  nicht  nur  seine  Gesundheit  am 
längsten  erhält,  sondern  auch  im  Laufe  eines  Jahres 
die  größte  Menge  Arbeit  verrichtet. 

Man  hat  behauptet,  daß  die  Arbeiter  in  wohlfeilen 
Jahren  träger,  und  in  teuren  arbeitsamer  als  gewöhnlich 
zu   sein   pflegen,    und   man   schloß  daraus,    daß  reich- 


Kap.  VIIL:  Der  Arbeitslohn.  liö 

liehe  Nahrung  ihren  Fleiß  erschlaffe  und  kärgliche  ihn 
ansporne.  Daß  eine  etwas  mehr  als  gewöhnliche 
Nahrungsfülle  manche  Arbeiter  träge  macht,  läßt  sich 
allerdings  nicht  leugnen;  daß  sie  diese  Wirkung  aber 
bei  der  Mehrzahl  haben  sollte,  oder  daß  die  Leute  im 
Allgemeinen  besser  arbeiten  sollten,  wenn  sie  schlecht, 
als  wenn  sie  gut  genährt  werden;  besser,  wenn  sie 
entmutigt,  als  wenn  sie  gut  aufgelegt  sind;  besser, 
wenn  sie  oft  krank,  als  wenn  sie  fast  immer  gesund 
sind:  ist  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Jahre  der  Teurung 
sind,  was  zu  beachten  ist,  unter  den  gewöhnlichen 
Leuten  in  der  Regel  Jahre  der  Krankheit  und  Sterb- 
lichkeit, wodurch  sich  das  Produkt  ihres  Fleißes  not- 
wendig vormindern  muß. 

In  Jahren  der  Fülle  verlassen  die  Dienenden  oft 
ihre  Herren,  und  hoffen  durch  Fleiß  ihren  Unterhalt 
selbständio-  zu  gewinnen.  Aber  dieselbe  Wohlfeilheit 
der  Lebensmittel  spornt  durch  Vergrößerung  des  für 
den  Unterhalt  der  Dienenden  bestimmten  Fonds  auch 
die  Herren,  besonders  die  Pächter  an,  eine  größere 
Arbeitermengo  zu  beschäftigen.  Die  Pächter  erwarten 
in  solchen  Fällen  von  ihrem  Getreide  einen  größeren 
Gewinn,  wenn  sie  etwas  mehr  Dienstleute  unterhalten, 
als  wenn  sie  es  zu  einem  niedrigen  Preise  auf  dem 
Markte  verkaufen.  Die  Nachfrage  nach  Dienstleuten 
wächst,  während  die  Anzahl  derer,  die  sich  anbieten, 
abnimmt.  Daher  geht  der  Preis  der  Arbeit  in  wohl- 
feilen Jahren  oft  in  die  Höhe. 

In  Notjahren  macht  die  Schwierigkeit  und  Un- 
sicherheit des  Unterhalts  alle  solche  Leute  begierig,  in 
den  Dienst  zurückzukehren.  Der  hohe  Preis  der  Lebens- 
mittel aber,  wodurch  die  für  den  Unterhalt  der  Dienen- 
den bestimmten  Fonds  verringert  werden,  bewegt  die 
Arbeitgeber  eher,  die  Anzahl  derei',  die  sie  haben,  zu 
vermindern,  als  zu  vergrößern.    Auch  verzehren  oft  in 


116  Erstes  Buch:  Ziunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

teuren  Jahren  arme  unabhängige  Handwerker  das  ge- 
ringe Kapital,  mit  dem  sie  sich  sonst  ihr  Arbeitsmaterial 
verschafften,  und  sehen  sich  gezwungen,  Gesellen  zu 
werden,  um  leben  zu  können.  Dann  verlangen  mehr 
Leute  Arbeit,  als  zu  bekommen  ist;  und  viele  sind  be- 
reit, sie  unter  schlechteren  Bedingungen,  als  gewöhn- 
lich, anzunehmen,  und  so  geht  der  Arbeitslohn  der 
Knechte  und  Gesellen  in  teuren  Jahren  oft  herunter. 
Die  Arbeitgeber  aller  Art  machen  deshalb  oft  in 
teuren  Jahren  an  ihren  Dienstleuten  ein  besseres  Ge- 
schäft, als  in  wohlfeilen,  und  finden  sie  in  den  ersteren 
demütiger  und  abhängiger,  als  in  den  letzteren.  Sie 
erklären  also  natürlicherweise  die  teuren  Jahre  als  dem 
Gewerbfleiß  günstiger.  Gutsbesitzer  und  Pächter,  die 
beiden  größten  Klassen  von  Arbeitgebern,  haben  über- 
dies noch  einen  andern  Grund  über  teure  Jahre  froh  zu 
sein.  Die  Renten  des  einen  und  die  Gewinne  des  andern 
hängen  gar  sehr  von  dem  Preise  der  Lebensmittel  ab. 
Nichts  kann  jedoch  alberner  sein,  als  sich  einzubilden, 
daß  die  Menschen  im  Allgemeinen  weniger  arbeiten 
sollten,  wenn  sie  für  sich  arbeiten,  als  wenn  sie  für 
andere  Leute  arbeiten.  Ein  armer  unabhängiger  Hand- 
werker wird  gewöhnlich  arbeitsamer  sein,  als  selbst  ein 
Geselle  der  nach  dem  Stück  arbeitet.  Der  eine  hat  von 
dem  Produkt  seines  Fleißes  den  vollen  Genuß,  der 
andere  teilt  ihn  mit  seinem  Meister.  Der  eine  ist  in 
seiner  abgesonderten,  unabhängigen  Stellung  den  Ver- 
suchungen schlechter  Gesellschaft,  die  in  großen  Fabri- 
ken die  Sitten  des  anderen  so  häufig  verderben,  weniger 
ausgesetzt.  Die  Überlegenheit  unabhängiger  Hand- 
werker über  die  Arbeiter,  welche  monats-  oder  jahr- 
weise gedungen  werden,  und  deren  Lohn  und  Unter- 
halt derselbe  bleibt,  ob  sie  viel  oder  wenig  tun,  ist 
wahrscheinlich  noch  weit  größer.  Wohlfeile  Jahre  er- 
höhen der  Natur  der  Sache  nach  das  Verhältnis  unab- 


Kap.  VIII.:  Der  Arbeitslohn.  1]^7 

hängiger  Handwerker  zu  den  Gesellen  und  Dienenden 
aller  Art  und  teure  Jahre  erniedrigen  es. 

Ein  französischer  Schriftsteller  von  vielem  Wissen 
und  Scharfsinn,  Messance,  Steuereinnehmer  in  dem 
Bezirk  von  St.  Etienne,  sucht  zu  zeigen,  daß  die  Armen 
in  wohlfeilen  Jahren  mehr  arbeiten,  als  in  teuren,  und 
vergleicht  zu  diesem  Zwecke  die  Menge  und  den  Wert 
der  in  diesen  verschiedenen  Fällen  in  drei  Fabrik- 
zwoigen  gefertigten  Waren,  nämlich  in  den  Fabriken 
grober  Wollenwaren  zu  Elbeuf,  und  in  den  Leinen- 
und  Seidenfabriken,  die  sich  über  das  ganze  Gebiet 
von  Rouen  erstrecken.  Aus  seiner  auf  die  amtlichen 
Berichte  gestützten  Rechnung  ergibt  sich,  daß  die 
Menge  und  der  Wert  der  in  allen  drei  Fabrikzweigen 
hergestellten  Waren  in  wohlfeilen  Jahren  größer  als 
in  teuren,  und  daß  sie  in  den  wohlfeilsten  stets  am 
größten,  in  den  teuersten  am  kleinsten  war.  Alle  drei 
scheinen  stillstehende,  d.  h.  solche  Industriezweige  zu 
sein,  die,  wenn  auch  die  Menge  ihrer  Erzeugnisse  von 
einem  Jahre  zum  anderen  etwas  schwanken  mag,  doch 
im  Ganzen  weder  zurück  noch  vorwärts  gehen. 

Die  Leinenindustrie  in  Schottland  und  diejenige 
grober  Wollenzeuge  im  westlichen  Bezirk  von  York- 
shire sind  zunehmende  Industrien,  deren  Produkt  im 
Allgemeinen,  wenn  auch  mit  gewissen  Schwankungen, 
an  Menge  und  Wort  zunimmt.  Bei  Prüfung  der  über 
ihre  jährliche  Produktion  veröffentlichten  Berichte  habe 
ich  jedoch  nicht  bemerken  können,  daß  ihre  Schwank- 
ungen mit  der  Teuerung  oder  Wohlfeilheit  der  Jahre 
in  merkbarem  Zusammenhang  ständen.  Im  Jahre  1740, 
in  dem  großer  Mangel  herrschte,  scheinen  allerdings 
beide  Industriezweige  sehr  gedrückt  gewesen  zu  sein. 
Im  Jahre  1756  aber,  in  dem  ebenfalls  großer  Mangel 
herrschte,  machte  die  schottische  Industrie  außerge- 
wöhnliche Fortschritte.  Die  Yorkshirer  Industrie  nahm 


lis  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit, 

allerdings  ab,  und  ihr  Produkt  stieg  seit  1755  nicht 
mehr  auf  die  Höhe  dieses  Jahres,  bis  1766  die  ameri- 
kanische Stempelakte  abgeschafft  wurde.  In  diesem 
und  dem  folgenden  Jahre  stieg  ihr  Produkt  höher,  als 
zuvor,  und  sie  hat  seitdem  immer  größere  Fortschritte 
gemacht. 

Die  Produktion  aller  großen  exportierenden  Indu- 
striezweige muß  notwendigerweise  nicht  sowohl  von 
der  Teuerung  oder  Wohlfeilheit  der  Jahre  in  den 
Ländern,  wo  sie  betrieben  werden,  als  von  den  Um- 
ständen abhängen,  welche  die  Nachfrage  in  den  Ländern 
bestimmen,  in  denen  sie  verbraucht  werden;  vonFrieden 
oder  Krieg,  vom  Gedeihen  oder  Verfall  anderer  riva- 
lisierender Industrien,  und  von  der  guten  oder  üblen 
Laune  ihrer  Hauptkunden.  Überdies  kommt  ein  großer 
Teil  der  in  wohlfeilen  Jahren  wahrscheinlich  verrich- 
teten außergewöhnlichen  Arbeit  niemals  in  die  öffent- 
lichen Industrieregister.  Die  männlichen  Arbeiter, 
welche  ihre  Arbeitgeber  verlassen,  werden  Arbeiter  auf 
eigene  Bechnung,  und  die  Arbeiterinnen  kehren  zu 
ihren  Eltern  zurück,  und  spinnen  gewöhnlich  für  ihren 
eigenen  vmd  ihrer  Familien  Kleidungsbedarf,  Selbst 
die  unabhängigen  Handwerker  arbeiten  nicht  immer 
für  den  öffentlichen  Verkauf,  sondern  werden  von  ihren 
Nachbarn  für  deren  Hausbedarf  beschäftigt.  Daher  fehlt 
ihr  Arbeitsprodukt  häufig  in  jenen  öffentlichen  Re^ 
gistern,  deren  Ergebnisse  zuweilen  mit  so  vielem  Stolz 
veröffentlicht  werden,  und  nach  denen  unsere  Kauf- 
leute und  Fabrikanten  das  Gedeihen  oder  den  Verfall 
der  größten  Reiche  anzukündigen  oft  vergeblich  be^ 
ansprachen  würden. 

Obgleich  die  Veränderungen  im  Preise  der  Arbeit 
nicht  immer  mit  denen  im  Preise  der  Lebensmittel  über- 
einstimmen, ihnen  vielmehr  oft  gerade  entgegengesetzt 
sind,    darf  man   darum   doch   nicht    denken,    daß    der 


Kap.  VIII.:  Der  Arbeitslohn.  HQ 

Preis  der  Lebensmittel  auf  den  der  Arbeit  keinen  Ein- 
fluß habe.  Der  Geldpreis  der  Arbeit  wird  notwendig 
durch  zweierlei  Umstände  bestimmt,  durch  die  Nach- 
frage nach  Arbeit,  und  durch  den  Preis  der  Lebens- 
und Genußmittel.  Je  nachdem  die  Nachfrage  nach  Ar- 
beit zunimmt,  sich  gleichbleibt  oder  abnimmt;  je  nach- 
dem sie  also  eine  zunehmende,  sich  gleichbleibende  oder 
abnehmende  Volkszahl  erfordert,  bestimmt  sie  die  Men- 
ge von  Lebens-  und  Genußmitteln,  die  dem  Arbeiter 
zugebilligt  werden  muß ;  und  der  Geldpreis  der  Arbeit 
wird  durch  die  Summe  bestimmt,  die  zum  Ankauf  dieser 
Menge  notwendig  ist.  Wenn  daher  auch  der  Geldpreis 
der  Arbeit  zuweilen  hoch  ist,  während  der  Preis  der 
Nahrungsmittel  niedrig  steht,  so  würde  er  doch,  wenn 
die  Nachfrage  dieselbe  bliebe,  noch  höher  sein,  falls 
der  Preis  der  Nahrungsmittel  hoch  stände. 

Weil  die  Nachfrage  nach  Arbeit  in  Jahren  plötz- 
licher und  ungewöhnlicher  Fülle  zu-,  in  solchen  plötz- 
lichen und  ungewöhnlichen  Mangels  dagegen  abnimmt, 
steigt  der  Geldpreis  der  Arbeit  in  den  einen  und  sinkt 
in  den  anderen. 

In  einem  Jahre  plötzlicher  und  ungewöhnlicher 
Fülle  befinden  sich  in  den  Händen  vieler  Arbeitgeber 
hinreichende  Fonds,  um  eine  größere  Anzahl  fleißiger 
Leute  zu  unterhalten  und  zu  beschäftigen,  als  im  vor- 
hergehenden Jahre  beschäftigt  worden  sind;  und  diese 
ungewöhnliche  Anzahl  ist  nicht  immer  gleich  zu  haben. 
Daher  überbieten  sich  die  Arbeitgeber,  die  Arbeiter 
brauchen,  und  infolgedessen  steigt  sowohl  der  Sach- 
wie  der  Geldpreis  ihrer  Arbeit. 

Das  Gegenteil  davon  tritt  in  einem  Jahre  plötz- 
lichen und  ungewöhnlichen  Mangels  ein.  Die  zur  Be- 
schäftigung von  Arbeitern  bestimmten  Fonds  sind  ge- 
ringer, als  im  vorhergehenden  Jahre.  Eine  große  Menge 
Leute  werden  beschäftigungslos,  und  diese  bieten,  um 


120   Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Arbeit  zu  erhalten,  einander  herunter,  wodurch  bis- 
weilen sowohl  der  Sach-  wie  der  Geldpreis  der  Arbeit 
sich  erniedrigt.  Im  Jahre  1740,  wo  ungewöhnlicher 
Mangel  herrschte,  waren  Viele  bereit,  für  die  nackte 
Existenz  zu  arbeiten.  In  den  darauf  folgenden  Jahren 
der  Fülle  war  es  schwerer,  Arbeiter  und  Dienstboten 
zu  bekommen. 

Der  Mangel  in  einem  teuren  Jahre  wirkt  durch 
Verminderung  der  Nachfrage  nach  Arbeit  naturgemäß 
auf  Erniedrigung  ihres  Preises,  während  der  hohe  Preis 
der  Nahrungsmittel  auf  seine  Erhöhung  wii-kt.  Die 
Fülle  eines  wohlfeilen  Jahres  wirkt  hingegen  durch 
Vermehrung  der  Nachfrage  auf  Erhöhung  des  Arbeits- 
preises, während  die  Wohlfeilheit  der  Nahrungsmittel 
auf  seine  Ermäßigung  wirkt.  Bei  den  gewöhnlichen 
Schwankungen  der  Nahrungsmittelpreise  scheinen  diese 
beiden  entgegengesetzten  Ursachen  einander  die  Wage 
zu  halten,  was  wahrscheinlich  teilweise  der  Grund  ist, 
warum  der  Arbeitslohn  überall  so  viel  stetiger  und 
dauernder  ist,  als  der  Preis  der  Nahrungsmittel. 

Das  Steigen  des  Arbeitslohnes  erhöht  notwendig 
den  Preis  vieler  Waren,  weil  es  den  Teil  des  Preises 
erhöht,  der  sich  in  Lohn  auflöst,  und  insofern  bewirkt 
es  eine  Verminderung  im  Verbrauch  dieser  Waren 
daheim  und  im  Auslande.  Dieselbe  Ursache  jedoch, 
die  den  Arbeitslohn  steigert,  die  Zunahme  des  Kapitals 
nämlich,  bewirkt  eine  Zunahme  der  erzeugenden  Kräfte 
der  Arbeit  und  die  Herstellung  eines  größeren  Arbeits- 
produktes durch  eine  geringere  Arbeitermenge.  Der 
Kapitalist,  der  eine  große  Anzahl  Arbeiter  beschäftigt, 
ist  notwendig  um  seines  eigenen  Vorteils  willen  be- 
müht, die  Beschäftigung  so  angemessen  zu  verteilen, 
daß  die  Arbeiter  eine  größtmögliche  Menge  Waren 
hervorzubringen  vormögen.  Aus  demselben  Grunde 
bemüht   er  sich,   ihnen   die  besten  Maschinen   zu  ver- 


Kap.  V III.:  Der  Arbeitslohn.  121 

schaffen,  die  er  oder  sie  kennen.  Was  aber  unter  den 
Arbeitern  einer  Werkstatt  platzgreift,  greift  aus  dem- 
selben Grunde  auch  unter  denen  einer  großen  Gesell- 
schaft Platz.  Je  größer  ihre  Anzahl,  desto  mehr  teilen 
sie  sich  naturgemäß  in  verschiedene  Gattungen  und 
Unterarten  der  Beschäftigung.  Es  sind  mehr  Köpfe 
beschäftigt,  die  geeignetsten  Maschinen  für  jeden  Pro- 
duktionszweig zu  erfinden,  und  desto  mehr  werden 
sie  folglich  erfinden.  Es  gibt  mithin  viele  Waren, 
die  infolge  dieser  Verbesserungen  mit  so  viel  weniger 
Arbeit,  als  früher,  hervorgebracht  werden,  daß  der 
erhöhte  Preis  der  Arbeit  durch  die  Verringerung  der 
zu  ihrer  Herstellung  nötigen  Arbeit  mehr  als  aufge- 
wogen wird. 


Neuntes  Kapitel. 
Der  Kapitalgewinn. 

Das  Steigen  und  Fallen  im  Kapitalgewinn  hängt  von 
denselben  Ursachen  ab,  wie  das  Steigen  und  Fallen  im 
Arbeitslohn,  nämlich  von  dem  wachsenden  oder  abneh- 
menden Reichtum  der  Gesellschaft;  aber  diese  Ursachen 
berühren  den  einen  ganz  anders,  als  den  anderen. 

Das  Wachsen  des  Kapitals,  das  den  Lohn  erhöht, 
wirkt  auf  Verminderung  des  Gewinns.  Wenn  die  Ka- 
pitalien vieler  reicher  Kaufleute  demselben  Geschäfts- 
zweige zugewendet  werden,  so  wirkt  ihre  gegenseitige 
Konkurrenz  natürlich  auf  Verringerung  des  Gewinns; 
und  wenn  in  all  den  verschiedenen  Geschäftszweigen, 
die  in  derselben  Gesellschaft  betrieben  werden,  eine 
gleiche  Kapitalienvermehrung  stattfindet,  so  muß  die 
Konkurrenz  dieselbe  Wirkung  in  ihnen  allen  äußern. 

Es  ist,  wie  schon  bemerkt  worden,  nicht  leicht,  den 
durchschnittlichen  Arbeitslohn  selbst  eines  bestimmten 
Orts  und  eines  bestimmten  Zeitpunktes  festzustellen.  Wir 
können  auch  in  dieser  Beschränkung  selten  etwas  anderes 
feststellen,  als  den  üblichsten  Arbeitslohn.  Aber  in  Be- 
zug auf  den  Kapitalgewinn  kann  auch  dies  nur  selten 
geschehen.  Der  Gewinn  ist  so  schwankend,  daß  der 
Geschäftstreibende  selbst  nicht  immer  sagen  kann,  wie 
viel  sein  mittlerer  Jahresgewinn  beträgt.  Dieser  wird 
nicht  nur  durch  jede  Preisveränderung  der  Waren,  mit 
denen  er  handelt,  beeinflußt,  sondern  auch  durch  das 


Kap.  IX.:  Der  Kapitalgewinn.  123 

Glück  oder  Unglück  seiner  Mitbewerber  und  seiner 
Kunden,  so  wie  durch  tausend  andere  Zufälle,  denen 
die  Güter,  ob  sie  nun  zu  Wasser  oder  zu  Lande  ver- 
schickt oder  ob  sie  in  einem  Lagerhause  aufbewahrt 
werden,  unterworfen  sind.  Er  schwankt  daher  nicht 
nur  von  Jahr  zu  Jahr,  sondern  von  Tag  zu  Tag,  und 
beinahe  von  Stunde  zu  Stunde.  Den  mittleren  Gewinn 
aller  verschiedenen  Gewerbe  eines  großen  Königreichs 
festzustellen,  müßte  noch  viel  schwieriger  sein;  und 
mit  einiger  Genauigkeit  zu  beurteilen,  wie  hoch  er 
früher  oder  in  längst  verflossenen  Zeiten  gewesen  ist, 
muß  ganz  unmöglich  sein. 

Wenn  es  aber  auch  unmöglich  ist,  mit  einiger  Ge- 
nauigkeit anzugeben,  wie  viel  der  mittlere  Kapitalge- 
winn heute  beträgt  oder  früher  betragen  hat,  so  kann 
man  sich  doch  einen  gewissen  Begriff  davon  machen 
nach  dem  Geldzins.  Es  kann  als  Grundsatz  gelten, 
daß,  wo  mit  der  Nutzung  von  Geld  ein  großes  Geschäft 
gemacht  werden  kann,  gewöhnlich  auch  für  seine 
Nutzung  viel  bezahlt  wird;  und  daß,  wo  nur  ein  ge- 
ringes Geschäft  damit  gemacht  werden  kann,  in  der 
Regel  auch  weniger  dafür  bezahlt  wird.  Je  nachdem 
also  der  übliche  Zinsfuß  in  einem  Lande  sich  ändert, 
kann  man  auch  mit  Gewißheit  annehmen,  daß  der  ge- 
wöhnliche Kapitalgewinn  sich  mit  ihm  ändert;  sinkt, 
wenn  jener  sinkt,  und  steigt,  wenn  jener  steigt.  Die 
Entwicklung  des  Zinsfußes  kann  uns  mithin  zu  einem 
Schlüsse  auf  die  Entwicklung  des  Gewinnes  leiten. 

Durch  die  Akte  aus  dem  37.  Jahre  Heinrichs  VllL 
wurde  aller  Zins  über  zehn  Prozent  für  ungesetzlich 
erklärt.  Früher,  scheint  es,  hatte  man  bisweilen  mehr 
genommen.  Unter  der  Regierung  Eduards  VL  verbot 
der  religiöse  Eifer  allen  Zins.  Dieses  Verbot  soll  jedoch, 
gleich  allen  anderen  dieser  Art,  keinen  Erfolg  gehabt 
haben    und    hat    wahrscheinlich    eher    das    Übel    des 


124  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Wuchers  verschlimmert,  als  ihm  gesteuert.  Das  Statut 
Heinrichs  VIII.  wurde  durch  das  Statut  aus  dem 
13.  Jahre  Elisabeths,  Kapitel  8,  erneuert,  und  zehn 
Prozent  blieb  der  gesetzliche  Zinsfuß  bis  ins  21.  Jahr 
Jakobs  I.,  wo  er  auf  acht  ermäßigt  wurde.  Bald  nach 
der  Restauration  wurde  er  auf  sechs  Prozent  und  im 
12.  Jahre  der  Königin  Anna  auf  fünf  herabgesetzt.  Alle 
diese  Verordnungen  scheinen  den  Zeitverhältnissen  sehr 
angemessen  gewesen  zu  sein.  Sie  scheinen  lediglich  dem 
Zinsfuße  des  Marktes,  oder  dem,  zu  welchem  Leute  mit 
gutem  Kredit  Geld  zu  borgen  pflegten,  gefolgt  zu  sein. 
Seit  der  Zeit  der  Königin  Anna  scheinen  fünf  vom 
Hundert  eher  über  als  unter  dem  marktgängigen  Zins- 
fuße gewesen  zu  sein.  Vor  dem  letzten  Kriege  machte 
die  Begierung  ein  Anlehen  zu  drei  Prozent,  und  Leute 
mit  gutem  Kredit  borgten  in  der  Hauptstadt  und  an 
vielen  anderen  Orten  des  Königreichs  zu  drei  und  ein 
halb,  vier,  und  vier  und  ein  halb  Prozent. 

Seit  der  Zeit  Heinrichs  VIII.  hob  sich  der  Reich- 
tum und  das  Einkommen  des  Landes  ohne  Unter- 
brechung, und  ihr  Fortschritt  scheint  im  weiteren  Ver- 
laufe eher  beschleunigt,  als  aufgehalten  worden  zu  sein. 
Sie  haben,  wie  es  scheint,  nicht  nur  zugenommen,  viel- 
mehr ist  diese  Zunahme  schneller  und  schneller  erfolgt. 
Der  Arbeitslohn  war  während  dieser  Periode  stets  im 
Steigen,  und  der  Kapitalgewinn  war  in  den  meisten 
Zweigen  des  Handels  und  Gewerbes  im  Fallen. 

Es  erfordert  in  der  Regel  ein  größeres  Kapital, 
ein  Geschäft  in  einer  großen  Stadt,  als  in  einem  Land- 
städtchen zu  betreiben.  Die  in  Geschäften  aller  Art 
angelegten  grollen  Kapitalien  und  die  Menge  der  reichen 
Wettbewerber  verringerten  in  der  Regel  den  Gewinn- 
satz in  der  großen  Stadt  mehr,  als  in  der  Landstadt. 
Der  Arbeitslohn  aber  ist  in  einer  großen  Stadt  gewöhn- 
lich höher,  als  in  einem  Landstädtchen.   In  einer  leb- 


Kap.  IX.:  Der  Kaiiitalgewinn.  125 

haften  Stadt  können  diejenigen,  die  große  Kapitalien 
anzulegen  haben,  oft  nicht  soviel  Arbeiter  erhalten,  als 
sie  brauchen,  und  überbieten  einander,  um  so  viele  als 
möglich  zu  erhalten:  hierdurch  steigt  der  Arbeitslohn 
und  der  Kapitalgevvinn  sinkt.  In  den  entlegenen  Teilen 
des  Landes  fehlt  es  häufig  an  Kapital,  alle  Leute  zu 
beschäftigen,  und  diese  unterbieten  einander,  um 
Arbeit  zu  erhalten,  wodurch  der  Arbeitslohn  sinkt  und 
der  Kapitalgewinn  steigt. 

Obgleich  in  Schottland  der  gesetzliche  Zinsfuß  der- 
selbe ist,  wie  in  England,  so  ist  doch  der  marktgängige 
etwas  höher.  Leute  mit  bestem  Kredit  erhalten  dort 
selten  Geld  unter  fünf  Prozent.  Selbst  Privatbankiers 
in  Edinburg  geben  auf  ihre  trockenen  Wechsel,  deren 
Zahlung  im  ganzen  oder  teilweise  zu  jeder  beliebigen 
Zeit  gefordert  werden  kann,  vier  Prozent.  In  London 
geben  Privatbankiers  keine  Zinsen  für  das  Geld,  das 
bei  ihnen  niedergelegt  wird.  P^s  gibt  nur  wenige  Ge- 
werbe, die  nicht  in  Schottland  mit  einem  geringeren 
Kapital  betrieben  werden  können,  als  in  England.  Des- 
halb muß  dort  der  gewöhnliche  Gewinnsatz  etwas 
größer  sein.  Der  Arbeitslohn  ist,  wie  schon  bemerkt, 
in  Schottland  niedriger,  als  in  England.  Auch  ist  das 
Land  nicht  nur  viel  ärmer,  sondern  der  Fortschritt  zu 
einem  besseren  Zustande  —  denn  Fortschritte  macht 
es  offenbar  —  scheint  auch  weit  langsamer  und  träger 
zu  sein. 

Der  gesetzliche  Zinsfuß  in  Frankreich  ist  im  Laufe 
des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  nicht  immer  nach  dem 
marktgängigen  geregelt  worden''').  Im  Jahre  1720  wurde 
der  Zins  vom  zwanzigsten  auf  den  fünfzigsten  Pfennig, 
oder  von  fünf  auf  zwei  Prozent  heruntergesetzt.  1724 
wurde  er  auf  den  dreißigsten  Pfennig  oder  3V  a "  o, 
1725  wieder   auf   den   zwanzigsten   Pfennig:   oder  5  "/o 

'■■■)  Siehe  Denisart,  Article:  Taux  des  Interets,  toni.  III.  p.  18. 


126  Ei'Ntes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

gesteigert.  1766  unter  Laverdys  Administration  wurde 
er  auf  den  fünfundzvvanzigsten  Pfennig  oder  4  °  o 
herabgesetzt.  Der  Abbe  Terray  erhöhte  ihn  nachher 
auf  den  alten  Satz  von  fünf  vom  Hundert.  Der  beab- 
sichtigte Zweck  vieler  dieser  gewaltsamen  Zinsherab- 
Setzungen  war  der,  den  Weg  zu  einer  Zinsverminderung 
der  Staatsschulden  zu  bahnen,  ein  Zweck,  der  zuweilen 
auch  erreicht  worden  ist.  Frankreich  ist  jetzt  vielleicht 
kein  so  reiches  Land,  als  England,  und  obgleich  der 
gesetzliche  Zinsfuß  dort  oft  niedriger  war,  als  in  Eng- 
land, so  war  der  Marktsatz  doch  in  der  Regel  höher; 
denn,  wie  in  andern  Ländern,  hat  man  dort  sichere 
und  leichte  Mittel,  das  Gesetz  zu  umgehen.  Der  Ge- 
werbsgewinn ist,  wie  mir  britische  Kaufleute,  die  in 
beiden  Ländern  Geschäfte  trieben,  versicherten,  in 
Frankreich  höher,  als  in  England,  und  hierin  liegt  ohne 
Zweifel  der  Grund,  warum  viele  britische  Untertanen 
es  vorziehen,  ihre  Kapitalien  in  einem  Lande  anzulegen, 
wo  der  Handel  verachtet  wird,  anstatt  in  einem  Lande, 
wo  er  in  hoher  Achtung  steht.  Der  Arbeitslohn  ist  in 
Frankreich  niedriger  als  in  England.  Wenn  man  von 
Schottland  nach  England  kommt,  so  deutet  der  Unter- 
schied, den  man  zwischen  der  Kleidung  und  dem  Aus- 
sehen der  gewöhnlichen  Leute  in  dem  einen  und  in  dem 
anderen  Lande  bemerkt,  hinlänglich  auf  die  Ungleichheit 
ihrer  Lage  hin.  Aber  der  Gegensatz  ist  noch  größer, 
wenn  man  aus  Frankreich  zurückkehrt.  Frankreich,  ob- 
wohl ohne  Zweifel  ein  reicheres  Land  als  Schottland, 
scheint  nicht  so  schnell  vorwärts  zu  schreiten.  Es  ist 
eine  verbreitete  und  sogar  populäre  Meinung  im  Lande, 
daß  es  rückwärts  gehe;  eine  Meinung,  die,  wie  ich 
glaube,  selbst  in  Bezug  auf  Frankreich  unbegründet 
ist,  in  Bezug  auf  Schottland  aber  unmöglich  von  Je- 
mand gehegt  werden  kann,  der  dieses  Land  jetzt  sieht, 
und  es  vor  zwanzig  oder  dreißig  Jahren  gesehen  hat. 
Holland  andrerseits  ist  nach  Verhältnis  seiner  Ge- 


Kap.  TX.:   Der  Kapitalgewinn.  127 

bietsausdehnung  und  Volkszahl  ein  reicheres  Land  als 
England.  Die  Regierung  borgt  dort  zu  zwei,  und  Pri- 
vatleute mit  gutem  Kredit  zu  drei  Prozent.  Der  Ar- 
beitslohn soll  in  Holland  höher  als  in  England  sein,  und 
der  Holländer  handelt,  wie  bekannt,  mit  geringerem 
Gewinn,  als  irgend  Jemand  in  Europa.  Manche  haben 
behauptet,  daß  Hollands  Handel  im  Verfall  sei,  und 
von  einigen  Geschäftszweigen  mag  dies  vielleicht  richtig 
sein.  Allein  jene  Symptome  scheinen  hinreichend  dafür 
zu  sprechen,  daß  der  Verfall  kein  allgemeiner  ist.  Wenn 
der  Gewinn  sich  verringert,  so  sind  die  Kaufleute  sehr 
geneigt  über  Verfall  der  Geschäfte  zu  klagen,  obwohl 
die  Verminderung  des  Gewinns  die  natürliche  Folge  ihres 
Gedeihens,  oder  einer  umfangreicheren  Kapitalienver- 
wendung in  den  Geschäften  ist.  Im  letzten  Kriege  ge- 
wannen die  Holländer  den  ganzen  Speditionshandel 
Frankreichs,  und  sie  haben  noch  jetzt  einen  großen 
Teil  davon  in  Händen.  Ihr  großer  Besitz  in  franzö- 
sischen und  englischen  Staatspapieren  —  von  den 
letzteren  haben  sie  etwa  vierzig  Millionen,  wie  es  heißt 
—  wobei  ich  jedoch  eine  starke  Übertreibung  vermute, 
die  großen  Summen,  welche  sie  in  Ländern,  wo  der 
Zinsfuß  höher  als  in  dem  ihrigen  steht,  an  Privatper- 
sonen ausleihen,  sind  Umstände,  welche  ohne  Zweifel 
Überfluß  an  Kapital  beweisen,  indem  dieses  größer  ge- 
worden ist,  als  daß  sie  es  mit  erträglichem  Gewinn  in 
den  Geschäften  ihres  eigenen  Landes  anlegen  könnten ; 
aber  sie  beweisen  nicht,  daß  diese  Geschäfte  abgenommen 
haben.  Wie  das  Kapital  eines  Privatmannes,  das  bei 
einem  Geschäfte  gewonnen  worden  ist,  für  das  Geschäft 
zu  groß  werden  und  das  Geschäft  sich  doch  vergrößern 
kann,  so  auch  das  Kapital  einer  großen  Nation. 

In  unseren  nordamerikanischen  und  westindischen 
Kolonien  ist  nicht  nur  der  Arbeitslohn,  sondern  auch 
der  Geldzins,    und   folglich    der  Kapitalgewinn    höher 


128  Erstes  Buch:   Zunalime  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

als  in  England.  Sowohl  der  gesetzliche,  als  der  markt- 
gängige Zinsfaß  schwankt  in  den  verschiedenen  Kolo- 
nien zwischen  sechs  und  acht  Prozent.  Hoher  Arbeits- 
lohn und  hoher  Kapitalgewinn  sind  indessen  vielleicht 
Dinge,  die  sich  selten  zusammenfinden,  außer  unter 
den  ganz  besonderen  Umständen  in  neuen  Kolonien. 
Eine  neue  Kolonie  muß  immer  eine  Zeit  lang  im  Ver- 
hältnis zu  ihrer  Gebietsausdehnung  kapitalärmer  und 
im  Verhältnis  zum  Umfang  ihrer  Kapitalien  dünner 
bevölkert  sein,  als  andere  Länder.  Man  hat  mehr  Land, 
als  Kapital  vorhanden  ist,  es  anzubauen.  Was  man  hat, 
wird  deshalb  nur  auf  die  Kultur  des  fruchtbarsten  und 
günstigst  gelegenen  Landes,  des  Landes  an  der  Seeküste 
und  an  den  Ufern  schiffbarer  Flüsse,  verwendet.  Auch 
solches  Land  wird  oft  zu  einem  Preise  verkauft,  der 
selbst  unter  dem  Werte  seiner  wildwachsenden  Produkte 
steht.  Das  zum  Kaufe  und  zur  Verbesserung  solchen 
Landes  angewandte  Kapital  muß  einen  sehr  reichen  Ge- 
winn abwerfen  und  dadurch  ermöglichen,  sehr  hohe 
Zinsen  zu  zahlen.  Seine  rasche  Anhäufung  bei  so  ge- 
winnreichen Anlagen  macht  es  dem  Pflanzer  möglich, 
die  Zahl  der  arbeitenden  Hände  rascher  zu  vermehren, 
als  sie  in  einer  neuen  Niederlassung  aufzutreiben  sind. 
Deshalb  werden  die  vorhandenen  Arbeitskräfte  sehr 
reichlich  bezahlt.  Wächst  die  Kolonie,  so  werden 
die  Kapitalgewinne  stufenweise  geringer.  Wenn  die 
fruchtbarsten  und  bestgelegenen  Ländereien  alle  in 
Besitz  genommen  sind,  so  läßt  sich  aus  der  Kultur 
der  an  Boden  und  Lage  minder  begünstigten  nur  ein 
geringerer  Gewinn  ziehen,  und  für  das  in  ihnen  an- 
gelegte Kapital  kann  nur  geringerer  Zins  gezahlt  werden. 
In  den  meisten  unserer  Kolonien  ist  deshalb  der  gesetz- 
liche wie  der  marktgängige  Zinsfuß  während  des  gegen- 
wärtigen Jahrhunderts  viel  niedriger  geworden.  Je 
mehr  der  lleichtum,  die  Kultur  und  die  Bevölkerung 


ivap.  IX.:  Der  Kapitalgewinn.  129 

zunahmen,  desto  mehr  fiel  der  Zins.  Der  Arbeitslohn 
aber  sinkt  nicht  mit  dem  Kapitalgewinn.  Die  Nachfrage 
nach  Arbeit  wächst  mit  der  Vermehrung  des  Kapitals, 
welchen  Gewinn  dasselbe  auch  erzielen  mag;  und  ob- 
gleich der  letztere  sinkt,  kann  das  Kapital  dennoch  nicht 
nur  ohne  Unterbrechung,  sondern  sogar  noch  schneller 
zunehmen,  als  vorher.  Es  ist  mit  fleißigen  Völkern,  die 
in  der  Erwerbung  von  Reichtümern  fortschreiten,  wie 
mit  fleißigen  Einzelwesen;  ein  großes  Kapital  mit  ge- 
ringen Gewinnen  wächst  in  der  E-egel  schneller,  als  ein 
kleines  Kapital  mit  großen  Gewinnen.  Geld,  sagt  das 
Sprichwort,  macht  Geld.  Hat  man  erst  Etwas  ge- 
wonnen, so  ist  es  oft  leicht,  mehr  zu  gewinnen.  Die 
große  Schwierigkeit  besteht  darin.  Etwas  zu  gewinnen. 
Der  Zusammenhang  zwischen  der  Zunahme  des  Kapi- 
tals und  der  der  Gewei'bstätigkeit  oder  der  Nachfrage 
nach  nützlicher  Arbeit  ist  zum  Teil  bereits  erklärt 
worden,  soll  aber  später  bei  der  Besprechung  der 
Kapitalanhäufung  noch  ausführlicher  behandelt  werden. 
Die  Erwerbung  eines  neuen  Gebietes,  oder  das 
Aufkommen  neuer  Geschäftszweige  kann  zuweilen  den 
Kapitalgewinn,  und  mit  ihm  den  Geldzins  selbst  in 
einem  Lande,  welches  im  Erwerb  von  Reichtümern 
rasch  fortschreitet,  in  die  Höhe  treiben.  Da  das  Kapital 
des  Landes  dann  für  die  hinzutretende  Beschäftigung, 
die  sich  durch  solchen  Erwerb  den  verschiedensten 
Personen  darbietet,  nicht  mehr  hinreicht,  so  wird  es 
nur  in  denjenigen  Geschäftszweigen  angelegt,  die  den 
größten  Gewinn  bringen.  Ein  Teil  des  Kapitals,  das 
früher  in  anderen  Gewerben  angelegt  war,  wird 
diesen  notwendig  entzogen,  um  den  neuen  und  gewinn- 
reicheren zugewendet  zu  werden.  In  all  jenen  alten 
Gewerben  wird  mithin  der  Wettbewerb  geringer  und 
der  Markt  wird  mit  vielen  Sorten  von  Gütern  weniger 
vollständig  versorgt.  Ihr  Preis  steigt  notwendig  mehr 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I,  9 


130  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

oder  weniger,  und  liefert  denen,  die  damit  handeln, 
einen  größeren  Gewinn,  so  daß  sie  auch  zu  höheren 
Zinsen  borgen  können.  Nach  Beendigung  des  letzten 
Krieges  borgten  nicht  nur  Privatleute  mit  bestem  Kredit, 
sondern  auch  einige  der  größten  Handelsgesellschaften 
in  London  gewöhnlich  zu  fünf  Prozent,  während  sie 
früher  nicht  mehr  als  vier  oder  vier  und  ein  halb  vom 
Hundert  zu  geben  pflegten.  Es  erklärt  sich  dies  hin- 
länglich aus  dem  durch  unsere  Erwerbungen  in  Nord- 
amerika und  Westindien  entstandenen  großen  Zuwachs 
von  Gebiet  und  Handel,  ohne  daß  man  eine  Verringe- 
rung des  Gesellschaftskapitals  anzunehmen  braucht. 
Ein  so  starker  Zuwachs  neuer  Geschäfte,  die  mit  dem 
alten  Kapital  betrieben  wurden,  mußte  notwendig  die 
in  vielen  Geschäftszweigen,  in  denen  die  Konkurrenz 
geringer  und  der  Gewinn  größer  geworden  war,  an- 
gelegte Kapitalmenge  vermindern.  Ich  werde  später 
Gelegenheit  haben,  die  Gründe  anzugeben,  die  mich 
zu  dem  Glauben  bestimmen,  daß  der  Kapitalvorrat 
Großbritanniens  sogar  durch  die  enormen  Ausgaben 
des  letzten  Krieges  nicht  verringert  worden  ist. 

Wie  jedoch  die  Verringerung  des  Kapitalvorrats 
der  Gesellschaft,  oder  der  zur  Erhaltung  der  Gewerb- 
tätigkeit bestimmten  Fonds  den  Arbeitslohn  ermäßigt, 
so  steigert  sie  den  Kapitalgewinn  und  dadurch  den 
Geldzins.  Infolge  der  Ermäßigung  des  Arbeitslohns 
können  die  Eigentümer  der  in  der  Gesellschaft  verblie- 
benen Kapitalien  ihre  Waren  mit  geringeren  Kosten 
als  früher  auf  den  Markt  bringen,  und  da  zugleich  we- 
niger Kapital  auf  die  Versorgung  des  Marktes  verwendet 
wird,  als  zuvor,  so  können  sie  sie  teurer  verkaufen. 
Ihre  Waren  kosten  sie  weniger,  und  sie  erhalten 
mehr  dafür.  Da  ihr  Gewinn  sich  auf  beiden  Seiten 
vermehrt,  kann  er  auch  hohe  Zinsen  zahlen.  Die  in 
Bengalen  und  den  übrigen  britischen  Niederlassungen 


Kap.  IX.:  Der  Kapitalgewinn.  Igl 

in  Ostindien  so  schnell  und  leicht  erworbenen  großen 
Reichtümer  können  uns  davon  überzeugen,  daß  in 
diesen  zu  Grunde  gerichteten  Ländern  der  Arbeitslohn 
ebenso  niedrig  ist,  wie  der  Kapitalgewinn  hoch.  Der 
Geldzins  ist  es  verhältnismäßig  ebenso.  In  Bengalen 
leihen  die  Pächter  oft  zu  vierzig,  fünfzig  und  sechzig 
Prozent  Geld,  und  für  die  Rückzahlung  wird  die  Ernte 
des  nächsten  Jahres  verpfändet.  Wie  die  Gewinne,  die 
einen  solchen  Zins  abwerfen  können,  fast  die  ganze 
Rente  des  Grundbesitzers  aufzehren  müssen,  so  muß 
auch  ein  so  unmäßiger  Wucher  den  größten  Teil  jener 
Gewinne  verschlingen.  Vor  dem  Untergange  der  rö- 
mischen Republik  scheint  ein  wucherischer  Zins  der- 
selben Art  in  den  Provinzen  unter  der  verderblichen 
Verwaltung  ihrer  Prokonsuln  etwas  Gewöhnliches  ge- 
wesen zu  sein.  Der  tugendhafte  Brutus  verlieh,  wie 
wir  aus  Ciceros  Briefen  erfahren,  in  Cypern  Geld  zu 
achtundvierzig  Prozent. 

In  einem  Lande,  das  den  vollen  Reichtum  erworben 
hat,  den  es  vermöge  der  Natur  seines  Bodens  und  Klimas 
und  vermöge  seiner  Lage  gegen  andere  Länder  erwerben 
kann,  das  also  nicht  weiter  fortschreitet,  aber  auch  keine 
Rückschritte  macht,  würde  wahrscheinlich  sowohl  der 
Arbeitslohn  wie  der  Kapitalgev^inn  sehr  niedrig  sein. 
In  einem,  im  Verhältnis  zu  seinem  Gebiet  und  seinen 
Kapitalien  sehr  dicht  bevölkerten  Lande  wird  die  Kon- 
kurrenz um  Arbeit  notwendiger  Weise  so  groß  sein, 
um  den  Arbeitslohn  auf  das  Niveau  zu  drücken,  wo 
er  gerade  noch  hinreicht,  die  bisherige  Anzahl  von  Ar- 
beitern zu  erhalten;  und  diese  Anzahl  kann,  da  das 
Land  schon  vollkommen  bevölkert  ist,  sich  nicht  weiter 
vermehren.  In  einem,  im  Verhältnis  zu  all  seinen  Ge- 
schäften vollkommen  mit  Kapital  versehenen  Lande 
wird  gerade  so  viel  Kapital  in  jedem  Gewerbszwoige 
angelegt  werden,  als  seine  Natur  und  Ausdehnung  zu- 


132  Ei'stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

läßt,  und  es  wird  der  Wettbewerb  so  groß  und  folg- 
lich der  Gewinn  so  niedrig  wie  möglich  sein. 

Doch  ist  vielleicht  bis  jetzt  noch  kein  Land  zu 
diesem  Grade  der  Wohlhabenheit  gelangt.  China  scheint 
lange  auf  ein  und  demselben  Punkte  stehen  geblieben 
zu  sein,  und  hatte  wahrscheinlich  schon  längst  das  volle 
Maß  des  Reichtums  erreicht,  das  sich  mit  der  Natur 
seiner  Gesetze  und  Einrichtungen  verträgt.  Allein 
dieses  Maß  dürfte  weit  geringer  sein,  als  es  die  Natur 
seines  Bodens,  seines  Klimas  und  seiner  Lage  unter 
anderen  Gesetzen  und  Einrichtungen  wohl  zuließe. 
Wenn  ein  Land  den  auswärtigen  Handel  vernachlässigt 
oder  verschmäht,  und  die  Schiffe  fremder  Nationen  nur 
in  einen  oder  zwei  seiner  Häfen  einlaufen  läßt,  so  kann 
es  nicht  eben  so  viele  Geschäfte  machen,  als  es  unter 
anderen  Gesetzen  und  Einrichtungen  machen  könnte. 
In  einem  Lande  ferner,  in  dem  zwar  die  Reichen  oder 
Eigentümer  großerKapitalien  große  Sicherheit  genießen, 
die  Armen  aber  oder  die  Eigentümer  kleiner  Kapitalien 
fast  gar  keine,  vielmehr  jederzeit  unter  Vorwänden  der 
Rechtspflege  den  Plünderungen  und  Räubereien  der 
niederen  Mandarinen  ausgesetzt  sind,  kann  die  in  den 
verschiedenen  Geschäftszweigen  angelegte  Kapitalmenge 
niemals  so  groß  sein,  als  die  Natur  und  Ausdehnung  der 
Geschäfte  es  erlaubt.  In  jedem  Geschäft  muß  die  Unter- 
drückung des  Armen  das  Monopol  des  Reichen  begrün- 
den, der  das  ganze  Geschäft  an  sich  reißt  und  dadurch 
sehr  große  Gewinne  machen  kann.  Zwölf  Prozent  soll 
demgemäß  der  übliche  Geldzins  in  China  sein,  und 
der  gewöhnliche  Kapitalgewinn  muß  groß  genug  sein, 
um  diesen  hohen  Zinsfuß  möglich  zu  machen. 

Ein  Fehler  im  Gesetze  kann  bisweilen  den  Zinsfuß 
weit  über  das  Maß  erhöhen,  das  der  Zustand  des  Landes, 
sein  Reichtum  oder  seine  Armut  erfordert.  Wenn  das 
Gesetz  die  Erfüllung  von  Verträgen  nicht  erzwingt,  so 


Kap.  IX.:  Der  Kapitalgewinn.  133 

setzt  es  alle  Borger  so  ziemlich  auf  denselben  Fuß  mit 
Bankerottierern  oder  Leuten  von  zweifelhaftem  Kredit 
in  besser  verwalteten  Ländern.  Die  Ungewißheit,  sein 
Geld  wieder  zu  bekommen,  veranlaßt  den  Darleiher, 
denselben  Wucherzins  zu  fordern,  der  von  Banke- 
rottierern genommen  zu  werden  pflegt.  Unter  den 
Barbaren,  die  die  westlichen  Provinzen  des  römischen 
Reichs  überschwemmten,  war  die  Erfüllung  der  Ver- 
träge lange  Zeit  hindurch  der  Ehrlichkeit  der  kontra- 
hierenden Teile  überlassen.  Die  Gerichte  ihrer  Könige 
mischten  sich  nur  selten  ein.  Diesem  Umstände  mag 
wohl  zum  Teil  der  hohe  Zinsfuß  beizumessen  sein, 
der  in  jenen  alten  Zeiten  gewöhnlich  war. 

Verbietet  das  Gesetz  den  Zins  völlig,  so  beseitigt 
es  ihn  damit  nicht.  Viele  Menschen  müssen  borgen,  und 
Niemand  wird  etwas  verleihen,  ohne  eine  Vergütung 
für  die  Nutzung  seines  Geldes,  wie  sie  nicht  nur 
dem  Dienste,  den  es  leisten  kann,  sondern  auch  der 
Schwierigkeit  und  Gefahr,  welche  die  Gesetzesumgehung 
verursacht,  entspricht.  Den  hohen  Zinsfuß  bei  allen 
muhamedanischen  Völkern  schreibt  Montesquieu  nicht 
ihrer  Armut,  sondern  teils  jener  Gefahr,  und  teils  der 
Schwierigkeit  zu,  Geld  wieder  zu  bekommen. 

Der  niedrigste  übliche  Gewinnsatz  muß  immer 
etwas  größer  sein,  als  zur  Ausgleichung  der  zufälligen 
Verluste,  denen  jede  Kapitalanlage  ausgesetzt  ist,  or- 
fordert wird.  Nur  dieser  Überschuß  ist  reiner  oder  Netto- 
gewinn. Was  Bruttogewinn  genannt  wird,  schließt  oft 
nicht  nur  diesen  Überschuß,  sondern  auch  die  zur  Aus- 
gleichung solcher  außergewöhnlichen  Verluste  zurück- 
gelegte Summe  in  sich  ein.  Der  Zins,  den  der  Borger 
zahlen  kann,  richtet  sich  nur  nach  dem  reinen  Gewinn. 

Der  niedrigste  übliche  Zinsfuß  muß  in  gleicher 
Weise  etwas  höher  sein,  als  zur  Ausgleichung  der  zu- 
fälligen Verluste,    denen  das  Darleihen   selbst   bei  ge- 


134  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertr agskraft  der  Arbeit. 

höriger  Vorsicht  ausgesetzt  ist,  orfordert  wird.  Wäre 
er  nicht  höher,  so  könnte  nur  Mildtätigkeit  oder  Freund- 
schaft zum  Darleihen  bewegen. 

In  einem  Lande,  das  sein  volles  Maß  des  Reich- 
tums erworben  hätte,  und  in  dem  in  jedem  Geschäfts- 
zweige die  größte  Kapitalmenge  steckte,  die  darin  an- 
gelegt werden  könnte,  würde  sowohl  der  gewöhnliche 
Satz  des  reinen  Gewinnes,  als  auch  der  marktgängige 
Zinsfuß,  der  von  jenem  Gewinn  bestritten  werden  muß, 
so  niedrig  stehen,  daß  es  nur  den  reichsten  Leuten 
möglich  wäre,  von  den  Zinsen  ihres  Geldes  zu  leben. 
AVer  nur  ein  kleines  oder  mittelmäßiges  Vermögen  be- 
säße, sähe  sich  genötigt,  die  Beschäftigung  seiner  Ka- 
pitalien selbst  zu  übernehmen;  fast  Jeder  müßte  ein 
Geschäftsmann  sein,  oder  irgend  ein  Gewerbe  treiben. 
Holland  scheint  sich  diesem  Zustand  zu  nähern.  Es 
ist  dort  gegen  den  guten  Ton,  nicht  ein  Geschäftsmann 
zu  sein.  Die  Notwendigkeit  macht  es  fast  Jedem  zur 
Gewohnheit,  und  die  Gewohnheit  bestimmt  überall  den 
guten  Ton.  Wie  es  lächerlich  ist,  sich  nicht  wie  die 
anderen  Leute  zu  kleiden,  so  ist  es  gewissermaßen 
lächerlich,  nicht  wie  sie  beschäftigt  zu  sein  Wie  ein 
Mann,  der  ein  bürgerliches  Gewerbe  treibt,  in  einem 
Lager  oder  einer  Garnison  eine  schlechte  Figur  macht, 
und  sogar  Gefahr  läuft,  verlacht  zu  wei'den,  so  geschieht 
es  einem  Müßiggänger   unter  geschäftstätigen  Leuten. 

Der  höchste  übliche  Gewinnsatz  kann  ein  solcher 
sein,  daß  er  in  dem  Preise  der  meisten  Waren  Alles 
verschlingt,  was  der  Grundrente  zufallen  sollte,  und  nur 
soviel  übrig  läßt,  als  zur  Bezahlung  der  Arbeit,  durch 
welche  die  Waren  hergerichtet  und  auf  den  Markt  ge- 
bi'acht  werden,  erforderlich  ist,  und  zwar  zu  so  geringer 
Bezahlung,  wie  irgend  möglich,  nämlich  wobei  nur  die 
nackte  Existenz  des  Arbeiters  bestritten  wird.  Der  Ar- 
beiter muß  stets  auf  die  eine  oder  andere  Art  so  lange 


Kap.  IX.:  Der  Kapitalgewinn.  ^35 

ernährt  werden,  wie  er  bei  der  Arbeit  ist;  aber  der 
Grundbesitzer  braucht  nicht  immer  seine  Rente  zu  er- 
halten. Die  Gewinne  der  Geschäfte,  welche  die  Bedien- 
steten der  ostindischen  Kompagnie  in  Bengalen  treiben, 
dürften  nicht  weit  von  diesem  Satze  entfernt  sein. 

Das  Verhältnis,  in  welchem  der  marktgängige  Zins- 
fuß zu  dem  gewöhnlichen  Satz  des  Reingewinns  stehen 
muß,  ändert  sich  notwendig  je  nach  dem  Steigen  oder 
Fallen  des  Gewinns.  Doppelte  Zinsen  werden  von  den 
Kauflouten  in  Grossbritannien  als  ein  guter,  massiger, 
billiger  Gewinn  angesehen,  —  Ausdrücke,  mit  denen 
man  nur  einen  gewöhnlichen  und  üblichen  Gewinn  meint. 
In  einem  Lande,  wo  der  gewöhnliche  Satz  des  Reinge- 
winns acht  bis  zehn  Prozent  beträgt,  mag  es  billig  sein, 
daß  bei  Geschäften,  die  mit  erborgtem  Gelde  getrieben 
werden,  die  Hälfte  des  Reingewinns  als  Zins  abgeht. 
Das  Risiko  der  Kapitalseinlage  trägt  der  Borger,  der  es 
dem  Darleiher  so  zu  sagen  versichert;  und  vier  oder 
fünf  Prozent  können  in  den  meisten  Geschäften  ein  hin- 
länglicher Gewinn  für  die  Gefahr  dieser  Versicherung, 
sowie  eine  ausreichende  Entschädigung  für  die  Mühe  der 
Beschäftigung  des  Kapitals  sein.  Indessen  kann  das  Ver- 
hältnis zwischen  den  Zinsen  und  dem  Reingewinn  in 
Ländern,  wo  der  gewöhnliche  Gewinnsatz  entweder  viel 
niedriger  oder  viel  höher  ist,  nicht  das  nämliche  sein. 
Ist  er  viel  niedriger,  so  kann  für  den  Zins  vielleicht 
nicht  die  Hälfte  des  Reingewinns  bewilligt  weiden ;  ist 
er  viel  höher,  so  kann  weit  mehr  gegeben  werden. 

In  Ländern,  die  schnell  zu  Reichtum  gelangen, 
kann  der  niedrige  Gewinnsatz  dem  hohen  Arbeitslohn 
in  dem  Preise  vieler  Waren  das  Gegengewicht  halten, 
und  diese  Länder  instand  setzen,  ebenso  wohlfeil  zu 
verkaufen,  als  ihre  weniger  aufblühenden  Nachbarn, 
bei  denen  der  Arbeitslohn  niedriger  ist. 

In  der  Tat  tragen  hohe  Gewinne  viel  mehr  zur 
Erhöhung  des  Warenpreises  bei,  als  hoher  Arbeitslohn. 


136  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Wenn  z.  B.  in  der  Leinenmanufaktur  der  Lohn  der  ver- 
schiedenen Arbeiter,  der  Flachszurichter,  der  Spinner, 
der  Wober  usw.  um  2  Pence  täglich  erhöht  wird,  so 
braucht  der  Preis  eines  Stückes  Leinwand  nur  so  vielmal 
um  zwei  Pence  erhöht  zu  werden,  als  die  Zahl  der  da- 
mit beschäftigten  Leute,  multipliziert  mit  der  Zahl  der 
dabei  zugebrachten  Tage  beträgt.  Derjenige  Teil  des 
Warenpreises,  welcher  sich  in  Arbeitslohn  auflöst,  würde 
durch  alle  Stufen  der  Bearbeitung  nur  nach  arithmeti- 
schem Verhältnis  zu  jener  Lohnerhöhung  steigen.  Wenn 
dagegen  die  Gewinne  aller  Arbeitgeber  um  fünf  Prozent 
steigen  sollten,  würde  derjenige  Teil  des  Warenpreises, 
der  sich  in  Gtewinn  auflöst,  durch  alle  Stufen  der  Bear- 
beitung im  geometrischen  Verhältnis  zu  jener  Gewinn- 
erhöhung steigen.  Der  Arbeitgeber  der  Flachszurichter 
würde  beim  Verkauf  seines  Flachses  einen  weiteren  Ge- 
winn von  fünf  Prozent  auf  den  ganzen  Wert  des  Ma- 
terials und  des  den  Arbeitern  vorgeschossenen  Lohns 
fordern.  Der  Arbeitgeber  der  Spinner  würde  sowohl  auf 
den  vorgeschossenen  Preis  des  Flachses,  wie  auf  den 
Lohn  der  Spinner  weitere  fünf  Prozent,  und  der  Arbeit- 
geber der  Weber  auf  den  vorgeschossenen  Preis  des 
Leinengarns  und  den  Lohn  der  Weber  ebenfalls  fünf 
Prozent  haben  wollen.  Das  Steigen  des  Arbeitslohns 
wirkt  auf  die  Erhöhung  des  Warenpreises  ebenso,  wie 
einfache  Zinsen  auf  die  Anhäufung  einer  Schuld;  das 
Steigen  des  Gewinnes  aber  wirkt  wie  Zinseszins.  Unsere 
Kaufleute  und  Fabrikherren  klagen  viel  über  die 
schlimmen  Wirkungen  der  hohen  Löhne  auf  die  P]rhö- 
hung  der  Preise  und  die  daraus  folgende  Verminderung 
des  Absatzes  im  In-  und  Auslande.  Sie  sagen  aber 
Nichts  von  den  schlimmen  Wirkungen  hohen  Kapital- 
gewinns. Von  den  verderblichen  Folgen  der  Vorteile, 
die  ihnen  zufließen,  schweigen  sie  und  klagen  nur  über 
die,  die  anderen  zufallen. 


Zehntes  Kapitel. 

Lohn  und  Gewinn  in  den  verschiedenen 
Verwendungen    der  Arbeit   und   des   Kapitals. 

Im  Ganzen  müssen  die  Vorteile  oder  Nachteile 
bei  den  verschiedenen  Verwendungen  der  Arbeit  und 
des  Kapitals  in  der  nämlichen  Gegend  entweder  ganz 
gleich  sein,  oder  doch  beständig  nach  Ausgleichung 
streben.  Wäre  in  der  nämlichen  Gegend  irgend  eine 
Vervv^endung  offenbar  mit  mehr  oder  weniger  Vorteil 
verknüpft,  als  die  übrigen  Verwendungen,  so  würden 
in  dem  einen  Falle  sich  so  viele  Leute  dazu  drängen, 
und  in  dem  andern  so  viele  sie  aufgeben,  daß  ihre 
Vorteile  bald  auf  das  Niveau  der  übrigen  kämen. 
Dies  würde  wenigstens  in  einer  Gesellschaft  der  Fall 
sein,  wo  man  den  Dingen  ihren  natürlichen  Lauf 
ließe,  wo  vollkommene  Freiheit  waltete,  und  wo  es 
Jedermann  frei  stände,  sowohl  seine  Beschäftigung 
nach  Belieben  zu  wählen,  wie  sie  so  oft  zu  wechseln, 
als  es  ihm  gut  dünkt.  Jeden  würde  sein  Interesse 
bestimmen,  vorteilhafte  Geschäfte  zu  suchen  und  un- 
vorteilhafte zu  meiden. 

Geldlohn  und  Geldgewinn  sind  freilich  in  Europa 
überall  je  nach  den  verschiedenen  Verwendungen  von 
Arbeit  und  Kapital  äußerst  verschieden.  Allein  diese 
Verschiedenheit  rührt  teils  von  gewissen  Umständen  in 
den  Verwendungen  selbst  her,  die  entweder  wirklich 
oder  wenigstens  in  der  Einbildung  der  Einzelnen  bei 


138  Erstes  Buch:  Ziinahine  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

den  P]inen  den  geringen  Geldgewinn  ersetzen,  und 
bei  den  Anderen  einen  großen  Geldgewinn  aufwiegen; 
teils  von  der  Politik  Europas,  die  nirgends  den  Dingen 
vollständige  Freiheit  läßt. 

Die  gesonderte  Betrachtung  dieser  Umstände  und 
jener  Politik  scheidet  dieses  Kapitel  in  zwei  Abteilungen. 


Erste   Abteilung. 

Verschiedenheiten,  die  aus  der  Natur  der  Verwendungen 
selbst  entspringen. 

Die  folgenden  fünf  Umstände  sind  es,  soweit  ich 
beobachten  konnte,  hauptsächlich,  die  einen  geringen 
Geldgewinn  in  einigen  Geschäften  ersetzen,  und  einen 
großen  in  anderen  aufwiegen:  erstens  die  Annehmlich- 
keit oder  Unannehmlichkeit  der  Geschäfte  selbst;  zwei- 
tens die  Leichtigkeit  und  Wohlfeilheit,  oder  die  Schwie- 
rigkeit und  Kostspieligkeit,  sie  zu  erlernen ;  drittens 
die  Beständigkeit  oder  Unbeständigkeit  der  Arbeit  in 
ihnen;  viertens  das  geringe  oder  große  Vertrauen, 
welches  man  auf  die  Leute  setzen  muß,  die  das  Ge- 
schäft ausüben,  und  fünftens  die  Wahrscheinlichkeit 
oder  Unwahrscheinlichkeit  eines  Erfolgs  in  ihnen. 

Erstens,  der  Arbeitslohn  schwankt,  je  nachdem  das 
Geschäft  leicht  oder  schwer,  reinlich  oder  unreinlich, 
ehrenvoll  oder  verachtet  ist.  So  verdient  an  den  meisten 
Orten  ein  Schneidergeselle  im  ganzen  Jahre  weniger, 
als  ein  Webergeselle:  weil  seine  Arbeit  leichter  ist.  Ein 
Webergeselle  verdient  weniger,  als  ein  Schmiedegeselle: 
weil  seine  Arbeit  zwar  nicht  immer  leichter,  aber  viel 
reinlicher  ist.  Ein  Schmiedogeselle,  obgleich  ein  ge- 
lernter Handwerker,  verdient  in  zwölf  Stunden  kaum 
so  viel,  wie  ein  Bergmann,  der  nur  ein  Tagelöhner  ist, 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durcli  die  Natur  d.  Verwendg.  139 

in  acht:  weil  seine  Arbeit  nicht  ganz  so  schmutzig 
und  weniger  gefährlich  ist,  auch  bei  Tageslicht  und 
über  der  Erde  verrichtet  wird.  Die  Ehre  macht  bei 
allen  ehrenvollen  Gewerben  ein  gut  Teil  der  Belohnung 
aus.  Vom  Gresichtspunkte  des  Geldgewinns  werden 
sie,  wie  ich  gleich  zeigen  werde,  im  Allgemeinen  zu 
schlecht  bezahlt.  Die  Anrüchigkeit  hat  eine  entgegen- 
gesetzte Wirkung.  Das  Gewerbe  eines  Fleischers  hat 
etwas  Rohes  und  Abstoßendes;  aber  es  ist  an  den 
meisten  Orten  gewinnbringender,  als  die  meisten  anderen 
Geschäfte.  Das  abscheulichste  von  allen  Geschäften, 
das  des  Scharfrichters,  wird  im  Verhältnis  zu  der 
Arbeitsmenge,  die  es  erfordert,  besser  bezahlt,  als 
ii'gend  ein  anderes  gewöhnliches  Geschäft. 

Jagd  und  Fischfang,  die  wichtigsten  Beschäftigun- 
gen der  Menschen  im  rohen  Zustande  der  Gesellschaft, 
werden  im  zivilisierten  Zustande  ihre  angenehmsten 
Vergnügungen,  und  sie  treiben  dann  zum  Zeitvertreib, 
was  sie  früher  aus  Not  taten.  Im  gesitteten  Zustande 
der  Gesellschaft  sind  es  deshalb  nur  Arme,  die  aus 
dem,  was  Anderen  zum  Zeitvertreib  dient,  ein  Ge- 
weibe machen.  Die  Fischer  waren  arm  seit  der  Zeit 
Theokrits.*)  Ein  Wildschütz  in  Großbritannien  ist 
stets  ein  ganz  armer  Mann.  In  allen  Ländern,  wo  die 
Strenge  der  Gesetze  keine  "Wildschützen  duldet,  befindet 
sich  der  berechtigte  Jäger  in  keiner  viel  besseren  Lage. 
Aus  natürlicher  Lust  an  diesen  Beschäftigungen  wid- 
men sich  ihnen  mehr  Menschen,  als  bequem  davon 
leben  können,  und  das  Produkt  ihrer  Arbeit  kommt 
im  Verhältnis  zu  ihrer  Menge  immer  zu  wohlfeil  zu 
Markte,  um  den  Arbeitern  mehr  als  das  kärglichste 
Auskommen  zu  verschaffen. 

Widerwärtigkeit  und  Anrüchigkeit  des  Geschäfts 
berührt  den  Kapitalgewinn  ebenso,  wie  den  Arbeitslohn. 

*)  S.  Idylle  21. 


140  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragski-aft  der  Arbeit. 

Der  Inhaber  einer  Schenke  oder  Kneipe,  der  nie  Herr 
in  seinem  eigenen  Hanse  und  der  Brutalität  jedes 
Trunkenbolds  ausgesetzt  ist,  treibt  weder  ein  sehr 
angenehmes,  noch  ein  sehr  geachtetes  Geschäft.  Aber 
es  gibt  kaum  ein  gewöhnliches  Gewerbe,  bei  dem  ein 
kleines  Kapital  so  großen  Gewinn   abwirft. 

Zweitens,  der  Arbeitslohn  schwankt  je  nach  der 
Leichtigkeit  und  Wohlfeilheit,  oder  der  Schwierigkeit 
und  Kostspieligkeit,  das  Geschäft  zu  erlernen. 

Wenn  eine  kostspielige  Maschine  errichtet  ist,  wird 
die  durch  sie  gelieferte  ungemein  umfangreiche  Arbeit 
das  für  ihre  Herstellung  bis  zu  ihrer  Abnutzung  aus- 
gelegte Kapital  wenigstens  mit  den  gewöhnlichen  Ge- 
winnen wieder  ersetzen  müssen.  Ein  Mensch,  der  mit 
viel  Arbeit  und  Zeit  zu  einem  der  Geschäfte  erzogen 
wurde,  die  ungewöhnliche  Fertigkeit  und  Geschicklich- 
keit erfordern,  kann  mit  einer  solchen  kostspieligen 
Maschine  verglichen  Averden.  Die  erlernte  Arbeit  wird, 
wie  zu  erwarten  ist,  ihm  über  den  üblichen  Lohn  für 
gemeine  Arbeit  alle  Kosten  seiner  Erziehung  wenigstens 
mit  dem  gewöhnlichen  Gewinn  eines  gleich  wertvollen 
Kapitals  wieder  ersetzen.  Auch  muß  dies  in  Anbe- 
tracht der  höchst  Ungewissen  Dauer  des  menschlichen 
Lebens,  wie  der  gewisseren  Dauer  einer  Maschine,  in 
angemessener  Zeit  geschehen. 

Der  Unterschied  zwischen  den  Löhnen  erlernter 
und  gewöhnlicher  Arbeit  beruht  auf  diesem  Grundsatze. 

Die  europäische  Gewerbepolitik  betrachtet  die  Ar- 
beit aller  Künstler,  Handw-erker  und  Fabrikarbeiter  als 
gelernte  Arbeit,  und  die  der  ländlichen  Arbeiter  als  ge- 
meine Arbeit.  Hierbei  scheint  vorausgesetzt  zu  werden, 
daß  die  Arbeit  der  Ersteren  eigener  und  feiner  sei,  als 
die  der  Letzteren.  In  manchen  Fällen  mag  es  so  sein, 
in  den  meisten  aber  ist  es,  w'ie  ich  sogleich  zeigen  werde, 
ganz  anders.    Die  europäischen  Gesetze  und  Gewohn- 


Kap.  X,T.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  141 

heiten  legen  daher,  um  Jemanden  zur  Ausübung  der 
einen  Art  von  Arbeit  zu  befähigen,  ihm  den  Zwang 
einer  Lehrzeit  auf,  obwohl  nicht  überall  mit  gleicher 
Strenge.  Die  andere  Ait  Arbeit  lassen  sie  für  Jeder- 
mann frei  und  offen.  Während  der  Dauer  der  Lehrzeit 
gehört  die  ganze  Arbeit  des  Lehrlings  dem  Meister. 
Häufig  muß  er  auch  von  seinen  Eltern  oder  Verwandten 
beköstigt,  und  fast  immer  von  ihnen  gekleidet  werden. 
Auch  wird  dem  Meister  gewöhnlich  eine  Geldsumme 
dafür  bezahlt,  daß  er  ihn  sein  Gewerbe  lehrt.  Wer  kein 
Geld  geben  kann,  gibt  Zeit,  d.  h.  er  bindet  sich  auf 
mehr  als  die  gewöhnliche  Zahl  von  Jahren  —  ein  Ab- 
kommen, das  zwar  wegen  der  gewöhnlichen  Trägheit 
der  Lehrlinge  für  den  Meister  nicht  immer  von  Vorteil, 
für  den  Lehrling  aber  stets  von  Nachteil  ist.  In  der 
ländlichen  Arbeit  erlernt  dagegen  der  Arbeiter,  während 
er  mit  den  leichteren  Teilen  des  Geschäfts  zu  tun  hat, 
seine  schwereren  Teile  und  verdient  auf  allen  Stufen 
seiner  Beschäftigung  durch  eigene  Arbeit  seinen  Unter- 
halt. Darum  ist  es  auch  billig,  daß  in  Europa  der 
Lohn  der  Künstler,  Handwerker  und  Fabrikarbeiter 
etwas  höher  sei,  als  der  der  gemeinen  Arbeiter.  Er  ist 
es  auch  in  der  Tat,  und  wegen  ihres  größeren  Ge- 
winnes sieht  man  die  städtischen  Arbeiter  vielfach  als 
eine  höhere  Volksklasse  an.  Doch  ist  der  Vorrang  ge- 
wöhnlich sehr  gering;  der  tägliche  oder  wöchentliche 
Verdienst  eines  Gesellen  in  den  gewöhnlichen  Gewerbs- 
zweigen, wde  z.  B.  in  den  Fabriken  der  groben  Leinen- 
und  Wollenzeuge,  beträgt  an  den  meisten  Orten  durch- 
schnittlich wenig  mehr,  als  der  Tagelohn  gemeiner 
Arbeiter.  Freilich  ist  ihre  Beschäftigung  stetiger  und 
gleichmäßiger,  und  die  Summe  ihres  Verdienstes  mag, 
das  ganze  Jahr  zusammengenommen,  etwas  größer 
sein.  Aber  höher  scheint  sie  sich  offenbar  nicht  zu  be- 
laufen, als  daß  sie  gerade  die  höhereu  Kosten  der 
Ausbildung  deckt. 


|4^  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

In  den  freien  Künsten  und  gelehrten  Berufsarten 
ist  die  Erziehung  noch  langwieriger  und  kostspieliger. 
Die  Belohnung  der  Maler  und  Bildhauer,  der  Juristen 
und  Arzte  in  Geld  muß  deshalb  eine  viel  reichlichere 
sein,  und  ist  es  in  der  Tat. 

Der  Grewinn  des  Kapitals  scheint  durch  die  Leich- 
tigkeit oder  Schwierigkeit  der  Erlernung  des  Geschäfts, 
in  das  Kapital  gesteckt  wird,  nur  sehr  wenig  berührt 
zu  werden.  Die  verschiedenen  Arten,  wie  Kapital  in 
großen  Städten  gewöhnlich  angelegt  wird,  scheinen 
in  der  Tat  fast  gleich  leicht  oder  gleich  schwer  zu  er- 
lernen. Der  eine  Zweig  des  auswärtigen  oder  inneren 
Handels  kann  nicht  wohl  ein  verwickelteres  Geschäft 
sein,  als  der  andere. 

Drittens,  der  Arbeitslohn  in  den  verschiedenen 
Beschäftigungen  schwankt  je  nach  der  Beständigkeit 
oder  Unbeständigkeit  der  Beschäftigung. 

Die  Beschäftigung  ist  in  einem  Gewerbe  viel  be- 
ständiger, als  in  anderen.  In  den  meisten  Gewerben 
kann  ein  Geselle  fast  sicher  sein,  alle  Tage  des 
Jahres  Beschäftigung  zu  finden,  wenn  er  arbeitsfähig 
ist.  Ein  Maurer  dagegen  kann  weder  bei  hartem 
Frost,  noch  bei  schlechtem  Wetter  arbeiten,  und  seine 
Beschäftigung  hängt  zu  allen  andern  Zeiten  von  den 
zufälligen  Bestellungen  seiner  Kunden  ab;  er  ist  folg- 
lich oft  der  Gefahr  ausgesetzt,  ohne  Arbeit  zu  sein. 
Sein  Verdienst,  so  lange  er  beschäftigt  ist,  muß  ihm 
daher  nicht  nur  für  die  Zeit,  in  der  er  nichts  zu 
tun  hat,  den  Unterhalt  verschaffen,  sondern  ihn  auch 
einigermaßen  für  jene  Augenblicke  der  Angst  und 
des  Kleinmuts  schadlos  halten,  die  der  Gedanke  an 
eine  so  prekäre  Lage  bisweilen  in  ihm  erwecken 
muß.  Während  demgemäß  der  Gesamtverdienst  der 
meisten  industriellen  Arbeiter  auf  den  Tag  berechnet 
nicht    viel    mehr    als    den   Tagelohn    gemeiner   Arbeit 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Yerwendg.  143 

beträgt,  ist  der  Lohn  der  Maurer  gewöhnlich  anderthalb 
oder  noch  einmal  so  hoch.  Wo  gemeine  Arbeiter  vier 
oder  fünf  Schilling  die  Woche  verdienen,  verdienen 
Maurer  oft  sieben  bis  acht;  wo  die  ersteren  sechs, 
da  verdienen  die  letzteren  oft  neun  bis  zehn,  und  wo 
die  ersteren  neun  bis  zehn  verdienen,  wie  in  London, 
verdienen  die  letzteren  in  der  Regel  fünfzehn  bis 
achtzehn.  Dennoch  scheint  keine  Art  gelernter  Arbeit 
leichter  zu  erlernen,  als  die  der  Maurer.  In  London 
sollen  zuweilen  die  Sänftenträger  während  des  Sommers 
als  Maurer  beschäftigt  sein.  Mithin  ist  der  hohe  Lohn 
dieser  Arbeiter  nicht  sowohl  eine  Belohnung  für  ihre 
(xeschicklichkeit,  als  eine  Entschädigung  für  die  Un- 
beständigkeit ihres  Erwerbs. 

Ein  Zimmermann  scheint  noch  eher  ein  eigneres 
und  künstlicheres  Gewerbe  zu  treiben,  als  ein  Maurer. 
Dennoch  ist  sein  Tagelohn  an  den  meisten  Orten  etwas 
niedriger.  Seine  Beschäftigung  hängt  zwar  auch  stark 
von  den  zufälligen  Bestellungen  seiner  Kunden  ab,  aber 
doch  nicht  so  völlig,  und  ist  der  Gefahr  nicht  ausge- 
setzt, durch  das  Wetter  unterbrochen  zu  werden. 

Wenn  Gewerbe,  die  in  der  Regel  unausgesetzte 
Beschäftigung  bieten,  dies  an  bestimmten  Orten  nicht 
tun,  so  steigt  der  Lohn  der  Arbeiter  immer  ein  gut 
Teil  über  ihr  gewöhnliches  Yerhältnis  zum  Lohn  ge- 
meiner Arbeit.  In  London  können  fast  alle  Handwerks- 
gesellen gerade  so  wie  Tagelöhner  an  anderen  Orten, 
von  ihren  Meistern  von  Tag  zu  Tag  oder  von  Woche 
zu  Woche  angenommen  oder  entlassen  werden.  Die 
niedrigste  Klasse  der  Handwerker,  die  Schneiderge- 
sellen, verdienen  demgemäß  dort  eine  halbe  Krone 
(2^/2  Schilling)  täglich,  während  als  Tagelohn  für  ge- 
meine Arbeit  nur  achtzehn  Pence  gerechnet  werden. 
In  kleinen  Städten  und  auf  dem  Lande  kommt  der 
Lohn  der  Schneidergesellen  oft  kaum  dem  für  gemeine 


144  Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertrag'skraft  der  Arbeit. 

Arbeit  gleich;  in  London  aber  sind  sie  oft  viele 
Wochen  ohne  Beschäftigung,  besonders  im  Sommer. 
Wenn  zu  der  Unbeständigkeit  der  Beschäftigung 
noch  die  Schwierigkeit,  Unannehmlichkeit  und  Unrein- 
lichkeit  der  Arbeit  kommt,  so  erhöht  dies  bisweilen  den 
Lohn  der  gemeinsten  Arbeit  über  den  der  geschicktesten 
Handwerker.  Ein  Bei'gmann,  der  im  Gedinge  arbeitet, 
soll  in  Newcastle  gewöhnlich  doppelt,  und  in  manchen 
Teilen  Schottlands  dreimal  so  viel  verdienen,  als  der 
Tagelohn  für  gemeine  Arbeit  beträgt.  Sein  hoher  Lohn 
entspringt  aus  der  Schwierigkeit,  Unannehmlichkeit  und 
Unreinlichkeit  seiner  Arbeit  zugleich.  Die  Dauer  seiner 
Beschäftigung  hängt  dagegen  fast  ganz  von  ihm  selbst 
ab.  Die  Kohlenträger  in  London  treiben  ein  Geschäft, 
das  an  Schwierigkeit,  Schmutz  und  Unannehmlichkeit 
dem  der  Bergleute  fast  gleichkommt,  und  ihre  Beschäf- 
tigung ist  wegen  der  unvermeidlichen  Unregelmäßig- 
keit im  Anlangen  der  Kohlenschiffe  meist  sehr  unbe- 
ständig. Wenn  daher  die  Bergleute  doppelt  und  drei- 
mal so  viel  verdienen,  als  für  gemeine  Arbeit  bezahlt 
wird,  so  dürfte  es  nicht  unbillig  erscheinen,  daß  Kohlen- 
träger zu  Zeiten  vier  bis  fünfmal  so  viel  verdienen. 
In  der  Untersuchung,  welche  man  vor  einigen  Jahren 
über  ihre  Lage  anstellte,  ergab  sich,  daß  sie  nach  dem 
Satze,  nach  welchem  sie  damals  bezahlt  wurden,  sechs 
bis  zehn  Schiling  des  Tages  verdienen  konnten.  Sechs 
Schilling  sind  etwa  viermal  soviel,  wie  der  Lohn  für 
gemeine  Arbeit  in  London,  und  in  jedem  Geschäft 
kann  der  niedrigste  gewöhnliche  Verdienst  stets  als 
der  der  Mehrzahl  angesehen  werden.  So  übermäßig 
jener  Verdienst  auch  erscheinen  mag,  so  würde  doch, 
wenn  er  mehr  als  hinreichend  wäre,  um  alle  die  un- 
angenehmen Umstände  des  Geschäfts  auszugleichen,  in 
einem  Gewerbe,  das  kein  ausschließliches  Privilegium 
hat,  bald  ein  so  großer  Zufluß  von  Mitbewerbern  ein- 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  145 

treten,  daß  der  Verdienst  bald  auf  einen  niedrigeren 
Satz  zurückschnellen  würde. 

Die  Beständigkeit  oder  Unbeständigkeit  der  Be- 
schäftigung kann  auf  den  gewöhnlichen  Kapitalgewinn 
in  einem  Geschäftszweige  keinen  Einfluß  üben.  Ob  das 
Kapital  beständig  verwendet  wird  oder  nicht,  hängt 
nicht  vom  Geschäft,  sondern  vom  Geschäftstreibenden  ab. 

Viertens,  der  Arbeitslohn  schwankt  je  nach  dem 
größeren  oder  geringeren  Vertrauen,  das  in  den  Ar- 
beiter gesetzt  werden  muß. 

Der  Lohn  der  Goldschmiede  und  Juweliere  ist 
überall  höher,  als  der  vieler  anderer  Arbeiter,  nicht 
allein  von  gleicher,  sondern  von  weit  höherer  Be- 
gabung: nämlich  wegen  der  kostbaren  Materialien,  die 
ihnen  anvertraut  werden. 

Dem  Arzte  vertrauen  wir  unsere  Gesundheit,  dem 
Sachwalter  und  Advokaten  unser  Vermögen  und  mit- 
unter unser  Leben  und  unsern  guten  Ruf  an.  Ein 
solches  Vertrauen  könnte  man  nicht  mit  Sicherheit 
auf  Leute  setzen,  die  sich  in  einer  sehr  mittelmäßigen 
oder  schlechten  Lage  befinden.  Darum  muß  ihre 
Belohnung  der  Art  sein,  daß  sie  ihnen  den  gesell- 
schaftlichen Rang  verschafft,  den  ein  so  großes  Ver- 
trauen erfordert.  Wird  zu  diesem  Umstände  noch  die 
lange  Zeit  und  die  Kostspieligkeit  ihrer  Erziehung 
gerechnet,  so  muß  dies  notwendig  den  Preis  ihrer 
Arbeit  noch  mehr  erhöhen. 

Legt  Jemand  nur  sein  eigenes  Kapital  in  einem 
Geschäfte  an,  so  kann  von  einem  in  ihn  gesetzten  Ver- 
trauen keine  Rede  sein,  und  der  Kredit,  den  er  bei 
anderen  Leuten  findet,  hängt  nicht  von  der  Natur 
seines  Geschäfts,  sondern  von  der  Meinung  ab,  welche 
sie  von  seinem  Glück,  seiner  Rechtschaffenheit  und 
Klugheit  hegen.  Die  verschiedenen  Gewinnsätze  in  den 
verschiedenen  Geschäftszweigen  können  also  nicht  aus 

Adam  S  in  i  Mi .  Volkswuhlstaml.  I.  10 


146  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

den  verschiedenen  Graden  des  Vertrauens  entspringen, 
das  man  auf  die  Greschäftstreibenden  setzt. 

Fünftens,  der  Arbeitslohn  in  den  mancherlei  Be- 
schäftigungen schwankt  je  nach  der  Wahrscheinlichkeit 
oder  UnWahrscheinlichkeit  des  Erfolgs  in  ihnen. 

Die  Wahrscheinlichkeit,  daß  Jeder  zu  dem  Ge- 
schäft, das  er  erlernt  hat,  sich  auch  befähigt  zeigen 
werde,  ist  in  den  verschiedenen  Erwerbszweigen  sehr 
verschieden.  Bei  den  meisten  Handwerkern  ist  der  Er- 
folg fast  sicher;  äußerst  unsicher  hingegen  ist  er  in 
den  freien  Berufsarten.  Gieb  deinen  Sohn  zu  einem 
Schuhmacher  in  die  Lehre,  und  es  unterliegt  kaum 
einem  Zweifel,  daß  er  ein  Paar  Schuhe  machen  lernen 
wird;  laß  ihn  aber  die  Rechte  studieren,  und  es  steht 
zwanzig  gegen  eins,  ob  er  so  weit  kommen  wird,  von 
seinem  Beruf  leben  zu  können.  In  einer  ganz  ehrlichen 
Lotterie  müßten  die,  welche  die  Treffer  ziehen,  den 
ganzen  Verlust  derer,  auf  die  die  Nieten  fallen,  ge- 
winnen. In  einer  Berufsart,  wo  zwanzig  ihr  Ziel  ver- 
fehlen, während  nur  Einer  es  erreicht,  müßte  dieser 
Eine  alles  gewinnen,  was  die  verunglückten  Zwanzig 
gewonnen  haben  sollten.  Der  Anwalt,  der  vielleicht 
erst  im  vierzigsten  Jahre  anfängt,  aus  seinem  Beruf 
einigen  Erwerb  zu  ziehen,  würde  die  Vergütung  nicht 
allein  für  seine  eigene  so  langwierige  und  kostspielige 
Erziehung,  sondern  auch  für  die  der  zwanzig  Andern 
erhalten  müssen,  die  wahrscheinlich  niemals  durch  ihren 
Beruf  etwas  erwerben  werden.  So  übermäßig  auch  die 
Gebühren  des  Anwalts  zuweilen  erscheinen  mögen,  so 
erreicht  ihre  wirkliche  Bezahlung  doch  niemals  diese 
Höhe.  Man  berechne  für  einen  bestimmten  Ort,  wie 
viel  die  Arbeiter  in  einem  gewöhnlichen  Geschäft,  z.  B. 
in  dem  Schuhmacher-  oder  Weberhandwerk  jährlich 
ungefähr  gewinnen,  und  wie  viel  sie  jährlich  ausgeben, 
so  wird  man  finden,  daß  die  erstere  Summe  gewöhn- 
lich prößor  ist,  als  die  letztere.    Man  mache  aber  die- 


Kap.  X,T.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwende,-.  147 

selbe  Berechnung  bei  allen  Anwälten  und  denen,  die 
es  werden  wollen,  und  man  wird  finden,  daß  ihre 
jährlichen  Gewinne  zu  ihren  jährlichen  Ausgaben  in 
umgekehrtem  Verhältnis  stehen,  auch  wenn  man  die 
ersteren  so  hoch  und  die  letzteren  so  niedrig  als  möglich 
anschlägt.  Folglich  ist  die  Lotterie  der  Juristerei  sehr 
weit  davon  entfernt,  eine  ganz  ehrliche  Lotterie  zu 
sein;  und  dieser  wie  viele  andere  freie  und  ehrenvolle 
Berufe  werden  vom  Gesichtspunkte  des  Goldgewinns 
aus  offenbar  zu  schlecht  bezahlt. 

Diese  Berufsarten  halten  gleichwohl  den  übrigen 
die  Wage,  und  die  besten  und  strebsamsten  Köpfe 
drängen  sich  trotz  dieser  entmutigenden  Umstände  mit 
Eifer  zu  ihnen.  Zu  ihrer  Empfehlung  dient  zweierlei: 
erstens  das  Yerlangen  nach  dem  Ansehen,  welches 
denen  zu  Teil  wird,  die  es  in  ihrem  Beruf  zu  etwas 
Hervorragendem  bringen,  und  zweitens  das  natürliche 
Vertrauen,  das  Jeder  mehr  oder  weniger  auf  seine 
Fähigkeiten  und  sein  gutes  Glück  setzt. 

In  einem  Berufe  hervorzuragen,  in  welchem  es 
nur  Wenige  zur  Mittelmäßigkeit  bringen,  ist  der  ent- 
scheidendste Beweis  von  dem,  was  man  Genie  oder 
höhere  Talente  nennt.  Die  allgemeine  Bewunderung, 
die  so  hervorragenden  Fähigkeiten  zu  Teil  wird,  macht 
immer,  je  nach  dem  Grade  des  Ansehens,  einen  größe- 
ren oder  kleineren  Teil  ihrer  Belohnung  aus.  Einen 
erheblichen  Teil  der  Belohnung  bildet  sie  in  dem  Be- 
rufe eines  Arztes;  einen  noch  größeren  vielleicht  in 
dem  eines  Anwalts;  beinahe  die  ganze  Belohnung  aber 
macht  sie  bei  Dichtern  und  Philosophen  aus. 

Es  gibt  einige  höchst  angenehme  und  schöne  Ta- 
lente, die  ihrem  Besitzer  eine  gewisse  Bewunderung 
eintragen,  deren  Ausübung  für  Geld  aber,  sei  es  mit 
B-echt  oder  aus  Vorurteil,  für  eine  Art  von  öffentlicher 
Selbstentwürdigung  angesehen   wird.    Darum  muß  der 


148  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ei-tra/^'skraft  der  Arbeit. 

Geldlohn  derjenigen,  die  von  ihnen  in  dieser  Weise 
Gebrauch  machen,  groß  genug  sein,  um  sie  nicht  blos 
für  die  auf  die  Ausbildung  ihrer  Talente  verwendete 
Zeit,  Arbeit  und  Kosten,  sondern  auch  für  die  Gering- 
schätzung, welche  mit  ihrer  Verwertung  als  Unterhalts- 
mittel verknüpft  ist,  schadlos  zu  halten.  Die  über- 
mäßigen Gehalte  der  Schauspieler,  Opernsänger,  Opern- 
tänzer u.  s.  w.  beruhen  auf  diesen  beiden  Gründen:  auf 
der  Seltenheit  und  Schönheit  ihrer  Talente,  und  auf 
der  Geringschätzung,  mit  der  man  ihre  Verwertung  be- 
trachtet. Es  scheint  beim  ersten  Anblick  abgeschmackt, 
daß  wir  ihre  Personen  verachten  und  ihre  Talente  doch 
mit  der  verschwenderischsten  Freigebigkeit  belohnen. 
Aber  gerade,  weil  wir  das  Eine  tun,  müssen  wir  not- 
wendig auch  das  Andere  tun.  Sollte  sich  einmal  die 
öffentliche  Meinung  oder  das  Vorurteil  über  diese  Er- 
werbsarten ändern,  so  würde  sich  ihre  Geldbelohnung 
bald  verringern.  Es  würden  sich  dann  mehr  Leute 
darauf  legen,  und  der  Wettbewerb  würde  den  Preis  der 
Arbeit  schnell  herunterdrücken.  Denn  wenn  solche 
Talente  auch  durchaus  nicht  gewöhnlich  sind,  so  sind 
sie  doch  keineswegs  so  selten,  als  man  es  denkt.  Viele, 
die  es  verschmähen,  davon  Gebrauch  zu  machen,  be- 
sitzen sie  in  großer  Vollkommenheit,  und  viele  Andere 
würden  fähig  sein,  sie  zu  erwerben,  wenn  sich  daraus 
mit  Ehren  etwas  erzielen  ließe. 

Der  übertriebene  Begriff  der  meisten  Menschen 
von  ihren  Fähigkeiten  ist  ein  altes  Übel,  auf  das  von 
den  Denkern  und  Sittenlehrern  aller  Zeiten  hingewiesen 
wird.  Ihre  alberne  Einbildung  auf  ihr  gutes  Glück  hat 
man  weniger  beachtet,  und  doch  ist  diese  wo  möglich 
noch  allgemeiner.  Es  gibt  keinen  Menschen,  der,  so 
lange  er  leidlich  gesund  und  wohlauf  ist,  nicht  seinen 
Teil  davon  hätte.  Die  Aussicht  auf  Gewinn  wird  von 
Jedermann  mehr  oder  weniger  überschätzt,  die  Chance 


Kap.  X,l.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  149 

des  Verlustes  aber  von  den  Meisten  zu  gering  und  kaum 
von  irgend  Jemandem,  so  lange  er  leidlich  gesund  und 
wohlgemut  ist,  nach  ihrem  wahren  Wert  angeschlagen. 
Daß  die  Aussicht  auf  Gewinn  überschätzt  wird, 
kann  man  ans  dem  allgemeinen  Erfolg  der  Lotterien 
ersehen.  Eine  vollkommen  ehrliche  Lotterie,  wobei  der 
ganze  Gewinn  dem  ganzen  Verlust  gleichkommt,  ist 
nie  dagewesen  und  wird  nie  vorkommen,  sonst  hätte 
der  Unternehmer  keinen  Vorteil  davon.  In  den  Staats- 
lotterien sind  die  Lose  tatsächlich  den  Preis  nicht  wert, 
den  die  Abnehmer  dafür  zahlen,  und  dennoch  werden 
sie  im  Handel  gewöhnhch  noch  mit  einem  Aufschlag 
von  zwanzig,  dreißig  und  mitunter  vierzig  Prozent 
verkauft.  Die  eitle  Hoffnung,  einen  der  großen  Ge- 
winne zu  treffen,  ist  die  alleinige  Ursache  dieser  Nach- 
frage. Selbst  die  nüchternsten  Leute  sehen  darin  selten 
eine  Torheit,  eine  kleine  Summe  für  die  Aussicht  zu 
bezahlen,  daß  man  zehn  oder  zwanzig  tausend  Pfund 
gewinnen  kann,  und  doch  weiß  man,  daß  auch  die 
kleine  Summe  vielleicht  zwanzig  bis  dreißig  Prozent 
mehr  beträgt,  als  die  Gewinnwahrscheinlichkeit  wert 
ist.  In  einer  Lotterie,  in  welcher  kein  Gewinn  mehr 
als  zwanzig  Pfund  betrüge,  würde,  auch  wenn  sie  in 
anderer  Hinsicht  einer  vollkommen  ehrlichen  weit  näher 
käme,  als  die  gewöhnlichen  Staatslotterien,  doch  nicht 
eine  gleiche  Nachfrage  nach  Losen  stattfinden.  Um 
mehr  Aussicht  auf  einen  der  großen  Gewinne  zu 
haben,  kaufen  Manche  mehrere  Lose  und  Andere  kleine 
Anteile  an  vielen  Losen.  Und  doch  gibt  es  keinen  ge- 
wisseren mathematischen  Satz,  als  den,  daß  die  Wahr- 
scheinlichkeit zu  verlieren,  um  so  größer  ist,  auf  je 
mehr  Lose  man  setzt.  Besetze  alle  Lose  in  der  Lotterie, 
und  du  wirst  gewiß  verlieren;  und  je  größer  die  Zahl 
deiner  Lose  ist,  desto  näher  kommst  du  der  Sicherheit 
des  Verlustes. 

Daß    die  Verlustwahrscheinlichkeit   oft  zu  gering 


150  Krstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  fast  nie  so  hoch  angeschlagen  wird,  als  sie  es 
verdient,  ersieht  man  aus  dem  sehr  massigen  Gewinne 
der  Versicherer.  Soll  das  Versichern  gegen  Feuers- 
oder Seegefahr  überhaupt  ein  Geschäft  sein,  so  muß 
die  gewöhnliche  Prämie  hinreichen,  die  gewöhnlichen 
Verluste  zu  decken,  die  Kosten  der  Verwaltung  zu 
tragen  und  einen  solchen  Gewinn  zu  liefern,  wie  ihn 
ein  in  jedem  andern  Geschäft  angelegtes  gleiches  Ka- 
pital abwerfen  müßte.  Wer  nicht  mehr  als  dies  bezahlt, 
bezahlt  offenbar  nur  den  wirklichen  Wert  der  Gefahr, 
oder  den  niedrigsten  Preis,  zu  welchem  diese  zu  ver- 
sichern er  billiger  Weise  erwarten  kann.  Wenn  nun 
aber  auch  Viele  durch  Versicherung  einiges  Geld  ge- 
wonnen haben,  so  haben  doch  nur  sehr  Wenige  ein 
großes  Vermögen  damit  gemacht;  und  schon  aus  diesem 
Umstände  ergibt  sich  klar  genug,  daß  die  gewöhnliche 
Bilanz  von  Gewinn  und  Verlust  in  diesem  Geschäft 
nicht  vorteilhafter  ist,  als  in  anderen  gewöhnlichen  Ge- 
werben, durch  die  so  viele  Leute  Vermögen  erwerben. 
So  mäßig  auch  die  Versicherungsprämie  gewöhnlich 
ist,  so  schätzen  doch  Viele  die  Gefahr  zu  gering,  als 
daß  sie  Lust  hätten,  sie  zu  bezahlen.  Im  ganzen  König- 
reich sind  durchschnittlich  unter  zwanzig  Häusern  neun- 
zehn, oder  vielleicht  unter  hundert  neunundneunzig 
gegen  Feuersgefahr  nicht  versichert.  Die  Seegefahr  ist 
für  die  meisten  Leute  beunruhigender,  und  das  Ver- 
hältnis der  versicherten  zu  den  unversicherten  Schiffen 
ist  weit  größer.  Dennoch  gehen  zu  allen  Jahreszeiten 
und  selbst  in  Kriegszeiten  Viele  ohne  Versicherung  in 
See.  Mitunter  geschieht  dies  vielleicht  nicht  aus  Un- 
vorsichtigkeit. Wenn  eine  große  Gesellschaft  oder  auch 
ein  reicher  Kaufmann  zwanzig  oder  dreißig  Schiffe 
auf  dem  Meere  hat,  so  versichert  so  zu  sagen  eines 
das  andere.  Die  auf  alle  gesparte  Prämie  kann  Ver- 
luste, wie  sie  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Dinge  wahr- 
scheinlich eintreten,  reichlich  ausgleichen.   Aber  in  den 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Yerwendg.  151 

meisten  Fällen  ist  die  Vernachlässigung  der  Versicherung 
der  Schiffe,  gleich  der  der  Häuser,  nicht  der  Effekt 
einer  so  feinen  Berechnung,  sondern  lediglich  gedanken- 
lose oder  vermessene  Verachtung  der  Gefahr. 

Die  Verachtung  der  Gefahr  und  die  vermessene 
Hoffnung  auf  Erfolg  sind  in  keiner  Periode  des  Lebens 
reger,  als  in  dem  Alter,  in  welchem  junge  Leute  ihren 
Beruf  wählen.  Wie  wenig  dann  die  Furcht  vor  Miß- 
geschick imstande  ist,  der  Hoffnung  auf  gutes  Glück 
die  Wage  zu  halten,  zeigt  sich  noch  klarer  in  der  Be- 
reitwilligkeit gewöhnlicher  Leute,  sich  als  Soldaten  oder 
zum  Seedienst  einschreiben  zu  lassen,  als  in  dem  Eifer 
junger  Leute  besseren  Standes,  in  die  sogenannten 
freien  Berufsarten  einzutreten. 

Was  ein  gemeiner  Soldat  verlieren  kann,  ist  deut- 
lich genug.  Dennoch  lassen  sich  junge  Freiwillige, 
ohne  der  Gefahr  zu  achten,  zu  keiner  Zeit  so  gern 
anwerben,  als  beim  Beginn  eines  neuen  Krieges ;  und 
obgleich  sie  kaum  irgend  welche  Aussicht  auf  Beför- 
derung haben,  spiegeln  sie  sich  in  ihrer  jugendlichen 
Phantasie  doch  tausend  Gelegenheiten,  Ehre  und  Aus- 
zeichnung zu  gewinnen,  vor,  die  niemals  eintreffen. 
Diese  romantischen  Hoffnungen  sind  der  ganze  Preis, 
für  den  sie  ihr  Blut  verkaufen.  Ihr  Sold  ist  geringer, 
als  der  Lohn  gewöhnlicher  Arbeiter,  und  im  aktiven 
Dienst  sind  ihre  Beschwerden  weit  größer. 

Die  Lotterie  der  Marine  ist  nicht  ganz  so  unvor- 
teilhaft, als  die  des  Landdienstes.  Der  Sohn  eines  ge- 
achteten Arbeiters  oder  Handwerkers  geht  oft  mit  väter- 
licher Einwilligung  zur  See;  läßt  er  sich  aber  als  Soldat 
anwerben,  so  geschieht  es  immer  ohne  sie.  Auch  aiider-e 
Leute  sehen  einige  Möglichkeit,  im  ersten  Beruf  Glück 
zu  machen;  im  andern  sieht  Keiner,  als  allein  der  Be- 
treffende, eine  solche  Chance.  Der  große  Admiral  ist 
weniger  ein  Gegenstand  öffentlicher  Bewunderung,  als 


152  Erstes  Buch:  Zunalmie  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

der  große  General,  und  der  glücklichste  Erfolg  im  See- 
dienst verspricht  ein  weniger  glänzendes  Vermögen 
und  Ansehen,  als  ein  gleicher  Erfolg  auf  dem  Lande. 
Derselbe  Unterschied  zieht  sich  durch  alle  unteren 
Rangstufen  beider  Dienste.  Nach  den  Ranglisten  steht 
ein  Kapitän  in  der  Flotte  einem  Obersten  in  der  Armee 
gleich;  aber  in  der  gemeinen  Schätzung  steht  er  ihm 
nicht  gleich.  Da  die  großen  Gewinne  in  der  Lotterie 
geringer  sind,  müssen  die  kleineren  desto  zahlreicher 
sein.  Daher  gewinnen  auch  gemeine  Matrosen  öfter 
einiges  Vermögen  und  Beförderung,  als  gemeine  Sol- 
daten; und  die  Hoffnung  auf  diese  Gewinne  ist  es,  was 
dieses  Gewerbe  hauptsächlich  empfiehlt.  Obgleich  die 
Geschicklichkeit  und  Fertigkeit  der  gemeinen  Matrosen 
weit  größer  ist,  als  die  fast  jedes  Handwerkers,  und 
obgleich  ihr  ganzes  Leben  eine  fortlaufende  Reihe  von 
Mühseligkeiten  und  Gefahren  ist,  erhalten  sie  doch,  so 
lange  sie  gemeine  Matrosen  bleiben,  für  alle  diese  Ge- 
schicklichkeit und  Fertigkeit,  für  alle  diese  Mühselig- 
keiten und  Gefahren  kaum  eine  andere  Belohnung,  als 
das  Vergnügen,  jene  üben  und  diese  überwinden  zu 
können.  Ihr  Lohn  ist  nicht  größer,  als  der  gemeiner 
Arbeiter  an  dem  Hafen,  in  dem  der  Lohn  des  Matrosen 
bedungen  wird.  Da  sie  beständig  von  Hafen  zu  Hafen 
gehen,  so  gleichen  die  monatlichen  Löhne  derer,  welche 
aus  allen  Häfen  Großbritanniens  absegeln,  einander  viel 
mehr  als  der  Lohn  anderer  Arbeiter  an  diesen  ver- 
schiedenen Orten;  und  der  Lohnsatz  des  Hafenplatzes, 
von  und  nach  welchem  die  meisten  segeln,  d.  h.  des 
Hafens  von  London,  bestimmt  den  Satz  für  alle  übrigen. 
In  London  beträgt  der  Lohn  der  meisten  Arbeiter- 
klassen etwa  das  Doppelte  des  Lohns,  den  sie  in  Edin- 
burg  erhalten.  Aber  die  Matrosen,  die  aus  dem  Hafen 
von  London  segeln,  verdienen  selten  über  drei  oder 
vier  Schilling  monatlich  mehr,  als  die,  Avelcho  aus  dem 
Hafen  von  Leith  abfahren,  und  oft  ist  der  Unterschied 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwcndg.  153 

nicht  einmal  so  groß.  In  Friedenszeiten  und  in  der 
Handelsmarine  schwankt  der  Londoner  Preis  zwischen 
einer  Guinee  und  etwa  siebenandzwanzig  Schilling  für 
den  Kalendermonat.  Ein  gemeiner  Arbeiter  kann  in 
London,  nach  dem  Satze  von  neun  oder  zehn  Schilling 
die  "Woche,  zwischen  vierzig  und  fünf  und  vierzig  Schil- 
ling im  Kalendermonat  verdienen.  Freilich  erhält  der 
Matrose  außer  seinem  Lohn  noch  Kost;  aber  ihr  "Weit 
wird  wohl  nicht  immer  den  Unterschied  zwischen 
seiner  Bezahlung  und  der  gemeiner  Arbeiter  über- 
steigen, und  wenn  es  mitunter  der  Fall,  ist  dieses 
Mehr  doch  für  den  Matrosen  kein  reiner  Gewinn,  weil 
er  es  nicht  mit  Weib  und  Kind  teilen  kann,  die  er 
daheim  von  seinem  Lohne  erhalten  muß. 

Die  dem  Abenteurerleben  so  eigenen  Gefahren 
und  Errettungen  bei  eines  Haares  Breite  scheinen,  an- 
statt die  jungen  Leute  zu  entmutigen,  ihnen  vielmehr 
oft  ein  Gewerbe  reizvoll  zu  machen.  Eine  zärtliche 
Mutter  aus  den  unteren  Volksklassen  fürchtet  oft  schon, 
ihren  Sohn  in  einer  Hafenstadt  zur  Schule  zu  schicken, 
aus  Besorgnis,  daß  der  Anblick  der  Schiffe  und  die 
Gespräche  und  Abenteuer  der  Matrosen  ihn  zum  See- 
dienst veiiocken  mochten.  Die  entfernte  Aussicht  auf 
Gefahren,  aus  denen  wir  durch  Mut  und  Gewandtheit 
uns  zu  befreien  hoffen  können,  ist  uns  nicht  unange- 
nehm, und  steigert  den  Arbeitslohn  in  keinem  Geschäfte. 
Anders  verhält  es  sich  mit  Gefahren,  gegen  die  Mut 
und  Gewandtheit  nichts  nützen.  In  Gewerben,  die  als 
sehr  ungesund  bekannt  sind,  ist  der  Arbeitslohn  immer 
ziemlich  hoch.  Ungesundheit  ist  eine  Widerwärtigkeit, 
und  ihr  Einfluß  auf  den  Arbeitslohn  ist  unter  diese 
allgemeine  Rubrik  einzureihen. 

Bei  allen  Kapitalanlagen  schwankt  der  gewöhnliche 
Gewinnsatz  mehr  oder  weniger,  je  nach  der  Gewißheit 
oder  Ungewißheit  des  Wiedereingangs.    Dieser  ist  im 


154  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft   der  Arbeit. 

Allgemeinen  im  inneren  Handel  weniger  ungewiß  als 
im  auswärtigen,  und  in  einigen  Zweigen  des  auswärtigen 
weniger,  als  in  anderen:  so  z.  B.  in  dem  Handel  nach 
Nordamerika  weniger,  als  in  dem  nach  Jamaika.  Der 
gewöhnliche  Gewinnsatz  steigt  stets  mehr  oder  weniger 
mit  der  Gefahr;  doch  scheint  er  nicht  in  genauem  Ver- 
hältnis mit  ihr  oder  so,  daß  er  sie  völlig  ausgleicht, 
zu  steigen.  Bankerotte  sind  in  den  gefährlichsten  Han- 
delszweigen am  häufigsten.  Das  gefährlichste  aller  Ge- 
werbe, das  eines  Schmugglers,  führt,  obgleich  es  im 
Falle  des  Gelingens  wahrscheinlich  das  gewinnreichste 
ist,  ganz  sicher  zum  Bankerott.  Die  vermessene  Hoff- 
nung auf  Erfolg  scheint  hier  ebenso  zu  wirken,  wie 
in  allen  anderen  Fällen,  und  in  diese  gefährlichen 
Gewerbe  so  viele  Abenteurer  zu  verlocken,  daß  der 
Wettbewerb  ihren  Gewinn  tiefer  diückt,  als  zur  Aus- 
gleichung der  Gefahr  geschehen  dürfte.  Um  sie  voll- 
ständig auszugleichen,  müßte  der  gewöhnliche  Ertrag 
außer  dem  üblichen  Kapitalgewinn  nicht  nur  alle  zu- 
fälligen Einbußen  decken,  sondern  den  Abenteurern 
auch  eine  Art  Versicherungsprämie  als  Überschuß  ab- 
werfen. Wäre  der  gewöhnliche  Ertrag  für  dies  Alles 
zureichend,  so  würden  Bankerotte  in  diesem  Gewerbe 
nicht  häufiger  sein,  als  in  anderen. 

Von  den  fünf  Umständen,  welche  den  Arbeitslohn 
verschieden  gestalten,  berühren  also  nur  zwei  den 
Kapitalgewinn :  nämlich  die  Annehmlichkeit  oder  Un- 
annehmlichkeit des  Geschäfts  und  die  Gefahr  oder 
Sicherheit,  welche  mit  ihm  verbunden  ist.  Was  die  An- 
nehmlichkeit oder  Unannehmlichkeit  betrifft,  so  ist  der 
Unterschied  in  dem  bei  Weitem  größeren  Teile  der 
Kapitalanlagen  gering  oder  fällt  ganz  fort,  ist  aber 
beträchtlich  in  den  verschiedenen  Arbeitszweigen;  und 
wenn  der  übliche  Kapitalgewinn  auch  mit  der  Gefahr 
steigt,  so  scheint  er  doch  nicht  immer  genau  im  Ver- 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  155 

hältnis  zu  ihr  zu  steigen.  Aus  allem  diesem  dürfte 
folgen,  daß  in  ein  und  derselben  Gesellschaft  oder 
Gegend  der  Durchschnittssatz  des  Gewinnes  in  den 
verschiedenen  Kapitalanlagen  eher  auf  die  gleiche  Höhe 
kommen  müßte,  als  der  Geldlohn  der  verschiedenen 
Sorten  von  Arbeit.  Und  so  ist  es  auch.  Der  Unter- 
schied zwischen  dem  Verdienst  eines  gewöhnlichen 
Arbeiters  und  dem  eines  viel  beschäftigten  Anwalts 
oder  Arztes  ist  offenbar  weit  größer,  als  die  Differenz 
zwischen  dem  übhchen  Kapitalgewinn  in  zwei  ver- 
schiedenen Gewerbszweigen.  Überdies  ist  der  schein- 
bare Unterschied  in  dem  Gewinn  verschiedener  Ge- 
schäfte gewöhnlich  eine  Täuschung,  die  daraus  ent- 
springt, daß  man  nicht  immer  das,  was  als  Lohn  be- 
trachtet werden  sollte,  von  dem  unterscheidet,  was  als 
Gewinn  zu  betrachten  ist. 

Apothekergewinn  ist  zum  Sprichwort  geworden, 
um  etwas  besonders  Übermässiges  zu  bezeichnen.  Der 
scheinbar  hohe  Gewinn  ist  gleichwohl  oft  nur  ein 
billiger  Arbeitslohn.  Die  Geschicklichkeit  eines  Apo- 
thekers ist  viel  eigenerer  und  zarterer  Natur  als  die 
eines  Handwerkers,  welcher  es  auch  sei,  und  das  Ver- 
trauen, welches  man  auf  ihn  setzt,  ist  von  weit  größerer 
Wichtigkeit.  Er  ist  der  Arzt  der  Armen  in  allen  Fällen, 
und  der  Reichen,  wenn  das  Leiden  oder  die  Gefahr 
nicht  sehr  groß  ist.  Darum  muß  sein  Lohn  dieser 
Geschicklichkeit  und  diesem  Vertrauen  angemessen 
sein,  und  er  ergiebt  sich  gewöhnlich  aus  dem  Preise, 
zu  dem  er  seine  Waren  verkauft.  Aber  die  sämtlichen 
Waren,  die  der  beschäftigtste  Apotheker  in  einer  großen 
Stadt  in  einem  Jahr  verkauft,  kosten  ihn  vielleicht 
nicht  mehr  als  dreißig  oder  vierzig  Pfund.  Verkauft 
er  sie  nun  auch  mit  drei-  oder  vierhundert  oder  tausend 
Prozent  Gewinn,  so  mag  das  oft  doch  nicht  mehr  sein, 
als  der  billige  Lohn  für  seine  Arbeit,  den  er  auf  nichts 
anderes  schlagen  kann,  als  auf  den  Preis  seiner  Waren. 


156  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Der  größere  Teil  des  scheinbaren  Gewinnes  ist  in  der 
Tat  Arbeitslohn,  in  der  Maske  eines  Gewinns. 

In  einer  unbedeutenden  Hafenstadt  kann  ein 
kleiner  Krämer  vierzig  oder  fünfzig  Prozent  auf  ein 
Kapital  von  einem  einzigen  Hundert  Pfund  gewinnen, 
während  ein  bedeutender  Großhändler  an  demselben 
Platze  auf  ein  Kapital  von  zehntausend  Pfund  kaum 
acht  bis  zehn  Prozent  macht.  Das  Geschäft  des  Krä- 
mers kann  für  die  Bequemlichkeit  der  Einwohner 
nötig  sein,  und  die  Beschränktheit  des  Marktes  eine 
größere  Kapitalanlage  in  dem  Geschäfte  nicht  zulassen. 
Allein  der  Mann  muß  nicht  nur  von  seinem  Handel 
leben,  sondern  auch  den  Fähigkeiten,  die  man  bei 
ihm  voraussetzt,  angemessen  leben.  Abgesehen  davon, 
daß  er  ein  kleines  Kapital  nötig  hat,  muß  er  auch 
lesen,  schreiben  und  rechnen  können,  und  vielleicht 
fünfzig  bis  sechzig  verschiedene  Arten  von  Waren, 
ihre  Preise,  ihre  Qualität  und  die  Märkte,  wo  sie  am 
wohlfeilsten  zu  haben  sind,  leidlich  kennen.  Kurz, 
er  muß  alle  die  Kenntnisse  besitzen,  die  einem  Groß- 
händler nötig  sind,  und  es  hindert  ihn  nichts  als  der 
Maugel  eines  hinreichenden  Kapitals,  selbst  ein  Groß- 
händler zu  werden.  Dreißig  oder  vierzig  Pfund  jähr- 
lich können  nicht  als  eine  zu  große  Belohnung  für 
die  Arbeit  eines  solchen  Mannes  betrachtet  werden. 
Man  ziehe  dies  von  dem  anscheinend  großen  Gewinn 
seines  Kapitals  ab,  und  es  wird  vielleicht  kaum  mehr 
übrig  bleiben,  als  der  übliche  Kapitalgewinn.  Auch 
in  diesem  Falle  ist  der  größte  Teil  des  scheinbaren 
Gewinnes  wirklicher  Arbeitslohn. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  scheinbaren  Gewinn 
des  Klein-  und  des  Großhandels  ist  in  der  Hauptstadt 
weit  geringer,  als  in  kleinen  Städten.  Wo  zehntausend 
Pfund  im  Kramhandel  angelegt  werden  können,  macht 
der  Lohn  für  des  Krämers  Arbeit  nur  einen  sehr  ge- 
j-ingen  Zusatz  zu  dem  wirklichen  Gewinn  eines  so  großen 


Kap.  X,I.:  Versehiodeiiheiten  durch  die  Natur  d.  Vorwenrlo-.  [^'J 

Kapitals  aus.  Der  scheinbare  Gewinn  des  großen  Klein- 
händlers kommt  daher  hier  dem  Gewinn  des  Großhänd- 
lers weit  näher.  Aus  diesem  Grunde  sind  auch  Waren, 
die  im  Einzelnen  verkauft  werden,  in  der  Hauptstadt 
im  Allgemeinen  ebenso  wohlfeil  und  oft  noch  wohlfeiler, 
als  in  kleinen  Städten  und  Flecken.  Materialwaren 
z.  B.  sind  im  Allgemeinen  viel  wohlfeiler;  Brot  und 
Fleisch  oft  ebenso  wohlfeil.  Es  kostet  nicht  mehr,  die 
Materialwaren  in  eine  große  Stadt,  als  in  einen  Markt- 
flecken zu  bringen,  aber  es  kostet  viel  mehr,  Korn  und 
Vieh  dahin  zu  bringen,  da  dies  meistenteils  aus  einer 
viel  größeren  Entfernung  herbeigeschafft  werden  muß. 
Da  der  Einkaufspreis  der  Materialwaren  an  beiden 
Orten  derselbe  ist,  so  sind  sie  da  am  wohlfeilsten,  wo 
der  geringste  Gewinn  darauf  geschlagen  wird.  Der  Ein- 
kaufspreis von  Brot  und  Fleisch  ist  in  der  großen  Stadt 
höher,  als  in  dem  Landorte,  und  obgleich  der  Gewinn 
geringer  ist,  so  sind  sie  dort  zwar  nicht  immer  wohl- 
feiler, aber  oft  ebenso  wohlfeil.  Bei  solchen  Artikeln, 
wie  Brot  und  Fleisch,  erhöht  derselbe  Grund,  der  den 
scheinbaren  Gewinn  verringert,  den  Einkaufspreis.  Der 
Umfang  des  Marktes  verringert  durch  Gestattung  größe- 
rer Kapitalanlagen  den  scheinbaren  Gewinn;  die  Not- 
wendigkeit jedoch,  ihn  aus  gi'ößerer  Entfernung  zu  ver- 
sorgen, erhöht  den  Einkaufspreis.  Diese  Verringerung 
des  einen  und  Erhöhung  des  andern  scheint  in  den 
meisten  Fällen  einander  ziemlich  aufzuwiegen,  und  dies 
ist  wahrscheinlich  der  Grund,  warum  die  Brot-  und 
Fleischpreise  im  größten  Teile  des  Königreiches  so 
ziemlich  die  nämlichen  sind,  obgleich  die  Korn-  und 
Viehpreise  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Landes 
gewöhnlich  sehr  verschieden  sind. 

Obgleich  der  Kapitalgewinn  sowohl  beim  Groß-  wie 
beim  Kleinhandel  in  der  Hau[)tstadt  gewöhnlich  geringer 
ist,  als  in  kleinen  Städten  und  Flecken,  so  wird  doch 


158  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

in  der  ersteren  aus  kleinen  Anfängen  oft  ein  großes 
Vermögen  erworben,  was  in  den  letzteren  fast  nie  der 
Fall  ist.  In  kleinen  Städten  und  Flecken  kann  wegen 
der  Beschränktheit  des  Marktes  der  Handel  nicht  immer 
so  ausgedehnt  werden,  wie  das  Kapital  sich  vergrößert. 
Daher  kann  an  solchen  Orten,  selbst  wenn  der  Gewinn- 
satz eines  Einzelnen  sehr  hoch  ist,  doch  die  Summe  des 
Gewinns  und  folglich  auch  des  jährlich  zurückgelegten 
Kapitals  nie  sehr  groß  sein.  In  großen  Städten  kann 
das  Geschäft  sich  mit  dem  Kapital  vergrößern,  und  der 
Kredit  eines  sparsamen  und  emporkommenden  Mannes 
wächst  noch  schneller,  als  sein  Kapital.  Sein  Geschäft 
dehnt  sich  nach  Verhältnis  beider  aus,  die  Summe  sei- 
nes Gewinns  richtet  sich  nach  der  Ausdehnung  seines 
Geschäfts,  und  die  Summe  des  jährlich  zurückgelegten 
Kapitals  nach  dem  Betrage  seines  Gewinns.  Doch  wer- 
den auch  in  großen  Städten  selten  in  einem  regel- 
mäßigen, altbegründeten  und  wohlbekannten  Geschäfts- 
zweige große  Vermögen  erworben,  außer  durch  ein 
langes  Leben  voll  Fleiß,  Sparsamkeit  und  Rührigkeit. 
Schnell  werden  zuweilen  an  solchen  Orten  Reichtümer 
im  sogenannten  Spekulationshandel  erworben.  Der 
Spekulant  betreibt  keinen  regelmässigen,  altbegründeten 
oder  wohlbekannten  Geschäftszweig.  Er  ist  in  dem 
einen  Jahre  Kornhändler,  im  anderen  Weinhändler,  und 
im  folgenden  Zucker-,  Tabak-  oder  Teehändler.  Er 
ergreift  jedes  Geschäft,  wenn  er  erwartet,  es  werde  un- 
gewöhnlich gewinnreich  sein,  und  er  gibt  es  wieder 
auf,  wenn  er  voraussieht,  daß  sein  Gewinn  wahrschein- 
lich auf  das  Niveau  der  anderen  Geschäftszweige  zurück- 
geht. Seine  Gewinne  und  Verluste  können  daher  in  kei- 
nem regelmäßigen  Verhältnis  zu  denen  eines  soliden  und 
wohlbekannten  Geschäftszweiges  stehen.  Ein  kühner 
Wagehals  kann  zuweilen  durch  zwei  oder  drei  glück- 
liche Spekulationen  ein  bedeutendes  Vermögen  erwer- 


Kap.  X,r.:  Verschiedenlieiton  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  159 

ben;  aber  ebenso  wahrscheinlich  kann  er  durch  zwei 
oder  drei  unglückliche  es  verlieren.  Ein  solches  Ge- 
schäft kann  nur  in  großen  Städten  getrieben  worden. 
Nur  an  Orten  des  ausgedehntesten  Verkehrs  und  der 
vielseitigsten  Verbindungen  sind  die  dazu  erforder- 
lichen Nachrichten  einzuziehen. 

Die  fünf  oben  erwähnten  Umstände  verursachen 
zwar  erhebliche  Ungleichheiten  im  Arbeitslohn  und 
Kapitalgewinn,  aber  keine  in  der  Gesamtheit  der  wirk- 
lichen oder  eingebildeten  Vorteile  und  Nachteile  der 
einen  Kapitals-  oder  Arbeitsverwendung  vor  der  andern. 
Jene  Umstände  sind  der  Art,  daß  sie  in  einigen  für 
den  kleinen  Gewinn  schadlos  halten  und  in  anderen 
einen  großen  aufwiegen. 

Damit  indeß  diese  Gleichheit  in  der  Gesamtheit 
ihrer  Vorteile  und  Nachteile  platzgreifen  könne,  sind 
selbst  da,  wo  die  vollkommenste  Freiheit  herrscht, 
drei  Dinge  nötig.  Erstens  müssen  die  Gewerbe  in  der 
Umgebung  wohlbekannt  und  altbegründet  sein;  zwei- 
tens müssen  sie  in  ihrem  gewöhnlichen  oder  so  zu 
sagen  natürlichen  Zustande  sein;  und  drittens  müssen 
sie  das  einzige  oder  hauptsächlichste  Geschäft  derer 
sein,  die  sich  damit  befassen. 

Erstens,  diese  Gleichheit  kann  nur  in  solchen  Ge- 
werben stattfinden,  die  in  ihrer  Umgebung  wohlbe- 
kannt und  seit  langer  Zeit  begründet  sind. 

Unter  sonst  gleichen  Umständen  ist  der  Arbeits- 
lohn in  neuen  Gewerben  in  der  Regel  höher,  als  in 
alten.  Wenn  ein  Unternehmer  einen  neuen  Fabrik- 
zweig einzuführen  sucht,  muß  er  zuerst  die  nötigen 
Arbeiter  durch  einen  höheien  Lohn,  als  den,  den  sie 
in  ihrem  eigenen  Gewerbe  verdienen  können,  oder 
den  sein  neues  Gewerbe  eigentlich  bieten  kann,  aus 
anderen  Geschäften  weglocken,  und  er  muß  eine  ge- 
raume Zeit  verstreichen  lassen,  che  er  es  wagen  darf, 
sie   auf   das   gewöhnliche   Maß   herabzusetzen.     Manu- 


160  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

fakturen,  für  welche  die  Nachfrage  durchaus  von  der 
Mode  und  Phantasie  abhängt,  wechseln  beständig  und 
dauern  selten  lange  genug,  um  als  altbegründete  Manu- 
fakturen angesehen  werden  zu  können.  Solche  hin- 
gegen, deren  Nachfrage  aus  dem  täglichen  Gebrauch 
und  Bedarf  entspringt,  sind  der  Veränderung  weniger 
unterworfen,  und  dieselbe  Form  und  dasselbe  Fabrikat 
kann  Jahrhunderte  lang  gesucht  werden.  Der  Arbeits- 
lohn in  Manufakturen  der  ersteren  Art  ist  daher  wahr- 
scheinlich höher,  als  in  denen  der  letzteren  Art.  Bir- 
mingham hat  besonders  Manufakturen  der  ersteren, 
Sheffield  der  letzteren  Art;  und  der  Arbeitslohn  an 
diesen  beiden  Orten  soll  jenem  Unterschiede  im  Wesen 
ihrer  Manufakturen  angemessen  sein. 

Die  Einführung  einer  neuen  Manufaktur,  eines 
neuen  Handelszweiges  oder  einer  neuen  Land  wirtschafts- 
methode  ist  immer  eine  Spekulation,  von  der  sich  der 
Unternehmer  außergewöhnliche  Gewinne  verspricht. 
Diese  Gewinne  sind  zuweilen  sehr  groß ;  manchmal  aber, 
vielleicht  sogar  am  häufigsten,  gerade  das  Gegenteil 
davon:  aber  im  Allgemeinen  stehen  sie  zu  den  Ge- 
winnen anderer  alten  Geschäfte  der  Umgegend  in 
keinem  regelmäßigen  Verhältnis.  Gelingt  das  Unter- 
nehmen, so  ist  der  Gewinn  im  Anfang  gewöhnlich 
sehr  hoch.  Wird  das  Gewerbe  oder  die  Praxis  aber 
erst  einmal  überall  eingeführt  und  wohlbekannt,  so 
führt  der  Wettbewerb  den  Gewinn  auf  das  Niveau 
der  übrigen  Gewerbe  zurück. 

Zweitens,  jene  Gleichheit  in  der  Gesamtheit  der 
Vorteile  und  Nachteile  der  verschiedenen  Arbeits-  und 
Kapitalanlagen  kann  nur  in  ihrem  gewöhnlichen,  oder 
so  zu  sagen  natürlichen  Zustande  platzgreifen. 

Die  Nachfrage  nach  fast  allen  Arten  von  Arbeit  ist 
einmal  größer  und  ein  andermal  geringer,  als  gewöhn- 
lich. In  dem  einen  Falle  steigen  die  Vorteile  des 
Geschäftes  über,   in  dem  anderen  fallen  sie  unter  das 


Kap.  X,T.:  Yersrhiodenheiten  durch  die  Natur  d.  Ver\vend,2,-.  IQI 

gewöhnliche  Maß.  Die  Nachfrage  nach  ländlicher  Arbeit 
ist  zur  Zeit   des   Mähens   und   der   Ernte   grüßer,    als 
während  des  übrigen  Jahres,  und  der  Lohn  steigt  mit 
der  Nachfrage.     Im   Kriege,   wo   vierzig   oder   fünfzig 
tausend  Matrosen   aus   dem  Kauffahrteidienst  für  den 
Dienst  des  Königs  ausgehoben  werden,  steigt  notwendig 
die  Nachfrage  nach  Matrosen  für  die  Handelsmarine  mit 
ihrer  Seltenheit,  und  ihr  Lohn  steigt  in  solchen  Fällen 
gewöhnlich   von   einer  Guinee   und   siebenundzwanzig 
Schilling   monatlich   bis  zu   vierzig  Schilling  und  drei 
Pfund  hinauf.  In  einem  verfallenden  Gewerbszweige  da- 
gegen begnügen  sich  viele  Arbeiter  lieber  mit  einem  ge- 
ringeren Lohn,  als  er  sonst  der  Natur  ihres  Geschäfts 
angemessen  wäre,  als  daß  sie  ihr  altes  Gewerbe  aufgäben. 
Der  Kapitalgewinn  schwankt  mit  dem  Preise  der 
Waren,  in  denen  das  Kapital  angelegt  ist.    Steigt  der 
Preis  einer  Ware  über  seinen  gewöhnlichen  oder  Durch- 
schnittssatz, so  steigt  auch  der  Gewinn  wenigstens  eines 
Teils  vom  Kapital,  der  im  Markttransport  Verwendung 
findet,  über  sein  gehöriges  Maß,   und  fällt   der  Preis, 
so  sinkt  auch  der  Gewinn  darunter.    Alle  Waren  sind 
Preisveränderungen   ausgesetzt,    aber   die   einen  mehr, 
die  anderen  weniger.    Bei  allen  Waren,  welche  durch 
menschlichen  Fleiß   hervorgebracht   werden,   wird   die 
Menge  des  jährlich  aufgewendeten  Fleißes  notwendig 
durch  die  jährliche  Nachfrage  bestimmt,  und  zwar  so, 
daß  das  durchschnittliche  Jahreserzeugnis  dem  durch- 
schnittlichen   Jahresverbrauch    so    nahe    als    möglich 
kommt.  In  einigen  Gewerben  wird,  wie  bereits  bemerkt, 
mit  der  nämlichen  A)beitsmenge  stets  die  nämliche  oder 
doch   beinahe   die    nämliche    Warenmenge    hervorge- 
bracht.   So  wird  in  der  Leinen-  und  Wollenmanufaktur 
eine  gleiche  Zahl  von  Händen  jährlich  so  ziemlich  die 
gleiche  Menge  Leinen-  und  Wollenzeuge  herstollen.  Die 
Veränderungen  im  Marktpreise  solcher  Waren  können 

Adam  S  in  i  Ui ,  Volkswolilstaml.  I.  11 


162  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertrag'skraft  der  Arbeit. 

daher  nur  aus  einer  zufälligen  Veränderung  in  der 
Nachfrage  entspringen.  Eine  Landestrauer  steigert  den 
Preis  der  schwarzen  Zeuge.  Aber  wie  die  Nachfrage 
nach  den  meisten  Sorten  glatter  Leinen-  und  Wollen- 
zeuge sich  ziemlich  gleich  bleibt,  so  auch  ihr  Preis. 
Doch  gibt  es  andere  Gewerbe,  in  denen  die  gleiche 
Arbeitsmenge  nicht  immer  die  gleiche  Warenmenge 
herstellen  wird.  So  wird  dieselbe  Arbeitsmenge  in  ver- 
schiedenen Jahren  sehr  verschiedene  Mengen  Korn, 
Wein,  Hopfen,  Zucker,  Tabak  u.  dgl.  hervorbringen. 
Der  Preis  solcher  Waren  ändert  sich  mithin  nicht  blos 
nach  den  Schwankungen  der  Nachfrage,  sondern  auch 
nach  den  weit  größeren  und  häufigeren  Schwankungen 
der  Menge  und  ist  folglich  äußerst  veränderlich.  Der 
Gewinn  der  Händler  aber  muß  notwendig  mit  dem 
Preise  der  Waren  schwanken.  Die  Tätigkeit  des  Spe- 
kulanten wendet  sich  hauptsächlich  solchen  Waren  zu. 
Er  sucht  sie  aufzukaufen,  wenn  er  voraussieht,  daß  ihr 
Preis  wahrscheinlich  steigen  wird,  und  zu  verkaufen, 
wenn  er  zu  fallen  droht. 

Drittens,  diese  Gleichheit  in  der  Gesamtheit  der 
Vorteile  und  Nachteile  der  verschiedenen  Arbeits-  und 
Kapitalanlagen  kann  nur  in  solchen  Gewerben  statt- 
finden, die  das  einzige  oder  doch  hauptsächlichste  Ge- 
schäft derer  sind,  welche  sich  damit  befassen. 

Wenn  jemand  seinen  Unterhalt  aus  einem  Geschäft 
zieht,  das  nicht  seine  volle  Zeit  in  Anspruch  nimmt, 
so  ist  er  oft  in  Stunden  der  Muße  bereit,  in  einem 
anderen  für  einen  geringeren  Lohn  zu  arbeiten,  als  es 
sonst  die  Natur  des  Geschäfts  erlauben  würde. 

In  vielen  Teilen  Schottlands  kommen  noch  eine  Art 
Leute  vor.  Cotters  oder  Cottagers  (Häusler)  ge- 
nannt, die  allerdings  vor  einigen  Jahren  noch  häufiger 
waren,  als  jetzt.  Sie  sind  eine  Art  außer  dem  Hause 
beschäftigter  Dienstleute  der  Grundherren  und  Pächter. 


Kap.  X,I.:  Verschiedenheiten  durch  die  Natur  d.  Verwendg.  163 

Der  übliche  Lohn,  den  sie  von  ihren  Herren  empfangen, 
besteht  in  einem  Hause,  einem  kleinen  Gremüsegarten, 
Gras,  um  eine  Kuh  zu  halten,  und  etwa  einem  oder 
zwei  Morgen  schlechten  Ackerlandes.  Hat  der  Herr  ihre 
Arbeit  nötig,  so  gibt  er  ihnen  außerdem  noch  zwei  Peck 
(etwas  mehr  als  einen  Scheffel)  Hafermehl  die  Woche, 
im  Werte  von  etwa  sechzehn  Pence.  Während  eines 
großen  Teils  des  Jahres  hat  er  wenig  oder  gar  keine 
Arbeit  für  sie,  und  die  Bestellung  ihrer  eigenen  kleinen 
Besitzung  ist  nicht  hinreichend,  ihre  verfügbare  Zeit  aus- 
zufüllen. Als  diese  Häusler  noch  zahlreicher  waren,  als 
jetzt,  sollen  sie  ihre  erübrigte  Zeit  gern  Jedem  für  einen 
geringen  Entgelt  hingegeben  und  für  weniger  Lohn  ge- 
dient haben,  als  andere  Arbeiter.  In  alten  Zeiten  schei- 
nen sie  über  ganz  Europa  verbreitet  gewesen  zu  sein. 
In  schlecht  kultivierten  und  spärlich  bewohnten  Län- 
dern konnten  die  meisten  Gutsbesitzer  und  Pächter  sich 
die  ungewöhnliche  Zahl  Hände,  welche  der  Landbau 
zu  gewissen  Zeiten  erheischt,  auf  keine  andere  Weise 
verschaffen.  Der  Tag-  oder  Wochenlohn,  den  solche 
Arbeiter  gelegentlich  von  ihren  Herren  erhielten,  war 
offenbar  nicht  der  ganze  Preis  ihrer  Arbeit.  Ihre  kleine 
Stelle  machte  einen  beträchtlichen  Teil  davon  aus. 
Doch  scheint  dieser  Tag-  oder  Wochenlohn  von  vielen 
Schriftstellern,  welche  die  Preise  der  Arbeit  und  der 
Lebensmittel  in  alten  Zeiten  gesammelt  und  beide  als 
wunderbar  niedrig  darzustellen  beliebt  haben,  als  der 
ganze  Lohn  angesehen  worden  zu  sein. 

Das  Produkt  solcher  Arbeit  kommt  oft  wohlfeiler 
zu  Markt,  als  es  sonst  angemessen  wäre.  Strümpfe 
werden  in  vielen  Teilen  Schottlands  weit  billiger  ge- 
strickt, als  sie  anderwärts  auf  dem  Stuhl  gewirkt 
werden  können.  Sie  sind  die  Arbeit  von  Dienstboten 
und  Arbeitern,  die  ihren  Hauptverdienst  aus  einer 
anderen  Beschäftigung  ziehen.    Mehr  als  tausend  Paar 

1 1-^-^ 


164  Erstes  Buch:  Zunahme  in  rler  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Strümpfe  werden  jährlich  von  den  Shetlandsinseln  nach 
Leith  gebracht,  deren  Preis  fünf  bis  sieben  Pence  das 
Paar  beträgt.  In  Learwick,  der  kleinen  Hauptstadt  der 
Shetlandsinseln,  sind,  wie  man  mir  versichert,  zehn 
Pence  täglich  der  gewöhnliche  Preis  für  gemeine  Arbeit. 
Auf  denselben  Inseln  strickt  man  wollene  Strümpfe 
zum  Werte  von   einer  Guinee   das  Paar  und  darüber. 

Das  Spinnen  des  Leinengarns  wird  in  Schottland 
fast  ebenso  wie  das  Stricken  der  Strümpfe  von  Dienst- 
boten betrieben,  die  hauptsächlich  zu  anderen  Zwecken 
gemietet  werden.  Wer  mit  dem  einen  oder  anderen 
dieser  Geschäfte  seinen  ganzen  Lebensunterhalt  ge- 
winnen wollte,  dürfte  kaum  das  liebe  Brot  verdienen. 
In  den  meisten  Teilen  Schottlands  ist  die  eine  gute  Spin- 
nerin, die  in  der  Woche  zwanzig  Pence  verdienen  kann. 

In  reichen  Ländern  ist  der  Markt  in  der  Regel  so 
ausgedehnt,  daß  jedes  Gewerbe  hinreichend  ist,  die  Ar- 
beit und  das  Kapital  derer,  welche  sich  ihm  widmen, 
ganz  in  Anspruch  zu  nehmen.  Beispiele  davon,  daß 
Leute  von  einem  Geschäfte  leben  und  daneben  aus 
einem  anderen  einen  kleinen  Gewinn  ziehen,  kommen 
hauptsächlich  in  armen  Ländern  vor.  Folgenden  ganz 
ähnlichen  Fall  jedoch  findet  man  in  der  Hauptstadt 
eines  der  reichsten  Länder.  Ich  glaube,  es  gibt  keine 
Stadt  in  Europa,  in  welcher  der  Hauszins  teurer  wäre 
als  in  London,  und  doch  kenne  ich  keine  Hauptstadt, 
in  der  ein  möblieites  Zimmer  so  wohlfeil  zu  mieten 
ist.  Ein  Zimmer  in  London  ist  nicht  nur  viel  wohl- 
feiler als  in  Paris,  sondern  auch  viel  wohlfeiler  als 
in  Edinburg,  und  zwar  bei  derselben  Ausstattung, 
und  befremdlicher  Weise  ist  gerade  die  Höhe  des 
Hauszinses  der  Grund  jener  Wohlfeilheit  der  möbher- 
ten  Zimmer.  Die  Höhe  des  Hauszinses  in  London 
rührt  nicht  nur  von  den  Ursachen  her,  die  ihn  in 
allen  großen  Hauptstädten  teuer  machen,  —  von  der 
teuren    Arbeit,    den    teuren    Baumaterialien,    die    ge- 


Kap.  X, IL:  Ungleichheiten  infolge cl.europ. Wirtschaftspolitik.  165 

wohnlich  aus  weiter  Ferne  herbeigebracht  werden 
müssen,  und  vor  Allem  von  der  hohen  Grundrente,  da 
jeder  Grundeigentümer  als  Monopolist  verfährt,  und  oft 
für  einen  einzigen  Morgen  schlechten  Bodens  in  der 
Stadt  eine  höhere  Rente  fordert,  als  man  für  hundert 
Morgen  des  besten  Bodens  auf  dem  Lande  erhalten 
kann,  —  sondern  sie  entspringt  zum  Teil  aus  den  be- 
sonderen Gebräuchen  und  Gewohnheiten  der  Bewohner, 
wonach  jeder  Hausvater  ein  ganzes  Haus  von  oben  bis 
unten  mieten  muß.  Eine  „Wohnung"  in  England  heißt 
so  viel,  wie  Alles,  was  unter  demselben  Dache  enthalten 
ist.  In  Frankreich,  Schottland  und  vielen  anderen 
Teilen  Europas  bedeutet  es  oft  nicht  mehr,  als  ein  ein- 
zelnes Stockwerk.  Ein  Gewerbsmann  in  London  ist  ge- 
nötigt, in  dem  Stadtteile,  in  dem  seine  Kunden  wohnen, 
ein  ganzes  Haus  zu  mieten.  Sein  Laden  ist  zur  ebenen 
Erde;  er  selbst  aber  schläft  mit  seiner  Familie  unter 
dem  Dache,  und  sucht  einen  Teil  seines  Hauszinses 
dadurch  zu  bezahlen,  daß  er  die  beiden  mittleren  Stock- 
werke an  Aftermieter  abläßt.  Den  Unterhalt  seiner 
Familie  hofft  er  durch  sein  Gewerbe,  nicht  durch  seine 
Mieter  zu  bestreiten,  wohingegen  Leute,  welche  in  Paris 
und  Edinburg  Zimmer  vermieten,  gewöhnlich  keine 
anderen  Unterhaltsmittel  haben,  und  der  Preis  der 
Zimmer  nicht  nur  den  Hauszins,  sondern  die  ganzen 
Ausgaben  der  Familie  bestreiten  muß. 


Zweite  Abteilung. 

Ungleichheiten,  welche  durch  die  europäische  Wirtschafts- 
politik veranlaßt  sind. 

Dies  sind  die  in  der  Gesamtheit  der  Vorteile  und 
Nachteile  bei  den  verschiedenen  Arbeits-  und  Kapital- 
anlagen vorkommenden  Ungleichheiten,  welche  die  Ab- 


166  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Wesenheit  eines  der  drei  oben  erwähnten  Erfordernisse 
auch  da  veranlaßt,  wo  die  vollkommenste  Freiheit 
herrscht.  Aber  andere  viel  bedeutendere  Ungleich- 
heiten veranlaßt  die  europäische  AVirtschaftspolitik  da- 
durch, daß  sie  den  Dingen  nicht  ihre  volle  Freiheit  läßt. 

Dies  geschieht  vornehmlich  auf  dreierlei  Weise. 
Erstens  dadurch,  daß  in  gewissen  Gewerben  die  Kon- 
kurrenz auf  eine  geringere  Anzahl  von  Mitwerbern 
beschränkt  wird,  als  sich  sonst  damit  befassen  würden; 
zweitens  dadurch,  daß  in  anderen  die  Mitwerber  über 
das  natürliche  Maß  vermehrt  werden  und  drittens  da- 
durch, daß  die  freie  Bewegung  von  Arbeit  und  Ka- 
pital, sowohl  von  Grewerbe  zu  Gewerbe,  als  von  Ort 
zu  Ort  gehemmt  wird. 

Erstens,  die  europäische  "Wirtschaftspolitik  veran- 
laßt eine  sehr  bedeutende  Ungleichheit  in  der  Gesamt- 
heit der  Vorteile  und  Nachteile  bei  den  verschiedenen 
Arbeits-  und  Kapitalanlagen  dadurch,  daß  sie  in  ge- 
wissen Gewerben  die  Konkurrenz  auf  eine  geringere 
Anzahl  von  Mitwerbern  beschränkt,  als  sich  sonst  da- 
mit befassen  würden. 

Die  ausschließlichen  Zunftprivilegien  sind  das 
hauptsächlichste  Mittel,  dessen  sie  sich  zu  diesem 
Zwecke  bedient. 

Das  ausschließliche  Privilegium  eines  zünftigen  Ge- 
werbes schränkt  notwendig  in  der  Stadt,  in  der  es  be- 
trieben wird,  den  Wettbewerb  auf  diejenigen  ein,  die 
zur  Zunft  gehören.  Das  notwendige  Erfordernis  zur 
Erlangung  des  Zunftrechts  besteht  gewöhnlich  darin, 
daß  man  in  der  Stadt  unter  einem  gehörig  qualifi- 
zierten Meister  gelernt  hat.  Die  Zunftordnungen  be- 
stimmen öfters  die  Zahl  der  Tjehrlinge,  welche  einem 
Meister  zu  halten  gestattet  ist,  und  fast  immer  die  Zahl 
der  Jahre,  die  ein  Lehrling  dienen  muß.  Die  Absicht 
dieser  beiden  Bestimmungen  geht  dahin,  die  Konkur- 


Kap.X,II.:  Ungleichheiten  infolge d.europ.Wirtschaftspolitik.   167 

renz  auf  eine  geringere  Anzahl  einzuschränken,  als  sich 
sonst  auf  das  Geschäft  einlassen  würden.  Die  Beschrän- 
kung der  Zahl  der  Lehrlinge  beschränkt  den  Wettbe- 
werb direkt;  eine  lange  Lehrzeit  tut  es  mehr  indirekt, 
aber  ebenso  wirksam  durch  die  vermehrten  Kosten 
der  Ausbildung. 

In  Sheffield  kann  zufolge  eines  Ortsstatuts  der  Zunft 
kein  Messerschmidt  zu  gleicher  Zeit  mehr  als  einen  Lehr- 
ling halten.  In  Norfolk  und  Norwich  kann  kein  Weber- 
meister, bei  Strafe  von  fünf  Pfund  monatlich,  mehr  als 
zwei  Lehrlinge  haben.  In  ganz  England  und  den  eng- 
lischen Kolonien  darf  ein  Hutmacher  nicht  mehr  als 
zwei  Lehrlinge  haben,  bei  Strafe  von  fünf  Pfund  monat- 
lich, die  halb  dem  Fiskus  und  halb  dem  Angeber  zu- 
fallen. Diese  beiden  Bestimmungen  sind,  obgleich  sie 
durch  ein  allgemeines  Staatsgesetz  bestätigt  sind,  offen- 
bar von  demselben  Zunftgeiste  diktiert,  der  die  Shef- 
fielder Verordnung  eingegeben  hat.  Kaum  waren  die 
Seiden wirker  in  London  ein  Jahr  lang  eine  Zunft,  als 
sie  auch  schon  eine  Verordnung  erließen,  die  jedem 
Meister  untersagte,  mehr  als  zwei  Lehrlinge  zu  gleicher 
Zeit  zu  haben.  Es  bedurfte  einer  eigenen  Parlaments- 
akte, um  dieses  Ortsstatut  umzustoßen. 

In  früherer  Zeit  scheinen  sieben  Jahre  in  ganz 
Europa  der  übliche  Zeitraum  gewesen  zu  sein,  der  für 
die  Dauer  der  Lehrjahre  in  den  meisten  zünftigen  Ge- 
werben festgesetzt  war.  Alle  diese  Zünfte  wurden 
früher  Universitäten  genannt,  was  in  der  Tat  der 
eigentliche  lateinische  Name  für  jede  Körperschaft  ist. 
Die  Universität  der  Schmiede,  die  Universität  der 
Schneider  u.s.w.,  sind  Ausdrücke,  denen  man  in  den 
vergilbten  Dokumenten  alter  Städte  oft  begegnet.  Als 
jene  besonderen  Korporationen,  die  man  noch  jetzt 
Universitäten  nennt,  gegründet  wurden,  hat  man  augen- 
scheinlich die  Anzahl  der  Jahre,  die  man  studieren 
mußte,  um  den  Grad  eines  Magisters  der  freien  Künste 


1(38  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

ZU  erlangen,  von  den  Feststellungen  der  Lehrzeit  in 
den  gewöhnlichen  Gewerben,  deren  Vereinigungen  viel 
älter  waren,  kopiert.  Wie  man  sieben  Jahre  unter  einem 
gehörig  qualifizierten  Meister  gearbeitet  haben  mußte, 
wenn  man  in  einem  gewöhnlichen  Gewerbe  die  Be- 
rechtigung, Meister  zu  werden  und  selber  Lehrlinge  zu 
halten  erwerben  wollte,  so  mußte  man  auch  sieben  Jahre 
unter  einem  gehörig  (|ualifizierton  Meister  studiert  haben, 
um  das  Recht  zu  erwerben,  in  den  freien  Künsten  Ma- 
gister, Lehrer  oder  Doktor  (früherhin  gleichbedeutende 
Wörter)  zu  werden,  und  Schüler  oder  Lehrlinge  (ur- 
sprünglich ebenfalls  gleichbedeutende  Ausdrücke)  zu 
haben,  die  unter  dem  Meister  studierten. 

Durch  ein  Statut  aus  dem  fünften  Jahre  Elisabeths, 
gewöhnlich  das  Lehrzeitstatut  genannt,  wurde  bestimmt, 
daß  in  Zukunft  Niemand  ein  zu  jener  Zeit  in  England 
betriebenes  Handwerk,  Gewerbe  oder  Geschäft  treiben 
sollte,  wenn  er  nicht  zuvor  darin  wenigstens  sieben 
Lehrjahre  bestanden  hätte;  und  was  früher  bloßes  Orts- 
statut einzelner  Zünfte  gewesen  war,  wurde  nun  in  Eng- 
land allgemeines  Staatsgesetz  für  alle  in  Marktstädten 
betriebenen  Geschäfte.  Die  Worte  des  Statuts  lauten 
zwar  ganz  allgemein,  und  scheinen  das  ganze  König- 
reich zu  umfassen,  doch  ist  seine  Wirkung  durch  Aus- 
legung auf  die  Marktstädte  beschränkt  worden,  weil  man 
dafür  hielt,  daß  auf  dem  Lande  dieselbe  Person  ver- 
schiedene Gewerbe  müsse  treiben  können,  auch  ohne  in 
jedem  sieben  Jahre  gelernt  zu  haben,  da  Handwerker 
für  den  Bedarf  der  Einwohner  nötig,  und  diese  doch 
nicht  immer  zahlreich  genug  sind,  um  einen  Mann, 
der  nur  sein  Handwerk  betreibt,  zu  ernähren. 

Ferner  ist  durch  eine  strenge  Auslegung  der  Worte 
die  Wirkung  dieses  Statuts  auf  die  Gewerbe  beschränkt 
worden,  welche  in  England  vor  dem  fünften  Regierungs- 
jahre Elisabeths  bestanden  haben,  und  niemals  auf  solche 


Kap.  X,II.:  Ungleichheiten  infolge  d.  eiirop. Wirtschaftspolitik.  J  ßQ 

ausgedehnt  worden,  die  seit  jener  Zeit  erst  eingeführt 
worden  sind.  Diese  Beschränkung  hat  zu  einigen  Unter- 
scheidungen Anlaß  gegeben,  die  als  Maßregeln  der 
Wirtschaftspolitik  betrachtet,  so  töricht  als  möglich  er- 
scheinen. So  ist  z.  B.  entschieden  worden,  daß  ein 
Wagner  seine  Wagenräder  weder  selbst  machen,  noch 
durch  Gesellen  machen  lassen  darf,  sondern  sie  von 
einem  ßadmachermeister  kaufen  muß,  weil  letzteres 
Handwerk  schon  vor  dem  fünften  liegierungsjahre 
Elisabeths  existiert  hat.  Dagegen  kann  ein  Radmacher, 
wenn  er  auch  niemals  bei  einem  Wagner  in  der  Lehre 
gewesen  ist,  selbst  Wagen  machen  oder  von  Gesellen 
machen  lassen,  weil  das  Gewerbe  eines  Wagners  in  dem 
Statut  nicht  inbegriffen  ist,  da  es  in  England  zur 
Zeit,  als  jenes  erlassen  worden  ist,  noch  nicht  bestanden 
hat.  Viele  Gewerbe  zu  Manchester,  Birmingham  und 
Wolverhampton  sind  dem  Statut  ebenfalls  nicht  unter- 
worfen, weil  sie  vor  dem  fünften  Regierungsjahre 
Elisabeths  in  England  nicht  betrieben  worden  sind. 

In  Frankreich  ist  die  Dauer  der  Lehrjahre  in  ver- 
schiedenen Städten  und  Gewerben  verschieden.  Li 
Paris  sind  bei  vielen  fünf  Jahre  der  vorgeschriebene 
Zeitraum;  ehe  Jemand  jedoch  das  Recht  erhält,  das 
Gewerbe  als  Meister  zu  treiben,  muß  er  in  vielen  Ge- 
werben noch  fünf  Jahre  als  Gehilfe  gearbeitet  haben. 
In  dieser  Zeit  heißt  er  der  Geselle  seines  Meisters,  und 
die  Zeit  selbst  heißt  seine  Gesellenschaft. 

In  Schottland  gibt  es  kein  allgemeines  Gesetz,  das 
die  Dauer  der  Lehrjahre  überhaupt  bestimmte;  die  Zeit 
ist  in  den  einzelnen  Zünften  verschieden.  Wo  sie  lang 
ist,  kann  in  der  Regel  ein  Teil  von  ihr  durch  eine 
kleine  Geldsumme  abgelöst  werden.  Auch  ist  in  den 
meisten  Städten  eine  sehr  mäßige  Summe  hinreichend, 
um  die  Zunftgerechtigkeit  zu  erkaufen.  Die  Weber  von 
leinenen   und  hänfenen  Zeugen  —  das  Hauptgewerbe 


170  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Eitragskraft  der  Arbeit. 

des  Landes  —  sowie  alle  die  für  sie  beschäftigten  Hand- 
werker, wie  die  Verfertiger  der  Spinnräder,  Haspeln 
usw.,  können  ihr  Gewerbe  in  jeder  korporierten  Stadt 
treiben,  ohne  etwas  dafür  zu  zahlen.  In  allen  korpo- 
rierten Städten  steht  es  Jedermann  frei,  an  einem  vom 
Gesetz  bestimmten  Wochentage  Fleisch  zu  verkaufen. 
Drei  Jahre  sind  in  Schottland  die  gewöhnliche  Zeit  der 
Lehrjahre  selbst  in  manchen  recht  schwierigen  Gewer- 
ben ;  und  im  Allgemeinen  kenne  ich  kein  Land  in  Europa, 
in  dem  die  Zunftgesetze  so  wenig  drückend  wären. 

Wie  das  Eigentum,  das  Jeder  an  seiner  Arbeit  hat, 
die  ursprüngliche  Grundlage  alles  anderen  Eigentums 
ist,  so  ist  es  auch  die  heiligste  und  unverletzlichste. 
Das  Erbteil  eines  armen  Mannes  liegt  in  der  Kraft  und 
Geschicklichkeit  seiner  Hände:  ihn  zu  hindern,  diese 
Kraft  und  Geschicklichkeit  so  anzuwenden,  wie  er  es 
passend  findet,  ohne  dadurch  seinen  Nächsten  zu  schä- 
digen, ist  eine  klare  Verletzung  dieses  heiligsten  Eigen- 
tums. Es  ist  ein  offenbarer  Eingriff  in  die  rechtmäßige 
Freiheit  sowohl  des  Arbeiters,  wie  derer,  die  ihn  be- 
schäftigen wollen.  Wie  es  den  Einen  hindert,  das  zu 
arbeiten,  wozu  er  sich  am  geschicktesten  weiß,  so  hin- 
dert es  die  Anderen,  Solche  zu  beschäftigen,  die  ihnen 
geeignet  erscheinen.  Das  Urteil  darüber,  ob  Jemand 
sich  für  die  Arbeit  eignet,  kann  sicherlich  den  Arbeit- 
gebern überlassen  werden,  deren  Interesse  es  so  nahe 
angeht.  Die  erheuchelte  Ängstlichkeit  des  Gesetzgebers, 
sie  könnten  einen  ungeeigneten  Menschen  beschäftigen, 
ist  offenbar  ebenso  ungehörig  wie  lästig. 

Die  Anordnung  einer  langen  Lehrzeit  kann  keine 
Sicherheit  gewähren,  daß  nicht  oft  mangelhafte  Arbeit 
zum  Verkauf  komme.  Wenn  dies  geschieht,  so  ist  ge- 
wöhnlich Betrug  und  nicht  Ungeschicklichkeit  daran 
Schuld ;  gegen  Betrug  aber  kann  auch  die  längste  Lehr- 
zeit keinen  Schutz  bieten.    Zur  Abstellung  dieses  Miß- 


Kap.  X,II.:  Ungleichheiten  infolge  d.  europ. Wirtschaftspolitik.  [  7  [ 

brauchs  sind  ganz  andere  Vorkehrungen  erl'orderlich. 
Die  Marke  auf  Geschirr  von  Gold  und  Silber  und  die 
Stempel  auf  Leinen-  und  Wollenzeug  geben  dem  Käufer 
eine  weit  größere  Sichei'heit,  als  irgend  ein  Lehrlings- 
statut. Auf  jene  sieht  er  in  der  Regel,  aber  niemals 
hält  er  es  der  Mühe  wert,  zu  untersuchen,  ob  der  Ar- 
beiter eine  siebenjährige  Lehrzeit  bestanden  habe. 

Die  Anordnung  einer  langen  Lehrzeit  hat  nicht  den 
Erfolg,  die  jungen  Leute  an  Fleiß  zu  gewöhnen.  Ein 
Geselle,  der  nach  dem  Stück  arbeitet,  wird  wahrschein- 
lich fleißig  sein,  weil  er  von  seinem  Fleiße  Vorteil  hat; 
ein  Lehrling  wird  voraussichtlich  faul  sein,  und  ist  es 
fast  immer,  weil  er  kein  unmittelbares  Interesse  hat 
fleißig  zu  sein.  In  den  niedrigeren  Geschäften  besteht 
der  Reiz  der  Arbeit  durchaus  nur  in  ihrem  Lohn. 
Wer  am  frühesten  in  der  Lage  ist,  die  Früchte  der 
Arbeit  zu  genießen,  wird  auch  am  schnellsten  Geschmack 
daran  finden  und  sich  frühzeitig  an  Fleiß  gewöhnen. 
Ein  junger  Mensch  faßt  natürlich  eine  Art  Abneigung 
gegen  die  Arbeit,  wenn  er  lange  Zeit  keinen  Gewinn 
aus  ihr  zieht.  Die  Knaben,  welche  auf  Kosten  der 
öffentlichen  Armenpflege  in  die  Lehre  gegeben  werden, 
müssen  in  der  Regel  eine  längere  Reihe  von  Jahren, 
als  sonst  üblich,  darin  bleiben,  und  werden  gewöhn- 
lich Faullenzer  und  Taugenichtse. 

Bei  den  Alten  war  das  Lehrlingsvvesen  ganz  unbe- 
kannt. Dagegen  machen  die  gegenseitigen  Pflichten  des 
Meisters  und  Lehrlings  in  jedem  modernen  Gesetzbuch 
einen  starken  Artikel  aus.  Das  römische  Recht  schweigt 
darüber  gänzlich,  und  ich  kenne  kein  griechisches  oder 
lateinisches  Wort,  und  ich  darf  wohl  behaupten,  es 
gibt  keines,  welches  den  Begriff  ausdiückt,  den  wir 
heute  mit  dem  Worte  Lehrling  verbinden,  nämlich 
einen  Dienenden,  der  in  einem  bestimmten  Gewerbe 
eine   Reihe    von   Jahren    hindurch    zum   Vorteil   eines 


172  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Meisters  zu  arbeiten  verpflichtet  ist  unter  der  Bedin- 
gung, daß  der  Meister  ihn  dies  Gewerbe  lehrt. 

Eine  lange  Lehrzeit  ist  durchaus  unnötig.  Künste, 
die  weit  höher  stehen,  als  gewöhnliche  Handwerke,  wie 
z.  B.  die  Uhrmacherkunst,  enthalten  keine  Geheimnisse, 
die  einen  langen  Unterrichtskursus  erforderten.  Die 
erste  Erfindung  so  schöner  Maschinen,  und  auch  die 
Erfindung  einiger  zu  ihrer  Verfertigung  nötigen  Werk- 
zeuge mußte  allerdings  das  Ergebnis  eines  tiefen  Nach- 
denkens und  langer  Zeit  sein,  und  kann  mit  Recht  zu 
den  glücklichsten  Früchten  des  menschlichen  Geistes 
gezählt  werden.  Aber  nachdem  sie  einmal  erfunden 
und  vollkommen  bekannt  sind,  kann  es  kaum  den  Unter- 
richt einiger  Wochen  erfordern,  einen  jungen  Menschen 
mit  der  Handhabung  der  Werkzeuge  und  dem  Bau 
der  Maschinen  vertraut  zu  machen.  Vielleicht  reichen 
schon  ein  paar  Tage  dazu  hin,  und  in  den  gew^öhnlichen 
Handwerken  ist  dies  sicher  der  Fall.  Die  Fertigkeit  der 
Hand  kann  allerdings  selbst  in  gewöhnlichen  Hand- 
werken nicht  ohne  viele  Übung  und  Erfahrung  er- 
worben werden.  Aber  ein  junger  Mensch  würde  viel 
fleißiger  und  aufmerksamer  sein,  wenn  er  von  Anfang 
an  als  Geselle  arbeitete  und  nach  Verhältnis  seiner 
geringen  Leistungen  bezahlt  würde,  seinerseits  aber  die 
Rohstoffe  bezahlte,  die  er  etwa  aus  Ungeschicklickeit  und 
Unerfahrenheit  zuweilen  verdirbt.  Seine  Ausbildung 
würde  auf  diese  Weise  gewöhnlich  erfolgreicher  und  stets 
weniger  langwierig  und  kostspielig  sein.  Der  Meister 
würde  dabei  allerdings  verlieren.  Er  würde  den  Lohn 
des  Lehrlings,  den  er  jetzt  spart,  volle  sieben  Jahre 
hindurch  verlieren.  Am  Ende  wäre  vielleicht  auch  der 
Lehrbursche  selbst  im  Verluste:  denn  er  würde  in  einem 
so  leicht  erlernten  Gewerbe  mehr  Konkurrenten  haben, 
und  sein  Lohn  würde,  sobald  er  ein  ausgelernter  Hand- 
werker geworden,  viel  geringer  sein,  als  jetzt.   Dieselbe 


Kap. X,II.:  ITngleichheiten  infol,s,'e  d.  europ.Wirtscliaftspolitik.  173 

Zunahme  des  Wettbewerbs  würde  ebenso  den  Gewinn 
der  Meister  wie  den  Lohn  der  Arbeiter  vermindern. 
Die  Geschäfte,  die  Gewerbe,  die  Geheimnisse  würden 
alle  dabei  verlieren.  Aber  das  Publikum  würde  dabei 
gewinnen,  da  alle  Handwerkserzeugnisse  viel  wohl- 
feiler zu  Markte  kämen. 

Gerade  um  dieses  Sinken  des  Preises  und  folge  weise 
des  Lohnes  und  Gewinnes  durch  Hemmung  der  freien 
Konkurrenz,  die  zu  einem  solchen  führen  würde,  zu  ver- 
hindern, sind  alle  Zünfte  und  die  meisten  Zunftgesetze 
eingeführt  worden.  Zur  Errichtung  einer  Zunft  bedurfte 
es  in  früheren  Zeiten  an  vielen  Orten  Europas  keiner 
anderen  Genehmigung,  als  der  der  korporierten  Stadt, 
in  welcher  sie  eingeführt  wurde.  In  England  war  zwar 
auch  ein  Privilegium  des  Königs  nötig;  aber  dieses  Vor- 
recht der  Krone  scheint  mehr  den  Zweck  gehabt  zu 
haben,  Geld  von  dem  Untertanen  zu  erpressen,  als  die 
allgemeine  Freiheit  gegen  drückende  Monopole  zu  schüt- 
zen. Wenn  dem  Könige  eine  Geldsumme  gezahlt 
wurde,  scheint  das  Privilegium  in  der  Regel  gern  be- 
willigt worden  zu  sein,  und  wenn  eine  Klasse  von  Ge- 
werbsleuten es  für  angemessen  hielt,  ohne  ein  Privi- 
legium als  Zunft  aufzutreten,  so  wurden  solche  unächte 
Gilden,  wie  man  sie  nannte,  nicht  immer  ihrer  Vor- 
rechte beraubt,  sondern  nur  genötigt,  für  die  Erlaubnis, 
ihre  ursurpierten  Rechte  auszuüben,  jährlich  eine  Geld- 
summe an  den  König  zu  entrichten.  Die  unmittelbare 
Aufsicht  über  alle  Zünfte  und  über  die  Ortsstatuten, 
welche  sie  behufs  ihrer  Verwaltung  zu  erlassen  für  gut 
fanden,  hatte  die  korporierte  Stadt,  in  der  sie  sich  be- 
fanden, zu  führen;  und  die  Disziplin,  in  der  sie  ge- 
halten wurden,  ging  in  der  Regel  nicht  von  der  Re- 
gierung, sondern  von  der  größeren  Körperschaft  aus, 
deren  untergeordnete  Teile  oder  Glieder  sie  waren. 
Die  Regierung  de)-  korporierten  Städte  war  durch- 


174  Ei"stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

aus  in  den  Händen  der  Geschäftsleute  und  Handwerker, 
und  es  lag  offenbar  im  Interesse  jeder  Klasse,  zu  ver- 
hindern, daß  der  Markt,  wie  sie  sich  auszudrücken 
pflegten,  mit  den  Produkten  ihres  besonderen  Gewerbs- 
zvveiges  überführt  wurde,  was  in  Wirklichkeit  nichts 
Anderes  heißt,  als  daß  er  niemals  vollständig  versorgt 
wurde.  Jede  Klasse  war  beeifert,  zu  diesem  Zweck 
geeignete  Verordnungen  zu  erlassen,  und  war,  was  ihr 
eilaubt  wurde,  gern  bereit,  auch  den  andern  Klassen 
zu  gestatten.  Durch  solche  Verordnungen  wurde  freilich 
jede  Klasse  gezwungen,  die  Waren,  die  sie  brauchte, 
von  einei-  anderen  Klasse  in  der  Stadt  etwas  teurer  zu 
kaufen,  als  es  sonst  nötig  gewesen  wäre.  Zum  Ersatz 
konnte  sie  aber  auch  die  ihrigen  um  so  viel  teurer  ver- 
kaufen, so  daß  es,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  so  lang 
wie  breit  war,  und  in  dem  Handel  der  verschiedenen 
Klassen  innerhalb  der  Stadt  keine  durch  jene  Verord- 
nungen Etwas  verlor.  Aus  dem  Verkehr  mit  dem 
Lande  dagegen  zogen  sie  großen  Gewinn,  und  in 
diesem  Verkehr  besteht  das  ganze  Geschäft,  das  jede 
Stadt  aufrecht  erhält  und  bereichert. 

Jede  Stadt  bezieht  ihren  ganzen  Unterhalt  und  alle 
Rohstoffe  für  ihren  Gewerbfleiß  von  dem  Lande.  Sie 
bezahlt  dafür  besonders  auf  zweierlei  Art:  erstens  da- 
durch, daß  sie  einen  Teil  dieser-  Kohstoffe  verarbeitet 
und  nach  dem  Lande  zurückschickt,  in  welchem  Falle 
ihr  Pieis  durch  den  Lohn  der  Arbeiter  und  den  Gewinn 
ihrer  Meister  oder  unmittelbaren  Arbeitgeber  vermehrt 
wird,  und  zweitens  dadurch,  daß  sie  einen  Teil  sowohl 
der  rohen  wie  der  verarbeiteten  Produkte  anderer 
Länder  oder  entfernter  Gegenden  desselben  Landes  in 
die  Stadt  einführt  und  wieder  nach  dem  platten  Lande 
ausführt,  in  welchem  Falle  gleichfalls  der  ursprüngliche 
Preis  dieser  Güter  um  den  Lohn  der  Fuhrleute  oder 
Schiffer,  und  um  den  Gewinn  der  Kaufleute,  die  letztere 


Kap. X, II.:  Ungleichheiten  infolge  fl.  euvop.Wirtsrhaftspolitik.  ]  75 

beschäftigen,  erhöht  wird.  In  den  Gewinnen  aus  dem 
ersteren  dieser  Handelszweige  besteht  der  Vorteil,  den 
die  Stadt  von  ihren  Gewerben  hat,  und  in  den  Ge- 
winnen aus  dem  letzteren  besteht  der  Vorteil  des  in- 
und  ausländischen  Handels.  Der  Lohn  der  Arbeiter  und 
der  Gewinn  der  verschiedenen  Arbeitgeber  ist  Alles, 
was  in  beiden  Fällen  gewonnen  wird.  Daher  dienen 
alle  Verordnungen,  welche  diesen  Lohn  und  diesen 
Gewinn  über  ihren  sonstigen  Stand  zu  erhöhen  be- 
zwecken, nur  dazu,  daß  die  Stadt  mit  weniger  Arbeit 
das  Produkt  einer  größeren  Arbeit  des  platten  Landes 
kaufen  kann.  Sie  geben  den  Geschäftsleuten  und  Hand- 
werkern der  Stadt  ein  Übergewicht  über  die  Gutsbe- 
sitzer, Pächter  und  Arbeiter  des  platten  Landes,  und 
heben  die  natürliche  Gleichheit  auf,  welche  sonst  in 
dem  zwischen  ihnen  stattfindenden  Verkehr  Platz 
greifen  würde.  Das  ganze  Jahresprodukt  der  Arbeit 
der  Gesellschaft  verteilt  sich  jährlich  unter  diese  beiden 
Klassen  der  Bevölkerung,  und  durch  jene  Verordnungen 
erhalten  die  Städter  einen  größeren  und  die  Land- 
bewohner einen  kleineren  Anteil,  als  er  ihnen  sonst 
zufallen  würde. 

Der  Preis,  den  die  Stadt  für  die  Jahr  für  Jahr 
eingeführten  Lebensmittel  und  Rohstoffe  wirklich  be- 
zahlt, besteht  in  der  Menge  der  Industriccrzeugnisse 
und  anderen  Waren,  die  jährlich  von  ihr  ausgeführt 
wird.  Je  teurer  die  letzteren  verkauft  werden,  desto 
wohlfeiler  werden  die  ersteren  gekauft,  und  der  städti- 
sche Gewerbfleiß  wird  desto  gewinnbringender,  je 
weniger  es  der  ländliche  ist. 

Daß  der  städtische  Gewerbfleiß  in  ganz  Europa 
einträglicher  ist,  als  der  ländliche,  davon  kann  man 
sich,  ohne  auf  sehr  genaue  Berechnungen  einzugehen, 
leicht  durch  eine  einfache,  in  die  Augen  fallende  Be- 
obachtung überzeugen.  In  jedem  Lande  P^uropas  findet 
man  wenigstens  hundert  Leute,  die  in  Handel  und  Ge- 


176   Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

werbe,  den  eigentlich  städtischen  Beschäftigungen,  klein 
angefangen  haben  und  dabei  reich  geworden  sind,  gegen 
einen,  der  durch  Landwirtschaft,  d.  h.  Vermehrung  der 
Rohprodukte  durch  Verbesserung  und  Kultur  des 
Bodens  dazu  gelangte.  Es  muß  also  in  dem  einen  Falle 
offenbar  der  Fleiß  besser  belohnt  und  der  Arbeitslohn 
und  Kapitalgewinn  größer  sein,  als  in  dem  anderen. 
Da  aber  Kapital  und  Arbeit  naturgemäß  die  einträg- 
lichste Beschäftigung  suchen,  so  ziehen  sie  sich  so  viel 
als  möglich  nach  der  Stadt,   und  verlassen  das  Land. 

Die  Städter  können  vermöge  ihres  nahen  Bei- 
sammen wohnens  sich  leicht  mit  einander  vereinbaren. 
Selbst  die  unbedeutendsten  Gewerbe  sind  daher  hier 
oder  dort  zu  Zünften  zusammengetreten,  und  wo  sie 
keine  Zunft  bildeten,  war  doch  der  Zunftgeist,  die  Eifer- 
sucht gegen  Fremde,  die  Abneigung,  Lehrlinge  anzu- 
nehmen, oder  ihr  Gewerbsgeheimnis  mitzuteilen,  im 
Allgemeinen  unter  ihnen  stark,  und  lehrte  sie  oft, 
durch  freiwillige  Verbindungen  und  Übereinkünfte  den 
freien  Wettbewerb,  den  sie  nicht  durch  Verordnungen 
verbieten  konnten,  zu  hemmen.  Gewerbe,  die  nur 
wenige  Hände  beschäftigeu,  treffen  solche  Verab- 
redungen am  leichtesten.  Ein  halbes  Dutzend  Woll- 
kämmer reicht  wohl  hin,  um  tausend  Spinnern  und 
Webern  das  Material  zu  liefern.  Wenn  sie  überein- 
kommen, keine  Lehrlinge  zu  nehmen,  so  können  sie 
nicht  nur  das  ganze  Geschäft  an  sich  reißen,  sondern 
auch  die  gesamte  Manufaktur  in  eine  Art  von  sklavi- 
scher Abhängigkeit  bringen,  und  den  Preis  ihrer  Ar- 
beit weit  höher  treiben,  als  er  ihrer  Natur  nach  wäre. 

Die  Bewohner  des  platten  Landes  können  in  ihrer 
Zerstreuung  über  verschiedene  Orte  nicht  leicht  dei-artige 
Vereinigungen  zu  Stande  bringen.  Sie  haben  nicht  nur 
niemals  eine  Zunft  gebildet,  sondern  der  Zunftgeist  ist 
auch  niemals  unter  ihnen  henschend  geworden.  Nie  hat 
man  Lehrjalno  zur  Erlernung  der  Landwirtscliaft,  des 


Kap.  X, IL:  Ungleichheiten  in  folge  d.europ. Wirtschaftspolitik.  177 

großen  ländlichen  Gewerbes,  für  nötig  gehalten.  Und 
doch  gibt  es  nächst  den  schönen  Künsten  und  freien 
Berufsarten  vielleicht  kein  Gewerbe,  das  eine  solche 
Mannigfaltigkeit  von  Kenntnissen  und  Erfahrungen 
voraussetzt.  Die  zahllosen  Bücher,  die  darüber  in  allen 
Sprachen  geschrieben  worden  sind,  können  uns  den  Be- 
weis liefern,  daß  die  Landwirtschaft  unter  den  weisesten 
und  unterrichtetsten  Nationen  niemals  für  eine  ganz 
leicht  zu  begreifende  Sache  gehalten  worden  ist.  Und  in 
allen  diesen  Büchern  würde  man  vergebens  jene  Kenntnis 
der  mancherlei  zusammengesetzten  Handgriffe  suchen, 
die  jeder  gewöhnliche  Landmann  zu  besitzen  pflegt,  so 
affektiert  hochmütig  auch  die  verächtlichen  Verfasser 
einiger  dieser  Bücher  von  ihnen  sprechen.  Dagegen  gibt 
es  kaum  irgend  ein  gewöhnliches  Handwerk,  dessen  Fer- 
tigkeiten sich  nicht  in  einem  Büchlein  von  wenigen  Seiten 
so  vollständig  und  deutlich  darstellen  ließen,  als  es  durch 
Wort  und  Zeichnung  überhaupt  möglich  ist.  In  der 
Geschichte  der  Gewerbe  (Histoire  des  Arts  et  Metiers), 
welche  jetzt  von  der  französischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften herausgegeben  ward,  sind  einige  von  ihnen  auf 
diese  Art  beschrieben  worden.  Überdies  erfordert  die 
Leitung  derjenigen  Tätigkeiten,  die  sich  nach  jedem 
Wetterwechsel  und  an  deren  Zufällen  richten  müssen,  viel 
mehr  Urteil  und  Vorsichtigkeit,  als  bei  immer  ganz  oder 
beinahe  gleichbleibenden  Handlungen  erforderlich  ist. 
Aber  nicht  nur  die  Kunst  des  Landwirts:  die  all- 
gemeine Leitung  der  landwirtschaftlichen  Operationen, 
sondern  auch  viele  untergeordnete  Zweige  der  länd- 
lichen Arbeit  erfordern  viel  mehr  Geschicklichkeit  und 
Erfahrung,  als  die  meisten  Handwerke.  Der  Mann,  der 
Messing  und  Eisen  bearbeitet,  arbeitet  mit  Werkzeugen 
und  Rohstoffen,  deren  Beschaffenheit  sich  immer  völlig 
oder  beinahe  gleichbleibt.  Der  Mann  dagegen,  der  den 
Boden  mit  einem  Gespann  Pferden  oder  Ochsen  pflügt, 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  1.  l«^ 


178  Erstes  Buch:  Zunahme  in  dei-  Ertra,s,skraft  der  Arbeit. 

arbeitet  mit  Werkzeugen,  deren  Gesundheit,  Kraft  und 
Temperament  in  verschiedenen  Fällen  sehr  verschieden 
sind.  Die  Beschaffenheit  der  Stoffe,  die  er  bearbeitet, 
ist  eben  so  verschieden,  wie  es  seine  Werkzeuge  sind, 
und  beide  müssen  mit  vielem  Urteil  und  großer  Vor- 
sicht behandelt  werden.  Der  gewöhnliche  Bauer,  der  in 
der  Regel  als  ein  Muster  von  Einfalt  und  Dummheit 
angesehen  wird,  ermangelt  dieses  Urteils  und  dieser 
Vorsicht  nur  selten.  Allerdings  ist  er  weniger  an  ge- 
selligen Umgang  gewöhnt,  als  der  in  der  Stadt  lebende 
Handwerker:  seine  Stimme  und  Sprache  ist  rauher 
und  für  den,  der  nicht  daran  gewöhnt  ist,  schwerer  zu 
verstehen;  aber  sein  Verstand,  der  sich  täglich  mit 
einer  größeren  Mannigfaltigkeit  von  Gregenständen  be- 
schäftigen mul3,  ist  in  der  Regel  dem  der  Anderen, 
deren  ganze  Aufmerksamkeit  vom  Morgen  bis  zum 
Abend  an  eine  oder  zwei  höchst  einfache  Verrich- 
tungen gefesselt  ist,  weit  überlegen.  Wie  sehr  in  der 
Tat  die  niederen  Volksklassen  auf  dem  Lande  denen 
in  der  Stadt  überlegen  sind,  weiß  Jeder,  der  durch 
Geschäfte  oder  Neugierde  veranlaßt  war,  viel  mit 
beiden  zu  verkehren.  Darum  sollen  auch  in  China  und 
Hindostan  der  Rang  und  die  Löhne  der  Landleute 
höher  sein,  als  die  der  meisten  Handwerker.  Ver- 
hinderten dies  nicht  die  Zunftgesetze  und  der  Zunft- 
geist, so  wäre  es  wahrscheinlich  aller  Orten  so. 

Die  Überlegenheit,  welche  der  städtische  Gewerb- 
fleiß in  ganz  Europa  über  den  ländlichen  behauptet, 
hat  freilich  ihren  Grund  nicht  ausschließlich  in  den 
Zünften  und  Zunftgesetzen;  sie  wird  auch  durch  an- 
dere Maßregeln  aufrecht  erhalten.  Die  hohen  Steuern 
auf  fremde  Industrieerzeugnisse  und  alle  von  aus- 
wärtigen Kaufleuten  eingeführten  Waren  haben  den- 
selben Zweck.  Die  Zunftgesetze  ermöglichen  es  den 
Städtern,  ihre  Preise  zu  erhöhen,  ohne  befürchten  zu 
müssen,    durch    die    freie    Konkurrenz    ihrer    eignen 


Kap. X, II.:  Ungleichheiten  infolge  d.  europ. Wirtschaftspolitik.  179 

Landsleutebedrängt  ZU  weiden;  jene  andern  Maßregeln 
sichern  sie  gleicher  Weise  gegen  die  Konkurrenz  der 
Fremden.  Diese  doppelte  Preiserhöhung  muß  am  Ende 
von  den  Gutsbesitzern,  Pächtern  und  Bauern  bezahlt 
werden,  die  sich  selten  der  Errichtung  solcher  Mono- 
pole widersetzt  haben.  Sie  haben  gewöhnlich  weder 
Neigung  noch  Geschick,  Vereinigungen  zu  bilden 
und  lassen  sich  leicht  durch  das  Geschrei  und  die 
Sophisterei  der  Kaufleute  und  Gewerbetreibenden  über- 
reden, daß  das  Privatinteresse  eines  Teils,  und  noch 
dazu  eines  untergeordneten  Teils  der  Gesellschaft,  das 
allgemeine  Interesse  des  Ganzen  sei. 

In  Großbritannien  scheint  die  Überlegenheit  des 
städtischen  Gewerbfleißes  über  den  ländlichen  früher  viel 
größer  gewesen  zu  sein,  als  jetzt.  Der  Lohn  der  länd- 
lichen Arbeit  kommt  jetzt  dem  der  gewerblichen,  und 
der  Gewinn  der  auf  den  Landbau  verwendeten  Kapitalien 
dem  in  Gew^erben  angelegten  näher,  als  es  im  vorigen 
Jahrhundert,  oder  im  Anfang  des  gegenwärtigen  der  Fall 
gewesen  sein  soll.  Dieser  Umschwung  kann  als  die  not- 
wendige, wenn  auch  sehr  späte  Folge  des  außerordent- 
lichen Sporns  angesehen  werden,  den  man  der  städti- 
schen Industrie  zu  Teil  werden  ließ.  Das  in  den 
Städten  aufgehäufte  Kapital  wird  mit  der  Zeit  so  groß, 
daß  es  sich  nicht  länger  mit  dem  alten  Gewinn  in  den 
eigentlich  städtischen  Industriezweigen  anlegen  läßt. 
Der  städtische  Gewerbfleiß  hat  wie  alles  andere  seine 
Grenzen,  und  das  Anwachsen  der  Kapitalien  steigert 
den  Mitbewerb  und  ermäßigt  dadurch  notwendig  den 
Gewinn.  Das  Sinken  des  Gewinnes  in  der  Stadt  treibt 
das  Kapital  aufs  Land  hinaus,  wo  es  eine  neue  Nach- 
frage nach  ländlicher  Arbeit  hervorruft  und  dadurch 
notwendig  ihren  Lohn  erhöht.  Dann  verstreut  es  sich 
so  zu  sagen  über  das  flache  Land  und  wird  durch  seine 
Anlegung  im  Ackerbau  dem  Lande,  auf  dessen  Kosten 

12* 


180  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

es  sich  ursprünglich  in  der  Stadt  bedeutend  angesammelt 
hatte,  zum  Teil  wieder  erstattet.  Daß  überall  in  Europa 
die  größten  Verbesserungen  des  Landes  solchen  Er- 
gießungen des  ursprünglich  in  den  Städten  aufgehäuf- 
ten Kapitals  beizumessen  sind,  werde  ich  später  zeigen, 
und  ich  werde  dann  auch  dartun,  daß,  obschon  einige 
Länder  auf  diesem  Wege  einen  hohen  Grad  von  Reich- 
tum erlangt  haben,  dieser  Weg  selbst  doch  notwendig 
langsam,  ungewiß,  unzähligen  störenden  und  unter- 
brechenden Zufällen  ausgesetzt  und  der  natürlichen  und 
vernünftigen  Ordnung  in  jeder  Beziehung  entgegenge- 
setzt ist.  Die  Interessen,  Vorurteile,  Gesetze  und  Ge- 
wohnheiten, die  dazu  Veranlassung  geben,  werde  ich  im 
dritten  und  vierten  Buche  dieser  Untersuchung,  so  voll- 
ständig und  klar  ich  es  vermag,  auseinandersetzen. 

Leute  desselben  Gewerbes  kommen,  selbst  auch 
nur  zur  Erholung  und  zum  Vergnügen  selten  zu- 
sammen, ohne  daß  ihre  Unterhaltung  mit  einer  Ver- 
schwörung gegen  das  Publikum  oder  einem  Plane  zur 
Erhöhung  der  Preise  endigt.  Es  ist  allerdings  nicht 
möglich,  solchen  Zusammenkünften  durch  ein  Gesetz 
vorzubeugen,  das  ausführbar  oder  mit  Freiheit  und  Ge- 
rechtigkeit verträglich  wäre.  Wenn  aber  das  Gesetz 
Leute  desselben  Gewerbes  nicht  hindern  kann,  zu- 
weilen zusammenzukommen,  so  sollte  es  wenigstens 
Nichts  tun,  diese  Zusammenkünfte  zu  erleichtern,  ge- 
schweige denn,  sie  zu  fordern. 

Eine  Verordnung,  welche  alle  Angehörigen  des- 
selben Gewerbes  in  einer  Stadt  verpflichtet,  ihre 
Namen  und  Wohnungen  in  ein  öffentliches  Register- 
eintragen  zu  lassen,  erleichtert  jene  Zusammenkünfte. 
Sie  bringt  Individuen  in  Berührung  mit  einander,  die 
ohne  dies  vielleicht  niemals  mit  einander  bekannt  ge- 
worden wären,  und  gibt  jedem  die  Richtung  an,  wo 
er  seinesgleichen  finden  kann. 


Kap.  X,II.:  Ungleichheiten  infolge  d.  eiirop. Wirtschaftspolitik.  J g  J^ 

Eine  Verordnung,  die  die  Angehörigen  eines  Ge- 
werbes ermächtigt,  sich  selbst  Steuern  aufzulegen,  um 
für  ihre  Armen,  Kranken,  "Witwen  und  Waisen  zu 
sorgen,  zeitigt  ein  gemeinsames  Interesse  an  der  Ver- 
waltung und  macht  dadurch  jene  Zusammenkünfte 
erforderlich. 

Eine  Zunft  aber  macht  sie  nicht  allein  notwendig, 
sondern  gibt  auch  den  Beschlüssen  der  Mehrheit  eine 
bindende  Kraft  für  das  Ganze.  In  einem  freien  Gewerbe 
kann  eine  wirksame  Verbindung  nur  durch  die  einmütige 
Zustimmung  aller  einzelnen  Gewerbtreibenden  zustande 
kommen,  und  kann  nicht  länger  dauern,  als  Alle  eines 
Sinnes  bleiben.  Die  Mehrheit  einer  Zunft  aber  kann 
Statuten  mit  Strafandrohungen  begleiten,  wodurch  die 
Konkurrenz  wirksamer  und  dauernder  eingeschränkt 
wird,  als  durch  irgend  eine  freiwillige  Verbindung. 

Das  Vorgeben,  daß  Zünfte  zur  besseren  Leitung 
des  Gewerbes  notwendig  seien,  entbehrt  aller  Begrün- 
dung. "Die  wahre  und  wirksame  Aufsicht,  die  über  einen 
Arbeiter  geführt  wird,  geht  nicht  von  seiner  Zunft,  son- 
dern von  seinen  Kunden  aus.  Die  Furcht,  seine  Arbeit 
zu  verlieren,  hält  ihn  vom  Betrüge  ab,  und  zügelt 
seine  Nachlässigkeit.  Ein  Zunftmonopol  schwächt  not- 
wendig die  Kraft  dieser  Aufsicht.  Eine  bestimmte  Klasse 
von  Arbeitern  muß  dann  beschäftigt  werden,  mögen 
sie  ihre  Sache  gut  oder  schlecht  machen.  Dies  ist  der 
Grund,  warum  in  mancher  großen  korporierten  Stadt 
selbst  in  den  notwendigsten  Gewerbszweigen  keine  er- 
träglichen Arbeiter  aufzutreiben  sind.  AVill  man  eine 
Arbeit  ordentlich  ausgeführt  sehen,  so  muß  man  sie 
in  den  Vorstädten  machen  lassen,  wo  die  Arbeiter  kein 
ausschliessliches  Privilegium  haben,  sondern  nur  auf 
ihren  Ruf  angewiesen  sind,  und  man  muß  sie  dann, 
so  gut  es  geht,  in  die  Stadt  einschmuggeln. 

Auf  diese  Weise  führt  die  europäische  Wirtschafts- 
politik durch  die  Einschränkung  der  Konkurrenz  auf 


182  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

eine  geringere  Zahl  von  Mitwerbern,  als  sich  sonst  ein- 
zustellen geneigt  finden  würde,  zu  einer  sehr  bedeu- 
tenden Ungleichheit  in  der  Gesamtheit  der  Vorteile 
und  Nachteile  bei  den  verschiedenen  Arbeits-  und 
Kapitalsanlagen. 

Zweitens,  die  europäische  Wirtschaftspolitik  bringt 
durch  Steigerung  der  Konkurrenz  in  einigen  Ge- 
schäften über  ihr  natürliches  Maß,  eine  andere  gerade 
entgegengesetzte  Ungleichheit  in  der  Gesamtheit  der 
Vorteile  und  Nachteile  bei  den  verschiedenen  Arbeits- 
und Kapitalsanlagen  hervor. 

Man  hat  es  für  so  wichtig  gehalten,  eine  gehörige 
Zahl  junger  Leute  für  bestimmte  Berufsarten  auszu- 
bilden, daß  bald  die  Behörden,  bald  der  fromme  Sinn 
mildtätiger  Privatleute  eine  Menge  von  Stipendien,  Kost- 
geldern, Stiftungen  usw.  zu  diesem  Zwecke  gegründet 
hat,  die  viel  mehr  junge  Leute  zu  diesen  Berufsarten 
heranbilden,  als  sich  sonst  dazu  drängen  würden.  In 
allen  christlichen  Ländern,  glaube  ich,  wird  die  Aus- 
bildung der  meisten  Geistlichen  auf  diese  Weise  be- 
stritten. Nur  sehr  wenige  werden  ganz  auf  ihre  eigenen 
Kosten  gebildet.  Letzteren  verschafft  daher  ihre  lange, 
mühselige  und  kostspielige  Erziehung  nicht  immer  eine 
angemessene  Belohnung,  da  der  geistliche  Stand  mit 
Leuten  überfüllt  ist,  die,  um  nur  eine  Anstellung  zu 
bekommen,  gern  ein  viel  geringeres  Gehalt  annehmen, 
als  eine  derartige  Ausbildung  sonst  fordern  könnte;  und 
die  Konkurrenz  der  Armen  nimmt  auf  diese  Weise  den 
Reichen  ihren  Lohn  weg.  Es  wäre  ungehörig,  einen 
Pfarr'verweser  oder  Kaplan  mit  dem  Gesellen  in  einem 
geraeinen  Handwerk  zu  vergleichen.  Ein  wesentlicher 
Unterschied  in  der  Bezahlung  eines  Pfanverwesers  oder 
Kaplans  und  dem  Lohne  eines  Gesellen  besteht  jedoch 
nicht.  Sie  werden  alle  drei  für  ihre  Arbeit  nach  Maßgabe 
des  Vertrages  bezahlt,  den  sie  mit  ihren  Vorgesetzten 
gemacht  haben.  Bis  nach  der  Mitte  des  vierzehnten  Jahr- 


Kap.  X,n.:  Ungleichheiten  infolge  d.  eiirop. Wirtschaftspolitik.  183 

hunderts  waren  in  England  fünf  Mark,  die  ungefähr  so 
viel  Silber  enthielten,  als  zehn  Pfund  unseres  jetzigen 
Geldes,  das  übliche  Gehalt  eines  Pfarrverwesers  oder 
eines  besoldeten  Gemeindepfarrers,  wie  es  in  den  De- 
kreten verschiedener  Landeskonzilien  festgesetzt  ist.  Zu 
dieser  Zeit  wurden  fünf  Pence,  die  so  viel  Silber  ent- 
hielten, als  unser  jetziger  Schilling,  als  Tagelohn  eines 
Maurermeisters,  und  drei  Pence,  d.  h.  neun  Pence  unseres 
jetzigen  Geldes,  als  der  eines  Maurergesellen  erklärt*). 
Der  Lohn  dieser  beiden  Handwerker  wird  also,  unter 
der  Voraussetzung,  daß  Letztere  den  dritten  Teil  des 
Jahres  keine  Beschäftigung  haben,  einem  Pfarrverweser- 
gehalt vollständig  gleich  gekommen  sein.  Durch  ein 
Statut  aus  dem  zwölften  Regierungsjahre  der  Königin 
Anna,  Kapitel  12,  wird  verordnet:  „daß  da  aus  Mangel 
an  genügendem  Unterhalt  und  hinlänglicher  Aufmunte- 
rung für  die  Pfarrverweser  an  manchen  Orten  die 
Pfarren  nicht  besetzt  sind,  der  Bischof  ermächtigt  ist, 
durch  ein  mit  seiner  Unterschrift  und  seinem  Siegel 
versehenes  Dokument  ein  hinreichendes  festes  Gehalt 
anzuweisen,  das  nicht  mehr  als  fünfzig  und  nicht 
weniger  als  zwanzig  Pfund  des  Jahres  betragen  darf." 
Vierzig  Pfund  werden  gegenwärtig  für  ein  sehr  gutes 
Pfarrverwesergehalt  angesehen,  und  es  gibt  trotz  jener 
Parlamentsakte  noch  manche  Pfarrverweserstellen  unter 
zwanzig  Pfund  Jahrgehalt.  Schuhmachergesellen  in 
London  verdienen  jährlich  bis  zu  vierzig  Pfund,  und 
es  wird  sich  schwerlich  ein  Handwerker  irgend  einer 
Art  in  dieser  Hauptstadt  finden,  der  nicht  mehr  als 
zwanzig  verdiente.  Die  letztere  Summe  übersteigt  in 
der  Tat  nicht  den  Verdienst  gewöhnlicher  Arbeiter 
in  manchen  Landgemeinden.  So  oft  das  Gesetz  ver- 
sucht, den  Lohn  der  Arbeiter  zu  regeln,  hat  es  ihn 
stets  eher  erniedrigt,  als  erhöht.   Dagegen  hat  das  Ge- 

*)  S.  das  Arbeitergesetz  aus  dem  i'üni'undzwanzigston  Ke- 
gierungsjahi'e  Eduards  III. 


X84  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

setz  bei  vielen  Gelegenheiten  das  Grehalt  der  Pfarrver- 
weser zu  erhöhen  und  um  der  Würde  der  Kirche  willen 
die  Rektoren  der  Kirchspiele  zu  verpflichten  gesucht, 
ihnen  mehr  als  den  elenden  Unterhalt  zu  geben,  den 
sie  anzunehmen  bereit  waren.  In  beiden  Fällen  aber 
scheint  das  Gesetz  gleich  unwirksam  geblieben  zu  sein, 
und  hat  nie  weder  das  Gehalt  der  Pfarrverweser  auf 
das  beabsichtigte  Maß  zu  erhöhen,  noch  den  Lohn 
der  Arbeiter  so  weit  herunter  zu  drücken  vermocht, 
weil  es  jene  nicht  hindern  konnte,  sich  bei  der  Dürf- 
tigkeit ihrer  Lage  und  der  Menge  ihrer  Mitbewerber  mit 
einem  geringeren,  als  dem  gesetzlichen  Jahrgehalt  zu 
begnügen,  und  weil  es  andrerseits  diese  nicht  hindern 
konnte,  mehr  als  den  gesetzlichen  Lohn  zu  nehmen, 
da  ihnen  der  Wettbewerb  derer,  die  sich  von  ihrer 
Arbeit  Gewinn  versprachen,  gern  mehr  bewilligte. 

Die  großen  Pfründen  und  sonstigen  geistlichen 
Ehrenstellen  halten  die  Ehre  der  Kirche  trotz  der 
ärmlichen  Umstände  einiger  ihrer  niederen  Glieder 
aufrecht.  Auch  bietet  die  dem  Stande  gezollte  Achtung 
letzteren  für  die  Ärmlichkeit  ihrer  Geldbelohnung 
einigen  Ersatz.  In  England  und  in  allen  römisch- 
katholischen Ländern  ist  das  Los  der  Kirche  in  der 
Tat  weit  günstiger,  als  es  nötig  wäre.  Das  Beispiel 
der  schottischen,  genfer  und  einiger  anderen  pro- 
testantischen Kirchen  kann  uns  überzeugen,  daß  in 
einem  geachteten  Berufe,  in  welchem  die  Ausbildung 
so  wohlfeil  erworben  wird,  schon  die  Hoffnung  auf 
weit  geringere  Pfründen  dem  geistlichen  Stande  eine 
hinlängliche  Zahl  von  gelehrten,  anständigen  und 
achtbaren  Leuten  zuführen   wird. 

Wenn  für  Berufsarten,  in  denen  es  keine  Pfründen 
gibt,  z.  B.  die  Jurisprudenz  und  Medizin,  eine  gleiche 
Zahl  Leute  auf  öffentliche  Kosten  ausgebildet  würde, 
so  würde  die  Konkurrenz  bald  so  groß  werden,  daß 
der  Geldlohn  sich  bedeutend  niedriger  stellen  müßte. 


Kap. X, IL:  Ungleichheiten  infolge  d.  eiirop. Wirtschaftspolitik.  185 

Es  würde  dann  nicht  der  Mühe  lohnen,  seinen  Sohn 
auf  eigene  Kosten  zu  einem  solchen  Stande  erziehen 
zn  lassen,  der  vielmehr  gänzlich  denen  überlassen 
würde,  die  ihre  Erziehung  öffentlichen  Stiftungen  ver- 
dankten und  wegen  ihrer  Menge  und  Dürftigkeit  sich 
im  Allgemeinen  mit  recht  elendem  Lohn  begnügen 
müßten,  zum  Schaden  der  jetzt  so  achtbaren  Stände 
des  Rechtsgelehrten  und  Arztes. 

Die  wenig  glückliche  Klasse  von  Leuten,  die  man 
gewöhnlich  Literaten  nennt,  befindet  sich  ziemlich  ge- 
nau in  der  Lage,  in  welcher  Rechtsgelehrte  und  Arzte 
sich  wahrscheinlich  unter  der  obigen  Voraussetzung 
befinden  würden.  In  allen  europäischen  Ländern  sind 
die  meisten  von  ihnen  für  den  Kirchendienst  erzogen 
worden,  aber  durch  verschiedene  Gründe  verhindert, 
in  den  geistlichen  Stand  zu  treten.  Sie  haben  also 
ihre  Bildung  in  der  Regel  auf  öffentliche  Kosten  er- 
halten, und  ihre  Menge  ist  überall  so  groß,  daß  dadurch 
der  Preis  ihrer  Arbeit  auf  eine  höchst  klägliche  Be- 
lohnung zusammenzuschrumpfen  pflegt. 

Vor  der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  bestand 
die  einzige  Arbeit,  durch  die  ein  Literat  mit  seinem 
Talente  etwas  erwerben  konnte,  darin,  daß  er  öffent- 
licher oder  Privatlehrer  wurde,  d.  h.  anderen  Leuten  die 
wissenswerten  und  nützlichen  Kenntnisse  mitteilte,  die 
er  sich  erworben  hatte.  Und  dies  ist  sicherlich  noch 
ein  ehrenwerteres,  nützlicheres  und  in  der  Regel  auch 
einträglicheres  Geschäft,  als  die  Schriftstellerei  für  einen 
Buchhändler,  wozu  die  Buchdruckerkunst  Veranlassung 
gegeben  hat.  Es  sind  wenigstens  eben  so  viel  Zeit, 
Studium,  Geist,  Kenntnisse  und  Fleiß  dazu  erforderlich, 
ein  ausgezeichneter  Lehrer  der  Wissenschaften,  als  ein 
hervorragender  Arzt  oder  Rechtsgelehrter  zu  werden. 
Doch  steht  der  übliche  Lohn  eines  tüchtigen  Lehrers 
in  keinem  Verhältnis  zu  dem  eines  RechtsiJ:elehrten  oder 


186  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Arztes,  weil  das  Geschäft  des  einen  mit  dürftigen  Leuten, 
die  auf  öffentliche  Kosten  ausgebildet  wurden,  überfüllt 
ist,  während  in  die  beiden  anderen  Geschäfte  sich  nur 
Wenige  eindrängen,  die  nicht  auf  eigene  Kosten  stu- 
diert haben.  So  gering  aber  auch  der  übliche  Lohn 
öffentlicher  und  Privatlehrer  erscheint,  so  würde  er 
doch  ohne  Zweifel  noch  geringer  sein,  wenn  nicht  die 
Konkurrenz  der  noch  dürftigeren  Gelehrten  abginge, 
die  fürs  Brot  schreiben.  Vor  der  Erfindung  der  Buch- 
druckerkunst scheinen  Schüler  und  Bettler  so  ziemlich 
gleichbedeutende  Ausdrücke  gewesen  zu  sein.  Die 
Kektoren  der  Universitäten  stellten  vor  dieser  Zeit 
ihren  Studenten  oft  Erlaubnisscheine  zum  Betteln  aus. 
Im  Altertum,  wo  keine  Stiftungen  der  erwähnten 
Art  dürftige  Leute  zu  gelehrten  Berufsarten  ausbilden 
ließen,  war  anscheinend  die  Bezahlung  tüchtiger  Lehrer 
viel  beträchtlicher.  Isokrates  wirft  in  seiner  sogenann- 
ten Rede  gegen  die  Sophisten  den  Lehrern  seiner  Zeit 
einen  Widerspruch  vor.  „Sie  machen,  sagt  er,  ihren 
Schülern  die  glänzendsten  Versprechungen  und  wollen 
sie  lehren,  weise,  glücklich  und  gerecht  zu  sein,  ver- 
langen aber  für  einen  so  wichtigen  Dienst  nur  einen 
lumpigen  Lohn  von  vier  oder  fünf  Minen.  Wer  Weis- 
heit lehrt  —  fährt  er  fort  —  sollte  doch  selbst  weise 
sein;  wenn  aber  einer  einen  solchen  Handel  für  solch 
einen  Preis  abschließt,  so  beweist  er  augenscheinlichste 
Torheit".  An  dieser  Stelle  wird  er  gewiß  den  Lohn 
nicht  größer  gemacht  haben,  als  er  wirklich  war.  Vier 
Minen  sind  aber  so  viel,  wie  dreizehn  Pfund,  sechs 
Schilling  und  acht  Pence;  fünf  Minen  sind  sechzehn 
Pfund,  dreizehn  Schilling  und  vier  Pence.  Es  wurde 
also  damals  den  hervorragendsten  Lehrern  in  Athen  eine 
Summe  gezahlt,  die  wenig  hinter  dem  größeren  Betrage 
zurückgeblieben  sein  wird.  Isokrates  selbst  verlangte 
zehn  Minen,  oder  dreiunddreißig  Pfund,  sechs  Schilling 


Kap.  X,II.:  Ungleichheiten  infolge  d.europ.Wirtschaftspolitik.  187 

und  acht  Pence  von  jedem  seiner  Schüler.  Bei  seinen 
Vorträgen  in  Athen  soll  er  hundert  Zuhörer  gehabt 
haben.  Ich  verstehe  dies  von  der  Anzahl,  denen  er 
gleichzeitig  Vorträge  hielt,  oder  die,  wie  wir  das  nennen, 
einen  Kursus  bei  ihm  hörten,  und  diese  Anzahl  wird  in 
einer  so  großen  Stadt  bei  einem  so  berühmten  Lehrer, 
der  noch  dazu  eine  Wissenschaft,  die  Rhetorik,  vortrug, 
die  damals  eine  Modewissenschaft  war,  durchaus  nicht 
ungewöhnlich  groß  erscheinen.  Er  muß  mithin  in 
jedem  Kursus  tausend  Minen  oder  £  3333,  6  sh.  8  d. 
eingenommen  haben.  Auch  von  Plutarch  wird  an  einer 
Stelle  angegeben,  daß  tausend  Minen  sein  Didaktron 
oder  gewöhnliches  Honorar  gewesen  sei.  Viele  andere 
berühmte  Lehrer  jener  Zeit  scheinen  ein  großes  Ver- 
mögen erworben  zu  haben.  Gorgias  schenkte  dem  Tem- 
pel von  Delphi  seine  eigene  Statue  aus  gediegenem  Golde. 
Wir  brauchen  allerdings  nicht  anzunehmen,  daß  sie  le- 
bensgroß gewesen  sei.  Der  Fuß,  auf  dem  er,  sowie 
Hippias  und  Protagoras,  zwei  andere  ausgezeichnete 
Lehrer  jener  Zeit,  lebten,  war  nach  Plato  glänzend  bis 
zur  Prahlerei.  Plato  selbst  soll  großen  Aufwand  ge- 
macht haben.  Nachdem  Aristoteles  Erzieher  des  Alex- 
ander gewesen  und  sowohl  von  diesem,  als  von  seinem 
Vater  Philipp,  wie  alle  Zeugnisse  bekunden,  aufs  Glän- 
zendste belohnt  worden  war,  hielt  er  es  doch  noch  der 
Mühe  für  weit,  nach  Athen  zurückzukehren,  um  seine 
Vorträge  wieder  aufzunehmen.  Lehrer  der  Wissen- 
schaftenwaren zu  jener  Zeit  anscheinend  weniger  häufig, 
als  ein  oder  zwei  Menschenalter  später,  wo  der  Wett- 
bewerb wahrscheinlich  sowohl  den  Preis  ihrer  Arbeit 
als  auch  die  Bewunderung  für  ihre  Por'son  etwas  oi'- 
mäßigt  hatte.  Doch  scheinen  die  heivorj-agendsten  unter 
ihnen  noch  immer  einen  Grad  von  Achtung  genossen 
zu  haben,  wie  ihn  heutigen  Tages  kein  Mann  gleichen 
Standes  irgendwo  erreicht.     Die  Athener  betrauten  den 


188  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Akademiker  Karneades  und  den  Stoiker  Diogenes  mit 
einer  feierlichen  Gesandtschaft  nach  Rom,  und  wenn  ihre 
Stadt  damals  auch  schon  von  ihrer  früheren  Größe  herab- 
gesunken war,  so  war  sie  doch  immer  noch  eine  unab- 
hängige und  ansehnliche  Republik.  Überdies  war  Kar- 
neades ein  Babylonier  von  Geburt,  und  da  niemals  ein 
Volk  eifersüchtiger  als  die  Athener  darüber  wachte,  keine 
Fremden  zu  öffentlichen  Würden  zuzulassen,  so  muß 
ihre  Achtung  für  ihn  sehr  groß  gewesen  sein. 

Im  Ganzen  ist  übrigens  dieser  Umschwung  für  das 
Publikum  vielleicht  eher  vorteilhaft  als  schädlich.  Der 
Stand  eines  öffentlichen  Lehrers  ist  dadurch  etwas  her- 
abgesetzt worden;  aber  die  Wohlfeilheit  der  gelehrten 
Erziehung  ist  sicherlich  ein  Vorteil,  der  diesen  kleinen 
Übelstand  weit  überwiegt.  Auch  würde  davon  das 
Publikum  noch  viel  größeren  Gewinn  haben,  wenn 
die  Einrichtungen  der  gelehrten  Schulen  und  Univer- 
sitäten vernünftiger  wären,  als  sie  es  jetzt  durchweg 
in  Europa  sind. 

Drittens,  die  europäische  Wirtschaftspolitik  bringt 
durch  Hemmung  der  freien  Bewegung  der  Arbeit  und 
des  Kapitals  sowohl  von  Geschäft  zu  Geschäft,  als  von 
Ort  zu  Ort,  in  manchen  Fällen  eine  sehr  schädliche 
Ungleichheit  in  der  Gesamtheit  der  Vorteile  und  Nach- 
teile ihrer  Anlagen  hervor. 

Das  Lehrlingsgesetz  hemmt  die  freie  Arbeitsbewe- 
gung von  einem  Geschäft  zum  anderen  sogar  an  ein 
und  demselben  Orte.  Die  ausschließenden  Zunftprivi- 
legien hemmen  sie  von  einem  Orte  zum  anderen  sogar 
in  ein  und  demselben  Geschäfte. 

Es  kommt  häufig  vor,  daß,  während  den  Arbeitern 
in  dem  einen  Gewerbe  hoher  Lohn  gegeben  wird,  sie 
in  einem  anderen  mit  der  nackten  Existenz  vorlieb 
nehmen  müssen.  Das  eine  gedeiht  und  hat  einen  steten 
Begehr  nach  frischen  Arbeitskräften;   das  andere  hin- 


Kap.  X,IT.:  Uno-leioliheitpn  infnl.o-o  d.  curop.Wirtscliaftspolitik.  189 

gegen    verfällt    und    der    Überfluß    an    Arbeitskräften 
nimmt  stets  zu.     Zwei  solche  Gewerbe  können  bald  in 
einer  und  derselben  Stadt,  bald  in  einer  und  derselben 
Gegend  sein,  ohne  daß  sie  im  Stande  wären,  einander 
nur  die  geringste  Hilfe  zu  leisten.    In  dem  einen  Falle, 
ist  das  Lehrlingsgesetz  hinderlich  und  in  dem  anderen 
sowohl  dieses  als  die  ausschließende  Zunft.  Gleichwohl 
sind  in  vielen  Gewerben  die  Operationen  einander  so 
ähnlich,  daß  die  Arbeiter  leicht  aus  dem  einen  in  das 
andere  übertreten  könnten,  wenn  jene  abgeschmackten 
Gesetze    es    nicht   verhinderten.      Das   Weben   glatter 
Leinenzeuge  und  glatter  Seidenzeuge  ist  z.  B.  fast  ganz 
dasselbe.     Das  Weben    glatter  Wollenwaren  ist  etwas 
Anderes,  aber  der  Unterschied  ist  so  unbedeutend,  daß 
ein  Seiden-  oder  Leinweber  in  wenigen  Tagen  ein  ganz 
guter  Tuchweber  werden  könnte.      Geriete  nun   eines 
dieser   drei  Hauptgewerbe   in  Verfall,   so   könnten  die 
Arbeiter  leicht  in  einem  der  beiden  anderen,  deren  Lage 
glücklicher  ist,  Zuflucht  finden,   und  ihr  Lohn  würde 
weder  in  dem  blühenden  Gewerbe  zu  hoch,  noch  in  dem 
verfallenden  zu  niedrig  werden.  Die  Leinweberei  steht 
zwar  in  England  laut  einem  besonderen  Statut  Jedermann 
offen ;  da  sie  aber  in  den  meisten  Gegenden  des  Landes 
wenig  betrieben  wird,   so  kann  sie  den  Arbeitern  an- 
derer verfallender  Gewerbe  keine  allgemeine  Zuflucht 
bieten,  und  diese  haben  überall,   wo  das  Lehrlingsge- 
setz in  Geltung  ist,  keine  andere  Wahl,  als  entweder 
dem  Kirchspiel  zur  Last  zu  fallen,  oder  sich  als  Tage- 
löhner zu  verdingen,  wozu  sie  sich  vermöge  ihrer  bis- 
herigen Gewohnheiten  weit  weniger  schicken,  als  zu  ir- 
gend einem  anderen  Gewerbszweige,  der  mit  dem  ihrigen 
einige  Ähnlichkeit  hat.   Darum  ziehen  sie  es  denn  auch^ 
in  der  Regel  vor,   dem  Kirchspiel  zur  Last  zu  fallen. 
Alles,  was  die  freie  Bewegung  der  Arbeit  von  einem 
Geschäfte  zum  andern  hemmt,   hemmt   auch   die    des 
Kapitals,  da  die  Größe  des  Kapitals,  das  in  einem  Ge- 


190  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Schäftszweige  angelegt  werden  kann,  sehr  von  derMenge 
der  Arbeit  abhängt,  die  in  ihm  aufgewendet  wird.  Doch 
legen  Zunftgesetze  dem  freien  Umlauf  des  Kapitals 
von  einem  Orte  zum  anderen  weniger  Hindernisse  in 
den  Weg,  als  der  Arbeit.  Für  einen  reichen  Kaufmann 
ist  es  übei'all  leichter,  in  einer  korporierten  Stadt  ein 
Handelsprivilegium  zu  erlangen,  als  für  einen  armen 
Handwerker  die  Erlaubnis,  in  ihr  arbeiten  zu  dürfen. 

Die  Hemmung,  die  Zunftgesetze  der  freien  Be- 
wegung der  Arbeit  auflegen,  ist,  glaube  ich,  allen  Teilen 
Europas  gemein;  diejenige  aber,  welche  durch  die 
Armengesetze  bewirkt  wird,  ist,  so  viel  ich  weiß,  nur 
England  eigentümlich.  Sie  besteht  in  der  Schwierigkeit 
für  einen  armen  Mann,  sich  in  einem  andern  Kirch- 
spiel als  dem,  zu  welchem  er  gehört,  niederlassen  oder 
auch  nur  sein  Geschäft  treiben  zu  dürfen.  Durch  Zunft- 
gesetze wird  nur  die  freie  Bewegung  der  Arbeit  der 
Handwerker  und  industriellen  Arbeiter  gehemmt;  die 
Erschwerung  der  Niederlassung  aber  hemmt  auch  die 
der  gemeinen  Arbeit.  Es  ist  der  Mühe  wert,  den  Ur- 
sprung, Fortschritt  und  gegenwärtigen  Zustand  dieses 
Übels,  vielleicht  des  größten  der  englischen  Wirt- 
schaftspolizei, kurz  zu  berichten. 

Als  durch  die  Aufhebung  der  Klöster  die  Armen 
der  Unterstützung  dieser  frommen  Häuser  beraubt 
worden  waren,  wurde  nach  einigen  anderen  frucht- 
losen Versuchen  zu  ihren  Gunsten  durch  ein  Gesetz 
aus  dem  43.  Jahre  Elisabeths,  Kapitel  2,  verordnet, 
daß  jedes  Kirchspiel  für  seine  Armen  zu  sorgen  ver- 
pflichtet sein,  und  jährlich  Armenaufseher  bestellt 
werden  sollten,  die  in  Gemeinschaft  mit  den  Kirchen- 
vorstehern eine  diesem  Zwecke  angemessene  Summe 
durch  eine  Kirchspielsteuer  zu  erheben  hätten. 

Dieses  Gesetz  legte  jedem  Kirchspiel  die  unerläß- 
liche Pflicht  auf,  für  seine  Armen  zu  sorgen.   Es  ent- 


Kap. Xjr.:  Ungleichheiten  infol.o-e  d.  ourop.Wirtschaftspolitik.  191 

stand  dadurch  die  wichtige  Frage,  wer  denn  als  Armer 
eines  Kirchspiels  zu  betrachten  sei.  Diese  Frage  wurde 
nach  einigem  Schwanken  endlich  durch  Statut  aus  dem 
13.  und  14.  Regierungsjahre  Karls  II.  entschieden,  in 
dem  verordnet  war,  daß  vierzig  Tage  eines  ungestörten 
Aufenthalts  Jedem  die  Ansässigkeit  in  einem  Kirch- 
spiel erwerben  sollten;  doch  sollte  innerhalb  dieser 
Zeit  zwei  Friedensrichtern  das  Recht  zustehen,  auf 
Klage  seitens  der  Kirchenvorsteher  oder  Armenauf- 
seher, jeden  neuen  Einwohner  in  das  Kirchspiel,  in 
dem  er  zuletzt  rechtmäßig  ansässig  gewesen,  zu  ver- 
weisen, wenn  er  nicht  entweder  eine  Pachtung  von 
zehn  Pfund  jährlicher  Pacht  übernehmen  oder  dem 
Kirchspiel  eine  ausreichende  Bürgschaft  stellen  könne, 
daß  er  ihm  nicht  zur  Last  fallen  werde. 

Dieses  Gesetz  soll  manche  Betrügereien  veranlaßt 
haben.  Kirchspielbeamte  bestachen  mitunter  ihre  eigenen 
Armen,  heimlich  in  ein  anderes  Kirchspiel  auszuwan- 
dern, und  hielten  sie  vierzig  Tage  lang  daselbst  ver- 
borgen, damit  sie  die  Ansässigkeit  gewönnen,  um  das 
Kirchspiel,  dem  sie  eigentlich  angehörten,  von  ihnen  zu 
befreien.  Darum  verordnete  ein  Statut  aus  dem  ersten 
Regierungsjahre  Jakobs  II.,  daß  die  vierzig  Tage  un- 
gestörten Aufenthalts,  die  zur  Erwerbung  der  An- 
sässigkeit erforderlich  waren,  erst  von  dem  Augenblick 
an  gerechnet  werden  sollten,  an  dem  Jemand  einem 
der  Vorsteher  oder  Armenaufseher  des  Kirchspiels,  in 
dem  er  künftig  wohnen  wollte,  schriftlich  seinen  Wohn- 
ort und  die  Stärke  seiner  Familie  angemeldet  hätte. 

Indeß  waren  die  Kirchspielsbeamten  gegen  ihr 
eigenes  Kirchspiel  nicht  immer  ehrlicher,  als  sie  es 
gegen  fremde  gewesen  waren,  und  drückten  hie  und 
da  bei  solchen  Einnistungen  die  Augen  zu,  indem  sie 
zwar  die  Anmeldung  in  Emi)fang  nahmen,  aber  nicht 
die  erforderlichen  Schritte  taten.  Da  man  annahm,  daß 
jeder  Einwohner  eines  Kirchspiels  ein  Interesse  daran 


192  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

haben  müsse,  der  Belastung  durch  solche  Eindringlinge 
so  viel  als  möglich  vorzubeugen,  so  wurde  im  dritten 
ßegierungsjahre  Wilhelms  III.  ferner  verordnet,  daß 
die  vierzig  Aufenthaltstage  erst  von  dem  Tage  an  ge- 
rechnet werden  sollten,  an  dem  die  schriftliche  Anmel- 
dung Sonntags  in  der  Kirche  unmittelbar  nach  dem 
Gottesdienste  öffentlich  verlesen  worden  sei. 

„Am  Ende",  sagt  Dr.  Burn,  „wurde  diese  Art  der 
Ansässigkeit,  die  man  erst  durch  einen  vierzigtägigen 
Aufenthalt  nach  der  öffentlichen  Verlesung  der  schrift- 
lichen Anmeldung  erwerben  konnte,  nur  sehr  selten  er- 
langt, und  der  Zweck  dieser  Anordnungen  ist  nicht  so- 
wohl der,  Jemand  die  Ansässigkeit  zu  erleichtern,  als 
vielmehr  die  Ansässigkeit  von  Leuten,  die  heimlich  in 
das  Kirchspiel  kommen,  zu  hintertreiben ;  denn  sich  an- 
melden heißt  nur,  das  Kirchspiel  nötigen,  sie  wieder 
wegzuschaffen.  Ist  aber  die  Lage  Jemandes  der  Art, 
daß  es  zweifelhaft  bleibt,  ob  er  wirklich  zurückgeschickt 
werden  dürfe  oder  nicht,  so  wird  er  durch  seine  An- 
meldung das  Kirchspiel  nötigen,  ihm  entweder  dadurch, 
daß  es  ihn  vierzig  Tage  bleiben  läßt,  eine  unbestrittene 
Ansässigkeit  zu  bewilligen,  oder  dadurch,  daß  es  ihn 
wegschafft,  die  Sache  vor  den  Kichter  zu  bringen." 

Dieses  Statut  machte  es  also  für  einen  armen  Mann 
fast  unmöglich,  auf  die  frühere  Weise  durch  vierzig- 
tägigen Aufenthalt  einen  festen  Wohnsitz  zu  gewinnen. 
Damit  es  aber  nicht  den  Anschein  habe,  als  sollten  die 
gewöhnlichen  Leute  gänzlich  von  der  Ansiedelung  in 
einem  anderen  Kirchspiel  ausgeschlossen  wei'den, 
wurden  vier  andere  Arten  festgesetzt,  wie  ohne  eine 
abgegebene  oder  öffentlich  verlesene  Anmeldung  die 
Ansässigkeit  gewonnen  werden  könne.  Erstens  konnte 
man  sie  erwerben,  wenn  man  zu  den  Kirchspielsabgaben 
zugezogen  wurde  und  sie  bezahlte;  zweitens,  wenn  man 
auf  ein  Jahr  zu  einem  Kirchspielsamte  gewählt  wurde 
und  es  diese  Zeit  über  versah ;  drittens,  wenn  man  im 


Kap.  X,II.:  Ungleiclilieiton  infolge d.  europ.Wirtschaftspolitik.   1 93 

Kirchspiel  seine  Lehrzeit  bestand ;  viertens  endlich,  wenn 
man  dort  auf  ein  Jahr  in  Dienst  genommen  wurde  und 
ein  ganzes  Jahr  lang  in  diesem  Dienste  verblieb. 

Auf  eine  der  beiden  ersteren  Arten  ist  indessen  die 
Ansässigkeit  nur  durch  einen  öffentlichen  Akt  des  ganzen 
Kirchspiels  zu  erlangen,  das  dabei  wohl  auf  die  Folgen 
Acht  gibt,  die  daraus  hervorgehen,  wenn  es  einen 
neuen  Ankömmling,  der  keine  anderen  Unterhaltsmittel 
als  seine  Arbeit  hat,  durch  Zuziehung  zu  den  Abgaben 
oder  durch  Wahl   zu  einem  Amte  bei   sich  aufnimmt. 

Auf  eine  der  beiden  letzteren  Arten  kann  hin- 
gegen kein  Verheirateter  Ansässigkeit  erwerben.  Ein 
Lehrling  ist  schwerlich  jemals  verheiratet,  und  es  ist 
ausdrücklich  bestimmt,  daß  kein  verheirateter  Dienst- 
bote durch  Anstellung  auf  ein  Jahr  Ansässigkeit  er- 
werben solle.  Die  Haupt wirkung,  welche  die  Einführung 
einer  durch  Dienst  zu  erlangenden  Ansässigkeit  gehabt 
hat,  hat  namentlich  darin  bestanden,  daß  die  alte  Ge- 
wohnheit, auf  ein  Jahr  zu  mieten,  die  früher  in  England 
so  herkömmlich  war,  daß  noch  bis  auf  den  heutigen 
Tag  das  Gesetz  in  jedem  Falle,  wo  kein  bestimmter 
Zeitraum  ausgemacht  worden,  annimmt,  daß  der  Dionst- 
bote  auf  ein  Jahr  gemietet  sei,  großenteils  außer  Übung 
gekommen  ist.  Die  Arbeitgeber  sind  nicht  immer  willens, 
ihren  Dienstboten  durch  Mieten  auf  ein  Jahr  die  An- 
sässigkeit zu  verschaffen,  und  die  Dienstboten  mögen 
sich  nicht  immer  so  vermieten,  weil  sie,  da  stets  der 
letzte  Wohnsitz  die  früheren  aufhebt,  die  ursprüngliche 
Ansässigkeit  in  ihrer  Heimat,  wo  ihre  Eltern  und  Ver- 
wandten wohnen,  dadurch  einbüßen  könnten. 

Ein  selbständiger  Arbeiter,  sei  er  Tagelöhner  oder 
Handwerker,  wird  offenbar  nicht  leicht  eine  neue 
Ansässigkeit  durch  Lehr-  oder  Dienstjahro  erwerben. 
Wendet  sich  eine  solche  Person  mit  ihrem  Gewerbe 
in  ein  neues  Kirchspiel,  so  setzt  sie  sich,  wie  gesund 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  1<^ 


194  Erstes  Buch:  Zunahme  in  fler  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  fleißig  sie  auch  sein  mag,  der  Gefahr  aus,  nach 
der  Laune  eines  Kirchenvorstehers  oder  Armenauf- 
sehers wieder  entfernt  zu  werden,  wenn  sie  nicht  ent- 
weder für  zehn  Pfund  im  Jahre  eine  Pachtung  über- 
nimmt —  was  für  jemanden,  der  nur  von  seiner  Arbeit 
lebt,  unmöglich  ist  —  oder  eine  zwei  Friedensrichtern 
genügend  erscheinende  Bürgschaft  bietet,  daß  sie  dem 
Kirchspiel  nicht  zur  Last  fallen  werde.  Welche  Sicherheit 
sie  fordern  wollen,  ist  freilich  ganz  ihrem  Gutdünken 
überlassen ;  aber  sie  können  nicht  wohl  weniger  als 
dreißig  Pfund  verlangen,  da  eine  Verordnung  vor- 
handen ist,  nach  der  sogar  der  Kauf  eines  Freigutes 
von  weniger  als  dreißig  Pfund  Wert  kein  Ansässig- 
keitsrecht geben  soll,  weil  es  nicht  hinreichend  sei, 
das  Kirchspiel  vor  der  Armenbelastung  zu  sichern. 
Diese  Bürgschaft  wird  aber  jemand,  der  von  seiner 
Arbeit  lebt,  kaum  je  geben  können,  und  doch  wird 
oft  noch  eine  viel  größere  gefordert. 

Um  jedoch  einigermaßen  die  freie  Bewegung  der 
Arbeit,  die  durch  jene  verschiedenen  Gesetze  fast 
gänzlich  aufgehoben  war,  wiederherzustellen,  ist  man 
auf  die  sogenannten  Zertifikate  verfallen.  Im  achten 
und  neunten  ßegierungsjahre  Wilhelms  III.  wurde 
festgesetzt,  daß,  wenn  jemand  aus  dem  Kirchspiel,  in 
dem  er  zuletzt  rechtmäßig  ansässig  war,  ein  von  den 
Kirchenvorstehern  und  Armenaufsehern  unterschriebe- 
nes und  von  zwei  Friedensrichtern  bestätigtes  Zertifikat 
mitbringt,  jedes  andere  Kirchspiel  ihn  aufzunehmen 
verbunden  ist;  daß  er  nicht  schon  darum,  weil  er  wahr- 
scheinlich später  zur  Last  fallen  würde,  sondern  nur, 
wenn  er  wirklich  zur  Last  fällt,  entfernt  werden  darf; 
und  daß  dann  das  Kirchspiel,  welches  das  Zertifikat 
ausstellte,  verpflichtet  sein  soll,  die  Kosten  des  Unter- 
halts und  der  Fortschaffung  zu  tragen.  Um  aber  dem 
Kirchspiel,  wohin  ein  mit  einem  Zertifikat  ausgestatteter 


Kap.X,II.:  Ungleichheiten  infolge  d.  europ.Wirtschaftsx^olitik.  195 

Mann  sich  wendet,  die  ausreichendste  Bürgschaft  zu 
geben,  wurde  durch  dasselbe  Gesetz  ferner  verordnet, 
daß  der  Mann  das  Niederlassungsrecht  nur  dann  er- 
halten solle,  wenn  er  eine  Pachtung  für  zehn  Pfund 
jährlich  übernehme,  oder  unentgeltlich  ein  Jahr  lang 
ein  Kirchspielamt  verwalte.  Er  konnte  mithin  weder 
durch  Anmeldung,  noch  durch  Dienst,  Lehrlingschaft 
oder  Zahlung  der  Kirchspielabgaben  dazu  gelangen. 
Auch  wurde  im  zwölften  Regierungsjahre  der  Königin 
Anna  (Stat.  I.  c.  18.)  noch  verordnet,  daß  weder  die 
Dienstboten  noch  die  Lehrlinge  solcher  auf  Grund 
von  Zertifikaten  zugelassener  Leute  in  dem  Kirchspiel 
Ansässigkeit  erwerben  können. 

Inwiefern  diese  Erfindung  die  freie  Bewegung  der 
Arbeit,  die  durch  die  früheren  Statute  fast  gänzlich  auf- 
gehoben war,  wiederhergestellt  habe,  ersieht  man  aus 
der  folgenden  sehr  verständigen  Bemerkung  des  Dr. 
Burn.  „Offenbar",  sagt  er,  „liegen  verschiedene  gute 
Gründe  vor,  von  Personen,  die  sich  an  einem  Orte  nieder- 
lassen wollen,  Zertifikate  zu  verlangen,  namentlich  da- 
mit die  Inhaber  nicht  durch  Lehrlingsschaft,  Dienst, 
Anmeldung,  oder  Zahlung  der  Kirchspielsteuern  an- 
sässig werden;  damit  sie  weder  Lehrlinge,  noch  Dienst- 
boten ansässig  machen  können,  damit  man  ferner,  so- 
bald sie  dem  Kirchspiel  zur  Last  fallen,  genau  weiß, 
wohin  man  sie  zu  bringen  und  an  wen  man  sich  wegen 
der  Fortschaffungs-  und  Unterhaltskosten  in  dieser 
Zeit  zu  halten  hat;  und  damit  endlich,  wenn  sie  krank 
werden,  und  nicht  fortgeschafft  werden  können,  das 
Kirchspiel,  von  dem  das  Zertifikat  ausgestellt  ist,  den 
Unterhalt  erstattet  —  was  alles  ohne  ein  Zertifikat  nicht 
geschehen  kann.  Aber  diese  Gründe  sind  ebenso  viele 
Gründe  für  die  Kirchspiele,  in  gewöhnlichen  Fällen 
keine  Zertifikate  auszustellen;  denn  es  ist  nur  zu  wahr- 
scheinlich, daß  sie  ihre  Inhaber  zurückerhalten  werden, 


196   Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  dies  noch  dazu  in  einer  schlechteren  Lage".  Die 
Moral  dieser  Bemerkung  scheint  zu  sein,  daß  das  Kirch- 
spiel, in  dem  ein  Armer  sich  niederlassen  will,  stets  Zer- 
tifikate fordert,  daß  aber  von  dem,  welches  er  zu  ver- 
lassen gedenkt,  nur  sehr  selten  solche  bewilligt  werden. 
„Es  liegt  hierin",  sagt  derselbe  einsichtsvolle  Schrift- 
steller in  seiner  Geschichte  der  Armengesetze,  „eine 
große  Härte",  indem  es  in  die  Macht  eines  Kirchspiel- 
beamten gestellt  ist,  einen  Menschen  gewißermaßen  für 
sein  ganzes  Leben  gefangen  zu  halten,  mag  es  für  ihn 
auch  noch  so  nachteilig  sein,  an  dem  Orte  bleiben  zu 
müssen,  an  dem  er  das  Unglück  hatte,  sogenannte  An- 
sässigkeit zu  erwerben,  oder  mag  er  sich  die  größten 
Vorteile  von  einem  Aufenthalte  am  fremden  Orte  ver- 
sprechen". 

Obgleich  ein  Zertifikat  kein  Zeugnis  des  guten  Be- 
tragens enthält  und  nur  bescheinigt,  daß  sein  Inhaber 
dem  oder  dem  Kirchspiel  angehöre,  so  steht  es  doch 
ganz  im  Belieben  der  Kirchspielsbeamten,  es  zu  ver- 
weigern oder  zu  gewähren.  Es  sind,  erzählt  Dr.  Burn, 
einmal  gerichtliche  Schritte  getan  worden,  um  die 
Kirchenvorsteher  und  Armenaufseher  zur  Ausstellung 
eines  Zertifikats  zu  nötigen,  aber  der  Gerichtshof  der 
King's  Bench  hat  den  Antrag  verworfen. 

Der  sehr  ungleiche  Arbeitspreis,  den  wir  häufig  in 
England  an  gar  nicht  weit  von  einander  liegenden  Orten 
finden,  hat  seinen  Grund  wahrscheinlich  in  den  Hinder- 
nissen, welche  das  Ansässigkeitsgesetz  einem  Armen, 
der  ohne  Zertifikat  mit  seinem  Gewerbe  von  einem  Kirch- 
spiel in  das  andere  wandern  möchte,  entgegenstellt. 
Ein  einzelner,  gesunder  und  fleißiger  Mann  wird  zwar 
hie  und  da  ohne  ein  Zertifikat  geduldet;  aber  wenn  ein 
Mann  mit  Weib  und  Kind  es  versuchen  wollte,  würde 
er  sicher  in  den  meisten  Kirchspielen  entfernt  werden, 
und   selbst   der   einzelne  Mann  würde,    wenn    er    sich 


Kap.XJI.:  Ungleichheiten  infolge d.europ.WirtschaftspoHtik.  197 

später  verheiratete,  in  der  Hegel  ausgewiesen  werden. 
Daher  kann  dem  Mangel  an  Arbeitern  in  dem  einen 
Kirchspiel  nicht  immer  durch  den  Überfluß  in  einem 
anderen  abgeholfen  werden,  wie  das  in  Schottland  und 
wohl  in  allen  anderen  Ländern,  in  denen  die  Ansässig» 
keit  keine  Schwierigkeiten  bietet,  so  unablässig  ge- 
schieht. Wenn  auch  in  solchen  Ländern  zuweilen 
der  Lohn  in  dei-  Nähe  einer  großen  Stadt,  oder  wo 
sonst  eine  außergewöhnliche  Nachfrage  nach  Arbeit 
besteht,  ein  wenig  steigt,  und  umgekehrt  je  nach  der 
größeren  Entfernung  von  solchen  Plätzen  sinkt,  bis 
er  wieder  den  gewöhnlichen  Satz  des  Landes  erreicht, 
so  begegnet  man  doch  niemals  so  plötzlichen,  uner- 
klärlichen Verschiedenheiten  im  Arbeitslohn  benach- 
barter Orte,  wie  bisweilen  in  England,  wo  es  oft  für 
einen  Armen  schwieriger  ist,  die  künsthchen  Schran- 
ken eines  Kirchspiels  zu  überschreiten,  als  einen 
Meeresarm  oder  hohen  Gebirgsrücken,  d.  h.  natürliche 
Grrenzen,  die  in  anderen  Ländern  zuweilen  die  Lohn- 
sätze sehr  deutlich  von  einander  scheiden. 

Einen  Mann,  der  sich  Nichts  hat  zu  Schulden 
kommen  lassen,  aus  dem  Kirchspiel,  in  dem  er  wohnen 
will,  zu  entfernen,  ist  eine  offenbare  Verletzung  natür- 
licher Freiheit  und  Gerechtigkeit.  Dennoch  hat  das 
gemeine  Volk  Englands,  das  auf  seine  Freiheit  so  eifer- 
süchtig ist,  aber  gleich  dem  gemeinen  Volke  der  meisten 
anderen  Länder  nie  recht  weiß,  worin  sie  besteht,  diesen 
Druck,  dem  es  hilflos  erliegt,  jetzt  schon  länger  als  ein 
Jahrhundert  ruhig  ertragen.  Haben  auch  zuweilen  den- 
kende Männer  das  Ansässigkeitsgesetz  als  ein  öffent- 
liches Unglück  beklagt,  so  hat  es  doch  niemals  einen 
so  allgemeinen  Schrei  des  Unwillens  heivorgerufen, 
wie  die  generellen  Verhaftsbefehle,  die  ohne  Zweifel 
auch  ein  Mißbrauch  sind,  aber  doch  nicht  leicht  einen 
so  allgemeinen  Druck  zur  Folge  hatten.  Ich  wage  zu 


198  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

behaupten,  daß  es  in  England  kaum  einen  einzigen 
armen  Mann  von  vierzig  Jahren  gibt,  der  nicht  zu 
irgend  einer  Zeit  seines  Lebens  durch  dies  unselige  An- 
sässigkeitsgesetz sich  grausam  bedrückt  gefühlt  hätte. 

Ich  schließe  dieses  lange  Kapitel  mit  der  Bemer- 
kung, daß  es  zwar  vor  alters  üblich  war,  den  Lohn 
festzusetzen  und  zwar  anfänglich  durch  allgemeine  für 
das  ganze  Königreich  gültige  Gesetze  und  später  durch 
besondere  Anordnungen  der  Friedensrichter  in  jeder 
Grafschaft,  —  daß  diese  beiden  Geu-ohnheiten  aber 
jetzt  gänzlich  abgekommen  sind.  „Nach  der  Erfah- 
rung von  mehr  als  vierhundert  Jahren,"  sagt  Dr. 
Burn,  „scheint  es  endlich  Zeit  zu  sein,  alle  Versuche, 
unter  feste  Hegeln  zu  bringen,  was  seiner  Natur  nach 
jeder  genauen  Begrenzung  unfähig  scheint,  aufzugeben; 
denn  wenn  alle  Arbeiter  in  einem  Gewerbe  gleichen 
Lohn  erhalten,  hört  der  Wetteifer  auf,  und  für  Fleiß 
und  Talent  wäre  kein  Raum  mehr." 

Dennoch  wird  zuweilen  noch  versucht,  durch  be- 
sondere Parlamentsakte  den  Lohn  für  bestimmte  Ge- 
werbe und  Orte  festzustellen.  So  verbietet  eine  Akte 
aus  dem  8.  Regierungsjahre  Georgs  III.  unter  schwerer 
Geldstrafe  allen  Schneidermeistern  in  London  und  fünf 
Meilen  im  Umkreise,  mehr  als  zwei  Schilling,  sieben 
und  einen  halben  Pence  täglich  an  Arbeitslohn  zu 
zahlen,  es  sei  denn  zur  Zeit  einer  allgemeinen  Landes- 
trauer, —  und  eben  so  den  Gesellen,  mehr  als  diesen 
Lohn  anzunehmen.  So  oft  die  Gesetzgebung  sich  dazu 
herbei  läßt,  die  Unstimmigkeiten  zwischen  den  Meistern 
und  ihren  Arbeitern  auszugleichen,  ist  sie  stets  von  den 
Meistern  beraten.  Wenn  daher  die  Bestimmung  zu 
Gunsten  der  Arbeiter  ausfällt,  so  ist  sie  stets  gerecht 
und  billig;  öfters  aber,  wenn  sie  zugunsten  der  Meister 
ausfällt,  ist  sie  es  nicht.  So  ist  das  Gesetz,  welches  in 
einigen   Gewerben    die   Meister   verpflichtet,    ihre  Ar- 


Kap.X,II.:  Ungleichheiten  infoige  d.  europ.Wirtschaftspolitili.  1 99 

beiter  in  Geld  und  nicht  in  Waren  zu  bezahlen,  ganz 
gerecht  und  billig;  denn  es  legt  den  Meistern  keine 
wirkliche  Last  auf,  sondern  nötigt  sie  nur,  den  Geld- 
wert zu  bezahlen,  den  sie  in  Waren  bezahlen  zu  wollen 
vorgaben,  aber  nicht  immer  wirklich  bezahlten.  Dieses 
Gesetz  ist  zugunsten  der  Arbeiter;  dagegen  die  Akte 
aus  dem  achten  Regierungsjahre  Georgs  III.  zugunsten 
der  Meister.  Wenn  die  Meister  sich  zusammentun,  um 
den  Lohn  ihrer  Arbeiter  herabzusetzen,  so  schließen 
sie  gewöhnlich  privatim  einen  Bund  oder  eine  Über- 
einkunft, bei  Strafe  nicht  mehr  als  einen  bestimmten 
Lohn  zu  geben.  Wollten  die  Arbeiter  eine  entgegen- 
gesetzte Übereinkunft  derselben  Art  schließen,  bei 
Strafe  jenen  Lohn  nicht  anzunehmen,  so  würde  sie  das 
Gesetz  sehr  strenge  bestrafen.  Verführe  es  wirklich 
unparteiisch,  so  müßte  es  gegen  die  Meister  ebenso 
handeln.  Aber  die  Akte  aus  dem  achten  Regierungs- 
jahre Georgs  III.  erteilt  gerade  der  Regel,  welche  die 
Meister  durch  derartige  Verbindungen  zuweilen  ein- 
zuführen suchen,  gesetzliche  Kraft,  Die  Klage  der 
Arbeiter,  daß  dadurch  der  geschickteste  und  fleißigste 
Arbeiter  mit  dem  mittelmäßigen  auf  eine  gleiche  Stufe 
gesetzt  werde,  scheint  durchaus  wohlbegründet. 

In  früheren  Zeiten  war  es  auch  üblich,  den  Ge- 
winn der  Kaufleute  und  anderer  Händler  durch  Fest- 
setzung des  Preises  für  Lebensmittel  und  andere 
Waren  zu  regeln.  Die  Brottaxe  ist,  so  viel  ich 
weiß,  der  letzte  Rest  dieses  alten  Brauchs.  Wo  es 
eine  geschlossene  Zunft  gibt,  da  mag  es  gut  sein,  den 
Preis  der  ersten  Lebensbedürfnisse  festzusetzen;  wo 
dies  aber  nicht  der  Fall  ist,  wird  die  Konkurrenz  ihn 
weit  besser  regeln,  als  irgend  eine  Taxe.  Die  durch 
ein  Gesetz  aus  dem  31.  Regierungsjahre  Georgs  II. 
eingeführte  Methode,  eine  Brottaxe  festzusetzen,  konnte 
in  Schottland  wegen   eines  Mangels  im  Gesetze   nicht 


200  Ei'ötes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

zur  Ausführung  gebracht  werden,  insofern  die  Voll- 
ziehung auf  dem  Amte  eines  Marktschreibers  ruhte, 
das  in  Schottland  nicht  vorhanden  ist.  Dieser  Mangel 
wurde  erst  im  dritten  Regierungsjahre  Georgs  III. 
gehoben.  Inzwischen  stiftete  der  Mangel  einer  Taxe 
keinen  merklichen  Schaden,  und  ihre  Einführung  hat 
an  den  wenigen  Orten,  an  denen  sie  bestand,  keinen 
merklichen  Vorteil  gewährt.  In  den  meisten  schotti- 
schen Städten  gibt  es  jedoch  eine  Bäckerzunft,  die 
ausschließliche  Berechtigungen  in  Anspruch  nimmt, 
ohne  daß  diese  jedoch  strenge  gewahrt  würden. 

Das  Verhältnis  zwischen  den  verschiedenen  Lohn- 
und  Gewinnsätzen  in  den  einzelnen  Arbeits-  und  Ka- 
pitalanlagen erleidet,  wie  schon  bemerkt  wurde,  durch 
den  ßeichtum  oder  die  Armut,  durch  einen  fortschrei- 
tenden, stillstehenden  oder  zurückgehenden  Zustand 
der  Gesellschaft  keine  großen  Veränderungen.  Obwohl 
solche  Revolutionen  in  der  öffentlichen  Wohlfahrt  den 
Lohn-  und  Gewinnsatz  im  Ganzen  treffen,  so  müssen 
sie  ihn  am  Ende  doch  in  allen  verschiedenen  Anlage- 
arten gleichmäßig  treffen.  Das  Verhältnis  zwischen 
ihnen  muß  daher  das  nämliche  bleiben,  und  kann 
durch  solche  Umwälzungen  wenigstens  nicht  für  lange 
Zeit  gestört  werden. 


Elftes  Kapitel. 
Die    Grundrente. 

Die  Rente,  als  der  für  die  Nutzung  des  Bodens 
gezahlte  Preis  betrachtet,  ist  naturgemäß  der  höchste, 
den  der  Pächter  nach  der  jeweiligen  Bodenbeschaffen- 
heit zu  zahlen  vermag.  Bei  der  Feststellung  der  Pacht- 
bedingungen sucht  der  Grundherr  dem  Pächter  keinen 
größeren  Anteil  am  Krtrage  zu  lassen,  als  zur  Erhal- 
tung des  Kapitals,  von  dem  er  die  Aussaat  bestreitet, 
die  Arbeit  bezahlt  und  das  Vieh  nebst  anderem  Wirt- 
schaftsinventar kauft  und  unterhält,  so  wie  zur  Gewäh- 
rung des  gewöhnlichen  Gewinnes  landwirtschaftlicher 
Kapitalanlagen  in  der  Gegend,  ausreicht.  Dies  ist 
offenbar  der  kleinste  Anteil,  an  dem  sich  der  Pächter 
genügen  lassen  kann,  wenn  er  nicht  geradezu  verlieren 
will;  der  Grundherr  aber  ist  selten  bereit,  ihm  mehr 
als  diesen  Anteil  zu  lassen.  Was  von  dem  Ertrage, 
oder  mit  andern  Worten  von  dem  Preise  des  Ertrags 
nach  Abzug  jenes  Anteils  übrig  bleibt,  sucht  der  Be- 
sitzer natürlich  für  sich  als  Grundrente  zu  reservieren 
—  und  dies  ist  offenbar  das  höchste,  was  der  Pächter 
nach  der  jeweiligen  Bodenbeschaffenheit  zu  zahlen  ver- 
mag. Manchmal  nimmt  der  Grundherr  aus  Fieigebigkeit, 
öfters  aus  Unkenntnis  etwas  weniger;  manchmal  zahlt 
auch  der  Pächter,  obgleich  dieser  Fall  seltener  ist,  aus 
Unkenntnis  etwas  mehr,  d.  h.  er  begnügt  sich  mit  einem 


202  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

geringeren,  als  dem  in  der  Gegend  üblichen  Gewinn 
landwirtschaftlichen  Kapitals.  Dieser  Teil  jedoch  kann 
noch  als  die  natürliche  oder  als  die  Grundrente  ange- 
sehen werden,  für  welche  Ländereien  dieser  Art  ge- 
wöhnlich verpachtet  werden. 

Man  könnte  glauben,  die  Grundrente  sei  oft  nichts 
weiter  als  ein  billiger  Gewinn  oder  Zins  für  das  vom 
Grundherrn  auf  die  Bodenverbesserung  verausgabte  Ka- 
pital. Das  kann  unter  Umständen  allerdings  teilweise 
der  Fall  sein;  aber  eben  auch  nur  teilweise.  Der  Grund- 
eigentümer verlangt  sogar  für  unangebautes  Land  eine 
ßente,  und  der  vermeinte  Zins  oder  Gewinn  auf  die  Ver- 
besserungskosten sind  gewöhnlich  nur  ein  Zusatz  zur 
ursprünglichen  Rente.  Überdies  werden  die  Verbesse- 
rungen nicht  immer  vom  Kapital  des  Grundeigentümers, 
sondern  manchmal  von  dem  des  Pächters  gemacht. 
Kommt  aber  die  Zeit,  wo  der  Pachtkontrakt  erneuert 
werden  soll,  so  fordert  der  Grundeigentümer  gewöhn- 
lich dieselbe  Erhöhung  der  Rente,  als  wenn  er  die 
Verbesserungen  aus  eigenen  Mitteln  bewirkt  hätte. 

Zuweilen  verlangt  er  eine  Rente  für  Dinge,  die 
der  Verbesserung  durch  Menschenhand  durchaus  un- 
fähig sind.  Kelp  ist  eine  Art  Seegras,  das  verbrannt 
ein  alkalisches  Salz  liefert,  das  zur  Bereitung  von 
Glas,  Seife  und  zu  anderen  Zwecken  dient.  Es  wächst 
an  einigen  Orten  Großbritanniens,  namentlich  in  Schott- 
land, nur  auf  solchen  Felsen,  die  innerhalb  der  Flut- 
grenze liegen  und  täglich  zweimal  vom  Wasser  bedeckt 
werden,  so  daß  es  unmöglich  durch  menschlichen 
Fleiß  vermehrt  werden  kann.  Dennoch  wird  ein 
Grundeigentümer,  dessen  Gut  von  einem  Kelpufer 
eingeschlossen  ist,  eben  so  gut  von  diesem,  wie  von 
seinen  Kornfeldern,  eine  Rente  verlangen. 

Das  Meer  in  der  Umgebung  der  Shetlandsinseln  ist 
vorzugsweise  reich  an  Fischen,  die  ein  Hauptnahrungs- 


Kap.  XI.:  Die  Grundrente.  203 

mittel  ihrer  Bewohner  ausmachen.  Um  aber  von  diesem 
Produkt  des  "Wassers  Nutzen  zu  ziehen,  müssen  sie 
ihre  Wohnung  am  anstoßenden  Laude  haben.  Die 
Rente  des  Grundeigentümers  richtet  sich  hier  nicht 
bloß  danach,  was  der  Pächter  aus  dem  Lande  ziehen 
kann,  sondern  danach,  was  ihm  beide,  Land  und  Wasser, 
einbringen.  Sie  wird  zum  Teil  in  Seefischen  bezahlt, 
und  es  tritt  hier  einer  von  den  sehr  seltenen  Fällen 
ein,  in  dem  die  Rente  einen  Teil  des  Preises  dieser 
Ware  ausmacht. 

Die  Grundrente  ist  daher,  als  der  für  die  Benutzung 
des  Bodens  bezahlte  Preis,  natürlich  ein  Monopolpreis. 
Er  richtet  sich  durchaus  nicht  nach  dem,  was  der  Grund- 
eigentümer für  die  Verbesserung  des  Landes  verausgabt 
hat,  oder  woran  er  sich  genügen  lassen  könnte,  sondern 
nach  dem,  was  der  Pächter  zu  geben  imstande  ist. 

In  der  Regel  können  nur  solche  Bodenprodukte  zu 
Markte  gebracht  werden,  deren  gewöhnlicher  Preis  hoch 
genug  ist,  um  das  darauf  verwendete  Kapital  samt  dem 
gewöhnlichen  Kapitalgewinn  wieder  einzubringen.  Be- 
trägt der  gewöhnliche  Preis  mehr,  so  wird  der  Über- 
schuß natürlich  auf  die  Grundrente  fallen;  beträgt  er 
weniger,  so  kann  die  Ware  zwar  zu  Markte  gebracht 
werden,  dem  Grundeigentümer  aber  keine  Rente  ab- 
werfen. Ob  der  Preis  höher  oder  niedriger  ist,  hängt 
von  der  Nachfrage  ab. 

Es  gibt  gewisse  Bodenprodukte,  nach  denen  stets 
eine  derartige  Nachfrage  sein  muß,  daß  die  Gewährung 
eines  höheren  Preises,  als  hinreichend  ist,  sie  auf  den 
Markt  zu  bringen,  gesichert  ist;  und  es  gibt  andere, 
bei  denen  es  einmal  der  Fall  ist,  ein  anderes  Mal  aber 
nicht.  Die  ersteren  müssen  dem  Grundeigentümer 
immer  eine  Rente  gewähren;  die  letzteren  hingegen 
tun  dies  nach  Umständen. 

Die  Rente  tritt  daher,  wie  zu  beachten  ist,  auf  eine 
andere  Weisein  die  Zusammensetzung  des  Warenpreises 


204  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der   Ertragskraft  der  Arbeit. 

ein,  als  der  Lohn  und  der  G-evvinn.  Hoher  oder  niedri- 
ger Lohn  und  Gewinn  sind  die  Ursachen  eines  hohen 
oder  niedrigen  Preises;  hohe  oder  niedrige  Rente  ist 
seine  Wirkung.  Weil  hoher  oder  niedriger  Lohn  und 
Gewinn  gezahlt  werden  muß,  damit  eine  bestimmte 
Ware  zu  Markte  komme,  ist  ihr  Preis  hoch  oder  niedrig. 
Aber  ob  eine  hohe,  niedrige  oder  gar  keine  Rente  ge- 
zahlt wird,  hängt  davon  ab,  ob  der  Preis  der  Ware 
hoch  oder  niedrig  ist,  d.  h.  ob  er  viel  mehr  oder  etwas 
mehr  oder  gar  nicht  mehr  beträgt,  als  zur  Bezahlung 
des  Lohns  und  Gewinns  erforderlich  ist.- 

Die  gesonderte  Betrachtung  erstens  derjenigen 
Teile  des  Bodenertrags,  die  stets  eine  Rente  gewähren; 
zweitens  derjenigen,  die  bald  eine  gewähren  und  bald 
nicht;  und  drittens  der  Schwankungen,  welche  in  den 
verschiedenen  Perioden  der  Kultur  in  dem  relativen 
Werte  dieser  beiden  Arten  roher  Produkte  naturgemäß 
eintreten,  ob  man  sie  unter  einander  oder  mit  den  In- 
dustrieerzeugnissen vergleicht,  —  läßt  dieses  Kapitel 
in  drei  Abteilungen  zerfallen. 


Erste  Abteilung. 
Bodenerzeugnisse,  die  immer  eine  Rente  abwerfen. 

Da  die  Menschen  gleich  allen  anderen  lebenden 
Wesen  sich  natürlich  nach  dem  Maße  der  vorhandenen 
Unterhaltsmittel  vermehren,  so  ist  nach  Nahrungs- 
mitteln allezeit  mehr  oder  weniger  Nachfrage.  Gegen 
Nahrungsmittel  steht  stets  eine  größere  oder  kleinere 
Menge  Arbeit  zu  Gebote,  und  es  finden  sich  immer 
Menschen,  die  etwas  zu  tun  bereit  sind,  um  sie  zu 
erhalten.  Die  Menge  Arbeit,  welche  gegen  Nahrungs- 
mittel gekauft  werden  kann,  ist  wegen  der  hohen 
Löhne,  die  zuweilen  für  Arbeit  gezahlt  werden,  zwar 


Kap.  XT,I.:   Bodenerzeu^-nisse  mit  stetiger  Rente.       205 

nicht  immer  nur  genau  so  groß,  als  zum  Unterhalt  der 
Arbeiter  erforderlich  wäre,  wenn  die  Nahrungsmittel  aufs 
sparsamste  zugemessen  würden.  Aber  stets  ist  so  viel 
Arbeit  dafür  zu  haben,  als  die  Nahrungsmittel  je  nach 
dem  Satze  unterhalten  können,  zu  welchem  diese  Art  von 
Arbeit  in  der  Umgegend  gewöhnlich  unterhalten  wird. 

Der  Boden  bringt  jedoch  fast  in  jeder  Lage  mehr 
Nahrung  hervor,  als  zum  reichlichsten  Unterhalt  aller 
der  Arbeiter,  deren  es  bedarf,  um  sie  auf  den  Markt  zu 
bringen,  erforderlich  ist.  Auch  ist  der  Überschuß  stets 
mehr  als  hinreichend,  um  das  in  die  Arbeit  gesteckte 
Kapital  mit  Zinsen  wieder  zu  erstatten.  Etwas  bleibt 
mithin  stets  als  Rente  für  den  Grrundeigentümer  übrig. 

Die  ödesten  Moore  Norwegens  und  Schottlands 
bringen  etwas  Weide  für  das  Vieh  hervor,  dessen  Milch 
und  Nachwuchs  stets  mehr  als  hinreichend  ist,  nicht  nur 
die  zur  Wartung  des  Viehes  erforderlichen  Arbeiter  zu 
ernähren,  und  dem  Pächter  oder  Eigentümer  der  Her- 
den den  gewöhnlichen  Kapitalgewinn  zu  verschaffen, 
sondern  auch  für  den  Grundherrn  eine  kleine  Rente  ab- 
zuwerfen. Diese  Rente  steigt  mit  der  Güte  des  Weide- 
landes. Ein  ebenso  großes  Stück  Land  ernährt  zuweilen 
nicht  allein  eine  größere  Menge  Vieh,  sondern  erfordert 
auch,  da  es  auf  kleinerem  Räume  beisammen  ist,  woni- 
ger Arbeit  zu  seiner  Wartung  und  zur  Einsammlung 
des  Milchertrags.  Der  Grundeigentümer  gewinnt  dop- 
pelt: durch  die  Zunahme  des  Ertrags  und  durch  die 
Verminderung  der  Arbeit,  die  aus  ihm  unterhalten  wird. 

Die  Grundrente  ist  nicht  nur  je  nach  der  Frucht- 
barkeit, welcher  Art  die  Produkte  auch  sein  mögen, 
sondern  auch  bei  gleicher  Fruchtbarkeit,  je  nach  der 
Lage  verschieden.  Land  in  der  Nähe  einer  Stadt  wirft 
eine  größere  Rente  ab,  als  gleich  fruchtbares  Land  in 
einer  entlegenen  Gegend.  Kostet  der  Anbau  dos  einen 
auch  nicht  mehr  als  der  des  anderen,  so  muß  es  doch 


206  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

immer  mehr  Kosten  verursachen,  die  Produkte  eines 
entlegenen  Grundstücks  auf  den  Markt  zu  bringen. 
Da  mithin  eine  größere  Menge  Arbeit  davon  bezahlt 
werden  muß,  so  wird  notwendig  der  Überschuß,  aus 
dem  der  Gewinn  des  Pächters  und  die  Rente  des 
Grundeigentümers  gezogen  wird,  geringer  werden. 
Aber  in  entlegenen  Gegenden  ist,  wie  schon  gezeigt 
wurde,  der  Gewinnsatz  gewöhnlich  höher  als  in  der 
Nähe  einer  großen  Stadt  und  es  muß  daher  dem 
Grundeigentümer  ein  kleinerer  Anteil  an  diesem  ver- 
ringerten Überschuß  zufallen. 

Gute  Wege,  Kanäle  und  schiffbare  Flüsse  er- 
mäßigen die  Frachtkosten  und  stellen  dadurch  die 
entlegenen  Teile  eines  Landes  mit  der  Umgegend 
einer  Stadt  ziemlich  auf  denselben  Fuß.  Sie  sind 
deswegen  der  größte  aller  Fortschritte.  Sie  ermuntern 
den  Anbau  der  entlegenen  Gegenden  eines  Landes,  die 
stets  am  umfangreichsten  sind.  Sie  sind  vorteilhaft  für 
die  Stadt,  indem  sie  das  Monopol  des  platten  Landes 
der  Umgegend  aufheben ;  sie  nützen  aber  auch  dieser 
Umgegend  selbst.  Obwohl  sie  konkurrierende  Waren 
auf  ihren  frühern  Markt  bringen,  öffnen  sie  doch  auch 
ihren  Erzeugnissen  manche  neuen  Märkte.  Überdies 
ist  das  Monopol  ein  großer  Feind  guter  Wirtschaft, 
die  nur  infolge  jenes  freien  und  allgemeinen  Wett- 
bewerbs, der  jedermann  um  seiner  eigenen  Selbstver- 
teidigung willen  zwingt,  sein  Geschäft  ordentlich  zu 
treiben,  sich  allgemein  verbreiten  kann.  Es  ist  kaum 
fünfzig  Jahre  her,  daß  einige  Grafschaften  in  der 
Nähe  von  London  bei  dem  Parlament  gegen  die  Aus- 
dehnung der  Chausseen  bis  in  die  entfernteren  Ge- 
genden des  Landes  vorstellig  wurden.  Diese  ent- 
legeneren Gegenden,  behaupteten  sie,  würden  sich 
durch  die  Wohlfeilheit  ihrer  Arbeit  instand  gesetzt 
sehen,   Heu  und  Getreide  auf  dem  Londoner  Markte 


Kap.  XI,I.:  BodenerzetigTiis.se  mit  stetiger  r?ente.       207 

wohlfeiler  als  sie  zu  verkaufen,  und  dadurch  ihre 
Renten  vermindern  und  ihren  Landbau  zu  Grunde 
richten.  Ihre  Renten  sind  jedoch  seitdem  gestiegen 
und  ihr  Bodenanbau  hat  sich  verbessert. 

Ein  Getreidefeld  von  massiger  Fruchtbarkeit  bringt 
viel  mehr  Nahrungsmittel  für  die  Menschen  hervor,  als 
der  beste  Weideplatz  von  gleichem  Umfang.  Erfordert 
seine  Bestellung  auch  weit  mehr  Arbeit,  so  ist  doch 
der  nach  Abzug  der  Saat  und  des  Unterhalts  der  Ar- 
beiter übrig  bleibende  Ertrag  gleichfalls  weit  größer. 
Wäre  mithin  ein  Pfund  Fleisch  zu  keiner  Zeit  mehr 
wert  gewesen,  als  ein  Pfund  Brot,  so  würde  jener 
größere  Überschuß  auch  immer  von  größerem  Werte 
sein,  und  sowohl  den  Gewinn  des  Pächters  wie  die 
Rente  des  Grundherrn  erhöhen.  Und  so  scheint  es 
wirklich  in  den  rohen  Anfängen  der  Bodenkultur  all- 
gemein der  Fall  gewesen  zu  sein. 

Aber  der  relative  Wert  dieser  verschiedenen  Nah- 
rungsmittel, des  Brotes  und  des  Fleisches,  ist  in  den 
verschiedenen  Zeiten  der  Landwirtschaft  sehr  ungleich. 
In  ihren  rohen  Anfängen  werden  die  nicht  urbar  ge- 
machten Wildnisse,  die  zu  dieser  Zeit  den  bei  weitem 
größten  Teil  des  Landes  einnehmen,  samt  und  sonders 
dem  Vieh  überlassen.  Es  gibt  dann  mehr  Fleisch,  als 
Brot,  und  folglich  ist  das  Brot  dasjenige  Nahrungs- 
mittel, für  das  die  größte  Konkurrenz  vorhanden  ist, 
und  das  darum  auch  höher  im  Preis  steht.  In  Buenos- 
Aires  waren,  wie  Ulloa  erzählt,  noch  vor  vierzig  oder 
fünfzig  Jahren  vier  Realen  (21^/2  Pence)  der  gewöhn- 
liche Preis  eines  aus  einer  Herde  von  zwei  oder  drei 
hundert  Stück  ausgesuchten  Rindes.  Vom  Preise  des 
Brotes  redet  Ulloa  nicht,  wahrscheinlich  weil  er  nichts 
Auffallendes  daran  fand.  Ein  Rind,  sagt  er,  kostet  dort 
wenig  mehr,  als  die  Arbeit,  es  zu  fangen.  Dagegen 
kann  Getreide  nicht  ohne  viele  Arbeit  gezogen  werden, 


208  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  in  einem  Lande,  das  am  La  Plata  liegt,  damals  der 
direkten  Straße  von  Europa  nach  den  Silberminen  von 
Potosi,  konnte  der  Geldpreis  der  Arbeit  nicht  sehr  wohl- 
feil sein.  Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn  der  An- 
bau sich  schon  über  den  größten  Teil  des  Landes  aus- 
gedehnt hat.  Dann  giebt  es  mehr  Brot  als  Fleisch,  der 
Wettbewerb  ändert  seine  Richtung,  und  der  Preis  des 
Fleisches  wird  höher,  als  der  des  Brotes. 

Durch  die  Ausdehnung  der  Bodenkultur  wird  ohne- 
hin das  unbebaute  Weideland  unzureichend,  der  Nach- 
frage nach  Fleisch  zu  genügen.  Dann  muß  ein  großer 
Teil  des  bestellten  Landes  zur  Zucht  und  Mast  des 
Yiehs  hergegeben  werden,  und  der  Preis  des  letzteren 
muß  also  hoch  genug  sein,  um  nicht  nur  die  zur  Vieh- 
zucht nötige  Arbeit,  sondern  auch  die  Rente,  welche 
der  Grundeigentümer,  und  den  Gewinn,  den  der  Pächter 
aus  solchem  Lande  zog,  so  lange  es  als  Ackerland  be- 
nutzt wurde,  zu  bezahlen.  Das  Vieh,  das  auf  völlig 
unbebautem  Haideland  aufwächst,  erzielt  auf  dem  Markte 
je  nach  dem  Gewicht  oder  der  Güte  denselben  Preis 
wie  das  auf  den  besten  Ländereien  aufgezogene.  Die 
Eigentümer  solcher  Haiden  gewinnen  dabei,  und  steigern 
die  Rente  ihres  Landes  nach  dem  Verhältnis  des  Vieh- 
preises. Noch  vor  einem  Jahrhundert  war  in  vielen 
Gegenden  der  schottischen  Hochlande  Fleisch  ebenso 
wohlfeil,  oder  noch  wohlfeiler,  als  Haferbrot.  Nachdem 
aber  die  Vereinigung  der  beiden  Königreiche  dem  Vieh 
des  Hochlandes  den  englischen  Markt  geöffnet  hat,  ist 
der  gewöhnliche  Preis  dreimal  so  hoch,  als  am  Anfang 
des  Jahrhunderts,  und  die  Renten  vieler  hochländischen 
Güter  haben  sich  in  derselben  Zeit  verdrei-  und  vervier- 
facht. Fast  durchweg  ist  heute  in  Großbritannien  ein 
Pfund  des  besten  Fleisches  mehr  wert,  als  zwei  Pfund 
des  besten  Weizenbrots;  und  in  Jahren  reicher  Ernten 
ist  es  mitunter  drei  oder  vier  Pfund  Weizenbrot  wert. 


Kap.  XI,I.:  Eodenerzeugnisse  mit  stetiger  Ixente.       209 

So  wird  bei  fortschreitender  Kultur  die  Rente  und 
der  Gewinn  unangebauten  "Weidelandes  in  einem  ge- 
wissen Grade  durch  die  ßente  und  den  Gewinn  des 
angebauten  Landes  und  diese  ihrerseits  werden  durch 
die  Rente  und  den  Gewinn  des  Getreides  bedingt.  Ge- 
treide erntet  man  Jahr  aus,  Jahr  ein,  Fleisch  hingegen 
braucht  vier  oder  fünf  Jahre,  um  zum  Verbrauch  des 
Menschen  reif  zu  werden.  Bringt  nun  ein  Morgen  viel 
weniger  von  dem  einen,  als  von  dem  andern  Nahrungs- 
mittel hervor,  so  muß  die  geringere  Menge  durch 
den  höheren  Preis  ausgeglichen  werden.  Würde  sie 
mehr  als  ausgeglichen,  so  würde  man  mehr  Getreide- 
land in  Weideplätze  verwandeln;  wäre  dies  nicht  der 
Fall,  so  würde  man  einen  Teil  der  Weideplätze  wieder 
zum  Getreidebau  verwenden. 

Man  muß  jedoch  festhalten,  daß  diese  Gleichheit 
zwischen  Rente  und  Gewinn  von  Gras,  d.  h.  von  einem 
Boden,  dessen  unmittelbares  Erzeugnis  Nahrung  für 
Vieh,  und  einem  andern,  dessen  unmittelbares  Er- 
zeugnis Nahrung  für  Menschen  ist,  nur  durchschnitt- 
lich vom  größten  Teil  des  kultivierten  Bodens  eines 
großen  Landes  gilt.  Gewisse  örtliche  Lagen  aber 
können  dies  ändern,  und  Rente  und  Gewinn  vom 
Grasland  sind  dort  weit  höher,  als  vom  Getreideland. 

So  bewirkt  oft  in  der  Nähe  einer  großen  Stadt 
die  Nachfrage  nach  Milch  und  Pferdefutter,  so  wie  der 
hohe  Preis  des  Fleisches  eine  Steigerung  des  Werts  von 
Grasland  über  sein  so  zu  sagen  natürliches  Verhältnis 
zum  Getreideland.  Dieser  örtliche  Vorteil  kann  jedoch 
offenbar  entfernteren  Ländereien  nicht  zu  Gute  kommen. 

Manche  Länder  sind  durch  besondere  Umstände  so 
volkreich  geworden,  daß  ihr  ganzes  Gebiet  in  ähnlicher 
Weise,  wie  die  Ländereien  in  der  Nähe  einer  großen 
Stadt,  unzureichend  geworden  ist,  um  das  für  den  Bedarf 
der  Einwohner  nötige  Getreide  und  das  Viehfutter  zu 

Adam  Smith,  VolkswoLüstand.  I.  ü 


210  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

liefern.  Ihr  Boden  wird  deshalb  hauptsächlich  zum 
Ziehen  von  Futterpflanzen  benutzt,  die  wegen  ihrer 
Massigkeit  nicht  so  leicht  aus  weiter  Ferne  herbeige- 
schafft werden  können,  wohingegen  das  Getreide,  das 
Nahrungsmittel  der  großen  Masse  des  Volks,  meist  aus 
fremden  Ländern  eingeführt  wird.  GegenAvärtig  befindet 
sich  Holland  in  dieser  Lage,  und  in  der  Blütezeit  der 
Römer  scheint  es  mit  einem  großen  Teil  des  alten  Italiens 
eben  so  gewesen  zu  sein.  Eine  gute  Viehzucht,  sagte 
nach  Ciceros  Bericht  der  ältere  Cato,  ist  das  erste  und 
gewinnreichste  in  der  Landwirtschaft,  leidliche  Vieh- 
zucht das  zweite,  und  schlechte  das  dritte.  Der  Feld- 
wirtschaft wies  er  erst  den  vierten  Platz  im  Gewinn  und 
Vorteil  an.  In  der  Tat  muß  die  Feldwirtschaft  in  der 
Umgegend  Roms  durch  die  häufigen  Verteilungen  von 
Getreide  an  das  Volk,  entweder  umsonst  oder  zu  sehr 
niedrigem  Preise,  damals  außerordentlich  entmutigt 
worden  sein.  Dies  Getreide  wurde  aus  den  eroberten 
Provinzen  gebracht,  von  denen  manche  dem  Staate  an 
Stelle  von  Steuern  den  zehnten  Teil  ihrer  Bodenerzeug 
nisse  zu  einem  festgesetzten  Preis,  etwa  sechs  Pence  für 
das  Peck,  liefern  mußten.  Der  niedrige  Preis,  zu  dem 
dies  Getreide  an  das  Volk  verteilt  wurde,  mußte  not- 
wendig den  Preis  des  aus  Latium,  dem  alten  Gebiete 
Roms,  zu  Markt  kommenden,  drücken  und  vom  Ge- 
treidebau abschrecken. 

In  einer  waldlosen  Gegend,  deren  Haupterzeugnis 
Getreide  ist,  wird  ebenfalls  ein  wohl  gehegtes  Weideland 
oft  besser  rentieren,  als  ein  benachbartes  Getreidefeld. 
Es  dient  zum  Unterhalt  des  für  den  Ackerbau  nötigen 
Viehs,  und  seine  Rente  wird  in  diesem  Falle  nicht  so- 
wohl von  dem  AVerte  seines  eignen  Erzeugnisses,  als 
von  dem  des  Getreidelandes  gezahlt,  das  als  "Weide 
dient.  Die  Rente  würde  wahrscheinlich  sinken,  wenn 
die  benachbarten  Ländereien  alle  zu  Weide  gemacht 
würden.     Die    gegenwärtige    hohe   Rente    eingehegter 


Kap.  XlJ.:  Bodenerzeiignisse  mit  stetiger  Rente.       211 

Weiden  in  Schottland  scheint  von  ihrer  Seltenheit 
herzurühren,  und  wird  wahrscheinlich  nur  so  lange 
dauern,  wie  diese  Seltenheit.  Der  Vorteil  des  Einhegens 
ist  für  die  Weide  größer,  als  für  das  Getreide,  da 
hierdurch  die  Arbeit  des  Hüters  erspart  wird,  und 
das  Yieh  auch  viel  besser  gedeiht,  wenn  es  nicht  von 
dem  Hirten  und  seinem  Hunde  beunruhigt  wird. 

Wo  sich  aber  kein  ähnlicher  örtlicher  Vorteil  findet, 
muß  natürlich  die  ßente  und  der  Gewinn,  die  das  Ge- 
treide, oder  was  sonst  die  gewöhnliche  Pflanzennahrung 
des  Volkes  bildet,  auf  den  dazu  geeigneten  Ackern  er- 
giebt,  die  Rente  und  den  Gewinn  der  Weiden  bestimmen. 

Es  wäre  zu  erwarten,  daß  die  Einführung  der  künst- 
lichen Futterkräuter,  der  Rüben,  der  Möhren,  des  Kohls 
und  anderer  Auskunftsmittel,  auf  die  man  gekommen 
ist,  um  auf  einem  gleich  großen  Stück  Land  eine 
größere  Anzahl  Vieh  zu  ziehen,  als  es  mit  dem  wild- 
wachsenden Gras  tunlich  ist,  den  höheren  Preis  des 
Fleisches  gegen  das  Brot  etwas  ermäßigte.  In  der 
Tat  scheint  es  auch  so  zu  sein,  und  man  hat  einigen 
Grund  zu  glauben,  daß  wenigstens  auf  dem  Londoner 
Markte  der  Preis  des  Fleisches  im  Verhältnis  zu  dem 
des  Brotes  in  neuerer  Zeit  viel  niedriger  ist,  als  er 
es  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  war. 

In  dem  Anhange  zum  Leben  des  Prinzen  Heinrich 
hat  uns  Doktor  Birch  ein  Verzeichnis  der  im  Haushalt 
dieses  Prinzen  gewöhnlich  gezahlten  Fleischpreise  ge- 
geben. Es  heißt  dort,  daß  die  vier  Viertel  eines  Ochsen 
von  600  Pfd.  ihn  gewöhnlich  ungefähr  £  9.  10  sh. 
gekostet  haben;  das  macht  31  sh.  8  d.  für  100  Pfund. 
Prinz  Heinrich  starb  am  6.  November  1612,  in  seinem 
neunzehnten  Jahre. 

Im  März  1764  wurde  vom  Parlament  eine  Unter- 
suchung über  die  Ursachen  der  dermaligen  hohen  Le- 
bensmittelpreise   angeordnet.      Unter    anderem    wurde 


212  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

von  einem  Rheder  festgestellt,  daß  er  im  März  1763 
für  die  Verproviantierung  seiner  Schiffe  Rindfleisch  mit 
24  oder  25  Schilling  für  100  Pfund  bezahlt  habe,  was 
seiner  Ansicht  nach  der  gewöhnliche  Preis  war,  wäh- 
rend er  in  diesem  teuren  Jahre  27  sh.  habe  zahlen 
müssen.  Gleichwohl  ist  dieser  hohe  Preis  des  Jahres 
1764  um  4  sh.  8  d.  wohlfeiler,  als  der  vom  Prinzen 
Heinrich  gezahlte  gewöhnliche  Preis,  und  nur  das 
beste  Rindfleisch  eignet  sich  zum  Einsalzen  für  weite 
Reisen. 

Der  vom  Prinzen  Heinrich  bezahlte  Preis  beträgt 
3^/5  Pence  auf  das  Pfund  vom  ganzen  Ochsen,  gute 
und  schlechte  Stücke  zusammen;  folglich  konnten  nach 
diesem  Satze  ausgesuchte  Stücke  im  Detailverkauf 
nicht  unter  4V2 — 5  d.    das  Pfund   abgelassen  werden. 

Bei  der  erwähnten  Enquete  von  1764  gaben  die 
•Zeugen  an,  daß  ausgesuchte  Stücke  vom  besten  Rind- 
fleisch den  Verbraucher  auf  4  und  4^-2  d.  das  Pfund 
und  ordinäre  Stücke  im  Allgemeinen  auf  7  Farthing 
(1-^/4  d.)  bis  zu  2V2  und  2^/4  d.  zu  stehen  kommen; 
ein  Preis,  der  nach  ihrer  Aussage  im  Ganzen  um 
einen  halben  Penny  höher  ist,  als  der,  für  den  die- 
selben Stücke  im  März  verkauft  zu  werden  pflegten. 
Dennoch  ist  auch  dieser  hohe  Preis  noch  viel  wohl- 
feiler, als  der  gewöhnliche  Detailpreis  zur  Zeit  des 
Prinzen  Heinrich  sein  mußte. 

Während  der  ersten  zwölf  Jahre  des  vorigen  Jahr- 
hunderts war  der  Durchschnittspreis  des  besten  Wei- 
zens auf  dem  Markte  zu  Windsor  £  1.  18  sh.  3^G  d. 
der  Quarter  ä  neun  Winchester  Busheis. 

Dagegen  war  in  den  zwölf  Jahren  vor  1764, 
letzteres  Jahr  mit  inbegriffen,  der  Durchschnittspreis 
derselben  Quantität  Weizens  auf  dem  nämlichen  Markte 
£  2.   1  sh.  9V2  d. 

Hieraus  geht  hervor,  daß  in  den  zwölf  ersten  Jahren 


Kap.  XI,I.:  Bodenerzeugnisse  mit  stetiger  Rente.       213 

des  vorigen  Jahrhunderts  der  Weizen  viel  wohlfeiler 
und  das  Fleisch  viel  teurer  war,  als  in  den  zwölf 
Jahren  vor  1764,   mit  Einschluß  des  letzteren  Jahres. 

In  allen  großen  Ländern  wird  der  größte  Teil  des 
angebauten  Bodens  zur  Erzeugung  von  Nahrung  für 
Menschen  oder  Vieh  verwendet.  Rente  und  Gewinn 
dieses  Teiles  regeln  die  Rente  und  den  Gewinn  alles 
anderen  angebauten  Landes.  Bringt  irgend  ein  Produkt 
weniger  ein,  so  wird  man  den  Boden  bald  in  Korn- 
feld oder  Weide  verwandeln;  bringt  es  mehr  ein,  so 
wird  man  einen  Teil  des  Getreide-  und  Weidelandes 
auf  das  entsprechende  Produkt  verwenden. 

Produkte,  die  entweder  größere  Ausgaben  beim 
ersten  Anbau,  oder  einen  größeren  jährlichen  Zuschuß 
für  ihre  weitere  Kultur  erfordern,  scheinen  zwar  ge- 
wöhnlich eine  größere  Rente  oder  aber  einen  größeren 
Gewinn  abzuwerfen,  als  Getreide  oder  Futterkräuter; 
selten  aber  wird  dieser  Mehrertrag  einen  billigen  Zins 
oder  Ersatz  für  die  Mehrkosten  übersteigen. 

Bei  einem  Hopfen-,  Obst-  oder  Gemüsegarten  pflegt 
die  Rente  des  Grundeigentümers  und  der  Gewinn  des 
Pächters  höher  zu  sein,  als  bei  einem  Getreidefeld  oder 
Weideland.  Aber  es  erfordert  auch  mehr  Kosten,  den 
Boden  dazu  herzurichten,  und  muß  deshalb  dem  Grund- 
eigentümer eine  höhere  Rente  bringen.  Andererseits 
erfordert  solches  Land  eine  aufmerksamere  und  ge- 
schicktere Behandlung:  deshalb  gebührt  dem  Pächter 
ein  größerer  Gewinn.  Auch  ist  die  Ernte,  wenigstens 
der  Hopfen-  und  Obstgärten,  ungewisser,  und  der  Preis 
muß  deshalb  außer  dem  Ersatz  gelegentlicher  Verluste 
auch  noch  eine  Art  Versicherungsprämie  liefern.  Die 
in  der  Regel  ärmlichen,  immer  aber  nur  mäßigen  Ver- 
mögensumstände der  Gärtner,  beweisen  hinlänglich, 
daß  ihre  große  Geschicklichkeit  in  der  Regel  nicht  zu 
gut  belohnt  wird.  Ihre  angenehme  Kunst  wird  von  so 


214;  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

vielen  reichen  Leuten  zum  Zeitvertreib  ausgeübt,  daß 
die,  welche  davon  leben  wollen,  nur  wenig  Vorteil 
daraus  ziehen  können,  weil  die  Leute,  die  eigentlich 
ihre  besten  Kunden  sein  sollten,  sich  mit  ihren  kost- 
barsten Produkten  selber  versorgen. 

Der  Vorteil,  den  der  Grundeigentümer  aus  solchen 
Anlagen  zieht,  scheint  zu  keiner  Zeit  größer  gewesen 
zu  sein,  als  zum  Ersatz  der  ursprünglichen  Bestellungs- 
kosten hinreichend  war.  In  der  Landwirtschaft  des 
Altertums  scheint  nächst  dem  Weinberge  ein  gutbe- 
wässerter Gemüsegarten  derjenige  Teil  des  Gutes  ge- 
wesen zu  sein,  den  man  für  den  einträglichsten  hielt. 
Doch  meinte  Demokrit,  der  ungefähr  vor  zweitausend 
Jahren  über  Landwirtschaft  geschrieben  hat,  und  bei 
den  Alten  als  einer  der  Väter  dieser  Kunst  galt,  es 
sei  nicht  vorteilhaft,  einen  Gemüsegarten  einzuhegen. 
Sein  Gewinn,  sagte  er,  ersetze  die  Kosten  einer  Stein- 
mauer nicht  und  Ziegel  —  er  verstand  darunter,  wie 
ich  glaube,  an  der  Sonne  gebackene  Ziegel  —  ver- 
witterten durch  Regen  und  rauhe  Winde  und  bedürften 
beständiger  Ausbesserung.  Columella,  der  dies  Urteil 
Demokrits  mitteilt,  widerspricht  ihm  nicht,  sondern  rät 
nur  zu  einer  sehr  wohlfeilen  Einhegungsart,  nämlich 
einem  Zaune  aus  Brombeersträuchern  und  Dornen,  der, 
wie  er  aus  eigener  Erfahrung  wisse,  sehr  haltbar  und 
undurchdringlich  sei,  zur  Zeit  Demokrits  aber  wenig- 
bekannt  gewesen  zu  sein  scheint.  Palladius  tritt  der 
Meinung  Columellas,  die  auch  Varro  bestätigt  hatte, 
bei.  Nach  dem  Urteil  dieser  alten  Schriftsteller  war, 
wie  es  scheint,  der  Ertrag  eines  Gemüsegarten  kaum 
mehr  als  hinreichend,  um  die  ungemeine  Pflege  und 
die  Kosten  der  Bewässerung  bezahlt  zu  machen;  denn 
damals,  wie  noch  heute,  erachtete  man  es  in  so  heißen 
Ländern  für  notwendig,  ein  fließendes  Wasser  zu 
haben,  das  auf  jedes  Gartenbeet  geleitet  werden  konnte. 


Kap.  XI,I.:  Bodenerzeugnis.se  mit  stetiger  Rente.      215 

Auch  jetzt  noch  hält  man  im  größten  Teil  Europas 
einen  Gremüsegarten  nicht  für  einträglich  genug,  um 
einen  besseren  Zaun,  als  den  von  Columella  empfoh- 
lenen, zu  verdienen.  In  Großbritannien  und  mehreren 
anderen  nördlichen  Ländern  können  die  feineren  Früchte 
nur  unter  dem  Schutze  einer  Mauer  zur  Reife  gebracht 
werden.  In  solchen  Ländern  muß  daher  der  Preis  des 
Obstes  hoch  genug  sein,  um  die  Kosten  des  Baues  und 
Unterhalts  der  unentbehrlichen  Einfriedigung  zu  be- 
streiten. Die  Mauer  des  Obstgartens  schließt  oft  auch 
den  Gemüsegarten  ein,  dem  dadurch  der  Vorteil  einer 
Einhegung  zu  teil  wird,  die  aus  seinem  Ertrage  nicht 
hätte  bezahlt  werden  können. 

Daß  ein  gut  gehaltener  und  zur  Vollkommenheit 
gebrachter  Weinberg  der  wertvollste  Teil  eines  Gutes 
sei,  scheint  in  der  Landwirtschaft  der  Alten  ein  unbe- 
zweifelter  Grundsatz  gewesen  zu  sein,  wie  er  es  heute 
noch  in  allen  AVeinländern  ist.  Ob  es  aber  vorteilhaft 
sei,  einen  neuen  "Weinberg  anzulegen,  war,  wie  man 
aus  Columella  ersieht,  unter  den  alten  italienischen 
Landwirten  eine  Streitfrage.  Er  selbst  entscheidet  sich 
als  ein  wahrer  Liebhaber  aller  sorgfältigen  Kultur  zu 
gunsten  des  Weinbergs  und  sucht  durch  einen  Vor- 
gleich des  Gewinnes  mit  den  Kosten  zu  beweisen, 
daß  der  Weinbau  eine  sehr  vorteilhafte  Kultur  sei. 
Vergleiche  zwischen  Gewinn  und  Kosten  sind  jedoch 
bei  neuen  Produkten  in  der  Regel  höchst  trügerisch, 
am  allermeisten  aber  in  der  Landwirtschaft.  Wäre 
der  aus  solchen  Pflanzungen  sich  ergebende  Gewinn 
in  der  Regel  so  groß  gewesen,  wie  Columella  an- 
nahm, so  hätte  kein  Streit  darüber  bestehen  können. 
Der  nämliche  Punkt  ist  auch  heute  noch  in  Wein- 
ländern oft  streitig.  Die  dortigen  Schriftsteller  über 
Landwirtschaft  scheinen  wie  Columella,  als  Freunde 
und  Beförderer  einer  hohen  Kultur,  allerdings  im  All- 
gemeinen geneigt  sich  zu  Gunsten  des  Weinbaues  zu 


216  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

erklären.  Auch  scheint  in  Frankreich  der  Eifer,  mit 
dem  die  Eigentümer  alter  Weinberge  die  Anlagen 
neuer  zu  hintertreiben  suchen,  für  ihre  Meinung  zu 
sprechen  und  darauf  hinzudeuten,  daß  diejenigen,  bei 
denen  die  nötige  Erfahrung  vorausgesetzt  werden  kann, 
diesen  Kulturzvveig  vorläufig  für  vorteilhafter  halten 
als  jeden  andern  im  Lande.  Es  scheint  jedoch  gleich- 
zeitig auch  darauf  hinzudeuten,  daß  der  höhere  Ge- 
winn nicht  länger  dauern  kann,  als  die  Gesetze,  welche 
gegenwärtig  den  freien  Anbau  dos  Weins  einschränken. 
Im  Jahre  1731  wurde  ein  Ministerialbefehl  erwirkt, 
der  sowohl  die  Anlegung  neuer  Weinberge,  als  auch 
die  Wiederherstellung  derer,  deren  Bebauung  zwei 
Jahre  lang  unterblieben  war,  verbot,  es  sei  denn,  daß, 
auf  Bericht  des  Intendanten  der  Provinz,  daß  das 
Land  untersucht  und  zu  jeder  anderen  Kultur  un- 
tauglich befunden  sei,  der  König  eine  ausdrückliche 
Erlaubnis  hierzu  gebe.  Den  Vorwand  zu  diesem  Erlaß 
gab  der  Mangel  an  Getreide  und  Viehfutter  und  der 
Überfluß  an  Wein.  Wäre  dieser  Überfluß  aber  wirk- 
lich festgestellt  worden,  so  würde  er  auch  ohne  einen 
Ministerialerlaß  die  Anlegung  neuer  Weinberge  da- 
durch verhindert  haben,  daß  er  den  Gewinn  dieses 
Kulturzweiges  unter  sein  natürliches  Verhältnis  zu  dem 
Gewinn  vom  Getreide  und  Viehfutter  heruntergebracht 
hätte.  Was  den  Kornmangel  betrifft,  der  durch  die 
Vermehrung  der  Weinberge  angeblich  verursacht  sein 
soll,  so  wird  in  ganz  Frankreich  nirgends  so  sorgfältig 
Getreide  gebaut,  wie  gerade,  so  weit  der  Boden  sich 
dazu  eignet,  in  den  Weinprovinzen,  wie  in  Burgund, 
Guienne  und  Ober-Languedoc.  Die  vielen  Arbeiter, 
die  in  dem  einen  Kulturzweige  gebraucht  werden,  mun- 
tern notwendig  zu  dem  andern  auf,  indem  sie  für  die 
Produkte  des  letzteren  einen  nahen  Markt  schaffen.  Die 
Zahl  der  zahlungsfähigen  Verbraucher  zu  verringern, 
ist  gewiß  ein  höchst  ungeeignetes  Mittel,  den  Getreide-, 


Kap.  XI, I.:   Bodenerzeugnis.se  mit  .stetiger  Rente.       217 

bau  zu  fördern.  Es  ist  das  eine  ähnliche  Wirtschafts- 
politik, wie  die,  welche  den  Landbau  dadurch  fördern 
will,  daß  sie  die  Industrie  schwächt. 

Rente  und  Gewinn  von  den  Erzeugnissen,  die  ent- 
weder größere  anfängliche  Kosten  zur  Herrichtung  des 
Landes,  oder  größere  jährliche  Kosten  erfordern,  sind 
also  zwar  oft  weit  höher,  als  die  von  Getreide  und 
Weideland,  werden  aber,  wenn  sie  nur  diese  au  Bei  - 
gewöhnlichen Kosten  wieder  erstatten,  in  Wahrheit 
durch  die  Rente  und  den  Gewinn  dieser  gewöhnlichen 
Ernten  bestimmt. 

Allerdings  kommt  es  zuweilen  vor,  daß  das  Stück 
Landes,  welches  für  ein  bestimmtes  Produkt  eingerichtet 
werden  kann,  zu  klein  ist,  um  die  wirksame  Nachfrage 
zu  befriedigen.  Der  gesamte  Ertrag  kann  an  solche 
Abnehmer  verkauft  werden,  die  etwas  mehr  zu  geben 
bereit  sind,  als  die  Bezahlung  der  Rente,  des  Gewinns 
und  Lohns  nach  ihren  natürlichen  oder  in  den  meisten 
Teilen  des  übrigen  kultivierten  Landes  bewilligten  Sätzen 
zusammen  erfordert.  Der  Rest  des  Preises,  der  nach 
Bezahlung  der  gesamten  Anlage-  und  Kulturkosten 
übrig  bleibt,  mag  in  diesem  Falle,  aber  auch  nur  in 
diesem,  gewöhnlich  in  keinem  regelmäßigen  Verhältnis 
zu  dem  gleichen  Überschuß  von  Getr-eide  und  Vieh- 
futter stehen,  sondern  es  in  beliebigem  Maße  über- 
schreiten, und  das  Meiste  von  diesem  Überschuß 
kommt  dem  Grundeigentümer  als  Rente  zu  gute. 

Das  gewöhnliche  und  natürliche  Verhältnis,  z.  B. 
zwischen  der  Rente  und  dem  Gewinn  des  Weins  und 
denen  des  Getreides  und  Futters,  kann  man  nur  bei 
denjenigen  Weinbergen  anzutreffen  erwarten,  die  bloß 
die  gewöhnlichen  guten  Weine  hervorbringen,  d.  h. 
solche,  die  fast  überall  auf  jedem  leichten  Kies-  oder 
Sandboden  wachsen  und  sich  nur  durch  ihre  Stärke 
und  Zuträglichkeit  empfehlen.  Nur  mit  solchen  AVein- 
bergen   kann   der  gewöhnliche   Boden    des   Landes  in 


218  Eryte«  Buch:  Zunahme  in  der  Ertrag.skraft  der  Arbeit. 

Wettbewerb  treten;  daß  er  es  mit  denen  von  ausge- 
zeichneter Qualität  nicht  kann,  ist  von  selbst  klar. 

Der  Wein  wird  durch  die  Verschiedenheit  des  Bodens 
mehr  beeinflußt,  als  jede  andere  Frucht.  Mancher  Boden 
erteilt  ihm  eine  Blume,  die,  wie  man  annimmt,  weder 
Kultur  noch  Behandlung  ihm  auf  einem  anderen  Boden 
geben  kann.  Diese  wirkliche  oder  eingebildete  Blume 
ist  zuweilen  dem  Produkte  einiger  weniger  Weinberge 
eigen,  bald  erstreckt  sie  sich  über  die  meisten  Wein- 
berge eines  kleinen  Gebiets,  bald  endlich  über  einen 
beträchtlichen  Teil  einer  großen  Provinz.  Die  ganze 
auf  den  Markt  gebrachte  Quantität  solcher  Weine  bleibt 
hinter  der  wirksamen  Nachfrage  d.  h.  der  Nachfrage 
derer,  die  Rente,  Gewinn  und  Lohn  nach  den  üblichen 
oder  für  gewöhnliche  Weinberge  geltenden  Sätzen  voll- 
auf zu  bezahlen  bereit  sind,  zurück.  Die  ganze  Quan- 
tität kann  mithin  an  Leute  verkauft  werden,  die  mehr 
zu  zahlen  bereit  sind,  und  hierdurch  steigt  der  Preis 
notwendig  über  den  des  gewöhnlichen  Weins.  Die 
Differenz  ist  größer  oder  kleiner,  je  nachdem  die  Mode 
und  der  geringe  Vorrat  den  Wettbewerb  der  Käufer 
mehr  oder  weniger  anfeuert.  Stets  aber  fällt  das  meiste 
davon  der  Rente  des  Grundeigentümers  zu.  Denn  ob- 
schon  solche  Weinberge  gewöhnlich  sorgfältiger  bestellt 
werden,  als  die  meisten  übrigen,  so  scheint  doch  der 
hohe  Preis  des  Weines  nicht  sowohl  eine  Wirkung,  als 
die  Ursache  dieser  sorgfältigen  Kultur  zu  sein.  Bei 
einem  so  wertvollen  Produkte  ist  ein  durch  Nachlässig- 
keit herbeigeführter  Verlust  groß  genug,  um  auch  den 
Fahrlässigsten  zur  Aufmerksamkeit  zu  nötigen.  Dem- 
nach ist  ein  kleiner  Teil  des  hohen  Preises  hinreichend, 
den  Lohn  für  die  ungewöhnlich  große  Arbeit  und  den 
Gewinn  für  das  mehr  als  gewöhnlicheKapital  zu  erstatten. 

Die  Zuckerpflanzungen,  die  die  europäischen  Na- 
tionen in  Westindien  besitzen,  lassen  sich  mit  diesen 
edeln  Weinbergen  vergleichen.  Ihr  gesamtes  Erträgnis 


Kap.  XI,I.:  Bodenerzeugnis.se  mit  stetiger  Rente.       219 

bleibt  hinter  der  wirksamen  Nachfrage  von  Seiten  Eu- 
ropas zurück  und  läßt  sich  an  Abnehmer  verkaufen, 
die  mehr  zu  geben  bereit  sind,  als  zur  Deckung  der 
Rente,  des  Gewinnes  und  Lohnes  nach  den  Sätzen  hin- 
reicht, zu  welchen  sie  durch  andere  Produkte  bezahlt 
zu  werden  pflegen.  In  Cochinchina  pflegt  nach  der  An- 
gabe Poivres'''),  eines  sehr  sorgfältigen  Beobachters  der 
Landwirtschaft  dieses  Landes,  der  Zentner  vom  feinsten 
weißen  Zucker  für  drei  Piaster,  also  etwa  18  sh.  6  d. 
unseres  Geldes,  verkauft  zu  werden.  Der  dortige 
Zentner  wiegt  zwischen  150 — 200,  oder  in  einer  Durch- 
schnittszahl 175  pariser  Pfund,  was  den  Preis  eines 
englischen  Zentners  von  hundert  Pfund  auf  etwa  8  sh. 
stellt,  also  nicht  den  vierten  Teil  dessen,  was  gewöhn- 
lich für  den  aus  unseren  Kolonien  eingeführten  braunen 
Zucker  (Muskovade)  gezahlt  wird,  und  nicht  den 
sechsten  Teil  dessen,  was  der  feinste  weiße  Zucker 
kostet.  Auf  dem  größten  Teil  des  kultivierten  Landes 
in  Cochinchina  werden  Getreide  und  Reis,  die  Nah- 
rungsmittel der  Volksmassen,  gebaut.  Die  Preise  des 
Getreides,  Reises  und  Zuckers  stehen  dort  wahrschein- 
lich in  ihrem  natürlichen  Verhältnis  zu  einander,  d.  h. 
in  demjenigen,  welches  naturgemäß  zwischen  den  ver- 
schiedenen Erzeugnissen  des  meisten  kultivierten  Landes 
platzgreift  und  sowohl  den  Grundeigentümer  wie  den 
Pächter  für  die  anfänglichen  Kosten  der  Anlage  und 
die  jährlichen  Kosten  der  Bebauung  ungefähr  ent- 
schädigt. Dagegen  steht  der  Preis  des  Zuckers  in 
unseren  Zuckerpflanzungen  zu  dem  des  Reises  und 
Getreides  in  Europa  und  Amerika  in  keinem  solchen 
Verhältnis.  Man  sagt,  daß  nach  den  Erwartungen  der 
Zuckerpflanzer  Rum  und  Syrup  alle  Kosten  der  Pflan- 
zung decken  müssen,  der  Zucker  selbst  aber  als  reiner 
Gewinn  übrig  bleibt.  Wenn  dies  wahr  ist,  was  ich  dahin 

*)  Voyage  dim  philosophe. 


220  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

gestellt  sein  lasse,  so  wäre  es  ungefähr  dasselbe,  als 
wenn  ein  Getreidepächter  für  alle  seine  Kosten  durch 
Streu  und  Stroh  entschädigt  zu  werden  erwartete,  um 
das  Korn  als  reinen  Gewinn  übrig  zu  behalten.  In 
London  und  anderen  Handelsstädten  sieht  man  oft 
Handelsgesellschaften  wüste  Ländereien  in  unseren 
Zuckerkolonien  kaufen,  um  sie  durch  Faktoren  und 
Verwalter  mit  Gewinn  anbauen  und  kultivieren  zu 
lassen,  trotz  der  weiten  Entfernung  und  trotzdem,  daß 
bei  der  mangelhaften  Rechtspflege  in  jenen  Ländern 
die  Wiedererstattung  des  Kapitals  höchst  unsicher  ist. 
Niemandem  fällt  es  dagegen  ein,  selbst  die  fruchtbarsten 
Ländereien  Schottlands  und  Irlands,  oder  die  Korn- 
provinzen Nordamerikas  durch  Agenten  und  Verwalter 
bewirtschaften  zu  lassen,  obwohl  sich  wegen  der  ge- 
ordneteren Rechtspflege  dieser  Länder  von  dorther  eine 
regelmäßigere  Wiedererstattung  erwarten  läßt. 

In  Virginien  und  Mar3'land  wird  der  Tabaksbau 
dem  Getreidebau  als  einträglicher  vorgezogen.  Der 
Tabak  könnte  in  den  meisten  europäischen  Ländern 
mit  Vorteil  gebaut  werden,  ist  aber  fast  überall  eines 
der  hauptsächlichsten  Steuerobjekte  geworden,  und  man 
denkt,  es  werde  schwieriger  sein,  die  Steuer  von  jedem 
einzelnen  Gute,  auf  dem  diese  Pflanze  gezogen  würde, 
einzutreiben,  als  sie  am  Zollhause  bei  der  Einfuhr  zu 
erheben.  Aus  diesem  Grunde  verbot  man  törichter 
Weise  den  Tabaksbau  in  den  meisten  europäischen 
Ländern,  und  verschaffte  dadurch  notwendig  den  Län- 
dern, in  denen  er  erlaubt  ist,  eine  Art  Monopol;  und 
da  Virginien  und  Maryland  die  größte  Menge  Tabak 
hervorbringen,  so  haben  sie,  obgleich  nicht  ganz  ohne 
Konkurrenten,  reiche  Vorteile  von  diesem  Monopol. 
Indeß  scheint  der  Tabaksbau  doch  nicht  so  vorteilhaft 
zu  sein,  als  der  Bau  des  Zuckers.  Ich  habe  nie  von 
einer  Tabakspflanzung  gehört,  die  durch  das  Kapital 
in  Großbritannien  wohnender  Kaufleute  angelegt  und 


Kap.  XI,I.:  ßodenerzeug-nisse  mit  stetiger  Rente.       221 

kultiviert  wäre,  und  unsere  Tabakskolonien  schicken  uns 
keine  so  reich  gewordenen  Pflanzer  nach  Hause,  wie  wir 
sie  oft  aus  unseren  Zuckerinseln  anlangen  sehen.  Obwohl 
nach  dem  Vorzug,  den  man  in  jenen  Kolonien  dem 
Tabaksbau  vor  dem  Getreidebau  gibt,  geschlossen  wer- 
den zu  müssen  scheint,  daß  die  wirksame  europäische 
Nachfrage  nach  Tabak  nicht  vollständig  befriedigt  wird, 
so  ist  es  doch  wahrscheinlich  mehr  der  Fall,  als  beim 
Zucker;  und  obwohl  der  jetzige  Preis  des  Tabaks  wahr- 
scheinlich mehr  als  hinreichend  ist,  Rente,  Lohn  und 
Gewinn  nach  den  Sätzen,  die  in  Getreideländern  bezahlt 
zu  werden  pflegen,  zu  decken,  so  kann  er  doch  nicht 
um  so  Vieles  hoher  sein,  als  es  der  gegenwärtige  Preis 
des  Zuckers  ist.  Darum  haben  auch  unsere  Tabaks- 
pflanzer dieselbe  Furcht  vor  einem  Überfluß  an  Tabak 
an  den  Tag  gelegt,  wie  die  Eigentümer  alter  Weinberge 
in  Frankreich  vor  einem  Überfluß  an  Wem.  Durch  ge- 
setzliche Akte  schränken  sie  den  Tabaksbau  auf  sechs- 
tausend Pflanzen  (die  etwa  tausend  Pfund  Tabak  lie- 
fern) für  jeden  Neger  zwischen  sechzehn  und  sechzig 
Jahren  ein.  Ein  Neger  kann,  wie  man  rechnet,  außer 
dieser  Menge  Tabak  noch  vier  Acres  Mais  besorgen. 
Um  den  Markt  vor  Überführung  zu  bewahren,  soll 
man,  wie  Dr.  Douglas*)  —  wohl  nach  unzuverlässigen 
Quellen  —  berichtet,  zuweilen  in  ertragreichen  Jahren 
eine  bestimmte  Menge  Tabak,  im  Verhältnis  zur  Zahl 
der  Neger,  verbrannt  haben,  wie  es  auch  die  Holländer 
angeblich  mit  ihren  Gewürzen  machen.  Wenn  ein  so 
gewaltsames  Verfahren  nötig  ist,  um  den  gegenwär- 
tigen Preis  des  Tabaks  aufrecht  zu  erhalten,  so  wird 
der  etwaige  größere  Vorteil,  den  der  Tabaksbau  vor 
dem  Getreidebau  voraus  hat,  wahrlich  nicht  mehr  von 
langer  Dauer  sein. 

Auf  diese  Weise  also  bestimmt  die  Rente  des  mit 
menschlichen  Nahrungsmitteln  angebauten  Landes,  die 

*)  Douglas,  Summary.  Vol.  II,  i).  372,  373. 


222  Erstes  Buch:  Zuiialime  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Rente  des  meisten  übrigen  angebauten  Landes.  Sein 
Produkt  kann  lange  Zeit  hindurch  weniger  abwerfen, 
weil  sonst  der  Boden  sogleich  zu  einem  anderen  Ge- 
brauche eingerichtet  würde;  wenn  aber  ein  Produkt 
für  gewöhnlich  mehr  abwirft,  so  hat  das  seinen  Grund 
darin,  daß  die  Menge  Landes,  welches  dazu  gebraucht 
werden  kann,  zu  klein  ist,  um  die  wirksame  Nachfrage 
zu  befriedigen. 

In  Europa  ist  das  Getreide  das  hauptsächlichste 
unmittelbar  zur  Nahrung  der  Menschen  dienende  Er- 
zeugnis des  Bodens.  Daher  bestimmt  hier  auch  mit 
Ausnahme  weniger  Fälle  die  Rente  des  Getreidelandes 
die  alles  anderen  angebauten  Landes.  Britannien  braucht 
weder  Frankreich  um  seine  Weinberge,  noch  Italien  um 
seine  Olivenhaine  zu  beneiden.  Mit  wenigen  Ausnahmen 
wird  ihr  Wert  durch  den  des  Getreides  bestimmt,  und 
in  diesem  steht  Britannien  keinem  der  beiden  Länder 
an  Fruchtbarkeit  viel  nach. 

Wenn  in  irgend  einem  Lande  das  allgemeinste  und 
beliebteste  pflanzliche  Nahrungsmittel  des  Volkes  in 
einer  Pflanze  bestände,  von  der  der  gewöhnlichste  Bo- 
den bei  gleicher  oder  fast  gleicher  Kultur  eine  weit 
größere  Menge  hervorbrächte,  als  der  fruchtbarste  Ge- 
treideboden, so  würde  die  Rente  des  Grundeigentümers 
oder  der  Überschuß,  der  ihm  nach  Bezahlung  der  Ar- 
beit und  Wiedererstattung  des  Kapitals  samt  üblichem 
Gewinn  übrig  bliebe,  notwendig  viel  größer  sein.  Wie 
hoch  auch  der  gewöhnliche  Unterhalt  der  Arbeiter  in 
diesem  Lande  zu  stehen  käme,  so  könnte  doch  jener 
Überschuß  stets  eine  größere  Zahl  von  ihnen  unter- 
halten und  folglich  den  Grundeigentümer  instand  setzen, 
über  die  größere  Anzahl  zu  verfügen.  Der  wahre  Wert 
seiner  Rente,  seine  wahre  Macht  und  Autorität,  seine 
Verfügungskraft  über  die  Bedürfnisse  und  Genußmittel 
des  Lebens,  die  er  durch  anderer  Arbeit  erlangen 
könnte,  würde  notwendig  viel  größer  sein. 


Kap.  Xr,T.:   Bodenerzeugnisse  mit  stetiger  Kente.       223 

Ein  Reisfeld  bringt  eine  weit  größere  Menge  Nah- 
rung hervor,  als  das  fruchtbarste  Kornfeld.  Zwei  Ernten 
des  Jahres,  von  dreißig  bis  sechzig  Bushel  jede,  sollen 
der  gewöhnliche  Ertrag  eines  Acre  sein.  Obgleich  nun 
der  Reisbau  mehr  Arbeit  erfordert,  so  bleibt  doch 
nach  Abzug  des  Unterhalts  aller  Arbeiter  ein  weit 
größerer  Überschuß  zurück.  Daher  muß  in  den  Reis- 
ländern, wo  der  Reis  die  allgemein  beliebte  pflanzliche 
Nahrung  des  Volkes  ist,  und  wo  die  Landarbeiter  selbst 
fast  ihren  ganzen  Unterhalt  damit  bestreiten,  von  diesem 
größeren  Überschuß  auch  dem  Grundeigentümer  ein 
größerer  Anteil  zu  gute  kommen,  als  in  den  Getreide- 
ländern. In  Carolina,  wo  die  Pflanzer,  wie  in  anderen 
britischen  Kolonien,  zugleich  Pächter  und  Grundeigen- 
tümer sind,  und  wo  deshalb  die  Rente  mit  dem  Ge- 
winn zusammenfällt,  findet  man  den  Reisbau  einträg- 
licher, als  den  Getreidebau,  obgleich  die  Felder  nur 
eine  Ernte  im  Jahre  geben,  und  der  Reis  wegen  der 
vorherrschenden  europäischen  Lebensart  nicht  das  all- 
gemein beliebte  Nahrungsmittel  des  Volkes  ist. 

Ein  gutes  Reisfeld  bildet  das  ganze  Jahr  hindurch 
einen  Sumpf,  und  in  einer  Jahreszeit  einen  mit  Wasser 
bedeckten  Sumpf.  Es  eignet  sich  weder  für  Getreide- 
noch  für  Futterbau  noch  für  Weinbau,  oder  überhaupt 
für  irgend  eine  Nutzpflanze;  und  Ländereien,  die  sich 
zu  diesen  Zwecken  eignen,  sind  nicht  tauglich  zum 
Reisbau.  Daher  kann  auch  selbst  in  Reisländern  die 
Rente  der  Reisfelder  nicht  die  Rente  des  übrigen  an- 
gebauten Bodens  bestimmen,  da  dieser  niemals  zum 
Reisbau  gebraucht  werden  kann. 

Die  auf  einem  Kartoffelfelde  erzeugte  Nahrung  steht 
dem  Produkte  eines  Reisfeldes  an  Menge  nicht  nach, 
und  übertrifft  den  Ertrag  eines  Weizenfeldes  bei  weitem. 
Zwölftausend  Pfund  Kartoffeln  von  einem  Acre  Land 
ist  im  Verhältnis   nicht  mehr,   als   zweitausend  Pfund 


224  Erstes  Bvich:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Weizen.  Zwar  steht  der  soKde  Nahrungsstoff,  der  aus 
jeder  dieser  beiden  Pflanzen  gewonnen  werden  kann, 
in  keinem  Verhältnis  zu  ihrem  Gewichte,  da  die  Kar- 
toffeln viel  Wasser  enthalten;  aber  auch  zugegeben,  das 
halbe  Gewicht  dieser  Wurzel  werde  zu  Wasser  —  in 
Wahrheit  ist  es  nicht  so  viel  — ,  so  bringt  doch  ein 
Kartoffelfeld  sechstausend  Pfund  soliden  Nahrungs- 
stoffes, also  dreimal  so  viel  als  ein  gleich  großer  Weizen- 
acker hervor.  Ein  Kartoffelfeld  läßt  sich  mit  weniger 
Kosten  bestellen,  als  ein  Weizenfeld,  da  die  Brache, 
die  gewöhnlich  der  Aussaat  des  Weizens  vorhergeht, 
das  Hacken  und  die  übrige  Arbeit,  deren  die  Kartoffel 
bedarf,  mehr  als  aufwiegt.  Sollte  diese  Wurzel  jemals 
in  einem  europäischen  Lande  eben  so  wie  der  Reis  in 
manchen  Reisländern  zum  allgemein  beliebten  pflanz- 
lichen Nahrungsmittel  des  Volkes  werden,  so  daß  ihr 
eben  so  viel  Boden  gewidmet  würde,  als  man  jetzt 
für  Weizen  und  andere  Getreidearten  bestimmt,  so 
würde  eine  gleiche  Menge  Landes  eine  weit  größere 
Menschenmenge  ernähren,  und  da  die  Arbeiter  allge- 
mein von  Kartoffeln  lebten,  würde  nach  Wiederer- 
stattung des  Kapitals  und  des  Unterhalts  aller  zur 
Bodenkultur  nötigen  Arbeit  ein  größerer  Überschuß 
bleiben.  Auch  der  Anteil  des  Grundbesitzers  an  diesem 
Überschuß  würde  größer  werden.  Die  Bevölkerung 
würde  wachsen,  und  die  Renten  würden  weit  höher 
steigen,  als  sie  gegenwärtig  stehen. 

Ein  Boden,  der  sich  zum  Kartoffelbau  eignet,  ist 
zu  fast  allen  anderen  Nutzpflanzen  tauglich.  Nähmen 
die  Kartoffeln  eben  so  viel  bebautes  Land  ein,  als  jetzt 
das  Getreide,  so  würden  sie  gerade  so  wie  dieses  die 
Rente  des  meisten  übrigen  bebauten  Landes  bestimmen. 

In  einigen  Gegenden  von  Lancashire  behauptet  man, 
wie  man  mir  gesagt  hat,  daß  Haferbrot  eine  kräftigere 
Nahrung  für  Arbeiter  sei,  als  Weizenbrot;  und  dieselbe 
Ansicht   habe   ich   in  Schottland   oft   aufstellen   hören. 


Kap.  XIJI.:  Boclenerzciignisse  mit  und  ohne  Rente.     225 

Ich  hege  indeß  einigen  Zweifel  an  ihrer  Richtigkeit. 
Die  unteren  Volksklassen  in  Schottland,  die  von  Hafer- 
mehl leben,  sind  im  Allgemeinen  weder  so  stark  noch 
so  hübsch,  als  dieselben  Volksklassen  in  England,  wo 
sie  "Weizenbrot  essen.  Die  Schotten  arbeiten  weder  so 
gut,  noch  sehen  sie  so  gut  aus,  und  da  unter  den 
besseren  Klassen  der  beiden  Länder  kein  solcher  Unter- 
schied besteht,  so  scheint  die  Erfahrung  zu  lehren, 
daß  die  Nahrung  der  unteren  Volksklassen  in  Schott- 
land dem  menschlichen  Körper  nicht  so  zuträglich 
ist,  als  die  der  nämlichen  Volksklassen  in  England. 
Anders  verhält  sich  die  Sache  bei  den  Kartoffeln.  Die 
Londoner  Sänften-,  Last-  und  Kohlenträger  sind  viel- 
leicht die  kräftigsten  Männer,  und  jene  unglücklichen 
Weiber,  die  von  der  Prostitution  leben,  die  schönsten 
Frauen  im  ganzen  britischen  Gebiete,  und  doch  sollen 
sie  größtenteils  der  untersten  Volksklasse  Irlands  an- 
gehören, die  fast  nur  von  jener  Wurzel  lebt.  Einen 
sprechenderen  Beweis  seiner  Nahrhaftigkeit  und  Zu- 
träglichkeit für  den  menschlichen  Körper  hat  kein 
anderes  Nahrungsmittel  aufzuweisen. 

Es  hält  schwer,  die  Kartoffeln  ein  Jahr  lang, 
und  ist  unmöglich,  sie  wie  das  Getreide  zwei  oder  drei 
Jahre  aufzubewahren.  Die  Furcht,  sie  nicht  verkaufen 
zu  können,  ehe  sie  faulen,  hält  von  ihrem  Anbau  ab, 
und  ist  vielleicht  das  hauptsächlichste  Hindernis,  warum 
sie  nicht,  gleich  dem  Brot,  in  großen  Ländern  das 
vegetabilische  Hauptnahrungsmittol  für  alle  Klassen 
des  Volkes  werden. 


Zweite  Abteilun,^*. 

Bodenerzeugnisse,  die  zuweilen  Rente  geben, 

zuweilen  nicht. 

Menschliche  Nahrungsmittel  scheinen  das  einzige 
Bodenerzeugnis  zu  sein,  das  stets  und  notwendig  dem 

Adam  Smith,  VolkswoLdstand.  I.  '"^ 


226   Erstes  Buch:  Zunahme  in  fler  Ertrao-skraft  fler  Arbeit. 

Grundeigentümer  eine  Rente  abwirft.  Andere  Arten 
von  Produkten  geben  unter  Umständen  Eente,  unter 
anderen  aber  auch  keine. 

Nächst  der  Nahrung  sind  Kleidung  und  AVohnung 
die  beiden  großen  Bedürfnisse  der  Menschen. 

Der  Boden  in  seinem  natürlichen  rohen  Zustande 
kann  für  viel  mehr  Menschen  Stoffe  zu  Kleidung  und 
Wohnung,  als  zur  Nahrung  gewähren ;  im  Kulturzu- 
stande dagegen  kann  er  zuweilen  weit  mehr  Menschen 
mit  Nahrung,  als  mit  jenen  Stoffen  versorgen,  wenig- 
stens mit  solchen,  wie  sie  sie  wünschen  und  zu  be- 
zahlen bereit  sind.  In  dem  ersteren  Zustande  ist  daher 
immer  ein  Überfluß  an  diesen  Stoffen  vorhanden,  die 
deswegen  oft  nur  von  geringem  oder  gar  keinem  Werte 
sind.  Im  anderen  dagegen  tritt  oft  ein  Mangel  ein,  der 
ihren  Wert  notwendig  steigert.  In  dem  einen  Zustande 
wird  ein  großer  Teil  von  ihnen  als  nutzlos  wegge- 
worfen, und  der  Preis  der  benutzten  Stoffe  nicht  höher 
angeschlagen,  als  zum  Werte  der  Arbeit  und  der  Kosten 
der  Nutzbarmachung,  so  daß  also  für  den  Grundeigen- 
tümer keine  Rente  verbleibt;  in  dem  anderen  dagegen 
wird  Alles  gebraucht  und  oft  mehr  verlangt  als  zu 
haben  ist.  Irgend  Jemand  ist  stets  bereit,  für  einen 
oder  den  andei'en  dieser  Stoffe  mehr  zu  geben,  als 
zur  Deckung  der  Kosten,  welche  sie  bis  zum  Verkauf 
verursachen,  nötig  ist.  Der  Preis  kann  mithin  stets 
eine  Rente  für  den  Grundeigentümer  abwerfen. 

Die  ursprünglichen  Kleidungsstoffe  waren  die 
Häute  der  größeren  Tiere.  Unter  Jäger-  und  Hirten- 
völkern, deren  Nahrung  hauptsächlich  in  dem  Fleisch 
dieser  Tiere  besteht,  versorgt  sich  mithin  Jeder  zugleich 
mit  Nahrung  und  den  Stoffen  zur  Kleidung  in  größerer 
Menge,  als  er  selbst  verwenden  kann.  Gäbe  es  keinen 
auswärtigen  Handel,  so  würde  das  Meiste  als  wertlos 
weggeworfen  werden.  So  geschah  es  wahrscheinlich 
bei  den  Hirtenvölkern  Nordamerikas   zu  der  Zeit,   als 


Kap.  XI,II.:  Bodenerzeugnisse  mit  und  ohne  Rente.     227 

ihr  Land  noch  nicht  von  den  Europäern  entdeckt  war, 
mit  denen  sie  jetzt  ihr  überflüssiges  Pelzwerk  gegen 
wollene  Decken,  Feuergewehre  und  Branntwein  ver- 
tauschen, wodurch  das  Pelzwerk  einen  Wert  erhält. 
Unter  den  gegenwärtigen  Handelsverhältnissen  der 
bekannten  Welt  haben  wohl  die  rohesten  Völker,  bei 
denen  das  Eigentum  an  Grund  und  Boden  eingeführt 
ist,  einen  auswärtigen  Handel  dieser  Art,  und  finden 
unter  ihren  wohlhabenderen  Nachbarn  eine  solche  Nach- 
frage nach  allen  Stoffen  zur  Bekleidung,  die  ihr  Land 
hervorbringt,  und  die  sie  weder  verarbeiten  noch  ver- 
brauchen können,  daß  ihr  Preis  die  Kosten  übersteigt, 
die  die  Versendung  an  diese  wohlhabenderen  Nachbarn 
verursacht.  Mithin  werfen  sie  für  den  Grundeigen- 
tümer eine  Rente  ab.  Als  das  Vieh  der  Hochlande 
noch  größtenteils  auf  den  eigenen  Bergen  verzehrt 
wurde,  machte  die  Ausfuhr  der  Häute  den  bedeutend- 
sten Handelsartikel  des  Landes  aus,  und  der  Preis, 
den  man  dafür  in  Tausch  erhielt,  gewährte  einen  Zu- 
schuß zur  Rente  der  Güter  in  den  Hochlanden.  Die 
englische  Wolle,  die  in  früheren  Zeiten  im  Lande 
weder  verbraucht  noch  verarbeitet  werden  konnte,  fand 
in  dem  damals  reicheren  und  gewerbfleissigeren  Flan- 
dern einen  Markt,  und  ihr  Preis  lieferte  zu  der  Rente 
des  Bodens,  auf  dem  sie  hei-vorgebracht  wurde,  einen 
Beitrag.  In  Ländern,  die  nicht  besser  kultiviert  sind, 
als  England  es  damals  war,  oder  die  schottischen 
Hochlande  jetzt,  und  die  keinen  auswärtigen  Handel 
haben,  werden  die  Bekleidungsstoffe  offenbar  in  einem 
solchen  Überfluß  vorhanden  sein,  daß  sie  großenteils 
als  nutzlos  weggeworfen  und  dem  Grundeigentümer 
keine  Rente  liefern  werden. 

Die  Baumaterialien  können  nicht  immer  so  weit 
verschickt  werden,  wie  die  Bekleidungsstoffe,  und 
w^erden  nicht  so  leicht  ein  Gegenstand  des  auswärtigen 

15'- 


228  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Handels.  Sind  sie  in  dem  Erzeugungslande  im  Über- 
fluß vorhanden,  so  ist  selbst  bei  dem  gegenwärtigen 
Stande  des  Welthandels  der  Fall  nicht  selten,  daß  sie 
für  den  Grundeigentümer  wertlos  sind.  Ein  guter 
Steinbruch  in  der  Nähe  von  London  würde  eine  an- 
sehnliche Rente  abwerfen ;  in  vielen  Gegenden  von  Schott- 
land und  Wales  bringt  er  gar  keine.  Bauholz  hat  in 
einem  bevölkerten  und  wohlbebauten  Lande  großen  Wert, 
und  der  Boden,  auf  dem  es  wächst,  gewährt  eine  ziemlich 
hohe  Rente.  Dagegen  würde  in  vielen  Gegenden  Nord- 
amerikas der  Grundeigentümer  jedem  zu  Dank  ver- 
pflichtet sein,  der  ihm  seine  großen  Baumstämme  fort- 
fahren wollte.  In  einigen  Teilen  der  schottischen  Hoch- 
lande ist  wegen  mangelnder  Land-  und  Wasserfracht 
die  Rinde  der  einzige  Teil  des  Holzes,  der  zu  Markte 
gebracht  werden  kann;  das  Bauholz  läßt  man  auf  dem 
Boden  verfaulen.  Sind  Baumaterialien  in  solchem  Über- 
fluß vorhanden,  so  ist  der  Teil  von  ihnen,  den  man  nutzt, 
nur  die  Arbeit  und  die  Kosten  der  Nutzbarmachung 
wert.  Er  bringt  dem  Grundeigentümer,  der  in  der  Regel 
jedem,  der  um  die  Erlaubnis  nachsucht,  die  Benutzung 
gestattet,  keine  Rente.  Doch  setzt  ihn  zuweilen  die 
Nachfrage  reicherer  Nationen  instand,  eine  Rente  dar- 
aus zu  ziehen.  Di©  Straßenpflasterung  in  London  ge- 
währte den  Eigentümern  einiger  kahler  Felsen  an  der 
schottischen  Küste  die  Möglichkeit,  eine  Rente  aus 
einem  Gegenstande  zu  ziehen,  der  früher  niemals  eine 
geliefert  hatte.  Die  Wälder  in  Norwegen  und  an  den 
Küsten  des  baltischen  Meeres  finden  in  vielen  Gegen- 
den Großbritanniens  einen  Markt,  den  sie  zu  Hause 
nicht  finden  konnten,  und  verschaffen  dadurch  ihren 
Eigentümern  eine  Rente. 

Der  Volksreichtam  eines  Landes  hängt  nicht  von 
der  Zahl  von  Leuten  ab,  denen  es  ihre  Kleidung  und 
Wohnung  verschaffen  kann,  sondern  davon,  wie  viele 
Menschen  es  zu  ernähren  vermag.     Ist  Nahrung  vor- 


Kap.  XI, IL:  Bodenerzeugnisse  mit  und  ohne  Rente.     229 

banden,  so  fällt  es  nicht  schwer,  die  nötige  Kleidung 
und  Wohnung  zu  finden;  aber  nicht  immer,  wenn  diese 
vorhanden  sind,  ist  es  leicht  Nahrung  zu  finden.  Selbst 
in  einigen  Gegenden  des  britischen  Reichs  giebt  es 
menschliche  Wohnungen,  die  von  einem  einzigen  Manne 
an  einem  Tage  hergestellt  werden  können.  Etwas,  aber 
nicht  viel  mehr  Arbeit  erfordert  die  Herstellung  der  ein- 
fachsten Art  der  Bekleidung  aus  Tierhäuten.  Bei  wilden 
und  rohen  Völkern  reicht  der  hundertste  oder  etwas 
mehr  als  der  hundertste  Teil  der  Jahresarbeit  hin,  das 
geringe  Kleidungs-  und  Wohnungsbedürfnis  zu  befrie- 
digen, die  übrigen  neunundneunzig  Teile  dagegen  aber 
oft  kaum,  sich  die  Nahrungsmittel  zu  verschaffen. 

Aber  wenn  vermöge  der  fortschreitenden  Kultur  des 
Landes  die  Arbeit  einer  Familie  für  zwei  Familien  Nah- 
rung hervorbringt,  dann  bedarf  es  nur  der  Arbeit  der 
halben  Bevölkerung,  um  die  ganze  mit  Nahrungsmitteln 
zu  versehen.  Die  andere  Hälfte  oder  wenigstens  ihr 
größter  Teil  kann  sich  nun  mit  der  Herstellung  anderer 
Dinge  beschäftigen,  oder  mit  der  Befriedigung  anderer 
wirklicher  und  eingebildeter  Bedürfnisse  der  Menschen. 
Kleidung  und  Wohnung,  Hausgerät  und  sonstige  Aus- 
stattungen bilden  die  Hauptgegenstände  unter  diesen 
wirklichen  und  eingebildeten  Bedürfnissen.  Der  Reiche 
verzehrt  nicht  mehr  Nahrung  als  sein  armer  Nächster. 
An  Quahtät  mag  sie  eine  andere  sein,  und  es  mag  mehr 
Arbeit  und  Kunst  erfordern,  sie  zu  bereiten ;  aber  die 
Quantität  bleibt  so  ziemlich  die  nämliche.  Man  ver- 
gleiche jedoch  den  geräumigen  Palast  und  die  große 
Garderobe  des  einen  mit  der  Hütte  und  den  wenigen 
Lumpen  des  Anderen,  und  man  wird  merken,  daß  der 
Unterschied  zwischen  ihrer  Kleidung,  Wohnung  und 
ihrem  Hausgerät  der  Menge  nach  fast  ebenso  groß  ist, 
wie  der  Beschaffenheit  nach.  Das  Verlangen  nach  Nah- 
rung ist  bei  jedem  Menschen  durch  die  Verdauungs- 
fähigkeit des  Magens  beschränkt;  aber  das  Verlangen 


230  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

nach  Bequemlichkeiten  und  Schmuck  in  Gebäuden,  im 
Anzug,  in  der  ganzen  Ausstattung  scheint  ohne  Gren- 
zen und  bestimmte  Schranken  zu  sein.  Darum  sind 
diejenigen,  denen  mehr  Nahrung  zu  Gebote  steht,  als 
sie  selbst  verzehren  können,  immer  gern  bereit,  ihren 
Überschuß  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  den 
Preis  dafür  gegen  Genüsse  jener  Art  zu  vertauschen. 
"Was  nach  Befriedigung  des  begrenzten  Verlangens  übrig 
bleibt,  wird  zur  Erfüllung  derjenigen  Wünsche  ver- 
wendet, denen  nie  genug  getan  werden  kann,  sondern 
die  endlos  zu  sein  scheinen.  Der  Arme  müht  sich,  um 
Nahrung  zu  erhalten,  ab,  die  eingebildeten  Bedürfnisse 
des  Reichen  zu  befriedigen,  und  um  jene  sicherer  zu 
erhalten,  überbieten  sie  einander  in  der  Wohlfeilheit  und 
Vollendung  ihrer  Arbeit.  Die  Zahl  der  Arbeiter  wächst 
mit  der  zunehmenden  Menge  von  Nahrungsmitteln  oder 
mit  der  steigenden  Kultur  des  Bodens ;  und  da  die  Natur 
ihres  Geschäfts  die  äußerste  Arbeitsteilung  zuläßt,  so 
nimmt  die  Menge  der  Stoffe,  die  sie  verarbeiten  können, 
in  einem  weit  größeren  Maßstabe  zu,  als  ihre  Anzahl. 
Daraus  entspringt  eine  Nachfrage  nach  allen  Arten  von 
Stoffen,  die  der  erfinderische  Geist  der  Menschen  ent- 
weder zum  Nutzen  oder  als  Zierrat  an  Gebäuden,  an 
der  Kleidung,  an  Möbeln  und  anderem  Gerät  zu  ver- 
wenden weiß;  also  eine  Nachfrage  nach  den  im  Inneren 
der  Erde  verborgenen  Fossilien  und  Mineralien,  nach 
edeln  Metallen  und  Edelsteinen. 

So  sind  also  die  Nahrungsmittel  nicht  nur  die 
ursprüngliche  Quelle  der  Rente,  sondern  auch  jedes 
andere  Bodenprodukt,  das  später  Rente  abwirft,  leitet 
diesen  Teil  seines  Werts  von  den  durch  die  steigende 
Bodenkultur  vervollkommneten  Kräften  der  auf  Nali- 
rungserzeugung  verwendeten  Arbeit  ab. 

Doch  werfen  jene  anderen  Bodenprodukte,  die 
später  eine  Rente  liefern,    sie  nicht  immer  ab.    Selbst 


Kap.  XI, IL:  Bodenerzeugnisse  mit  und  ohne  Rente.     231 

in  w ollibebauten  Ländern  ist  die  Nachfrage  nach  ihnen 
nicht  immer  so  groß,  daß  sie  einen  Preis  zu  Wege 
brächten,  der  mehr  als  hinreichend  wäre,  die  Arbeit 
bezahlt  zu  machen  und  das  Kapital,  welches  zu  ihrer 
Herstellung  gebraucht  wurde,  samt  seinem  gewöhn- 
lichen Gewinn  wiederzuerstatten.  Ob  dies  geschieht 
oder  nicht,    hängt   von  verschiedenen  Umständen    ab. 

Ob  z.  ß.  eine  Kohlengrube  eine  Rente  geben 
kann,  hängt  zum  Teil  von  ihrer  Ergiebigkeit,  zum 
Teil  von  ihrer  Lage  ab. 

Ein  Bergwerk  wird  als  ergiebig  oder  geringhaltig 
betrachtet,  je  nachdem  die  Menge  an  Erzen,  die  sich 
durch  eine  bestimmte  Menge  Arbeit  daraus  gewinnen 
läßt,  grüßer  oder  kleiner  ist,  als  die,  welche  durch 
eine  gleiche  Arbeit  aus  den  meisten  ähnlichen  Berg- 
werken gezogen  werden  kann. 

Manche  vorteilhaft  gelegenen  Kohlenlager  können 
wegen  ihrer  Geringhaltigkeit  nicht  erschlossen  werden: 
ihr  Produkt  deckt  die  Kosten  nicht,  und  sie  können 
weder  Gewinn  noch  Rente  bringen. 

Manche  gibt  es,  deren  Ertrag  eben  hinreicht,  die 
Arbeit  bezahlt  zu  machen  und  das  in  ihren  Betrieb 
gesteckte  Kapital  samt  dem  gewöhnlichen  Gewinn 
wiederzuerstatten.  Dem  Unternehmer  des  Betriebs 
bringen  sie  einigen  Gewinn,  für  den  Grundeigentümer 
aber  werfen  sie  keine  Rente  ab.  Sie  können  daher  nur 
vom  Grundeigentümer  mit  Vorteil  abgebaut  werden, 
der,  wenn  er  selbst  Unternehmer  ist,  den  gewöhnlichen 
Gewinn  des  hineingesteckten  Kapitals  bezieht.  Viele 
schottische  Kohlengruben  werden  auf  diese  Weise  ab- 
gebaut, und  könnten  sonst  nicht  benutzt  werden.  Der 
Grundeigentümer  wird  niemandem  gestatten,  sie  ohne 
Zahlung  einer  Rente  zu  bearbeiten,  und  doch  kann 
niemand  eine  Rente  zahlen. 

Andere   Kohlengruben  desselben  Landes,    die   er- 


232  Erstes  Bxich:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

giebig  genug  sind,  können  wegen  ihrer  Lage  nicht 
ausgeboutet  werden.  Zwar  könnten  durch  die  gewöhn- 
liche Arbeitsmenge  genug  Kohlen  gefördert  werden, 
um  die  Betriebskosten  zu  decken,  aber  die  geförderte 
Menge  ließe  sich  in  dem  spärlich  bewohnten  und  weder 
mit  Land-  noch  Wasserstraßen  versehenen  Binnenlande 
nicht  verkaufen. 

Kohlen  sind  ein  weniger  angenehmes  Brennmaterial, 
als  Holz  und  sollen  auch  weniger  zuträglich  sein.  Darum 
müssen  die  Kosten  der  Kohlen  an  dem  Verbrauchsorte 
im  allgemeinen  etwas  geringer  sein,  als  die  des  Holzes. 

Der  Preis  des  Holzes  seinerseits  ändert  sich  je  nach 
dem  Stande  der  Landwirtschaft,  und  zwar  so  ziemlich 
in  derselben  Art  und  genau  aus  denselben  Gründen,  wie 
der  des  Viehs.  In  ihren  ersten  rohen  Anfängen  ist  der 
größte  Teil  jedes  Landes  mit  Holz  bedeckt,  das  für 
den  Grundeigentümer  eine  reine  Last  ohne  allen  Wert 
ist  und  gern  dem  ersten  besten  gegeben  würde,  der 
es  schlagen  wollte.  Bei  steigender  Kultur  werden  die 
AVälder  teils  durch  die  Fortschritte  des  Feldbaus  ge- 
lichtet, teils  durch  die  wachsende  Menge  des  Viehs 
verringert.  Das  Vieh  vermehrt  sich  zwar  nicht  in  dem- 
selben Maße,  wie  das  Getreide,  das  gänzlich  eine  Frucht 
des  menschlichen  Fleißes  ist,  aber  seine  Vermehrung 
wird  doch  durch  die  Pflege  und  den  Schutz  der  Men- 
schen begünstigt,  die  in  der  Zeit  der  Fülle  so  viel  auf- 
speichern, um  in  der  des  Mangels  den  Unterhalt  des 
Viehs  zu  bestreiten  und  ihm  das  ganze  Jahr  hindurch 
mehr  Futter  zu  geben,  als  es  in  einer  Wildnis  finden 
könnte,  und  die  ihm  den  freien  Genuß  der  Lebensbe- 
dürfnisse dadurch  sichern,  daß  sie  seine  Feinde  töten 
und  ausrotten.  Zahlreiche  Heerden,  denen  man  durch 
die  Wälder  zu  streifen  gestattet,  vernichten  zwar  nicht 
die  alten  Bäume,  lassen  aber  den  jungen  Nachwuchs 
nicht  aufkommen,  so  daß  im  Laufe  von  einem  oder 
zwei  Jahrhunderten  der  ganze  Forst  zu  Grunde  geht. 


Kap.  XI,II.:  Bodenerzeugnisse  nnit  nnd  ohne  Rente.     233 

Dann  steigert  der  Mangel  an  Holz  seinen  Preis;  es 
liefert  eine  gute  Rente  und  der  Grundeigentümer  kann 
zuweilen  seine  besten  Ländereien  nicht  vorteilhafter 
benutzen,  als  wenn  er  Zimmerholz  darauf  zieht,  bei 
dem  die  Größe  des  Gewinns  oft  die  Verspätung  der 
Erträge  aufwiegt.  Dies  scheint  ungefähr  der  jetzige 
Stand  der  Dinge  in  einigen  Teilen  Großbritanniens  zu 
sein,  wo  man  bei  der  Holzzucht  einen  ebenso  großen 
Gewinn  findet,  als  beim  Getreide-  oder  Futterbau.  Der 
Vorteil,  den  der  Grundeigentümer  von  der  Holzzucht 
hat,  kann  nirgends,  wenigstens  nicht  auf  lange  Zeit, 
die  Rente  übersteigen,  welche  ihm  der  Getreide-  und 
Futterbau  gewähren  würde,  und  wird  in  einem  hoch- 
kultivierten Binnenlande  auch  nicht  weit  hinter  dieser 
Rente  zurückbleiben.  An  der  Meeresküste  eines  gut- 
bebauten Landes,  mag  es  freilich,  wenn  man  Kohlen 
zur  Feuerung  leicht  haben  kann,  zuweilen  billiger 
sein,  Zimmerholz  aus  weniger  kultivierten  fremden 
Ländern  kommen  zu  lassen,  als  es  im  Lande  zu  ziehen. 
In  der  jetzt  innerhalb  weniger  Jahre  erbauten  Neu- 
stadt von  Edinburg  ist  vielleicht  nicht  ein  einziges 
Stück  schottischen  Bauholzes  zu  finden. 

Welches  auch  der  Preis  des  Holzes  sein  mag: 
wenn  der  der  Kohlen  so  hoch  ist,  daß  die  Kosten  der 
Kohlenfeuerung  denen  der  Holzfeuerung  ziemlich  gleich- 
kommen, kann  man  sich  versichert  halten,  daß  der 
Kohlenpreis  an  diesem  Orte  und  unter  diesen  Umständen 
der  höchstmögliche  ist.  Dies  scheint  in  einigen  Gegen- 
den im  Innern  Englands,  besonders  in  Oxfordshire,  der 
Fall  zu  sein,  wo  es  selbst  bei  den  unteren  Klassen 
üblich  ist,  zur  Feuerung  Kohlen  und  Holz  zu  mischen, 
und  wo  also  der  Unterschied  in  den  Kosten  dieser 
beiden  Brennstoffe  nicht  sehr  groß  sein  kann. 

In  den  Kohlengegenden  stehen  die  Kohlen  überall 
weit  unter  diesem  höchsten  Preise.  Wäre  das  nicht  so, 


234  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskral't  der  Arbeit. 

SO  könnten  sie  die  Kosten  einer  weiten  Land-  oder 
Wasserfracht  nicht  tragen.  Es  könnte  nur  eine  geringe 
Menee  verkauft  werden;  die  Unternehmer  und  Besitzer 
von  Kohlenbergwerken  finden  es  aber  mehr  in  ihrem 
Interesse,  eine  große  Menge  etwas  über  dem  niedrigsten 
Preise,  als  eine  kleine  zum  höchsten  Preise  zu  ver- 
kaufen. Überdies  bestimmt  die  ergiebigste  Kohlengrube 
den  Preis  der  Kohlen  für  alle  anderen  benachbarten 
Gruben.  Der  Eigentümer  sowohl  als  der  Unternehmer 
des  Werkes  finden,  daß,  wenn  sie  etwas  wohlfeiler 
verkaufen,  als  ihre  Nachbarn,  jener  eine  größere  Rente, 
und  dieser  einen  größeren  Gewinn  ziehen  kann.  Bald 
sehen  sich  ihre  Nachbarn  gezwungen,  zu  demselben 
Preise  zu  verkaufen,  obgleich  sie  es  nicht  so  gut  er- 
tragen können  und  stets  ihre  Rente  und  ihren  Gewinn 
dadurch  verringern,  ja  oft  verlieren.  Manche  Gruben 
werden  dann  gänzlich  verlassen;  andere  können  keine 
Eente  mehr  liefern,  und  nur  noch  vom  Eigentümer 
ausgebeutet  werden. 

Der  niedrigste  Preis,  zu  welchem  für  längere  Zeit 
Kohlen  verkauft  werden  können,  ist,  wie  bei  allen  an- 
deren Waren,  der  Preis,  der  gerade  hinreicht,  das  bis 
zum  Markttransport  verwendete  Kapital  samt  seinem 
gewöhnlichen  Gewinn  wiedereinzubringen.  Bei  einer 
Kohlengrube,  von  der  der  Eigentümer  keine  Rente 
ziehen  kann,  und  die  er  entweder  selbst  in  Gang  er- 
halten oder  ganz  aufgeben  muß,  wird  der  Kohlenpreis 
im  Allgemeinen  etwa  diese  Höhe  haben. 

Werfen  aber  auch  Kohlen  wirklich  eine  Rente  ab, 
so  bildet  diese  doch  gewöhnlich  in  ihrem  Preise  einen 
kleineren  Teil,  als  in  dem  der  meisten  anderen  Roh- 
produkte des  Bodens.  Die  Rente  eines  Grundstücks  über 
der  Erde  beläuft  sich  gewöhnlich  auf  etwa  den  dritten 
Teil  des  Rohertrags,  und  ist  im  Ganzen  sicher  und  von 
den  zufälligen  Schwankungen  der  Ernte   unabhängig. 


Kaj).  XI, II.:  Bodenerzeugnis.se  mit  und  ohne  Rente.      235 

Bei  Kohlengruben  ist  ein  Fünftel  des  Rohertrags  eine 
sehr  große  Rente,  und  ein  Zehntel  die  gewöhnliche; 
überdies  aber  ist  diese  Rente  selten  sicher,  sondern 
hängt  von  den  zufälligen  Schwankungen  des  Ertrags 
ab.  Diese  Schwankungen  sind  so  groß,  daß  in  einem 
Lande,  wo  der  Ertrag  dreißigfach  kapitalisiert,  als  ein 
mäßiger  l'reis  für  ländliche  Grundstücke  betrachtet 
wird,  ein  zehnfach  kapitalisierter  Ertrag  als  ein  guter 
Preis  für  Kohlengruben  gilt. 

Der  Wert,  den  eine  Kohlengrube  für  ihren  Eigen- 
tümer hat,  hängt  oft  ebenso  sehr  von  ihrer  Lage,  als 
von  ihrer  Ergiebigkeit  ab.  Der  Wert  eines  Metallberg- 
werks hängt  mehr  von  seiner  Ergiebigkeit  und  weniger 
von  seiner  Lage  ab.  Die  Metalle,  besonders  die  edlen, 
sind,  nachdem  sie  aus  den  Erzen  geschieden  worden, 
so  wertvoll,  daß  sie  gewöhnlich  die  Kosten  einer  sehr 
langen  Land-  und  der  entferntesten  Seereise  tragen 
können.  Ihr  Markt  ist  nicht  auf  die  umliegenden 
Gegenden  beschränkt,  sondern  erstreckt  sich  über  die 
ganze  Welt.  Das  japanische  Kupfer  macht  in  Europa, 
das  spanische  Eisen  in  Chili  und  Peru  einen  Handels- 
artikel aus,  und  das  peruanische  Silber  findet  nicht 
nur  nach  Europa,  sondern  von  Europa  wieder  nach 
China  seinen  Weg. 

Die  Kohlenpreise  in  Westmoreland  oder  Shropshire 
können  nur  wenig,  und  der  Preis  im  Lyonnais  kann  gar 
keinen  P]influß  auf  den  Preis  zu  Newcastle  haben.  Die 
Erzeugnisse  so  weit  entfernter  Kohlengruben  können 
niemals  mit  einander  in  Wettbewerb  geraten,  dagegen 
können  es  die  Erzeugnisse  der  entferntesten  Metallberg- 
werke oft,  und  tun  es  tatsächlich  fast  immer.  Daher 
muß  notwendig  der  Preis,  den  Metalle,  und  besonders 
die  edlen,  an  den  ergiebigsten  Minen  der  Welt  haben, 
mehr  oder  weniger  auf  den  Preis  an  allen  anderen  Minen 
wirken.    Der  Preis  des  Kupfers  in  Japan  muß  auf  den 


236  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Preis  bei  den  europäischen  Kupferminen  Einfluß  haben. 
Der  Preis  des  Silbers  in  Peru,  odor  die  Menge  von 
Arbeit  oder  Waren,  welche  dort  dafür  zu  kaufen  ist, 
muß  auf  den  Silberpreis  nicht  nur  bei  den  europä- 
ischen, sondern  auch  bei  den  chinesischen  Bergwerken 
Einfluß  haben.  Nach  der  Entdeckung  der  peruanischen 
Minen  wurden  die  europäischen  Silberbergwerke  größten- 
teils aufgegeben.  Der  Wert  des  Silbers  sank  so  sehr, 
daß  ihr  Ertrag  nicht  mehr  die  Kosten  der  Ausbeutung 
decken,  oder  die  bei  ihr  verbrauchte  Nahrung,  Kleidung, 
Wohnung  und  sonstigen  Bedürfnisse  mit  Gewinn  wieder- 
erstatten konnte.  Der  gleiche  Fall  trat  auch  bei  den 
Bergwerken  von  Kuba  und  St.  Domingo,  und  selbst 
bei  den  alten  Minen  Perus  nach  Entdeckung  der  Minen 
von  Potosi  ein. 

Da  mithin  der  Preis  jedes  Metalls  bei  jedem  Berg- 
werk in  gewissem  Maße  durch  seinen  Preis  bei  der 
ergiebigsten  Mine  der  Welt  bestimmt  wird,  so  kann 
er  bei  den  meisten  Minen  wenig  mehr  als  die  Kosten 
des  Betriebs  decken,  und  für  den  Eigentümer  nur 
selten  eine  hohe  Rente  abwerfen.  Die  Rente  scheint 
demgemäß  bei  den  meisten  Minen  nur  einen  geringen 
Teil  vom  Preise  der  unedlen,  und  einen  noch  geringe- 
ren von  dem  der  edlen  Metalle  auszumachen.  Arbeit 
und  Gewinn  bilden  den  größeren  Teil  bei  beiden. 

Bei  den  Zinnbergwerken  von  Cornwall,  den  er- 
giebigsten, die  man  kennt,  rechnet  man  nach  der  An- 
gabe ihres  Yizedirektors  Borlace,  ein  Sechstel  des  Roh- 
ertrags als  durchschnittliche  Rente.  Einige,  sagt  er, 
werfen  mehr,  andere  nicht  so  viel  ab.  Den  sechsten 
Teil  des  Bruttoertrages  beträgt  die  Rente  auch  bei 
einigen  sehr  ergiebigen  Bleiminen  in  Schottland. 

In  den  Silberminen  Perus  verlangt  der  Eigentümer, 
wie  Frezier  und  Ulloa  berichten,  von  dem  Unternehmer 
des  Baues   oft  weiter  Nichts,   als  daß   er   das  Erz  auf 


Kap.  XTjr.:  Boflenerzeugnisso  mit  und  ohne  Rente.     237 

seiner  Mühle  mahlt,  und  ihm  dafür  das  gewöhnliche 
Mahl-  oder  Pochgeld  zahlt.  Bis  1736  belief  sich  frei- 
lich die  Abgabe  an  den  König  von  Spanien  auf  ein 
Fünftel  des  feinen  Silbers,  und  dies  konnte  bis  dahin 
als  die  wahre  Rente  der  meisten  peruanischen  Silber- 
minen, der  reichsten,  die  man  kennt,  angesehen  werden. 
Ohne  diese  Abgabe  würde  jenes  Fünftel  natürlich  dem 
Grundeigentümer  gehöi't  haben,  und  viele  Minen  konnten 
in  Angriff  genommen  werden,  die  man,  so  lange  die 
Abgabe  bestand,  unbenutzt  lassen  mußte.  Die  Steuer 
des  Herzogs  von  Cornwall  auf  Zinn  soll  sich  auf  mehr 
als  fünf  Prozent  oder  den  zwanzigsten  Teil  vom  Wert 
belaufen;  wie  dem  aber  auch  sei,  sie  würde  natürlich 
dem  Eigentümer  des  Bergwerks  zufallen,  wenn  das  Zinn 
steuerfrei  wäre.  Fügt  man  ein  Zwanzigstel  zu  einem 
Sechstel,  so  findet  man,  daß  die  ganze  bezahlte  Durch- 
schnittsrente der  Cornwaller  Zinngruben  sich  zu  der 
der  peruanischen  Silberminen  wie  dreizehn  zu  zwölf 
verhält.  Doch  sind  jetzt  die  peruanischen  Silberberg- 
werke nicht  imstande,  auch  nur  diese  niedrige  Rente 
zu  zahlen,  und  die  Abgabe  auf  Silber  wurde  1736  von 
einem  Fünftel  auf  ein  Zehntel  herabgesetzt.  Aber  auch 
diese  Abgabe  auf  Silber  verführt  immer  weit  mehr 
zum  Schmuggel,  als  die  Abgabe  von  einem  Zwanzig- 
stel auf  Zinn,  denn  der  Schmuggel  ist  bei  einer  kost- 
baren Ware  viel  leichter,  als  bei  einer  massigen.  Da- 
her soll  auch  die  Taxe  des  Königs  von  Spanien  sehr 
schlecht,  die  des  Herzogs  von  Cornwall  sehr  gut  ein- 
gehen. Sonach  macht  wahrscheinlich  die  Rente  einen 
größeren  Teil  des  Zinnpreises  an  den  ergiebigsten 
Zinnminen,  als  des  Silberpreises  an  den  ergiebigsten 
Silberminen  der  Welt  aus.  Nach  Wiedererstattung  des 
im  Betriebe  dieser  verschiedenen  Minen  angelegten 
Kapitals  samt  üblichem  Gewinn  scheint  der  für  den 
Eigentümer  übrig  bleibende  Rest  bei  dem  unedlen 
Metall  größer  zu  sein,  als  bei  dem  edlen. 


238  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Auch  die  Gewinne  der  Unternehmer  des  Bergbaus 
auf  Silber  sind  in  Peru  gewöhnlich  nicht  sehr  groß. 
Dieselben  achtungswerten  und  wohlunterrichteten 
Scliriftsteller  berichten  uns,  daß,  wer  in  Peru  eine 
neue  Mine  in  Betrieb  setzte,  allgemein  als  ein  Mann, 
dem  ein  sicherer  Bankerott  und  Untergang  bevorstehe, 
angesehen  und  deshalb  von  Jedermann  gemieden  wurde. 
Der  Bergbau  wird  dort  ebenso,  wie  bei  uns,  als  eine 
Lotterie  betrachtet,  in  welcher  die  Gewinne  den  Nieten 
nicht  gleichkommen,  obgleich  die  Größe  einiger  Ge- 
winne manchen  Glücksritter  reizt,  in  so  ungedeihlichen 
Projekten  sein  Vermögen  fortzuwerfen. 

Da  der  Souverän  jedoch  einen  großen  Teil  seines 
Einkommens  aus  dem  Ertrag  der  Silberminen  bezieht, 
so  gibt  in  Peru  das  Gesetz  alle  mögliche  Aufmunterung 
zur  Entdeckung  und  zum  Bau  neuer  Minen.  Wer  eine 
neue  Mine  entdeckt,  ist  berechtigt,  in  der  Richtung, 
in  welcher  er  die  Ader  vermutet,  zweihundert  und 
sechsundvierzig  Fuß  in  der  Länge  und  halb  so  viel 
in  der  Breite  abzumessen.  Dieser  Teil  der  Mine 
wird  sein  Eigentum  und  er  darf  ihn  bearbeiten,  ohne 
dem  Grundherrn  eine  Abgabe  dafür  zu  entrichten. 
Den  Herzog  von  Cornwall  veranlaßte  sein  Interesse 
zu  einer  ganz  ähnlichen  Verordnung  in  diesem  frü- 
heren Herzogtum.  Auf  wüstem  und  uneingezäuntem 
Boden  darf  Jeder,  der  eine  Zinnmine  entdeckt,  ihre 
Grenzen  in  einem  gewissen  Umfang  abstecken,  was 
man  eine  Mine  umgrenzen  nennt.  Der  Abgrenzende 
wird  der  wirkliche  Eigentümer  der  Grube,  und  kann 
ihren  Betrieb  entweder  selbst  übernehmen,  oder  sie 
einem  Anderen  in  Pacht  geben,  ohne  daß  er  dazu 
die  Zustimmung  des  Grundeigentümers  braucht,  dem 
jedoch  für  die  Arbeiten  auf  der  Oberfläche  eine 
kleine  Abgabe  zu  entrichten  ist.  In  beiden  Verord- 
nungen werden  die  heiligsten  Rechte  des  Privateigen- 


Kap.  XT.ir.:  Borlenerzeuft-nisse  mit  und  ohne  Rente.      289 

turns  dem  vorausgesetzten  Interesse  der  Staatseinnah- 
men geopfert. 

Die  nämliche  Aufmunterung  läßt  man  in  Peru  der 
Entdeckung  und  Bearbeitung  neuer  Goldminen  zu  Teil 
werden.  Beim  Golde  beläuft  sich  die  königliche  Taxe 
nur  auf  den  zwanzigsten  Teil  des  reinen  Metalls.  Früher 
war  es  ein  Fünftel  und  dann  ein  Zehntel,  wie  beim  Silber; 
aber  man  fand,  daß  der  Bau  auch  nicht  die  kleinere 
dieser  beiden  Abgaben  tragen  konnte.  Wenn  es  aber, 
sagen  dieselben  Schriftsteller,  Frezier  und  Ulloa,  etwas 
seltenes  ist,  jemand  zu  finden,  der  durch  eine  Silber- 
mine reich  geworden  wäre,  so  ist  es  noch  weit  seltener, 
jemand  zu  finden,  der  durch  eine  Goldmine  großes  Ver- 
mögen erworben  hätte.  Jener  zwanzigste  Teil  scheint 
die  ganze  Rente  zu  sein,  die  von  den  meisten  Gold- 
minen in  Chili  und  Peru  aufgebracht  wird.  Auch  ist 
das  Gold  dem  Schmuggel  viel  leichter  ausgesetzt,  als 
selbst  das  Silber,  nicht  bloß  wegen  seines  höheren  Wertes 
im  Verhältnis  zu  seiner  Masse,  sondern  auch  wegen  der 
besonderen  Art,  wie  es  in  der  Natur  vorkommt.  Das 
Silber  wird  sehr  selten  in  gediegenem  Zustande  ge- 
funden, sondern  kommt,  wie  die  meisten  übrigen  Metalle 
gewöhnlich  in  Verbindung  mit  anderen  Metallen  vor, 
aus  denen  es  in  solchen  Mengen,  daß  die  Kosten  ge- 
deckt werden,  nur  durch  ein  sehr  mühsames  und  lang- 
wieriges Verfahren  geschieden  werden  kann,  ein  Ver- 
fahren, das  nur  in  besonderen  zu  diesem  Zwecke  ein- 
gerichteten Hüttenwerken  ausgeführt,  und  aus  diesem 
Grunde  der  Aufsicht  der  königlichen  Beamten  nicht 
entzogen  werden  kann.  Dagegen  findet  sich  das  Gold 
fast  überall  gediegen  vor.  Manchmal  findet  es  sich  in 
Stücken  von  ziemlicher  Größe;  wenn  es  aber  auch  in 
kleinen,  kaum  bemerkbaren  Teilchen  mit  Sand,  Erde 
oder  anderen  fremden  Körpern  vermischt  ist,  läßt  es 
sich  doch  durch  ein  wenig  zeitraubendes  und  einfaches 
Verfahren,    das  in  jedem  Privathause  von  jedem,    der 


240  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

etwas  Qaecksilber  besitzt,  vorgenommen  werden  kann, 
von  ihnen  scheiden.  Greht  also  schon  die  königliche 
Taxe  auf  Silber  schlecht  ein,  so  wird  dies  bei  Gold 
wahrscheinlich  noch  mehr  der  Fall  sein,  und  die  Rente 
muß  in  dem  Preise  des  Goldes  einen  weit  geringeren 
Teil  ausmachen,  als  in  dem  des  Silbers. 

Der  niedrigste  Preis,  zu  dem  die  edlen  Metalle 
verkauft  werden  können,  oder  die  kleinste  Menge  an- 
derer Waren,  gegen  die  man  sie  für  längere  Zeit  ver- 
tauschen kann,  wird  durch  dieselben  Grundsätze  be- 
stimmt, die  den  niedrigsten  gewöhnlichen  Preis  aller 
anderen  Waren  regeln.  Er  wird  bestimmt  durch  das 
Kapital,  das  zu  diesem  Behuf  gewöhnlich  angelegt 
werden  muß,  sowie  die  Nahrung,  Kleidung  und  Woh- 
nung, die  verbraucht  werden,  bis  die  Metalle  aus  dem 
Bergwerk  auf  den  Markt  kommen.  Er  muß  wenigstens 
hinreichend  sein,  um  jenes  Kapital  samt  den  gewöhn- 
lichen Gewinnen  wieder  einzubringen. 

Ihr  höchster  Preis  hingegen  scheint  nicht  not- 
wendig durch  etwas  anderes  als  durch  die  jeweilige 
Seltenheit  oder  Häufigkeit  dieser  Metalle  selbst  be- 
stimmt zu  werden.  Er  wird  nicht  durch  den  Preis  einer 
anderen  Ware  bestimmt,  wie  der  Preis  der  Kohlen  durch 
den  des  Holzes,  über  den  hinaus  kein  Mangel  ihn  stei- 
gern kann.  Steigt  der  Mangel  an  Gold  bis  auf  einen 
gewissen  Grad,  so  kann  sein  kleinstes  Stückchen  kost- 
barer werden  und  im  Tausch  eine  größere  Menge 
anderer  Waren  gelten,  als  ein  Diamant. 

Die  Nachfrage  nach  diesen  edlen  Metallen  ent- 
springt teils  aus  ihrer  Nützlichkeit,  teils  aus  ihrer  Schön- 
heit. Mit  Ausnahme  des  Eisens  sind  sie  nutzbarer,  als 
vielleicht  jedes  andere  Metall.  Da  sie  dem  Rosten  und 
der  Verunzierung  weniger  ausgesetzt  sind,  können  sie 
leichter  rein  gehalten  werden,  und  das  aus  diesen  Me- 
tallen verfertigte  Tafel-  und  Küchengerät  ist  darum  an- 


Kap.  XI.IT.:  Bodenerzeiignisse  mit  und  ohne  Rente.      241 

genehmer.  Ein  silberner  Kessel  ist  reinlicher,  als  ein 
bleierner,  kupferner  oder  zinnerner,  und  ein  goldener 
würde  noch  besser  sein.  Ihr  Hauptvorzug  jedoch  ist 
ihre  Schönheit,  die  sie  besonders  zu  Zierraten  der  Klei- 
dung und  Gerätschaften  geeignet  macht.  Keine  Farbe 
gibt  einen  solchen  Glanz,  wie  die  Vergoldung.  Der 
Vorzug  ihrer  Schönheit  wird  durch  ihre  Seltenheit  noch 
bedeutend  gehoben.  Bei  den  meisten  reichen  Leuten  be- 
steht der  Hauptgenuß,  den  sie  von  ihrem  Eeichtum 
haben,  in  seiner  Schaustellung,  die  in  ihren  Augen  nie 
so  vollständig  ist,  als  wenn  sie  jene  entscheidenden 
Zeichen  des  Überflusses  besitzen,  die  außer  ihnen  nie- 
mand besitzen  kann.  In  ihren  Augen  wird  der  Vorzug 
eines  Gegenstandes,  der  in  irgend  einem  Grade  nützlich 
oder  schon  ist,  bedeutend  erhöht  durch  seine  Seltenheit, 
d.  h.  durch  die  große  Arbeit,  die  es  erfordert,  eine 
beträchtliche  Menge  davon  zu  sammeln,  eine  Arbeit, 
welche  außer  ihnen  niemand  bezahlen  kann.  Solche 
Gegenstände  kaufen  sie  gern  zu  einem  höheren  Preise, 
als  viel  schönere  und  nützlichere,  aber  gewöhnlichere 
Dinge.  Diese  Eigenschaften  der  Nützlichkeit,  Schön- 
heit und  Seltenheit  sind  der  ursprüngliche  Grund  des 
hohen  Preises  dieser  Metalle,  oder  der  großen  Menge 
anderer  TTaren,  gegen  die  sie  überall  ausgetauscht 
werden  können.  Dieser  Wert  ging  ihrer  Verwendung 
zu  Münzen  voran,  und  war  unabhängig  davon;  er  war 
vielmehr  die  Eigenschaft,  die  sie  zu  seiner  Verwen- 
dung geeignet  machte.  Doch  mag  diese  Verwendung 
dadurch,  daß  sie  eine  neue  Nachfrage  verursachte, 
und  die  zu  anderen  Zwecken  verwendbare  Menge 
beschränkte,  später  dazu  beigetragen  haben,  ihren 
Wert  aufrecht  zu  erhalten   oder  zu  erhöhen. 

Die  Nachfrage  nach  Edelsteinen  beruht  allein  auf 
ihrer  Schönheit.  Sie  werden  zu  nichts  anderem  gebraucht, 
als  zum  Schmuck  und  der  Vorzug  ihrer  Schönheit  wird 

Adam  Sinith.  Volkswohlstand.  I.  It* 


242  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

noch  durch  ihre  Seltenheit,  d.  h.  durch  die  Schwierig- 
keit und  die  Kosten  ihrer  Gewinnung  bedeutend  ver- 
mehrt. Arbeitslohn  und  Gewinn  machen  demgemäß  in 
den  meisten  Fällen  fast  die  Gesamtheit  ihres  hohen 
Preises  aus.  Die  Rente  hat  nur  einen  sehr  kleinen,  oft 
gar  keinen  Anteil  daran,  und  nur  die  ergiebigsten  Minen 
liefern  eine  bedeutendere  Rente.  Als  der  Juwelier 
Tavernier  die  Diamantengruben  von  Golkonda  und 
Yisapur  besuchte,  sagte  man  ihm,  daß  der  Herrscher 
des  Landes,  für  dessen  Rechnung  sie  ausgebeutet 
wurden,  alle  Gruben,  bis  auf  die,  welche  die  größten 
und  schönsten  Steine  lieferten,  hatte  schließen  lassen. 
Es  scheint  also,  daß  die  übrigen  für  den  Eigentümer 
den  Betrieb  nicht  lohnten. 

Da  der  Preis  sowohl  der  edlen  Metalle  wie  der 
Edelsteine  überall  in  der  Welt  durch  ihren  Preis  an 
den  ergiebigsten  Minen  bestimmt  wird,  so  richtet  sich 
die  Rente,  die  eine  derartige  Mine  für  ihren  Eigen- 
tümer abwerfen  kann,  nicht  nach  ihrer  absoluten, 
sondern  nach  ihrer  relativen  Ergiebigkeit,  d.  h.  nach 
ihrer  Überlegenheit  über  andere  Minen  derselben  Art. 
Würden  neue  Minen  entdeckt,  die  die  potosischen  um 
eben  so  viel  überträfen,  als  diese  die  europäischen 
übertroffen  haben,  so  würde  der  Wert  des  Silbers  so 
sehr  sinken,  daß  selbst  die  Minen  von  Potosi  den 
Betrieb  nicht  mehr  verlohnten.  Vor  der  Entdeckung 
des  spanischen  Westindiens  mögen  die  gehaltreichsten 
Minen  in  Europa  ihren  Eigentümern  eine  eben  so 
große  Rente  geliefert  haben,  als  die  reichsten  Minen 
von  Peru  gegenwärtig  den  ihrigen  gewähren.  War 
auch  die  Menge  des  gewonnenen  Silbers  weit  geringer, 
so  konnte  man  doch  ebenso  viele  andere  Waren  damit 
eintauschen  und  der  Eigentümer  konnte  für  seinen  Anteil 
eine  gleiche  Menge  Arbeit  oder  Waren  damit  kaufen. 
Der  Wert    sowohl   der  Ausbeute    wie   der  Rente,    das 


Kap.  XI,II.:  Bodenerzeugnisse  mit  und  ohne  l^ente.     243 

wirkliche  Einkommen,  das  sie  sowohl  dem  Staate  wie 
dem  Eigentümer  brachten,  mag  ähnlich  gewesen  sein. 

Aber  die  reichsten  Minen  sowohl  der  Metalle  wie 
der  Edelsteine  können  dem  Reichtum  der  Welt  nur 
wenig  hinzufügen.  Ein  Erzeugnis,  dessen  Wert  haupt- 
sächlich seiner  Seltenheit  zuzuschreiben  ist,  wird  not- 
wendig durch  seinen  Überfluß  entwertet.  Ein  Tafel- 
geschirr und  der  übrige  eitle  Tand  in  Kleidung  und 
Gerätschaften  würde  im  letzteren  Falle  für  eine  gerin- 
gere Menge  Arbeit  oder  für  eine  geringere  Menge  Waren 
gekauft  werden,  und  hierin  würde  der  ganze  Vorteil 
bestehen,  den  die  Welt  aus  jenem  Überfluß  zöge. 

Anders  ist  es  mit  Grundstücken  über  der  Erde.  Der 
Wert  sowohl  ihrer  Produkte  wie  ihrer  Rente  richtet 
sich  nach  ihrer  absoluten  und  nicht  nach  ihrer  relati- 
ven Fruchtbarkeit.  Das  Land,  das  eine  gewisse  Quan- 
tität Nahrung,  Kleidung  und  Wohnungsbedürfnisse  her- 
vorbringt, kann  stets  eine  gewisse  Zahl  Menschen  nähren, 
kleiden  und  mit  Wohnung  versorgen :  und  welchen  An- 
teil davon  auch  der  Grundherr  bezieht,  stets  wird  er 
ihm  eine  verhältnismäßige  Verfügung  über  die  Arbeit 
dieser  Leute  und  über  die  Waren  geben,  mit  welchen 
diese  Arbeit  ihn  versehen  kann.  Der  Wert  der  unfrucht- 
barsten Ländereien  wird  durch  die  Nachbarschaft  der 
fruchtbarsten  nicht  verringert;  er  wird  im  Gegenteil  ge- 
wöhnlich dadurch  erhöht.  Die  große  Menge  Menschen, 
die  auf  dem  fruchtbaren  Lande  ihre  Nahrung  findet, 
bietet  für  viele  Produkte  des  unfruchtbaren  einen  Markt, 
den  sie  unter  den  Leuten,  die  seine  eigene  Produktion 
zu    erhalten  vermochte,    niemals    hätte   finden  können. 

Alles,  was  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens  derart 
vermehrt,  daß  er  mehr  Nahrungsmittel  hervorbringt, 
erhöht  nicht  nur  den  Wert  der  Ländereien,  denen  die 
Verbesserung  zu  Teil  wird,  sondern  trägt  auch  dazu 
bei,   den  Wert  vieler   anderer  Ländereien   dadurch  zu 

16* 


244  T]i'''tps  Ruch :  Zuniihmo  in  rler  Ertra^'skraft  dor  Arbeit. 

steigern,  daß  es  für  ihre  Produkte  eine  neue  Nachfrage 
schafft.  Der  Überschuß  an  Nahrungsmitteln,  der  in 
Folge  der  Bodenverbesserung  vielen  Leuten 'über  ihren 
eigenen  Bedarf  noch  etwas  abwirft,  ist  die  wirkliche 
Ursache  der  Nachfrage  nach  edlen  Metallen  und  Edel- 
steinen, sowie  nach  allen  anderen  Gegenständen  der 
Bequemlichkeit  und  des  Zierrats  an  Kleidung,  Woh- 
nung, Haushalt  usw.  Die  Nahrungsmittel  bilden  nicht 
nur  den  Hauptteil  alles  Reichtums  in  der  Welt,  son- 
dern ihr  Überfluß  giebt  auch  vielen  anderen  Gütern 
erst  ihren  hauptsächlichen  Wert.  Bei  der  Entdeckung 
von  Cuba  und  St.  Domingo  durch  die  Spanier  hatten 
die  armen  Eingebornen  die  Gewohnheit,  kleine  Stück- 
chen Gold  als  Zierrat  im  Haar  und  an  manchen  Stellen 
ihres  Anzugs  zu  tragen.  Sie  schienen  sie  eben  so  zu 
schätzen,  wie  wir  etwa  kleine  Kieselsteine  von  etwas 
mehr  als  gewöhnlicher  Schönheit  schätzen,  und  hielten 
sie  allenfalls  des  Aufhebens  wert,  aber  nicht  für  kost- 
bar genug,  um  sie  dem,  der  sie  darum  bat,  zu  ver- 
weigern. Sie  gaben  sie  ihren  neuen  Gästen  auf  ihren 
ersten  Wunsch  und  schienen  nicht  zu  glauben,  daß 
sie  ihnen  ein  besonders  wertvolles  Geschenk  gemacht 
hätten.  Mit  Erstaunen  bemerkten  sie  die  Gier  der 
Spanier  nach  ihrem  Besitze  und  begriffen  nicht,  wie 
es  ein  Land  geben  konnte,  wo  viele  Leute  über  einen 
solchen  Überfluß  an  Nahrungsmitteln,  die  bei  ihnen 
so  unzureichend  waren,  verfügen  konnten,  daß  sie  für 
eine  geringe  Menge  jenes  glitzernden  Flitters  gern  so 
viel  Nahrungsmittel,  wie  eine  ganze  Familie  auf  mehrere 
Jahre  braucht,  hergaben.  Hätte  ihnen  dies  begreiflich 
gemacht  werden  können,  so  w^ürde  sie  die  Leidenschaft 
der  Spanier  nicht  mehr  befremdet  haben. 


Kap.  XI.TTI.:  Veränderung  in  d.  WertA-erh.  v.  Produkten,  etc.  245 


Dritte  Abteilung. 

Die  Veränderung  in  dem  Verhältnis  zwischen  dem  Werte 

derjenigen  Art  von  Produkten,  welche  immer  eine  Rente 

bringen,  und  dem  Werte  derer,  die  zuweilen  eine  Rente 

gewähren  und  zuweilen  keine, 

Der  infolge  zunehmender  Kultur  wachsende  Über- 
fluß  von  Nahrungsmitteln  muß  notwendig  auch  die 
Nachfrage  nach  den  anderen  Bodenprodukten,  die  nicht 
Nahrungsmittel  sind,  sondern  zu  anderem  Gebrauch 
oder  zur  Zierde  dienen,  vermehren.  Man  sollte  dem" 
nach  erwarten,  daß  im  gesamten  Fortschritt  der  Kultur 
nur  eine  einzige  Veränderung  in  dem  Wertverhältnis 
dieser  beiden  Arten  von  Produkten  eintreten  und  der 
"Wert  derjenigen  Art  von  Produkten,  die  zuweilen  eine 
Hente  abwirft  und  zuweilen  nicht,  stets  gerade  so  zU' 
nehmen  würde,  wie  der  AA'ert  derjenigen,  welche  stets 
eine  Rente  geben.  In  dem  Maße,  wie  Künste  und  Ge» 
werbe  fortschreiten,  müßten  auch  die  Stoffe  für  Klei- 
dung und  Wohnung,  die  nützlichen  Fossilien  und 
Mineralien  der  Erde,  und  die  edlen  Metalle  und  Edel- 
steine allmählich  mehr  und  mehr  im  Begehr  steigen, 
sich  allmählich  gegen  eine  immer  größere  Menge  von 
Nahrungsmitteln  vertauschen  lassen,  mit  anderen 
Worten  allmählich  immer  teurer  werden.  Dies  ist 
auch  beim  größten  Teil  dieser  Dinge  meist  der  Fall, 
und  würde  dies  unter  allen  Umständen  sein,  wenn 
nicht  besondere  Umstände  in  manchen  Fällen  das  An- 
gebot noch  höher  gesteigert  hätten,  als  die  Nachfrage. 

Der  Wert  eines  Steinbruchs  z.  B.  wird  notwendig 
mit  der  zunehmenden  Kultur  und  Bevölkerung  der 
Umgegend  steigen,  namentlich  wenn  er  der  einzige  in 
der  ganzen  Gegend  ist.  Dagegen  steigt  der  Wert  einer 
Silbermine,  wenn  auch  innerhalb  tausend  Meilen  keine 
andere  vorhanden  wäre,  durchaus  nicht  notwendig  mit 


246  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragski-aft  der  Arbeit. 

der  Kultur  des  Landes,  in  dem  sie  sich  befindet.  Der 
Markt  für  das  Produkt  eines  Steinbruchs  kann  sich 
selten  weiter  als  auf  einige  Meilen  in  der  Runde  er- 
strecken, und  die  Nachfrage  danach  wird  sich  im  Ganzen 
nach  der  Kultur  und  Bevölkerung  dieses  kleinen  Um- 
kreises richten.  Der  Markt  für  das  Piodukt  einer  Silber- 
mine hingegen  kann  sich  über  die  ganze  bekannte  Welt 
ausdehnen.  Wenn  daher  nicht  die  Welt  im  Ganzen  an 
Kultur  und  Bevölkerung  zunimmt,  braucht  die  Nach- 
frage nach  Silber  infolge  der  fortschreitenden  Kultur 
selbst  eines  großen  Landes  in  der  Nähe  der  Mine 
keineswegs  zu  steigen.  Selbst  wenn  die  Welt  im  Ganzen 
an  Kultur  zunähme,  gleichzeitig  aber  neue  Minen  von 
weit  größerer  Ergiebigkeit,  als  die  bisher  bekannten, 
entdeckt  würden,  so  würde  trotz  der  notwendig  wachsen- 
den Nachfrage  nach  Silber  sein  Angebot  doch  so  be- 
deutend steigen,  daß  der  Sachpreis  dieses  Metalls  nach 
und  nach  sinken  müßte,  d.  h.  daß  eine  bestimmte 
Menge  von  ihm  etwa  ein  Pfund,  nach  und  nach  eine 
immer  geringere  Menge  von  Arbeit  kaufen  könnte, 
oder  sich  nur  gegen  eine  immer  kleiner  werdende 
Monge  Getreides,  des  Hauptlebensmittels  der  Arbeiter, 
vertauschen  ließe. 

Der  große  Markt  für  Silber  ist  der  handeltreibende 
und  zivilisierte  Teil  der  Welt. 

Wenn  durch  den  allgemeinen  Fortschritt  die  Nach- 
frage dieses  Marktes  wüchse,  während  zu  gleicher  Zeit 
das  Angebot  nicht  in  demselben  Verhältnis  zunähme, 
so  würde  der  Wert  des  Silbers  allmählich  im  Verhältnis 
zu  dem  des  Getreides  steigen.  Eine  gegebene  Menge 
Silber  würde  im  Tausch  eine  immer  größere  Monge 
Getreide  gelten,  oder  mit  anderen  Worten,  der  durch- 
schnitthche  Geldpreis  des  Getreides  würde  allmählich 
immer  niedriger  werden. 

Wenn  umgekehrt  zufällig  das  Angebot  viele  Jahre 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  de«  Silberwerts.  I.       247 

hindurch  in  größerem  Maße  wächst,  als  die  Nachfrage, 
so  würde  jenes  Metall  allmählich  immer  wohlfeiler 
\\ierden,  oder  mit  anderen  Worten,  der  durchschnitt- 
liche Geldpreis  des  Getreides  würde  trotz  aller  Fort- 
schritte  der  Kultur  allmählich    immer  höher    werden. 

Stiege  jedoch  andererseits  das  Angebot  des  Metalls 
fast  in  demselben  Maße,  wie  die  Nachfrage,  so  würde 
man  auch  ferner  fast  dieselbe  Menge  Getreide  dafür 
kaufen  können,  und  der  durchschnittliche  Geldpreis 
des  Getreides  würde  trotz  aller  Kulturfortschritte  un- 
gefähr der  nämliche  bleiben. 

Diese  drei  Fälle  scheinen  alle  möglichen  Eventu- 
alitäten, die  sich  im  Fortschritt  der  Kultur  ereignen 
können,  zu  erschöpfen,  und  im  Laufe  der  letzten  vier 
Jahrhunderte  ereigneten  sich,  soweit  man  nach  den 
Vorgängen  in  Frankreich  und  Großbritannien  urteilen 
kann,  alle  drei  Fälle  auf  dem  europäischen  Markt,  und 
zwar  so  ziemlich  in  derselben  Reihenfolge,  in  der  ich 
sie  liier  aufgeführt  habe. 


Abschweifung 

Über  die  Schwankungen  des  Silberwerts  während  der 

letzten  vier  Jahrhunderte. 

Erste  Periode. 
Um  das  Jahr  1350  scheint  der  Durchschnittspreis 
des  Quarters  Weizen  in  England  nicht  weniger  als 
vier  Unzen  Silber  Towergewicht,  etwa  gleich  zwanzig 
Schilling  unsres  jetzigen  Geldes,  gekostet  zu  haben.  Von 
diesem  Preise  scheint  er  allmählich  bis  auf  zwei  Unzen 
Silber,  also  etwa  zehn  Schilling  unsres  Geldes  gefallen 
zu  sein,  zu  welchem  Preise  wir  ihn  am  Anfang  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  veranschlagt  finden,  und 
den  er  bis  ungefähr  1570  behalten  haben  mag. 


248  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Im  Jahre  1350,  dem  fünfundzwanzigsten  Eduards 
III.,  wurde  das  sogenannte  Arbeiterstatut  erlassen. 
Im  Eingange  dazu  wird  über  die  Ungebührlichkeit 
der  Dienstboten  geklagt,  die  ihren  Herrschaften  einen 
höheren  Lohn  abzunötigen  suchen.  Deshalb  wird 
verordnet,  daß  alle  Dienstboten  und  Arbeiter  in  Zu- 
kunft sich  mit  den  nämlichen  Löhnen  und  Livreen 
(Livery  bedeutete  damals  nicht  blos  Kleidung,  son- 
dern auch  Beköstigung)  begnügen  sollten,  die  sie  im 
zwanzigsten  ßegierungsjahre  dos  Königs  und  in  den 
vier  vorhergehenden  zu  erhalten  pflegten;  daß  deshalb 
die  Lieferuns  von  Weizen  an  sie  niemals  höher  an- 
geschlagen  werden  solle,  als  10  d.  für  den  Bushel, 
und  daß  den  Meistern  stets  die  Wahl  bleiben  solle, 
Weizen  oder  Geld  zu  geben.  10  d.  für  den  Bushel 
sah  man  also  im  fünfundzwanzigsten  Regierungsjahre 
Eduards  111.  als  einen  sehr  mäßigen  Preis  des  Weizens 
an,  da  es  eines  besonderen  Gesetzes  bedurfte,  die 
Dienstboten  zu  seiner  Annahme  anstatt  ihrer  üblichen 
Beköstigung  zu  nötigen;  und  schon  zehn  Jahre  früher, 
im  sechzehnten  Regierungsjahre  des  Königs,  auf 
welchen  Zeitpunkt  das  Gesetz  zurückgeht,  wurde  es 
für  einen  billigen  Preis  gehalten.  Im  sechzehnten  Re- 
gierungsjahre Eduards  III.  enthielten  aber  10  d.  un- 
gefähr eine  halbe  Unze  Silber  Towergewicht,  und 
waren  etwa  so  viel,  als  eine  halbe  Krone  (2^2  sh.) 
unsres  heutigen  Geldes.  Vier  Unzen  Silber  Towor- 
gewicht,  also  6  sh.  8  d.  im  Gelde  jener  Zeit,  oder 
beinahe  20  sh.  des  jetzigen  Geldes,  galten  als  ein 
mäßiger  Preis  für  den  Quarter  von  acht  Bushel. 

Dies  Gesetz  beweist  sicherlich  besser,  was  zu  jener 
Zeit  als  ein  mäßiger  Preis  des  Getreides  galt,  als  die 
von  Geschichtsschreibern  und  anderen  Schriftstellern 
gewöhnlich  aufgezeichneten  Preise  einzelner  besonders 
teurer    oder    wohlfeiler  Jahre,    nach   denen    man   sich 


Kap.  XI.:  Die  Sch^yankung•en  des  Silberwerts.  I.       2-19 

eben  deshalb  kein  sicheres  Urteil  über  den  Durch- 
schnittspreis bilden  kann.  Es  gibt  indessen  noch  andere 
Gründe,  die  es  glaubhaft  mächen,  daß  zu  Anfang  des 
vierzehnten  Jahrhunderts  und  etwas  früher  der  ge- 
wöhnliche Preis  des  Weizens  nicht  unter  vier  Unzen 
Silber  der  Quarter  betrug,  und  der  Preis  der  übrigen 
Gretreidearten  im  Verhältnis  dazu  stand. 

1309  gab  Ralph  de  Born,  Prior  des  Augustiner- 
klosters zu  Canterbury,  am  Tage  seiner  Einsetzung 
ein  Fest,  von  dem  uns  William  Thorn  nicht  nur  den 
Speisezettel  selbst,  sondern  auch  die  Preise  vieler 
Einzelheiten  aufbewahrt  hat.  Bei  diesem  Feste  wurden 
verzehrt:  1)  53  Quarter  Weizen,  die  zusammen  neun- 
zehn Pfund,  oder  7  sh.  2  d.  der  Quarter,  d.  h.  21  sh.  6  d. 
jetzigen  Geldes  kosteten.  2)  58  Quarter  Malz,  die  zu- 
sammen 17  £  10  sh.,  oder  (3  sh.  der  Quarter,  d.  h.  18  sh. 
unseres  Geldes  kosteten.  3)  20  Quarter  Hafer,  welche 
zusammen  4  £,  oder  -t  sh.  der  Quarter,  d.  h.  12  sh. 
unseres  Geldes  kosteten.  Die  Preise  von  Malz  und 
Hafer  scheinen  hier  höher  zu  sein,  als  nach  ihrem  ge- 
wöhnlichen Verhältnis  zum  Preise  des  Weizens  anzu- 
nehmen wäre. 

Die  Preise  wurden  nicht  wegen  ihrer  außerge- 
wöhnlichen Höhe  oder  Wohlfeilheit  aufgezeichnet, 
sondern  nur  zufällig  als  die  Preise  großer  Getreide- 
mengen, die  bei  einem  durch  seine  Pracht  berühmten 
Feste  verbraucht  wurden,  erwähnt. 

Im  Jahre  1262,  dem  51sten  Heinrichs  HI.,  wurde 
ein  altes  Gesetz,  die  sogenannte  Brot-  und  Biertaxe, 
das,  wie  der  König  im  Eingange  sagt,  in  den  Zeiten 
seiner  Voreltern,  unter  denen  einige  Könige  von  Eng- 
land, gegeben  worden,  wieder  erneuert.  ¥]s  fällt  dem- 
nach wahrscheinlich  in  die  Zeit  seines  Großvaters, 
Heinrichs  H.,  oder  kann  auch  bis  in  die  Zeit  der  Er- 


250  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

oberung  zurückreichen.  Das  Gesetz  regelt  den  Preis 
des  Brotes  nach  den  jedesmaligen  Weizenpreisen,  die 
von  einem  bis  zu  zwanzig  sh.  damaligen  Geldes  der 
Quarter  schwankten.  Gesetze  dieser  Art  pflegen  aber 
ihre  Fürsorge  auf  alle  Abweichungen  vom  mittleren 
Preise,  also  sowohl  die  unter,  als  die  über  ihm  zu 
ei-streckcn.  Unter  dieser  Voraussetzung  müssen  10  sh. 
oder  sechs  Unzen  Silber  Towergewicht,  gleich  30  sh. 
unseres  jetzigen  Geldes,  als  der  mittlere  Preis  des 
Quarters  Weizen  zu  der  Zeit,  als  jenes  Gesetz  zuerst 
gegeben  wurde,  angesehen  worden  und  es  auch  bis 
in  das  ölste  Jahr  Heinrichs  III.  geblieben  sein.  Wir 
werden  daher  kaum  irregehen,  wenn  wir  annehmen, 
daß  der  Mittelpreis  nicht  weniger  als  ein  Drittel  des 
von  jenem  Gesetze  für  den  Brotpreis  festgesetzten 
höchsten  Preises  betrug,  d.  h.  6  sh.  8  d.  damaligen 
Geldes   oder  vier  Unzen  Silber  Towergewicht. 

Diese  verschiedenen  Tatsachen  berechtigen  wohl 
zu  dem  Schlüsse,  daß  um  die  Mitte  des  vierzehnten 
Jahrhunderts  und  ziemlich  lange  vorher  der  Durch- 
schnittspreis des  Quarters  Weizen  nicht  unter  vier 
Unzen  Silber  Towergewicht  betrug. 

Ungefähr  von  der  Mitte  des  vierzehnten  bis  zum 
Anfang  des  sechszehnten  Jahrhunderts  scheint  dieser 
als  billig  und  massig,  d.  h.  als  der  Durschschnittspreis 
angesehene  Preis  allmählich  auf  etwa  die  Hälfte  ge- 
sunken zu  sein,  so  daß  er  zuletzt  bis  auf  zwei  Unzen 
Silber  Towergewicht  oder  etwa  10  sh.  unseres  Geldes 
fiel.    Auf  diesem  Satze  verblieb  er  bis  gegen  1570. 

In  dem  Haushaltungsbuche  Heinrichs,  des  fünften 
Grafen  von  Northumberland,  für  1512  finden  sich 
zweierlei  Schätzungen  des  Weizens.  Nach  der  einen 
wird  der  Quarter  zu  G  sh.  8  d.,  nach  der  anderen  nur  zu 
5  sh.  8  d.   berechnet.     1512   enthielten  aber  6  sh.  8  d. 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  I.       251 

nur  zwei  Unzen  Silber  Towoi'gewicht  und  betrugen 
nach  heutigem  Gelde  etwa  10  sh. 

Vom  25.  Regierungsjahre  Eduards  III.  bis  in  den 
Anfang  der  Regiei'ung  Ehsabeths,  in  einem  Zeitraum 
von  mehr  als  zweihundert  Jahren,  blieben,  wie  man  aus 
verschiedenen  Gesetzen  ersieht,  sechs  Schilling  und 
acht  Pence  der  Durchschnittspreis  des  Weizens.  Die 
in  dieser  nominellen  Summe  enthaltene  Silbermenge 
nahm  jedoch  im  Laufe  dieser  Zeit  infolge  einiger 
Münzveränderungen  beständig  ab;  allein  der  gleich- 
zeitig steigende  Wort  des  Silbers  scheint  die  Vermin- 
derung der  in  der  gleichnamigen  Summe  enthaltenen 
Silbermenge  soweit  ausgeglichen  zu  haben,  daß  die 
Gesetzgebung  es  nicht  für  nötig  erachtete,  diesen  Um- 
stand zu  berücksichtigen. 

So  wurde  1436  bestimmt,  daß  der  Weizen  in  dem 
Falle  ohne  besondere  Erlaubnis  ausgeführt  worden  dürfe, 
wenn  sein  Preis  bis  auf  6  sh.  8  d.  gefallen  wäre,  und 
1463  wurde  bestimmt,  daß,  wenn  der  Preis  des  Quar- 
ters nicht  über  6  sh.  8  d.  stände,  kein  Weizen  einge- 
führt werden  solle.  Der  Gesetzgeber  war  also  der 
Meinung,  daß  die  Ausfuhr  bei  so  niedrigem  Preise 
keinen  Schaden  bringe,  daß  aber,  sobald  der  Preis 
höher  steige,  die  Einfuhr  aus  Vorsicht  zu  gestatten  sei. 
Mithin  galten  6  sh.  8  d.,  die  ungefähr  die  nämliche 
Menge  Silber  enthielten,  wie  jetzt  13  sh.  4  d.  (ein 
Drittel  weniger,  als  die  gleichnamige  Summe  zur  Zeit 
Eduards  III.  enthielt),  damals  für  einen  mäßigen  und 
billigen  Preis  des  Weizens. 

Im  Jahre  1554  unter  Philipp  und  Maria,  und  im 
Jahre  1558,  dem  ersten  Regierungsjahre  Elisabeths, 
wurde  die  Ausfuhr  des  Weizens  gleicherweise  für  den 
Fall  verboten,  daß  der  Preis  des  Quarters  nicht  6  sh. 
8  d.  übersteige,  eine  Summe  die  damals  kaum  für  2  d. 
mehr  Silber  enthielt  als  die  gleiche  Summe  in  unserer 


252  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Zeit.  Indessen  fand  man  bald,  daß  diese  Beschrän- 
kung der  Weizenausfuhr  in  der  Tat  einem  völligen  Ver- 
bote gleichkomme.  Deshalb  wurde  1562,  im  fünften 
Jahre  Elisabeths,  die  Ausfuhr  des  Weizens  aus  ge- 
wissen Häfen  für  den  Fall  gestattet,  daß  der  Preis  des 
Quarters  nicht  mehr  als  10  sh.,  die  ungefähr  dasselbe 
Silberquantum  enthielten  wie  jetzt,  betrage.  Mithin 
galt  dieser  Preis  damals  als  ein  mäßiger  und  billiger. 
Es  stimmt  dies  mit  der  Schätzung  des  Baches  North- 
umberlands  vom  Jahre  1512  ziemlich  üborein. 

Daß  auch  in  Frankreich  der  Durchschnittspreis 
des  Getreides  um  das  Ende  des  15.  und  im  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts  viel  billiger  war,  als  in  den 
beiden  vorhergehenden  Jahrhunderten,  ist  sowohl  von 
Dupre  de  St.  Maur,  als  auch  von  dem  eleganten  Ver- 
fasser des  Versuchs  über  die  Gretreidepolitik  beobachtet 
worden.  Und  wahrscheinlich  war  in  den  meisten  Län- 
dern Europas  während  jener  Periode  der  Getreidepreis 
ebenso  gesunken. 

Das  Steigen  des  Silberwertes  im  Verhältnis  zum 
Werte  des  Getreides  konnte  seinen  Grund  haben  ent- 
weder ausschließlich  in  der  wachsenden  Nachfrage  nach 
diesem  Metall  infolge  der  zunehmenden  Kultur,  bei 
gleichbleibendem  Angebot;  oder  in  der  allmählichen 
Verminderung  des  Angebots  bei  gleichbleibender  Nach- 
frage, indem  die  meisten  damals  bekannten  Bergwerke 
sehr  erschöpft  waren,  und  größere  Betriebskosten  ver- 
ursachten; oder  endlich  teils  in  dem  einen,  teils  in  dem 
anderen  dieser  beiden  Umstände.  Gegen  das  Ende  des 
15.  und  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  bildete  sich 
in  den  meisten  europäischen  Ländern  allmählich  eine 
festere  ßegierungsform  heraus,  als  man  seit  verschiede- 
nen Menschenaltern  sich  ihrer  erfreut  hatte.  Die  zuneh- 
mende Sicherheit  mußte  natürlich  auch  den  Gewerb- 
fleiß und  die  Bodenkultur  heben,   und    die  Nachfrage 


Kap.  XL:  Die  Sohwanknn.o-en  des  Silborwerts.  T.       253 

nach  den  edlen  Metallen,  gleich  wie  nach  allen  anderen 
Luxus-  und  Schmuckgegenständen  mußte  mit  dem 
wachsenden  Reichtum  gleichen  Schritt  halten.  Ein 
größeres  Jahresprodukt  erforderte  eine  größere  Menge 
Geld  zum  Umlauf  und  eine  größere  Zahl  reicher  Leute 
brauchte  mehr  silberne  Gerätschaften  und  Schmuck- 
sachen. Auch  muß  man  annehmen,  daß  die  meisten 
Bergwerke,  die  damals  den  europäischen  Markt  mit 
Silber  versorgten,  sehr  erschöpft  waren,  und  höhere 
Betriebskosten  erheischten.  Viele  unter  ihnen  waren 
seit  der  ßömerzeit  abgebaut  worden. 

Die  meisten  Schriftsteller  über  die  Warenpreise 
in  früheren  Zeiten  sind  der  Meinung,  daß  der  Wert 
des  Silbers  seit  der  Eroberung,  vielleicht  sogar  schon 
seit  dem  Einfalle  Julius  Cäsars,  bis  zur  Entdeckung 
Amerikas  beständig  gesunken  sei.  Zu  dieser  Ansicht 
scheinen  sie  teils  durch  die  Beobachtungen  über  die 
Preise  des  Getreides  und  anderer  Bodenprodukte,  teils 
durch  die  populäre  Meinung  verleitet  worden  zu  sein, 
daß,  wie  in  jedem  Lande  mit  dem  zunehmenden  Wohl- 
stande naturgemäß  auch  die  Silbermenge  wächst,  eben- 
so sein  Wert  abnimmt,  je  mehr  die  Menge   zunimmt. 

In  ihren  Betrachtungen  über  die  Getreidepreise 
scheinen  dreierlei  Umstände  sie  oft  irre  geleitet  zu 
haben. 

Erstens,  in  früheren  Zeiten  wurden  fast  alle  Renten 
in  natura  entrichtet,  in  einer  bestimmten  Menge  Ge- 
treide, Yieh,  Geflügel  usw.  Mitunter  kam  es  jedoch 
vor,  daß  der  Grundeigentümer  sich  die  freie  Wahl 
vorbehielt,  vom  Pächter  die  jährliche  Zahlung  ent- 
weder in  natura  oder  in  einer  bestimmten  Geldsumme 
zu  fordern.  Der  Preis,  zu  welchem  die  Naturallieferung 
in  eine  gewisse  Geldsumme  verwandelt  wurde,  heißt 
in  Schottland  der  Konversionspreis.  Steht  nun  stets 
dem  Grundeigentümer  die  Wahl  zu,    so   erfordert  die 


254  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Eitragskraft  der  Arbeit. 

Sicherheit  des  Pächters,  daß  der  Konversionspreis  eher 
unter  als  über  dem  mittleren  Marktpreise  stehe.  Er 
beträgt  demnach  auch  an  vielen  Orten  nicht  viel  mehr, 
als  die  Hälfte  von  diesem.  In  Bezug  auf  Geflügel  be- 
steht diese  Gewohnheit  noch  in  dem  größeren  Teile 
Schottlands,  inbezug  auf  Yieh  noch  hie  und  da.  Sie 
würde  wahrscheinlich  auch  für  Getreide  fortbestanden 
haben,  wenn  nicht  die  Einrichtung  der  öffentlichen 
Fiars  dem  ein  Ende  gemacht  hätte.  Dies  sind  jährliche, 
nach  richterlichem  Ermessen  vorgenommene  Schätzun- 
gen des  mittleren  Preises  aller  Getreidearten  und  ihrer 
verschiedenen  Sorten,  nach  Maßgabe  des  wirklichen 
Marktpreises  in  den  verschiedenen  Grafschaften.  Diese 
Einrichtung  machte  es  für  den  Pächter  hinreichend 
sicher  und  für  den  Grundeigentümer  bequemer,  die 
Getreiderente  lieber  in  jedem  Jahre  nach  dem  Preise 
der  Fiars,  als  nach  einem  festen  Preise  umzuwandeln. 
Die  Schriftsteller  aber,  die  die  Getreidepreise  früherer 
Zeiten  sammelten,  scheinen  oft  irrtümlich  den  in  Schott- 
land sogenannten  Konversionspreis  für  den  wirklichen 
Marktpreis  genommen  zu  haben.  Fleetwood  räumt  an 
einer  Stelle  ein,  daß  er  diesen  Irrtum  begangen  habe. 
Da  er  jedoch  sein  Buch  zu  einem  besonderen  Zwecke 
schrieb,  hielt  er  es  nicht  für  nötig,  dieses  Geständnis 
abzulegen,  als  nachdem  er  jenen  Konversionspreis  fünf- 
zehnmal abgeschrieben  hatte.  Der  Preis  ist  8  sh.  der 
Quarter  Weizen.  Diese  Summe  enthielt  im  Jahre  1423, 
mit  dem  er  beginnt,  ebenso  viel  Silber,  als  jetzt  16  sh.; 
dagegen  enthielt  sie  1562,  mit  welchem  Jahre  er  schließt, 
nicht  mehr,  als  die  heutige  gleichnamige  Summe  darstellt. 

Zweitens:  sie  ließen  sich  durch  die  Nachlässigkeit 
irreleiten,  womit  manche  alte  Taxordnungen  von  un- 
aufmerksamen Abschreibern  kopiert  und  zuweilen  viel- 
leicht von  der  Behörde  selbst  verfaßt  waren. 

Die    alten  Taxordnungen  scheinen    stets    mit    der 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silbervverts.  L       255 

Bestimmung  begonnen  zu  haben,  wie  hoch  der  Preis 
des  Brotes  und  Bieres  sein  solle,  wenn  der  "Weizen- 
und  Gerstenpreis  am  niedrigsten  stand,  und  scheinen 
dann  allmählich  zu  den  Bestimmungen  vorgeschritten 
zu  sein,  wie  hoch  der  Preis  sein  soll,  wenn  die  Preise 
jener  beiden  Getreidearten  sich  über  ihren  niedrigsten 
Satz  erheben.  Allein  die  Abschreiber  scheinen  es  oft 
für  hinreichend  gehalten  zu  haben,  die  Taxordnung 
bis  auf  die  drei  oder  vier  ersten  und  niedrigsten  Preise 
fortzuführen;  sie  ersparten  sich  auf  diese  Weise  Ar- 
beit, und  dachten  wahrscheinlich,  dies  genüge,  um  das 
Verhältnis  nachzuweisen,  das  bei  den  höheren  Preisen 
eintreten  sollte. 

So  wurde  in  der  Brot-  und  Bierordnung  aus  dem 
51.  ßegierungsjahre  Heinrichs  III.  der  Brotpreis  nach 
den  zwischen  einem  und  zwanzig  Schillingen  damali- 
gen Geldes  der  Quarter  schwankenden  Weizenpreisen 
geregelt.  In  den  Handschriften  aber,  nach  welchen  die 
verschiedenen  Ausgaben  der  Statuten,  bis  auf  die  Ruff- 
headschen,  gedruckt  wurden,  waren  die  Abschreiber  nie 
über  den  Preis  von  12  sh.  hinausgegangen.  Durch  diese 
mangelhafte  Art  des  Abschreibens  sind  viele  Schrift- 
steller irregeleitet  worden,  und  haben  ganz  natürlich 
geschlossen,  daß  der  in  der  Mitte  liegende  Preis,  also 
6  sh.  der  Quarter,  oder  etwa  18  sh.  unseres  Geldes,  zu 
jener  Zeit  der  gewöhnliche  oder  Durchschnittspreis 
des  Weizens  gewesen  ist. 

In  dem  Tumbrel-  und  Pillory-Statut''%  das  um 
dieselbe  Zeit  gegeben  wurde,  wird  der  Preis  des 
Bieres  nach  dem  Steigen  des  Gerstenpreises,  von  2  sh. 
bis  auf  4  sh.  der  Quarter  und  zwar  von  sechs  zu 
sechs  Pence,  goregelt.    Daß  jedoch  4  sh.  nicht  als  der 

•'')  Tumbrel,  Richtkarren,  Pillory,  Pranger.  Auf  dem  er.steren 
wurden  die  Brauer,  an  dem  andern  die  Bäcker,  die  .sich  gegen 
die  Taxen  vergingen,  der  öffentlichen  Schande  preisgegeben. 


256  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertra,2;skraft  der  Arbeit. 

höchste  Preis  betrachtet  wurde,  auf  den  die  Gerste 
steigen  konnte,  und  daß  diese  Preise  nur  als  ein  Bei- 
S{)iel  für  das  Verhältnis,  das  bei  höheren  oder  niedri- 
geren Preisen  beobachtet  vver'den  sollte,  aufgestellt 
worden  sind,  läßt  sich  aus  den  letzten  Worten  des  Sta- 
tuts schließen:  et  sie  deinceps  crescetur  vel  diminuetur 
per  sex  denarios.  Der  Ausdruck  ist  sehr  nachlässig, 
aber  der  Sinn  ist  deutlich  genug,  nämlich  „daß  der 
Preis  des  Bieres  steigen  oder  fallen  soll,  je  nachdem 
der  Preis  der  Gerste  um  6  d.  steigt  oder  fällt."  Der 
Gesetzgeber  scheint  bei  der  Abfassung  dieses  Statuts 
eben  so  nachlässig  gewesen  zu  sein,  als  es  die  Ab- 
schreiber bei  der  Abschrift  anderer  waren. 

In  einer  alten  Handschrift  des  „Regiam  Majesta- 
tem",  eines  alten  schottischen  Gesetzbuches,  findet  sich 
eine  Taxordnung,  in  welcher  der  Preis  des  Brotes  nach 
den  verschiedenen  Preisen  des  Weizens  von  10  d.  an 
bis  zu  8  sh.  für  den  schottischen  Boll,  (etwa  ein 
halber  englischer  Quarter)  geregelt  ist.  Drei  schottische 
Schillinge  waren  zur  Zeit  dieser  Taxordnung  etwa 
so  viel  wie  neun  Schilling  Sterling  unseres  Geldes. 
Ruddiman*)  scheint  hieraus  zu  schließen,  daß  drei 
Schilling  der  höchste  Preis  war,  den  der  Weizen  zu 
jener  Zeit  überhaupt  erreichte,  und  daß  zehn  Pence, 
bezw.  ein  Schilling,  oder  höchstens  zwei  Schilling  der 
gewöhnliche  Preis  war.  Befragt  man  die  Handschrift 
selbst,  so  ersieht  man  deutlich,  daß  alle  diese  Preise 
nur  als  Beispiele  des  Verhältnisses  aufgestellt  wurden, 
das  zwischen  den  Preisen  des  Weizens  und  des  Brotes 
festgehalten  werden  sollte.  Die  letzten  Worte  des 
Statuts  lauten:  „relicjua  judicabis  secundum  praescripta 
habende  respectum  ad  pretium  bladi"  —  „die  übrigen 
Fälle  sind  nach  Obigem  mit  Rücksicht  auf  den  Preis 
des  Getreides  zu  beurteilen." 


*)  S.  dessen  Vorrede  zu  Andersons  Diploraata  Scotiae. 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  I.       257 

Drittens    scheint  man   sich   auch    durch  den   sehr 
niedrigen  Preis,   zu  dem  der  Weizen  zuweilen  in  der 
frühesten  Zeit  verkauft  wurde,  zu  dem  Glauben  haben 
verleiten  zu  lassen,  daß,  da  der  niedrigste  Preis  damals 
niedriger    war  als   in   späterer  Zeit,    der  gewöhnliche 
Preis  gleichfalls  niedriger  gewesen  sein  müsse.     Man 
hätte  jedoch  wissen  können,    daß  damals    der  höchste 
Preis  weit  über  dem  späteren,  und  der  niedrigste  weit 
unter   ihm    stand.      So    gibt    uns    Fleetwood    für    das 
Jahr  1270  zwei  Preise  des  Quarters  Weizen.   Der  eine 
ist  £  4.  16  sh.  im  Gelde  jener  Zeit,  d.  h.  £  14.  8  sh. 
im  unsrigen,  der  andere  £  6.  8  sh.,  d.  h.  £  19.  4  sh. 
unsres   Geldes.      Am  Ende   des   fünfzehnten   oder  zu 
Anfang   des   sechzehnten  Jahrhunderts   ist  kein  Preis 
zu  finden,  der  diesem  übertriebenen  Satze  nahe  käme. 
Der  Preis  des  Getreides,  obwohl  er  stats  Schwankun- 
gen unterworfen  ist,  schwankt  am  auffallendsten  doch 
in  jenen  unruhigen  und  ungeordneten  Gesellschaften, 
in   denen   die  Unterbrechung   alles  Handels   und  aller 
Verbindungen    den    Überfluß    des    einen    Landesteils 
hindert,  dem  Mangel  des  andern  zu  Hilfe  zu  kommen. 
In  dem  verwirrten  Zustande  Englands  unter  den  Plan- 
tagenets,   die   das   Land    von   der  Mitte   des    zwölften 
bis  gegen  das  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  be- 
herrschten,  konnte   der   eine  Bezirk  Überfluß   haben, 
während    ein    anderer  benachbarter    seine   Ernte    ent- 
weder  durch  Zufälle   der  Witterung   oder   durch   den 
Einfall    eines   benachbarten   Barons    zerstört  sah    und 
alle   Schrecken    einer   Hungersnot    zu   ertragen    hatte; 
denn    wenn    die   Ländereien    eines    feindlichen    Lords 
dazwischen  lagen,   konnte  der  eine  dem  andern  nicht 
den  geringsten  Beistand  leisten.    Unter  der  kräftigen 
Regierung    der   Tudors,    die    seit    der    zweiten   Hälfte 
des  fünfzehnten  und  das  ganze  sechzehnte  Jahrhundert 
hindurch    in    England    herrschten,     war    kein    Baron 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  IT 


258  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

mächtig  genug,   um  es  wagen  zu  können,    die  öffent- 
liche Sicherheit  zu  stören. 

Am  Ende  dieses  Kapitels  wird  der  Leser  alle  von 
Fleetwood  gesammelten  Weizenpreise  finden,  von  1202 
bis  1597,  auf  unser  heutiges  Geld  zurückgeführt,  und 
nach  der  Zeitfolge  in  sieben  Perioden  von  je  zwölf 
Jahren  geordnet.  Auch  findet  er  am  Ende  jeder  Periode 
den  Durchschnittspreis  der  zwölf  Jahre,  aus  denen  sie 
besteht.  Für  den  ganzen  langen  Zeitraum  hat  Fleet- 
wood nur  die  Preise  von  achtzig  Jahren  zusammen- 
zubringen vermocht,  so  daß  vier  Jahre  fehlen,  um  das 
letzte  Dutzend  vollzumachen.  Ich  habe  daher  aus  den 
.Rechnungen  des  Eton  College  die  Preise  von  1598, 
1599,  1600  und  1601  hinzugesetzt,  ohne  mehr  hinzu- 
zufügen. Der  Leser  wird  ersehen,  daß  vom  Anfang 
des  dreizehnten  bis  nach  der  Mitte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  der  Durschnittspreis  von  je  zwölf  Jahren 
allmählich  immer  niedriger  wird,  um  sich  gegen  das 
Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  wieder  zu  heben. 
Freilich  scheinen  die  Preise,  welche  Fleetwood  zu- 
sammenzubringen vermochte,  vorzugsweise  solche  zu 
sein,  die  wegen  ungewöhnlicher  Teurung  oder  Wohl- 
feilheit merkwürdig  waren,  und  ich  behaupte  nicht, 
daß  sich  sichere  Schlüsse  daraus  ziehen  lassen.  Soweit 
sie  jedoch  überhaupt  etwas  beweisen,  bestätigen  sie 
das,  was  ich  nachzuweisen  suchte.  Fleetwood  selbst 
scheint  hingegen,  wie  die  meisten  anderen  Schriftsteller, 
geglaubt  zu  haben,  daß  während  dieser  ganzen  Periode 
der  Wert  des  Silbers  sich  infolge  des  steigenden  Über- 
flusses stetig  verringert  habe.  Allein  die  Getreidepreise, 
die  er  selber  gesammelt  hat,  unterstützen  diese  Meinung 
gewiß  nicht.  Dagegen  stimmen  sie  vortrefflich  mit  der 
Ansicht  des  Herrn  Dupre  de  St.  Maur  und  der  von 
mir  entwickelten  überein.  Bischof  Fleetwood  und  Dupre 
de  St.  Maur  sind  die  beiden  Schriftsteller,  die  mit  der 


•  Kap.  XT.:  Die  Schwankungen  des  .Silberwerts.  T.       259 

größten  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit  die  Preise  frü- 
herer Zeiten  gesammelt  haben,  und  merkwürdigerweise 
treffen,  trotz  ihrer  verschiedenen  Ansichten,  doch  die 
von  beiden  festgestellten  Tatsachen,  wenigstens  soweit 
sie  sich  auf  die  Getreidepreise  beziehen,  sehr  genau 
zusammen. 

Es  sind  indessen  nicht  sowohl  die  niedrigen  Preise 
des  Getreides,  als  die  mancher  anderen  Bodenprodukte, 
aus  denen  die  urteilfähigsten  Schriftsteller  den  hohen 
Wert  des  Silbers  in  jenen  früheren  Zeiten  gefolgert 
haben.  Getreide,  hat  man  gesagt,  ist  eine  Art  Fabrikat, 
und  in  jenen  rohen  Zeiten  verhältnißmäßig  weit  teurer, 
als  die  meisten  andern  Waren,  worunter  man  vermut- 
lich die  meisten  ohne  Mitwir'kung  menschlicher  Arbeit 
entstandenen  Dinge,  wie  Vieh,  Geflügel,  Wildpret  aller 
Art  usw.  versteht.  Daß  diese  in  Zeiten  der  Armut 
und  Barbarei  verhältnißmäßig  viel  wohlfeiler  als  Korn 
waren,  ist  unzweifelhaft  richtig.  Allein  diese  Wohlfeil- 
heit war  nicht  die  Wirkung  des  hohen  Silberwertes, 
sondern  die  des  niedrigen  Wertes  jener  Waren.  Sie 
rührte  nicht  daher,  daß  das  Silber  in  solchen  Zeiten 
eine  größere  Menge  Arbeit  kauft  oder  darstellt,  son- 
dern daher,  daß  solche  Waren  eine  weit  geringere 
Menge  Arbeit  kaufen  oder  darstellen,  als  in  Zeiten 
größerer  Wohlhabenheit  und  Kultur.  Das  Silber  muß 
sicherlich  im  spanischen  Amerika  wohlfeiler  sein,  als  in 
Europa,  in  dem  Erzeugungslande  wohlfeiler,  als  in  dem 
Lande,  wohin  es  mit  den  Kosten  einer  langen  Land- 
und  Wasserfracht  und  der  Versicherung  gebracht  wird. 
Gleichwohl  betrug,  nach  Ulloa,  noch  vor  nicht  langer 
Zeit  in  Buenos-Ayres  der  Preis  eines  ausgesuchten 
Ochsen  nur  21V2  d.  und  16  sh.  ist  nach  Bj^ron  der 
Preis  eines  guten  Pferdes  in  der  Hauptstadt  von  Chili. 
In  einem  von  Natur  fruchtbaren  Lande,  dessen  größter 
Teil  jedoch  durchaus  unkultiviert  ist,  kann  man  Vieh, 

17* 


260  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Geflügel,  Wildpret  aller  Art  usw.  mit  einer  sehr  ge- 
ringen Arbeitsmenge  erwerben,  und  man  kann  sich 
daher  auch  nur  eine  sehr  geringe  Arbeitsmenge  dafür 
verschaffen.  Der  niedrige  Geldpreis,  zu  dem  sie  ver- 
kauft werden,  ist  kein  Beweis,  daß  der  Sachwert  des 
Silbers  dort  sehr  hoch,  sondern  nur,  daß  der  Sachwert 
jener  Waren  sehr  niedrig  ist. 

Die  Arbeit  und  nicht  irgend  eine  Ware  oder 
Gattung  von  Waren  ist,  wie  man  festhalten  muß,  das 
wahre  Wertmaß  sowohl  des  Silbers,  als  aller  anderen 
Waren. 

Da  in  fast  noch  unangebauten  oder  nur  dünn  be- 
völkerten Ländern  Vieh,  Geflügel,  Wildpret  aller  Art 
usw.  freiwillige  Erzeugnisse  der  Natur  sind,  so  bringt 
diese  sie  oft  in  weit  größeren  Mengen  hervor,  als  die 
Einwohner  verbrauchen  können.  Unter  solchen  Um- 
ständen übersteigt  das  Angebot  gewöhnlich  die  Nach- 
frage. In  verschiedenen  Zuständen  der  Gesellschaft, 
auf  verschiedenen  Stufen  der  Kultur  werden  daher 
solche  Waren  sehr  verschiedene  Mengen  von  Arbeit 
darstellen  oder  aufwiegen. 

Getreide  aber  ist  in  jedem  Zustande  der  Gesell- 
schaft, auf  jeder  Stufe  der  Kultur  das  Erzeugnis  mensch- 
lichen Fleißes.  Die  durchschnittliche  Produktion  jeder 
Art  von  Gewerbfleiß  paßt  sich  nun  immer  mehr  oder 
weniger  dem  durchschnittlichen  Verbrauch,  das  durch- 
schnittliche Angebot  der  durchschnittlichen  Nachfrage 
an.  Überdies  erfordert  die  Erzeugung  gleicher  Getreide- 
mengen in  demselben  Boden  und  Klima  auf  jeder  Stufe 
der  Kultur  durchschnittlich  fast  gleiche  Arbeitsmengen, 
oder,  was  auf  dasselbe  hinausläuft,  den  Preis  gleicher 
Arbeitsmengen,  denn  die  beständige  Zunahme  in  den 
produktiven  Kräften  der  Arbeit  wird  bei  fortschreiten- 
der Kultur  mehr  oder  weniger  durch  den  beständig 
steigenden  Preis  des  Viehs,  des  hauptsächlichsten  Werk- 
zeuges des  Ackerbaues,  aufgewogen.    Aus  allen  diesen 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  des  Silberwert«.  1.        261 

Gründen  darf  man  annehmen,  daß  gleiche  Getreide- 
mengen in  jedem  Zustande  der  Gesellschaft,  auf  jeder 
Stufe  der  Kultur  weit  eher  gleiche  Arbeitsmengen  dar- 
stellen oder  aufwiegen  werden,  als  gleiche  Mengen  an- 
derer Bodenerzeugnisse.  Mithin  ist  das  Getreide  wie 
bereits  bemerkt,  auf  allen  Stufen  des  Reichtums  und 
der  Kultur  ein  genaueres  Wertmaß,  als  jede  andere 
Ware  oder  Gattung  von  Waren.  Auf  allen  diesen 
Stufen  werden  wir  daher  den  Sachwert  des  Silbers 
weit  besser  durch  einen  Vergleich  mit  Getreide,  als 
mit  irgend  einer  anderen  Ware  oder  Gattung  von 
Waren  beurteilen. 

Überdies  macht  Getreide  oder  was  sonst  das  ge- 
wöhnliche und  allgemein  beliebte  pflanzliche  Nahrungs- 
mittel des  Volks  ist,  in  jedem  zivilisiertem  Lande  den 
Hauptteil  der  Lebensmittel  des  Arbeiters  aus.  Infolge 
der  Ausdehnung  des  Ackerbaus  bringt  der  Boden  eines 
jeden  Landes  eine  viel  größere  Menge  pflanzlicher  als 
tierischer  Nahrung  hervor,  und  der  Arbeiter  lebt  überall 
vorzugsweise  von  demjenigen  gesunden  Nahrungsmittel, 
welches  das  wohlfeilste  und  reichlichste  ist.  Fleisch 
bildet,  außer  in  den  blühendsten  D&ndern,  in  denen 
die  Arbeit  am  höchsten  bezahlt  wird,  nur  einen  unbe- 
deutenden Teil  seiner  Nahrungsmittel;  Geflügel  einen 
noch  kleineren  Teil  von  ihnen  und  Wildpret  gar  keinen. 
In  Frankreich,  und  selbst  in  Schottland,  wo  die  Arbeit 
etwas  besser  als  in  Frankreich  bezahlt  wird,  genießt 
der  ärmere  Arbeiter,  außer  an  Feiertagen  und  bei 
anderen  außerordentlichen  Gelegenheiten,  selten  Fleisch. 
Daher  hängt  der  Geldpreis  der  Arbeit  weit  mehr  von 
dem  durchschnitthchen  Geldwert  des  Getreides,  des 
Nahrungsmittels  der  Arbeiter,  als  von  dem  des  Fleisches 
oder  irgend  eines  anderen  Bodenproduktes  ab.  Mithin 
hängt  auch  der  Sachwert  des  Goldes  und  Silbers,  be- 
ziehungsweise die  Arbeitsmenge,  welche  damit  erkauft 
werden  kann,  weit  mehr  von  der  Getreidemenge,   die 


262  Ki"«tes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

dafür  zu  haben  ist,  als  von  der  Menge  Fleisch  oder 
anderer  Bodenprodukte  ab. 

So  nachlässige  Beobachtungen  über  die  Preise  des 
Getreides  oder  anderer  Waren  würden  wahrscheinlich 
nicht  so  viele  einsichtige  Schriftsteller  irre  geleitet 
haben,  wenn  sie  nicht  gleichzeitig  durch  die  volkstüm- 
liche Meinung  beeinflnßt  worden  wären,  daß  in  dem 
Maße,  in  dem  die  Menge  des  Silbers  naturgemäß  in 
jedem  Lande  mit  der  Zunahme  des  Reichtums  wächst, 
auch  sein  Wert  sich  vermindere.  Diese  Meinung  scheint 
aber  durchaus  grundlos  zu  sein. 

Die  Menge  der  edlen  Metalle  kann  in  jedem  Lande 
aus  zweierlei  Ursachen  zunehmen:  erstens  infolge 
steigender  Ergiebigkeit  der  Bergwerke,  die  sie  liefern[; 
zweitens  infolge  zunehmenden  Reichtums  des  Volks, 
zunehmenden  Ertrags  seiner  Arbeit.  Die  erste  dieser 
Ursachen  ist  ohne  Zweifel  mit  der  Verringerung  im 
Werte  der  edlen  Metalle  notwendig  verknüpft;  die 
andere  nicht. 

Wenn  ergiebigere  Bergwerke  entdeckt  werden, 
kommt  eine  größere  Menge  edler  Metalle  auf  den 
Markt,  und  wenn"  die  Menge  der  Lebens-  und  Genuß- 
mittel, für  welche  sie  vertauscht  werden,  die  nämliche 
bleibt,  so  müssen  gleiche  Metallmengen  gegen  ge- 
ringere Warenmengen  vertauscht  werden.  Sofern  also 
die  zunehmende  Menge  der  edlen  Metalle  in  einem 
Lande  aus  der  zunehmenden  Ergiebigkeit  der  Berg- 
werke entspringt,  ist  sie  notwendig  mit  einer  Ver- 
ringerung in  ihrem  Werte  verknüpft. 

Wenn  hingegen  der  Reichtum  eines  Landes  wächst, 
und  der  jährliche  Ertrag  seiner  Arbeit  allmählich  immer 
größer  wird,  so  wird  für  den  Umlauf  einer  größeren 
Warenmenge  eine  größere  Menge  gemünzten  Geldes 
nötig;  und  da  die  Leute  mehr  Mittel  besitzen  und 
mehr  Waren  dafür  zu  geben  haben,  so  werden  sie 
auch  immer  mehr  Gerät  von  edlem  Metall  kaufen.  Ihre 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  I.       263 

Geldmenge  wird  mit  dem  Bedürfnis  wachsen,  die  des 
Geräts  mit  ihrer  Eitelkeit  und  Prunksucht  aus  dem- 
selben Grunde,  aus  welchem  auch  die  Zahl  schöner 
Statuen,  Gemälde  und  anderer  Gegenstände  des  Luxus 
und  der  Liebhaberei  unter  ihnen  wahrscheinlich  zu- 
nehmen wird.  Wie  aber  Bildhauer  und  Maler  in  Zeiten 
des  Keichtums  und  Glückes  schwerlich  schlechter  be- 
zahlt werden,  als  in  den  Zeiten  der  Armut  und  Not, 
so  wird  auch  Gold  und  Silber  wohl  nicht  schlechter 
bezahlt  werden. 

"Wie  der  Preis  von  Gold  und  Silber,  wenn  er 
nicht  durch  die  zufällige  Entdeckung  ergiebigerer  Berg- 
werke nieder  gehalten  wird,  mit  dem  Reichtum  jedes 
Landes  naturgemäß  steigt,  so  ist  er,  der  Stand  der 
Bergwerke  sei  welcher  er  wolle,  allezeit  in  einem 
reichen  Lande  naturgemäß  höher,  als  in  einem  armen. 
Gold  und  Silber  suchen,  wie  alle  anderen  Waren  den 
Markt  auf,  auf  dem  der  beste  Preis  für  sie  bezahlt 
wird,  und  der  beste  Preis  pflegt  für  jede  Sache  in  dem 
Lande  bewilhgt  zu  werden,  das  ihn  am  leichtesten  zu 
geben  imstande  ist.  Die  Arbeit  ist,  wie  man  festhalten 
muß,  der  letzte  Preis,  der  für  alle  Dinge  bezahlt  wird, 
und  in  Ländern,  wo  die  Arbeit  gleich  gut  bezahlt  wird, 
richtet  sich  der  Geldpreis  der  Arbeit  nach  dem  der 
Lebensmittel  des  Arbeiters.  Nun  wird  für  Gold  und 
Silber  in  einem  reichen  Lande  natürlich  eine  größere 
Menge  von  Lebensmitteln  zu  haben  sein,  als  in  einem 
armen,  d.  h.  in  einem  Lande,  das  an  Lebensmitteln 
Überfluß  hat,  eine  größere,  als  in  einem  Lande,  das 
nur  mäßig  damit  versorgt  ist.  Sind  die  beiden  Länder 
weit  von  einander  entfernt,  so  kann  der  Unterschied 
sehr  groß  sein,  weil,  obschon  die  Metalle  von  selbst 
von  dem  schlechteren  zu  dem  besseren  Markte  gehen, 
es  doch  .schwierig  kann,  sie  in  solchen  Mengen  dahin 
zu  bringen,  um  ihren  Preis  an  beiden  Orten  ins  Gleich- 


264  Erstes  Buch:  Zuricahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

gewicht  zu  setzen.  Liegen  die  Länder  dagegen  nahe 
bei  einandei-,  so  wird  der  LTnterschied  geringer  und 
manchmal  kaum  merkbar  sein,  weil  die  Versendung 
in  diesem  Falle  leicht  ist.  China  ist  ein  weit  reicheres 
Land,  als  irgend  ein  europäisches,  und  der  Unterschied 
im  Preise  der  Lebensmittel  zwischen  China  und  Europa 
ist  sehr  groß;  der  Reis  ist  in  China  viel  wohlfeiler, 
als  der  Weizen  irgendwo  in  Europa.  England  ist  ein 
viel  reicheres  Land  als  Schottland,  aber  der  Unter- 
schied in  dem  Geldpreise  des  Getreides  ist  in  diesen 
beiden  Ländern  weit  geringer  und  kaum  bemerkbar. 
Der  Menge  oder  dem  Maße  nach  scheint  das  schottische 
Getreide^  zwar  um  Vieles  wohlfeiler  zu  sein,  als  das 
englische;  aber  der  Beschaffenheit  nach  ist  es  gewiß 
etwas  teurer.  Schottland  erhält  fast  alle  Jahre  starke 
Zufuhren  aus  England,  und  jede  Ware  muß  in  dem 
Lande,  wohin  sie  gebracht  wird,  etwas  teurer  sein,  als 
in  demjenigen,  aus  dem  sie  kommt.  Daher  muß  das 
englische  Getreide  in  Schottland  teurer  sein,  als  in 
England,  und  kann  seiner  Beschaffenheit  nach,  oder 
entsprechend  der  Menge  und  Güte  des  Mehls,  das  aus 
ihm  bereitet  wird,  in  der  ßegel  dort  nicht  teurer  ver- 
kauft werden,  als  das  schottische  Getreide,  das  mit 
ihm  in  Wettbewerb  tritt. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  Geldpreise  der 
Arbeit  in  China  und  in  Europa  ist  noch  größer,  als 
der  zwischen  dem  Geldpreise  der  Lebensmittel,  weil 
der  wirkliche  Lohn  der  Arbeit  in  Europa  höher  ist, 
als  in  China;  denn  der  größte  Teil  Europas  ist  im 
Fortschreiten  begriffen,  während  China  still  zu  stehen 
scheint.  In  Schottland  ist  der  Geldpreis  der  Arbeit 
niedriger  als  in  England,  weil  der  wirkliche  Lohn  der 
Arbeit  weit  niedriger  ist;  denn  wenn  Schottland  auch 
fortschreitet,  so  schreitet  es  doch  langsamer  fort,  als 
England.  Die  Häufigkeit  der  Auswanderung  aus  Schott- 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  vSilberwerts.  T.       265 

land  und  ihre  Seltenheit  aus  England  beweist  deutlich, 
daß^"^  die  Nachfrage  nach  Arbeit  in  beiden  Ländern 
sehr  verschieden  ist.  Das  Verhältnis  zwischen  dem 
wirklichen  Lohn  der  Arbeit  in  verschiedenen  Ländern 
richtet  sich,  wie  festzuhalten  ist,  nicht  nach  ihrer  der- 
maligen  Wohlhabenheit  oder  Armut,  sondern  darnach, 
ob  sie  fortschreiten,  still  stehen,   oder  zurückgehen. 

Wie  Gold  und  Silber  unter  den  reichsten  Nationen 
naturgemäß  den  größten  Wert  haben,  so  unter  den 
ärmsten  den  geringsten.  Unter  den  Wilden,  den  ärm- 
sten  der  Menschen,   haben   sie   fast   gar  keinen  Wert. 

In  großen  Städten  ist  das  Getreide  stets  teurer, 
als  in  entfernten  Teilen  des  Landes.  Dies  ist  jedoch 
nicht  die  Folge  der  tatsächlichen  Wohlfeilheit  des  Sil- 
bers, sondern  der  tatsächlichen  Teurung  des  Getreides. 
Es  kostet  nicht  weniger  Arbeit,  das  Silber  in  die  große 
Stadt,  als  in  die  entfernten  Teile  des  Landes  zu  schaffen  : 
aber  es  kostet  viel  mehr  Arbeit,  Getreide  dahin  zu  schaffen. 

In  einigen  sehr  reichen  Handelsstaaten,  wie  in 
Holland  und  dem  Gebiete  von  Genua,  ist  das  Getreide 
aus  demselben  Grunde  tourer,  als  in  großen  Städten. 
Sie  bringen  nicht  genug  für  den  Unterhalt  ihrer  Be- 
wohner hervor.  Sie  sind  reich  an  Fleiß  und  Geschick 
ihrer  Künstler  und  Handwerker,  reich  an  jeder  Art  von 
Maschinen,  die  die  Arbeit  erleichtern  und  abkürzen, 
reich  an  Schiffen  und  allen  anderen  Werkzeugen  und 
Mitteln  des  Transports  und  Handels;  aber  sie  sind  arm 
an  Getreide,  das,  da  es  aus  fernen  Ländern  dahin  ge- 
bracht werden  muß,  durch  einen  Aufschlag  auf  seinen 
Preis  die  Fracht  zu  zahlen  hat.  Es  kostet  nicht  weniger 
Arbeit,  Silber  nach  Amsterdam  als  nach  Danzig  zu 
bringen,  aber  es  kostet  bedeutend  mehr,  Getreide  dahin 
zu  bringen.  Die  wirklichen  Kosten  des  Silbers  müssen 
an  beiden  Orten  fast  die  nämlichen,  die  des  Getreides 
aber  sehr  verschieden  sein.   Minderte  sich  der  wirkliche 


266  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

ßeichtum  Hollands  oder  Genuas,  während  gleichzeitig 
die  Zahl  ihrer  Einwohner  dieselbe  bliebe,  minderte  sich 
ihre  Fähigkeit,  sich  aus  fernen  Ländern  zu  versorgen: 
so  würde  der  Preis  des  Getreides  mit  dieser  Verringe- 
rung in  der  Menge  ihres  Silbers,  die  jene  Abnahme  not- 
wendig entweder  als  Ursache  oder  als  Wirkung  be- 
gleiten muß,  nicht  sinken,  sondern  vielmehr  bis  zu 
Hungersnotpreisen  steigen.  Fehlt  uns  das  Notwendige, 
so  müssen  wir  uns  der  überflüssigen  Dinge  entschlagen, 
deren  Wert  in  Zeiten  dos  Reichtums  und  Glücks  steigt 
und  ebenso  in  Zeiten  der  Not  und  Armut  sinkt.  Anders 
ist  es  mit  den  notwendigen  Dingen.  Ihr  Sachpreis,  die 
Arbeitsmenge,  welche  dafür  zu  haben  ist,  steigt  in 
Zeiten  der  Armut  und  Not,  und  fällt  in  Zeiten  des 
Keichtums  und  Gedeihens,  die  stets  Zeiten  großen 
Überflußes  sind,  da  sie  sonst  nicht  Zeiten  des  Reich- 
tums und  Gedeihens  sein  könnten.  Getreide  ist  etwas 
Notwendiges,  Silber  etwas  Überflüßiges. 

Wie  groß  also  auch  die  Zunahme  in  der  Menge 
der  edlen  Metalle  gewesen  sein  mag,  die  zwischen  der 
Mitte  des  14.  und  der  des  16.  Jahrhunderts  aus  der 
Zunahme  des  Reichtums  und  der  Kultur  hervorging, 
so  konnte  sie  dennoch  weder  in  Großbritannien  noch 
in  einem  anderen  Teile  Europas  ihren  Wert  verrin- 
gern. Hatten  daher  die  Schriftsteller  über  die  Preise 
früherer  Zeiten  keinen  Grund,  aus  Beobachtungen  über 
die  Preise  des  Getreides  und  anderer  Waren  die  Ver- 
ringerung des  Silberwertes  zu  folgern,  so  hatten  sie 
noch  weniger  Grund,  sie  aus  einer  vorausgesetzten 
Zunahme  des  Reichtums   und   der  Kultur  herzuleiten. 

Zweite  Periode. 

So  verschieden  die  Meinungen  der  Gelehrten  über 
das  Fortschreiten  des  Silbervverts  während  der  ersten 


Kap.  XL:  Die  8clnvankung-en  des  Silberwerts.  IT.      267 

Periode  waren,  so  einstimmig  sind  sie  in  dieser  Hin- 
sicht während  der  zweiten  Periode. 

Etwa  von  1570  bis  1640,  während  eines  Zeitraums 
von  ungefähr  70  Jahren,  nahm  die  Änderung  in  dem 
Wertverhältnis  des  Silbers  zum  Getreide  eine  ganz 
entgegengesetzte  Richtung.  Das  Silber  sank  in  seinem 
Sachwerte,  d.  h.  es  konnte  nur  gegen  eine  geringere 
Arbeitsmenge  als  früher  vertauscht  werden,  das  Ge- 
treide dagegen  stieg  in  seinem  Nominalpreise,  und  wurde 
mit  der  Zeit,  statt  für  etwa  zwei  Unzen  Silber  der 
Quarter,  oder  etwa  zehn  Schilling  unseres  heutigen 
Geldes,  für  sechs  bis  acht  Unzen  Silber  oder  etwa 
dreißig  bis  vierzig  Schilling  unseres  Geldes  verkauft. 

Die  Entdeckung  der  reichen  amerikanischen  Minen 
scheint  die  einzige  Ursache  der  Abnahme  des  Verhält- 
nisses zwischen  Silber  und  Getreide  gewesen  zu  sein. 
So  wird  die  Sache  von  jedermann  erklärt,  und  es  er- 
hob sich  weder  über  die  Tatsache  selbst,  noch  über 
seine  Ursache  jemals  ein  Streit.  Der  größte  Teil  Eu- 
ropas schritt  in  diesem  Zeiträume  im  Gewerbfleiß  und 
in  der  Bodenkultur  fort,  und  die  Nachfrage  nach  Silber 
mußte  daher  stets  zunehmen;  allein  die  Zunahme  des 
Angebots  überstieg  allem  Anschein  nach  die  Nachfrage 
so  sehr,  daß  der  "Wert  jenes  Metalls  bedeutend  fiel. 
Die  Entdeckung  der  amerikanischen  Minen  scheint, 
was  beachtenswert  ist,  auf  die  Preise  der  Dinge  in 
England  bis  nach  1570  nicht  merklich  eingewirkt  zu 
haben,  obgleich  selbst  die  Minen  von  Potosi  mehr  als 
zwanzig  Jahre  früher  entdeckt  worden  waren. 

Von  1595  bis  1620  einschließlich  war  der  Durch- 
schnittspreis des  Quarters  von  neun  Bushel  des  besten 
"Weizens,  wie  aus  den  Rechnungen  des  Eton  College  her- 
vorgeht, auf  dem  Markte  zu  Windsor  £  2.  1  sh.  6'*  i:j  d. 
Läßt  man  von  dieser  Summe  den  Bruch  weg,  und 
zieht  ein  Neuntel  oder  4  sh.  7^^  d.  ab,  so  kommt  für 


268  Krstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertrag.skraft  der  Arbeit. 

den  Quarter  von  8  Bushel  der  Preis  von  £l  16  sh.  10-/ s  d. 
heraus.  Läßt  man  von  dieser  Summe  ebenfalls  den 
Bruch  weg,  und  zieht  ein  Neuntel  oder  4  sh.  1\'9  d.  für 
den  Unterschied  zwischen  dem  Preise  des  besten 
Weizens  und  dem  des  Mittelweizens  ab,  so  kommt  fin- 
den Preis  des  Mittelvveizöns  heraus  £  1.  12  sh.  8*  o  d., 
oder  etwa  sechs  und  ein  Drittel  Unzen  Silbers. 

Von  1621  bis  1636  einschließlich  war  nach  denselben 
Rechnungen  der  Durchschnittspreis  des  gleichen  Maßes 
vom  besten  Weizen  auf  demselben  Markte  £  2.  10  sh. 
Macht  man  hiervon  die  nämlichen  Abzüge,  wie  im 
vorigen  Falle,  so  kommt  für  den  Durchschnittspreis  des 
Quarters  von  acht  Bushel  Mittelweizen  £  1.  19  sh.  6  d., 
oder  etwa  sieben  und  zwei  Drittel  Unzen  Silbers  heraus. 

Dritte  Periode. 

Zwischen  1630  und  1640,  oder  um  1636,  scheint'_die 
Wirkung  der  Entdeckung  der  amerikanischen  Minen 
auf  die  Entwertung  des  Silbers  ihr  Ende  gefunden  zu 
haben  und  das  Wertverhältnis  zwischen  diesem  Metall 
und  dem  Getreide  niemals  tiefer  gesunken  zu  sein, 
als  um  diese  Zeit.  Im  Laufe  des  gegenwärtigenJahr- 
hunderts  dürfte  es  sich  etwas  gehoben  haben,  und 
hatte  damit  wahrscheinlich  schon  einige  Zeit  vor  dem 
Ende  des  vorigen  angefangen. 

Von  1637  bis  1700  einschließlich,  also  in  den  64 
letzten  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts,  war  nach  den- 
selben Rechnungen  der  Durchschnittspreis  des  Quarters 
von  neun  Bushel  vom  besten  Weizen  auf  dem  Markte 
zu  Windsor  £2.  11  sh.  \3  d.,  nur  1  sh.  ^'a  d.  teurer, 
als  während  der  vorhergehenden  sechzehn  Jahre.  Aber 
im  Laufe  dieser  vierundsechzig  Jahre  traten  zwei  Er- 
eignisse ein,  die  einen  weit  größeren  Mangel  an  Ge- 
treide verursachen  mußten,  als  durch  den  bloßen  Ein- 
fluß der  Witterung  zu  erklären  wäre,  und  die,  auch  ohne 


Kap.  XT.:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     269 

die  Annahme  eines  weiteren  Rückganges  im  Silberwerte, 
jene  kleine  Erhöhung  des  Preises  vollständig  erklären. 

Das  erste  dieser  Ereignisse  war  der  Bürgerkrieg, 
der  durch  Entmutigung  des  Ackerbaues  und  Unter- 
brechung des  Handels  den  Preis  des  G-etreides  höher 
hinauftrieb,  als  er  durch  den  Einfluß  von  Mißernten 
hätte  steigen  können.  Diese  Wirkung  mußte  mehr  oder 
weniger  auf  allen  Märkten  des  Reichs  eintreten,  ins- 
besondere aber  auf  denen  in  der  Nähe  von  London, 
die  sich  ihren  Vorrat  aus  der  größten  Entfernung  ver- 
schaffen müssen.  Der  Preis  des  besten  Weizens  betrug 
demgemäß  1648  auf  dem  Markte  zu  Windsor  £4.  5  sh., 
und  1649  £  4  für  den  Quarter  von  9  Bushel.  Dies 
übersteigt  den  Durchschnittspreis  der  sechzehn  Jahre 
vor  1637,  der  £  2.  10  sh.  betrug,  um  £  3.  5  sh.,  was, 
über  die  vierundsechzig  letzten  Jahre  des  vorigen  Jahr- 
hunderts veiteilt,  schon  allein  jene  kleine  Preiserhöhung 
erklärt,  die  während  dieser  Periode  stattgefunden  zu 
haben  scheint.  Diese  Preise  sind  übrigens  zwar  die 
höchsten,  doch  keineswegs  die  einzigen  hohen  Preise, 
die  durch   die   Bürgerkriege  verursacht   worden    sind. 

Das  zweite  Ereignis  war  die  im  Jahre  1688  be- 
willigte Prämie  auf  die  Ausfuhr  von  Getreide.  Nach 
der  Annahme  Vieler  hat  diese  Prämie  dadurch,  daß 
sie  den  Ackerbau  ermutigte,  lange  Jahre  hindurch 
einen  größeren  Überfluß  und  folglich  eine  größere 
Wohlfeilheit  des  Getreides  auf  dem  heimischen  Markte 
hervorgebracht,  als  ohne  sie  eingetreten  wäre.  Inwie- 
fern die  Prämie  jemals  diese  Wirkung  haben  kann, 
werde  ich  später  untersuchen;  für  jetzt  will  ich  nur 
bemerken,  daß  sie  zwischen  1688  und  1700  keine  Zeit 
hatte,  eine  solche  Wirkung  hervorzubringen.  In  diesem 
kurzen  Zeiträume  konnte  ihre  Wirkung  nur  die  sein, 
daß  sie  zur  Ausfuhr  des  jährlichen  Überschusses  auf- 
munterte,   eine    Ausgleichung    des    Überflusses    eines 


270  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Jahres  und  des  Mangels  eines  anderen  verhinderte  und 
dadurch  den  Preis  auf  dem  heimischen  Markte  hin- 
auftrieb. Der  Mangel,  welcher  in  England  von  1693 
bis  1699  einschließlich  beider  Jahre  herrschte,  konnte, 
obwohl  er  ohne  Zweifel  vorzugsweise  den  Einflüssen 
des  Wetters  zuzuschreiben  ist  und  sich  darum  auch 
über  einen  großen  Teil  von  Europa  erstreckte,  durch 
die  Prämie  nur  vergrößert  werden.  Daher  wurde  auch 
1699  die  Getreideausfuhr   auf  neun  Monate  verboten. 

Noch  ein  drittes  Ereignis  trat  in  demselben  Zeit- 
räume ein,  das,  wenn  es  auch  keinen  Getreidemangel 
erzeugen,  noch  die  tatsächliche  für  Getreide  zu  zahlende 
Silbermenge  vermehi'en  konnte,  doch  notwendig  eine 
nominelle  Erhühung  des  Silberwerts  veranlassen  mußte. 
Dies  war  die  große  Verschlechterung  der  Silbermünzen 
durch  Beschneiden  und  Abnutzung.  Dieses  Übel  hatte 
unter  der  Regierung  Karls  des  Zweiten  begonnen,  und 
dauerte  ununterbrochen  bis  1695  fort,  zu  welcher 
Zeit,  wie  wir  von  Lowndes  erfahren,  das  Silberkourant 
durchschnittlich  fast  fünfundzwanzig  Prozent  unter 
seinem  Normalwert  stand.  Nun  wird  die  nominelle 
Summe,  welche  den  Marktpreis  der  Waren  ausmacht, 
nicht  sowohl  durch  die  Silberraenge  bestimmt,  die 
nach  dem  Münzfuße  in  ihr  enthalten  sein  sollte,  als 
durch  diejenige,  die  erfahrungsmäßig  wirklich  in  ihr 
enthalten  ist.  Diese  nominelle  Summe  ist  daher  not- 
wendig höher,  wenn  die  Münze  durch  Beschneiden 
und  Abnutzung  sehr  verschlechtert  ist,  als  wenn  sie 
ihrem  gesetzlichen  Werte  nahe  kommt. 

Im  Laufe  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  ist  die 
Silbermüuze  nie  tiefer  unter  ihrem  gesetzlichen  Gewicht 
gewesen  als  jetzt.  So  verunstaltet  sie  aber  auch  ist, 
so  wurde  doch  ihr  Wert  durch  den  der  mit  ihr  ver- 
tauschbaren Goldmünze  aufrecht  erhalten;  denn  wenn 
auch  die  Goldmünze  vor  der  letzten  Umprägung  eben- 


Kap.  XI.:  Die  !~!chwankun,o'en  des  Silberwerts.  IIT.     271 

falls  sehr  entwertet  war,  so  war  sie  es  doch  weniger 
als  das  Silber.  Im  Jahre  1695  dagegen  wurde  der 
Wert  des  Silbergeldes  nicht  durch  den  der  Goldmünzen 
aufrecht  erhalten;  eine  Guinee  wurde  damals  gewöhn- 
lich für  dreißig  Schillinge  des  abgenutzten  und  be- 
schnittenen Silbers  gewechselt.  Vor  der  letzten  Um- 
prägung des  Goldes  war  der  Preis  des  Barrensilbers 
selten  höher  als  5  sh.  7  d.  die  Unze,  was  nur  fünf  Pence 
über  den  Münzpreis  ist.  Im  Jahre  1695  aber  war  der 
gewöhnliche  Preis  des  ßarrensilbers  6  sh.  5  d.  die  Unze, 
was  fünfzehn  Pence  mehr  ist,  als  der  Münzpreis*). 
Selbst  vor  der  letzten  Umprägung  des  Goldes  wurde 
sowohl  die  Gold-  wie  die  Silbermünze  im  Vergleich 
zum  Barrensilber  als  kaum  acht  Prozent  unter  ihrem 
gesetzlichen  Wert  stehend  betrachtet.  1695  dagegen 
wurde  sie  als  beinahe  fünfundzwanzig  Prozent  niedri- 
ger angesehen.  Zu  Anfang  des  gegenwärtigen  Jahr- 
hunderts, d.  h.  unmittelbar  nach  der  großen  Umprä- 
gung zu  König  Wilhelms  Zeit,  muß  das  meiste  Silber- 
kourant  seinem  gesetzlichen  Gewicht  noch  näher  ge- 
kommen sein  als  jetzt.  Auch  hat  im  gegenwärtigen 
Jahrhundert  kein  großes  öffentliches  Unglück  wie  etwa 
«in  Bürgerkrieg,  den  Ackerbau  gestört,  oder  den  inne- 
ren Handel  des  Landes  unterbrochen.  Und  obgleich 
die  Prämie,  die  fast  das  ganze  Jahrhundert  hindurch 
bewilligt  wurde,  den  Preis  des  Getreides  stets  etwas 
höher  hinauf  treiben  mußte,  als  er  sonst  bei  dem  der- 
maligen Stande  der  Landwirtschaft  gewesen  wäre,  so 
läßt  sich  doch,  da  die  Prämie  während  dieses  Jahr- 
hunderts Zeit  genug  hatte,  alle  die  ihr  gewöhnlich  zu- 
geschriebenen guten  Wirkungen  zu  offenbaren,  also 
zum  Ackerbau  aufzumuntern  und  die  Getreidemenge 
auf  dem  heimischen  Markte  zu  vermehren,   nach   den 


*)  Lowndes,  Essay  on  the  Silver  Coin,  p.  G8. 


272  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertraft'skraft  der  Arbeit. 

Grundsätzen  eines  Systems,  das  ich  später  erklären 
und  prüfen  werde,  annehmen,  daß  sie  den  Preis  dieser 
Ware  auf  die  eine  Weise  etwas  zu  verringern,  wie  auf 
die  andere  Weise  ihn  etwas  zu  erhöhen  beitrug.  Viele 
schlagen  ihren  Einfluß  höher  an.  In  den  ersten  vier- 
undsechzig Jahren  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  war 
der  Durchschnittspreis  des  Quarters  von  neun  Bushel 
des  besten  Weizens  auf  dem  Markte  zu  Windsor  nach 
den  Rechnungen  des  Eton  College  £  2.  6^'''/32  d.,  10  sh. 
6  d.  oder  fünfundzwanzig  Prozent  wohlfeiler,  als  wäh- 
rend der  letzten  vierundsechzig  Jahre  des  vorigen  Jahr- 
hunderts; 9  sh.  6  d.  wohlfeiler,  als  in  den  sechzehn 
Jahren  vor  1636,  wo  die  Entdeckung  der  reichen  ame- 
rikanischen Minen  vermutlich  ihre  volle  Wirkung  ge- 
äußert hatte;  und  1  sh.  wohlfeiler,  als  in  den  sechs- 
undzwanzig Jahren  vor  1620,  ehe  jene  Entdeckung 
ihre  volle  Wirkung  äußern  konnte.  Nach  dieser  Rech- 
nung stellt  sich  der  Durchschnittspreis  des  Mittelweizens 
in  den  ersten  vierundsechzig  Jahren  dieses  Jahrhun- 
derts auf  etwa  82  sh.  für  den  Quarter  von  acht  Bushel. 

Der  Wert  des  Silbers  scheint  sonach  im  Verhältnis 
zum  Werte  des  Gretreides  im  gegenwärtigen  Jahr- 
hundert etwas  gestiegen  zu  sein,  und  hatte  wahr- 
scheinlich schon  einige  Zeit  vor  dem  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  zu  steigen  angefangen. 

Im  Jahre  1687  betrug  der  Preis  des  Quarters  von 
neun  Bushel  vom  besten  Weizen  auf  dem  Markte  zu 
Windsor  £1.5  sh.  2  d.,  was  der  niedrigste  Preis  ist, 
den  er  seit  1595  jemals  gehabt  hat. 

Im  Jahre  1688  schätzte  Gregory  King,  eine  Au- 
torität in  diesen  Dingen,  den  Durchschnittspreis  des 
Weizens,  wie  er  in  Jahren  einer  Mittelernte  den  Pro- 
duzenten zu  stehen  komme,  auf  3  sh.  6  d.  den  Bushel, 
oder  28  sh.  den  Quarter.  Unter  dem  Produzentenpreis 
verstehe  ich  das,  was  man  zuweilen  den  Kontraktpreis 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  des  Silbenverts.  III.     973 

nennt,  oder  den  Preis,  zu  dem  ein  Pächter  sich  ver- 
pflichtet, mehrere  Jahre  hinter  einander  dem  Händler 
eine  bestimmte  Menge  Getreide  zu  liefern.  Da  ein 
solcher  Vertrag  dem  Pächter  die  Kosten  und  Mühe 
des  Markttransports  erspart,  so  ist  der  Kontraktpreis 
gewöhnlich  niedriger,  als  der  durchschnittliche  Markt- 
preis. King  nahm  an,  daß  in  Jahren  einer  Mittelernte 
28  sh.  für  den  Quarter  zu  jener  Zeit  der  gewöhnliche 
Kontraktpreis  war.  Vor  dem  durch  die  jüngste  Reihe 
ungewöhnlich  schlechter  Jahre  verursachten  Mangel 
war  dies,  wie  man  mir  versichert,  der  übliche  Kon- 
traktpreis in  allen  gewöhnlichen  Jahren. 

1688  bewilligte  das  Parlament  die  schon  erwähnte 
Prämie  auf  die  Getreideausfuhr.  Die  Landedelleute,  die 
damals  einen  größeren  Teil  der  gesetzgebenden  Ver- 
sammlung ausmachten  als  jetzt,  hatten  gemerkt,  daß 
der  Geldpreis  des  Getreides  fiel.  Die  Prämie  war  ein 
Mittel,  es  künstlich  auf  den  hohen  Preis  zu  bringen,  zu 
dem  es  zu  den  Zeiten  Karls  I.  und  II.  oft  verkauft 
worden  war.  Sie  sollte  daher  so  lange  gegeben  werden, 
bis  der  Weizen  auf  48  sh.  für  den  Quarter  gestiegen 
wäre,  d.  h.  bis  er  20  sh.  oder  um  fünf  Siebentel  teurer 
war,  als  King  in  demselben  Jahre  den  Produzenten- 
preis in  Mitteljahren  berechnet  hatte.  Wenn  seine  Be- 
rechnungen den  guten  Ruf  einigermaßen  verdienen, 
den  sie  allgemein  haben,  so  waren  48  sh.  für  den 
Quartei-  ein  Preis,  der  ohne  ein  Mittel  wie  die  Prämie 
zu  jener  Zeit  sich  nur  in  Jahren  ungewöhnlichen 
Mangels  erwarten  ließ.  Allein  die  Regierung  König 
Wilhelms  war  damals  noch  nicht  fest  gegründet.  Sie 
war  nicht  in  der  Lage,  den  Landedelleuten,  von  denen 
sie  gerade  damals  die  Festsetzung  der  jährlichen 
Grundsteuer  forderte,  etwas  abschlagen  zu  können. 

Der  Wert  des  Silbers  ist  daher  im  Verhältnis  zu 
dem  des  Getreides  vor  dem  Ende  des  letzten  Jahr- 
Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  18 


274  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

hunderts  etwas  gestiegen,  und  scheint  es  bei  diesem 
Steigen  während  des  größten  Teils  des  jetzigen  Jahr- 
hunderts geblieben  zu  sein,  obgleich  die  Wirkung  der 
Prämie  das  Steigen  nicht  so  fühlbar  werden  ließ,  als 
es  sonst  bei  dem  jetzigen  Stande  der  Landwirtschaft 
gewesen  sein  würde. 

In  Jahren  des  Überflusses  erhöht  die  Prämie 
durch  Veranlassung  einer  ungewöhnlichen  Ausfuhr 
den  Preis  des  Getreides  mehr,  als  es  sonst  in  solchen 
Jahren  der  Fall  sein  würde.  Es  war  ja  auch  der  aus- 
gesprochene Zweck  der  Maßregel,  der  Landwirtschaft 
dadurch,  daß  der  Preis  des  Getreides  selbst  in  Jahren 
des  größten  Überflusses  gehalten  würde,  eine  Auf- 
munterung zu  Teil  werden  zu  lassen. 

In  Jahren  großen  Mangels  wurde  allerdings  die 
Prämie  gewöhnlich  beseitigt.  Sie  mußte  jedoch  auch  auf 
die  Preise  mancher  dieser  Jahre  Einfluß  haben;  denn 
die  bedeutende  Ausfuhr,  die  sie  in  Jahren  der  Fülle 
verursachte,  mußte  die  Ausgleichung  der  Fülle  des  einen 
Jahres  gegen  den  Mangel  des  andern  oft  verhindern. 

Daher  steigert  die  Prämie  in  Jahren  sowohl  der 
Fülle  als  des  Mangels  den  Preis  des  Getreides  über  den 
Punkt  hinaus,  den  er  bei  dem  dermaligen  Stande  der 
Landwirtschaft  ohne  künstliche  Hülfe  erreichen  würde. 
Wenn  mithin  der  Durchschnittspreis  in  den  ersten  vier- 
undsechzig Jahren  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts 
niedriger  gewesen  ist,  als  in  den  letzten  vierundsechzig 
Jahren  des  vorigen,  so  hätte  er  bei  dem  nämlichen 
Stande  des  Ackerbaus  noch  weit  niedriger  sein  müssen, 
wenn  die  Prämie  nicht  auf  ihn  eingewirkt  hätte. 

Aber,  kann  man  sagen,  ohne  die  Prämie  würde  der 
Zustand  des  Ackerbaus  nicht  der  nämliche  gewesen  sein. 
Welche  Wirkungen  jene  Maßregel  auf  die  Landwirt- 
schaft des  Landes  gehabt  haben  kann,  werde  ich  später 
aufzuklären  suchen,  wenn  ich  von  den  Prämien  beson- 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  ties  Silberwerts.  III.     275 

ders  handle;  für  jetzt  will  ich  nur  bemerken,  daß  dieses 
Steigen  des  Silbervverts  im  Verhältnis  zum  Getreide 
England  nicht  allein  betroffen  hat.  In  Frankreich  hat 
sich,  nach  den  Beobachtungen  dreier  sehr  glaubwürdiger, 
sorgfältiger  und  fleißiger  Forscher,  Dupre  de  St.  Maur, 
Messance  und  des  Verfassers  des  Versuchs  über  die  Ge- 
treidepolitik, dieselbe  Erscheinung  in  dem  nämlichen 
Zeiträume  und  beinahe  in  dem  nämlichen  Verhältnis 
ebenfalls  geltend  gemacht.  In  Frankreich  aber  war  bis 
1764  die  Ausfuhr  des  Getreides  verboten,  und  es  ist 
einigermaßen  schwer  zu  glauben,  daß  fast  dieselbe  Ver- 
ringerung des  Preises,  die  in  dem  einen  Lande  trotz 
dieses  Verbots  eintrat,  in  dem  anderen  der  ungewöhn- 
lichen Aufmunterung  zur  Ausfuhr  zuzuschreiben  sei. 
Es  würde  vielleicht  richtiger  sein,  diese  Änderung 
in  dem  durchschnittlichen  Geldpreise  des  Getreides  als 
die  Wirkung  eines  allmählichen  Steigens  im  Sachwerte 
des  Silbers  auf  dem  europäischen  Markte  anzusehen, 
statt  als  die  Wirkung  des  Sinkens  im  durchschnittlichen 
Sachwerte  des  Getreides.  Das  Getreide  ist,  wie  bereits 
bemerkt,  für  längere  Zeiträume  ein  genaueres  Wertmaß, 
als  Silber  oder  vielleicht  jede  andere  Ware.  Als  nach 
der  Entdeckung  der  ergiebigen  amerikanischen  Minen 
das  Getreide  einen  drei  bis  vier  Mal  höheren  Geldpreis 
erreichte,  schrieb  man  diesen  Umschwung  ganz  allge- 
mein nicht  einem  Steigen  im  Sachwerte  des  Getreides, 
sondern  dem  Sinken  im  Sachwerte  des  Silbers  zu.  Wenn 
daher  in  den  ersten  vierundsechzig  Jahren  des  gegen- 
wärtigen Jahrhunderts  der  durchschnittliche  Geldpreis 
des  Getreides  etwas  niedriger  geworden  ist,  als  er  in 
den  meisten  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  gewesen 
ist,  so  sollte  man  diesen  Umschwung  gleichfalls  nicht 
dem  Sinken  im  Sachwerte  des  Getreides,  sondern  dem 
Steigen  im  Sachwerte  des  Silbers  auf  dem  europäi- 
schen Markte  zuschreiben. 

18* 


276  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Der  hohe  Preis  des  Getreides  während  der  letzten 
zehn  oder  zwölf  Jahre  hat  allerdings  die  Vermutung 
erregt,  daß  der  Sachwert  des  Silbers  auf  dem  euro- 
päischen Markte  noch  immer  sinke.  Indessen  scheint 
dieser  hohe  Preis  des  Getreides  in  Wahrheit  durch  die 
ungewöhnlich  schlechten  Wetterverhältnisse  verursacht 
zu  sein,  und  kann  daher  nicht  als  dauernd,  sondern 
nur  als  vorübergehend  und  zufällig  betrachtet  werden. 
Die  Witterungsverhältnisse  waren  in  diesen  zehn  oder 
zwölf  Jahren  fast  in  ganz  Europa  ungünstig,  und  die 
Unruhen  in  Polen  haben  den  Mangel  in  all'  den  Län- 
dern vermehrt,  die  sich  in  teuren  Jahren  von  dort  her 
zu  versorgen  pflegten.  Eine  so  lange  anhaltende  Un- 
gunst der  Witterung  ist  zwar  keine  sehr  gewcihnhche, 
aber  auch  keineswegs  eine  unerhörte  Erscheinung,  und 
wer  sich  viel  mit  der  Geschichte  der  Getreidepreise  in 
früheren  Zeiten  beschäftigt  hat,  dem  wird  unschwer 
manches  ähnliche  Beispiel  einfallen.  Auch  sind  zehn 
Jahre  außerordentlichen  Mangels  nichts  Wunderbareres, 
als  zehn  Jahre  außerordentlicher  Fülle.  Der  niedrige 
Getreidepreis  von  1741  bis  1750,  einschließlich  beider 
Jahre,  kann  sehr  wohl  dem  hohen  Preise  in  den  letzten 
acht  oder  zehn  Jahren  entgegengestellt  werden.  Von 
1741  bis  1750  war,  wie  aus  den  Rechnungen  des  Eton 
College  hervorgeht,  der  Durchschnittspreis  des  Quarters 
von  neun  Bushel  des  besten  Weizens  auf  dem  Markte 
zu  Windsor  nur  £  1.  13  sh.  9^/5  d.,  beinahe  6  sh.  3  d. 
unter  dem  Durchschnittspreise  der  ersten  64  Jahre  des 
laufenden  Jahrhunderts.  Hiernach  stellte  sich  der 
Durchschnittspreis  des  Quarters  von  acht  Bushel  Mittel- 
weizen in  jenen  zehn  Jahren  nur  auf  £  1.  6  sh.  8  d. 

Zwischen  1741  und  1750  verhinderte  aber  die  Prä- 
mie, daß  der  Preis  des  Getreides  auf  dem  heimischen 
Markte  so  tief  fiel,  als  er  der  Natur  der  Sache  nach 
hätte  fallen  müssen.  Während  dieser  zehn  Jahre  betrug, 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     277 

nach  den  Zollregistern,  die  Menge  aller  Sorten  ausge- 
führten Getreides  nicht  weniger  als  8,029,156  Quarter 
und  1  Bushel.  Die  dafür  bezahlte  Prämie  belief  sich 
auf  £  1,514,962.  17  sh.  4^2  d.  Daher  bemerkte  1749 
der  damalige  Premierminister  Pelham  im  Unterhause, 
daß  in  den  drei  letzten  Jahren  eine  ganz  außerordent- 
liche Summe  als  Prämie  für  Getreideausfuhr  bezahlt 
worden  sei.  Er  hatte  guten  Grund,  diese  Bemerkung 
zu  machen  und  hätte  im  folgenden  Jahre  noch  einen 
besseren  gehabt.  In  diesem  einzigen  Jahre  belief  sich 
die  Prämie  auf  nicht  weniger  als  £  324,176.  10  sh. 
6  d. ''■■).  Es  bedarf  nicht  der  Bemerkung,  wie  sehr 
diese  forzierte  Ausfuhr  den  Getreidepreis  über  den 
Stand  hinauf  treiben  mußte,  den  er  sonst  auf  dem 
heimischen  Markte  gehabt  haben  würde. 

Am  Schlüsse  der  diesem  Kapitel  beigefügten  Ta- 
bellen wird  der  Leser  die  Tabelle  für  diese  zehn  Jahre 
von  den  übrigen  getrennt  finden;  ebenso  die  Tabelle 
über  die  vorhergehenden  zehn  Jahre,  deren  Durch- 
schnitt wahrscheinlich  etwas,  wenn  auch  nicht  viel 
niedriger  ist,  als  der  Durchschnitt  der  ersten  vierund- 
sechzig Jahre  des  Jahrhunderts.  Das  Jahr  1740  war 
aber  ein  Jahr  ungewöhnlichen  Mangels.  Die  zwanzig 
Jahre  vor  1750  können  also  sehr  wohl  den  zwanzig 
Jahren  vor  1770  entgegengestellt  werden.  "Wie  die 
ersteren  mit  Ausnahme  von  einem  oder  zwei  teureren 
Jahren  weit  unter  dem.  allgemeinen  Durchschnitt  des 
Jahrhunderts  blieben,  so  die  letzteren  mit  Ausnahme 
von  einem  oder  zwei  wohlfeilen  Jahren,  z.  B.  1759, 
weit  über  ihm.  Sind  die  ersteren  nicht  eben  so  weit 
unter  dem  allgemeinen  Durchschnitt  zurückgeblieben, 
als  die  letzteren  ihn  überschritten  haben,  so  ist  dies 
wahrscheinlich  der  Prämie  zuzuschreiben.  Der  Wechsel 
ist  auch  offenbar  ein  zu  plötzlicher  gewesen,   als  daß 

*)  Siehe  Tracts  on  the  Corn  Trade :  T^ract  8d. 


278  Ei"stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

man  ihn  der  stets  langsamen  und  allmählichen  Wert- 
veränderung des  Silbers  hätte  zuschreiben  können.  Die 
Plötzlichkeit  der  Wirkung  kann  nur  aus  einer  Ursache, 
die  plötzlich  wirkt,  nämlich  aus  den  zufälligen  Schwan- 
kungen der  Witterung,  erklärt  werden. 

Der  Geldpreis  der  Arbeit  ist  im  Laufe  dieses  Jahr- 
hunderts in  Großbritannien  allerdings  gestiegen;  doch 
scheint  dies  nicht  sowohl  die  Folge  einer  Entwertung 
des  Silbers  auf  dem  europäischen  Markte,  als  der  zu- 
nehmenden Nachfrage  nach  Arbeit  in  Großbritannien 
gewesen  zu  sein,  die  aus  der  großen  und  fast  allge- 
meinen Wohlfahrt  des  I^andes  hervorging.  In  Frank- 
reich, das  Großbritannien  im  Wohlstande  nachsteht, 
ist  der  Geldpreis  der  Arbeit,  wie  man  beobachtet  hat, 
seit  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  allmählich  mit  dem 
durchschnittlichen  Geldpreise  des  Getreides  gesunken. 
Sowohl  im  vorigen  wie  in  diesem  Jahrhundert  soll  der 
Tagelohn  gemeiner  Arbeit  fast  unverändert  etwa  den 
zwanzigsten  Teil  des  durchschnittlichen  Preises  eines 
Septier  Weizen  (etwas  mehr  als  vier  Winchester  Busheis) 
betragen  haben.  In  Großbritannien  hat,  wie  bereits  ge- 
zeigt worden,  der  Sachpreis  der  Arbeit,  haben  die 
wirklichen  Mengen  von  Lebens-  und  Genußmitteln,  die 
dem  Arbeiter  gegeben  werden,  im  Laufe  dieses  Jahr- 
hunderts beträchtlich  zugenommen.  Das  Steigen  des 
Geldpreises  der  Arbeit  scheint  nicht  von  einer  Ent- 
wertung des  Silbers  auf  dem  allgemeinen  europäischen 
Markte,  sondern  vom  Steigen  des  Sachpreises  der  Arbeit 
auf  den  einzelnen  Märkten  Großbi'itanniens,  das  dem 
besonders  glücklichen  Zustande  des  Landes  zu  ver- 
danken ist,  herzurühren. 

Eine  Zeitlang  nach  der  Entdeckung  Amerikas 
wurde  das  Silber  immer  noch  zu  seinem  früheren  Preise, 
oder  nicht  viel  darunter,  verkauft.  Die  Gewinne  der 
Bergwerke  waren   eine  Zeitlang   sehr   groß,    und  weit 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  8ilber\vcrts.  TIT.      279 

über  ihrem  natürlichen  Satze.  Indessen  fanden  die- 
jenigen, die  Silber  einführten,  bald,  daß  die  ganze 
jährliche  Einfuhr  nicht  zu  diesem  hohen  Preise  abge- 
setzt werden  könne.  Das  SiJber  wurde  allmählich  gegen 
eine  immer  geringere  "Warenmenge  vertauscht.  Sein 
Preis  sank  tiefer  und  tiefer,  bis  er  auf  seinen  natür- 
lichen Satz,  d.  h.  auf  den  Betrag  fiel,  der  gerade  hin- 
reichend war,  um  den  Arbeitslohn,  den  Kapitalgewinn 
und  die  Grundrente,  die  für  Ausbringung  und  Markt- 
transport gezahlt  werden  müssen,  nach  ihrem  natür- 
lichen Satze  aufzubringen.  In  den  meisten  Silberberg- 
werken von  Peru  verschlingt,  wie  bereits  bemerkt,  die 
Abgabe  an  den  König  von  Spanien,  die  sich  auf  ein 
Zehntel  des  Rohertrages  beläuft,  die  ganze  Grundrente. 
Diese  Abgabe  bestand  ursprünglich  in  der  Hälfte;  bald 
fiel  sie  auf  ein  Fünftel,  und  zuletzt  auf  ein  Zehntel, 
auf  dem  sie  noch  steht.  Dies  ist  anscheinend  Alles,  was 
in  den  meisten  peruanischen  Silberbergwerken  nach 
Wiedererstattung  des  Unternehmerkapitals  samt  seinem 
üblichen  Gewinn  übrig  bleibt;  und  dieser  Gewinn,  der 
einst  sehr  hoch  war,  ist  anerkanntermaßen  jetzt  so 
niedrig,  wie  es  sich  überhaupt  noch  mit  der  Weiter- 
führung der  Werke  verträgt. 

Die  Abgabe  an  den  König  von  Spanien  wurde 
150-1*),  einundvierzig  Jahre  vor  1545,  dem  Jahre  der 
Entdeckung  der  Minen  von  Potosi,  auf  den  fünften 
Teil  des  produzierten  Silbers  herabgesetzt. 

Im  Laufe  von  neunzig  Jahren,  bis  1636,  hatten 
diese  Bergwerke,  die  ergiebigsten  in  ganz  Amerika, 
Zeit  genug,  ihre  volle  Wirkung  zu  üben,  oder  den 
Wert  des  Silbers  auf  dem  europäischen  Markte  so  weit 
herabzusetzen,  als  er  eben  fallen  konnte,  so  lange  jene 
Abgabe  an  den  König  von  Spanien  noch  entrichtet 
wurde.  Neunzig  Jahre  sind  eine  hinlängliche  Zeit,  um 

*)  Solorzano,  Vol.  TT. 


280  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

eine  Ware,  die  kein  Monopol  hat,  auf  ihren  natür- 
lichen, d.  h.  den  niedrigsten  Preis  herunterzubringen, 
zu  welchem  sie,  so  lange  eine  Abgabe  darauf  ruht, 
längere  Zeit  hindurch  verkauft  werden  kann. 

Der  Preis  des  Silbers  hätte  vielleicht  auf  dem 
europäischen  Markte  noch  tiefer  fallen  und  es  hätte 
nötig  werden  können,  entweder  die  Abgabe  darauf 
nicht  bloß  auf  ein  Zehntel  wie  im  Jahre  1736,  sondern 
wie  beim  Golde  auf  ein  Zwanzigstel  herabzusetzen, 
oder  den  größten  Teil  der  amerikanischen  Minen,  die 
gegenwärtig  abgebaut  werden,  still  zu  legen.  Wahr- 
scheinlich ist  die  allmähliche  Zunahme  der  Nachfrage 
nach  Silber,  oder  die  allmähliche  Erweiterung  des 
Marktes  für  das  Produkt  der  amerikanischen  Silber- 
minen der  Grund,  der  dies  verhinderte  und  den  Wert 
des  Silbers  auf  dem  europäischen  Markte  nicht  nur 
auf  seiner  Höhe  erhielt,  sondern  vielleicht  sogar  noch 
etwas  höher  steigerte,  als  er  um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts  gestanden  hatte. 

Seit  der  Entdeckung  Amerikas  hat  der  Markt 
für  das  Produkt  seiner  Silberminen  allmählich  immer 
größere  Ausdehnung  gewonnen. 

Erstens:  der  europäische  Markt  hat  sich  allmählich 
immer  mehr  ausgedehnt.  Seit  der  Entdeckung  Amerikas 
hat  der  größte  Teil  Europas  an  Kultur  sehr  zugenommen. 
England,  Holland,  Frankreich  und  Deutschland,  selbst 
Schweden,  Dänemark  und  Rußland  haben  im  Ackerbau 
und  den  Gewerben  bedeutende  Fortschritte  gemacht. 
Italien  scheint  w^enigstens  nicht  zurückgegangen  zu 
sein.  Vor  der  Eroberung  von  Peru  w^ar  Italien  im 
Verfall;  seitdem  scheint  es  sich  eher  etwas  erholt  zu 
haben.  Spanien  und  Portugal  werden  allerdings  als 
zurückgekommen  betrachtet.  Indessen  ist  Portugal  nur 
ein  kleiner  Teil  von  Europa,  und  der  Verfall  Spaniens 
ist   vielleicht  nicht   so   groß,    als   man  gewöhnlich  an- 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  TIT.     281 

nimmt.  Am  Anfange  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
war  Spanien  selbst  im  Vergleich  mit  Frankreich,  das 
seit  jener  Zeit  so  bedeutend  fortgeschritten  ist,  ein  sehr 
armes  Land.  Kaiser  Karl  der  Fünfte,  der  so  oft  durch 
beide  Länder  gereist  war,  machte  die  bekannte  Bemer- 
kung, daß  in  Frankreich  an  allen  Dingen  Überfluß,  in 
Spanien  an  allen  Dingen  Mangel  sei.  Das  zunehmende 
Produkt  des  Ackerbaus  und  der  Gewerbe  in  Europa 
mußte  notwendig  einen  allmählichen  Zugang  an  Silber- 
münzen erfordern,  um  es  in  Umlauf  zu  setzen;  und 
die  wachsende  Zahl  reicher  Leute  mußte  eine  gleiche 
Zunahme  an  silbernem  Grerät  und  anderen  Schmuck- 
gegenständen zur  Folge  haben. 

Zweitens :  Amerika  selbst  ist  für  das  Produkt  seiner 
Silberminen  ein  neuer  Markt,  und  da  es  im  Ackerbau, 
in  der  Industrie  und  an  Volkszahl  weit  schnellere  Fort- 
schritte macht  als  die  blühendsten  europäischen  Länder, 
so  muß  sein  Bedarf  noch  weit  schneller  zunehmen. 
Die  englischen  Kolonien  sind  ein  durchaus  neuer  Markt, 
der  teils  für  Münze,  teils  für  Geräte  eine  stets  wach- 
sende Silberzufuhr  für  einen  ganzen  Erdteil,  in  dem 
früher  nie  eine  Nachfrage  darnach  bestanden  hatte, 
nötig  macht.  Auch  die  meisten  spanischen  und  portu- 
giesischen Kolonien  sind  ganz  neue  Märkte.  Neu-Gra- 
nada,  Yucatan,  Paraguay  und  Brasilien  waren,  ehe  sie 
von  den  Europäern  entdeckt  wurden,  von  wilden  Völker- 
schaften bewohnt,  die  weder  Künste  noch  Ackerbau 
kannten.  Seitdem  sind  diese  Länder  erheblich  kultiviert 
worden.  Selbst  Mexiko  und  Peru,  wenn  sie  auch  nicht 
als  durchaus  neue  Märkte  betrachtet  werden  können, 
sind  doch  gewiß  jetzt  weit  bedeutendere  Märkte,  als 
je  zuvor.  Wer  nach  all'  den  wunderbaren  Geschichten, 
die  über  den  glänzenden  Zustand  dieser  Länder  in 
fi'üheren  Zeiten  geschrieben  worden  sind,  mit  einiger 
Nüchternheit  die  Geschichte  ihrer  Entdeckung  und  Va- 
oberung  liest,  wird  bald  erkennen,  daß  ihre  Bewohner 


282  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

von  Gewerben,  Ackerbau  und  Handel  weit  weniger 
wußten,  als  heutzutage  die  Tartaren  der  Ukraine.  Selbst 
die  Peruaner,  das  zivilisierteste  der  beiden  Völker  be- 
dienten sich  zwar  des  Goldes  und  Silbers  zum  Schmuck, 
kannten  aber  keinerlei  gemünztes  Geld.  Ihr  ganzer 
Handel  war  ein  Tauschhandel,  und  es  gab  deshalb  auch 
kaum  irgend  eine  Arbeitsteilung  unter  ihnen.  Wer  den 
Boden  bestellte,  mußte  sich  auch  sein  Haus  selbst  bauen, 
seine  Möbel,  Kleider,  Schuhe  und  sein  Ackergerät  selbst 
verfertigen.  Die  wenigen  Handwerker  unter  ihnen  sollen 
von  dem  König,  den  Adeligen  und  Priestern  gehalten 
worden  sein  und  waren  wahrscheinlich  ihre  Diener  oder 
Sklaven.  Alle  die  früheren  Gewerbe  Mexikos  und  Perus 
haben  niemals  auch  nur  ein  einziges  Fabrikat  nach  Eu- 
ropa geliefert.  Die  spanischen  Heere  fanden,  obwohl 
sie  kaum  jemals  über  fünfhundert  Mann  und  oft  kaum 
halb  so  stark  waren,  es  dennoch  fast  überall  sehr  schwer, 
sich  Lebensmittel  zu  verschaffen.  Die  Hungersnot,  die 
sie  fast  überall,  wohin  sie  kamen,  selbst  in  Gegenden, 
die  als  sehr  bevölkert  und  wohlangebaut  geschildert 
werden,  verursacht  haben  sollen,  beweist  hinlänglich, 
daß  das  Märchen  von  diesem  Volksreichtum  und  dieser 
hohen  Kultur  meist  auf  Dichtung  beruht.  Die  spani- 
schen Kolonien  stehen  unter  einer  Regierung,  die  in 
vielen  Beziehungen  dem  Ackerbau,  der  Kultur  und  Be- 
völkerungszunahme weniger  günstig  ist,  als  die  der 
englischen  Kolonien.  Gleichwohl  scheinen  sie  in  all' 
dem  weit  schnellere  Fortschritte  zu  machen,  als  irgend 
ein  europäisches  Land.  Auf  einem  fruchtbaren  Boden 
und  unter  einem  glücklichen  Klima  scheint  der  große 
Überfluß  und  die  Wohlfeilheit  von  Grund  und  Boden, 
ein  Umstand,  der  allen  neuen  Kolonien  gemeinsam  ist, 
ein  so  großer  Vorteil  zu  sein,  daß  er  viele  Mängel  der 
bürgerlichen  Regierung  wieder  gut  macht.  Nach  Frezier, 
der  Peru  1713  besuchte,  soll  Lima  zwischen  25,000  und 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     283 

28,000  Einwohner  haben ;  Ulloa,  der  sich  dort  zwischen 
1740  und  1746  aufhielt,  giebt  die  Einwohnerzahl  auf 
etwa  50,000  an.  Der  Unterschied  in  ihren  Schätzungen 
der  Einwohnerzahl  verschiedener  anderer  größerer  Städte 
in  Chili  und  Peru  ist  ziemlich  eben  so  groß,  und  da 
kein  Grund  vorliegt,  sie  für  schlecht  unterrichtet  zu 
halten,  so  deutet  dies  auf  eine  kaum  geringere  Zunahme, 
als  die  in  den  englischen  Kolonien.  Amerika  ist  mithin 
für  das  Produkt  seiner  eigenen  Silberminen  ein  neuer 
Markt,  dessen  Nachfrage  weit  schneller  zunehmen  muß, 
als  die  der  blühendsten  europäischen  Länder. 
t  Drittens:  ein  fernerer  Markt  für  das  Produkt  der 
amerikanischen  Silberminen  ist  Ostindien,  und  zwar  ein 
Markt,  der  seit  der  Entdeckung  jener  Minen  ununter- 
brochen eine  immer  größere  Menge  Silber  aufnahm. 
Seit  jener  Zeit  hat  der  direkte  Handel  zwischen  Amerika 
und  Ostindien,  der  auf  den  Acapulko-Schiffen  getrieben 
wird,  beständig  zugenommen,  und  der  indirekte  Ver- 
kehr über  Europa  ist  in  noch  weit  höherem  Maße  ge- 
stiegen. Im  sechszehnten  Jahrhundert  waren  die  Portu- 
giesen die  einzigen  Europäer,  die  einen  regelmäßigen 
Handel  nach  Ostindien  trieben.  In  den  letzten  Jahren 
dieses  Jahrhunderts  begannen  die  Holländer  dieses 
Monopol  anzugreifen,  und  vertrieben  jene  innerhalb 
weniger  Jahre  aus  ihren  bedeutendsten  Besitzungen  in 
Indien.  Während  der  größeren  Hälfte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts teilten  sich  diese  beiden  Nationen  in  den 
größten  Teil  des  ostindischen  Handels,  wobei  der 
holländische  Handel  in  noch  größerem  Maße  zunahm, 
als  der  portugiesische  sank.  Die  Engländer  und  Fran- 
zosen trieben  schon  im  vorigen  Jahrhundert  einigen 
Handel  mit  Indien,  aber  erst  im  Laufe  des  jetzigen 
wurde  er  bedeutend.  Der  ostindische  Handel  der 
Schweden  und  Dänen  begann  im  Laufe  des  jetzigen 
Jahrhunderts.  Selbst  die  Moskowiter  haben  jetzt  einen 
regelmäßigen  Verkehr  mit  China  mittelst  einer  Art  von 


284  Erstes  Biich:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Karawanen,  die  über  Land  durch  Sibirien  und  die 
Tartarei  nach  Peking  ziehen.  Der  ostindische  Handel 
aller  dieser  Nationen  war,  bis  auf  den  der  Franzosen, 
den  der  letzte  Krieg  fast  ganz  vernichtet  hatte,  in  fast 
ununterbrochener  Zunahme.  Der  steigende  Verbrauch 
ostindischer  Waren  in  Europa  ist  anscheinend  groß 
genug,  um  allen  diesen  Nationen  eine  stets  wachsende 
Beschäftigung  zu  gewähren.  Thee  z.  B.  war  ein  Artikel, 
der  vor  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  nur  wenig 
gebraucht  wurde.  Gegenwärtig  beläuft  sich  der  Wert 
des  von  der  englisch  -  ostindischen  Compagnie  alle 
Jahre  zum  Gebrauch  ihrer  Landsleute  eingeführten 
Thees  auf  mehr  als  anderthalb  Millionen,  und  selbst 
das  reicht  nicht  hin,  da  aus  den  Häfen  Hollands,  von 
Gothenburg  in  Schweden  und  auch  von  den  Küsten 
Frankreichs,  wenigstens  so  lange  die  französisch-ost- 
indische Compagnie  in  Blüte  war,  fortwährend  eine 
große  Menge  in  das  Land  eingeschmuggelt  wird. 
Beinahe  in  gleichem  Verhältnis  ist  der  Gebrauch  des 
chinesischen  Porzellans,  der  Gewürze  von  den  Mo- 
lukken,  der  bengalischen  Stückgüter  und  unzähliger 
anderer  Artikel  gewachsen.  Der  Tonnengehalt  aller  im 
Ostindienhandel  beschäftigten  europäischen  Schiffe  war 
demgemäß  im  vorigen  Jahrhundert  wohl  nie  größer, 
als  allein  der  der  Schiffe  der  englisch-ostindischen 
Compagnie  vor  der  neuerdings  erfolgten  Beschränkung 
ihrer  Schiffszahl. 

Der  Wert  der  Metalle  aber  war  in  Ostindien,  be- 
sonders in  China  und  Hindostan,  als  die  Europäer  zuerst 
mit  diesen  Ländern  Handel  zu  treiben  anfingen,  weit 
höher  als  in  Europa,  und  er  ist  es  noch  heute.  In 
Reisländern,  die  gewöhnlich  zwei,  zuweilen  drei  Ernten 
im  Jahre  liefern,  deren  jede  reichlicher  ist,  als  eine  ge- 
wöhnliche Getreideernte,  muß  der  Überschuß  an  Nah- 
rungsmitteln weit  größer  sein,  als  in  irgend  einem  Ge- 
treidelande von  gleicher  Ausdehnung.    Solche  Länder 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     285 

sind  daher  auch  weit  mehr  bevölkert.  Da  hier  den 
Reichen  ein  größerer  Überschuß  von  Nahrungsmitteln 
über  ihren  eignen  Verbrauch  zu  Gebote  steht,  so  können 
sie  eine  weit  größere  Menge  Arbeit  anderer  Leute  kaufen. 
Das  Grefolge  eines  chinesischen  oder  hindostanischen 
Großen  ist  demgemäß,  nach  allen  Berichten,  weit  zahl- 
reicher und  glänzender,  als  das  der  reichsten  nichtfürst- 
lichen Personen  in  Europa.  Derselbe  Überfluß  an 
verfügbaren  Nahrungsmitteln  setzt  sie  in  den  Stand, 
eine  größere  Menge  von  ihnen  für  alle  jenen  eigenarti- 
gen und  seltenen  Erzeugnisse  zu  geben,  die  die  Natur 
nur  in  sehr  geringen  Mengen  liefert,  wie  die  edlen 
Metalle  und  Edelsteine,  um  die  unter  den  Reichen  so 
viel  Wettbewerb  besteht.  Wären  daher  auch  die  Berg- 
werke, die  den  indischen  Markt  versorgten,  ebenso  er- 
giebig gewesen  als  die,  die  den  europäischen  Markt 
ergänzten,  so  würden  jene  Waren  doch  in  Indien  eine 
größere  Menge  Nahrungsmittel  austauschen,  als  in 
Europa.  Nun  scheinen  aber  die  Bergwerke,  welche 
den  indischen  Markt  mit  edlen  Metallen  versorgten, 
viel  weniger  ergiebig,  dagegen  die,  welche  ihn  mit 
Edelsteinen  versahen,  viel  ergiebiger  gewesen  zu  sein 
als  die  europäischen,  und  die  edlen  Metalle  gelten  des- 
halb in  Indien  eine  etwas  größere  Menge  von  Edel- 
steinen und  eine  noch  weit  größere  Menge  von  Nah- 
rungsmitteln, als  in  Europa.  Der  Geldpreis  der  Dia- 
manten, dieses  überflüssigsten  aller  Dinge,  wird  in  dem 
einen  Lande  etwas  geringer,  und  der  der  Nahrungs- 
mittel, des  ersten  aller  Bedürfnisse,  viel  geringer  sein, 
als  in  dem  anderen.  Aber  der  Sachpreis  der  Arbeit, 
die  wirkliche  Menge  von  Lebensbedürfnissen,  die  die 
Arbeiter  erhalten,  ist,  wie  bereits  bemerkt,  sowohl  in 
China  wie  in  Hindostan,  den  beiden  großen  Märkten 
des  Orients,  niedriger  als  in  den  meisten  Teilen  Eu- 
ropas.   Der  Lohn  des  Arbeiters  wird  dort  eine  gerin- 


286  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

gere  Menge  von  Nahrungsmitteln  kaufen,  und  da  der 
Geldpreis  der  Nahrungsmittel  in  Indien  weit  geringer 
ist  als  in  Europa,  so  ist  der  Geldpreis  der  Arbeit  dort 
in  doppelter  Hinsicht  niedriger,  einerseits  wegen  der 
geringen  Menge  von  Nahrungsmitteln,  die  dafür  zu 
haben  ist,  und  andererseits  wegen  ihres  geringen  Preises. 
Doch  wird  in  Ländern  von  gleicher  gewerblicher  Ent- 
wicklung der  Geldpreis  der  meisten  Fabrikate  sich  nach 
dem  Geldpreise  der  Arbeit  richten,  und  wenn  auch 
China  und  Hindostan  in  dieser  Beziehung  nicht  ganz 
an  Europa  heranreichen,  so  stehen  sie  doch  nicht  er- 
heblich zurück.  Der  Geldpreis  der  meisten  Industrie- 
erzeugnisse wird  daher  natürlich  in  diesen  großen 
Reichen  viel  niedriger  sein,  als  irgendwo  in  Europa. 
In  den  meisten  Gegenden  Europas  vermehren  auch  die 
Kosten  der  Landfracht  sowohl  den  Sach-  wie  den  No- 
minalpreis der  Industrieerzeugnisse  beträchtlich.  Es 
kostet  hier  mehr  Arbeit,  und  darum  auch  mehr  Geld, 
zuerst  das  Material  und  dann  die  fertige  Ware  auf  den 
Markt  zu  bringen.  In  China  und  Hindostan  wird  durch 
die  weitverzweigte  Binnenschiffahrt  der  größte  Teil 
dieser  Arbeit  und  folglich  dieses  Geldes  erspart,  und 
sowohl  der  Sach-  wie  der  Nominalwert  der  meisten 
Industrieerzeugnisse  stellt  sich  dadurch  noch  niedriger. 
Aus  allen  diesen  Gründen  war  es  jederzeit  äußerst  vor- 
teilhaft, die  edlen  Metalle  von  Europa  nach  Indien  zu 
verführen,  und  ist  es  noch  heute.  Es  gibt  schwerlich 
eine  Ware,  die  dort  einen  besseren  Preis  ergiebt  oder 
nach  Verhältnis  der  Menge  von  Arbeit  und  Waren,  die 
sie  in  Europa  kostet,  eine  größere  Menge  von  Arbeit 
und  Waren  in  Indien  zu  kaufen  vermag.  Es  ist  auch 
vorteilhafter,  Silber  als  Gold  dahinzuführen,  weil  das 
Verhältnis  zwischen  Eeinsilber  und  Feingold  in  China 
und  auf  den  meisten  anderen  orientalischen  Märkten 
nur  wie  zehn  oder  höchstens  wie  zwölf  zu  eins  steht, 


Kap.  XL:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     287 

während  es  in  Europa  wie  vierzehn  oder  fünfzehn  zu 
eins  ist.  In  China  und  auf  den  meisten  anderen  orien- 
talischen Märkten  kauft  man  für  zehn  oder  höchstens 
zwölf  Unzen  Silber  eine  Unze  Gold;  in  Europa  braucht 
man  vierzehn  bis  fünfzehn  Unzen  dazu.  Deshalb  macht 
das  Silber  in  den  meisten  europäischen  Schiffen,  die 
nach  Indien  segeln,  gewöhnlich  den  wertvollsten  Be- 
standteil der  Ladung  aus ;  ebenso  wie  bei  den  Acapul- 
koschiffen,  die  nach  Manila  segeln.  So  scheint  das  Silber 
des  neuen  Kontinents  eine  der  hauptsächlichsten  Waren 
zu  sein,  die  den  Handel  zwischen  den  beiden  äußersten 
Enden  des  alten  Festlandes  vermitteln,  und  großenteils 
durch  seine  Dazwischenkunft  werden  jene  soweit  von 
einander  entfernten  Teile  mit  einander  verknüpft. 

Um  einen  so  weit  ausgedehnten  Markt  zu  ver- 
sorgen, muß  die  jährlich  aus  den  Bergwerken  ge- 
wonnene Silbermenge  nicht  nur  groß  genug  sein,  um 
jenen  beständigen  Zugang  an  gemünztem  Gelde  und 
an  Gerät,  der  in  allen  blühenden  Ländern  erforderlich 
ist,  zu  unterhalten,  sondern  auch  die  beständige  Ab- 
nutzung des  Silbers  zu  ersetzen,  die  überall  vorkommt, 
wo  dies  Metall  im  Gebrauch  ist. 

Der  beständige  Abgang  der  edlen  Metalle  durch 
die  Abnutzung  der  Münzen  und  Geräte  ist  sehr  be- 
deutend, und  würde  allein  schon  bei  Waren,  die  so 
allgemein  angeAvendet  werden,  eine  sehr  große  jähr- 
liche Zufuhr  erfordern.  Der  Abgang  dieser  Metalle  in 
einigen  Gewerben  ist  zwar  vielleicht  im  Ganzen  nicht 
größer,  als  jener  alimähliche  Abgang;  aber  merklicher, 
weil  viel  schneller.  In  den  Manufakturen  von  Bir- 
mingham allein  soll  die  Menge  des  jährlich  zum  Ver- 
golden und  Plattieren  verwendeten  Goldes  und  Silbers, 
das  niemals  wieder  in  der  Gestalt  dieser  Metalle  er- 
scheinen kann,  sich  auf  mehr  als  fünfzig  tausend  Pfund 
belaufen.  Danach  kann  man  sich  einen  Begriff  machen, 


288  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

wie  groß  der  jährliche  Verbrauch  in  allen  Teilen  der 
Welt  sein  muß,  sei  es  für  ähnliche  "Waren  wie  die  von 
Birmingham,  sei  es  für  Tressen,  Stickereien,  Gold-  und 
Silberstoffe,  Vergoldungen  an  Büchern  und  Möbeln  usw. 
Eine  bedeutende  Menge  dieser  Metalle  muß  jährlich 
auch  beim  See-  und  Landtransport  verloren  gehen.  Die 
in  den  meisten  asiatischen  Ländern  herrschende  Sitte, 
Schätze  zu  vergraben,  von  denen  die  Kenntnis  oft  mit 
der  Person,  die  sie  vergraben  hat,  stirbt,  muß  einen 
noch  weit  größeren  Verlust  verursachen. 

Die  Menge  des  nach  Cadix  und  Lissabon  einge- 
führten Goldes  und  Silbers  —  einschließlich  des  ein- 
geschmuggelten —  beläuft  sich  nach  den  besten 
Schätzungen  auf  etwa  sechs  Millionen  £  im  Jahr. 

Nach  Meggens*)  betrug  die  jährliche  Einfuhr  der 
edlen  Metalle  nach  Spanien  in  einem  Durchschnitt  von 
sechs  Jahren,  nämlich  von  1748  bis  1753,  und  die 
nach  Portugal  in  einem  Durchschnitt  von  sieben  Jahren, 
nämlich  von  1747  bis  1753,  an  Silber  1,101,107  Pfund 
und  an  Gold  49,940  Pfund.  Das  Silber,  zu  62  sh. 
das  Troy-Pfund,  beträgt  £  3,413,431.  10  sh.  Sterling. 
Das  Gold,  zu  44^2  Guineen  das  Troy-Pfund,  beträgt 
£  2,333,446.  14  sh.  Sterling.  Beide  zusammen  betragen 
£  5,746,878.  4  sh.  Die  Angaben  über  das,  was  unter 
Register  eingeführt  worden  ist,  erklärt  er  für  ganz 
zuverlässig.  Über  die  Herkunftsorte  und  die  Mengen 
beider  Metalle,  die  die  einzelnen  Plätze  den  Registern 
zufolge  lieferten,  erhalten  wir  umständliche  Auskunft, 
und  von  der  Menge  der  als  eingeschmuggelt  angenom- 
menen edlen  Metalle  möglichst  sorgfältige  Schätzungen. 


*)  Nachschrift  zu  dem  Universal  Merchant  p.  15  u.  16.  Diese 
Nachschrift  wurde  erst  1756,  drei  Jahre  nach  der  Herausgabe 
des  Buches,  das  niemals  eine  zweite  Auflage  erlebte,  gedruckt. 
Diese  Nachschrift  findet  sich  daher  nur  in  wenigen  Exemplaren ; 
sie  berichtigt  einie-e  Irrtümer  des  Buches. 


Kap.  XI.:  Die  Schwankungen  des  Silberwerts.  III.     289 

Die  große  Erfahrung  dieses  verständigen  Kaufmanns 
gibt  seinen  Ansichten  ein  bedeutendes  Gewicht. 

Nach  dem  beredten  und  zuweilen  wohl  unterrich- 
teten Verfasser  der  „Philosophischen  und  politischen 
Greschichte  der  Niederlassung  der  Europäer  in  beiden 
Indien"  betrug  die  jährliche  Einfuhr  des  registrierten 
Goldes  und  Silbers  nach  Spanien  im  Durchschnitt  von 
elf  Jahren,  nämlich  von  1754  bis  1764,  13,984, 185^^5 
Piaster  von  zehn  Realen.  Mit  Hinzurechnung  dessen, 
was  eingeschmuggelt  sein  mag,  nimmt  er  jedoch  den 
Betrag  der  gesamten  jährlichen  Einfuhr  zu  17,000,000 
Piaster  an,  was,  den  Piaster  zu  4  sh.  6  d.  gerechnet, 
eine  Summe  von  £  3,825,000  ergibt.  Er  führt  eben- 
falls die  Herkunftsorte  und  die  Mengen  jedes  Metalls 
an,  welche  den  E-egistern  zufolge  die  einzelnen  Plätze 
lieferten.  Die  jährlich  von  Brasilien  nach  Lissabon  ein- 
geführte Menge  Goldes,  nach  dem  Betrage  der  an  den 
König  von  Portugal  entrichteten  Auflage  geschätzt,  die 
anscheinend  ein  Fünftel  des  reinen  Metalls  ausmacht, 
schlägt  er  auf  18,000,000  Cruzados  oder  45,000,000 
französische  Livres,  also  etwa  £  2,000,000.  Für  ein- 
geschmuggelte "Ware  noch  ein  Achtel  oder  £  250,000 
hinzugerechnet,  würde  nach  diesem  Gewährsmann  das 
Ganze  sich  auf  £  2,250,000  belaufen.  Nach  dieser  Rech- 
nung beträgt  mithin  die  jährliche  Gesamteinfuhr  edler 
Metalle  nach  Spanien  und  Portugal  etwa  £  6,075,000. 
Einige  andere  sehr  gut  beglaubigte,  obwohl  nur  hand- 
schriftliche, Schätzungen  stimmen,  wie  man  mir  sagt,  da- 
mit überein,  indem  sie  den  Betrag  der  gesamten  jährlichen 
Einfuhr  im  Durchschnitt  auf  etwa  £  6,000,000  angeben. 

Die  jährhche  Einfuhr  der  edlen  Metalle  nach  Cadix 
und  Lissabon  kommt  freilich  dem  gesamten  Jahres- 
produkt der  amerikanischen  Bergwerke  nicht  gleich. 
Einiges  geht  jährlich  auf  den  Acapulko-Schiffen  nach 
Manila,   einiges  wird  in  dem  Schleichhandel   der   spa- 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  19 


290   Erstes  Buch:  Zimahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

nischen  Kolonien  mit  den  Kolonien  andrer  europäischer 
Völker  verwendet,  und  einiges  bleibt  ohne  Zweifel  im 
Erzeugungslande.  Außerdem  sind  die  amerikanischen 
Bergwerke  keineswegs  die  einzigen  Gold-  und  Silber- 
minen in  der  Welt.  Allein  sie  sind  bei  "Weitem  am 
ergiebigsten.  Der  Ertrag  aller  anderen  bekannten  Minen 
ist  anerkanntermaßen  im  Vergleich  mit  den  amerika- 
nischen unbedeutend ;  auch  wird  der  bei  Weitem  größte 
Teil  des  Ertrags  ebenso  unbestritten  nach  Cadix  und 
Lissabon  gebracht.  Nun  beträgt  der  Verbrauch  Bir- 
minghams allein  nach  dem  Maßstabe  von  50,000  Pfund 
im  Jahr  den  hundertundzwanzigsten  Teil  jener  jähr- 
lichen Einfuhr  von  sechs  Millionen.  Der  gesamte 
jährliche  Verbrauch  von  Gold  und  Silber  in  allen 
Ländern  der  Welt,  wo  man  diese  Metalle  benutzt, 
kann  daher  dem  gesamten  Jahresprodukt  ziemlich  nahe 
kommen.  Der  Rest  wird  wohl  kaum  hinreichen,  die 
wachsende  Nachfrage  aller  blühenden  Länder  zu  be- 
friedigen; ja  vielleicht  bleibt  er  soweit  dahinter  zurück, 
daß  er  den  Preis  dieser  Metalle  auf  dem  europäischen 
Markte  etwas  in  die  Höhe  treibt.  Die  jährlich  aus  den 
Bergwerken  auf  den  Markt  gebrachte  Menge  Kupfer 
und  Eisen  ist  unverhältnismäßig  größer,  als  die  von 
Gold  und  Silber.  Doch  glauben  wir  deswegen  nicht, 
daß  diese  gröberen  Metalle  sich  über  den  Bedarf 
hinaus  vermehren,  d.  h.  allmählich  immer  wohlfeiler 
werden.  Warum  sollten  wir  daher  glauben,  daß  dies 
bei  den  edlen  Metallen  der  Fall  sein  werde?  Die  un- 
edlen Metalle  werden  freilich,  obwohl  sie  härter  sind, 
stärker  abgenutzt  und  ihres  geringeren  Werts  wegen 
weniger  sorgfältig  aufbewahrt;  aber  die  edlen  Metalle 
sind  nicht  unvergänglicher  als  jene  und  gleichfalls  dem 
Verlorengehen,  der  Abnutzung  und  dem  Verbrauch 
auf  tausenderlei  Weise  ausgesetzt. 

Der  Preis   aller  Metalle  ist  jenen   langsamen  und 
allmählichen    Veränderungen    unterworfen,    schwankt 


Kap.  XI.:  Wertverhiiltnis  zwischen  Gold  und  Silber.  291 

aber  weniger  von  Jahr  zu  Jahr,  als  der  anderer  Roh- 
produkte des  Bodens;  auch  ist  der  Preis  der  edlen 
Metalle  plötzlichen  Veränderungen  weniger  ausgesetzt, 
als  der  der  unedlen.  Der  Grund  dieser  außerordent- 
lichen Stetigkeit  des  Preises  liegt  in  der  Dauerhaftig- 
keit der  Metalle.  Das  jährlich  zu  Markt  gebrachte 
Gretreide  ist  vor  Ende  des  folgenden  Jahres  ganz  oder 
beinahe  ganz  verbraucht;  dagegen  kann  Eisen,  das 
vor  zwei-  oder  dreihundert  Jahren,  und  Gold,  das  vor 
zwei-  oder  dreitausend  Jahren  aus  den  Minen  gefördert 
wurde,  noch  heute  im  Gebrauch  sein.  Die  Massen  Ge- 
treides, die  in  verschiedenen  Jahren  den  Verbrauch 
der  Welt  decken  müssen,  werden  stets  dem  Ertrage 
dieser  Jahre  ziemlich  nahe  kommen;  dagegen  wird 
das  Verhältnis  zwischen  den  verschiedenen  Massen 
Eisens,  die  in  zwei  verschiedenen  Jahren  gebraucht 
werden,  durch  eine  zufällige  Verschiedenheit  in  der 
Eisenerzeugung  dieser  beiden  Jahre  sehr  wenig  berührt, 
und  das  Verhältnis  der  Massen  Goldes  durch  eine 
solche  Verschiedenheit  in  der  Gold  prod  uktion  noch  we- 
niger. Obgleich  daher  der  Ertrag  der  meisten  Metallberg- 
werke von  Jahr  zu  Jahr  vielleicht  noch  mehr  wechselt, 
als  der  der  meisten  Getreidefelder,  so  haben  diese  Ver- 
änderungen doch  nicht  denselben  Einfluß  auf  den  Preis 
der  einen  Art  Ware,  wie  auf  den  der  andern. 


Veränderungen  in  dem  Wertverhältnis  zwischen 
Gold  und  Silber. 

Vor  der  Entdeckung  der  amerikanischen  Minen 
wurde  das  Wertverhältnis  zwischen  Feingold  und  Fein- 
silber in  den  verschiedenen  europäischen  Münzen  auf 
1  :  1(3  oder  1  :  12  festgestellt,  d.  h.  eine  Unze  Feingold 
zehn  oder  zwölf  Unzen  Feinsilber  gleich  geachtet.  Um 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  wurde  es  auf  1  :  i-1 

19^'= 


292  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ei-tragskraft  der  Arbeit. 

oder  1  :  15  festgestellt,  d.  b.  eine  Unze  Feingold  14 
bis  15  Unzen  Feinsilber  wert  geacbtet.  Das  Gold  stieg 
in  seinem  Nominalwerte,  d.  b.  es  wurde  eine  größere 
Menge  Silber  dafür  gegeben.  Beide  Metalle  aber  sanken 
in  ihrem  wirklichen  Werte,  d.  h.  in  der  Arbeitsmenge, 
die  man  dafür  kaufen  konnte;  doch  sank  das  Silber 
mehr  als  das  Gold.  Obgleich  sowohl  die  Gold-  wie  die 
Silberminen  Amerikas  alle  anderen  bis  dahin  bekannten 
an  Ergiebigkeit  übertrafen,  scheint  doch  die  Ergiebig- 
keit der  Silberminen  verhältnismäßig  noch  größer  ge- 
wesen zu  sein,  als  die  der  Goldminen. 

Die  großen  jährlich  von  Europa  nach  Indien  ge- 
brachten Silbermengen  haben  in  einigen  englischen 
Niederlassungen  den  Wert  dieses  Metalls  gegen  den 
des  Goldes  allmählich  verringert.  In  der  Münze  von 
Calcutta  gilt  eine  Unze  Feingold  15  Unzen  Feinsilber, 
ganz  wie  in  Europa,  doch  wird  es  in  der  Münze  nach 
dem  Werte,  den  es  auf  dem  bengalischen  Markte  hat, 
vielleicht  zu  hoch  angeschlagen.  In  China  ist  das  Ver- 
hältnis des  Goldes  zum  Silber  noch  1  :  10  oder  1  :  12. 
In  Japan  soll  es  wie  1  :  8  sein. 

Das  Verhältnis  zwischen  den  Gold-  und  Silber- 
mengen, die  jährlich  nach  Europa  kommen,  ist  nach 
Meggens'  Berechnung  beinahe  wie  1  :  22,  d.  h.  für 
1  Unze  Gold  werden  etwas  mehr  als  22  Unzen  Silber 
eingeführt,  und  die  große  Silbermenge,  die  jährlich 
nach  Ostindien  geschickt  wird,  führt  nach  seiner  An- 
sicht die  in  Europa  bleibenden  Gold-  und  Silbermengen 
auf  das  Verhältnis  von  1  :  14  oder  1  :  15  zurück  — 
ihr  Wertverhältnis.  Er  scheint  zu  glauben,  daß  ihr 
Wertverhältnis  notwendig  dasselbe  sein  müsse,  wie 
das  ihrer  Mengen,  und  mithin  wie  1  :  20  stehen  würde, 
wenn  jene  größere  Silberausfuhr  nicht  stattfände. 

Allein  das  gewöhnliche  Verhältnis  zwischen  dem 
Wert  zweier  Waren   ist  nicht  notwendig   das  gleiche, 


Kap.  XI.:  "Wertverhältnis  zwischen  Gold  und  Silber.    293 

wie  das  zwischen  seinen  in  der  Regel  auf  dem  Markte 
befindlichen  Mengen.  Der  Preis  eines  Ochsen,  zu 
zehn  Guineen  gerechnet,  ist  etwa  sechzigmal  so  groß, 
als  der  Preis  eines  Lammes,  zu  3  sh.  6  d.  gerechnet. 
Es  wäre  aber  töricht,  daraus  zu  schliessen,  daß  in  der 
Regel  ein  Schock  Lämmer  für  einen  Ochsen  auf  dem 
Markte  wären,  und  ebenso  töricht  würde  es  sein,  zu 
schließen,  daß,  weil  eine  L^nze  Gold  gewöhnlich  14 
oder  15  Unzen  Silber  gilt,  auch  vierzehn  oder  fünf- 
zehnmal mehr  Silber  als  Gold  auf  dem  Markte  vor- 
handen sei. 

Die  auf  dem  Markte  gewöhnlich  vorhandene  Menge 
Silber  ist  im  Verhältnis  zum  Gold  wahrscheinlich  weit 
größer,  als  nach  ihrem  Wertverhältnis  vorauszusetzen 
wäre.  Die  Gesamtmenge  einer  an  den  Markt  gebrachten 
wohlfeilen  Ware  ist  in  der  Regel  nicht  nur  größer, 
sondern  auch  von  größerem  Wert,  als  die  Gesamt- 
menge einer  teuren.  Die  Gesamtmenge  des  jährlich 
an  den  Markt  gebrachten  Brotes  ist  nicht  nur  größer, 
sondern  auch  von  größerem  Werte  als  die  Gesamt- 
menge des  Fleisches;  die  des  Fleisches  größer  und  von 
größerem  Werte,  als  die  des  zahmen  Geflügels ;  und 
die  Gesamtmenge  des  zahmen  Geflügels  größer  und 
von  größerem  AVerte,  als  die  des  wilden  Geflügels. 
Es  gibt  so  viele  Käufer  mehr  für  die  wohlfeile  als 
für  die  teure  Ware,  daß  gewöhnlich  nicht  nur  eine 
größere  Menge,  sondern  auch  ein  größerer  Wert  von 
ihr  verkauft  werden  kann.  Daher  muß  die  Gesamt- 
menge der  billigen  Ware  im  Verhältnis  zu  der  der 
teuren  größer  sein,  als  der  Wert  einer  gewissen  Menge 
der  teuren  im  Verhältnis  zum  Wert  einer  gleichen 
Menge  der  wohlfeilen.  A'ergleicht  man  die  edlen  Me- 
talle mit  einander,  so  ist  das  Silber  eine  wohlfeile,  das 
Gold  eine  teure  Ware.  Es  ist  daher  auch  zu  erwarten, 
daß    auf    dem   Markte    stets    nicht    nur    eine    größere 


294  Ei"«te.s  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Menge,  sondern  auch  ein  größerer  Wert  an  Silber, 
als  an  Gold  vorhanden  ist.  Wer  von  beiden  etwas 
hat,  vergleiche  sein  Silber-  mit  seinem  Goldgerät,  und 
er  wird  wahrscheinlich  finden,  daß  nicht  nur  die 
Menge,  sondern  auch  der  Wert  des  ersteren  weit 
größer  ist,  als  die  Menge  und  der  Wert  des  letzteren. 
Viele  haben  wohl  Silbersachen,  aber  keine  Goldsachen, 
und  letztere  sind  auch  bei  denen,  die  sie  haben,  im 
Allgemeinen  auf  Uhrgehäuse,  Tabaksdosen  und  ähn- 
liche Kleinigkeiten  beschränkt,  deren  ganzer  Betrag 
selten  von  großem  Wert  ist.  In  den  britischen  Münzen 
überwiegt  allerdings  der  Wert  des  Goldes  bei  Weitem, 
aber  in  allen  anderen  Ländern  ist  es  nicht  der  Fall. 
In  den  Münzen  einiger  Länder  ist  der  Wert  ziemlich 
gleich.  In  den  schottischen  Münzen  überwog,  wie  man 
aus  den  Münzrechnungen  ersieht,  vor  der  Union  mit 
England  das  Gold  ein  wenig.'-')  In  den  Münzen  vieler 
Länder  überwiegt  das  Silber.  In  Frankreich  werden 
die  größten  Summen  gewöhnlich  in  diesem  Metall 
gezahlt,  und  es  ist  dort  schwer,  sich  mehr  Gold  zu 
verschaffen,  als  man  in  der  Tasche  bei  sich  führen 
muß.  Doch  dürfte  der  in  allen  Ländern  anerkannt 
höhere  Wert  des  Silbergeräts  das  hier  und  da  sich 
findende  Überwiegen  der  Goldmünzen  über  die  Silber- 
münzen mehr  als  ausgleichen. 

Obgleich  in  einem  gewissen  Sinne  des  Worts  Silber 
immer  viel  wohlfeiler  gewesen  ist  und  wahrscheinlich 
auch  stets  viel  wohlfeiler  bleiben  wird,  als  Gold,  so 
kann  man  doch  in  einem  anderen  Sinne  violleicht  sagen, 
daß  das  Gold  bei  dem  jetzigen  Zustande  des  spanischen 
Marktes  etwas  wohlfeiler  ist,  als  das  Silber.  Man  kann 
eine  Waie  nicht  nur  nach  der  absoluten  Höhe  oder 
Niedrigfkeit  ihres  üblichen  Preises  teuer  oder  wohlfeil 


■"'•)  Siehe:  Ruddimans  Vorrede  zu  Andersons  Diplomata  Scotiae. 


Kap.  XI.:  Wertverhältnis  zwischen  Gold  und  Silber.    295 

nennen,  sondern  auch,  je  nachdem  dieser  Preis  mehr 
oder  weniger  über  dem  niedrigsten  Preise  steht,  zu  dem 
sie  sich  eine  längere  Zeit  hindurch  auf  den  Markt  bringen 
\siQt.  Dieser  niedrigste  Preis  ist  derjenige,  der  nur  eben 
mit  mäßigem  Gewinn  das  Kapital  wieder  ersetzt,  das 
man  dazu  verwendete,  sie  dahin  zu  bringen.  Es  ist  der 
Preis,  der  für  den  Grundbesitzer  Nichts  abwirft,  von 
dem  die  Rente  keinen  Bestandteil  ausmacht,  sondern 
der  nur  in  Arbeitslohn  und  Gewinn  besteht.  Nun  ist 
bei  dem  jetzigen  Zustande  des  spanischen  Marktes  das 
Gold  gewiß  diesem  niedrigen  Preise  etwas  näher  als  das 
Silber.  Die  Abgabe  an  den  König  von  Spanien  macht 
beim  Gold  den  zwanzigsten  Teil  vom  reinen  Metall  oder 
fünf  Prozent,  beim  Silber  aber  den  zehnten  Teil  oder 
zehn  Prozent  aus.  Auch  besteht,  wie  bereits  bemerkt, 
in  diesen  Abgaben  die  ganze  Rente  der  meisten  Gold- 
und  Silberminen  des  spanischen  Amerikas,  und  die  Ab- 
gabe für  Gold  geht  noch  schlechter  ein,  als  die  für 
Silber.  Nicht  minder  dürften  die  Gewinne  der  Unter- 
nehmer von  Goldminen,  die  weit  seltener  viel  dabei 
verdienen,  in  der  Regel  noch  mäßiger  sein,  als  die  der 
Unternehmer  von  Silberbergwerken.  Mithin  muß  der 
Preis  des  spanischen  Goldes,  da^s  sowohl  weniger  Rente 
wie  weniger  Gewinn  abwirft,  auf  dem  spanischen  Markte 
dem  niedrigsten  Preise,  zu  dem  es  dahin  geschafft  werden 
kann,  etwas  näher  stehen,  als  der  Preis  des  spanischen 
Silbers.  Rechnet  man  alle  Kosten  zusammen,  so  kann 
anscheinend  die  Gesamtmenge  des  ersteren  Metalls  dort 
nicht  so  vorteilhaft  abgesetzt  werden,  als  die  Gesamt- 
menge des  anderen.  Die  Abgabe  auf  das  brasilianische 
Gold  an  den  König  von  Portugal  beträgt  ebensoviel 
wie  die  frühere  Abgabe  auf  das  mexikanische  und  peru- 
anische Silber  an  den  König  von  Spanien,  d.  h.  den 
fünften  Teil  des  reinen  Metalls.  Man  kann  daher  be- 
zweifeln, ob  die  ganze  Masse  des  amerikanischen  Goldes 


296  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Ai-beit. 

ZU  einer  dem  niedrigsten  näher  stehenden  Preise  auf 
den  allgemeinen  europäischen  Markt  kommt,  als  die 
ganze  Masse  des  amerikanischen  Silbers. 

Der  Preis  der  Diamanten  und  anderer  Edelsteine 
kommt  vielleicht  dem  niedrigstmöglichen  noch  näher, 
als  der  Preis  des  Goldes. 

Obgleich  es  nicht  sehr  wahrscheinlich  ist,  daß  von 
einer  Abgabe,  die  nicht  nur  ein  sehr  geeignetes  Steuer- 
objekt, nämlich  eine  Sache  lediglich  des  Luxus  und  Über- 
flusses trifft,  sondern  auch  eine  so  bedeutende  Ein- 
nahme gewährt,  wie  die  Abgabe  auf  Silber,  etwas  nach- 
gelassen werden  wird,  so  lange  sie  überhaupt  bezahlt 
werden  kann  —  so  kann  doch  die  gleiche  Unmöglich- 
keit, sie  zu  zahlen,  die  1736  zur  Herabsetzung  von 
einem  Fünftel  auf  ein  Zehntel  nötigte,  mit  der  Zeit 
noch  weitere  Minderungen  erzwingen,  gerade  so,  wie 
man  die  Abgabe  für  Gold  auf  ein  Zwanzigstel  herab- 
setzen mußte.  Daß  der  Abbau  der  Silberminen  des 
spanischen  Amerika,  wie  der  aller  anderen  Minen,  durch 
die  Notwendigkeit,  die  Schachte  immer  tiefer  zu  führen, 
und  wegen  der  größeren  Kosten,  das  "Wasser  aus  den 
Tiefen  heraus-  und  frische  Luft  hineinzubringen,  immer 
teurer  wird,  ist  von  i^len  anerkannt,  die  den  Zustand 
jener  Minen  kennen. 

Diese  Ursachen,  die  einer  zunehmenden  Seltenheit 
des  Silbers  gleichkommen  (denn  eine  Ware  wird  selte- 
ner, wenn  es  schwieriger  und  kostspieliger  wird,  eine 
gewisse  Menge  von  ihr  zusammen  zu  bringen),  müssen 
mit  der  Zeit  zu  einer  der  drei  nachstehenden  Eventu- 
alitäten führen.  Die  Erhöhung  der  Kosten  muß  ent- 
weder, erstens  durch  eine  verhältnismäßige  Erhöhung 
im  Preise  des  Metalls,  oder  zweitens  durch  eine  ver- 
hältnismäßige Verringerung  der  Abgabe  auf  Silber, 
oder  drittens  teils  durch  das  eine,  teils  durch  das  andere 
dieser  beiden  Auskunftsmittel  vollständig  ausgeglichen 


Kap.  XI.:  Wertverhältnis  zwischen  Gold  und  Silber.    297 

werden.  Diese  dritte  Folge  hat  die  größte  Wahrschein- 
lichkeit für  sich.  Wie  der  Goldpreis  im  Verhältnis  zum 
Silberpreis  trotz  der  großen  Verringerung  der  Abgabe 
auf  Gold  stieg,  so  kann  der  Silberpreis  im  Verhältnis 
zu  Arbeit  und  Waren  trotz  einer  gleichen  Verringe- 
rung der  Abgabe  auf  Silber  steigen. 

Solche  allmähliche  Ermäßigungen  der  Abgabe 
können  zwar  das  Steigen  des  Silberwertes  auf  dem  eu- 
ropäischen Markte  nicht  gänzlich  verhindern,  aber  jeden- 
falls es  mehr  oder  weniger  verzögern.  Infolge  dieser 
Ermäßigungen  können  manche  Minen  in  Angriff  ge- 
nommen werden,  die  früher  wegen  der  hohen  Steuer 
nicht  abgebaut  werden  konnten,  und  die  Menge  des 
jährlich  auf  den  Markt  gebrachten  Silbers  wird  dann 
etwas  größer,  und  daher  auch  der  Wert  einer  gege- 
benen Menge  etwas  geringer  sein,  als  es  sonst  der  Fall 
sein  würde.  Infolge  der  Steuerermäßigung  im  Jahre 
1736  ist  der  Wert  des  Silbers  auf  dem  europäischen 
Markte,  wenn  auch  nicht  niedriger  als  vorher,  doch 
wahrscheinlich  um  zehn  Prozent  niedriger,  als  er  sein 
würde,  wenn  der  spanische  Hof  die  frühere  Abgabe 
weiter  erhoben  hätte. 

Daß  trotz  dieser  Ermäßigung  der  Wert  des  Silbers 
im  Laufe  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  auf  dem 
europäischen  Markte  etwas  zu  steigen  begonnen  habe, 
lassen  mich  die  oben  angeführten  Tatsachen  und  Be- 
weise glauben  oder  besser  mutmaßen,  denn  die  Meinung, 
die  ich  mir  über  diesen  Gegenstand  bilden  kann,  ver- 
dient wohl  kaum  den  Namen  des  Glaubens.  In  der 
Tat  ist  die  Steigerung,  wenn  sie  überhaupt  stattge- 
funden hat,  bisher  so  gering  gewesen,  daß  es  nach 
allem  Gesagten  wohl  noch  manchem  ungewiß  erschei- 
nen mag,  ob  sie  stattgefunden  hat,  oder  ob  das  Gegen- 
teil der  Fall  ist  und  der  Wert  des  Silbers  auf  dem 
europäischen  Markte  noch  immer  sinkt. 


298  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Es  muß  übrigens  bemerkt  werden,  daß  einmal  ein 
Punkt  eintreten  muß,  wo  die  jährliche  Einfuhr  von  Gold 
und  Silber,  mag  sie  betragen,  wie  viel  sie  will,  dem  jähr- 
lichen Verbrauch  dieser  Metalle  gleichkommt.  Ihr  Ver- 
brauch muß  mit  ihrer  Masse,  oder  vielleicht  sogar  in 
einem  noch  größeren  Verhältnis  zunehmen.  Je  nachdem 
ihre  Masse  zunimmt,  vermindert  sich  ihr  Wert.  Sie 
kommen  in  allgemeineren  Grebrauch  und  werden  weniger 
in  Acht  genommen,  und  so  wächst  ihr  Verbrauch  mehr, 
als  ihre  Masse.  Mithin  muß  nach  einer  bestimmten 
Zeit  der  jährliche  Verbrauch  der  jährlichen  Einfuhr 
gleichkommen,  falls  nicht  etwa  die  Einfuhr  beständig 
zunimmt,  was  heutzutage  nicht  anzunehmen  ist. 

Sollte,  wenn  der  jährliche  Verbrauch  der  jähr- 
lichen Einfuhr  gleichgekommen  ist,  die  letztere  sich 
allmählich  vermindern,  so  kann  der  Jahresverbrauch 
eine  Zeitlang  die  Jahreseinfuhr  übersteigen.  Die 
Masse  dieser  Metalle  kann  sich  allmählich  und  un- 
merklich vermindern,  und  ihr  Wert  allmählich  und 
unmerklich  steigen,  bis  die  jährliche  Einfuhr  stillsteht, 
und  der  Verbrauch  sich  der  Einfuhr  anpaßt. 


Gründe  für  die  Vermutung,  daß  der  Wert  des  Silbers 
noch  immer  sinkt. 

Die  Zunahme  des  Reichtums  in  Europa  und  die 
herschende  Ansicht,  daß  je  mehr  die  Menge  der  edlen 
Metalle  mit  dem  zunehmenden  Reichtum  wachse,  sich 
ihr  Wert  vermindere,  mag  viele  dem  Grlauben  geneigt 
machen,  daß  ihr  Wert  auf  dem  europäischen  Markte 
noch  immer  sinke,  und  in  dieser  Meinung  muß  der 
allmählich  noch  immer  steigende  Preis  vieler  Roh- 
produkte des  Bodens  bestärken. 

Daß  die  aus  der  Zunahme  des  Reichtums  ent- 
springende Zunahme  in  der  Menge  der  edlen  Metalle 


Kap.  XI.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fort.schritt.s  d.  Kultur.  299 

nicht  die  Wirkung  hat,  ihren  Wert  zu  verringern,  habe 
ich  bereits  gezeigt.  Gold  und  Silber  fließen  naturgemäß 
in  die  reichen  Länder,  aus  demselben  Grunde,  aus  dem 
alle  Arten  von  Luxusartikeln  dahin  strömen;  nicht 
weil  sie  wohlfeiler  sind,  als  in  ärmeren  Ländern,  son- 
dern weil  sie  teurer  sind,  und  ein  besserer  Preis  dafür 
bezahlt  wird.  Es  ist  der  höhere  Preis,  der  sie  anzieht, 
und  sobald  dieser  aufhört,  hören  auch  sie  notwendig 
auf,  dahin  zu  gehen. 

Ich  habe  bereits  gezeigt,  daß  mit  Ausnahme  dos 
Getreides  und  anderer  lediglich  durch  den  menschlichen 
Fleiß  hervorgebrachter  Gewächse,  alle  übrigen  Arten 
von  Rohprodukten,  wie  Vieh,  Geflügel,  Wildpret  aller 
Art,  die  nützlichen  Fossilien  und  Mineralien  der  Erde 
usw.  in  dem  Grade  teurer  werden,  wie  die  Gesell- 
schaft an  Reichtum  zunimmt.  Obgleich  nun  solche 
Waren  eine  größere  Silbermenge  gelten  als  früher, 
so  folgt  daraus  doch  nicht,  daß  das  Silber  wirklich 
wohlfeiler  geworden  ist  und  weniger  Arbeit  als  früher 
kaufen  kann,  sondern  nur,  daß  jene  Waren  teurer 
geworden  sind  und  mehr  Arbeit  als  früher  kaufen. 
Nicht  bloß  ihr  nomineller,  sondern  auch  ihr  wirklicher 
Preis  steigt  mit  dem  Fortschritt  der  Kultur.  Das 
Steigen  ihres  Nominalpreises  ist  nicht  die  Wirkung 
einer  Verringerung  des  Silberwerts,  sondern  die  der 
Zunahme  ihres  wirklichen  Preises. 


Verschiedene  Wirkungen  des  Fortschritts  der  Kultur   auf 
drei  verschiedene  Arten  von  Rohprodukten. 

Die  verschiedenen  Arten  von  Rohprodukten  lassen 
sich  in  drei  Klassen  teilen.  Die  erste  begreift  die- 
jenigen in  sich,  deren  Vermehrung  durch  menschlichen 
Fleiß  nicht  zu  bewirken  ist;    die  zweite  die,    die  sich 


300  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

durch  Fleiß  je  nach  der  Nachfrage  vermehren  lassen; 
die  dritte  die,  bei  denen  die  Wirksamkeit  des  Fleißes 
beschränkt  oder  ungewiß  ist.  Mit  dem  Fortschreiten 
des  Reichtums  und  der  Kultur  kann  der  wirkliche 
Preis  der  ersteren  auf  eine  übertriebene  Höhe  steigen, 
und  scheint  durch  keine  bestimmte  Grenze  beschränkt 
zu  sein.  Die  Produkte  der  zweiten  Klasse  können 
zwar  sehr  hoch  steigen,  allein  es  ist  eine  bestimmte 
Grenze  vorhanden,  über  die  sie  nicht  lange  Zeit  hin- 
ausgehen können.  Die  der  dritten  Klasse  haben  zwar 
auch  die  natürliche  Neigung,  bei  fortschreitender 
Kultur  zu  steigen,  doch  können  sie  bei  demselben 
Grade  der  Kultur  auch  im  Preise  sinken  oder  auf 
demselben  Punkte  bleiben  oder  mehr  oder  weniger 
steigen,  je  nachdem  diese  oder  jene  Zufälligkeiten  die 
auf  Vervielfältigung  dieser  Art  von  Rohprodukten  ge- 
richteten Anstrengungen  des  menschlichen  Fleißes 
mehr  oder  weniger  begünstigen. 

Erste  Art. 
Die  erste  Art  von  Rohprodukten,  deren  Preis  bei 
fortschreitender  Kultur  steigt,  ist  diejenige,  die  sich 
durch  menschlichen  Fleiß  kaum  irgendwie  vermehren 
läßt.  Sie  besteht  in  den  Dingen,  die  die  Natur  nur 
in  bestimmten  Mengen  hervorbringt,  und  die  man 
wegen  ihrer  leichtes  Verderben  befördernden  Eigen- 
schaften nicht  Jahre  lang  aufsammeln  kann;  so  die 
meisten  seltenen  Vögel  und  Fische,  viele  Sorten  Wild- 
pret,  fast  alles  wilde  Geflügel,  insbesondere  alle  Zug- 
vögel und  viele  andere  Dinge.  Wenn  der  Reichtum 
und  der  damit  verbundene  Luxus  zunimmt,  nimmt 
voraassichtlich  auch  die  Nachfrage  nach  ihnen  zu;  aber 
keine  Anstrengung  menschlichen  Fleißes  kann  viel  mehr 
davon  herbeischaffen,  als  schon  vor  Steigerung  der  Nach- 
frage  davon    vorhanden    war.     Wenn  nun  die  Menge 


Kap.  XI.:  Verscliieclene  Wirkiino-en  rl  Fortschritts  d.  Kultur.  301 

solcher  "Waren  so  ziemlich  dieselbe  bleibt,  während  der 
Wettbewerb  der  Käufer  stets  zunimmt,  so  kann  ihr  Preis 
eine  außerordentliche  Höhe  erreichen  und  scheint  an 
keine  bestimmte  Grenze  gebunden  zu  sein.  Wenn 
Schnepfen  von  den  Vornehmen  auch  so  sehr  gesucht 
würden,  daß  man  das  Stück  mit  zwanzig  Guineen  be- 
zahlte, so  wäre  doch  keine  menschliche  Anstrengung 
im  stände,  die  gegenwärtig  auf  den  Markt  kommende 
Zahl  bedeutend  zu  vermehren.  Auf  diese  Weise  läßt 
sich  der  hohe  Preis,  den  die  Römer  in  den  Zeiten  ihres 
höchsten  Glanzes  für  seltene  Vögel  und  Fische  bezahlten, 
leicht  erklären.  Diese  Preise  waren  nicht  die  Wirkun- 
gen des  niedrigen  Silberwertes  in  jenen  Zeiten,  sondern 
des  hohen  Wertes  solcher  Seltenheiten  und  Liebhabe- 
reien, die  menschlicher  Fleiß  nicht  nach  Belieben  ver- 
mehren konnte.  Der  wirkliche  Wert  des  Silbers  war 
in  Rom  einige  Zeit  vor  und  nach  dem  Untergange  der 
Republik  höher,  als  er  gegenwärtig  im  größten  Teil 
Europas  ist.  Drei  Sestertien,  etwa  sechs  Pence  Ster- 
ling, waren  der  Preis,  den  die  Republik  für  den  Modius 
oder  Peck  des  sizilianischen  Zehnten  Weizens  zahlte. 
Doch  blieb  dieser  Preis  wahrscheinlich  hinter  dem  durch- 
schnittlichen Marktpreise  zurück,  da  die  Verpflichtung, 
ihren  Weizen  zu  diesem  Satze  zu  liefern,  als  ein  den 
sizilianischen  Landwirten  auferlegter  Tribut  betrachtet 
wurde,  und  wenn  die  Römer  mehr  Getreide  kommen 
lassen  mußten,  als  der  Zehnte  betrug,  so  waren  sie  ver- 
tragsmäßig verpflichtet,  für  den  Überschuß  den  Satz 
von  vier  Sestertien  oder  8  Pence  Sterling  per  Peck  zu 
zahlen.  Dieser  Preis,  der  wahrscheinlich  als  mäßig  und 
billig,  d.  h.  als  durchschnittlicher  Kontraktpreis  galt, 
ist  etwa  so  viel  wie  21  Schilling  für  den  Quarter. 
28  Schilling  für  den  Quarter  waren  vor  den  letzten 
schlechten  Erntejahren  der  gewöhnliche  Kontiaktpreis 
für  den  englischen  Weizen,  der  dem  sizilianischen  an 


302  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Güte  nachsteht  und  auf  dem  europäischen  Markte  in 
der  Regel  schlechter  bezahlt  wird.  Der  Silberwert  muß 
sich  also  zu  dem  heutigen  wie  drei  zu  vier  verhalten 
haben,  d.  h.  für  drei  Unzen  Silber  mußte  damals  die 
nämliche  Quantität  Arbeit  und  Waren  zu  kaufen  sein, 
als  jetzt  für  vier  Unzen.  Wenn  wir  daher  im  Plinius 
lesen,  daß  Sejus"*')  eine  weiße  Nachtigall  als  ein  Ge- 
schenk für  die  Kaiserin  Agrippina  für  6000  Sestertien, 
etwa  50  Pfund  unseres  Geldes,  und  Asinius  Celer'''*) 
eine  Meerbarbe  für  8000  Sestertien,  etwa  £  66.  13  sh. 
4  d.  unseres  Geldes,  kaufte,  erscheinen  uns  diese  Preise, 
so  sehr  wir  über  ihre  außerordentliche  Höhe  staunen, 
doch  noch  um  ein  Drittel  mäßiger,  als  sie  wirklich 
waren.  Ihr  wirklicher  Preis,  die  Menge  von  Arbeit  und 
Lebensmitteln,  die  dafür  gegeben  wurde,  betrug  etwa 
ein  Drittel  mehr,  als  ihr  Nominalpreis  uns  jetzt  an- 
deutet. Sejus  gab  für  die  Nachtigall  soviel  an  Arbeit 
und  Lebensmitteln,  wie  gegenwärtig  £  66.  13  sh.  4  d., 
und  Asinius  Celer  für  die  Meerbarbe  soviel  wie  jetzt 
£  88.  17  sh.  9  d.  kaufen  würden.  Die  außerordentliche 
Höhe  dieser  Preise  wurde  nicht  sowohl  durch  den  Über- 
fluß an  Silber,  als  durch  den  Überfluß  an  Arbeit  und 
Lebensmitteln  veranlaßt,  die  jenen  Römern  über  den 
eigenen  Bedarf  zur  Verfügung  standen.  Die  ihnen  zu 
Gebote  stehende  Menge  Silber  war  um  vieles  geringer, 
als  die,  welche  sie  sich  heute  durch  die  Verfügung 
über  eine  gleiche  Menge  von  Arbeit  und  Lebensmitteln 
würden  verschaffen  können. 

Zweite  Art. 
Die    zweite  Art   von   Rohprodukten,    deren   Preis 
mit  der  fortschreitenden  Kultur  steigt,  ist  die,   welche 
menschlicher  Fleiß  je   nach    der  Nachfrage   vervielfäl- 
tigen kann.    Sie  besteht  in  jenen  nützlichen  Pflanzen 

*)  Lib.  X.  c.  29.  —  *•)  Lib.  IX.  c.  17. 


Kap.  XT.:  Verschiedene  Wirkun,£>'en  d.  Fortschritts  d.  Tvultiir.  303 

und  Tieren,  die  die  Natur  in  unkultivierten  Ländern 
in  so  verschwenderischer  Fülle  hervorbringt,  daß  sie 
nur  wenig  oder  gar  keinen  Wert  haben,  und  welche 
darum  mit  dem  Fortschritt  des  Bodenanbaues  anderen 
einträglicheren  Erzeugnissen  Platz  machen  müssen. 
Während  einer  langen  Periode  fortschreitender  Kultur 
vermindert  sich  stetig  ihre  Menge,  während  gleichzeitig 
die  Nachfrage  nach  ihnen  fortwährend  zunimmt.  Ihr 
wirklicher  Wert,  die  wirkliche  Arbeitsmenge,  die  dafür 
zu  haben  ist,  steigt  daher  allmählich,  bis  er  zuletzt  auf 
einem  Punkte  anlangt,  wo  ihre  Produktion  ebenso  ge- 
winnbringend wird,  wie  die  irgend  einer  anderen 
Sache,  die  menschlicher  Fleiß  dem  fruchtbarsten  und 
bestkultivierten  Lande  abgewinnen  kann.  Über  diesen 
Punkt  hinaus  kann  der  Preis  nicht  wohl  steigen,  da 
sonst  bald  mehr  Land  und  Fleiß  auf  Vermehrung  der 
Menge  verwendet  werden  würde. 

Steigt  z.  B.  der  Preis  des  Viehs  so  hoch,  daß  es 
ebenso  gewinnreich  ist,  auf  dem  Boden  Nahrung  für 
Vieh,  als  für  den  Menschen  zu  ziehen,  so  kann  er 
nicht  wohl  höher  gehen,  weil  sonst  bald  mehr  Getreide- 
land zu  Weide  gemacht  werden  würde.  Die  Ausdehnung 
der  Acker  Wirtschaft  verringert  einerseits  den  Umfang 
des  wilden  Weidelandes  und  dadurch  die  Menge  des 
Fleisches,  die  das  Land  ohne  Arbeit  und  Anbau  von 
selbst  hervorbringt,  und  vermehrt  andererseits  die  Zahl 
und  Nachfrage  derer,  die  Getreide,  oder,  was  auf  das- 
selbe hinauskommt,  den  Preis  des  Getreides  dafür  in 
Tausch  zu  geben  haben.  Der  Preis  des  Fleisches,  und 
folglich  auch  der  des  Viehs  muß  daher  immer  mehr 
und  soweit  steigen,  bis  es  ebenso  gewinnbringend  wird, 
das  fruchtbarste  und  bestkultivierte  Land  zur  Er- 
zeugung von  Viehfutter  als  zum  Getreidebau  zu  be- 
nutzen. Doch  kann  der  Ackerbau  erst  bei  weit  fort- 
geschrittener Kultur  derart  ausgedehnt  werden,  daß 
der  Preis  des  Viehs  auf  diese  Höhe  kommt,   und  bis 


304  Erstes  Buch:  Zunahme,  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

es  dahin  gekommen  ist,  muß  sein  Preis,  wenn  das  Land 
überhaupt  fortschreitet,  beständig  steigen.  Es  mag 
Gegenden  in  Europa  geben,  wo  der  Preis  des  Viehs 
noch  nicht  so  hoch  gestiegen  ist.  In  Schottland  war  er 
vor  der  Union  nirgends  so  hoch,  und  wäre  das  Vieh 
immer  auf  den  schottischen  Markt  beschränkt  geblieben, 
so  dürfte  hier,  wo  der  zu  nichts  anderem  als  zur  Vieh- 
weide brauchbare  Boden  im  Verhältnis  zu  dem,  der 
sich  zu  anderen  Zwecken  eignet,  so  groß  ist,  der  Preis 
des  Viehs  wohl  schwerlich  so  hoch  gestiegen  sein,  um 
den  Futterbau  gewinnreich  zu  machen.  In  England 
scheint,  wie  bereits  bemerkt,  der  Preis  des  Viehs  in  der 
Nähe  von  London  jene  Höhe  im  Anfange  des  vorigen 
Jahrhunderts  erreicht  zu  haben ;  erst  viel  später  erreichte 
er  sie  in  den  meisten  entlegneren  Gegenden,  und  in 
manchen  von  ihnen  mag  er  sie  wohl  heute  noch  nicht 
erreicht  haben.  Doch  ist  von  allen  zur  zweiten  Art 
gehörigen  Rohprodukten  das  Vieh  wohl  dasjenige, 
dessen  Preis  bei  fortschreitender  Kultur  zuerst  auf 
diese  Höhe  steigt. 

In  der  Tat  scheint  es  kaum  möglich,  daß,  bevor 
der  Preis  des  Viehs  diese  Höhe  erreicht  hat,  der  größte 
Teil  selbst  des  der  höchsten  Kultur  fähigen  Bodens 
vollständig  kultiviert  sein  kann.  Auf  allen  Gütern,  die 
zu  weit  von  einer  Stadt  entfernt  sind,  als  daß  aus  ihr 
Dünger  dahin  gebracht  werden  könnte,  d.  h.  auf  den 
meisten  Gütern  eines  ausgedehnten  Landes  muß  die 
Menge  des  gutangebauten  Bodens  sich  nach  der  Menge 
des  Düngers  richten,  den  das  Gut  selbst  hervorbringt, 
und  diese  wiederum  hängt  von  dem  Viehstande  des 
Gutes  ab.  Der  Boden  wird  entweder  durch  das  auf  ihm 
weidende  Vieh  oder  dadurch  gedüngt,  daß  man  das  Vieh 
im  Stalle  füttert  und  den  Mist  auf  das  Land  schafft. 
Wenn  aber  der  Preis  des  Viehs  nicht  hoch  genug  ist, 
um  die  Rente  und  den  Gewinn  kultivierten  Bodens 
zu  bezahlen,   so  kann  der  Landwirt   es  nicht  auf  ihm 


Kap.  XT.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  305 

weiden  lassen  und  noch  viel  weniger  es  im  Stalle  füt- 
tern. Nur  mit  den  Erzeugnissen  eines  hoch  kultivierten 
Bodens  kann  das  Vieh  im  Stalle  gefüttert  werden,  weil 
es  zu  viel  Arbeit  erfordern  und  zu  kostspielig  sein 
würde,  die  spärlichen  und  vereinzelten  Produkte  unan- 
gebauten  Ödlandes  zu  sammeln.  Wenn  daher  der  Preis 
des  Viehs  nicht  hinreicht,  die  Erzeugnisse  des  ange- 
bauten Bodens  zu  bezahlen,  auf  dem  es  weidet,  so  wird 
jener  Preis  noch  weniger  hinreichen,  diese  Erzeugnisse 
zu  bezahlen,  wenn  sie  überdies  mit  vieler  Mühe  ge- 
sammelt und  in  den  Stall  gebracht  werden  müssen. 
Unter  diesen  Umständen  kann  deshalb  nicht  mehr  Vieh 
gewinnbringend  im  Stalle  gefüttert  werden,  als  zur 
Bestellung  nötig  ist.  Diese  Anzahl  aber  kann  niemals 
genug  Dünger  geben,  um  alles  kulturfähige  Land  fort- 
während in  gutem  Stande  zu  erhalten.  Da  der  so  ge- 
lieferte Dünger  für  das  ganze  Gut  unzureichend  ist, 
so  wird  er  für  den  Boden  bewahrt,  auf  dem  or  am 
vorteilhaftesten  und  passendsten  verwendet  werden 
kann,  nämlich  auf  dem  fruchtbarsten  oder  etwa  auf 
dem  unmittelbar  um  den  Pachthof  liegenden  Boden. 
Dieser  wird  mithin  beständig  in  gutem  Stande  und  an- 
baufähig erhalten,  während  man  den  übrigen  größten- 
teils brach  liegen  läßt,  so  daß  er  nur  etwas  spärliche 
Weide  für  ein  paar  vereinzelt  grasende,  halb  verhun- 
gerte Stücke  Vieh  abwirft.  So  besitzt  das  Gut,  obwohl 
mit  einem  zu  seiner  vollständigen  Bestellung  nicht 
zulänglichen  Viehstande  versehen,  dennoch  oft  im  Ver- 
hältnis zu  seiner  dermaligen  Produktion  zu  viel  Vieh. 
Ein  Teil  dieses  Brachlandes  kann  jedoch,  nachdem  es 
in  dieser  elenden  Manier  sechs  oder  sieben  Jahre  lang 
abgeweidet  worden  ist,  umgeackert  werden,  um  dann 
vielleicht  ein  oder  zwei  ärmliche  Ernten  schlechten 
Hafers  oder  einer  anderen  groben  Getreideart  zu  lie- 
fern,   wonach   es   gänzlich   erschöpft    wieder   ausruhen 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  -i-O 


306  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

und  abgeweidet  werden  muß;  dann  wird  ein  anderer 
Teil  umgepflügt,  um  seinerseits  auf  dieselbe  Weise  er- 
schöpft zu  werden  und  wieder  brach  liegen  zu  bleiben. 
So  war  das  Wirtschaftssystem  im  ganzen  schottischen 
Tieflande  vor  der  Union  beschaffen.  Der  jahraus  jahr- 
ein wohlgedüngte  und  in  gutem  Stande  erhaltene  Boden 
machte  selten  mehr  aus,  als  den  dritten  oder  vierten 
Teil  des  ganzen  Gutes,  mitunter  aber  nicht  einmal  den 
fünften  oder  sechsten  Teil;  der  Rest  wurde  niemals 
gedüngt,  sondern  nur  immer  ein  gewisser  Teil  davon 
abwechselnd  geackert  und  erschöpft.  Bei  diesem  Wirt- 
schaftssystem konnte  offenbar  selbst  der  anbaufähige 
Teil  des  schottischen  Bodens  im  Verhältnis  zu  seiner 
Ertragsfähigkeit  nur  wenig  hervorbringen.  So  unvor- 
teilhaft aber  auch  dies  System  erscheinen  mag,  so 
machte  doch  der  niedrige  Preis  des  Viehs  vor  der  Union 
dasselbe  beinah  unvermeidlich.  Wenn  es  auch  jetzt 
noch  trotz  der  bedeutend  höheren  Viehpreise  in  einem 
großen  Teil  des  Landes  vorherrscht,  so  ist  dies  an 
vielen  Orten  ohne  Zweifel  der  Unwissenheit  und  der 
Anhänglichkeit  an  alte  Gewohnheiten  zuzuschreiben, 
meistens  aber  den  unvermeidlichen  Hindernissen,  die  der 
natürliche  Gang  der  Dinge  der  sofortigen  Einführung 
eines  besseren  Systems  entgegensetzt:  nämlich  erstens 
der  Armut  der  Pächter  oder  dem  Umstände,  daß  sie 
noch  nicht  Zeit  hatten,  sich  einen  für  die  vollständigere 
Bestellung  zulänglichen  Viehstand  anzuschaffen,  da 
dieselbe  Preiserhöhung,  die  die  Unterhaltung  eines 
größeren  Viehstandes  für  sie  vorteilhaft  machen  würde, 
auch  wieder  seine  Anschaffung  erschwert;  zweitens  dem 
Umstände,  daß  sie,  falls  sie  ihn  anschaffen  konnten, 
noch  nicht  Zeit  hatten,  ihre  Ländereien  auf  die  Unter- 
haltung eines  größeren  Viehstandes  ordentlich  einzu- 
richten. Die  Vermehrung  des  Viehstandes  und  die  Ver- 
besserung des  Bodens  müssen  Hand  in  Hand  gehen,  und 


Kap.  XL:  A'ersrhiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kiütiir.  397 

das  eine  kann  niemals  dem  anderen  weit  vorauseilen. 
Ohne  eine  Verbesserung  des  Bodens  ist  eine  Zunahme 
des  Viehstandes  kaum  möglich,  und  eine  beträchtliche 
Zunahme  des  Viehstandes  kann  nur  infolge  einer  be- 
deutenden Bodenverbesserung  eintreten,  weil  sonst  der 
Boden  dem  Vieh  keinen  Unterhalt  gewähren  könnte. 
Diese  natüi'lichen  Hindernisse  der  Einführung  eines 
besseren  Systems  lassen  sich  nur  durch  eine  lange  fort- 
gesetzte Sparsamkeit  und  Arbeitsamkeit  entfernen,  und 
es  dürfte  ein  halbes  oder  vielleicht  ein  Jahrhundert 
vergehen,  bis  das  allmählich  verschwindende  frühere 
System  in  allen  Teilen  des  Landes  vollständig  abge- 
schafft sein  kann.  Unter  allen  kommerziellen  Vorteilen, 
die  Schottland  aus  der  Union  mit  England  gezogen 
hat,  ist  jedoch  diese  Erhöhung  des  Viehpreises  wohl 
der  größte:  sie  hat  nicht  nur  den  Wert  aller  Hoch- 
landgüter gesteigert,  sondern  ist  wohl  auch  die  Haupt- 
ursache der  verbesserten  Kultur  des  Tieflandes. 

In  allen  neuen  Kolonien  vermehrt  sich  in  Folge 
der  großen  Menge  öden  Landes,  das  viele  Jahre  lang 
nur  zur  Viehweide  benutzt  werden  kann,  das  Vieh  bald 
außerordentlich,  und  große  Wohlfeilheit  ist  in  allen 
Dingen  eine  notwendige  Folge  des  Überflußes.  Ob- 
gleich alles  Vieh  der  europäischen  Kolonien  in  Ame- 
rika ursprünglich  von  Europa  dahin  gebracht  wurde, 
so  vermehrte  es  sich  doch  bald  so  sehr  und  ward  so 
wertlos,  daß  man  selbst  die  Pferde  wild  in  den  Wäldern 
umherlaufen  ließ,  und  ihr  Besitzer  es  nicht  der  Mühe 
für  wert  hielt,  sie  für  sich  zu  beanspruchen.  Erst 
lange  nach  der  ersten  Ansiedelung  kann  es  Gewinn 
bringen,  mit  den  Produkten  kultivierten  Landes  Vieh 
zu  mästen.  Die  gleichen  Ursachen  nämlich  der  Mangel 
an  Dünger  und  das  Mißverhältnis  zwischen  dem  zur 
Bestellung  verwendeten  Kapital  und  dem  Boden,  zu 
dessen  Bestellung  es  bestimmt  ist,   führen  daher  dort 

20* 


308  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

ZU  einem,  dem  noch  heute  in  vielen  Teilen  Schottlands 
bestehenden,  nicht  unähnlichen  Wirtschaftssystem.  Der 
schwedische  Reisende  Kalm  bemerkt  daher  in  seinem 
Bericht  über  die  Landwirtschaft  einiger  englischer  Ko- 
lonien in  Amerika,  wie  er  sie  1749  fand,  daß  er  dort 
den  Charakter  der  in  allen  Zweigen  der  Landwirtschaft 
so  weit  vorgeschrittenen  englischen  Nation  kaum 
wiederzuerkennen  vermochte.  Die  Getreidefelder,  sagt 
er,  düngt  man  dort  kaum;  ist  ein  Stück  Land  durch 
mehrere  auf  einander  folgende  Ernten  erschöpft,  so 
lichtet  und  kultiviert  man  ein  anderes  Stück  Land, 
und  wenn  auch  dieses  erschöpft  ist,  macht  man  sich 
an  ein  drittes.  Das  Vieh  läßt  man  in  den  Wäldern 
und  auf  sonstigem  unangebauten  Boden  umherlaufen, 
wo  es  halb  verhungert;  denn  der  Graswuchs  ist  längst 
beinahe  vernichtet,  weil  man  es  vorzeitig  im  Frühling 
abmähte,  ehe  es  Blüten  treiben  und  Samen  ausstreuen 
konnte.  Die  einjährigen  Gräser  waren,  wie  es  scheint, 
in  jenem  Teile  Nordamerikas  früher  das  beste  wild- 
wachsende Gras,  und  als  die  Europäer  sich  zuerst  dort 
niederließen,  wuchs  es  sehr  dicht,  und  wurde  drei  bis 
vier  Fuß  hoch.  Ein  Stück  Wiese,  das  zu  Kalms  Zeit 
nicht  eine  einzige  Kuh  ernähren  konnte,  ernährte  früher, 
wie  man  ihn  versicherte,  deren  vier,  die  jede  vier  mal 
so  viel  Milch  gaben,  als  jene  eine  zu  geben  imstande 
war.  Die  Armut  des  AVeidelandes  hatte  nach  seiner 
Ansicht  die  Entartung  des  von  einer  Generation  zur 
andern  sichtlich  schlechter  werdenden  Viehs  zur  Folge. 
Vermutlich  war  es  jener  verkümmerten  Race  ähnlich, 
die  vor  dreißig  bis  vierzig  Jahren  in  ganz  Schottland 
gewöhnlich  war,  und  die  jetzt  in  dem  größeren  Teile 
des  Tieflandes  nicht  sowohl  durch  Kreuzung  —  ob- 
wohl hier  und  da  auch  dieses  Mittel  angewandt  wurde 
— ,  als  durch  eine  bessere  Ernährung  so  sehr  veredelt 
worden  ist. 

Obwohl  hiernach  der  Fortschritt  des  Anbaus  schon 


Kap.  XI.:  Verschieden eWirkun,i>en  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  309 

weit  gediehen  sein  muß,  ehe  das  Vieh  einen  so  hohen 
Preis  bringen  kann,  daß  die  Bestellung  des  Landes 
mit  Futterkräutern  lohnend  wird,  so  ist  doch  unter 
allen  Produkten  der  zweiten  Art  Vieh  dasjenige,  das 
wohl  zuerst  diesen  Preis  bringt,  weil  es  unmöglich 
scheint,  daß  die  Kultur  auch  nur  jenen  Grad  von  Voll- 
kommenheit, zu  welchem  sie  in  vielen  Teilen  Europas 
gediehen  ist,  früher  erreichen  kann. 

Wild  hingegen  bringt  wohl  jenen  Preis  zuletzt. 
Der  Preis  des  Wildes  in  Großbritannien,  so  hoch  er 
erscheinen  mag,  ist  doch  nicht  entfernt  hinreichend, 
die  Kosten  eines  Wildparks  einzubringen,  wie  Allen 
bekannt  ist,  die  einige  Erfahrung  darin  haben.  Wenn 
es  anders  wäre,  so  würde  die  Aufziehung  von  Wild 
sich  bald  einbürgern,  wie  bei  den  alten  Römern  die 
Aufzucht  jener  kleinen  Vögel,  Turdi  genannt.  Varro 
und  Columella  versichern,  daß  diese  Zucht  sehr  einträg- 
lich war.  Die  Aufzucht  der  Ortolane,  mager  ins  Land 
kommender  Zugvögel,  soll  in  einigen  Gegenden  Frank- 
reichs mit  Vorteil  betrieben  werden.  Wenn  das  Wild- 
pret  Modeartikel  bleibt,  und  der  Reichtum  und  Luxus 
Großbritanniens  so  weiter  wächst,  wie  es  seit  einiger 
Zeit  der  Fall  ist,  so  kann  sein  Preis  recht  wohl  noch 
höher  steigen. 

Zwischen  der  Periode  des  Fortschritts  der  Boden- 
kultur, die  den  Preis  eines  so  notwendigen  Artikels, 
wie  Nutzvieh,  und  derjenigen,  die.  den  Preis  eines  so 
überflüssigen  Artikels,  wie  Wild,  auf  seinen  Höhepunkt 
bringt,  ist  ein  langer  Zwischenraum,  in  dessen  Verlauf 
allmählich  viele  andere  Arten  von  Rohprodukten,  die 
einen  je  nach  Umständen  früher,  die  anderen  später, 
ihren  höchsten  Preis  erreichen. 

So  pflegt  auf  jedem  Gute  von  den  Abgängen  aus 
Scheunen  und  Ställen  eine  gewisse  Anzahl  Geflügel 
erhalten   zu  werden,    das,    da   es   sich   von   sonst   ver- 


310  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ei'tragski'aft  der  Arbeit. 

loren  gehenden  Abfällen  nährt,  eine  reine  Ersparnis 
darstellt,  und,  da  es  den  Landmann  kaum  etwas  kostet, 
von  ihm  um  ein  Geringes  verkauft  weiden  kann.  Bei- 
naho alles,  was  er  dafür  erhält,  ist  reiner  Growinn, 
und  der  Preis  kann  kaum  so  niedrig  werden,  um  ihn 
von  der  Aufzucht  jener  Anzahl  abzuhalten.  In  schlecht 
bebauten  und  darum  auch  nur  dünnbevölkerten  Ländern 
ist  das  so  ohne  Kosten  aufgezogene  Geflügel  oft  in 
ausreichender  Menge  vorhanden,  um  die  ganze  Nach- 
frage zu  befriedigen.  Bei  diesem  Stande  der  Dinge  ist 
es  oft  so  wohlfeil  wie  Fleisch  von  Schlachtvieh  oder 
irgend  eine  andere  Art  tierischer  Nahrung.  Allein  die 
ganze  Menge  von  Federvieh,  welche  das  Gut  auf 
diese  Weise  ohne  Kosten  hervorbringt,  muß  immer 
viel  geringer  sein,  als  die  Gesamtmenge  des  Fleisches, 
das  auf  ihm  gewonnen  wird;  und  in  Zeiten  des  Reich- 
tums und  des  Luxus  wird  immer  das  Seltene,  wenn 
es  nur  ungefähr  ebenso  gut  ist,  dem  Gewöhnlichen 
vorgezogen.  Wenn  daher  Reichtum  und  Luxus  infolge 
höherer  Kultur  zunehmen,  so  steigt  der  Preis  des  Feder- 
viehs allmählich  über  den  des  Schlachtviehes,  bis  er 
zuletzt  den  Punkt  erreicht,  wo  es  lohnend  wird,  auch 
zur  Aufzucht  von  Geflügel  Land  zu  bestellen.  Über 
diese  Höhe  jedoch  kann  der  Preis  nicht  wohl  steigen, 
weil  sonst  bald  mehr  Land  für  diesen  Zweck  bestimmt 
werden  würde.  In  einigen  französischen  Provinzen  wiixl 
die  Geflügelzucht  als  ein  sehr  wichtiger  Artikel  der 
Landwirtschaft  und  als  vorteilhaft  genug  angesehen, 
um  den  Landmann  zur  Anpflanzung  einer  großen 
Menge  Mais  und  Buchweizen  zu  diesem  Zwecke  zu 
veranlassen.  Ein  mittlerer  Bauer  hat  dort  manchmal 
400  Stück  Federvieh  auf  seinem  Hofe.  In  England 
scheint  man  der  Geflügelzucht  noch  nicht  diese  Wichtig- 
keit beizulegen,  und  doch  ist  hier  Geflügel  teurer,  als 
in  Frankreich,  von  wo  eine  große  Zufuhr  erfolgt.  Bei 


Kap.  XL:  Verschiedene  Wirkunp,'en  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  311 

fortschreitender  Kultur  mulj  der  Zeitpunkt,  wo  jede 
Gattung  tierischer  Nahrung  ihren  höchsten  Preis  er- 
reicht, eintreten,  unmittelbar  bevor  es  allgemeinere 
ßegel  wird,  den  Boden  mit  Yiehfutter  zu  bestellen. 
Ehe  dies  allgemein  wird,  muß  der  Mangel  eine  Zeit- 
lang den  Preis  steigern;  später  aber  werden  gewöhnlich 
neue  Fütterungsmethoden  ersonnen,  die  den  Landmann 
instand  setzen,  auf  einer  gleichen  Fläche  Landes  eine 
weit  größere  Menge  tierischer  Nahrung  zu  erzeugen. 
Die  große  Menge  zwingt  ihn  dann  nicht  nur  wohlfeiler 
zu  verkaufen,  sondern  jene  Verbesserungen  setzen  ihn 
auch  instand,  es  zu  können;  denn  könnte  er  es  nicht, 
so  würde  es  mit  der  großen  Menge  nicht  lange  dauern. 
Wahrscheinlich  hat  auf  diese  Weise  der  Anbau  des  Klees, 
der  ßüben,  der  Möhren,  des  Kohls  usw.  dazu  beige- 
tragen, den  gewöhnlichen  Preis  des  Schlachtfleisches 
auf  dem  Londoner  Markte  etwas  niedriger  zu  stellen, 
als  es  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  stand. 

Das  Schwein,  das  seine  Nahrung  im  Kot  findet 
und  viele  Dinge,  die  andere  Nutztiere  verschmähen, 
gierig  verschlingt,  wird  wie  das  Geflügel  anfänglich 
der  Ersparnis  wegen  gehalten.  So  lange  die  Zahl  solcher 
Tiere,  die  mit  wenig  oder  gar  keinen  Kosten  aufge- 
zogen werden  können,  zur  Deckung  der  Nachfrage  hin- 
reicht, kommt  das  von  ihnen  gewonnene  Fleisch  zu  weit 
niedrigerem  Preise  auf  den  Markt,  als  jedes  andere. 
Wenn  aber  die  Nachfrage  größer  wird,  so  daß  man 
behufs  Aufzucht  und  Mast  der  Schweine  Futter  an- 
bauen muß,  wie  für  andere  Tiere  auch,  so  steigt  not- 
wendig der  Preis  und  wird  höher  oder  niedriger  sein 
als  der  von  anderem  Fleisch,  je  nachdem  die  Natur 
des  Landes  und  der  Stand  seiner  Landwirtschaft  die 
Aufzucht  von  Schweinen  teurer  oder  billiger  macht, 
als  die  anderen  Viehes.  In  Frankreich  ist  nach  Buffon 
der  Preis  des  Schweinefleisches  ebenso  hoch,  als  der  des 


312  Ki"«tes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Rindfleisches.  In  den  meisten  Gegenden Grroßbritanniens 
ist  er  gegenwärtig  etwas  höher. 

Das  starke  Steigen  im  Preise  der  Schweine  und 
des  Federviehs  hat  man  in  Großbritannien  häufig  der 
verringerten  Anzahl  der  Grundbesitzer  und  kleinen 
Häusler  zugeschrieben;  eine  Erscheinung,  die  in  ganz 
Europa  der  unmittelbare  Vorläufer  besserer  landwirt- 
schaftlicher Methoden  war,  und  die  zu  gleicher  Zeit 
immerhin  dazu  beigetragen  haben  mag,  den  Preis  jener 
Artikel  etwas  früher  und  schneller  zum  Steigen  zu 
bringen,  als  es  sonst  geschehen  sein  würde.  Wie  die 
ärmste  Familie  ohne  alle  Kosten  sich  eine  Katze  oder 
einen  Hund  halten  kann,  so  können  sich  die  ärmsten 
Grundbesitzer  gewöhnlich  mit  sehr  geringen  Koston 
etwas  Federvieh  oder  eine  Sau  und  ein  Paar  Ferkel 
halten.  Die  Abfälle  ihres  Tisches,  Molken,  abgerahmte 
und  Buttermilch  liefern  für  diese  Tiere  einen  Teil  der 
nötigen  Nahrung,  und  das  Übrige  finden  sie  auf  den 
nahegelegenen  Feldern,  ohne  jemandem  merklichen  Scha- 
den zu  tun.  Durch  Verminderung  der  Zahl  jener  kleinen 
Besitzer  muß  daher  auch  die  Menge  dieser  Art  mit  weni- 
gen oder  ohne  alle  Kosten  erzeugten  Lebensmittel  er- 
heblich geringer  geworden,  und  infolge  dessen  ihr  Preis 
früher  und  schneller  gestiegen  sein,  als  es  sonst  ge- 
scliehen  sein  würde.  Früher  oder  später  jedoch  muß 
er  bei  fortschreitender  Kultur  auf  seinen  Höhepunkt, 
d.  li.  auf  den  Preis  kommen,  durch  welchen  die  Arbeit 
und  Kulturkosten  des  zum  Futterbau  verwendeten 
Bodens  ebenso  bezahlt  werden,  wie  sie  von  dem  größten 
Teil  des  übrigen   angebauten  Bodens  bezahlt  werden. 

Auch  die  Milchwirtschaft  wird  ursprünglich,  wie 
das  Aufziehen  von  Schweinen  und  Federvieh,  nur  aus 
Ersparnis  botrieben.  Das  auf  dem  Gute  unentbehrliche 
Vieh  bi'ingt  mehr  Milch  hervor,  als  die  Aufzucht  der 
Jungen  oder  der  Verbrauch  der  Gutsfamilie  erfordert. 


Kap.  XL:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  313 

und  in  einer  bestimmten  Jahreszeit  liefert  es  davon 
besonders  viel.  Nun  ist  aber  von  allen  Produkten  der 
Landwirtschaft  Milch  wohl  dasjenige,  das  sich  am 
wenigsten  hält.  In  der  warmen  Jahreszeit,  wo  ihr  Vor- 
rat am  größten  ist,  hält  sie  sich  kaum  vierundzwanzig 
Stunden  lang.  Macht  der  Landmann  frische  Butter 
daraus,  so  kann  er  einen  kleinen  Teil  eine  Woche  lang, 
macht  er  gesalzene  Butter,  ein  Jahr  lang,  und  macht 
er  Käse  daraus,  so  kann  er  einen  viel  größeren  Teil 
mehrere  Jahre  lang  aufbewahren.  Einiges  davon  ge- 
braucht er  für  seine  eigene  Familie;  das  Übrige  kommt 
auf  den  Markt,  um  dort  den  besten  Preis  zu  erzielen, 
der  zu  erhalten  ist,  und  der  kaum  so  niedrig  sein  kann, 
daß  er  den  Landmann  abhält,  alles  hinzuschicken,  was 
seine  eigene  Familie  nicht  gebraucht.  Ist  der  Preis  sehr 
niedrig,  so  wird  er  seine  Milchkammer  vielleicht  in 
liederlichem  und  schmutzigem  Stande  halten  und  es 
kaum  der  Mühe  wert  erachten,  einen  eigenen  Raum 
oder  Bau  zu  diesem  Zwecke  zu  bestimmen,  sondern 
er  wird  das  Geschäft  mitten  im  Rauch,  Schmutz  und 
Unrat  seiner  Küche  treiben;  wie  es  auf  den  meisten 
Bauernhöfen  Schottlands  vor  dreißig  oder  vierzig  Jahren 
herging,  und  bei  vielen  noch  heute  hergeht.  Dieselben 
Ursachen,  die  ein  allmähliches  Steigen  der  Fleischpreise 
bewirken,  nämlich  die  Zunahme  der  Nachfrage  und  die 
infolge  erhöhter  Bodenkultur  verringerte  Zahl  des  mit 
wenig  oder  gar  keinen  Kosten  aufgezogenen  Viehes, 
bewirken  auch  eine  Preissteigerung  der  Produkte  der 
Milchwirtschaft,  deren  Preis  mit  dem  des  Fleisches  oder 
mit  den  Kosten  der  Viehzucht  natürlich  zusammenhängt. 
Der  steigende  Preis  macht  für  mehr  Arbeit,  Sorgfalt 
und  Reinlichkeit  bezahlt;  die  Milchwirtschaft  wird  da- 
durch der  Aufmerksamkeit  des  Landmanns  würdiger, 
und  die  Qualität  ihres  Produktes  wird  allmählich  besser. 
Schließlich   erreicht   der   Preis  eine   solche  Höhe,   daß 


314  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

es  der  Mühe  lohnt,  einen  Teil  des  fruchtbarsten  und 
bestkultivierten  Landes  der  Aufzucht  von  Vieh  blos  zum 
Zwecke  der  Milchgewinnung  zu  widmen;  doch  wenn 
er  diese  Höhe  erlangt  hat,  kann  er  nicht  wohl  höher 
steigen.  Andernfalls  würde  bald  demselben  Zwecke 
mehr  Land  gewidmet  werden.  Im  größten  Teil  Englands, 
wo  bereits  viel  gutes  Land  auf  diese  Weise  benutzt 
zu  werden  pflegt,  scheint  der  Milchpreis  diese  Höhe 
erreicht  zu  haben;  nicht  aber  in  Schottland,  wo,  mit 
Ausnahme  der  Umgebung  einiger  großen  Städte  ge- 
wöhnliche Landleute  selten  viel  gutes  Land  dazu  ver- 
wenden, um  darauf  Yiehfutter  bloß  zum  Zwecke  der 
Milchgewinnung  zu  erzeugen.  Der  Preis,  so  stark  er 
auch  seit  wenigen  Jahren  gestiegen  ist,  mag  dazu  doch 
noch  zu  niedrig  sein.  Die  geringe  Güte  der  Milch  in 
Schottland  im  Vergleich  zu  der  englischer  AVirtschaften 
stimmt  ganz  mit  der  Niedrigkeit  des  Preises  überein; 
doch  ist  diese  geringe  Qualität  wohl  eher  die  "Wirkung 
als  die  Ursache  des  niedrigen  Preises.  Wenn  auch  die 
Beschaffenheit  viel  besser  wäre,  so  könnte  doch,  fürchte 
ich,  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  des  Landes 
die  meiste  auf  den  Markt  gebrachte  Milch  zu  keinem 
viel  besseren  Preise  verkauft  werden,  und  der  gegen- 
wärtige Preis  ist  wahrscheinlich  nicht  hoch  genug,  um 
die  Kosten  für  Land  und  Arbeit  zu  ersetzen,  welche 
zur  Herstellung  einer  besseren  Qualität  erforderlich 
sein  würden.  Im  größten  Teil  Englands  wird  die 
Milchwirtschaft  trotz  des  höheren  Preises  nicht  für 
eine  einträglichere  Bodenverwendung  gehalten,  als 
der  Getreidebau  oder  die  Viehzucht,  die  beiden  be- 
deutendsten Gegenstände  der  Landwirtschaft.  Im  größ- 
ten Teile  Schottlands  kann  sie  daher  selbst  nicht  ein- 
mal so  einträglich  sein. 

In  keinem  Lande  kann  offenbar  der  Boden  nicht 
eher  vollständig  kultiviert  sein,  bis  der  Preis  aller  Pro- 


Kap.  XI.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  315 

dukte,  die  menschlichor  Fleiß  ihm  abgewinnen  muß, 
so  hoch  gestiegen  ist,  um  die  Kosten  einer  so  voll- 
kommenen Kultur  zu  lohnen.  Um  dies  zu  tun,  muß 
der  Preis  jedes  einzelnen  Produkts  hini'eichond  sein, 
erstens  um  die  Rente  guten  Getreidelandes  abzuwerfen, 
da  sich  nach  dieser  die  Rente  des  meisten  übrigen 
kultivierten  Landes  richtet,  und  zweitens  die  Arbeit 
und  die  Auslagen  des  Pächters  eben  so  wie  gewöhnlich 
bei  gutem  Getreidelande  zu  bezahlen,  oder  mit  anderen 
Worten,  ihm  das  verwendete  Kapital  samt  den  üblichen 
Gewinnen  zurückzuerstatten.  Diese  Preissteigerung 
jedes  einzelnen  Produkts  muß  offenbar  der  Kultur 
des  zu  seiner  Hervorbringung  bestimmten  Bodens  vor- 
angehen. Gewinn  ist  der  Zweck  aller  Verbesserungen, 
und  sie  verdienen  diesen  Namen  nicht,  wenn  Verluste 
aus  ihnen  erwachsen.  Verlust  muß  aber  notwendig 
aus  einer  Kultur  entstehen,  deren  Produkt  durch  seinen 
Preis  die  Kosten  nicht  wieder  erstatten  kann.  "Wenn 
die  vollkommene  Kultur  des  Landes  für  das  Gemein- 
wohl, wie  nicht  bezweifelt  werden  kann,  von  höchstem 
vSegen  ist,  so  darf  man  dies  Steigen  im  Preise  aller 
der  verschiedenen  Arten  von  Rohprodukten  nicht  als 
ein  öffentliches  Unglück,  sondern  muß  es  als  den 
Vorläufer  und  Begleiter  der  größten  öffentlichen 
Wohlfahrt  betrachten. 

Dies  Steigen  im  nominellen  oder  Geldpreise  aller 
der  verschiedenen  Arten  von  Rohprodukten  ist  auch 
nicht  die  Folge  einer  Entwertung  des  Silbers,  sondern 
der  Steigerung  ihres  Sachpreises  gewesen.  Sie  sind 
nicht  allein  eine  größere  Menge  Silber,  sondern  auch 
eine  größere  Menge  Arbeit  und  Lebensmittel  wert  ge- 
worden, als  früher.  Da  es  eine  größere  Menge  Arbeit 
und  Lebensmittel  kostet,  sie  auf  den  Markt  zu  bringen, 
so  stellen  sie  auf  dem  Markte  auch  eine  größere  Menge 
beider  dar,  oder  sind  der  Gegenwert  einer  größeren 
Menge. 


316  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Dritte  Art. 

Die  dritte  und  letzte  Art  von  Rohprodukten,  deren 
Preis  bei  fortschreitender  Kultur  naturgemäß  steigt, 
ist  die,  bei  welcher  die  Einwirkung  menschlichen  Fleißes 
auf  die  Vermehrung  ihrer  Menge  beschränkt  oder  un- 
gewiß ist.  Obgleich  der  Sach preis  auch  dieser  Art  von 
Rohprodukten  bei  fortschreitender  Kultur  naturgemäß 
zn  steigen  strebt,  so  kann  es  doch,  je  nach  dem  Er- 
folge der  Bemühungen,  ihre  Menge  zu  vermehren,  vor- 
kommen, daß  der  Preis  fällt  oder  in  sehr  verschiedenen 
Perioden  der  Entwickelung  stehend  bleibt  oder  endlich 
daß  er  in  derselben  Periode  mehr  oder  weniger  steigt. 

Es  gibt  gewisse  Arten  von  Rohprodukten,  welche 
die  Natur  gleichsam  nur  zu  Anhängseln  anderer  ge- 
macht hat,  so  daß  die  Menge  des  einen,  die  das  Land 
hervorbringen  kann,  notwendig  durch  die  Menge  des 
anderen  beschränkt  wird.  So  wird  z.  B.  die  Mense 
von  Wolle  oder  rohen  Häuten,  die  ein  Land  hervor- 
bringen kann,  durch  die  Zahl  des  Groß-  und  Klein- 
viehs begrenzt,  das  es  zu  unterhalten  vermag,  und 
diese  Zahl  wird  ihrerseits  durch  den  Stand  der  Kultur 
und  den  Charakter  des  Ackerbaus  bestimmt. 

Man  sollte  glauben,  daß  dieselben  Ursachen,  die 
den  Preis  des  Fleisches  bei  fortschreitender  Kultur 
allmählich  erhöhen,  auf  die  Preise  der  Wolle  und 
rohen  Häute  die  gleiche  Wirkung  haben  und  diese 
fast  in  dem  nämlichen  Maße  erhöhen  müßten;  und  so 
würde  es  auch  wohl  sein,  wenn  in  den  ersten  An- 
fängen der  Kultur  der  Markt  für  die  letzteren  Waren 
ebenso  eng  begrenzt  wäre,  wie  für  das  erstere.  Allein 
hierin  findet  gewöhnlich  ein  ausserordentlicher  Unter- 
schied statt. 

Der  Markt  für  Fleisch  ist  fast  überall  auf  das 
Erzeugungsland  beschränkt.   Zwar  treiben  Irland  und 


Kap.  XL:  Yerscliicdeno  Wirkuni^on  d.  Fortschritt s  d.  Kultur.  317 

einige  Teile  des  britischen  Amerika  einen  beträcht- 
lichen Handel  mit  gesalzenem  Fleisch;  aber  sie  sind 
auch,  glaube  ich,  die  einzigen  Länder  in  der  Handels- 
welt, die  einen  großen  Teil  ihres  Fleisches  nach  frem- 
den Ländern  ausführen. 

Dagegen  ist  der  Markt  für  Wolle  und  rohe  Häute 
in  den  ersten  Anfängen  der  Kultur  sehr  selten  auf 
das  Erzeugungsland  beschränkt.  Sie  können  bequem 
in  ferne  Länder  geführt  werden,  die  Wolle  ohne  alle, 
die  rohen  Häute  ohne  viel  vorherige  Zurichtung,  und 
da  sie  für  viele  Gewerbe  den  Rohstoff  liefern,  so 
kann  die  Industrie  andrer  Länder  eine  Nachfrage  nach 
ihnen  veranlassen,  wenn  auch  das  Erzeugungsland 
selbst  keine  Nachfrage  darbietet. 

In  schlecht  angebauten  und  darum  auch  nur  dünn 
bevölkerten  Ländern  steht  der  Preis  der  Wolle  und  der 
Häute  zu  dem  des  ganzen  Tiers  immer  in  weit  höherem 
Verhältnis  als  in  Ländern,  wo,  bei  zunehmender  Kultur 
und  Bevölkerung  mehr  Nachfrage  nach  Schlachtfleisch 
ist.  Hume  bemerkt,  daß  zur  Zeit  der  Angelsachsen  das 
Vließ  auf  -/'s  des  Werts  des  ganzen  Schafes  geschätzt 
wurde,  was  weit  über  das  heutige  Verhältnis  hinaus- 
geht. In  einigen  spanischen  Provinzen  werden,  wüe  man 
mir  versichert,  die  Schafe  oft  bloß  um  des  Vließes 
und  des  Talgs  willen  geschlachtet;  den  Kadaver  läßt 
man  verfaulen,  oder  von  Tieren  und  Raubvögeln 
fressen.  Wenn  dies  schon  in  Spanien  passiert,  so  ist  es 
in  Chili,  Buenos-Ayres  und  vielen  anderen  Teilen  des 
spanischen  Amerika  die  Regel;  und  das  Hornvieh  wird 
dort  immer  nur  der  Haut  und  des  Talgs  wegen  ge- 
schlachtet. So  pflegte  es  auch  auf  Haj'ti  zu  geschehen, 
so  lange  es  von  den  Bukaniern  beunruhigt  wurde  und 
bevor  die  Kultur  und  Bevölkerung  der  französischen 
Pflanzungen  (die  sich  jetzt  fast  rund  um  die  westliche 
Küste   der  Insel   erstrecken),    dem  Vieh   der   Spanier, 


318  Erstes  Buch:  Ziinalime  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

die  noch  die  Ostküste,  sowie  den  ganzen  inneren  ber- 
gigen Teil  des  Landes  in  Besitz  haben,  einigen  Wert 
gegeben  hatte. 

Obwohl  auch  der  Preis  des  ganzen  Tiers  bei  fort- 
schreitender Kultur  und  Bevülkerunp;  notwendi";  steigt, 
so  wird  doch  von  dieser  Steigerung  der  Preis  des 
Fleisches  weit  mehr  berührt,  als  der  der  Wolle  und 
der  Haut.  Der  Markt  für  Fleisch,  der  im  rohen  Zu- 
stande der  Gesellschaft  immer  auf  das  Erzeugungsland 
beschränkt  ist,  dehnt  sich  je  nach  der  wachsenden  Kul- 
tur und  Bevölkerung  des  Landes  aus;  der  Markt  für 
Wolle  und  Häute  aber,  der  selbst  in  einem  barbarischen 
Lande  oft  die  gesamte  Handelswelt  umfaßt,  kann  sich 
selten  in  demselben  Maßstabe  erweitern.  Die  Lajre  der 
gesamten  Handelswelt  kann  durch  die  vermehrte  Kultur 
eines  einzelnen  Landes  selten  stark  berührt  werden,  und 
der  Markt  für  jene  Waren  bleibt  nach  der  Kultur  ziem- 
lich der  nämliche,  wie  zuvor.  Im  Laufe  der  Zeit  wird 
er  sich  natürlich  etwas  erweitern.  Namentlich  wenn 
die  Gewerbe,  denen  jene  Waren  den  Rohstoff  liefern, 
sich  im  Lande  selbst  entwickeln,  wird  der  Markt,  wenn 
er  sich  auch  nicht  bedeutend  erweitert,  doch  der  Pro- 
duktionsstätte weit  näher  gebracht,  als  früher,  und  der 
Preis  des  Rohstoffs  kann  sich  wenigstens  um  den  Be- 
trag erhöhen,  den  sonst  der  Transport  nach  dem  Aus- 
land gekostet  hat.  Wenn  er  daher  auch  nicht  in  dem- 
selben Maße  steigt,  wie  der  Preis  des  Fleisches,  so  steigt 
er  doch  etwas,  und  wird  sicher  wenigstens  nicht  fallen. 

Dennoch  ist  in  England  trotz  des  blühenden  Zu- 
standes  seiner  Wollindustrie,  der  Preis  der  englischen 
Wolle  seit  der  Zeit  Eduards  IH.  bedeutend  gefallen. 
Aus  vielen  urkundlichen  Nachrichten  geht  hervor,  daß 
unter  der  Regierung  jenes  Fürsten  (gegen  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  oder  um  1339)  10  sh.  damaligen 
Geldes  (nach  heutigem  Gelde  30  sh.)  per  Tod  (28  Pfund) 


Kap.  XI.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  319 

englischer  Wolle  als  ein  mäßiger  Preis  angeschen 
wurde'".)  Gegenwärtig  können  21  sh.  für  den  Tod  als 
ein  guter  Preis  für  ausgezeichnete  englische  Wolle  an- 
gesehen werden.  Der  Geldpreis  der  Wolle  zur  Zeit 
Eduards  III.  verhält  sich  also  zu  ihrem  heutigen  Geld- 
preise wie  zehn  zu  sieben.  Noch  größer  ist  der  Unter- 
schied ihres  Sachpreises.  Nach  dem  Satze  von  G  sh. 
8  d.  für  den  Quarter  waren  10  sh.  in  jener  früheren 
Zeit  der  Preis  für  zwölf  Bushel  Weizen.  Nach  dem 
Satze  von  28  sh.  für  den  Quarter  sind  21  sh.  gegen- 
wärtig nur  der  Preis  von  6  Bushel.  Mithin  steht  das 
Verhältnis  zwischen  dem  Sachpreise  der  früheren  und 
der  neueren  Zeit  wie  zwölf  zu  sechs  oder  zwei  zu  eins. 
In  jener  früheren  Zeit  würde  man  für  den  Tod  AVolle 
zweimal  so  viel  Lebensmittel  und  folglich  auch  zwei- 
mal so  viel  Arbeit  gekauft  haben,  als  heute,  wenn  der 
Sachlohn  der  Arbeit  in  beiden  Perioden  der  nämliche 
gewesen  wäre. 

Dies  Sinken  im  Sach-  und  Nominalpreise  der  Wolle 
hätte  im  gewöhnlichen  Laufe  der  Dinge  niemals  ein- 
treten können,  sondern  war  eine  Folge  gewaltsamer 
und  künstlicher  Mittel:  nämlich  erstens  des  absoluten 
Ausfuhrverbots,  zweitens  der  Erlaubnis,  Wolle  aus 
Spanien  zollfrei  einzuführen,  und  drittens  des  Verbots, 
sie  aus  Irland  nach  irgend  einem  anderen  Lande  als 
England  auszuführen.  Durch  diese  Maßnahmen  wurde 
der  Markt  für  englische  Wolle,  statt  durch  die  steigende 
Kultur  Englands  erweitert  zu  werden,  auf  den  inlän- 
dischen Markt  beschränkt,  wo  man  die  Wolle  einiger 
anderer  Länder  mit  ihr  in  Wettbewerb  treten  läßt,  und 
die  irische  zum  Wettbewerb  mit  ihr  zwingt.  Da  außer- 
dem die  irische  Wollindustrie  so  weit  entmutigt  wird, 
wie  es  ohne  die  auffälligste  Verletzung  der  Gorcchtig- 


^)  Smiths  Memoirs  of  Wool,  Vol.  I.  c.  5,  G,  7;  Vol.  II  c.  176. 


320  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

keit  und  Billigkeit  nur  irgend  angeht,  so  können  die 
Irländer  auch  nur  einen  kleinen  Teil  ihrer  Wolle  im 
Lande  verarbeiten,  und  sehen  sich  daher  gezwungen, 
den  größten  Teil  von  ihr  nach  Großbritannien  zu  schicken, 
dem  einzigen  Markte,  den  man  ihnen  zugesteht. 

Ahnliche  verbürgte  Nachrichten  über  den  Preis 
der  rohen  Häute  in  früherer  Zeit  habe  ich  nicht  auf- 
zufinden vermocht.  Von  AVoile  wurde  im  Allgemeinen 
dem  Könige  eine  Steuer  entrichtet,  und  ihre  Abschät- 
zung in  den  Steuerrollen  gibt  Aufschluß  über  ihren 
gewöhnlichen  Preis.  Mit  rohen  Häuten  scheint  dies 
nicht  der  Fall  gewesen  zu  sein.  Doch  gibt  uns  Fleet- 
wood nach  einer  Berechnung  zwischen  dem  Prior  des 
Burcester-Klosters  in  Oxford  und  einem  seiner  Kanoniker 
den  Preis  von  ihnen  im  Jahre  1425  wenigstens  für 
diesen  besonderen  Fall  an,  nämlich  für  fünf  Ochsen- 
häute 12  sh.;  5  Kuhhäute  7  sh.  3  d.;  36  Häute  von 
zweijährigen  Schafen  9  sh.;  16  Kalbshäute  2  sh.  1425 
enthielten  12  sh.  etwa  dieselbe  Silbermenge  wie  24  sh. 
heute.  Eine  Ochsenhaut  wurde  also  nach  dieser  Be- 
rechnung auf  4^.5  sh.  unseres  gegenwärtigen  Geldes 
angeschlagen.  Ihr  Nominalpreis  war  weit  niedriger  als 
gegenwärtig.  Nach  dem  Satze  von  6  sh.  8  d.  für  den 
Quarter  würden  für  12  sh.  in  jener  Zeit  14^  5  Bushel 
Weizen  zu  haben  gewesen  sein,  die,  den  Bushel  zu 
3  sh.  6  d.  gerechnet,  gegenwärtig  51  sh.  4  d.  kosten 
würden.  Es  war  also  füi'  eine  Ochsenhaut  damals  so- 
viel Korn  zu  haben,  als  gegenwärtig  für  10  sh.  3  d. 
Soviel  betrug  mithin  ihr  Sachpreis.  In  jener  Zeit,  wo 
das  Vieh  den  größten  Teil  des  Winters  hindurch  Hun- 
ger litt,  wird  es  nicht  sonderlich  groß  gewesen  sein. 
Gegenwärtig  gilt  eine  Ochsenhaut,  die  vier  Stein  ä  16 
Pfund  wiegt,  für  nicht  schlecht  und  damals  würde  sie 
wahrscheinlich  für  sehr  gut  gegolten  haben.  Rechnet 
man  den  Stein  zu  einer  halben  Krone  was  gegenwärtig 


Kap.  Xr.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortscliritts  d.  Kultur.  321 

(Februar  1773)  als  der  gewöhnliche  Preis  anzunehmen 
ist,  so  würde  eine  solche  Haut  heute  nur  10  sh.  kosten. 
Obgleich  daher  ihr  Nominalpreis  gegenwärtig  höher 
ist,  als  damals,  so  ist  doch  ihr  Sachpreis,  die  Menge 
von  Lebensmitteln,  die  man  dafür  erhalten  kann,  eher 
etwas  niedriger.  Der  Preis  der  Kuhhäute  nach  obiger 
ßechnung  steht  so  ziemlich  im  gewöhnlichen  Verhält- 
nis zu  dem  der  Ochsenhäute.  Der  der  Schafhäute 
übersteigt  es  bedeutend;  wahrscheinlich  wurden  sie 
mit  der  Wolle  verkauft.  Der  Preis  der  Kalbshäute 
dagegen  bleibt  weit  hinter  jenem  Verhältnis  zurück. 
In  Ländern,  in  denen  der  Preis  des  Viehs  sehr  niedrig 
ist,  werden  die  Kälber,  die  man  nicht  zur  Vermehrung 
der  Herde  aufzuziehen  beabsichtigt,  in  der  Regel  sehr 
jung  geschlachtet,  wie  dies  vor  zwanzig  oder  dreißig 
Jahren  in  Schottland  der  Fall  war;  man  erspart  da- 
durch die  Milch,  deren  Preis  die  Kälber  nicht  bezahlt 
machen  würden.  Die  Häute  ganz  junger  Kälber  taugen 
aber  gewöhnlich  nicht  viel. 

Der  Preis  der  rohen  Häute  ist  dermalen  viel  nied- 
riger, als  er  vor  einigen  Jahren  war,  was  wahrschein- 
lich daher  kommt,  daß  die  Abgabe  auf  Seehundsfelle 
aufgehoben  und  die  zollfreie  Einfuhr  roher  Häute  aus 
Irland  und  den  Kolonien  seit  1769  auf  eine  begrenzte  Zeit 
•gestattet  ist.  Im  Durchschnitt  des  gegenwärtigen  Jahr- 
hunderts war  aber  der  Sachpreis  der  rohen  Häute 
wahrscheinlich  etwas  höher,  als  in  jener  früheren  Zeit. 
Die  Natur  der  Ware  gestattet  ihre  Ausfuhr  nach  fernen 
Märkten  nicht  so  gut  wie  Wolle;  sie  leidet  durch  Auf- 
bewahrung mehr.  Gesalzene  Häute  aber  gelten  weniger 
als  frische.  Dieser  Umstand  hat  zur  Folge,  daß  der 
Preis  roher  Häute  in  einem  Lande,  das  sie  nicht  selbst 
verarbeitet,  sondern  sie  ausführen  muß,  niedrig 
steht;  wogegen  ihr  Preis  in  einem  Lande,  in  dem 
sie  verarbeitet  werden,  steigt.  In  einem  unzivilisierton 

Adam  Smith,  Volkswolilstaud.  I.  ^1 


322  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Lande  muß  der  Preis  dadurch  gedrückt  werden,  in 
einem  zivilisierten  und  gewerbtreibenden  Lande  da- 
gegen steigen;  er  mußte  in  früherer  Zeit  niedrig  sein, 
in  neuerer  Zeit  sich  heben.  Überdies  ist  es  unsern  Ger- 
bern nicht  so  gut  gelungen,  wie  unsern  Tuchmachern, 
die  Nation  zu  überzeugen,  daß  das  Wohl  des  Staats  von 
dem  Gredeihen  ihres  Grewerbes  abhänge,  und  sie  wurden 
demgemäß  auch  viel  weniger  begünstigt.  Allerdings 
wurde  die  Ausfuhr  roher  Häute  verboten  und  für  schäd- 
lich erklärt;  aber  ihre  Einfuhr  aus  fremden  Ländern 
wurde  einem  Zolle  unterworfen,  und  wenn  auch  die  Ein- 
fuhr aus  Irland  und  den  Kolonien  zollfrei  war  —  nur 
auf  die  kurze  Zeit  von  fünf  Jahren  —  so  wurde  Irland 
doch  für  den  Verkauf  seiner  überschüssigen  Häute, 
d.  h.  derjenigen,  die  nicht  im  Lande  verarbeitet  werden, 
nicht  auf  den  Markt  von  Großbritannien  beschränkt. 
Den  Kolonien  ist  es  erst  seit  wenigen  Jahren  verboten, 
ihre  Häute  nach  anderen  Ländern  als  dem  Mutter- 
lande auszuführen,  und  der  Handel  Irlands  ist  bis 
heute  mit  einer  solchen  Unterdrückung  zu  Gunsten 
des  großbritannischen  noch  verschont  geblieben. 

Alle  Maßnahmen,  die  den  Preis  der  Wolle  oder 
der  rohen  Häute  unter  ihr  natürliches  Niveau  drücken, 
müssen  in  einem  kultivierten  Lande  dahin  führen,  den 
Preis  des  Fleisches  zu  erhöhen.  Der  Preis  des  in  einem* 
kultivierten  Lande  gezüchteten  Groß-  und  Kleinviehs 
muß  hinreichen,  um  die  Rente  des  Grundeigentümers 
und  des  Pächters  angemessen  einzubringen.  Andern- 
falls werden  sie  bald  aufhören,  Vieh  zu  züchten.  Der 
Teil  des  Preises,  der  nicht  durch  die  Wolle  und  die 
Häute  gedeckt  wird,  muß  daher  durch  das  Fleisch  ge- 
deckt werden ;  je  weniger  für  die  einen,  desto  mehr 
muI3  für  das  andere  bezahlt  werden.  In  welcher  Weise 
sich  dieser  Preis  auf  die  verschiedenen  Teile  des 
Tiers  verteilt,  ist  für  die  Grundeigentümer  und  Pächter 
gleichgültig,  wenn  er  nur  herauskommt.  Das  Interesse 


Kap.  XL:  Verschiedene  Wirkung-en  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  328 

der  Grundeigentümer  und  Pächter  als  solcher  kann 
daher  in  einem  kultivierten  Lande  von  derartigen  Maß- 
nahmen nicht  sonderlich  berührt  werden,  wenn  sie  auch 
als  Verbraucher  bei  der  Preissteigerung  der  Lebens- 
mittel beteiligt  sind.  Ganz  anders  verhält  es  sich  da- 
gegen in  einem  unkultivierten  Lande,  in  dem  der  grüßte 
Teil  des  Bodens  nur  zur  Viehzucht  benutzt  weiden 
kann,  und  wo  Wolle  und  Häute  den  wertvollsten  Be- 
standteil des  Viehes  ausmachen.  Hier  wäre  durch 
solche  Maßnahmen  ihr-  Interesse  als  Grundeigentümer 
und  Pächter  sehr  tief,  ihr  Interesse  als  Verbraucher 
dagegen  sehr  wenig  berührt.  Das  Fallen  des  Preises 
von  Wolle  und  Häuten  würde  den  Preis  des  Fleisches 
nicht  steigern,  weil  der  meiste  Boden  des  Landes  zu 
nichts  anderem  als  zur  Viehzucht  verwendet  werden 
kann  und  man  daher  fortfahren  wird,  die  gleiche  Zahl 
Vieh  zu  züchten.  Fs  käme  daher  doch  wieder  die  näm- 
liche Fleischmenge  auf  den  Markt,  und  die  Nachfrage 
würde  nicht  größer  und  mithin  der  Preis  nicht  höher 
sein,  als  vorher.  Der  ganze  Preis  des  Viehs  aber  würde 
sinken  und  mit  ihm  die  Rente  und  der  Gewinn  aller  der 
Ländereien,  deren  Hauptprodukt  Vieh  war,  d.  h.  der 
meisten  Ländereien  des  Landes.  Das  fortdauernde  Vor- 
bot der  Wollenausfuhr,  das  man  gewöhnlich,  wiewohl 
sehr  mit  Unrecht,  Eduard  III.  zuschreibt,  würde  unter 
den  damaligen  Umständen  des  Landes  die  verderb- 
lichste Maßregel  gewesen  sein,  die  man  hätte  ersinnen 
können:  sie  würde  nicht  nur  den  damaligen  Wert  des 
meisten  Landes  im  Reiche  vermindert,  sondern  auch 
durch  Minderung  des  Preises  der  wichtigsten  Gattung- 
Kleinvieh  den  späteren  Fortschritt  sehr  aufgehalten 
haben. 

Der  Preis  der  schottischen  Wolle  sank  infolge  der 
Union  in  England  bedeutend,  da  sie  durch  diese  von 
dem  großen  europäischen  Markte  ausgeschlossen  und  auf 

2V'- 


824  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

den  engen  Markt  Großbritanniens  eingeschränkt  wurde. 
Hätte  nicht  das  Steigen  der  Fleischpreise  den  sinkenden 
Preis  der  Wolle  vollkommen  ausgeglichen,  so  würde  der 
Wert  der  meisten  Ländereien  in  den  hauptsächlich 
Schafzucht  treibenden  südlichen  Grafschaften  Schott- 
lands durch  die  Union  sehr  tief  berührt  worden  sein. 

Die  Einwirkung  menschlicher  Bemühungen  auf  die 
Vermehrung  der  Wolle  oder  der  rohen  Häute  ist  einer- 
seits, soweit  diese  Menge  von  dem  Produkt  des  eigenen 
Landes  abhängt,  beschränkt;  andererseits,  sofern  sie 
von  dem  Produkt  anderer  Länder  abhängt,  unsicher.  In 
letzterer  Beziehung  hängt  jene  Einwirkung  nicht  sowohl 
von  der  Menge,  die  die  fremden  Länder  hervorbringen, 
als  von  der,  die  sie  nicht  verarbeiten,  und  von  den 
Beschränkungen  ab,  die  sie  der  Ausfuhr  dieser  Art 
von  Rohprodukten  aufzulegen  für  gut  finden.  Wie  diese 
Umstände  von  allen  heimischen  Bemühungen  durchaus 
unabhängig  sind,  so  machen  sie  notwendig  die  Wirk- 
samkeit aller  Bemühungen  mehr  oder  weniger  unsicher. 
Die  Einwirkung  menschlichen  Fleißes  auf  Vermehrung 
dieser  Art  von  Eohprodukten  ist  mithin  nicht  nur 
beschränkt,  sondern  auch  unsicher. 

Ebenso  ist  es  bei  einer  anderen  sehr  wichtigen  Art 
von  Rohprodukten,  nämlich  den  Fischen.  Die  davon  auf 
den  Markt  gebrachte  Menge  wird  durch  die  örtliche  Lage 
des  Landes,  durch  die  geringere  oder  größere  Entfernung 
der  einzelnen  Provinzen  vom  Meere,  durch  die  Zahl 
seiner  Seen  und  Flüsse,  und  durch  den  Fischreichtum 
oder  die  Fischarmut  dieses  Meeres,  dieser  Seen  und 
dieser  Flüsse  beschränkt.  In  dem  Grade,  wie  die  Bevöl- 
kerung zunimmt,  und  der  Jahresertrag  des  Bodens  und 
der  Arbeit  im  Lande  größer  und  größer  wird,  wächst 
auch  die  Zahl  der  Käufer,  und  diese  Käufer  haben  eine 
größere  Menge  und  Mannigfaltigkeit  von  andern  Waren, 
oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  den  Preis  einer 
größeren  Menge  und  Mannigfaltigkeit  von  Waren  anzu- 


Kap.  XI.:  Verschiedene  Wirkungen  d.  Fortschritts  d.  Kultur.  325 

bieten.  Es  wird  aber  stets  unmöglich  sein,  einen  großen, 
ausgedehnten  Markt  ohne  Aufwand  einer  größeren 
Menge  Arbeit  zu  versorgen,  als  den  kleinen  und  be- 
schränkten Markt.  Ein  Markt,  der  früher  nur  tausend 
Tonnen  Fische  brauchte,  und  nun  deren  zehntausend 
bedarf,  kann  selten  ohne  einen  zehnmal  größeren  Arbeits- 
aufwand versorgt  werden,  als  vorher  erforderlich  war. 
Die  Fische  müssen  aus  weiterer  Entfernung  geholt, 
größere  Schiffe  dazu  verwendet  und  kostspieligere 
Werkzeuge  aller  Art  angeschafft  werden.  Der  wirk- 
liche Preis  dieser  Ware  steigt  daher  mit  dem  Fort- 
schritt der  Kultur,  und  ist,  wie  ich  glaube,  in  jedem 
Lande  mehr  oder  weniger  gestiegen. 

Obgleich  der  Erfolg  eines  Fischzugs  eine  sehr  un- 
gewisse Sache  ist,  so  sollte  man  doch  glauben,  daß,  die 
örtliche  Lage  des  Landes  als  geeignet  angenommen,  die 
Einwirkung  des  Fleißes  auf  Herbeischaffung  einer  ge- 
wissen Menge  von  Fischen,  ein  Jahr  oder  mehrere 
Jahre  zusammengenommen,  im  Allgemeinen  sicher 
genug  sein  müßte ;  und  zweifellos  ist  es  auch  so.  Da 
es  hierbei  jedoch  mehr  auf  die  örtliche  Lage  des 
Landes,  als  auf  den  Stand  seines  Reichtums  und  seiner 
Industrie  ankommt,  und  da  aus  diesem  Grunde  der 
Einfluß  menschlichen  Fleißes  zu  verschiedenen  Zeiten 
der  nämliche  und  zu  derselben  Zeit  sehr  verschieden 
sein  kann,  so  ist  sein  Zusammenhang  mit  dem  Stande 
der  Kultur  unsicher  und  nur  diese  Art  Unsicherheit 
ist  es,  von  der  ich  hier,  spreche. 

Auf  die  Vermehrung  der  Menge  der  verschiedenen 
dem  Schöße  der  Erde  abgewonnenen  Mineralien  und 
Metalle,  zumal  der  edlen,  scheint  der  Einfluß  des 
menschlichen  Fleißes  zwar  ein  unbeschränkter,  aber 
ganz  unsicherer  zu  sein. 

Die  Menge  der  edlen  Metalle  in  einem  Lande  ist 
durch  seine  geographische  Lage  und  durch  die  Er- 
giebigkeit oder  Unergiebigkeit  seiner  eignen  Bergwerke 


326  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

nicht  im  mindesten  beschränkt.  Jene  Metalle  sind  oft  in 
Ländern,  die  gar  keine  Bergwerke  besitzen,  im  Über- 
fluß vorhanden.  Ihre  Menge  scheint  in  allen  Ländern 
von  zwei  verschiedenen  Umständen  abzuhängen:  erstens 
von  der  Kauffähigkeit  des  Landes,  von  dem  Stande  seiner 
Industrie,  von  dem  Jahresertrag  seines  Bodens  und 
seiner  Arbeit,  wodurch  das  Land  instand  gesetzt  wird, 
eine  größere  oder  gei'ingere  Menge  von  Arbeit  und 
Lebensmitteln  aufzuwenden,  um  solche  Überflüssig- 
keiten,  wie  Gold  und  Silber,  entweder  aus  seinen  eignen 
Bergwerken  zu  holen,  oder  von  andern  Ländern  zu 
kaufen  ;  zweitens  von  der  Ergiebigkeit  oder  Unergiebig- 
keit  der  Bergwerke,  die  jeweils  die  Handelswelt  mit 
diesen  Metallen  versorgen.  Die  Menge  dieser  Metalle 
in  den  von  den  Bergwerken  entferntesten  Ländern  ist 
mehr  oder  weniger  durch  die  Ergiebigkeit  oder  Uner- 
giebigkeit  bestimmt,  weil  der  Transport  dieser  Metalle 
wegen  ihres  geringen  Umfangs  und  großen  Wertes 
leicht  und  wohlfeil  ist.  Ihre  Menge  in  China  und 
Indien  wird  mehr  oder  weniger  durch  den  Ileichtum 
der  amerikanischen  Bergwerke  bestimmt. 

Insofern  ihre  Menge  in  einem  Lande  von  dem  crste- 
ren  Umstände  —  seiner  Kauffälligkeit  —  abhängt,  wird 
ihr  wirklicher  Preis,  wie  der  aller  anderen  Gegenstände 
des  Luxus  und  Uberflußes,  mit  dem  Koichtum  und  der 
Kultur  des  Landes  steigen,  und  mit  seiner  Armut  und 
Entkräftung  sinken.  Länder,  die  eine  große  Menge 
Arbeit  und  Lebensmittel  übrig  haben,  können  mit  Auf- 
wand einer  "[rößeren  Men^e  Arbeit  und  Lebensmittel 
eine  größere  Menge  jener  Metalle  kaufen,  als  Länder, 
die  weniger  übrig  haben. 

Sofern  die  Menge  edler  Metalle  in  einem  Lande 
von  dem  letzteren  jener  beiden  Umstände  —  dei'  Er- 
giebigkeit oder  Unergiebigkeit  der  Bei'gwerke,  aus  denen 
die  Handels  weit  jeweils  ihre  Zufuhr  erhält  — ,  abhängt, 
wird  ihr  wirklicher  Preis,  die  Menge  von  Arbeit  und 


Kap.  XI.:  Verachiedene  Wirkimgon  d.  Fortschritt«  d.  Kultur.  327 

Lebensmitteln,  welche  dafür  zu  kaufen  oder  einzu» 
tauschen  ist,  zweifellos  je  nach  der  Ergiebigkeit  jener 
Bergwerke  mehr  oder  weniger  fallen,  oder  je  nach  ihrer 
Unergiebigkeit  steigen. 

Die  Ergiebigkeit  oder  Unergiebigkeit  der  Berg- 
werke, aus  denen  die  Handels  weit  jeweils  ihre  Zufuhr 
empfängt,  steht  jedoch  augenscheinlich  mit  dem  Stande 
des  Gewerbfleißes  eines  Landes  in  gar  keinem  Zu- 
sammenhange; ja  selbst  in  keinem  notwendigen  Zu- 
sammenhange mit  dem  Zustande  des  Gewerbfleißes  in 
der  ganzen  Welt.  Da  Gewerbe  und  Handel  sich  all- 
mählich über  einen  immer  größeren  Teil  der  Erde  aus- 
breiten, so  kann  allerdings  die  Aufsuchung  der  Minen 
auf  einer  immer  ausgedehnteren  Fläche  mehr  Erfolg 
versprechen,  als  in  einem  enger  begrenzten  Gebiet. 
Doch  ist  die  Entdeckung  neuer  Minen  nach  allmäh- 
licher Erschöpfung  der  alten  immerhin  eine  höchst  un- 
gewisse Sache,  und  kann  durch  menschliche  Geschick- 
lichkeit und  Betriebsamkeit  durchaus  nicht  verbürgt 
werden.  Alle  Anzeichen  in  dieser  Hinsicht  sind  aner- 
kannt zweifelhaft,  und  nur  die  wirkliche  Entdeckung 
und  der  erfolgreiche  Abbau  eines  neuen  Bergwerks 
giebt  über  seinen  wirklichen  Wert,  ja  sogar  über  sein 
Vorhandensein  erst  Gewißheit.  Bei  der  Aufsuchung 
hat  weder  der  mögliche  gute  Erfolg  noch  die  mögliche 
Täuschung  sichere  Grenzen.  Es  ist  möglich,  daß  im 
Laufe  eines  oder  zweier  Jahrhunderte  neue  ergiebigere 
Minen  als  alle  bisher  bekannten  entdeckt  werden :  aber 
ebenso  möglich  ist  es  auch,  daß  die  bekannten  ergie- 
bigsten Minen  unergiebiger  werden,  als  alle  vor  Ent- 
deckung der  amerikanischen  abgebauten.  Ob  der  eine 
oder  der  andere  dieser  beiden  Fälle  eintritt,  ist  für  den 
wirklichen  Reichtum  und  das  wahre  Gedeihen  der  Welt, 
für  den  wirklichen  Wert  des  Jahresertrags  von  Land 
und  Arbeit  von  sehr  geringem  Belang.    Der  Nominal- 


328  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft   der  Arbeit. 

wert,  die  Menge  Gold  und  Silber,  durch  die  dieser 
Jahresertrag  ausgedrückt  und  dargestellt  wird,  würde 
allerdings  sehr  verschieden  sein ;  aber  der  wirkliche 
Wert,  die  wirkliche  Arbeitsmenge,  die  dafür  zu  haben 
wäre,  würde  sich  ganz  gleich  bleiben.  Ein  Schilling 
würde  in  dem  einen  Falle  nicht  mehr  Arbeit  darstellen, 
als  dies  heute  ein  Penny  tut,  und  ein  Penny  würde  in 
dem  anderen  eben  so  viel  darstellen,  als  heute  ein  Schil- 
ling. Aber  in  dem  einen  Falle  würde  derjenige,  der 
einen  Schilling  in  der  Tasche  hätte,  nicht  reicher  sein, 
als  der,  der  heute  einen  Penny  hat;  und  in  dem  ande- 
ren würde,  wer  einen  Penny  hat,  ebenso  reich  sein,  als 
der,  der  heute  einen  Schilling  hat.  Die  Wohlfeilheit 
und  der  ÜberflulJ  an  Gold-  und  Silbergerät  wäre  der 
einzige  Vorteil,  den  die  Welt  aus  der  einen  Zufällig- 
keit zöge,  und  die  Teurung  und  der  Mangel  an  diesen 
gleichgültigen  Überflüssigkeiten  der  einzige  Schaden, 
den  die  andere  ihr  auferlegen  würde. 


Ergebnis  der  Abschweifung  über  die  Wertveränderungen 
des  Silbers. 

Die  meisten  Schriftstellei',  welche  sich  mit  den 
Preisen  früherer  Zeiten  beschäftigton,  scheinen  den 
niedrigen  Geldpreis  des  Getreides  und  der  AVaren  über- 
haupt, oder  mit  anderen  Worten  den  hohen  Wert  von 
Gold  und  Silber  nicht  nur  als  einen  Beweis  der  Selten- 
lieit  dieser  Metalle,  sondern  auch  der  Armut  und  Bar- 
barei des  Landes,  in  dem  daran  Mangel  herrschte,  an- 
gesehen zu  haben.  Diese  Vorstellung  hängt  mit  jenem 
System  der  politischen  Ökonomie  zusammen,  das  den 
Nationalreichtum  in  dem  Überfluß  an  Gold  und  Silber 
und  die  Nationalarmut  im  Fehlen  dieser  Metalle  sieht, 
einem  System,    das  ich  in   dem  vierten  Buche   dieser 


Kap.  XT.:  Wertverändeninqen  des  Silbers.  329 

Untersuchung  deutlich  darstellen  und  prüfen  werde. 
Für  jetzt  will  ich  nur  bemerken,  daß  der  hohe  Wort 
der  edlen  Metalle  kein  Deweis  der  Armut  oder  Bar- 
barei eines  Landes  zu  der  Zeit,  in  der  er  eben  herrscht, 
sein  kann;  er  ist  nur  ein  Beweis  für  die  Unergiebig- 
keit  der  Bergwerke,  aus  denen  zur  Zeit  die  Handels- 
welt ihre  Zufuhr  erhält.  Ein  armes  Land  vermag  ebenso 
wenig  mehr  Gold  und  Silber  zu  kaufen,  oder  es  teurer 
zu  bezahlen,  als  ein  reiches,  und  es  ist  deshalb  nicht 
wahrscheinlich,  daß  der  Wert  jener  Metalle  in  dem 
einen  höher  sei,  als  in  dem  anderen.  In  China,  das 
viel  reicher  ist,  als  irgend  ein  europäisches  Land,  ist 
der  Wert  der  edlen  Metalle  weit  höher,  als  irgendwo 
in  Europa.  Allerdings  ist  in  Europa,  wo  seit  der  Ent- 
deckung der  amerikanischen  Minen  der  Reichtum  sehr 
zugenommen  hat,  der  Wert  von  Gold  und  Silber  all- 
mählich gesunken.  Allein  diese  Entwertung  ist  nicht 
der  Zunahme  des  wirklichen  ßeichtums  in  Eur'opa, 
des  Jahresertrags  seines  Bodens  und  seiner  Arbeit 
zuzuschreiben,  sondern  der  zufälligen  Entdeckung  von 
Minen,  die  alle  bis  dahin  bekannten  an  Er-giebigkeit 
übertrafen.  Die  Zunahme  der'  Gold-  und  Silbermenge 
in  Europa  und  der-  Fortschritt  seiner  Gewerbe  und  seiner 
Landwirtschaft  traten  zwar  beinahe  gleichzeitig  ein,  sind 
jedoch  aus  sehr  verschiedenen  Ursachen  hervorgegangen 
und  stehen  kaum  irgendwie  in  natürlichem  Zusammen- 
hang. Die  erstere  entsprang  einem  reinen  Zufall,  an 
dem  weder  Klugheit  noch  Politik  irgend  einen  Anteil 
hatten  oder  haben  konnton ;  der  andere  aus  dem  Falle 
des  Feudalsystems  und  der  Einführung  einer  Regierung, 
die  dem  Gewerbefleiß  die  einzige  Aufmunterung,  der'on 
er  bedarf,  nämlich  eine  leidliche  Sicherheit  gewährte, 
daß  er  die  Früchte  seiner  Arbeit  genießen  werde. 
Polen,  wo  sich  das  Feudalsystem  noch  immer  be- 
hauptet, ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  immer  so 


330  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

bettelarm,  wie  vor  der  Entdeckung  Amerikas.  Dennoch 
ist  dort  ebenso  wie  in  andern  Ländern  Europas,  der 
Goldpreis  des  Getreides  gestiegen,  und  der  wirkliche 
Wert  der  edlen  Metalle  gefallen.  Ihre  Menge  muß  also 
dort  ebenso  wie  an  anderen  Orten,  dem  Jahresertrag 
seines  Bodens  und  seiner  Arbeit  entsprechend,  zuge- 
nommen haben;  allein  diese  Vermehrung  der  edlen 
Metalle  hat  anscheinend  den  Jahresertrag  nicht  ver- 
mehrt, und  weder  Industrie  und  Landwirtschaft  ge- 
hoben, noch  den  Zustand  der  Einwohner  verbessert. 
Spanien  und  Portugal,  die  Besitzer  der  Minen,  sind 
nächst  Polen  vielleicht  die  beiden  ärmsten  Länder  in 
Europa.  Dennoch  muß  der  Wert  der  edlen  Metalle 
in  Spanien  und  Portugal  niedriger  sein,  als  in  irgend 
einem  anderen  Teile  Europas,  da  sie  erst  von  dort, 
belastet  nicht  bloß  mit  den  Kosten  der  Fracht  und 
Versicherung,  sondern  auch,  da  ihre  Ausfuhr  verboten, 
beziehungsweise  einer  Abgabe  unterworfen  ist,  mit  den 
Kosten  des  Schmuggels,  nach  den  anderen  Ländern 
Europas  kommen.  Im  Verhältnis  zum  Jahresertrag  von 
Boden  und  Arbeit  muß  daher  ihre  Menge  in  jenen 
Ländern  größer  sein,  als  irgendwo  in  Europa;  und  doch 
sind  jene  Länder  ärmer  als  alle  andern.  Zwar  das 
Feudalsystem  ist  in  Spanien  und  Portugal  abgeschafft, 
aber  was  an  seine  Stelle  getreten  ist,  ist  nicht  viel  besser. 

Wie  demnach  der  geringere  Wert  von  Gold  und 
Silber  kein  Beweis  für  den  Reichtum  und  den  blühen- 
den Zustand  eines  Landes  ist,  in  dem  dies  Verhältnis 
statthat,  so  ist  auch  ihr  hoher  Wert,  oder  der  niedrige 
Geldpreis  der  Waren  im  Allgemeinen  und  des  Getreides 
im  Besonderen  kein  Beweis  von  Armut  und  Barbarei. 

Wenn  aber  auch  der  niedrige  Geldpreis  der  Waren 
im  allgemeinen  und  des  Getreides  im  besonderen  kein 
Beweis  für  die  Armut  und  Barbarei  der  entsprechen- 
den Zeit  ist,  so  ist  der  niedrige  Geldpreis  einiger  be- 


Kap.  XL:  Wertveränderungen  des  Silbers.  331 

stimmter  Sorten  von  Gütorn,  so  des  Viehs,  Greflügels, 
Wildprets  aller  Art  usw.  im  Verhältnis  zum  Getreide 
ein  desto  entscheidenderer  Beweis  dafür.  Deutlich  geht 
daraus  hervor:  erstens  ihre  große  Menge  im  Vergleich 
mit  der  Menge  des  Getreides,  und  folglich  die  große 
Ausdehnung  des  Bodens,  den  sie  einnehmen,  im  Ver- 
gleich mit  Getreideland;  zweitens  der  geringe  Wert 
jenes  Bodens  im  Verhältnis  zum  Getreideland,  und  folg- 
lich der  unkultivierte  Zustand  des  bei  Weitem  größten 
Teils  des  Gebiets.  Deutlich  geht  ferner  daraus  hervor, 
daß  das  Kapital  und  die  Bevölkerung  des  Landes  nicht 
in  demselben  Verhältnis  zur  Gebietsausdehnung  stand, 
wie  in  zivilisierten  Ländern,  und  daß  die  Gesellschaft 
zu  jener  Zeit  und  in  jenem  Lande  sich  erst  in  ihrer 
Kindheit  befand.  Aus  dem  hohen  oder  niedrigen  Preise 
der  AVaren  im  allgemeinen  und  des  Getreides  im  be- 
sonderen kann  man  lediglich  schließen,  daß  dio  Berg- 
werke, welche  zur  Zeit  die  Handclswelt  mit  Gold  und 
Silber  versorgten,  ergiebig  oder  unergiebig  waren; 
nicht,  daß  das  Land  reich  oder  arm  war.  Aus  dem 
hohen  oder  niedrigen  Geldpreise  gewisser  Sorten  von 
Gütern  im  Vergleich  mit  anderen  läßt  sich  dagegen 
mit  einem  au  Gewißheit  grenzenden  Grade  von  Wahr- 
scheinlichkeit schließen,  daß  es  reich  oder  arm  war, 
daß  der  größte  Teil  seiner  Ländereien  angebaut  oder 
unangebaut  war,  und  daß  es  sich  entweder  in  einem 
mehr  oder  minder  rohen,  oder  mehr  oder  minder  zi- 
vilisierten Zustande  befand. 

Jede  Steigerung  dos  Geldpreises  der  Waren,  die 
lediglich  aus  der  Entwertung  des  Silbers  hervoigoht, 
würde  alle  Arten  von  Waren  gleichmäßig  treffen  und 
ihren  Preis  durchgehends  um  ein  Drittel,  ein  Viertel 
oder  ein  Fünftel  erhöhen,  je  nachdem  das  Silber  um 
ein  Drittel,  ein  Viertel  oder  ein  Fünftel  an  seinem  frü- 
heren Worte  verlöre.    Die  Preissteigerung  der  Lebens- 


332  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

mittel  hingegen,  worüber  so  viel  geklügelt  und  geredet 
worden  ist,  trifft  nicht  alle  Arten  von  Lebensmitteln 
gleichmäßig.  Im  Durchschnitt  des  laufenden  Jahrhun- 
derts ist  der  Preis  des  Getreides,  wie  selbst  von  denen 
anerkannt  wird,  die  sein  Steigen  aus  der  Silberent- 
wertung erklären,  viel  weniger  gestiegen,  als  der  Preis 
einiger  anderer  Lebensmittel.  An  dem  Steigen  des 
Preises  dieser  anderen  Lebensmittel  kann  folglich  die 
Silberentwertung  nicht  allein  Schuld  sein;  vielmehr 
müssen  einige  andere  Ursachen  mit  in  Rechnung  ge- 
zogen werden,  und  die  oben  angedeuteten  sind  viel- 
leicht hinreichend,  die  Preissteigerung  jener  besonderen 
Arten  von  Lebensmitteln  ohne  Hinzunahme  der  an- 
geblichen Silberentwertung  zu  erklären. 

Was  den  Preis  des  Getreides  selbst  betrifft,  so  war 
er  in  den  ersten  vierundsechzig  Jahren  des  laufenden 
Jahrhunderts  und  vor  der  letzten  ungewöhnlichen  Auf- 
einanderfolge schlechter  Jahre  etwas  niedriger,  als  in 
den  letzten  vierundsechzig  Jahren  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. Diese  Tatsache  wird  nicht  nur  durch  die 
Marktberichte  von  Windsor,  sondern  auch  durch  die 
öffentlichen  Fiars  aller  schottischen  Grafschaften  und 
die  von  Messance  und  Dupre  de  St.  Maur  mit  Fleiß 
und  Sorgfalt  gesammelten  französischen  Marktbcrichte 
bezeugt.  Der  Beweis  ist  vollständiger  erbracht,  als  es 
in  einer  ihrer  Natur  nach  so  schwer  festzustellenden 
Sache  zu  erwarten  war. 

Was  den  hohen  Getreidepreis  der  letzten  zehn  oder 
zwölf  Jahre  betrifft,  so  läßt  er  sich  ohne  die  Annahme 
einer  Silberentwertung  vollkommen  aus  den  sohlechten 
Ernten  erklären. 

Die  Ansicht,  daß  das  Silber  fortwährend  im  Preise 
sinke,  stützt  sich  mithin  auf  keine  guten  Beobachtun- 
gen, weder  über  die  Getreidepreise  noch  über  die  Preise 
anderer  Lebensmittel, 


Kap.  XT.:  Wertvcränderun,i>en  des  Silbers.  333 

Man  kann  vielleicht  sagen,  selbst  nach  der  hier 
gegebenen  Berechnung  sei  für  die  gleiche  Menge  Silbers 
gegenwärtig  eine  viel  kleinere  Menge  mancher  Lebens- 
mittel zu  haben,  als  während  eines  Teils  des  vorigen 
Jahrhunderts,  und  ob  man  diese  Änderung  einer  Stei- 
gerung des  Werts  jener  Waren,  oder  der  Entweitung 
des  Silbers  zuschreibe,  sei  eine  leere  und  nutzlose  Un- 
terscheidung, mit  der  jemandem,  der  nur  eine  be- 
stimmte Menge  Silber,  oder  ein  bestimmtes  Einkommen 
in  Geld  habe,  nicht  im  Mindesten  gedient  sei.  Ich  will 
auch  gewiß  nicht  behaupten,  daß  die  Kenntnis  dieses 
Unterschiedes  ihn  in  den  Stand  setzen  wird,  wohlfeiler 
zu  kaufen;  aber  sie  ist  deshalb  doch  noch  nicht  ganz 
nutzlos. 

Sie  kann  dadurch  von  einigem  Nutzen  sein,  daß 
sie  einen  leichtverständlichen  Beweis  für  die  gedeih- 
liche Lage  des  Landes  liefert.  Entspringt  die  Preis- 
steigerung einiger  Arten  von  Lebensmitteln  lediglich 
der  Silberentwertung,  so  läßt  sich  hieraus  lediglich 
auf  die  Ergiebigkeit  der  amerikanischen  Bergwerke 
schließen.  Der  wirkliche  Reichtum  des  Landes,  der 
Jahresertrag  seines  Bodens  und  seiner  Arbeit,  kann 
trotz  dieses  Umstandes  entweder,  wie  in  Portugal  oder 
Polen,  allmählich  sinken,  oder,  wie  in  den  meisten 
europäischen  Ländern,  allmählich  steigen.  Ist  jene 
Preissteigerung  gewisser  Arten  von  Lebensmitteln  die 
Folge  einer  Steigerung  in  dem  wirklichen  Werte  des 
Grund  und  Bodens,  auf  dem  sie  erzeugt  werden,  also 
seiner  vermehrten  Fruchtbarkeit;  oder  davon,  daß  der 
Boden  durch  ausgedehntere  und  bessere  Kultur  zum 
Getreidebau  geeignet  wurde,  so  beweist  dieser  Um- 
stand unstreitig  die  Wohlfahrt  und  den  Fortschritt 
des  Landes.  Grund  und  Boden  bilden  bei  Weitem 
den  größten,  wichtigsten  und  dauerhaftesten  Teil  im 
Reichtum  jedes  ausgedehnten  Landes,  und  es  ist  ge- 
wiß von  einigem  Nutzen,    oder  kann  wenigstens  dem 


334  Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Lande  eine  Genugtuung  gewähren,  einen  so  ent- 
scheidenden Beweis  für  den  zunehmenden  Wert  des 
bei  weitem  grüßten,  wichtigsten  und  dauerhaftesten 
Teils  seines  Ileichtums  zu  besitzen. 

Auch  kann  es  dem  Staate  von  Nutzen  sein  für  die 
Feststellung  der  Besoldungen  seiner  niederen  Beamten. 
Wenn  die  Preissteigerung  einiger  Arten  von  Lebens- 
mitteln aus  der  Silberentwertung  entspringt,  so  müßten 
ihre  Besoldungen,  falls  sie  nicht  etwa  früher  zu  hoch 
waren,  nach  Verhältnis  dieser  Entwertung  erhöhtwerden. 
Wo  nicht,  wird  ihre  tatsächliche  Besoldung  offenbar  um 
so  viel  vermindert.  Ist  hingegen  jene  Preissteigerung 
dem  durch  die  erhöhte  Ertragsfähigkeit  vermehrten 
Werte  des  Bodens  zuzuschreiben,  so  wird  es  viel 
schwieriger  zu  beurteilen,  in  welchem  Verhältnis  die 
Besoldungen,  oder  ob  sie  überhaupt  zu  erhöhen  seien. 
Wie  die  weitere  Ausdehnung  der  Bodenkultur  not- 
wendig den  Preis  jeder  Art  tierischer  Nahrung  im 
Verhältnis  zum  Getreidepreise  mehr  oder  weniger 
steigert,  so  ermäßigt  sie,  glaube  ich,  mit  gleicher  Not- 
wendigkeit den  Preis  jeder  Art  pflanzlicher  Nahrung. 
Sie  erhöht  den  Preis  der  Fleischnahrung,  weil  ein  großer 
Teil  des  Landes,  das  Fleisch  produziert,  zum  Getreide- 
bau tauglich  gemacht  ist  und  mithin  dem  Grundeigen- 
tümer und  Pächter  die  Eente  und  den  Gewinn  des 
Getreidelandes  abwerfen  muß ;  den  Preis  Äfer  Pflanzen- 
nahrung aber  ermäßigt  sie,  weil  sie  die  Ertragsfähig- 
keit des  Bodens  und  mithin  die  Menge  der  Nahrungs- 
mittel aus  dem  Pflanzenreich  vermehrt.  Auch  werden 
durch  die  Verbesserung  der  Kultur  manche  Arten 
von  Pflanzen  eingeführt,  die  weniger  Land  und  nicht 
mehr  Arbeit  als  das  Getreide  erfordern,  und  aus  diesem 
Grunde  viel  wohlfeiler  auf  den  Markt  kommen.  So  die 
Kartoffeln  und  der  Mais,  die  beiden  wichtigsten  Er- 
rungenschaften, die  der  europäische  Ackerbau,  oder 
vielleicht  Europa   überhaupt  der    großen  Ausdehnung 


Kap.  XI.:  Wertveränderuno-en  des  Silbers.  335 

seines  Handels  und  seiner  Schifffahrt  verdankt.  Außer- 
dem werden  manche  Arten  von  Pflanzen,  die  im  rohen 
Zustande  der  Landwirtschaft  auf  den  Gemüsegarten 
beschränkt  sind  und  der  Spatenarbeit  bedürfen,  bei 
höherer  Kultur  auf  den  Feldern  gebaut  und  mittels  des 
Pflugs  bearbeitet,  wie  Rüben,  Möhren,  Kohl  u.  s.  \v. 
Wenn  also  bei  fortschreitender  Kultur  der  Sachprois 
der  einen  Art  von  Nahrungsmitteln  mit  Notwendigkeit 
steigt,  so  fällt  mit  gleicher  Notwendigkeit  der  einer 
anderen  Art,  und  es  wird  sehr  schwer,  zu  bestimmen, 
in  wiefern  das  Steigen  der  einen  durch  das  Fallen  der 
anderen  ausgeglichen  wird.  Sobald  der  Sachpreis  des 
Fleisches  einmal  seinen  Höhepunkt  erreicht  hat,  was, 
abgesehen  vom  Schweinefleisch  in  einem  großen  Teile 
Englands  bei  allen  Sorten  vor  länger  als  einem  Jahr- 
hundert eingetreten  zu  sein  scheint,  kann  eine  spätere 
Preissteigerung  anderer  Fleischsorten  die  Lage  der 
unteren  Volksklasse  nur  wenig  berühren.  Die  Verhält- 
nisse der  Armen  in  den  meisten  Gegenden  Englands 
können  sicherlich  durch  das  Steigen  des  Preises  von 
Geflügel,  Fischen  oder  Wildpret  nicht  so  verschlechtert 
werden,  wie  sie  sich  durch  das  Fallen  des  Kartoffel- 
preises verbessern  würden. 

In  der  gegenwärtigen  teuren  Zeit  leiden  die  Armen 
unter  dem  hohen  Getreidepreise  unzweifelhaft;  in  leid- 
lich guten  Jahren  dagegen,  in  denen  das  Getreide 
seinen  gewöhnlichen  oder  Durchschnittspreis  hat,  kann 
das  natürliche  Steigen  des  Preises  andrer  Bodener- 
zeugnisse sie  nicht  sonderlich  berühren.  Mehr  leiden 
sie  vielleicht  unter  den  künstlichen  durch  Abgaben 
verursachten  Preiserhöhungen  von  Salz,  Seife,  Leder, 
Lichten,  Malz,  Bier,  Ale  usw. 


336  Ei'stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertrag-skraft  der  Arbeit. 


Wirkungen   der  Kutturfortschritte  auf  den  Sachpreis   der 
Industrieerzeugnisse. 

Es  ist  die  natürliche  Wirkung  der  Kultur,  daß  sie 
den  Sachpreis  fast  aller  Industrieerzeugnisse  allmählich 
vermindert.  Der  Sachpreis  der  gewerblichen  Arbeit  ver- 
mindert sich  vielleicht  ausnahmslos  in  allen  Gewerben. 
Infolge  besserer  Maschinen,  größerer  Geschicklichkeit 
und  angemessenerer  Einteilung  und  Verteilung  der  Ar- 
beit, was  Alles  die  natürliche  Wirkung  der  Kultur  ist, 
wird  eine  weit  geringere  Menge  Arbeit  zur  Herstellung 
jedes  einzelnen  Stückes  erfordert;  und  wenn  auch  in- 
folge der  günstigen  Lage  der  Gesellschaft  der  Sach- 
preis der  Arbeit  beträchtlich  steigt,  so  wird  doch  die 
große  Verminderung  der  Menge  der  erforderlichen 
Arbeit  selbst  die  größte  Preissteigerung  der  Arbeit  in 
der  Regel  mehr  als  ausgleichen. 

Allerdings  gibt  es  wenige  Gewerbe,  in  denen  die 
Preissteigerung  der  Rohstoffe  alle  durch  die  Kultur  an 
die  Hand  gegebenen  Arbeitsvorteile  mehr  als  aufwiegt. 
Bei  dei'  Zimmermanns-  und  Schreinerarbeit  wenigstens 
gröberer  Art  wiegt  die  aus  der  vollkommneren  Boden- 
kultur hervorgehende  Preissteigerung  des  Holzes  in  der 
Regel  alle  Vorteile,  die  sich  aus  den  besseren  Maschinen, 
der  größeren  Geschicklichkeit  und  der  angemesseneren 
Einteilung  und  Verteilung  der  Arbeit  ergeben,  reich- 
lich auf. 

In  allen  Fällen  hingegen,  wo  der  Preis  der  Roh- 
stoffe entweder  überhaupt  nicht  steigt,  oder  nicht  be- 
deutend steigt,  sinkt  der  Preis  der  Industrieerzeugnisse 
erheblich. 

Diese  Preisermäßigung  ist  im  Laufe  des  gegenwär- 
tigen und  vorigen  Jahrhunderts  besonders  in  denjenigen 


Kap.  Xr.:  Saclipreis  der  liidustrieerzeugnisse.  ,337 

Gewerben  fühlbar  gewesen,  deren  Rohstoff  in  den  un- 
edlen Metallen  besteht.  Man  erhält  jetzt  vielleicht  für 
zwanzig  Schilling  ein  besseres  Uhrwerk,  als  um  die 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  für  zwanzig  Pfund.  In 
den  Arbeiten  der  Messerschmiede  und  Schlosser,  in  allen 
Kurzwaren  aus  gröberen  Metallen,  in  den  sogenannten 
Birminghamer  und  Sheffielder  Waren  ist  in  der  näm- 
lichen Periode  eine  sehr  große  Preisermäßigung  einge- 
treten, die,  wenn  sie  auch  nicht  ganz  so  groß  war,  als 
bei  Uhren,  doch  die  Arbeiter  im  ganzen  übrigen  Europa 
in  Staunen  setzte,  und  sie  vielfach  zu  dem  Bekenntnis 
zwang,  daß  sie  für  den  doppelten  und  selbst  für  den 
dreifachen  Preis  keine  so  gute  Arbeit  herstellen 
könnten.  Es  gibt  vielleicht  keine  Industrie,  in  der  die 
Arbeitsteilung  weiter  getrieben  werden  kann  oder  die 
angewandten  Maschinen  mannigfachere  Verbesserungen 
zulassen,  als  die,  deren  Rohstoffe  in  den  unedlen 
Metallen  bestehen. 

In  der  Tuchfabrikation  ist  in  der  nämlichen  Periode 
keine  so  fühlbare  Preisermäßigung  eingetreten ;  im  Ge- 
genteil versichert  man,  daß  der  Preis  des  hochfeinen 
Tuches  in  den  letzten  fünfundzwanzig  bis  dreißig  Jahren 
im  Verhältnis  zu  seiner  Beschaffenheit  etwas  gestiegen 
ist,  woran,  wie  man  sagt,  eine  bedeutende  Preiserhöhung 
des  Materials,  das  ganz  aus  spanischer  Wolle  besteht, 
Schuld  ist.  Der  Preis  des  Yorkshirer  Tuches,  das  lediglich 
aus  englischer  Wolle  gefertigt  wird,  soll  im  Laufe  des 
gegenwärtigen  Jahrhunderts  im  Verhältnis  zu  seiner  Güte 
allerdings  erheblich  gefallen  sein ;  indeß  ist  die  Qualität 
eine  so  streitige  Sache,  daß  ich  alle  Angaben  dieser 
Art  als  sehr  unsicher  ansehe.  In  der  Tuchfabrikation 
ist  die  Arbeitsteilung  so  ziemlich  dieselbe  geblieben, 
wie  vor  einem  Jahrhundert,  und  die  dabei  angewen- 
deten Maschinen  sind  nicht  viel  anders.  Indeß  können 
in  beiderlei  Hinsicht  wohl  einige  kleine  Verbesserungen 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  I.  -»^ 


338  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

vorgekommen  sein,  die  eine  Preisermässigung  zur 
Folge  hatten. 

Viel  merklicher  und  unleugbarer  ist  aber  die  Er- 
mäßigung, wenn  man  den  heutigen  Preis  dieser  "Ware 
mit  dem  einer  weit  früheren  Zeit,  etwa  am  Ende  des 
15.  Jahrhunderts,  vergleicht,  wo  die  Arbeit  wahrschein- 
lich weit  weniger  geteilt,  und  die  Maschinen  weit 
unvollkommener  waren,  als  heute. 

Im  Jahre  1487,  dem  vierten  Regierungsjahre  Hein- 
richs YII.,  wurde  ein  Gesetz  gegeben,  nach  dem  „Jeder, 
der  im  Kleinhandel  ein  Yard  vom  feinsten  scharlachfar- 
bigen oder  sonst  echtgefärbten  Tuch  feinster  Arbeit  höher 
als  zu  16  sh.  verkaufe,  eine  Strafe  von  40  sh.  für  jeden 
so  verkauften  Yard  verwirkt  habe."  16  sh.,  die  ungefähr 
ebenso  viel  Silber  enthielten,  wie  jetzt  24  sh.,  wurden 
also  damals  als  ein  nicht  unbilliger  Preis  für  den  Yard 
feinsten  Tuches  angesehen ;  und  da  hier  ein  Luxusgesetz 
vorliegt,  war  der  Preis  in  Wirklichkeit  wahrscheinlich 
etwas  höher.  Gegenwärtig  kann  man  eine  Guinee  als 
den  höchsten  Preis  betrachten.  Also  auch  angenommen, 
die  QuaHtät  sei  gleich  —  die  jetzige  ist  aber  wahr- 
scheinlich weit  besser  —  so  ist  doch  der  Geldpreis  des 
feinsten  Tuches  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
bedeutend  gewichen ;  noch  weit  mehr  aber  ist  sein  wirk- 
licher Preis  heruntergegangen.  6  sh.  8  d.  galten  damals 
und  noch  viel  später  für  den  Durchschnittspreis  eines 
Quarters  Weizen;  16  sh.  waren  also  der  Preis  von 
über  zwei  Quarter  und  drei  Bushel  Weizen.  Schätzt 
man  den  Quarter  Weizen  gegenwärtig  auf  28  sh.,  so 
muß  der  wirkliche  Preis  eines  Yard  feinen  Tuches 
damals  wenigstens  £  3.  6^'2  sh.  unseres  jetzigen  Geldes 
gewesen  sein.  Der  Käufer  mußte  dafür  so  viel  an 
Arbeit  und  Lebensmitteln  geben,  als  er  heute  für  diese 
Summe  erhalten  würde. 


Kap.  Xi.:  Sachpreis  der  IndiistrieerzGugnisse.  339 

Der  Preisfall  der  gröberen  Fabrikate  war,  obwohl 
beträchtlich,  doch  nicht  so  groß,  als  der  der  feineren. 

Im  Jahre  1463,  dem  dritten  Regierungsjahre 
Eduards  IV.,  wurde  verordnet,  daß  „kein  Dienstbote  auf 
dem  Lande,  kein  Tagelöhner,  kein  Dienstbote  bei  einem 
außerhalb  der  Stadt  wohnenden  Handwerker,  zu  seiner 
Kleidung  Tuch  brauchen  soll,  von  dem  der  Yard  mehr 
als  zwei  Schilling  kostet."  Zu  dieser  Zeit  enthielten  zwei 
Schilling  etwa  dieselbe  Silbermenge,  wie  vier  unsres 
jetzigen  Geldes,  aber  das  Yorkshirer  Tuch,  von  dem 
jetzt  die  Elle  mit  -i  sh.  bezahlt  wii'd,  ist  wahrschein- 
lich weit  besser,  als  das  Tuch,  das  damals  zur  Klei- 
dung für  die  ärmste  Klasse  gewöhnlichen  Gesindes 
verwendet  wurde.  Selbst  der  Geldpreis  ihrer  Kleidung 
wird  daher  im  Verhältnis  zur  Beschaffenheit  gegen- 
wärtig etwas  wohlfeiler  sein,  als  damals;  aber  min- 
destens ist  der  wirkliche  Preis  erheblich  wohlfeiler. 
Zehn  Pence  galten  damals  für  einen  mäßigen  und 
billigen  Preis  des  Bushel  Weizen.  Zwei  Schilling  waren 
also  der  Preis  von  beinahe  zwei  Bushel  und  zwei  Peck 
Weizen,  die  gegenwärtig,  den  Bushel  zu  3^2  sh.  ge- 
rechnet, 8  sh.  9  d.  wert  sein  würden.  Für  einen  Yard 
dieses  Tuches  mußte  der  arme  Dienstbote  damals  den 
Gegenwert  einer  Lebensmittelmenge  geben,  die  man 
heute  für  8  sh.  9  d.  kaufen  würde.  Da  wir  es  hier 
ebenfalls  mit  einem  Luxusgesetz  zu  tun  haben,  das 
dem  Aufwände  und  der  Verschwendung  der  Armen 
steuern  sollte,  so  ist  ihre  Kleidung  gewöhnlich  wohl 
noch  viel  teurer  gewesen. 

Durch  das  nämliche  Gesetz  wurde  derselben  Volks- 
klasse verboten,  Strümpfe  zu  tragen,  deren  Preis  vier- 
zehn Pence  für  das  Paar,  also  etwa  achtundzwanzig 
Pence  unseres  heutigen  Geldes  überstiege.  Nun  waren 
vierzehn  Pence  damals  der  Preis  für  etwa  einen  Bushel 
und  zwei  Peck  Weizen,  was  gegenwärtig,  den  Bushel 


340  Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  ßrtragskraft  der  Arbeit. 

ZU  3V2  sh.  gerechnet,  5  sh.  3  d.  machen  würde.  Heute 
würde  dies  als  ein  sehr  hoher  Preis  für  ein  Paar 
Strümpfe  eines  Dienstboten  der  ärmsten  und  niedrigsten 
Klasse  betrachtet  werden;  gleichwohl  wurde  damals 
so  viel  dafür  bezahlt. 

Zur  Zeit  Eduards  IV.  war  das  Strumpfstricken  in 
Europa  wahrscheinlich  noch  nirgends  bekannt.  Die 
Strümpfe  wurden  aus  gewöhnlichem  Tuch  gemacht,  und 
dies  war  wohl  eine  der  Ursachen  ihrer  Kostspieligkeit. 
Die  erste  Person  in  England,  die  gestrickte  Strümpfe 
trug,  soll  die  Königin  Elisabeth  gewesen  sein;  sie  er- 
hielt sie  von  dem  spanischen  Gesandten  zum  Geschenk. 

Sowohl  in  der  Fabrikation  grober  wie  feiner  Woll- 
stoffe waren  die  Werkzeuge  damals  weit  unvollkommener 
als  heute.  Außer  manchen  kleineren  Verbesserungen, 
deren  Zahl  und  Wichtigkeit  schwer  festzustellen  ist,  sind 
in  dieser  Industrie  namentlich  drei  wichtige  Erfindungen 
eingeführt  worden :  erstens  dieVertauschung  des  Rockens 
und  der  Spindel  mit  dem  Spinnrade,  das  bei  einer  gleichen 
Arbeitsmenge  mehr  als  doppelt  so  viel  leistet;  zweitens, 
der  Gebrauch  einiger  sehr  sinnreicher  Maschinen,  die  in 
noch  höherem  Maße  das  Weifen  des  Garns,  oder  die  ange- 
messene Zurichtung  der  Kette  und  des  Einschlags,  ehe  sie 
auf  den  Stuhl  kommen,  erleichtern  und  abkürzen ;  eine 
Tätigkeit,  die  vor  der  Erfindung  jener  Maschinen  äußerst 
langwierig  und  mühsam  gewesen  sein  muß;  drittens  die 
Anwendung  der  Walkmühle  statt  des  früher  üblichen 
Tretens  im  Wasser.  Weder  Wind-  noch  Wassermühlen 
irgend  einer  Art  waren  in  England,  und,  so  viel  ich  weiß, 
überhaupt  in  dem  nördlichen  Europa  diesseits  der  Alpen, 
vor  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  bekannt.  In 
Italien  sind  sie  etwas  früher  eingeführt  worden. 

Diese  Umstände  erklären  es  vielleicht,  warum  der 
wirkliche  Preis  der  groben  und  feinen  Manufakturwaren 


Kap.  XL:  Sachpreis  der  liulustrieerzeugni.sse.  34-1 

in  jener  Zeit  so  viel  höher  war  als  heute.  Es  kostete 
eine  größere  Menge  Arbeit,  die  Waren  herzustellen:  des- 
halb mußten  sie  um  eine  größere  Menge  Arbeit  ge- 
kauft werden. 

Die  Herstellung  grober  Ware  wurde  damals  in 
England  wahi'scheinlich  ebenso  betrieben,  wie  überall, 
wo  Künste  und  Gewerbe  sich  in  ihrer  Kindheit  befinden. 
Wahrscheinlich  war  es  eine  Hausindustrie,  bei  der  die 
verschiedenen  Teile  der  Arbeit  von  den  einzelnen 
Familiengliedern  verrichtet  wurden ;  und  zwar  so,  daß 
sie  nur  dann  daran  arbeiteten,  wenn  sie  nichts  weiter 
zu  tun  hatten;  es  war  keineswegs  ihr  Hauptgeschäft, 
wodurch  sie  den  größten  Teil  ihres  Unterhalts  er- 
v^'erben  mußten.  Solche  Arbeit  kommt,  wie  bereits  be- 
merkt, immer  viel  wohlfeiler  auf  den  Markt,  als  andere, 
die  die  hauptsächlichste  oder  einzige  Quelle  des  Lebens- 
unterhalts für  den  Arbeiter  ist.  Die  feine  Fabrikation 
andrerseits  wurde  zu  jener  Zeit  nicht  in  England,  son- 
dern in  dem  reichen  und  handeltreibenden  Flandern, 
wahrscheinlich  ebenso  wie  jetzt  von  Leuten  getrieben, 
die  darin  ihren  ganzen  oder  den  Hauptteil  ihres  Unter- 
halts fanden.  Es  war  also  eine  ausländische  Fabrikation 
und  hatte  eine  Abgabe  zu  zahlen,  nämlich  mindestens 
den  alten  Tonnen-  und  Pfundzoll.  Diese  Abgabe  war 
allerdings  nicht  sehr  groß.  Es  war  damals  nicht  euro- 
päische Politik,  die  Einfuhr  fremder  Industrieerzeugnisse 
durch  hohe  ^Abgaben  zu  beschränket!,  sondern  man 
munterte  sie  vielmehr  auf,  damit  die  Kaufleute  imstande 
wären,  die  großen  Herren  mit  den  Grenußmitteln  und 
Luxusartikeln,  die  sie  brauchten,  und  die  ihnen  die 
Industrie  ihres  eigenen  Landes  nicht  schaffen  konnte, 
so  wohlfeil  als  möglich  zu  versorgen. 

Diese  Umstände  erklären  es  vielleicht,  warum  in 
jener  Zeit  der  wirkliche  Preis  der  groben  Fabrikate  im 


342  Erstes  Buch:  Zimalime  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

Verhältnis  zu   dem   der  feinen    so  viel   niedriger  war, 
als  gegenwärtig. 

Schluß  des  Kapitels. 

Ich  will  dieses  recht  lange  Kapitel  mit  der  Bemer- 
kung schließen,  daß  jede  Verbesserung  in  den  Verhält- 
nissen der  Gesellschaft  mittelbar  oder  unmittelbar  die 
wirkliche  Grundrente,  den  wirklichen  Reichtum  des 
Grundeigentümers,  seine  Kraft,  die  Arbeit  oder  das 
Arbeitsprodukt  andrer  Leute  zu  kaufen,  erhöht. 

Die  Ausdehnung  der  Kultur  tut  es  unmittelbar. 
Der  Anteil  des  Grundeigentümers  an  dem  Ertrag 
wächst  notwendig  mit  seiner  Zunahme.  Ebenso  führt 
die  Preissteigerung  derjenigen  Bodenprodukte,  die  an- 
fänglich erst  infolge  der  ausgedehnteren  Bodenkultur 
im  Preise  steigen,  dann  aber  eine  noch  weitere  Aus- 
dehnung der  Kultur  veranlassen,  also  z.  B.  das  Steigen 
der  Viehpreise,  unmittelbar  und  in  noch  höherem  Maße 
zur  Erhöhung  der  Grundrente.  Nicht  allein  steigt  der 
wirkliche  Wert  des  Anteils,  den  der  Grundeigentümer 
erhält,  d.  h.  seine  wirkliche  Verfügungskraft  über  die 
Arbeit  andrer  Leute,  mit  dem  wirklichen  Werte  des 
Ertrags,  sondern  auch  das  Verhältnis  dieses  Anteils 
zu  dem  ganzen  Ertrage  steigt  mit  diesem.  Die  Her- 
vorbringung der  Erträge  erfordert  nach  dem  Steigen 
ihrer  Preise  nicht  mehr  Arbeit  als  zuvor.  Daher  reicht 
schon  ein  kleinerer  Teil  von  ihnen  hin,  das  Kapital, 
das  die  Arbeit  beschäftigt,  samt  dem  üblichen  Gewinn 
zurückzuerstatten,  und  es  fällt  notwendig  der  größere 
Teil  dem  Grundeigentümer  zu. 

Alle  die  Mittel,  welche  die  Arbeit  [)roduktiver 
machen  und  den  wirklichen  Preis  der  Industrieerzeug- 
uisse  unmittelbar  zu  ermäßigen  streben,  führen  mittel- 
bar zur  Erhöhung  der  Grundrente.    Der  Gi'undoigen- 


Kap.  XI.:  Die  Grunclvente.  343 

tümer  vertauscht  den  Teil  seiner  Produkte,  der  über 
seinen  eignen  Verbrauch  hinausgeht,  beziehungsweise 
den  Preis  dieses  Teils  gegen  Industrieerzeugnisse. 
Alles,  was  den  Preis  der  letzteren  ermäßigt,  erhöht 
den  der  ersteren.  Die  gleiche  Menge  Rohprodukte  wird 
dadurch  eine  größere  Menge  Industrieerzeugnisse  wert, 
und  der  Grundeigentümer  ist  sonach  imstande,  eine 
größere  Menge  von  Gegenständen  des  Komforts  und 
Luxus  zu  kaufen. 

Jede  Zunahme  des  wirklichen  Reichtums  der  Ge- 
sellschaft, jede  Zunahme  der  Menge  nützlicher  Arbeit, 
die  in  ihr  verrichtet  wird,  führt  mittelbar  zur  Erhö- 
hung der  Grundrente.  Ein  gewisser  Teil  dieser  Arbeit 
kommt  natürlich  dem  Boden  zu  Gute.  Eine  größere 
Zahl  von  Menschen  und  Vieh  trägt  zu  seiner  Kultur 
bei,  der  Ertrag  steigt  mit  dem  darauf  verwendeten 
größeren  Kapital  und  die  Rente  steigt  mit  dem  Ertrage. 

Andrerseits  führt  das  Gegenteil,  die  Vernachlässi- 
gung der  Bodenkultur,  der  Preisfall  der  Bodenprodukte, 
die  Preissteigerung  der  Fabrikate  infolge  des  Verfalls 
der  Industrie,  die  Abnahme  des  wirklichen  Reichtums 
der  Gesellschaft  —  alles  dies  führt  dahin,  die  Grund- 
rente zu  vermindern,  den  wirklichen  Reichtum  des 
Grundeigentümers  zu  schmälern,  seine  Fähigkeit,  die 
Arbeit  oder  das  Arbeitsprodukt  andrer  Leute  zu  kaufen, 
zu  verringern. 

Der  gesamte  Jahresertrag  des  Bodens  und  der 
Arbeit,  beziehungsweise  der  Gesamtpreis  dieses  Jahres- 
ertrags zerfällt,  wie  bereits  bemerkt,  naturgemäß  in 
drei  Teile:  die  Grundrente,  den  Arbeitslohn  und  den 
Kapitalgewinn,  und  bildet  ein  Einkommen  für  drei  ver- 
schiedene Volksklassen,  nämlich  für  die,  welche  von  der 
Rente,  die,  welche  vom  Lohn,  und  die,  welche  vom 
Gewinn  leben.  Dies  sind  die  drei  großen,  ursprünglichen 
Stände,  aus  denen  jede  zivilisierte  Gesellschaft  besteht, 


344  Ei"stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskral't  der  Arbeit. 

und  aus  deren  Einkommen  schließlich  das  Einkommen 
aller  anderen  Stände  bestritten  wird. 

Das  Interesse  des  ersten  dieser  drei  großen  Stände 
ist,  wie  aus  dem  eben  gesagten  hervorgeht,  mit  dem 
allgemeinen  Interesse  der  Gesellschaft  innig  und  unzer- 
trennlich verbunden.  Was  dem  einen  förderlich  oder 
hinderlich  ist,  das  ist  dies  notwendig  auch  dem  anderen. 
Werden  Angelegenheiten  des  Verkehrs  oder  der  Politik 
öffentlich  beraten,  so  können  die  Grundeigentümer, 
wenigstens  wenn  sie  ihr  Interesse  einigermaßen  ver- 
stehen, niemals  die  öffentliche  Meinung  irreleiten,  um 
das  Sonderinteres'se  ihres  Standes  dadurch  zu  fördern. 
Freilich  mangelt  ihnen  die  Kenntnis  ihrer  eigenen 
Interessen  nur  allzuoft.  Sie  sind  die  einzigen  unter  den 
drei  Ständen,  die  ihr  Einkommen  weder  Arbeit  noch 
Sorge  kostet,  die  von  ihren  Einkünften  gleichsam  auf- 
gesucht werden  und  die  weder  Pläne  noch  Projekte 
zu  machen  brauchen.  Gleichgültigkeit,  die  natürliche 
Folge  der  Bequemlichkeit  und  Sicherheit  ihrer  Lage, 
macht  sie  nur  allzuoft  nicht  nur  unwissend,  sondern 
auch  jener  Anstrengung  des  Geistos  unfähig,  die  er- 
fordert wird,  um  die  Folgen  politischer  Maßnahmen 
vorherzusehen  und  zu  begreifen. 

Das  Interesse  des  zweiten  Standes,  desjenigen,  der 
vom  Lohn  lebt,  ist  ebenso  innig  mit  dem  Interesse  der 
Gesellschaft  verknüpft,  als  das  des  ersten.  Der  Lohn  des 
Arbeiters  ist,  wie  bereits  gezeigt  worden,  niemals  so 
hoch,  als  wenn  die  Nachfrage  nach  Arbeit  stetig  zunimmt, 
und  die  beschäftigte  Arbeitermenge  von  Jahr  zu  Jahr 
erheblich  wächst.  Wenn  dieser  wahre  Reichtum  der 
Gesellschaft  stillstehend  bleibt, so  sinkt  der  Lohn  des  Ar- 
beiters bald  auf  das  Niveau,  auf  dem  er  nur  eben  noch  im- 
stande ist,  eine  Familie  durchzubringen,  oder  das  Ar- 
beitergeschlecht fortzupflanzen.  Gerät  die  Gesellschaft 
in  Verfall,  so  sinkt  der  Lohn  sogar  noch  tiefer.    Der 


Kap.  XI.:  Die  Grundrente.  3^5 

Stand  der  Eigentümer  mag  vielleicht  noch  mehr  bei 
dem  Gedeihen  der  Gesellschaft  gewinnen,  als  der  Arbeitor- 
stand;  aber  kein  Stand  leidet  so  grausam  beim  Verfalle 
der  Gesellschaft.  Obgleich  aber  das  Interesse  des  Arbei- 
ters so  eng  an  das  der  Gesellschaft  geknüpft  ist,  so  ist 
er  doch  unfähig,  dieses  Interesse  zu  begreifen,  oder 
seinen  Zusammenhang  mit  dem  eigenen  zu  verstehen. 
Seine  Lage  läßt  ihm  keine  Zeit,  sich  darüber  gehörig 
zu  unterrichten,  und  Erziehung  und  Gewohnheiten  sind 
bei  ihm  gewöhnlich  dazu  angetan,  ihn  urteilsunfähig  zu 
machen,  selbst  wenn  er  aufs  beste  darüber  unterrichtet 
wäre.  Daher  wird  bei  öffentlichen  Beratungen  auf  seine 
Stimme  nur  wenig  gehört  und  geachtet,  außer  in  ge- 
wissen Fällen,  wo  sein  Notruf  von  den  Arbeitgebern  er- 
regt, angetrieben  und  unterstützt  wird,  nicht  in  seinem, 
sondern  in  ihrem  eigenen  Interesse. 

Seine  Arbeitgeber  bilden  den  dritten  Stand,  den 
Stand  derer,  die  vom  Gewinn  leben.  Das  behufs  Ge- 
winn angelegte  Kapital  setzt  den  größten  Teil  der 
nützlichen  Arbeit  einer  Gesellschaft  in  Bewegung.  Die 
Pläne  und  Entwürfe  derer,  welche  Kapitalien  anlegen, 
regeln  und  leiten  die  wichtigsten  Arbeitsverrichtungen, 
und  Gewinn  ist  der  allen  diesen  Plänen  und  Entwürfen 
zu  Grunde  liegende  Zweck.  Allein  der  Gewinnsatz  steigt 
nicht,  wie  die  Rente  und  der  Arbeitslohn,  mit  dem  Ge- 
deihen der  Gesellschaft,  und  sinkt  nicht  mit  ihrem  Ver- 
fall. Er  ist  im  Gegenteil  seiner  Natur  nach  in  reichen 
Ländern  niedrig,  in  armen  hoch,  und  in  Ländern,  die 
am  schnellsten  ihrem  Untergang  entgegeneilen,  stets  am 
höclisten.  Das  Interesse  dieses  dritten  Standes  hat  mit- 
hin nicht  den  gleichen  Zusammenhang  mit  dem  allge- 
meinen Interesse  der  Gesellschaft,  wie  das  der  beiden 
anderen.  Großhändler  und  Fabrikherren  sind  in  diesem 
Stande  die  beiden  Klassen,  die  gewöhnlich  die  größten 
Kapitalien    anlegen,  und    sich    durch    ihren  Reichtum 


346  Erstes  Bucli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 

das  meiste  Ansehen  verschaffen.  Da  sie  sich  ihr  ganzes 
Leben  lang  mit  Plänen  und  Entwürfen  tragen,  haben 
sie  oft  einen  schärferen  Verstand  als  die  meisten  Land- 
edelleute.  Allein  da  ihre  Gedanken  sich  gewöhnlich  mehr 
mit  dem  Interesse  ihres  besonderen  Geschäftszweiges  be- 
schäftigen, als  mit  dem  Interesse  der  Gesellschaft,  so 
kann  man  sich  auf  ihr  Urteil,  selbst  wenn  es  mit  der 
größten  Aufrichtigkeit  gegeben  wird  —  was  nicht  in 
allen  Fällen  geschieht  —  weit  mehr  hinsichtlich  des 
ersteren,  als  des  letzteren  verlassen.  Ihre  Überlegen- 
heit über  die  Landedelleute  besteht  nicht  sowohl  in 
ihrer  besseren  Einsicht  in  die  öffentlichen  Interessen, 
als  darin,  daß  sie  ihre  eigenen  Interessen  besser  wür- 
digen, als  jene  die  ihrigen.  Infolge  dieser  überlegenen 
Kenntnis  ihres  eigenen  Interesses  haben  sie  oft  die 
Großmut  des  Landadels  gemißbraucht,  und  ihn  über- 
redet, sowohl  sein  eigenes  wie  das  Interesse  des  Staats 
preiszugeben,  in  der  einfältigen,  aber  ehrlichen  Über- 
zeugung, daß  das  öffentliche  Interesse  durch  das  der 
Großhändler  und  nicht  durch  das  der  Landedelleute 
gefördert  werde.  Das  Interesse  der  Händler  in  jedem 
Zweige  des  Handels  und  der  Gewerbe  ist  jedoch  stets 
in  gewisser  Hinsicht  vom  öffentlichen  Interesse  ver- 
schieden und  ihm  sogar  entgegengesetzt.  Es  liegt 
immer  im  Interesse  der  Händler,  den  Markt  zu  er- 
weitern und  den  Wettbewerb  einzuschränken.  Die  Er- 
weiterung des  Marktes  ist  oft  für  das  öffentliche 
Interesse  vorteilhaft,  aber  die  Einschränkung  des  Wett- 
bewerbs muß  ihm  stets  schädlich  sein,  und  kann  nur 
dazu  dienen,  den  Händlern  gröl3ere  Gewinne  zu  ver- 
schaffen, als  sie  ihrer  Natur  nach  sein  würden,  und 
sie  dadurch  instand  zu  setzen,  zu  ihren  Gunsten  den 
übrigen  Bürgern  eine  sinnlose  Abgabe  aufzulegen. 
Vorschläge  zu  neuen  Gesetzen  oder  Regelungen  des 
Verkehrs,    welche    von    dieser    Seite    kommen,    sollte 


Die  Preise  des  Weizens  in  England. 


347 


man  stets  nur  mit  der  größten  Vorsicht  aufnehmen  und 
sie  niemals  billigen,  bevor  man  sie  nicht  nur  mit 
der  gewissenhaftesten,  sondern  auch  mit  der  arg- 
wöhnischsten Aufmerksamkeit  lange  und  reiflich  ge- 
prüft hat.  Sie  kommen  von  einer  Klasse  von  Leuten, 
deren  Interesse  niemals  genau  mit  dem  öffentlichen 
zusammenfällt,  die  gewöhnlich  ein  Interesse  haben, 
das  Publikum  zu  täuschen  und  selbst  zu  bedrücken, 
und  die  es  wirklich  bei  vielen  Gelegenheiten  getäuscht 
und  bedrückt  haben. 


Die  Weizenpreise  in  England  nach  Fleetwood. 


12 
Jahre. 

Preis 
Weizen 

des  Quarters 
in  jedem  Jahre. 

DurohsehuiU  der  ver- 
schiedeneu Preise  ein 
und  desselben  Jahres. 

üurohsohnittspreis  je- 
des Jahres  uaeh.jetzifyem 
Gelde  bereohnel. 

^ 

sh. 

(l. 

je 

sh.         d. 

^        sh. 

a. 

1202 

E 

12 
12 

^j 

— 

—        — 

1        16 

— 

1205 

13 

— 

13          5 

2       

3 

15 

1223 

— ■ 

12 

— 

— 

—        — 

1        16 

-- 

1237 

— 

3 

4 

— 

—        — 

—        10 

— 

1243 

— 

2 

— 

— 

—        — 

—          6 

— 

1244 

— 

2 

— 

— 

—       — 

—          6 

— 

1246 

— 

16 

— 

— 

—       — • 

2          8 

— 

1247 

. — 

13 

4 

— 

—       — 

2        

— 

1257 

1 
f  1 

4 

B 

— 

—       — 

3        12 

— 

1258 

- 

15 

— 

17        — 

2        11 

— 

— 

16 

1270 

{t 

16 

8 

-} 

5 

12        — 

16        16 

— 

1286 

{- 

2 
16 

-] 

— 

9          4 
Summe: 

1          8 

— 

35          9 

3 

Dure 

iSL'luiiUspreis: 

2        19 

iVi 

348  Erstes   Buch:  Zunuhme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 


12 

Jahre, 

Preis 
Weizen 

des  Quarters 
in  jedem  Jahre 

Durcbsclniitt  der  ver- 
si'liiodenen  Preise  ein 
und  desselben  Jaiires. 

Durchf- 

des  Jahi 

Gel( 

elmiltspreis  je- 
"esnaeh  jelzif^em 
e  boreelinet. 

^ 

sh. 

d. 

jC         Sil.           d. 

je 

sh.           d. 

1287 



3 

4 

—          —          — 

— 

10        — 





4 

1288 



3 

9 
12 

6 

6 

8 

4 
4) 

—         3        'U 

9       •^'4 

1289 

1 

2 

—  . 

—      10    PA 

1 

10    42/4 

10 

8 

1290 

16 



__      

2 

8       — 

1294 



16 

— 

—      —      — 

2 

8       — 

1802 



4 

— 

—      —      — 

— 

12       — 

1309 

■ — 

7 

2 

—      —      — 

1 

1          6 

1315 

1 
(     1 

1 
1 

— 

— 

—      —      — 

3 

—       — 

131G 

10 
12 

— 

1        10          6 

4 

11          6 

2 

— 

— . 

■  2 

4 



— 

14 

— 

1317 

2 
4 

13 

6 

8 

1        19          6 

5 

18         6 

1336 

— 

2 

— 

—        —        — 

— 

6       — 

1338 

3 

4 

Summe : 

Durchschnittspreis: 

— 

10       — 

23 

4      IIV4 

1 

18        8 

i)ie  Preise  des  Weizens  in  Eneland. 


349 


12 

Jalire. 

Preis 
Weizen 

des  Quarters 
in  jedem  Jahre. 

nurohsobnitt  der  ver- 
sehiedenen  Preise  ein 
und  desselben  Jahres. 

Durehsi 

dos  Jährt 

Geldi 

hnittspi 

snarhj 

berech 

eis  je- 
>tzig-em 
net. 

£ 

sh. 

d. 

£         sh.           d. 

£ 

sh. 

d. 

1339 

— 

9 

— 

—          —         — 

1 

7 



1349 

— 

2 

— 

—         —         — 

— 

5 

2 

1359 

1 

6 

8 

—          —           _ 

3 

2 

2 

1361 

— 

2 

— 

—         —          _ 

— 

4 

8 

13Ü3 

— 

15 

— 

—         — . 

1 

15 

— 

1369 

{} 

4 

— 

1          2        — 

2 

9 

4 

1379 

— 

4 

— 

—        —        — 

— 

9 

4 

1387 

f- 

2 
13 

4] 

—        —       — 

— 

4 

8 

1390 

\- 

14 

16 

— ■' 

—        14          5 

1 

13 

7 

1401 

16 

— 

_       —        — 

1 

17 

4 

1407 

t 

4 
3 

^'^} 

—          3        10 

— 

8 

11 

1416 

16 

Summe: 

Durchschnittspreis: 

1 

12 

— 

15 

9 

2 

1 

5 

9^/6 

1423 

— 

8 



—        — 

— 

16 

— 

1425 

— 

4 

— 

—        —        — 

— 

8 

— 

1434 

1 

6 

8 

—        —        — 

2 

13 

4 

1435 

— 

5 

4 

—        —        — 

— - 

10 

8 

1439 

{; 

6 

-^ 

1          3          4 

2 

6 

8 

1440 

1 

4 

— 

—       —       — 

2 

8 

— 

1444 

{= 

4 
4 

4 

—         4          2 

— 

8 

4 

1445 

— 

4 

6 

— 

9 

— 

1447 

— 

8 

— 

—       —       — 

— 

16 

— 

1448 

— • 

6 

8 

—       —       — 

— • 

13 

4 

1449 

— 

5 

— 

—       —       — 

— 

10 

— 

1451 

8 

Summe: 

Durclisclinittspreis: 

— 

16 

— 

12 

15 

4 

1 

1 

3V3 

350  Ei'stes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 


12 
Jahre. 

Preis 
Weizen 

des  Quarters 
ia  jedem  Jahre. 

Durchsohnitt  der  ver- 
schiedenen Preise  ein 
und  desselben  Jahres. 

Durchschnittspreis  je- 
des Jahres  nach  jetzig'cm 
Gelde  berechnet. 

£ 

sh. 

d. 

^        sh.         d. 

£ 

sh. 

d. 

1453 

— 

5 

4 

—        —        — 

— 

10 

8 

1455 



1 

2 

—        —        — 

— 

2 

4 

1457 



7 

8 

—        — -        — 

— 

15 

4 

1459 

— 

5 

— 

—        —        — 

— ■ 

10 

— 

1460 



8 

— 

—        —        — 

— 

16 

— 

1463 

t 

2 

1 

-^} 

—          1        10 

— 

3 

8 

1464 



6 

8 

—        —       — 

— 

10 

— 

1486 

1 

4 

— 

—        —        — 

1 

17 

— 

1491 

— 

14 

8 

—        —        — 

1 

2 

— 

1494 

— 

4 

— 

—        -^ 

— 

6 

— 

1495 



3 

4 

—       — 

— 

5 

— 

1497 

1 

Summe : 
Durchschnittspreis: 

1 

11 

— 

8 

9 

— 

— 

14 

1 

1499 

— 

4 

— 

—        —        — 

— 

6 

— 

1504 

— 

5 

8 

—        —        — 

— 

8 

6 

1521 

1 

— 

— 

—        —        — 

1 

10 

— 

1551 

— 

8 

— 

—        —        — 

— 

2 

— 

1553 



8 

— 

—        —        — 

— 

8 

— 

1554 



8 

— 

—        —        — 

— 

8 

— 

1555 

— 

8 

— 

—        — .        — . 

— 

8 

— 

1556 

— 

8 

~ 

—        —        — 

■■ — 

8 

— 

1557 

ll 

4 
5 

8 

4) 

—       17     8V2 

— 

17 

8V2 

13 

1558 

— 

8 

— 

—       —       — 

— 

8 

— 

1559 

— 

8 

— 

—       —       — 

— 

8 

— 

1560 

8 

Summe : 

Durchschnittspreis: 

— 

8 

— 

6 

— 

2V2 

10 

s/24 

Die  Preise  des  Weizens  in  England. 


351 


12 

.Tahro. 

Preis 
Weizen 

des  Quarters 
ia  jedem  Jabro. 

Durchschnitt  der  ver- 
schiedenen Preise  ein 
und  desselben  Jahres. 

Durchschnittspreis  je- 
des Jahres  nach  je  tzig'em 
Gelde   bereclinet. 

£ 

sh. 

d. 

je       sh.         d. 

je 

sh. 

d. 

1561 

— 

8 

— 

—        —       — 

— 

8 

— 

1562 

— 

8 

— 

—        —       — 

— 

8 

— 

1574 

{\ 

16 
4 

=} 

2        —        — 

2 

— 

— 

1587 

3 

4 

— 

—        —        — 

3 

4 

— 

1594 

2 

16 

— 

—        —        — 

2 

16 

— 

1595 

2 

13 

— 

—        —        — 

2 

13 

— 

1596 

4 

— 

— 

—       —        — 

4 

— 

— 

1597 

{\ 

4 

=} 

4        12       — 

4 

12 

— 

1598 

2 

16 

8 

—       —       — 

2 

16 

8 

1599 

1 

19 

2 

—       —       — 

1 

19 

2 

1600 

1 

17 

8 

—       —       — 

1 

17 

8 

1601 

1 

14 

10 

Summe: 

Durchschnittspreis: 

1 

14 

10 

28 

9 

4 

2 

7 

5V3 

Preise  des  Quarters  von  9  Bushel  des  besten  oder  höchst- 
bezahlten Weizens  auf  dem  Markte  von  Windsor  am  Marien- 
und  am  Michaelistage  von  1595  bis  1764.  Der  Preis  jedes 
Jahres  ist  das  Mittel  der  höchsten  Preise  jener  beiden 
Markttage. 


Jahre. 

Quarte 

r  Weizen. 

Jahro. 

Quarter 

Weizen 

je 

sh. 

d. 

je 

sh. 

d. 

1595      .      . 

2 

— 

— 

Transport : 

10 

14 

2 

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352   Erstes  Biicli:  Zunahme  in  der  Ertragskraft  der  Arbeit. 


Jahre. 

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Die  Preise  des  Weizens  in  Enaland. 


353 


Jahre. 


Quarter  Weizen. 


Quarter  "Weizen. 


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18     10 

3     — 

—       4 

18     — 


A.  Smitli.  Volkswohlstand.     1. 


77        8     10 
23 


354   Erstes  Buch:  Zunahme  in  der  Ertragskraft   der  Arbeit. 


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13 

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355 
VERLAG  von  R.  L.  PRAGER  in  BERLIN,  NW.  7. 


Wirthschaftliche  Weltlage. 

Börse  und  Geldmarkt  für  die  Jahre  1888,  91,  92,  93,  94, 
95,  96,  97,  98,  99,    1900,  Ol. 
'  Vou  Julius  Basch 

Redakteur  der  „National-ZeitUDg". 
Kl.  8.     12  Hefte.     1889-1902.     Eleg.  brosch.     Preis  ä  M  1.—. 

JOHN  LAW  und  sein  System. 

Ein  Beitrag  zur  Finanz-  und  Münzgeschichte. 

Vou  S.  AlexLi. 

8.     1885.    VII,  67  S.  mit  2  Tafelu  Abbildungen  u.  3  Tabellen.     Brosch.  M  5. 

Die  „Ausschreitungen  des  Buchhandels" 
Antwort  auf  die  Denl<sclirift  des  Alcademischen  Scliutzvereins 

von  R.  JL.  Präger. 

IV,  142  Seiten.  8.  1903.  Eleg.  brosch.  Preis  M  1,20. 
Eine  sachliche,  den  Behauptungen  Prof.  Karl  Büchers  in  seiner  Denkschrift 
auf  Tritt  und  Schritt  nachgehende  und  sie  widerlegende  Arbeit. 

Urheberrecht  und  Buchhandel 

in  sozialistischer  Beleuchtung. 

Kleinhandel,  Warenhäuser,  Rabatt. 

Studien  vou  Robert  Prager. 

8.     34  Seiten.     1900.     Preis  60  Pf. 

Watrenhäuser  und  BuchhandeL 

Eine  Osterbetrachtung  vou  Robert  Prager. 
8.  8  SS.  1901.  Preis  40  Pf. 


Das  Recht  der  Handlungsgehilfen  nach  dem  neuen  HGB. 

Zwei  Vorträge  gebalten  von  R,  L.  Prager. 

gr.  8.     17  Seiten.     1898.     M  —.60. 

Das  Recht  am  eigenen  Bilde. 

Bibliotheken,  Bibliothekare  und  Buchhandel. 

Die  Bibliothek  des  Börsenvereins. 

Von  Robert  Prager. 

8.  1903.  44  Seiten.  Preis  M  1. 

Socialpolitische  Studien^ 

Beiträge  zur  Politik,  Geschichte  und  Ethik  der  socialen  Frage. 

Zwei  Bücher. 
Vou  Dr.  Heinrich  Hirsch. 

VIII,  144  S.     1897.     gr.  8.     Eleg.  broch.  M  3. 


356 

VERLAG  von  R.  L  PRAGER  in  BERLIN,  NW.  7. 


Verfassungsgeschichte  der  deutschen  Freistädte. 

Von  W.  Arnold. 

2  Bde.  8.  XL,  444  u.  XVI,  502  SS.  (Ladenpr.  M  IG)  herabg.  Preis  M  H. 

Die  Territorien 

in  Bezog  anf  ihre  Bildang  und  £ntwickelaiig. 

Von  Georg  Landau. 
gr.  8.  VIII,  392  S.  1854.  Ladenpreis  M  7,50.  Herabgesetzter  Preis  M  4. 

H.  Storch 

Handhucit  der  Mationaiwiriltscitafisieitrem 

Nach  dem  Französischen  mit  Zusätzen 

von  K.  H.  Rau. 

3  Bde.  8.  XX,  492  Seiten.  VIII,  518  Seiten.  VI,  498  Seiten  u.  Tfln.  1819-20. 

(Ladenpreis  M  22,50.)  Herabgesetzter  Preis  M.  5. 

Die  Statistil(  und  die  Sozialwissenscliaften. 

Von  E.  IMorpurgo. 

Aus  dem  Italienischen. 

gr.  8.    VIII,  550  SS.    Mit  3  Tfln.  u.  1  Karte.    1877.    (Ladenpreis  M  U.) 

Herabgesetzter  Preis  IM  5. 

Vorlesungen  über  englische  Verfassungsgeschichte. 

Von  M.  Bädinger. 

gr.  8.    X,    341  SS.    1880.     (Ladenpreis  M  9)      Herabgesetzter  Preis  M  4.50. 

Cr.  J.  Göschen 

Theorie  der  auswärtigen  Wechselcourse. 

Nach  Leon  Say's  2.  franz.  Ausgabe  übersetzt  von  F.  Stöpel. 
XII,  132  S.   gr.  8.    1875.    (Ladenpreis  M  2,40)   Herabgesetzter  Preis  M  1,50. 

Histoire  des  Idees  sociales  avant  la  revolution  frangaise 

ou  les  socialistes  mod.  devances  et  depasses 
par  les  anciens  penseurs  et  philosophes. 

Avec  textes  ä  l'appui. 

Par  F.  Villegardelle- 

12.  226  pp.  1846.  Prix  M  —,80. 

Leopold  von  Ranke 

Lichtstrahlen  aus  seinen  Werken. 

Gesammelt  und  mit  einem  Lebensabriss  herausgegeben 
von  Arthur  Winckler. 

XXXII,  176  Seiten,  kl.  8.  1885.  Eleg.  brosch.  M  3.-;  geb.  M  4.-. 

Dreissig    Exemplare    auf    Büttenpapier,    auf    der  Presse  numeriert    und    m 

Pergamentumschlag  ä  M  10. 


Haus  Adler,  Buobdruckorei,  Greifswald. 


Bibliothek 


der 


Volkswirtschaftslehre 

und 

Gesellschaftswissenschaft. 

Begründet  von  F.  Stöpel. 

Fortgeführt 

von 

Robert  Prager. 
IV. 


BERLIN 

VERLAG  VON  R.  L.  PRAGER 
1906. 


Adam  Smith 

Untersuchung 

über 

das  Wesen  und  die  Ursachen 

des 

Volkswohlstandes. 


Aus  dem  Englischen  übertragen 


F.  Stöpel. 


Zweite  Auflage  durchgesehen  und  verbessert 

von 

Robert  Prager. 


Zweiter  Band. 


BERLIN 

VERLAG  VON  R.  L.  PRAGER 

1906. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


Seite 

Zweites  Buch. 

Das  Kapital;  sein  Wesen,  seine  Anhäufung  und  Anlage. 

Einleitung- 1 

Erstes  Kapitel. 

Einteilung  der  Kapitalion       5 

Zweites  Kapitel. 

Das  Geld  als  ein  be.sonderei-  Zweig  des  Gesamtkapitals 
der  Gesellschaft,  oder  die  Unterhaltungskosten  des 
Nationalkapitals 16 

Drittes  Kapitel. 

Kapitalanhäufung  oder  produktive  und  unproduktive  Arbeit       77 

Viertes  Kapitel. 

Das  auf  Zinsen  ausgeliehene   Kapital 104 

Fünftes  Kapitel. 

Die  verschiedenen  Kapitalanlagen IKJ 

Drittes  Baeh. 

Die  verschiedenen  Fortschritte  zum  Reichtum  bei  den 
verschiedenen  Nationen. 

Erstes  Kapitel. 

Der  natürliche  Fortschritt  zum  Reichtum 138 

Zweites  Kapitel. 

Entmutigung    des   Ackerbaues    in    dem   früheren    Zustand 

Europas  nach  dem  Fall  des  römischen   Reichs     ,     .     .      \4~) 

Drittes  Kapitel. 

Entstehen   und   Wachsen    der    Städte    nach   dem    Fall    des 

römischen  Reichs IGl 

Viertes  Kapitel. 

Wie    der    städtische    Verkehr    zur    \'er\ollk()mmnung    iler 

Landwirtschaft  beigetragen   hat 17ti 


VI 


Viertes  Buch. 


Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Einleitung 19-4 

Erstes  Kapitel. 

Grundsätze  des  Handels-  oder  Morkantilsysteins    ....     195 

Zweites  Kapitel. 

Beschränkungen  der  Einfuhr  solcher  AVaren,  die  im  Lande 

selbst  hervorgebracht  werden  können 226 

Drittes  Kapitel. 

Die  außergewöhnlichen  Einfuhrbeschränkungen  von  Waren 
aus  solchen   Ländern,    von  denen   angenommen    wird, 
daß  die   Handelsbilanz  mit  ihnen   ungünstig  ist. 
Erster  Teil. 

Die  Unvernuni't  solcher  Einschränkungen  selb.st  nach  den 

Grundsätzen  des  Handelssystems 254 

Ab.schweifung  über  die   Depositenbanken,   namentlich   die- 
jenige Amsterdams 2(53 

Zweiter  Teil. 
Von  der  Unvernunft   solcher   außerordentlichen  Beschrän- 
kungen nach  anderen  Grundsätzen 276 

Viertes  Kapitel. 

Über  Rückzölle 291 


Zweites  Buch. 

Das  Kapital, 
sein  Wesen,  seine  Anhäufung  und  Anlage. 


Einleitung. 

Im  unkultivierten  Zustande  der  Gesellschaft,  wo  es 
keine  Arbeitsteilung  gibt,  Tausche  nur  selten  vorkom- 
men, und  Jedermann  sich  Alles  selbst  verfertigt,  braucht 
kein  Yorrat  im  Voraus  angesammelt  zu  werden,  um  die 
Greschäfte  der  Gesellschaft  damit  zu  betreiben.  Jeder- 
mann sucht  durch  eigene  Arbeit  seine  gelegentlichen 
Bedürfnisse  zu  befriedigen.  Wenn  er  hungrig  ist,  geht 
er  in  den  Wald,  um  zu  jagen;  ist  seine  Kleidung  ab- 
getragen, so  bedeckt  er  sich  mit  dem  Felle  des  ersten 
besten  von  ihm  getöteten  großen  Tieres,  und  wenn 
seine  Hütte  baufällig  wird,  so  bessert  er  sie,  so  gut  es 
gehen  will,  mittels  Holz  und  Rasen  aus. 

Ist  hingegen  die  Arbeitsteilung  erst  einmal  durch- 
weg eingeführt,  so  kann  eines  Menschen  eigene  Arbeit 
nur  einen  sehr  kleinen  Teil  seiner  gelegentlichen  Be- 
dürfnisse befriedigen.  Den  größten  Teil  von  ihnen 
liefern  ihm  die  Erzeugnisse  Anderer,  die  er  mit  den  Er- 
zeugnissen seiner  Arbeit,  oder,  was  dasselbe  ist,  mit  dem 

Adam  Smith,  Volkswohlslaud.  H.  1 


2  EinleitTino-. 

Preise  dieser  Erzeugnisse  kauft.  Dieser  Kauf  kann  je- 
doch erst  dann  erfolgen,  wenn  das  Produkt  seiner  Ar- 
beit nicht  nur  fertig  ist,  sondern  auch  einen  Käufer 
gefunden  hat.  Es  muß  daher  ein  hinreichender  Vorrat 
verschiedener  Waren  gesammelt  werden,  um  ihn  zu 
unterhalten  und  wenigstens  so  lange  mit  Rohstoffen  und 
Werkzeugen  zu  versorgen,  bis  Beides  eingetreten  ist. 
Ein  Weber  kann  sich  seinem  Geschäfte  nicht  gänzlich 
hingeben,  wenn  nicht  zuvor  irgendwo,  sei  es  in  seinem 
eigenen  oder  im  Besitze  einer  anderen  Person,  ein  hin- 
reichender Vorrat  gesammelt  worden  ist,  um  ihm  Un- 
terhalt zu  gewähren  und  ihn  mit  den  Materialien  und 
Werkzeugen  zu  seiner  Arbeit  so  lange  zu  versorgen, 
bis  er  sein  Gewebe  nicht  nur  vollendet,  sondern  auch 
verkauft  hat.  Diese  Anhäufung  muß  offenbar  erfolgt 
sein,  ehe  er  seinen  Fleiß  für  so  lange  Zeit  einem 
solchen  Geschäfte  widmen  kann. 

Wie  die  Anhäufung  des  Vorrates  naturgemäß  der 
Arbeitsteilung  vorhergehen  muß,  so  kann  auch  die  Ar- 
beit nur  in  dem  Maße  mehr  und  mehr  geteilt  werden, 
wie  zuvor  mehr  und  mehr  Vorräte  gesammelt  sind. 
Dieselbe  Anzahl  Leute  kann  eine  weit  größere  Menge 
Rohstoffe  verarbeiten,  wenn  die  Arbeit  mehr  geteilt 
wird,  und  da  die  Verrichtungen  jedes  Arbeiters  sich 
immer  mehr  vereinfachen,  so  werden  viele  neue  Ma- 
schinen erfunden,  die  zur  Erleichterung  und  Abkürzung 
jener  Verrichtungen  dienen.  Wenn  daher  die  Arbeits- 
teilung fortschreitet,'  so  muß,  um  einer  gleichen  Anzahl 
von  Arbeitern  fortwährend  Beschäftigung  bieten  zu 
können,  ein  gleicher  Vorrat  von  Lebensmitteln  und  ein 
größerer  Vorrat  von  Matei-ialien  und  Werkzeugen  ange- 
sammelt werden,  als  in  einem  roheren  Zustand  erforder- 
lich war.  Die  Zahl  der  Arbeiter  in  jedem  Geschäfts- 
zweige wächst  aber  im  Allgemeinen  mit  der  Arbeits- 
teilung in  diesem  Zweige,  oder  vielmehr  die  Zunahme 


Einleituno-.  3 

ihrer  Anzahl  macht  es  ihnen  möglich,  in  dieser  Weise 
die  Arbeit  unter  sich  zu  teilen. 

Die  Ansammlung  von  Vorräten  oder  Kapitalien  ist 
also  notwendig,  um  diesen  großen  Fortschritt  in  der 
Erhöhung  der  Erzeugungskraft  der  Arbeit  zu  bewerk- 
stelligen, und  die  Kapitalienansammlung  ihrerseits  führt 
wiederum  diesen  Fortschritt  herbei.  Wer  sein  Kapital 
im  Unterhalt  von  Arbeit  anlegt,  wünscht  natürlich  es 
so  anzulegen,  daß  eine  möglichst  große  Menge  Arbeit 
hervorgebracht  wird.  Er  sucht  daher  sowohl  unter 
seinen  Arbeitern  die  geeignetste  Teilung  der  Beschäf- 
tigungen herbeizuführen,  als  sie  mit  den  besten  Werk- 
zeugen zu  versehen,  die  er  erfinden  oder  kaufen  kann. 
Er  vermag  beides  gewöhnlich  nur  im  Verhältnis  zu  der 
Größe  seines  Kapitals  oder  der  Zahl  von  Leuten,  die 
es  beschäftigen  kann.  Der  Gewerbfleiß  eines  Landes 
nimmt  daher  nicht  aliein  mit  der  Zunahme  des  Kapitals, 
das  zu  dessen  Unterhalt  dient,  zu,  sondern  infolge 
dieser  Zunahme  bringt  auch  die  nämliche  Menge  Ar- 
beit eine  weit  größere  Menge  Erzeugnisse  hervor. 

Dies  sind  im  Allgemeinen  die  Wirkungen  der 
Kapitalienzunahme  auf  den  Gewerbfleiß  und  dessen 
erzeugende  Kräfte. 

Im  folgenden  Buch  suche  ich  das  Wesen  des  Kapi- 
tals, die  Wirkungen  seiner  Ansammlung  in  verschiedenen 
Kapitalsgattungen  und  der  verschiedenen  Verwendungen 
dieser  Kapitalien  darzulegen.  Dies  Buch  zerfällt  in  fünf 
Kapitel.  Im  ersten  Kapitel  suche  ich  die  verschiedenen 
Teile  oder  Zweige  zu  erklären,  in  welche  das  Kapital, 
sei  es  eines  Individuums  oder  einer  großen  Gemein-. 
Schaft,  sich  teilt.  Im  zweiten  suche  ich  das  Wesen  und 
die  Verrichtungen  des  Geldes,  als  eines  besonderen 
Teiles  des  allgemeinen  Gesellschaftskapitals,  zu  er- 
läutern. Das  Geldkapital  kann  entweder  von  seinem 
Besitzer  verwendet  oder  einer  anderen  Person  darge- 


4  Einleitung. 

liehen  werden.  Im  dritten  und  vierten  Kapitel  prüfe 
ich  die  Art  und  Weise  seiner  Wirksamkeit  in  diesen 
beiden  Beziehungen.  Das  fünfte  und  letzte  Kapitel 
handelt  von  den  Wirkungen,  die  die  verschiedenen 
Kapitalanlagen  unmittelbar  auf  die  Menge  der  Arbeit 
des  Volkes,  wie  auf  die  des  Jahresertrags  von  Boden 
und  Arbeit  hervorbrincjen. 


Erstes  K  a  [>  i  t  el. 

Einteilung  der  Kapitalien. 

Wenn  der  Vorrat,  den  jemand  besitzt,  gerade  nur 
hinreicht,  um  ihm  auf  einige  Tage  oder  Wochen  Unter- 
halt zu  gewähren,  so  denkt  er  schwerlich  daran,  ein 
Einkommen  daraus  ziehen  zu  wollen.  Er  verwendet  ihn 
so  sparsam  wie  möglich,  und  sucht  durch  seine  Arbeit 
das  Verbrauchte  zu  ersetzen,  bevor  Alles  verbraucht 
ist.  Sein  Einkommen  beruht  in  diesem  Falle  lediglich 
auf  seiner  Arbeit.  Dies  ist  die  Lage  der  meisten  Ar- 
beiter in  allen  Ländern. 

Besitzt  hingegen  jemand  einen  hinlänglichen  Vor- 
rat, um  ihm  auf  Monate  oder  Jahre  Unterhalt  zu  ge- 
währen, so  sucht  er  aus  dem  größeren  Teil  ein  Ein- 
kommen zu  ziehen,  und  hebt  nur  so  viel  für  seinen 
unmittelbaren  Verbrauch  auf,  als  er  bis  zu  dem  Augen- 
blick bedarf,  an  dem  das  Einkommen  eingeht.  Sein  Ge- 
samtvorrat zerfällt  mithin  in  zwei  Teile.  Derjenige  Teil 
von  ihm,  von  dem  er  ein  Einkommen  erwartet,  heißt 
sein  Kapital  (im  engeren  Sinne).  Der  andere  Teil  dient 
zu  seinem  unmittelbaren  Verbrauch,  und  besteht  ent- 
weder: erstens  in  demjenigen  Teile  seines  Gesamtvor- 
rats, der  von  vornherein  zu  diesem  Zwecke  aufgehoben 
wurde,  oder  zweitens  in  seinem  nach  und  nach  ein- 
gehenden Einkommen  (aus  was  für  einer  Quelle  es  auch 
fließe)  oder  drittens  in  solchen  Dingen,  die  mittelst  der 
beiden  ersteren  in  früheren  Jahren  gekauft  und  noch 
nicht  vollständig  verbraucht  worden  sind,  wie  etwa  ein 
Vorrat  von  Kleidern,  Hausgerät    und  Ähnlichem.     In 


(3  Zweites  Buch :  Das  Kapital. 

dem  einen  oder  dem  anderen,  oder  in  allen  dreien 
dieser  Artikel  besteht  der  Vorrat,  den  man  gewöhnlich 
für  den  eigenen  Verbrauch  aufhebt. 

Es  gibt  z^Yei  Mittel,  ein  Kapital  so  anzulegen,  daß 
es^Einkommen  oder  G-ewinn  liefert. 

Erstlich  kann  es  in  der  Landwirtschaft,  in  der  In- 
dustrie oder  im  Handel  angelegt  werden.  Das  auf  diese 
Weise  angelegte  Kapital  liefert  solange  kein  Einkommen, 
als  es  im  Besitz  des  Kapitalisten  bleibt,  oder  seine  ur- 
sprüngliche Gestalt  behält.  Die  Waren  des  Kaufmanns 
bringen  ihm  keine  Einkünfte  oder  Gewinne,  bis  er  sie 
für  Geld  verkauft,'und  das  Geld  bringt  ihm  ebensowenig 
Etwas,  bis  ^  er  dafür  wieder  Waren  eingetauscht  hat. 
Sein  Kapital  verläßt  ihn  in  der  einen  Form  und  kehrt 
in  einer  andern  zu  ihm  zurück,  und  nur  mittelst  dieses 
Umlaufes  oder  steten  Austauschs  kann  es  ihm  einen 
Gewinn  bringen.  Solche  Kapitalien  werden  daher  sehr 
treffend  umlaufende  Kapitalien  genannt. 

Zweitens  kann  das  Kapital  auf  die  Verbesserung  des 
Bodens,  zum  Kaufe  nützlicher  Maschinen  und  Werk- 
zeuge, oder  auf  ähnliche  Dinge  verwendet  werden,  die 
Einkommen  oder  Gewinn  liefern,  ohne  die  Besitzer  zu 
wechseln  oder  weiter  umzulaufen.  Solche  Kapitalien  wer- 
den daher  ganz  treffend  stehende  Kapitalien  genannt. 

In  den  verschiedenen  Beschäftigungen  ist  das  Ver- 
hältnis zwischen  den  in  ihnen  angelegten  stehenden  und 
umlaufenden  Kapitalien  sehr  verschieden.  Das  Kapital 
eines  ^Kaufmanns  z.  B.  ist  durchaus  ein  umlaufendes. 
Er  hat  keine  Maschinen  oder  Werkzeuge  zu  seinem  Han- 
del'nötig,  wenn  man  nicht  seinen  Laden  oder  Speicher 
als  solche  betrachten  will.  Vom  Kapital  der  Handwerker 
oder  Fabrikanten  ist  ein  Teil  stets  in  Werkzeugen  fest- 
gelegt. Bei  dem  einen  Gewerbe  ist  dieser  Teil  sehr  klein, 
bei  anderen^  groß.  Ein  Schneidermeister  hat  keine 
anderen  Instrumente  nötig,  als  ein  paar  Nadeln.    Der 


Kap.   I.:  Einteilung  der  Kapitalien.  7 

Schuhmacher  braucht  etwas  mehr;  das  Werkzeug  des 
Webers  ist  aber  weit  kostspieliger  als  das  des  Schuh- 
machers. Das  meiste  Kapital  aller  solcher  Handwerks- 
meister läuft  jedoch  in  dem  Lohn  der  Gesellen,  oder  im 
Preise  ihrer  Materialien  um,  und  wird  durch  den  Preis 
der  fertigen  Arbeit  mit  einem  Gewinn  wieder  bezahlt. 

In  anderen  Unternehmungen  ist  ein  weit  größeres 
stehendes  Kapital  erforderlich.  In  einem  großen  Eisen- 
werke z.  B.  lassen  sich  Hochöfen,  Schmieden,  Hammer- 
werke nicht  ohne  sehr  bedeutende  Kosten  herstellen. 
In  Kohlengruben  und  Bergwerken  aller  Art  sind  die 
zum  Auspumpen  des  Wassers  und  zu  anderen  Zwecken 
nötigen  Maschinen  oft  noch  teurer. 

Das  in  den  Ackerwerkzeugen  angelegte  Kapital  des 
Landmanns  ist  stehendes,  das  zum  Lohn  und  Unterhalt 
der  Knechte  und  Mägde  verwendete  umlaufendes  Kapital. 
Von  dem  einen  zieht  er  Gewinn,  indem  er  es  in  seinem 
Besitze  behält,  von  dem  anderen,  indem  er  es  ausgibt. 
Der  Preis  oder  Wert  seiner  Arbeitstiere  ist  ebenso  wie 
der  seiner  Ackerwerkzeuge  stehendes,  der  Unterhalt 
der  Tiere  ebenso  wie  der  der  Knechte  und  Mägde  um- 
laufendes Kapital.  Der  Landmann  erzielt  Gewinn,  indem 
er  die  Arbeitstiere  in  seinem  Besitz  behält,  und  ihnen 
Unterhalt  gibt.  Dagegen  sind  die  Anschaffungs-  und 
Unterhaltungskosten  des  nicht  zur  Arbeit,  sondern  zum 
Verkauf  bestimmten  und  gemästeten  Viehs  umlaufendes 
Kapital.  Der  Pächter  erzielt  Gewinn,  indem  er  es  her- 
gibt. Eine  Herde  Schafe  oder  Rinder,  die  man  in  frucht- 
baren Ländern  weder  zur  Arbeit  noch  zum  Verkauf, 
sondern  zu  dem  Zwecke  anschafft,  um  aus  ihrer  Wolle, 
ihrer  Milch,  ihrem  Nachwuchs  Gewinn  zu  ziehen,  ist 
stehendes  Kapital.  Der  Gewinn  wird  gemacht,  indem 
man  es  behält.  Ihr  Unterhalt  dagegen  ist  umlaufendes 
Kapital.  Der  Gewinn  wird  gemacht,  indem  man  das 
Futter  hergibt,  und  das  Kapital  geht  sowohl  mit  seinem 


8  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

eigenen  Gewinn,  als  auch  im  Preise  der  Wolle,  der 
Milch  und  des  Nachwuchses  mit  dem  Grewinne  vom 
ganzen  Preise  des  Viehes  wieder  ein.  Auch  der  Gesamt- 
wert der  Aussaat  ist  eigentlich  ein  stehendes  Kapital. 
Obgleich  es  zwischen  dem  Grund  und  Boden  und  dem 
Speicher  hin-  und  hergeht,  so  wechselt  es  doch  niemals 
den  Herrn,  und  läuft  daher  nicht  eigentlich  um.  Der 
Pächter  zieht  nicht  aus  dem  Verkauf,  sondern  aus 
dem  Zuwachs  seinen  Gewinn. 

Das  gesamte  Kapital  eines  Landes  oder  Volkes 
ist  dasselbe,  wie  das  aller  Einwohner  oder  Volksglieder 
zusammengenommen  und  zerfällt  demnach  in  dieselben 
drei  Teile,  deren  jeder  eine  bestimmte  Funktion  oder 
Aufgabe  hat. 

Der  erste  Teil  wird  zur  unmittelbaren  Konsum- 
tion aufbewahrt  und  ist  dadurch  gekennzeichnet,  daß 
er  kein  Einkommen  liefert.  Er  besteht  in  dem  Vorrat 
an  Nahrungsmitteln,  Kleidung  und  Hausgerät  u.  s.  w., 
der  von  den  Konsumenten  gekauft,  aber  noch  nicht 
ganz  verbraucht  ist.  Auch  die  Gesamtmasse  der  Wohn- 
häuser im  Lande  gehört  zu  diesem  ersten  Teile.  Das 
in  einem  Hause,  das  seinem  Eigentümer  als  Wohnhaus 
dient,  angelegte  Kapital  hört  sofort  auf  als  Kapital  zu 
fungieren  oder  seinem  Eigner  ein  Einkommen  zu  liefern. 
Ein  Wohnhaus  trägt  als  solches  nichts  zu  dem  Ein- 
kommen seines  Bewohners  bei,  und  obgleich  es  ihm 
ohne  Zweifel  nützlich  ist,  so  ist  es  dies  doch  in  keinem 
anderen  Sinne,  als  seine  Kleider  und  Möbel  auch,  die 
doch  keinen  Teil  seines  Einkommens,  sondern  einen  Teil 
seiner  Ausgaben  bilden.  AVird  das  Haus  an  Jemand 
vermietet,  so  muß  der  Mieter,  da  das  Haus  selbst  Nichts 
hervorbringen  kann,  die  Miete  stets  aus  einem  an- 
deren, von  Arbeit,  Kapital  oder  Grund  und  Boden  be- 
zogenen Einkommen  zahlen.  Obgleich  daher  ein  Haus 
seinem  Eigentümer   ein  Einkommen   liefern    und    sich 


Kap.  1:  Einteilung  der  Kapitiilieu.  9 

dadurch  für  ihn  als  Kapital  darstellen  kann,  so  kann  es 
doch  dem  Gemeinwesen  kein  Einkommen  liefern,  noch 
ihm  als  Kapital  dienen,  und  das  Einkommen  der  Ge- 
samtheit des  Volkes  kann  nicht  im  Geringsten  dadurch 
/ergrößert  werden.  Auch  Kleider  und  Hausgerät  bringen 
in  ähnlicher  Weise  zuweilen  ein  Einkommen,  und  dienen 
so  irgend  Jemandem  als  Kapital.  In  Ländern,  wo  Mas- 
kenbälle tiblich  sind,  macht  man  ein  Gewerbe  daraus, 
Maskenanzüge  auf  eine  Nacht  auszuleihen.  Tapezierer 
verleihen  oft  Möbel  monat-  und  jähr  weise,  und  es  gibt 
Unternehmer,  welche  die  Erfordernisse  einer  Beerdi- 
gung für  einen  Tag  oder  eine  "Woche  stellen.  Viele  ver- 
mieten möblierte  AVohnungen,  und  nehmen  nicht  nur 
für  die  Nutzung  der  Wohnung,  sondern  auch  für  die 
der  Möbel  eine  Miete.  Das  aus  solchen  Dingen  ge- 
wonnene Einkommen  muß  jedoch  am  Ende  stets  aus 
irgend  einer  anderen  Quelle  fließen.  Unter  allen  für 
den  unmittelbaren  Verbrauch  aufbewahrten  Kapitalien 
eines  einzelnen  oder  einer  Gesellschaft  wird  das  in 
Häusern  angelegte  am  langsamsten  verbraucht.  Ein 
Vorrat  an  Kleidern  kann  ein  paar  Jahre,  ein  Vorrat  an 
Gerät  ein  halbes  oder  ganzes  Jahrhundert  vorhalten, 
aber  gutgebaute  und  sorgsam  erhaltene  Häuser  könnten 
Jahrhunderte  dauern.  Obgleich  indeß  der  Termin 
ihrer  völligen  Abnutzung  sehr  entfernt  ist,  sind  sie 
dennoch  ebenso  wie  Kleider  und  Möbel  ein  zum  un- 
mittelbaren Verbrauch  bestimmtes  Kapital. 

Der  zweite  von  den  drei  Teilen,  in  die  das  Ge- 
samtkapital der  Gesellschaft  zerfällt,  ist  das  stehende 
Kapital,  dessen  Eigenschaft  es  ist,  Einkommen  oder  Ge- 
winn zu  liefern,  ohne  daß  es  umläuft  oder  den  Besitzer 
wechselt.  Es  besteht  hauptsächlich  aus  folgenden  vier 
Artikeln.  Erstlich  aus  all'  den  nützlichen  Maschinen 
und  Werkzeugen,  die  die  Arbeit  erleichtern  und  ab- 
kürzen.    Zweitens  aus  allen  Gebäuden,    die  nicht  nur 


IQ  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

ihrem  Eigentümer,  der  sie  vermietet,  sondern  auch 
dem  Mieter  ein  Einkommen  verschaffen;  wie  Läden, 
Warenlager,  Werkstätten,  Wirtschaftsgebäude  mit  den 
zugehörigen  Ställen,  Scheunen  usw.  Diese  sind  von 
bloßen  Wohnhäusern  sehr  verschieden.  Sie  sind  eine 
Art  geschäftlicher  Werkzeuge  und  können  in  diesem 
Lichte  betrachtet  werden.  Drittens  aus  den  Bodenver- 
besserungen, den  gewinnbringenden  Auslagen  für  Ur- 
barmachung, Entwässerung,  Einzäunung,  Düngung  und 
sonstige  Herrichtungen  des  Landes  zum  Ackerbau.  Ein 
kultiviertes  Landgut  kann  mit  allem  Recht  in  dem- 
selben Lichte  betrachtet  werden,  wie  die  nützlichen 
Maschinen,  die  die  Arbeit  erleichtern  und  abkürzen  und 
mittelst  deren  das  nämliche  umlaufende  Kapital  ein 
weit  größeres  Einkommen  liefern  kann.  Ein  solches 
Landgut  ist  eben  so  gewinnbringend  und  dabei  dauer- 
hafter als  irgend  eine  dieser  Maschinen,  da  es  oft  keine 
weiteren  Verbesserungen  erfordert,  als  die  vorteilhaf- 
teste Verwendung  des  zum  Anbau  bestimmten  Kapitals. 
Viertens  aus  den  erworbenen  Fähigkeiten  aller  Ein- 
wohner oder  Gesellschaftsglieder.  Die  Erwerbung  sol- 
cher Talente  erfordert  für  den  Unterhalt  während  der 
Ausbildung,  des  Studiums  oder  der  Lehrzeit  stets  tat- 
sächliche Kosten,  die  ein  stehendes,  oder  so  zu  sagen 
in  der  Person  realisiertes  Kapital  sind.  Wie  diese 
Talente  für  ihren  Eigner  einen  Teil  seines  Vermögens 
ausmachen,  so  bilden  sie  auch  einen  Teil  in  dem  Ver- 
mögen der  Gesellschaft,  der  er  angehört.  Die  erlernte 
Fertigkeit  eines  Arbeiters  kann  man  in  demselben 
Lichte  betrachten,  wie  die  Maschine  oder  ein  die 
Arbeit  erleichterndes  und  abkürzendes  Werkzeug,  das 
zwar  gewisse  Kosten  verursacht,  diese  Kosten  aber 
mit  Gewinn  wieder  erstattet. 

Der  dritte  und  letzte  der  drei  Teile,  in  welche  das 
Gesamtkapital    der    Gesellschaft   zerfällt,    ist    das    um- 


Kap.  I.:  Einteilung  der  Kapitalien.  H 

laufende  Kapital,  dessen  Eigenschaft  es  ist,  nur  durch 
Umlauf  oder  Wechsel  des  Besitzers  ein  Einkommen  zu 
liefern.  Es  ist  gleichfalls  aus  vier  Teilen  zusammen- 
gesetzt :  Erstens,  aus  dem  Gelde,  mittelst  dessen  die 
drei  übrigen  Teile  umlaufen  und  an  ihre  eigentlichen 
Konsumenten  verteilt  werden.  Zweitens,  aus  den  Vor- 
räten an  Lebensmitteln,  die  im  Besitz  der  Fleischer, 
Viehzüchter,  Landwirte,  Getreidehändler,  Brauer  usw. 
sind,  und  aus  deren  Verkauf  diese  einen  Gewinn  zu 
ziehen  hoffen.  Drittens,  aus  den  für  Kleider,  Möbel  und 
Gebäude  erforderlichen  Rohstoffen  und  Halbfabrikaten, 
die  noch  nicht  ihre  Bestimmung  erhalten  haben,  sondern 
sich  noch  in  den  Händen  der  Produzenten,  Handwerker, 
Seiden-  und  Tuchhändler,  Holzhändler,  Zimmerleute  und 
Tischler,  Maurer  usw.  befinden.  Viertens  und  letztens 
aus  den  Waren  die  zwar  fertig  sind,  aber  sich  noch  in 
den  Händen  des  Kaufmanns  oder  Fabrikanten  befinden 
und  noch  nicht  abgesetzt,  bezw.  an  die  eigentlichen  Ver- 
braucher gelangt  sind,  wie  z.  B.  die  fertigen  Waren,  die 
man  oft  beim  Schmied,  Tischler,  Goldschmied,  Juwelier, 
Porzellanhändler  usw.  findet.  So  besteht  das  umlaufende 
Kapital  aus  den  noch  in  Besitz  der  betreffenden  Händler 
befindlichen  Lebensmitteln,  Rohstoffen  und  fertigen 
Waren  aller  Art,  und  aus  dem  Gelde,  das  erforderlich 
ist,  um  sie  in  Umlauf  zu  setzen  und  sie  an  die  letzten 
Verbraucher  zu  verteilen. 

Von  diesen  vier  Teilen  werden  drei,  die  Lebens- 
mittel, die  Rohstoffe  und  die  fertigen  Waren  entweder 
jährlich,  oder  in  einer  längeren  oder  kürzeren  Periode 
regelmäßig  dem  Umlauf  entzogen,  und  entweder  zum 
stehenden  Kapital  oder  zu  dem  zum  unmittelbaren 
Verbrauch  bestimmten  Vorrat  geschlagen. 

Jedes  stehende  Kapital  entstammt  ursprünglich 
einem  umlaufenden,  und  mviß  auch  stets  durch  ein  solches 
erhalten  werden.  Alle  nützlichen  Maschinen  und  Werk- 
zeuge rühren  von  einem  umlaufenden  Kapital  her,  das 


12  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

die  Stoffe  liefert,  aus  denen  sie  bestehen,  und  den  Unter- 
halt der  Arbeiter,  die  sie  verfertigen.  Auch  erfordern 
sie  zu  ihrer  Reparatur  eines  umlaufenden  Kapitals. 

Kein  stehendes  Kapital  kann  ohne  Beihilfe  eines 
umlaufenden  ein  Einkommen  liefern.  Die  nützlichsten 
Maschinen  und  Werkzeuge  bringen  ohne  ein  umlaufen- 
des Kapital,  das  die  zu  verarbeitenden  Stoffe  und  den 
Unterhalt  der  Arbeiter  liefert,  die  sie  benutzen,  nichts 
hervor.  Ein  noch  so  kultivierter  Boden  bringt  ohne  ein 
umlaufendes  Kapital,  welches  die  ihn  bearbeitenden 
und  erntenden  Arbeiter  erhält,   kein  Einkommen. 

Die  für  den  unmittelbaren  Verbrauch  vorbehaltenen 
Vorräte  zu  erhalten  und  zu  vermehren,  ist  der  einzige 
Zweck  der  stehenden  und  umlaufenden  Kapitalien. 
Diese  Vorräte  sind  es,  die  das  Volk  nähren,  kleiden 
und  ihm  Wohnung  geben.  Der  Reichtum  oder  die 
Armut  des  Volks  hängt  von  den  reichlichen  oder  spär- 
lichen Ergänzungen  ab,  die  jene  beiden  Kapitalarten 
dem  zum  unmittelbaren  Verbrauch  bestimmten  Vorrat 
zuführen  können. 

Da  dem  umlaufenden  Kapital  beständig  eine  so 
große  Menge  entzogen  wird,  um  den  beiden  anderen 
Teilen  des  Gesamtkapitals  der  Gesellschaft  einverleibt 
zu  werden,  so  bedarf  es  seinerseits  beständiger  Er- 
gänzung, ohne  die  es  bald  erschöpft  sein  würde.  Diese 
Ergänzung  erhält  es  hauptsächlich  aus  drei  Quellen, 
den  Erzeugnissen  des  Bodens,  der  Bergwerke  und  der 
Fischereien.  Aus  diesen  Quellen  werden  die  Lebens- 
mittel und  Eohstoffe,  die  teilweise  später  zu  Fabrikaten 
verarbeitet'werden,  und  welche  die  dem  umlaufenden 
Kapital  entzogenen  Lebensmittel,  Rohstoffe  und  Fa- 
brikate ersetzen,  beständig  ergänzt.  Aus  den  Berg- 
werken wird  auch  der  zur  Unterhaltung  und  Vermeh- 
rung des  Geldkapitals  erforderliche  Bedai-f  gedeckt. 
Denn    obgleich  dieser  Teil  des  Gesamtkapitals   im  ge- 


Kap.  I.:  Einteilung  der  Kapitalien.  ^3 

wohnlichen  Laufe  der  Geschäfte  nicht  wie  die  drei 
übrigen  dem  umlaufenden  Kapital  entzogen  werden 
muß,  um  in  die  zwei  anderen  Zweige  des  allgemeinen 
Gesellschaftskapitals  überzugehen,  so  wird  es  doch  wie 
alle  anderen  Dinge,  verbraucht  oder  wenigstens  abge- 
nutzt, ireht  auch  bisweilen  teilweise  verloren  oder  wird 
ins  Ausland  geschafft,  und  macht  deshalb  beständige, 
wenn  auch  weit  geringere  Ergänzungen  nötig. 

Grund  und  Boden,  Bergwerke  und  Fischereien  er- 
fordern sämtlich  sowohl  ein  stehendes,  als  ein  um- 
laufendes Kapital  zu  ihrem  Betriebe;  und  ihr  Ertrag 
erstattet  nicht  nur  diese  Kapitalien,  sondern  auch  alle 
übrigen  in  der  Gesellschaft  mit  Gewinn  zurück.  So 
versorgt  der  Landmann  den  Gewerbtreibenden  jährlich 
aufs  neue  mit  den  Lebensmitteln,  die  er  im  vorher- 
gehenden Jahre  verzehrt,  und  den  Rohstoffen,  die  er 
verarbeitet  hatte;  und  der  Gewerbtreibende  versorgt 
den  Landmann  wieder  mit  den  Fabrikaten,  die  dieser 
in  derselben  Zeit  verbraucht  und  vernutzt  hatte.  Dies 
ist  der  tatsächliche  Tausch,  der  jährlich  zwischen  diesen 
beiden  Volksklassen  vollzogen  wird,  wenn  auch  das 
Rohprodukt  des  einen  und  das  verarbeitete  des  anderen 
selten  unmittelbar  gegen  einander  vertauscht  werden, 
da  der  Pächter  sein  Getreide  und  sein  Vieh,  seinen 
Flachs  und  seine  Wolle  selten  an  dieselbe  Person  ab- 
setzt, von  der  er  seine  Kleider,  Gerätschaften  und 
Werkzeuge  kauft.  Er  verkauft  daher  sein  Rohprodukt 
für  Geld,  mit  welchem  er  die  verarbeiteten  Produkte, 
die  er  braucht,  überall  kaufen  kann,  wo  sie  gerade  zu 
haben  sind.  Der  Boden  ersetzt  sogar,  wenigstens  zum 
Teil,  die  Kapitalien,  mit  denen  die  Fischereien  und 
Bergwerke  betrieben  werden.  Mit  Erzeugnissen  des 
Bodens  werden  die  Fische  geködert  und  gefangen, 
und  mit  Erzeugnissen  der  Erdoberfläche  zieht  man 
die  Mineralien  aus  den  Tiefen  der  Erde. 


14  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Der  Ertrag  des  Bodens,  der  Bergwerke  und  Fische- 
reien richtet  sich,  bei  gleicher  natürlicher  Ergiebigkeit, 
nach  der  Größe  und  angemessenen  Verwendung  der 
in  ihnen  angelegten  Kapitalien.  Bei  gleichen  Kapitalien 
und  gleich  geschickter  Verwendung  richtet  sich  der 
Ertrag  nach  der  natürlichen  Ergiebigkeit  des  Bodens 
und  dor  Bergwerke. 

In  allen  Ländern,  wo  leidliche  Sicherheit  herrscht, 
sucht  Jedermann  von  gesundem  Menschenverstände 
alle  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Kapitalien  dazu  an- 
zuwenden, sich  sofortigen  Genuß  oder  zukünftigen 
Gewinn  zu  verschaffen.  Wird  das  Kapital  dazu  ver- 
wendet, sofortigen  Genuß  zu  verschaffen,  so  ist  ein  für 
die  unmittelbare  Verwendung  bestimmter  Vorrat;  wird 
es  dazu  angewendet,  künftigen  Gewinn  zu  verschaffen, 
so  muß  dies  dadurch  geschehen,  daß  das  Kapital  ent- 
weder bei  seinem  Besitzer  verbleibt,  oder  sich  von 
ihm  trennt.  In  dem  einen  Falle  ist  es  ein  stehendes, 
in  dem  anderen  ein  umlaufendes  Kapital.  Man  müßte 
geradezu  närrisch  sein,  wenn  man  bei  leidlichen  Sicher- 
heitszuständen  nicht  alle  verfügbaren  Kapitalien,  eigene 
oder  geborgte,  auf  die  eine  oder  die  andere  Art  anlegte. 

In  den  unglücklichen  Ländern  freiUch,  wo  man 
stets  die  Gewalttätigkeiten  der  höher  gestellten  zu 
fürchten  hat,  vergraben  und  verbergen  die  Leute  oft 
einen  großen  Teil  ihres  Kapitals,  um  ihn  jederzeit  mit- 
nehmen zu  können,  falls  sie  von  einer  der  Gefahren 
bedroht  werden  sollten,  denen  sie  sich  stets  ausgesetzt 
sehen.  In  der  Türkei,  in  Hindustan,  und  wohl  in  den 
meisten  anderen  asiatischen  Staaten  soll  dies  Verfahren 
sehr  gebräuchlich  sein.  Auch  bei  unseren  Vorfahren 
scheint  es  unter  der  gewalttätigen  Feudalherrschaft 
üblich  gewesen  zu  sein.  Gefundene  Schätze  wurden 
damals  für  einen  nicht  verächtlichen  Teil  des  Ein- 
kommens der  größten  europäischen  Fürsten  gehalten. 


Kap.  I.:  Einteilnno'  der  Kapitalien.  I5 

Es  waren  dies  Schätze,  die  man  in  der  Erde  versteckt 
fand,  und  auf  die  niemand  ein  Recht  nachweisen 
konnte.  Die  Sache  war  in  jener  Zeit  von  solcher 
Wichtigkeit,  daß  diese  Funde  stets  als  ein  Eigentum 
des  Fürsten,  nicht  als  das  des  Finders  oder  des  Grund- 
besitzers angesehen  wurden,  wenn  nicht  dem  letzteren 
das  Recht  darauf  durch  eine  ausdrückliche  Klausel  in 
seiner  Verleihungsurkunde  zugesichert  war.  Ebenso 
wurde  es  mit  den  Gold-  und  Silberminen  gehalten,  die 
ohne  eine  besondere  Klausel  in  der  Urkunde  niemals 
in  der  allgemeinen  Landverleihung  mit  inbegriffen 
waren,  die  dagegen  Blei-,  Kupfer-,  Zinn-  und  Kohlen- 
minen, als  Dinge  von  geringerem  Belange,  mit  umfaßte. 


Zweites    K  a  j)  i  t  e  1. 

Das  Geld  als  ein  besonderer  Zweig 

des  Gesamtkapitals  der  Gesellschaft,  oder  die 

Unterhaltungskosten  des  Nationalkapitals. 

In  dem  ersten  Buche  ist  gezeigt  worden,  daß  der 
Preis  der  meisten  "Waren  in  drei  Teile  zerfällt,  von 
denen  einer  den  Arbeitslohn,  ein  anderer  den  Kapital- 
gewinn und  ein  dritter  die  Grundrente  bezahlt;  daß  es 
zwar  einige  Waren  gibt,  deren  Preis  nur  von  zweien 
jener  Teile,  dem  Arbeitslohn  und  Kapitalgewinn,  her- 
rührt, und  daß  er  in  einigen  wenigen  lediglich  aus  dem 
Arbeitslohn  besteht,  daß  aber  der  Preis  jeder  Ware 
sich  notwendig  in  einen  oder  den  anderen  oder  in  alle 
drei  Teile  auflöst,  und  daß  Alles,  was  nicht  Rente 
oder  Lohn  ist,  notwendig  für  irgend  jemanden  Ge- 
winn sein  muß. 

Da  dies,  wie  bemerkt,  bezüglich  joder  einzelnen 
Ware,  für  sich  betrachtet,  der  Fall  ist,  so  muß  es 
auch  bezüglich  aller  AVaren,  die  das  jährliche  Gesamt- 
produkt des  Bodens  und  der  Arbeit  in  einem  Lande 
bilden,  der  Fall  sein,  wenn  man  sie  als  Einheit  be- 
trachtet. Der  ganze  Preis  oder  Tauschwert  dieses 
Jahresprodukts  muß  in  die  nämlichen  drei  Teile  zer- 
fallen und  sich  unter  die  verschiedenen  Einwohner 
des  Landes  entweder  als  Arbeitslohn,  Kapitalgewinn 
oder  Grundrente  verteilen. 

Obwohl  nun  der  Gesamtwert  des  jährlichen  Boden- 
und  Arbeitsertrags  eines  Landes  sich  in  dieser  Weise 


Kap.  II.:  Das  Geld.  17 

unter  die  verschiedenen  Bewohner  verteilt,  so  kann 
man  doch,  wie  man  in  der  Rente  eines  Privatguts 
zwischen  der  rohen  und  der  reinen  Rente  unterschei- 
det, auch  in  dem  Einkommen  der  Gesamtheit  aller 
Einwohner  denselben  Unterschied  machen. 

Die  rohe  Rente  eines  Guts  umfaßt  alles,  was  vom 
Pächter  gezahlt  wird;  die  reine  Rente  ist  das,  was  nach 
Abzug  der  Wirtschafts-,  Unterhaltungs-  und  sonstigen 
Kosten  für  den  Grundeigentümer  übrig  bleibt,  oder 
was  er  ohne  Schaden  für  das  Gut  dem  für  den  un- 
mittelbaren Yei'brauch  bestimmten  Vorrat  zuweisen, 
oder  für  seine  Tafel,  seine  Kleider,  die  Ausschmückung 
und  Möblierung  seines  Hauses,  für  seine  Genüsse  und 
Yergnügangen  ausgeben  kann.  Sein  wirkliches  Ver- 
mögen richtet  sich  nicht  nach  seinem  rohen,  sondern 
nach  seinem  reinen  Einkommen. 

Das  rohe  Einkommen  aller  Einwohner  eines  Landes 
umfaßt  das  gesamte  Jahresprodukt  ihres  Bodens  und 
ihrer  Arbeit;  das  reine  Einkommen  dasjenige,  was  ihnen 
nach  Abzug  der  Unterhaltungskosten,  erstens  ihres 
stehenden  und  zweitens  ihres  umlaufenden  Kapitals, 
übrig  bleibt,  oder  das,  was  sie,  ohne  ihr  Kapital  anzu- 
greifen, dem  für  ihren  unmittelbaren  Verbrauch  be- 
stimmten Vorrat  zuweisen,  oder  auf  Lebensunterhalt, 
Komfort  und  Genuß  verwenden  können.  Auch  ihr 
wirklicher  Reichtum  richtet  sich  nicht  nach  ihrem 
rohen,  sondern  nach  ihrem  reinen  Einkommen. 

Die  ganzen  Kosten  für  den  Unterhalt  des  stehenden 
Kapitals  müssen  offenbar  von  dem  reinen  Einkommen 
der  Gesellschaft  ausgeschlossen  werden.  Weder  die  zur 
Instandhaltung  der  nützlichen  Maschinen  und  "Werk- 
zeuge, der  gewinntragenden  Gebäude  usw.  nötigen 
Materialien,  noch  das  Produkt  der  zur  Bearbeitung 
dieser  Materialien  erforderlichen  Arbeit  können  zum 
reinen  Einkommen  gerechnet  werden.    Allerdings  kann 

Adam  Suütli,  Volkswcjhl.staml.   11.  - 


18  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

der  Preis  dieser  Arbeit  einen  Teil  von  ihm  bilden, 
wenn  die  hierbei  beschäftigten  Arbeiter  ihren  ganzen 
Lohn  ihrem  für  den  unmittelbaren  Verbrauch  bestimm- 
ten Vorrat  zuweisen  können.  Bei  anderen  Arbeits- 
gattungen geht  sowohl  der  Preis  als  das  Produkt  der 
Arbeit  in  diesen  Vorrat  über,  der  Preis  in  den  Vorrat 
der  Arbeiter,  das  Produkt  in  den  anderer  Leute,  deren 
Lebensunterhalt,  Komfort  und  Genuß  durch  die  Arbeit 
jener  bereichert  werden. 

Der  Zweck  des  stehenden  Kapitals  besteht  darin, 
die  Produktivkräfte  der  Arbeit  zu  erhöhen  und  eine 
gleiche  Zahl  Arbeiter  zu  weit  größeren  Arbeitsleistungen 
zu  befähigen.  Auf  einem  Gute,  wo  alle  nötigen  Ge- 
bäude, Zäune,  Abzugsgräben,  Verbindungswege  usw.  im 
besten  Zustande  sind,  wird  eine  gleiche  Zahl  Arbeiter 
und  Arbeitstiere  einen  weit  größeren  Ertrag  erzielen,, 
als  auf  einer  Fläche  von  gleicher  Größe  und  gleicher 
Güte,  wo  diese  Einrichtungen  mangelhaft  sind.  In  Fa- 
briken wird  eine  gleiche  Zahl  Hände,  wenn  sie  durch 
die  besten  Maschinen  unterstützt  wird,  eine  weit  größere 
Menge  AVaren  hervorbringen,  als  mit  unvollkommeneren 
Werkzeugen.  Zweckmäßige  Ausgaben  für  irgend  ein 
stehendes  Kapital  machen  sich  immer  mit  großem  Ge- 
winn wieder  bezahlt,  und  vermehren  den  Jahresertrag 
um  einen  weit  größeren  Wert,  als  den  der  dafür  auf- 
gewendeten Kosten.  Immerhin  jedoch  nehmen  diese 
Kosten  einen  gewissen  Teil  jenes  Ertrags  in  Anspruch. 
Eine  gewisse  Quantität  von  Materialien  und  die  Arbeit 
einer  gewissen  Anzahl  von  Arbeitern,  die  unmittelbar 
auf  Vermehrung  der  Lebensmittel,  Kleider  und  Woh- 
nungen, kurz  der  Unterlialtsmittel  und  Genüsse  der 
Gesellschaft  hätten  verwendet  werden  können,  werden 
so  zu  einer  anderen  Beschäftigung  gebraucht,  die  zwar 
höchst  vorteilhaft,  aber  von  jener  doch  sehr  verschieden 
ist.   Aus  diesem  Grunde  werden  alle  Fortschritte  in  der 


Kap.  IT.:  Das  Geld.  19 

Mechanik,  die  eine  gleiche  Zahl  von  Arbeitern  instand 
setzen,  eine  gleiche  Menge  Arbeit  mit  wohlfeileren  und 
einfacheren  als  den  früher  üblichen  Maschinen  herzu- 
stellen, stets  als  vorteilhaft  für  jede  Gesellschaft  betrach- 
tet. Eine  gewisse  Menge  von  Materialien  und  die  Arbeit 
einer  gewissen  Zahl  von  Arbeitern,  die  früher  erforder- 
lich waren,  um  die  komplizierteren  und  kostspieligeren 
Maschinen  zu  bedienen,  können  nun  zur  Vermehrung  der 
Arbeitsmenge  verwendet  werden,  zu  deren  Herstellung 
die  Maschine  nur  behilflich  ist.  Der  Unternehmer  einer 
großen  Fabrik,  der  jährlich  tausend  Pfund  Sterling  auf 
seine  Maschinen  verwendet,  wird,  wenn  er  diese  Ausgabe 
auf  fünfhundert  ermäßigen  kann,  die  übrigen  fünfhun- 
dert zum  Ankauf  einer  größeren  Menge  von  Rohstoffen 
verwenden,  deren  Verarbeitung  mehr  Arbeitskräfte  be- 
ansprucht. Die  Arbeitsmenge,  zu  deren  Herstellung 
seine  Maschinen  nur  behilflich  waren,  wird  sich  daher 
vergrößern,  und  mit  ihr  auch  der  Vorteil  und  Genuß, 
den  die  Gesellschaft  aus  diesen  Arbeiten  zieht. 

Die  Unterhaltungskosten  des  stehenden  Kapitals 
in  einem  Lande  können  füglich  mit  den  Unterhaltungs- 
kosten eines  Gutes  verglichen  werden.  Diese  Aus- 
gaben müssen  oft  bestritten  werden,  damit  der  Ertrag 
des  Guts  und  folglich  die  rohe  und  reine  Rente  des 
Grundherrn  nicht  sinkt.  Können  aber  diese  Ausgaben 
durch  richtigere  Verwendung  vermindert  werden  ohne 
Verringerung  des  Ertrags,  so  bleibt  die  rohe  Rente 
mindestens  die  nämliche,  und  die  reine  Rente  ist  selbst- 
verständlich größer  geworden. 

Wenn  aber  die  gesamten  Unterhaltskosten  des 
stehenden  Kapitals  vom  reinen  Einkommen  der  Gesell- 
schaft ausgeschlossen  werden  müssen,  so  liegt  doch  der 
Fall  bei  den  Unterhaltskosten  des  umlaufenden  Kapitals 
anders.  Von  den  vier  Teilen,  aus  welchen  das  letztere 
besteht,  dem  Gelde,  den  Lebensmitteln,  den  Rohstoffen 

2* 


20  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

und  Fabrikaten,  werden  die  drei  letzteren,  wie  schon 
bemerkt,  ihm  regelmäßig  entzogen,  und  entweder  dem 
stehenden  Kapital  der  Gesellschaft,  oder  dem  für  die 
unmittelbare  Verzehrung  bestimmten  Vorrat  einverleibt. 
Alles,  was  von  den  Verbrauchsgegenständen  nicht  zum 
Unterhalt  des  ersteren  dient,  geht  in  den  letzteren 
über,  und  macht  einen  Teil  des  reinen  Einkommens 
der  Gesellschaft  aus.  Daher  entzieht  die  Unterhaltung 
jener  drei  Teile  des  umlaufenden  Kapitals  dem  reinen 
Einkommen  der  Gesellschaft  keinen  andern  Teil  des 
Jahresertrags,  als  den,  der  zur  Unterhaltung  des  stehen- 
den Kapitals  erforderlich  ist. 

Das  umlaufende  Kapital  einer  Gesellschaft  ist  in 
dieser  Beziehung  von  dem  eines  einzelnen  ganz  ver- 
schieden. Dasjenige  eines  einzelnen  macht  durchaus 
keinen  Teil  seines  reinen  Einkommens  aus,  das  gänzlich 
in  seinen  Gewinnen  bestehen  muß.  Obwohl  aber  das 
umlaufende  Kapital  jedes  einzelnen  einen  Teil  des- 
jenigen der  Gesellschaft  bildet,  der  er  angehört,  so 
muß  es  darum  doch  nicht  einen  Teil  des  reinen  Volks- 
einkommens bilden.  Die  Waren  eines  Kaufmanns  kann 
man  nicht  zu  seinem  für  den  unmittelbaren  Verbrauch 
bestimmten  Vorrat  rechnen,  aber  sie  können  in  den 
Vorrat  anderer  übergehen,  die  jenem  ihren  Wert 
samt  Gewinn  aus  anderweitigen  Einkünften  erstatten, 
ohne  dadurch  in  seinem  oder  ihrem  Kapital  irgend 
eine  Verminderung  herbeizuführen. 

Das  Geld  ist  daher  der  einzige  Teil  des  umlaufen- 
den Kapitals  der  Gesellschaft,  dessen  Unterhaltung  eine 
Verminderung  ihres  reinen  Einkommens  bewirken  kann. 

Das  stehende  Kapital  und  der  im  Geld  bestehende 
Teil  des  umlaufenden  Kapitals  haben  in  ihi-em  Einfluß 
auf  das  Einkommen  der  Gesellschaft  eine  große  Ähn- 
lichkeit miteinander. 

Wie  erstens  die  Maschinen  und  Werkzeug-e  usw. 


Kap.  IL:  Das  Geld.  21 

gewisse  Ausgaben  erst  für  ihre  Anschaffung,  dann  für 
ihre  Unterhaltung  erfordern,  die  zwar  einen  Teil  des 
rohen  Einkommens  ausmachen,  aber  vom  reinen  Ein- 
kommen der  Gesellschaft  abgehen;  so  muß  auch  der  in 
einem  Lande  umlaufende  Geldvorrat  gewisse  Ausgaben 
erst  für  seine  Anschaffung,  dann  für  seine  Unterhaltung 
erfordern,  der  ebenso  zwar  einen  Teil  des  rohen  Ein- 
kommens der  Gesellschaft  bildet,  aber  von  ihrem 
reinen  Einkoramen  abgeht.  Eine  gewisse  Menge  sehr 
wertvoller  Stoffe,  Gold  und  Silber,  und  sehr  künst- 
licher Arbeit  findet,  statt  den  zum  unmittelbaren  Ver- 
brauch bestimmten  Vorrat,  den  Lebensunterhalt,  Kom- 
fort und  Genuß  der  Einzelnen  zu  vermehren,  ihre 
Aufgabe  in  der  Unterhaltung  des  wichtigen,  aber  kost- 
spieligen Verkehrs  Werkzeugs,  durch  das  jeder  einzelne 
in  der  Gesellschaft  seinen  Lebensunterhalt,  Komfort 
und  Genuß  im  geeigneten  Verhältnisse  regelmäßig 
zugeteilt  erhält. 

Wie  zweitens  die  Maschinen,  Werkzeuge  usw.,  die 
das  stehende  Kapital  eines  einzelnen  oder  einer  Ge- 
sellschaft ausmachen,  weder  einen  Teil  ihres  rohen 
noch  ihres  reinen  Einkommens  bilden,  so  bildet  das 
Geld,  durch  dessen  Vermittelung  das  gesamte  Ein- 
kommen der  Gesellschaft  regelmäßig  unter  alle  ihre 
einzelnen  Glieder  verteilt  wird,  selbst  keinen  Teil 
dieses  Einkommens.  Das  große  Umlaufsrad  ist  von 
den  Waren,  die  durch  seine  Vermittelung  in  Umlauf 
gesetzt  sind,  ganz  verschieden.  Das  Einkommen  der 
Gesellschaft  besteht  lediglich  in  diesen  Waren,  und 
nicht  in  dem  Rade,  das  sie  in  Umlauf  setzt.  Bei  einer 
Berechnung  des  rohen  oder  des  reinen  Einkommens 
der  Gesellschaft  muß  stets  von  ihrem  jährlichen  Geld- 
und  Güterumlauf  der  Gesamtwert  des  Geldes  abge- 
zogen werden,  von  dem  nicht  ein  einziger  Pfennig 
einen  Einkommensteil  bilden  kann. 


22  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Nur  die  Unklarheit  der  Ausdrucksweise  kann 
diesen  Satz  zweifelhaft  oder  paradox  erscheinen  lassen. 
Wird  er  gehörig  erkläi't  und  aufgefaßt,  so  ist  er  fast 
selbstverständlich. 

Wenn  wir  von  einer  Summe  Geldes  reden,  so  mei- 
nen wir  entweder  nur  die  Metallstücke,  aus  denen  sie 
besteht,  oder  setzen  sie  in  eine  dunkle  Beziehung  zu  den 
Waren,  die  man  dafür  haben  kann,  oder  zu  der  Kauf- 
kraft, die  ihr  Besitz  verleiht.  So  wollen  wir,  wenn  wir 
sagen,  daß  das  umlaufende  Geld  Englands  auf  achtzehn 
Millionen  berechnet  werde,  nur  den  Betrag  der  Metall- 
stücke ausdrücken,  auf  die  einige  Schriftsteller  den 
Umlauf  geschätzt  haben.  Sagen  wir  aber,  es  stehe  sich 
jemand  auf  fünfzig  oder  hundert  Pfund  jährlich,  so 
wollen  wir  in  der  Regel  nicht  nur  den  Betrag  der 
Metallstücke,  die  er  jährlich  einnimmt,  sondern  auch  den 
Wert  der  Waren  ausdrücken,  die  er  jährlich  kaufen 
oder  verbrauchen  kann.  Wir  wollen  damit  sagen,  wie 
er  lebt  oder  leben  könnte,  d.  h.  welche  Menge  und 
Beschaffenheit  von  Lebens-  und  Genußmitteln  er  sich 
nach  seinen  Verhältnissen  gestatten  dürfe. 

Wenn  man  unter  einer  Summe  Geldes  nicht  nur 
den  Betrag  der  Metallstücke,  aus  denen  sie  besteht,  ver- 
standen wissen,  sondern  sie  in  eine  dunkle  Beziehung  zu 
den  Waren,  die  dafür  zu  haben  sind,  setzen  will,  so 
wird  das  Vermögen  oder  Einkommen,  das  sie  in  diesem 
Falle  bezeichnet,  nur  der  einen  der  beiden  Bedeutungen, 
welche  das  Wort  doppelsinnig  einschließt,  gerecht  und 
zwar  der  letzteren  mehr  als  der  ersteren,  d.  h.  dem 
Begriffe  des  Geldwertes  mehr,  als  dem  des  Geldes. 

So  kann  der,  dessen  Wocheneinnahme  in  einer 
Guinee  besteht,  im  Laufe  der  Woche  damit  eine  gewisse 
Menge  Lebens-  und  Genußmittel  kaufen.  Je  nach  der 
Größe  dieser  Menge  ist  auch  sein  wirkliches  Vermögen, 
seine  wirkliche  Wocheneinnahme  groß  oder  klein.  Seine 


Kap.  II. :  Das  Geld.  23 

Wocheneinnahme  ist  sicherlich  nicht  gleich  der  Guinoe 
und  dem,  was  dafür  zu  haben  ist,  sondern  nur  dem 
einen  oder  dem  anderen  dieser  beiden  gleichen  Werte, 
und  zwar  dem  letzteren  mehr  als  dem  ersteren,  dem 
Werte  der  Guinee  mehr  als  der  Guinee  selbst. 

Wenn  jemandem  sein  Gehalt  nicht  in  Gold,  sondern 
in  einer  wöchentlichen  Anweisung  auf  eine  Guinee  ge- 
zahlt würde,  so  bestände  sein  Einkommen  gewiß  nicht 
in  dem  Stück  Papier,  sondern  in  dem,  was  er  dafür 
haben  kann.  Eine  Guinee  ist  als  eine  auf  alle  Ge- 
schäftsleute der  Gegend  ausgestellte  Anweisung  auf 
eine  bestimmte  Menge  von  Lebens-  und  Genußmitteln 
anzusehen.  Das  Einkommen  desjenigen,  dem  sie  ge- 
zahlt wird,  besteht  nicht  sowohl  in  dem  Goldstück,  als 
in  dem,  was  er  dafür  haben  oder  wogegen  er  es  ver- 
tauschen kann.  Könnte  es  gegen  nichts  vertauscht 
werden,  so  wäirde  es,  wie  eine  Anweisung  auf  einen 
Zahlungsunfähigen  nicht  mehr  wert  sein,  als  ein  ganz 
unbrauchbares  Stück  Papier. 

Wenn  auch  das  Wochen-  oder  Jahreseinkommen 
aller  einzelnen  Einwohner  eines  Ijandes  ebenso  in  Geld 
gezahlt  werden  kann  und  in  Wirklichkeit  auch  oft  in 
Geld  gezahlt  wird,  so  ist  doch  ihr  wirkliches  Yermögen, 
das  wirkliche  Wochen-  oder  Jahreseinkommen  aller 
zusammengenommen  groß  oder  klein  je  nach  der  Menge 
der  verbrauchsfähigen  Waren,  die  sie  mit  dem  Gelde 
kaufen  können.  Das  ganze  Einkommen  aller  einzel- 
nen zusammengenommen  ist  offenbar  nicht  gleich  dem 
Gelde  und  den  verbrauchsfähigen  Waren,  sondern  nur 
dem  einen  oder  dem  anderen  dieser  beiden  Werte,  und 
zwar  dem  letzteren  mehr,  als  dem  ersteren. 

Wenn  wir  also  oft  das  Einkommen  jemandes  durch 
die  Metallstücke  ausdrücken,  die  er  jährlich  einnimmt, 
so  geschieht  es  deshalb,  weil  der  Betrag  dieser  Stücke 
die  Größe  ihrer  Kaufkraft  oder  den  Wert  der  Waren 


24  Zweites  Buch:  Dan  Kapital. 

bestimmt,  die  er  jährlicli  verzehren  kann.  Gleichwohl 
betrachten  wir  sein  Einkommen  als  in  seiner  Kauf- 
oder Yerbranchskraft  bestehend  und  nicht  in  den  Geld- 
stücken, die  sie  ihm  verleihen. 

Wenn  dies  schon  bezüglich  eines  Einzelnen  klar 
genug  ist,  so  ist  es  dies  noch  mehr  bezüglich  eines 
Volks.  Der  Betrag  der  Metallstücke,  die  ein  Einzelner 
jährlich  einnimmt,  kommt  oft  genau  seinem  Einkommen 
gleich,  und  ist  darum  auch  der  kürzeste  und  beste  Aus- 
druck für  seinen  Wert;  aber  der  Betrag  der  Metall- 
stücke, die  in  einem  Volke  umlaufen,  kann  niemals 
dem  Einkommen  aller  seiner  Glieder  gleich  sein.  Da 
die  nämliche  Guinee,  mit  der  heute  das  Wochengehalt 
des  einen  bezahlt  wird,  morgen  dazu  dienen  kann,  das 
eines  anderen,  und  übermorgen  das  eines  dritten  zu 
bezahlen,  so  muß  der  Betrag  der  jährlich  in  einem 
Lande  umlaufenden  Metallstücke  stets  einen  weit  ge- 
ringeren Wert  haben,  als  die  jährliche  Summe  der  Ein- 
kommen. Aber  die  Kaufkraft,  oder  die  Waren,  die 
nach  und  nach  mit  dieser  Einkommenssumme  gekauft 
werden  können,  müssen  stets  genau  denselben  Wert 
haben,  wie  diese  Einkommen;  und  ebenso  ist  es  mit 
dem  Einkommen  der  einzelnen,  denen  sie  gezahlt 
werden.  Dies  Einkommen  kann  mithin  nicht  in  den 
Metallstücken  bestehen,  deren  Betrag  so  weit  unter 
seinem  Werte  bleibt,  sondern  muß  in  der  Kaufkraft 
bezw.  in  den  Waren  bestehen,  die  damit,  wie  nun  eben 
jene  Stücke  von  Hand  zu  Hand  gehen,  nach  und 
nach  gekauft  werden  können. 

Das  Geld,  das  große  Rad  des  Umlaufs,  das  große 
Werkzeug  des  Verkehrs,  bildet  also,  gleich  allen  anderen 
Werkzeugen,  keinen  Teil  im  Einkommen  des  Volks, 
dem  es  gehört,  obgleich  es  einen  Teil  und  zwar  einen 
sehr  wertvollen  Teil  des  Kapitals  bildet;  und  obschon 
die  Metallstücke,  aus  denen  es  besteht,  während  ihres 


Kap.  11.:  Das  Geld.  25 

jährlichen  Umlaufs  an  jedermann  das  ihm  zukommende 
Einkommen  verteilen,  so  machen  sie  selbst  doch  keinen 
Teil  dieses  Einkommens  aus. 

Drittens  und  letztens  haben  die  Maschinen  und 
Werkzeuge  usw.,  die  das  stehende  Kapital  bilden,  die 
weitere  Ähnlichkeit  mit  dem  in  Geld  bestehenden  Teil 
des  umlaufenden  Kapitals,  daß  ebenso,  wie  jede  Er- 
sparnis in  den  Herstellungs-  und  Unterhaltskosten  der 
Maschinen,  die  die  Produktivkraft  der  Arbeit  nicht  ver- 
mindert, das  reine  Einkommen  des  Volkes  vermehrt, 
auch  jede  Ersparnis  in  den  Anschaffungs-  und  Unter- 
haltungskosten des  Greldumlaufs  das  Volkseinkommen 
vermehrt. 

Es  ist  deutlich  genup',  und  teilweise  auch  schon 
auseinandergesetzt  worden,  auf  welche  Art  jede  Erspar- 
nis in  den  Unterhaltungskosten  des  stehenden  Kapitals 
das  reine  Volkseinkommen  vermehrt.  Das  Kapital  eines 
Unternehmers  zerfällt  notwendig  in  sein  stehendes  und 
sein  umlaufendes  Kapital.  Bleibt  sein  Gesamtkapital 
das  nämliche,  so  muß  notwendig  der  eine  Teil  um  so 
größer  werden,  je  kleiner  der  andere  wird.  Das  um- 
laufende Kapital  beschafft  die  Rohstoffe  und  den  Arbeits- 
lohn, und  setzt  das  Geschäft  in  Gang.  Daher  muß  jede 
die  Produktivkraft  der  Arbeit  nicht  vermindernde  Er- 
sparnis in  den  Unterhaltungskosten  des  Kapitals,  den 
das  Geschäft  in  Gang  bringenden  Fonds  und  folglich 
auch  den  Jahresertrag  des  Bodens  und  der  Arbeit,  das 
wirkliche  Einkommen  eines  jeden  Volkes,  vermehren. 

Der  Gebrauch  des  Papiers  an  Stelle  des  Gold-  und 
Silbergeldes  ersetzt  ein  sehr  kostspieliges  Verkehrswerk- 
zeug durch  ein  weit  weniger  kostbares  und  zuweilen 
ebenso  geeignetes.  Der  Umlauf  wird  durch  ein  neues 
Rad  bewirkt,  das  anzuschaffen  und  zu  erhalten  weniger 
kostet  als  das  alte.  In  welcher  Weise  jedoch  diese 
Tätigkeit  sich  vollzieht  und  das  rohe  oder  reine  Ein- 


26  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

kommen  der  Gesellschaft  vergrößert,  erfordert  eine 
weitere  Erklärung. 

Es  gibt  verschiedene  Arten  von  Papiergeld;  doch 
sind  die  Banknoten  die  bekannteste  Art  und  scheinen 
auch  für  den  Zweck  am  besten  geeignet. 

Hat  man  in  einem  Lande  soviel  Vertrauen  zu  dem 
Vermögen,  der  Rechtschaffenheit  und  Klugheit  eines 
Bankiers,  um  zu  glauben,  daß  er  seine  Noten  stets  bei 
Vorzeigen  auszahlen  werde,  so  erhalten  diese  durch 
die  Sicherheit,  daß  zu  jeder  Zeit  Geld  dafür  zu  haben 
ist,  dieselbe  Gangbarkeit  wie  Gold-  und  Silbergeld. 

Angenommen,  ein  Bankier  leiht  an  seine  Kunden 
Noten  im  Betrage  von  £  100.000.  Da  diese  Noten 
alle  Dienste  des  Geldes  tun,  so  bezahlen  ihm  seine 
Schuldner  die  nämlichen  Zinsen,  als  ob  er  ihnen  eben- 
soviel Geld  geliehen  hätte.  Aus  diesen  Zinsen  zieht  er 
seinen  Gewinn.  Wenn  auch  manche  Noten  zurück- 
kommen und  Zahlung  fordern,  so  bleiben  die  meisten 
doch  Monate  und  Jahre  lang  ununterbrochen  im  Um- 
lauf. Obschon  daher  gewöhnlich  £  100,000  seiner 
Noten  umlaufen,  reichen  doch  £  20,000  in  Gold  und 
Silber  oft  vollkommen  hin,  um  allen  Zahlungsanforde- 
rungen zu  entsprechen.  £  20,000  in  Gold  und  Silber 
verrichten  demgemäß  dieselben  Dienste  wie  sonst 
£  100,000.  Mittelst  der  Noten  können  dieselben 
Tausche  vollzogen  werden,  kann  dieselbe  Menge  Ver- 
brauchsgegenstände umlaufen  und  an  ihre  eigentlichen 
Verbraucher  gelangen,  als  durch  einen  gleichen  Wert 
an  Gold  und  Silbergeld.  Man  kann  demnach  £  80,000 
in  Gold  und  Silber  am  Umlauf  des  Landes  sparen,  und 
wenn  gleichzeitig  von  vielen  Banken  und  Bankiers 
mehr  derartige  LTnternehmungen  gemacht  werden,  so 
läßt  sich  der  ganze  Umlauf  mit  dem  fünften  Teil  des 
Goldes  und  Silbers  bewirken,  das  ohne  sie  nötig  ge- 
wesen wäre. 


Kap.  IL :  Das  Geld.  27 

Angenommen,  das  ganze  umlaufende  Geld  eines 
Landes  belaufe  sich  zu  einer  gewissen  Zeit  auf  eine 
Million  Pfund  Sterling,  die  hinreichend  sind,  das  ganze 
Jahresprodukt  des  Bodens  und  der  Arbeit  in  Umlauf  zu 
bringen.  Angenommen  ferner,  daß  später  verschiedene 
Banken  und  Bankiers  auf  den  Inhaber  lautende  Noten 
im  Betrag  von  einer  Million  ausgeben,  und  um  gelegent- 
lichen Zahlungsanforderungen  zu  entsprechen,  £  200,000 
in  ihren  Kassen  behalten  —  so  würden  £  800,000  in 
Gold  und  Silber  und  eine  Million  in  Banknoten,  also 
£  1,800,000  in  Papier  und  Gold  zusammen  im  Umlauf 
sein.  Das  jährliche  Boden-  und  Arbeitsprodukt  des 
Landes  hatte  aber  nur  eine  Million  zum  Umlauf  und 
zur  Verteilung  an  die  Verbraucher  erfordert,  und  dieses 
Jahresprodukt  kann  sich  nicht  unmittelbar  durch  jene 
Bankoperationen  vermehren.  Eine  Million  wird  mithin 
auch  nachher  hinreichend  sein,  es  in  Umlauf  zu  halten. 
Da  die  in  den  Verkehr  kommenden  Waren  sich  nicht 
vermehrt  haben,  wird  auch  die  nämliche  Menge  Geldes 
hinreichen,  sie  zu  kaufen  und  zu  verkaufen.  Der  Um- 
laufskanal, wenn  ich  mich  dieses  Ausdrucks  bedienen 
darf,  wird  genau  derselbe  bleiben,  wie  zuvor.  Eine 
Million  war  nach  unserer  Annahme  hinreichend,  diesen 
Kanal  zu  füllen;  was  daher  über  diese  Summe  hinaus 
sich  in  ihn  ergießt,  kann  nicht  darin  bleiben,  sondern 
muß  überfließen.  Wenn  sich  £  1,800,000  in  ihn  ergießen, 
müssen  £  600,000  überfließen,  da  um  diese  Summe 
das  Umlaufserfordernis  des  Landes  überschritten  ist.  Da 
aber  diese  Summe,  die  man  im  Lande  nicht  braucht, 
doch  zu  wertvoll  ist,  als  daß  man  sie  müßig  liegen 
lassen  möchte,  so  wird  sie  ins  Ausland  gehen,  um  dort 
die  gewinnreiche  Anlegung  zu  suchen,  die  sie  im  Lande 
nicht  finden  kann.  Nun  aber  kann  das  Papier  nicht 
ins  Ausland  gehen,  weil  es  in  weiter  Ferne  von  den 
emittierenden  Bauken    und   von   dem  Lande,    in    dem 


28  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

die  Barzahlung  gesetzlich  erzwungen  werden  kann,  bei 
gewöhnlichen  Zahlungen  nicht  angenommen  zu  werden 
pflegt.  Daher  wird  Gold  und  Silber  im  Betrag  von 
£  800,000  ins  Ausland  gehen,  und  der  heimische  Um- 
laufskanal bleibt,  statt  mit  der  Million  Metall,  die  ihn 
früher  füllte,  mit  einer  Million  Papier  gefüllt. 

Wenn  aber  auch  eine  so  große  Menge  Gold  und 
Silber  ins  Ausland  geht,  so  wird  es  doch  nicht  umsonst 
gegeben  und  die  Besitzer  machen  den  fremden  Völkern 
kein  Geschenk  damit.  Sie  tauschen  vielmehr  für  das 
Geld  ausländische  "Waren  ein,  um  entweder  den  Ver- 
brauch anderer  Länder,  oder  den  der  eigenen  damit 
zu  versorgen. 

In  ersterem  Falle,  wenn  also  das  Gold  und  Silber 
im  sogenannten  Zwischenhandel  Verwendung  findet, 
ist  jeder  Gewinn,  den  die  Besitzer  der  edlen  Metalle 
erzielen,  eine  Vermehrung  des  reinen  Einkommens  ihres 
eignen  Landes  und  bildet  einen  neuen  Fonds  für  ein 
neues  Geschäft;  die  inländischen  Geschäfte  werden  nun 
mit  Papier  betrieben  und  Gold  und  Silber  sind  in  einen 
Fonds  für  jenen  neuen  Handelszweig  verwandelt. 

Wendet  man  hingegen  das  Gold  und  Silber  dazu 
an,  ausländische  Waren  für  den  inneren  Verbrauch  zu 
kaufen,  so  kann  man  entweder  Waren  kaufen,  die  vor- 
aussichtlich von  müßigen,  nichts  produzierenden  Leuten 
verzehrt  werden,  wie  Weine,  Seide  usw.,  oder  man 
kaaft  frische  Vorräte  von  Rohstoffen,  Werkzeugen  und 
Lebensmitteln,  um  damit  eine  weitere  Zahl  fleißiger 
Leute  zu  unterhalten  und  zu  beschäftigen,  die  den 
Wert  ihres  Jahresverbrauchs  mit  einem  Gewinn  wieder 
erzeugen. 

Wird  das  übei'schüssige  Gold  und  Silber  auf  erstero 
Art  verwendet,  so  befördert  es  die  Verschwendung,  ver- 
mehrt den  Aufwand  und  Verbrauch,  ohne  die  Produk- 
tion  zu  veiüirüßern   oder   einen  dauernden  Fonds  zur 


Kap.  TT. :  Das  Geld.  29 

Fortsetzung  dieses  Aufwandes  herzustellen,  und  ist 
für  das  Volk  in  jeder  Weise  schädlich. 

Wird  es  auf  die  letztere  Art  verwendet,  so  be- 
fördert es  die  Industrie,  und  vergrößert  zwar  den  Ver- 
brauch des  Volkes,  verschafft  aber  einen  dauernden 
Fonds  zur  Fortsetzung  dieses  Verbrauchs,  indem  die 
Verbraucher  den  ganzen  Wert  ihrer  Jahreskonsumtion 
mit  Gewinn  wieder  erzeugen.  Das  rohe  Einkommen  des 
Volkes,  der  Jahresertrag  seines  Bodens  und  seiner  Ar- 
beit, wird  um  den  ganzen  AVert  vermehrt,  den  der  Fleiß 
jener  Arbeiter  den  zu  veredelnden  Rohstoffen  verleiht, 
und  das  reine  Volkseinkommen  erhöht  sich  um  so  viel, 
als  von  diesem  Werte  nach  Abzug  der  Unterhaltungs- 
kosten für  Werkzeuge  und  Geräte  übrig  bleibt. 

Daß  der  größte  Teil  des  Goldes  und  Silbers,  das 
durch  jene  Bankoperationen  ins  Ausland  getrieben  und 
zum  Kauf  ausländischer  Waren  für  den  inländischen 
Verbrauch  verwendet  wird,  zum  Ankauf  dieser  zweiten 
Warenkategorie  dient  und  dienen  muß,  ist  nicht  bloß 
wahrscheinlich,  sondern  fast  unvermeidlich.  Obschon 
mancher  mitunter  seinen  Aufwand  bedeutend  vermehrt, 
ohne  daß  sein  Einkommen  sich  vergrößert,  so  wird 
doch  schwerlich  ein  ganzer  Stand,  eine  ganze  Volks- 
klasse so  handeln ;  denn  wenn  auch  nicht  immer  das 
Verhalten  der  einzelnen  von  den  Regeln  gewöhnlicher 
Klugheit  geleitet  wird,  so  beeinflussen  sie  doch  stets 
die  Handlungen  der  großen  Mehrzahl.  Das  Einkommen 
der  müssigen  Rentner,  als  Stand  oder  Klasse  betrachtet, 
kann  nun  durch  jene  Bankoperationen  nicht  im  Minde- 
sten zunehmen,  und  mithin  werden  sich  ihre  Ausgaben 
durch  diese  im  allgemeinen  auch  nicht  vergrößern, 
obschon  die  einzelner  es  tun  können,  und  es  zuweilen 
wirklich  tun.  Wenn  somit  die  Nachfrage  der  müssigen 
Rentner  nach  ausländischen  Waren  so  ziemlich  die 
nämliche  bleibt,  wie  zuvor,  so  wird  wohl  nur  ein  sehr 


30  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

kleiner  Teil  des  durch  jene  Bankoperationen  ins  Aus- 
land getriebenen  und  zum  Ankauf  fremder  Waren  für 
den  inländischen  Verbrauch  angewendeten  Geldes  zum 
Ankauf  der  von  jenen  gebrauchten  Waren  dienen. 
Der  grüßte  Teil  wird  vielmehr  zum  Unterhalt  der  Ge- 
werbtätigkeit und  nicht  des  Müßiggangs  dienen. 

Bei  der  Berechnung  des  Umfangs  der  Gewerbtätig- 
keit, die  das  Umlaufskapital  eines  Volkes  zu  beschäfti- 
gen vermag,  kommen  nur  diejenigen  Teile  von  ihm  in 
Betracht,  die  in  I^ebensmitteln,  Rohstoffen  und  Fabrika- 
ten bestehen;  der  andere,  der  in  Geld  besteht  und  nur 
dazu  dient,  die  drei  ersteren  in  Umlauf  zu  setzen,  muß 
stets  in  Abzug  gebracht  werden.  Um  Gewerbfleiß  in 
Bewegung  zu  setzen,  sind  drei  Dinge  erforderlich:  Stoffe 
zurVeredlung,Werkzeuge  zurBearbeitung  der  Rohstoffe 
und  Lohn  oder  Vergütung,  um  deren  wegen  gearbeitet 
wird.  Geld  ist  weder  ein  Rohstoff  zur  Veredlung  noch 
ein  Werkzeug  der  Arbeit;  der  Lohn  des  Arbeiters  ward 
zwar  gewöhnlich  in  Geld  bezahlt,  sein  wirkliches  Ein- 
kommen aber  besteht,  wie  das  aller  anderen  Leute, 
nicht  in  Geld,  sondern  in  Geldes  wert,  nicht  in  den  Me- 
tallstücken, sondern  in  dem,  was  für  sie  zu  haben  ist. 

Der  Umfang  der  Gewerbtätigkeit,  die  ein  Kapital 
zu  beschäftigen  vermag,  muß  offenbar  der  Zahl  von 
Arbeitern  gleich  sein,  die  es  mit  Rohstoffen, Werkzeugen 
und  den  der  Natur  der  Arbeit  angemessenen  Unterhalts- 
mitteln zu  versorgen  vei'mag.  Geld  kann  dazu  nötig 
sein,  die  Rohstoffe,  die  Werkzeuge  und  den  Unterhalt 
der  Arbeiter  zu  kaufen.  Aber  die  Summe  von  Gewerb- 
fleiß, die  das  ganze  Kapital  unterhalten  kann,  ist  ge- 
wiß nicht  beiden,  dem  Gelde  samt  den  Rohstoffen, 
Werkzeugen  und  Unterhaltsmitteln  gleich,  sondern  nur 
dem  einen  oder  dem  anderen  dieser  beiden  Werte  und 
zwar  dem  letzteren  mehr  als  dem  ersteren. 

Wenn    an   die  Stelle  des  Gold-    und  Silbergeldes 


Kap.  ir.:  Das  Geld.  31 

Papier  tritt,  so  kann  die  Summe  von  Rohstoffen,  Werk- 
zeugen und  Unterhaltsmitteln,  die  das  ganze  umlaufende 
Kapital  zu  verschaffen  vermag,  um  den  ganzen  Wert 
des  sonst  zu  ihrem  Ankauf  verwendeten  Goldes  und 
Silbers  zunehmen.  Der  ganze  Wert  des  großen  Um- 
laufs- und  Yerteilungsrades  tritt  zu  den  Gütern  hinzu, 
die  durch  seine  Vermittelung  umliefen  und  verteilt 
wurden.  Diese  Tätigkeit  gleicht  gewissermaßen  der 
eines  großen  Fabrikunternehmers,  der  infolge  einer 
mechanischen  Erfindung  seine  alten  Maschinen  aufgibt, 
und  den  Unterschied  zwischen  ihrem  Preise  und  dem 
der  neuen  Maschinen  zu  seinem  Umlaufskapital,  dem 
Fonds,  aus  dem  er  Materialien  und  Arbeitslohn  an- 
schafft, hinzuschlägt. 

Das  Verhältnis  zu  bestimmen,  in  welchem  das  um- 
laufende Geld  eines  Landes  zum  Gesamtwert  des  durch 
seine  Vermittlung  umlaufenden  Jahresertrags  steht,  ist 
vielleicht  unmöglich.  Von  einigen  ist  es  auf  ein  fünftel, 
von  anderen  auf  ein  zehntel,  ein  zwanzigste],  oder  selbst 
ein  dreißigstel  dieses  Wertes  geschätzt  worden.  Wie 
klein  aber  auch  das  Verhältnis  des  umlaufenden  Geldes 
zum  Gesamtwert  des  Jahresertrages  sein  mag,  so  muß 
doch  sein  Verhältnis  zu  demjenigen  Teile  dieses  Ertrags, 
der  zum  Unterhalt  der  Gewerbtätigkeit  dient  —  und  das 
ist  eben  nur  ein  Teil  und  oft  ein  nur  geringer  Teil  des 
Gesamtertrags  —  stets  sehr  groß  sein.  Wird  daher  durch 
die  Stellvertretung  des  Papiers  das  zum  Umlauf  er- 
forderliche Gold  und  Silber  vielleicht  auf  ein  fünftel 
der  früheren  Menge  zurückgeführt,  so  muß  es,  wenn  der 
Wert  des  größeren  Teils  der  übrigen  vier  fünftel  zu 
den  dem  Unterhalt  der  Gewerbtätigkeit  dienenden 
Fonds  hinzukommt,  die  Summe  dieser  Gewerbtätigkeit 
und  folglich  den  Wert  des  jährlichen  Boden-  und 
Arbeitsertrags  sehr- bedeutend  vermehren. 

Etwas  der  Art  ist  in  den  letzten  25  oder  3U  Jahren 


32  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

in  Schottland  durch  die  Gründung  neuer  Bankgesell- 
schaften fast  in  jeder  größeren  Stadt,  ja  sogar  in  man- 
chen Landstädtchen,  vor  sich  gegangen.  Die  Wirkun- 
gen waren  genau  die  oben  beschriebenen.  Die  Geschäfte 
des  Landes  werden  fast  ausschließlich  mit  dem  Papier 
jener  Bankgesellschaften  geführt,  womit  Käufe  und 
Zahlungen  aller  Art  gemacht  zu  werden  pflegen.  Silber 
kommt  nur  selten  vor,  außer  beim  Wechseln  einer 
Zwanzigschillingnote,  und  Gold  noch  seltener.  Obgleich 
nicht  alle  jene  Gesellschaften  tadelfrei  geblieben  sind 
und  ihre  Gebahrungen  durch  eine  Parlamentsakte  ge- 
regelt werden  mußten,  so  hat  das  Land  doch  offenbar 
großen  Gewinn  aus  ihrem  Betrieben  gezogen.  Man  ver- 
sichert, daß  der  Handel  Glasgows  sich  seit  den  fünfzehn 
Jahren  der  Gründung  der  dortigen  Banken  verdoppelt 
habe,  und  daß  der  Handel  Schottlands  seit  der  Er- 
richtung der  beiden  öffentlichen  Banken  in  Edinburgh, 
von  denen  die  Bank  von  Schottland  durch  eine  Par- 
lamentsakte 1695,  und  die  königliche  Bank  durch  einen 
königlichen  Freibrief  1727  gegründet  wurde,  um  mehr 
als  das  vierfache  gestiegen  sei.  Ob  der  Handel  Schott- 
lands im  allgemeinen  oder  Glasgows  insbesondere 
während  einer  so  kurzen  Zeit  wirklich  so  stark  zuge- 
nommen hat,  weiß  ich  nicht.  Ist  es  aber  geschehen,  so 
scheint  dieser  Erfolg  zu  groß  zu  sein,  als  daß  er  sich 
aus  jener  Ursache  allein  erklären  ließe.  Indeß  steht 
die  Tatsache  fest,  daß  Handel  und  Industrie  Schott- 
lands innerhalb  dieses  Zeitraums  sehr  bedeutend  ge- 
stiegen sind;  und  daß  die  Banken  viel  dazu  beige- 
tragen haben,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 

Der  Wert  des  in  Schottland  vor  der  Union  (1707) 
umlaufenden  und  unmittelbar  nach  ihr  zum  Zweck 
einer  Umprägung  in  die  Bank  von  Schottland  geliefer- 
ten Silbergeldes  betrug  £  411,117  10  sh.  9  d.  Über  die 
Goldmünzen  war  keine  Berechnung  aufzutreiben,  doch 


Kap.  IL:  Das  Geld.  33 

geht  aus  den  alten  schottischen  Münzberichten  hervor, 
daß  der  "Wert  des  jährlich  gemünzten  Goldes  den  des 
Silbers  etwas  überstieg.  Sehr  viele,  die  an  der  Zurück- 
zahlung zweifelten,  bi'achten  damals  ihr  Silber  nicht  zur 
Bank  von  Schottland*);  auch  lief  einiges  englisches  Geld 
um,  das  nicht  eingefordert  wurde.  Der  Gesamtwert  des 
vor  der  Union  in  Schottland  umlaufenden  Goldes  und 
Silbers  kann  daher  auf  mindestens  eine  Million  £  ver- 
anschlagt werden.  Dies  dürfte  so  ziemlich  der  ganze 
Umlauf  des  Landes  gewesen  sein;  denn  obwohl  die 
Bank  von  Schottland,  die  damals  noch  ohne  Konkurrenz 
war,  vorher  eine  nicht  unbeträchtliche  Menge  Noten  im 
Umlauf  hatte,  so  war  sie  doch  im  Verhältnis  zum  Ganzen 
nur  unbedeutend.  Gegenwärtig  kann  man  den  ganzen 
Umlauf  Schottlands  auf  mindestens  zwei  Millionen  ver- 
anschlagen, wovon  wahrscheinlich  kaum  eine  halbe 
MilHon  in  Gold  und  Silber  besteht.  Obwohl  aber  der 
Umlauf  an  Gold  und  Silber  so  bedeutend  abgenommen 
hat,  scheint  doch  der  wahre  Wohlstand  des  Landes 
keineswegs  gelitten  zu  haben ;  im  Gegenteil  haben  sich 
Ackerbau,  Industrie  und  Handel,  hat  sich  der  Jahreser- 
trag seines  Bodens  und  seiner  Arbeit  offenbar  gehoben. 
Die  meisten  Banken  geben  ihre  Noten  mittelst 
Wechseldiskont,  d.  h.  Geldvorschuß  auf  Wechsel  vor 
der  Verfallzeit  aus.  Von  der  vorzuschießenden  Summe 
werden  die  gesetzlichen  Zinsen  bis  zum  Verfalltage 
des  Wechsels  abgezogen.  Die  Bezahlung  des  fälligen 
Wechsels  erstattet  der  Bank  den  Vorschuß  nebst  einem 
Zinsgewinn  zurück.  Der  Bankier,  der  dem  Kaufmann, 
dessen  Wechsel  er  diskontiert,  nicht  Gold  und  Silber, 
sondern  seine  eigenen  Noten  gibt,  hat  den  Vorteil,  daß 
er  um  den  ganzen  Betrag  erfahrungsmäßig  im  Umlauf 
bleibender  Noten  mehr  diskontieren  kann,  wodurch  er 
an  einer  um  soviel  größeren  Summe  Zinsen  macht. 


'*')  Siehe  Riiddimans  Vorrede  zu  Andersons  DiploniataScotiae. 
Adam  Smith,  Volkswohlstand.  IL  <J 


34  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Der  noch  immer  nicht  sehr  bedeutende  schottische 
Handelsverkehr  war  zu  der  Zeit,  als  die  beiden  ersten 
Banken  gegründet  wurden,  noch  viel  geringfügiger,  und 
diese  Gesellschaften  würden  wenig  Geschäfte  gemacht 
haben,  wenn  sie  sich  auf  Wechseldiskont  beschränkt 
hätten.  Sie  ersannen  deshalb  eine  andere  Methode  ihre 
Noten  auszugeben,  indem  sie  nämlich  sogenannte  Kassa- 
konten einrichteten,  d.  h.  jedem,  der  zwei  Leute  von 
unzweifelhaftem  Kredit  und  gutem  Grundbesitz  als 
Bürgen  für  die  Rückzahlung  stellen  konnte,  bestimmte 
Summen,  z.B.  zwei  oder  dreitausend  Pfund,  kreditierten. 
Kredite  dieser  Art  werden,  glaube  ich,  überall  in  der 
Welt  von  Banken  und  Bankiers  bewilligt,  aber  die 
leichten  Bedingungen,  die  die  schottischen  Banken  hin- 
sichtlich der  Rückzahlung  stellen,  sind,  so  viel  ich  weiß, 
ihnen  eigentümlich  und  waren  vielleicht  die  Hauptur- 
sache sowohl  der  guten  Geschäfte,  die  sie  machten,  als 
auch  des  Nutzens,  den  das  Land  daraus  zog. 

Wer  einen  solchen  Kredit  bei  einer  dieser  Gesell- 
schaften hat,  und  z.  B.  tausend  Pfund  von  ihr  borgt, 
kann  diese  Summe  in  Raten  zu  zwanzig  und  dreißig 
Pfund  zurückzahlen,  wobei  die  Zinsen  von  dem  Tage 
der  Einzahlung  an  abgerechnet  werden.  Alle  Kauf- 
leute, überhaupt  fast  alle  Geschäftsleute  finden  es  daher 
vorteilhaft,  sich  Kassakonten  bei  ihnen  zu  verschaffen, 
und  sind  dadurch  selbst  dabei  interessiert,  die  Ge- 
schäfte jener  Gesellschaften  zu  fördern,  ihre  Noten  be- 
reitwillig bei  allen  Zahlungen  anzunehmen  und  andere 
Leute  zu  bewegen,  dasselbe  zu  tun.  Wenn  die  Ge- 
schäftsfreunde der  Banken  Geld  von  ihnen  wünschen, 
so  schießen  letztere  es  gewöhnlich  in  ihren  Noten  vor. 
Diese  Noten  geben  die  Kaufleute  ihrerseits  an  die  Ge- 
werbtreibenden  für  Waren  in  Zahlung,  die  Gewerb- 
treibenden  geben  sie  für  Rohstoffe  und  Lebensmittel  an 
die  Pächtei-,  die  Pächter  als  Rente  an  die  Grundeigen- 


Kap.  TL:  Das  Geld.  35 

tümer,  die  Grundeigentümer  zahlen  sie  für  Bedarfs- 
und Luxusartikel  an  die  Kaufleute,  und  die  Kaufleute 
endlich  schicken  sie  an  die  Banken  zui'ück,  um  ihre 
Kassenkonten  zu  begleichen,  oder  ihr  Darlehen  zurück- 
zuzahlen, und  so  werden  fast  alle  Geschäfte  des  Landes 
mittelst  jener  Noten  geführt.  Daher  das  große  Ge- 
schäft jener  Gesellschaften. 

Mittelst  der  Kassenkonten  kann  jeder  noch  so  vor- 
sichtige Kaufmann  größere  Geschäfte  treiben,  als  es  ihm 
sonst  möglich  wäre.  Von  zwei  Kaufleuten,  von  denen 
einer  in  London,  der  andere  in  Edinburgh  wohnt,  und 
die  beide  Kapitalien  in  dem  nämlichen  Geschäftszweige 
angelegt  haben,  kann  der  Edinbuigher  ohne  Unvor- 
sichtigkeit größere  Geschäfte  treiben,  und  mehr  Leute 
beschäftigen,  als  der  Londoner.  Der  Letztere  muß  zu 
Hause  oder  bei  seinem  Bankier,  der  ihm  keine  Zinsen 
dafür  gibt,  immer  eine  beträchtliche  Summe  bereit  halten, 
um  für  die  Ware,  die  er  kauft,  auf  Verlangen  sofort 
Zahlung  leisten  zu  können.  Angenommen,  diese  Summe 
belaufe  sich  gewöhnlich  auf  £  500,  so  muß  der  Wert 
der  Waren  in  seinem  Lager  um  £  500  geringer  sein, 
als  es  nötig  wäre,  wenn  er  nicht  diese  Summe  unbe- 
schäftigt liegen  lassen  müßte.  Setzt  er  gewöhnlich  seine 
Vorräte  einmal  jährlich  um,  so  wird  er,  da  er  diese 
Summe  unbeschäftigt  lassen  muß,  im  Jahr  für  £  500 
Waren  weniger  verkaufen,  als  er  es  sonst  könnte.  Sein 
jährlicher  Gewinn  wird  daher  um  den  Betrag  geringer 
sein,  den  er  durch  den  Verkauf  von  Waren  im  Werte 
von  £  500  hätte  erwarten  können,  und  die  Anzahl  der 
Leute,  denen  er  zu  tun  gibt,  ward  um  soviel  kleiner 
sein,  als  durch  £  500  mehr  hätten  beschäftigt  werden 
können.  Der  Edinburgher  Kaufmann  dagegen  braucht 
kein  Geld  zur  Deckung  gelegentlicher  Forderungen 
unbeschäftigt  liegen  zu  lassen.  Er  deckt  solche  durch 
sein  Kassenkonto  bei  der  Bank,  und  erstattet  nach  und 


36  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

nach  die  geborgte  Summe  mit  dem  bei  ihm  eingehenden 
Geld  oder  Papier  zurück.  Er  kann  daher  ohne  jede  Un- 
vorsichtigkeit mit  dem  nämhchen  Kapital  fortwährend 
eine  prößere  Menge  Waren  auf  Lager  halten,  als  der 
Londoner  Kaufmann,  und  dadurch  sowohl  für  sich  selbst 
einen  größeren  Gewinn  ziehen,  als  auch  eine  grüßeie 
Zahl  fleißiger  Leute,  von  denen  er  die  Waren  ent- 
nimmt, beschäftigen.  Daher  der  große  Vorteil,  den 
das  Land  aus  jenen  Unternehmungen  zieht. 

Man  sollte  zwar  glauben,  daß  die  Leichtigkeit  des 
Wechseldiskonts  den  englischen  Kaufleuten  Vorteile 
biete,  die  den  Kassenkonten  der  schottischen  Kaufleute 
gleichkommen.  Aber  man  darf  nicht  vergessen,  daß 
die  schottischen  Kaufleute  ihre  Wechsel  eben  so  leicht 
diskontieren  können  wie  die  englischen,  und  außerdem 
noch  den  A'^orteil  ihrer  Kassenkonten  haben. 

Der  Gesamtwert  des  Papiergeldes,  das  in  einem 
Lande  mit  Leichtigkeit  umzulaufen  vermag,  kann  den 
Wert  des  Goldes  und  Silbers  nicht  übersteigen,  dessen 
Stelle  es  ersetzen  oder  das  bei  gleichem  Verkehr  um- 
laufen würde,  falls  es  kein  Papiergeld  gäbe.  Sind  bei- 
spielsweise Zwanzigschillingnoten  das  niedrigste  Papier- 
geldzeichen, so  kann  ihre  Summe,  die  mit  Leichtigkeit 
umläuft,  die  Summe  des  Goldes  und  Silbers  nicht  über- 
steigen, welche  erforderlich  wäre,  die  im  Lande  vor- 
kommenden jährlichen  Umsätze  von  zwanzig  Schilling 
und  darüber  zu  bewirken.  Übersteigt  einmal  das  um- 
laufende Papier  diese  Summe,  so  muß  der  Überschuß, 
da  er  weder  ins  Ausland  gesendet,  noch  in  dem  inneren 
Umlauf  verbraucht  werden  kann,  sofort  in  die  Banken 
zurückkehren,  um  gegen  Gold  imd  Silber  ausgetauscht 
zu  werden.  Viele  würden  einsehen,  daß  sie  mehr  Paj^ier 
haben,  als  sie  zum  Geschäftsbetriebe  im  Lande  brauchen, 
und  da  sie  es  nicht  ins  Ausland  schicken  können,  Bar- 
zahlung dafür  fordern.  In  Gold  und  Silber  umgewechselt 


Kap.  Tl.:  Da.s  Gold.  37 

kimnen  sie  das  Geld  leicht  zu  Sendungen  ins  Ausland 
gebrauchen;  in  Gestalt  des  Papiers  dagegen  hat  es  für 
sie  keinen  Nutzen.  Es  würde  deshalb  alsbald  ein  Sturm 
auf  die  Banken  entstehen  und  der  ganze  Betrag  des 
überflüssigen  Papiers  zur  Einlösung  vorgelegt  werden ; 
und  wenn  sie  Schwierigkeiten  machten,  so  würde  noch 
um  einen  weit  größeren  Betrag  sturmgelaufen  werden: 
denn  der  Lärm,  den  die  Weigerung  hervorbrächte, 
würde  den  Sturm  notwendig  vermehren. 

Außer  den  Kosten,  die  allen  Geschäftszweigen 
gemeinsam  sind,  wie  Hausmiete,  Lohn  der  Gehilfen 
und  Buchhalter  usw.,  erwachsen  einer  Bank  noch  be- 
sondere Kosten  hauptsächlich  dadurch,  daß  sie  erstens 
jederzeit  eine  große  Summe  zur  Befriedigung  der  ge- 
legentlichen Forderungen  seitens  der  Xoteninhaber 
unverzinslich  liegen  haben  und  zweitens  die  Kassen, 
sobald  sie  geleert  sind,  wieder  füllen  muß. 

Eine  Bankgesellschaft,  die  mehr  Papier  ausgiebt, 
als  im  Umlauf  des  Landes  zu  verwenden  ist,  und  zu 
der  der  Überschuß  fortwährend  zurückkehrt,  müßte  die 
in  der  Kasse  gehaltene  Menge  Gold  und  Silbers,  nicht 
nur  im  Verhältnis  jenes  Übermaßes  ihres  L^mlaufs, 
sondern  in  noch  weit  größerem  Verhältnisse  vermehren, 
da  ihre  Noten  weit  schneller  zurückkehren,  als  das 
Verhältnis  jenes  Übermaßes  es  mit  sich  bringt.  Die 
Gesellschaft  müßte  also  die  erstere  Ausgabe  nicht  nur 
nach  Verhältnis  der  forzierten  Geschäftszunahme,  son- 
dern nach   weit  größerem  Verhältnis  vermehren. 

Auch  müssen  die  Barbestände  der  Gesellschaft, 
wenn  sie  auch  viel  größer  sind,  sich  doch  weit  schneller 
leeren,  als  wenn  das  Geschäft  in  verständige  Grenzen 
eingeschränkt  wird,  und  nicht  nur  stärkere,  sondern 
auch  dauerndere  und  ununterbrochenere  Ausgaben 
erfordern,  um  wieder  gefüllt  zu  werden.  Und  die  auf 
diese  Weise  fortwährend  in  großen  Mengen  ihren  Kassen 


f^^  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

entnommene  Münze  kann  auch  im  Umlaufe  des  Landes 
nicht  verwendet  werden.  Sie  tritt  an  die  Stelle  eines 
Papiergeldes,  von  dem  schon  zu  viel  vorhanden  war, 
um  im  Umlauf  verwendet  werden  zu  können,  und  über- 
steigt daher  gleichfalls  den  Bedarf.  Da  man  aber  diese 
Münze  nicht  wird  müßig  liegen  lassen  wollen,  so  muß 
sie  in  der  einen  oder  anderen  Gestalt  ins  Ausland  ge- 
sendet werden,  um  dort  die  gewinnbringende  Verwen- 
dung zu  finden,  die  ihr  im  Lande  nicht  zu  Teil  wird; 
und  diese  beständige  Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  muß 
notwendig  die  Kosten,  die  die  Bank  für  Anschaffung 
frischen  Goldes  und  Silbers  zur  Füllung  ihrer  Kassen 
aufwenden  muß,  die  sich  so  schnell  leeren,  noch  erhöhen. 
Eine  solche  Gesellschaft  muß  daher  je  nach  dem  Über- 
maße der  Geschäftsausdehnung  die  zweite  Art  ihrer 
Unkosten  noch  mehr  erhöhen,  als  die  erstere. 

Angenommen,  die  Noten  einer  Bank,  die  der  Um- 
lauf des  Landes  leicht  aufnehmen  und  verwenden  kann, 
machten  genau  £  40,000  aus,  und  diese  Bank  müßte, 
um  den  gelegentlichen  Forderungen  zu  entsprechen, 
jederzeit  £  10,000  in  Gold  und  Silber  vorrätig  haben. 
Sollte  diese  Bank  versuchen,  £  44,000  in  Umlauf  zu 
setzen,  so  würden  die  £  4000,  die  sie  mehr  ausgiebt, 
als  der  Umlauf  leicht  aufnehmen  und  verwenden  kann, 
fast  eben  so  schnell  zu  ihr  zurückkehren,  als  sie  aus- 
gegeben wurden.  Um  den  gelegentlichen  Forderungen 
zu  entsprechen,  müßte  die  Bank  also  jederzeit  nicht 
nur  £  11,000,  sondern  £  14,000  in  der  Kasse  haben. 
Sie  würde  auf  diese  "Weise  an  den  Zinsen  der  den  Um- 
lauf übersteigenden  £  4000  nichts  gewinnen,  und  die 
ganzen  Unkosten  für  beständige  Anschaffung  von 
£  4000  in  Gold  und  Silber,  die  eben  so  schnell  wieder 
gehen,  wie  sie  kommen,  verlieren. 

Hätten  alle  Banken  stets  ihr  Interesse  verstanden 
und  gewahrt,  so  würde  der  Umlauf  niemals  mit  Papier- 
geld überfüllt  worden  sein.    Aber  dies  war  eben  nicht 


Kap.  IL:  Das  Geld.  39 

immer  der  Fall  und  der  Umlauf  wurde  oft  genug  mit 
Papiergeld  überfüllt. 

Durch  Ausgabe  einer  zu  großen  Masse  Papier, 
dessen  Überschuß  stets  zurückkehrte,  um  gegen  Gold 
und  Silber  ausgetauscht  zu  werden,  sah  sich  die  Bank 
von  England  genötigt,  jährlich  zwischen  £  800,000  und 
1,000,000  oder  durchschnittlich  £  850,000  Gold  prägen 
zu  lassen.  Zu  diesem  Ende  war  die  Bank,  weil  seit 
einigen  Jahren  die  Goldmünzen  stark  abgenutzt  und 
verschlechtert  waren,  oft  genötigt,  Goldbarren  zu  dem 
hohen  Preise  von  £  4  für  die  Unze  zu  kaufen,  die  sie 
bald  darauf  als  Münze  zu  £  3  17  sh.  10V2  d.  wieder 
ausgab,  wobei  sie  also  zwischen  2^  2  und  S^/o  verlor, 
ein  bei  einer  so  großen  Summe  sehr  bedeutender  Ver- 
lust. Obgleich  die  Bank  keinen  Schlagschatz  zahlte, 
und  eigentlich  die  Regierung  die  Kosten  der  Aus- 
münzung trug,  so  konnte  diese  Freigebigkeit  des 
Staates  doch   nicht  die  Unkosten   der  Bank  verhüten. 

Die  schottischen  Banken  sahen  sich  durch  ähnliche 
Überschreitungen  genötigt,  beständig  Agenten  in  Lon- 
don zu  halten,  um  Geld  für  sie  zu  beschaffen,  was 
selten  ohne  einen  Verlust  von  1^  2  bis  2°'o  abging.  Dazu 
kamen  noch  ^  4°,o  oder  15  sh.  auf  £  100  für  Fracht 
und  Versicherung.  Die  Agenten  aber  waren  nicht  immer 
im  Stande,  die  Kassen  ihrer  Auftraggeber  so  rasch  zu 
füllen,  als  sie  sich  geleert  hatten.  In  diesem  Falle  er- 
griffen die  Banken  das  Auskunftsmittel,  auf  ihre  Korre- 
spondenten in  London  Wechsel  in  Höhe  der  benötigten 
Summen  zu  ziehen.  Zogen  später  die  Korrespondenten 
ihrerseits  Wechsel  in  gleichem  Betrage,  samt  Zinsen 
und  Provision,  auf  die  Banken,  so  vermochten  manche 
von  ihnen,  bei  der  Verlegenheit,  in  die  sie  durch  den 
übermäßigen  Umlauf  geraten  waren,  die  Tratten  oft 
auf  keine  andre  Ar^^  zu  bezahlen,  als  indem  sie  eine 
zweite  Serie  von  Wechseln  entweder  auf  den  nämlichen 
oder   auf  andere  Korrespondenten    in   London   zogen; 


40  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

und  so  machte  ein  und  dieselbe  Summe,  oder  vielmehr 
Wechsel  von  ein  und  derselben  Summe,  mitunter  mehr 
als  zwei  oder  drei  Reisen,  wobei  die  schuldende  Bank 
stets  die  Zinsen  und  Provisionen  auf  die  ganze  sich 
häufende  Summe  zu  bezahlen  hatte.  Selbst  solche 
schottische  Banken,  die  niemals  eine  besonders  große 
Unvorsichtigkeit  an  den  Tag  legten,  sahen  sich  manch- 
mal in  die  Notw^endigkeit  versetzt,  dieses  verderbliche 
Auskunftsmittel  zu  ergreifen. 

Das  Goldgeld,  das  von  der  Bank  von  England 
oder  von  den  schottischen  Banken  im  Austausch  gegen 
denjenigen  Teil  ihres  Papiers  gezahlt  wurde,  der  deii 
Umlaufsbedarf  des  Landes  überstieg,  wurde,  da  es 
gleichfalls  diesen  Bedarf  überstieg,  bald  im  gemünzten 
Zustande,  bald  eingeschmolzen  und  als  Barren  ins 
Ausland  gesandt,  oder  auch  eingeschmolzen  und  zu 
dem  hohen  Preise  von  £  4  für  die  Unze  an  die  Bank 
von  England  verkauft.  Man  suchte  mit  aller  Sorgfalt 
nur  die  neuesten,  schwersten  und  besten  Stücke  aus, 
um  sie  fortzusenden  oder  einzuschmelzen.  Im  Lande 
selbst  hatten  diese  schweren  Stücke  als  Münze  keinen 
höheren  Wert,  als  die  leichten;  sie  erhielten  ihn  aber, 
wenn  sie  entweder  ins  Ausland  geschickt  oder  im  Lande 
selbst  zu  Barren  eingeschmolzen  wurden.  Die  Bank 
von  England  fand  zu  ihrem  Erstaunen,  daß  trotz  ihrer 
großen  Ausmünzungen  sich  alljährlich  wieder  derselbe 
Mangel  an  Münze  zeigte,  wie  im  Vorjahr,  und  daß, 
trotz  der  großen  Menge  guter  und  neuer  Münzen,  die 
die  Bank  jährlich  ausbrachte,  der  Zustand  der  Münzen, 
statt  besser  zu  werden,  mit  jedem  Jahre  schlechter 
wurde.  Mit  jedem  Jahre  war  man  von  neuem  ge- 
nötigt, beinahe  die  nämliche  Menge  Gold  ausmünzen 
zu  müssen,  wie  im  Vorjahre,  und  dabei  wurden  die 
Kosten  dieser  großen  jährlich  wiederkehi'enden  Aus- 
münzung durch  das  fortwährende  Steigen  des  Gold- 
barrenpreises,   der    wegen    der    Abnutzung    und    Be- 


Kap.  II.:   Pas  Geld.  41 

schneidung  des  Geldes  immer  höher  wurde,  von  Jahr 
zu  Jahr  größer.  Die  Bank  von  England  muß  nämlich 
durch  die  eigne  Versorgung  mit  barem  Gelde  indirekt 
das  ganze  Reich  damit  versorgen,  wohin  es  aus  der 
Bank  auf  den  verschiedensten  Wegen  beständig  abfließt. 
So  viel  Bargeld  daher  auch  erforderlich  war,  um  den  über- 
mäßigen Umlauf  schottischen  und  englischen  Papier- 
geldes aufrecht  zu  erhalten,  und  so  große  Lücken  auch 
dieser  übermäßige  Umlauf  in  der  für  das  Reich  nötigen 
Münze  hervorbrachte:  die  Bank  von  England  mußte 
für  ihre  Beschaffung  sorgen.  Allerdings  bezahlten 
auch  die  Schotten  ihre  Unvorsichtigkeit  teuer;  aber  die 
Bank  von  England  hatte  nicht  nur  ihre  eigene,  sondern 
auch  die  noch  weit  größere  Unvorsichtigkeit  fast  aller 
schottischen  Banken  sehr  teuer  zu  bezahlen. 

Die  ursprüngliche  Ursache  dieses  übermäßigen 
Pajjierumlaufs  war  die  Spekulationswut  einiger  ver- 
wegenen Spekulanten  in  beiden  Teilen  des  vereinigten 
Königreichs. 

Eine  Bank  vermag  den  Handel-  oder  Gewerbtrei- 
benden  weder  ihr  ganzes  Betriebskapital,  noch  auch 
nur  einen  erheblichen  Teil  von  ihm,  sondern  nur  den- 
jenigen Teil  vernünftiger  Weise  vorzuschießen,  den  sie 
ohne  jenen  Vorschuß  unbeschäftigt  zur  Befriedigung 
einlaufender  Forderungen  in  barem  Gelde  liegen  haben 
müßten.  Übersteigt  das  Papiergeld,  das  die  Bank  vor- 
schießt, niemals  diesen  Betrag,  so  kann  es  auch  niemals 
den  Betrag  des  Goldes  und  Silbers  übersteigen,  das  im 
Lande  umlaufen  würde,  wenn  es  kein  Papiergeld  gäbe; 
oder  mit  andern  Worten:  es  kann  die  Menge  nicht 
übersteigen,  die  der  Umlauf  des  Landes  mit  Leichtig- 
keit aufnehmen  und  verwenden   kann. 

Diskontiert  eine  Bank  einem  Kaufmann  einen 
reellen  von  einem  wirklichen  Gläubiger  auf  einen  wirk- 
lichen Schuldner  ausgestellten  Wechsel,  der  am  Verfall- 
tag pünktlich  bezahlt  wird,  so  schießt  sie  ihm  nur  einen 


42  Zweites  Burh:  Das  Kapital. 

Teil  des  Betrages  vor,  den  er  sonst  unbeschäftigt  in 
barem  Gelde  bei  sich  hegen  lassen  müßte,  um  ein- 
laufende Forderungen  befriedigen  zu  können.  Die 
Bezahlung  des  Wechsels  am  Verfalltage  erstattet  der 
Bank  den  Betrag  ihres  Vorschusses  mit  Zinsen  zurück. 
Die  Kassen  der  auf  Geschäfte  mit  solchen  Kunden 
beschränkten  Bank  gleichen  einem  Teich,  aus  dem 
zwar  stets  Wasser  abfließt,  aber  in  den  auch  stets 
wieder  ebenso  viel  hineinfließt,  so  daß  der  Teich  ohne 
alle  weitere  Sorge  oder  Wartung  immer  gleich  oder 
beinahe  gleich  voll  bleibt.  Die  Kassen  einer  solchen 
Bank  wieder  zu  füllen,  kann  nur  wenig  oder  gar  keine 
Unkosten  verursachen. 

Jedoch  auch  ohne  seinen  Betrieb  übermäßig  auszu- 
dehnen, kann  ein  Kaufmann  oft  in  den  Fall  kommen, 
bares  Geld  zu  brauchen,  für  das  er  keine  Wechsel  zu 
diskontieren  hat.  Schießt  ihm  die  Bank,  die  gewöhnlich 
seine  AVechsel  diskontiert,  in  solchen  Fällen  auch  noch 
diese  Summe  auf  sein  Kassenkonto  vor  und  gestattet 
unter  den  leichten  Bedingungen  der  schottischen  Banken 
ratenweise  Rückzahlung,  so  überhebt  sie  ihn  gänzlich  der 
Notwendigkeit,  einen  Teil  seines  Kapitals  zur  Befriedi- 
gung einlaufender  Forderungen  unbeschäftigt  in  barem 
Gelde  liegen  zu  haben.  Er  befriedigt  sie  aus  seinem 
Kassenkonto.  Doch  hat  die  Bank  bei  solchen  Kunden 
sehr  genau  darauf  zu  achten,  ob  innerhalb  eines  kurzen 
Zeitraums,  z.  B.  von  vier,  fünf,  sechs  oder  acht  Monaten, 
der  Betrag  der  Ratenzahlungen  dem  Betrag  der  Vor- 
schüsse gleichkommt  oder  nicht.  Ist  ersteres  der  Fall, 
so  kann  die  Bank  ohne  Gefahr  mit  solchen  Kunden 
die  Geschäfte  fortsetzen.  Denn  wenn  auch  in  diesem 
Falle  der  Abzug  aus  den  Kassen  fortwährend  sehr  stark 
ist,  so  wird  doch  der  Zugang  wenigstens  eben  so  stark 
sein,  so  daß  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Kassen 
sich  ohne  weitere  Sorge  auf  annähernd  gleichem  Be- 
stände erhalten  und  kaum  Unkosten  für  Geldbeschaffung 


Kai).  "•:    '^^1«  CS  eld-  43 

erfordern  werden.  Bleibt  dagegen  der  Betrag  der  Rück- 
zahlungen gewöhnlich  weit  hinter  den  Vorschüssen  zu- 
rück, so  kann  die  Bank  mit  derartigen  Kunden  die 
Geschäfte  nicht  mit  Sicherheit  fortsetzen,  falls  sie  ihre 
Gebahrungen  nicht  ändern.  Der  fortdauernde  Abzug 
aus  ihren  Kassen  muß  in  diesem  Falle  weit  größer  sein, 
als  der  Zugang,  so  daß  die  Kassen,  wenn  sie  nicht 
mit  großen  Kosten  beständig  wieder  ergänzt  werden, 
bald  gänzlich  erschöpft  sein  müssen. 

Deshalb  waren  die  schottischen  Banken  lange  Zeit 
eifrig  darauf  bedacht,  von  allen  ihren  Kunden  oftmalige 
und  regelmäßige  Rückzahlungen  zu  fordern,  und  es  lag 
ihnen  wenig  an  Geschäftsverbindungen  mit  Leuten,  die 
so  groß  ihr  Vermögen  oder  Kredit  sein  mochte,  doch, 
wie  sie  sich  ausdrückten,  keine  häufigen  und  regel- 
mäßigen Geschäfte  mit  ihnen  machten.  Durch  diese 
Behutsamkeit  erreichten  sie,  abgesehen  davon,  daß  sie 
ungewöhnliche  Kosten  für  Ergänzung  ihrer  Barbe- 
stände ersparten,  zwei  andere  sehr  wesentliche  Vorteile. 

Erstens  waren  sie  durch  ihre  Behutsamkeit  in 
Stand  gesetzt,  sich  über  die  guten  und  schlechten  Ver- 
mögensumstände ihrer  Schuldner  hinreichend  auf  dem 
Laufenden  zu  halten,  ohne  andere  Auskunft  zu  brau- 
chen, als  ihre  eignen  Bücher  sie  darboten:  denn  die 
Schuldner  sind  meist  mit  der  Rückzahlung  pünktlich 
oder  saumselig,  je  nachdem  sie  sich  in  guten  oder 
schlechten  Umständen  befinden.  Ein  Privatmann,  der 
sein  Geld  vielleicht  an  ein  halbes  Dutzend  oder  ein 
Dutzend  Schuldner  ausleiht,  kann  entweder  selbst  oder 
durch  Agenten  ihr  Verhalten  und  ihre  Lage  beob- 
achten. Aber  eine  Bankgesellschaft,  die  vielleicht  an 
fünfhundert  Leute  Geld  ausleiht,  und  deren  Aufmerk- 
samkeit stets  auf  sehr  verschiedene  Dinge  gerichtet 
ist,  kann  sich  über  die  Gebahrungen  und  Umstände 
ihrer  meisten  Schuldner  nur  aus  ihren  eignen  Büchern 
unterrichten.     Diesen  Vorteil  hatten  auch  wahrschein- 


44  Zweites  Bucli:  Da.s  Kapital. 

lieh  die  schottischen  Banken  im  Auge,  wenn  sie  häufige 
und  regelmäßige  Rückzahlungen  von  ihren  Kunden 
verlaugten. 

Zweitens  sicherten  sie  sich  durch  diese  Behut- 
samkeit gegen  die  Möglichkeit,  mehr  Papier  auszu- 
geben, als  der  Umlauf  des  Landes  leicht  aufnehmen 
und  gebrauchen  konnte.  Bemerkten  sie,  daß  die  Rück- 
zahlungen eines  Kunden  innerhalb  eines  kurzen  Zeit- 
raums den  Bankvorschüssen  gleich  kamen,  so  konnten 
sie  sicher  sein,  daß  das  Papiergeld,  das  sie  ihm  vor- 
geschossen hatten,  niemals  die  Menge  Gold  und  Silber 
überstieg,  die  er  ohne  ihren  Vorschuß  zur  Deckung 
einlaufender  Forderungen  hätte  halten  müssen,  und 
daß  folglich  das  Papiergeld,  das  auf  diese  Weise  in 
Umlauf  gebracht  war,  niemals  die  Menge  Gold  und 
Silber  überstieg,  die  in  dem  Lande  umgelaufen  sein 
würde,  wenn  es  kein  Papiergeld  gegeben  hätte.  Die 
Häufigkeit,  Regelmäßigkeit  und  Höhe  der  Rückzah- 
lungen zeigte  hinlänglich,  daß  der  Betrag  ihrer  Vor- 
schüsse niemals  den  Teil  seines  Kapitals  überstieg,  den 
er  ohne  sie  zur  Deckung  einlaufender  Forderungen, 
d.h.  um  sein  übriges  Kapital  in  beständiger  Beschäf- 
tigung erhalten  zu  können,  in  barem  Gelde  hätte  liegen 
haben  müssen.  Nur  dieser  Teil  seines  Kapitals  kehrt 
nach  und  nach  in  Papier  oder  Münze  an  den  Geschäfts- 
mann zurück,  und  geht  ebenso  wieder  von  ihm  fort. 
Überschreiten  in  der  Regel  die  Vorschüsse  der  Bank 
diesen  Teil  seines  Kapitals,  so  können  seine  allmäh- 
lichen Rückzahlungen  dem  Betrag  ihrer  Vorschüsse 
nicht  gleich  kommen.  Der  durch  seine  Geschäfte 
fortwährend  herbeigeführte  Rückfluß  in  die  Kassen 
der  Bank  hätte  dem  infolge  der  nämlichen  Geschäfte 
bewirkten  Abzug  aus  ihnen  nicht  gleichkommen  können. 
Wenn  die  Vorschüsse  an  Banknoten  die  Menge  Gold 
und  Silber,  die  der  Kaufmann  ohne  jene  Vorschüsse 
zur    Befriedigung    gelegentlicher    Forderungen    hätte 


Kap.  IT.:  Das  Geld.  45 

zurückbehalten  müssen,  überstiegen,  so  konnten  sie 
bald  die  ganze  Menge  Gold  und  Silber  übersteigen, 
die  (bei  gleichbleibendem  Yerkehr)  im  Lande  umge- 
laufen sein  würde,  falls  es  kein  Papieigeld  gab,  und 
folglich  die  Menge,  die  der  Umlauf  des  Landes  leicht 
aufzunehmen  und  zu  verwenden  vermochte;  und  nun 
würde  das  überschüssige  Papiergeld  sofort  zur  Bank 
zurückgekehrt  sein,  um  gegen  Gold  und  Silber  aus- 
gewechselt zu  werden.  Dieser  zweite,  ebenso  wichtige 
Vorteil  wurde  vielleicht  nicht  von  allen  schottischen 
Banken  so  gut  begriffen   wie  der  erste. 

Wenn  die  kreditwürdigen  Geschäftsleute  eines  Lan- 
des teils  durch  die  Bequemlichkeit  des  Wechseldiskonts, 
teils  durch  die  Kassonkonti  der  Notwendigkeit  über- 
hoben sind,  einen  Teil  ihres  Kapitals  für  gelegentliche 
Forderungen  unbeschäftigt  bar  liegen  zu  haben,  so 
können  sie  füglich  keinen  weiteren  Beistand  von  den 
Banken  und  Bankiers  erwarten,  die  ohne  Verletzung 
ihres  eignen  Interesses  und  ihi'er  Sicherheit  nicht  weiter 
gehen  können,  als  bis  zu  diesem  Punkte.  Eine  Bank 
kann  ihres  eignen  Interesses  wegen  einen  Geschäftsmann 
nicht  das  ganze  Betriebskapital,  oder  auch  nur  seinen 
größten  Teil  vorschießen,  weil,  wenn  auch  das  Kapital 
stets  in  Form  von  Geld  zu  ihm  zurückkehrt  und  ihn 
ebenso  verläßt,  doch  zu  große  Zeiträume  zwischen  dem 
Wiedereingehen  des  Ganzen  und  dem  Fortgang  des 
Ganzen  liegen,  und  seine  Eückzahlungen  nicht  in  so 
kurzen  Zwischenräumen,  wie  es  der  Bank  lieb  sein 
muß,  den  Vorschüssen  gleichkommen  könnten.  Noch 
weniger  aber  könnte  eine  Bank  ihm  einen  bedeuten- 
den Teil  seines  stehenden  Kapitals  vorschießen,  des 
Kapitals,  das  der  Unternehmer  eines  Eisenwerkes  zur 
Herstellung  der  Schmieden,  Hämmer,  Werkstätten,  Ma- 
gazine, Wohngebäude  für  die  Arbeiter  usw.  braucht;  oder 
das  der  Bergwerksunternehmer  braucht,  um  die  Schachte 


46  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

abzuteufen,  Pumpwerke  aufzustellen, ^Wege  und  Fahr- 
straßen zu  machen  usw.;  oder  das  der  Landwirt  zu  Kul- 
turverbesserungen, Abzugsgräben,  Einzäunungen,  zur 
Düngung  und  Bestellung' unbebauter  Felder,  zu  Wirt- 
schaftsgebäuden und  ihrem  Zubehör  an  Ställen,  Speichern 
usw.  braucht.  Die  Erträgnisse  des  stehenden  Kapitals 
gehen  fast  stets  langsamer  ein  als  die  des  umlaufenden, 
und  solche  Ausgaben  machen  sich,  selbst  bei  der  größ- 
ten Vor-  und  Umsicht  in  ihrer  Verwendung,  doch  ge- 
wöhnlich erst  nach  vielen  Jahren  wieder  bezahlt,  eine 
viel  zu  lange  Zeit,  um  für  eine  Bank  annehmbar  zu 
sein.  Kaufleute  und  andere  Unternehmer  können  gewiß 
viele  ihrer  Pläne  recht  gut  mit  geborgtem  Gelde  aus- 
führen. Zur  Sicherstellung  ihrer  Gläubiger  muß  jedoch 
ihr  eignes  Kapital  in  diesem  Falle  groß  genug  sein,  um 
so  zu  sagen  das  Kapital  der  anderen  zu  versichern,  das 
heißt,  um  es  unwahrscheinlich  zu  machen,  daß  die 
Gläubiger  einen  Verlust  erleiden  werden,  selbst  wenn 
der  Ertrag  weit  hinter  den  Hoffnungen  der  Unter- 
nehmer zurückbleiben  sollte.  Aber  auch  dann  sollte 
das  Geld,  das  man  erst  nach  mehreren  Jahren  zurück 
zu  zahlen  beabsichtigt,  nicht  von  einer  Bank,  sondern 
auf  Obligationen  und  Hypotheken  von  Privatleuten  ge- 
borgt werden,  die  von  den  Zinsen  ihres  Geldes  leben 
wollen,  ohne  es  in  eignen  Geschäften  anzulegen,  und 
die  ihre  Kapitalien  deshalb  gern  an  Leute  von  gutem 
Kredit  ausleihen  und  Jahre  lang  stehen  lassen.  Freilich 
wäre  eine  Bank,  die  iliie  Gelder  ohne  Kosten  an  Stempel 
und  für  Notariatsgebühren  verleiht  und  die  Rückzah- 
lung unter  so  leichten  Bedingungen  wie  die  schottischen 
Banken  gestattet,  ein  sehr  v^illkommener  Gläubiger  für 
solche  Unternehmer;  allein  die  letzteren  wären  sehr 
ungeeignete  Schuldner  für  eine  Bank. 

Schon  vor  mehr  als  fünfundzwanzig  Jahren  betrug 
das  von  den  verschiedenen  schottischen  Banken  ausge- 


Kap.  IL:  Das  Geld.  47 

gebene  Papiergeld  so  viel,  oder  eher  noch  etwas  mehr, 
als  der  Umlauf  des  Landes  leicht  aufnehmen  und  ver- 
wenden kann.  Schon  damals  also  hatten  diese  Gesell- 
schaften den  schottischen  Handel-  und  Gewerbtreiben- 
den  all'  den  Beistand  geleistet,  den  Banken  und  Ban- 
kiers, ohne  gegen  ihr  eignes  Interesse  zu  handeln, 
leisten  können.  Sie  hatten  sogar  etwas  mehr  getan. 
Sie  hatten  das  Geschäft  etwas  übertrieben,  und  sich 
Verluste,  oder  wenigstens  die  Gewinnreduktion  zuge- 
zogen, die  bei  der  geiingsten  derartigen  Geschäftsüber- 
treibung nicht  ausbleiben  kann.  Die  Handel-  und  Ge- 
werbtreibenden  aber,  die  von  den  Banken  und  Bankiers 
soviel  Beistand  erhalten  hatten,  wünschten  noch  mehr 
zu  erhalten.  Sie  schienen  zu  glauben,  daß  die  Banken 
ihren  Kredit  auf  jede  mögliche  Summe  ausdehnen 
könnten,  ohne  daß  es  sie  mehr  koste,  als  ein  par  Ries 
Papier.  Sie  klagten  über  die  Engherzigkeit  und  Mut- 
losigkeit der  Bankdirektoren,  die,  wie  sie  sagten,  ihre 
Kredite  nicht  nach  der  Ausdehnung  der  geschäftlichen 
Unternehmungen  im  Lande  einrichteten,  und  verstan- 
den ohne  Zweifel  unter  der  Ausdehnung  der  geschäft- 
lichen Unternehmungen  die  Ausdehnung  ihrer  eigenen 
Pläne,  die  sie  weder  mit  ihrem  eigenen  Kapital,  noch 
mit  dem  auf  Obligationen  und  Hypotheken  bei  Privat- 
leuten genommenen  Kredit  bestreiten  konnten.  Sie  er- 
achteten die  Banken  durch  ihre  Ehre  verpflichtet,  das 
Fehlende  herzugeben,  und  sie  mit  allem  Kapital  zu  ver- 
sehen, das  sie  zu  ihren  Unternehmungen  brauchten. 
Ganz  anderer  Meinung  waren  jedoch  die  Banken,  und 
da  sie  sich  weigerten,  ihren. Kredit  soweit  auszudehnen, 
so  nahmen  manche  jener  Geschäftsleute  ihre  Zuflucht 
zu  einem  Mittel,  das  ihren  Zwecken  eine  Zeit  lang,  zwar 
nicht  so  billig  aber  doch  ebenso  wirksam  diente,  als  es 
der  größte  Bankkredit  vermocht  hätte.  Dies  Mittel  war 
kein  anderes,  als  der  wohlbekannte  Notbehelf,  den  un- 
glückliche Geschäftsleute  bisweilen  ergreifen,  wenn  sie 


48  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

um  Rande  des  Bankerotts  stehen.  Diese  Art  Geld  auf- 
zubringen war  in  England  längst  bekannt,  und  soll 
während  des  letzten  Krieges,  wo  die  hohen  Geschäfts- 
gewinne mächtig  zur  Überspekulation  verleiteten,  in 
größtem  Maßstabe  angewendet  worden  sein.  Aus  Eng- 
land wurde  diese  Methode  nach  Schottland  verpflanzt, 
wo  sie  im  Verhältnis  zu  dem  sehr  beschränkten  Ver- 
kehr und  dem  sehr  mäßigen  Kapital  des  Landes  bald 
in  einer  weit  größeren  Ausdehnung  gehandhabt  wurde, 
als  jemals  in  England. 

Die  Wechselreiterei  ist  allen  Geschäftsleuten  so 
wohl  bekannt,  daß  es  unnötig  scheinen  könnte,  sie 
näher  zu  eiklären.  Da  indessen  dies  Buch  manchem 
in  die  Hand  kommen  kann,  der  kein  Geschäftsmann 
ist,  und  da  selbst  Geschäftsleute  den  Einfluß  dieses 
Mittels  auf  das  Bankwesen  nicht  immer  genau  kennen, 
so   will  ich   es   möglichst   faßlich   zu   erkläi'en    suchen. 

Die  Handelsgebräuche,  die  in  Europa  zu  einer  Zeit 
eingeführt  wurden,  als  die  unzureichenden  Gesetze  die 
P]rfüllung  von  Verträgen  noch  nicht  erzwangen,  und 
die  in  den  beiden  letzten  Jahrhunderten  in  die  Ge- 
setze aller  europäischen  Nationen  übergegangen  sind, 
erteilten  den  Wechseln  so  außerordentliche  Vorrechte, 
daß  auf  sie  weit  eher  Geld  zu  haben  ist,  als  auf  jede 
andere  Schuldverschreibung,  zumal  sie  in  kurzer  Zeit, 
etwa  in  zwei  oder  drei  Monaten  nach  dem  Tage  der 
Ausstellung  zahlbar  sind.  Wenn  der  Akzeptant  den 
Wechsel  bei  Vorzeigung  am  Verfalltage  nicht  zahlt, 
so  erklärt  er  sich  in  demselben  Augenblicke  dadurch 
für  bankerott.  Der  Wechsel  wird  protestiert,  und  geht 
an  den  Aussteller  zurück,  der,  wenn  er  nicht  sofort 
zahlt,  gleichfalls  für  bankerott  gilt.  Ist  der  Wechsel, 
ehe  er  in  die  Hände  dessen  kommt,  der  ihn  dem  Ak- 
zeptanten zur  Zahlung  präsentiert,  durch  die  Hände 
einiger  anderen  Personen  gegangen,  die  sich  nachein- 


Kap.  TL:  Das  Geld.  49 

ander  seine  Valuta  in  Geld  oder  Waren  auszahlten  und 
zur  Bekräftigung,  daß  jeder  von  ihnen  die  Valuta  er- 
halten habe,  den  Wechsel  girierten,  d.  h.  ihre  Namen 
auf  die  Rückseite  des  Wechsels  schrieben,  so  wird  jeder 
Girant  seinerseits  wieder  dem  Eigner  des  Wechsels  für 
die  Valuta  verantwortlich,  und  ist  mangels  Zahlung 
ebenfalls  sogleich  bankerott.  Wenn  daher  auch  der 
Aussteller,  der  Akzeptant  und  die  Giranten  des  Wechsels 
sämtlich  Leute  von  zweifelhaften  Kredit  wären,  so  ge- 
währt doch  die  Kürze  des  Zahlungstermins  dem  Besitzer 
des  Wechsels  eine  gewisse  Sicherheit.  Denn  wenn  sie 
auch  vielleicht  sämtlich  am  ßande  des  Bankerotts 
stehen,  läßt  sich  doch  nicht  erwarten,  daß  sie  alle  mit- 
einander in  so  kurzer  Zeit  bankerott  werden.  Das 
Haus  ist  baufällig,  sagt  ein  müder  Wanderer  zu  sich 
selbst,  und  wird  nicht  mehr  lange  stehen ;  aber  es  wird 
doch  wohl  nicht  heute  Nacht  einfallen,  und  so  will  ich 
es  wagen,  heute  darin  zu  schlafen. 

Nehmen  wir  an,  A.  in  Edinburgh  ziehe  einen 
Wechsel  auf  B.  in  London,  zahlbar  zwei  Monate 
nach  dato.  Eigentlich  schuldet  B.  in  London  dem  A. 
in  Edinburgh  Nichts,  aber  er  ist  damit  einverstanden, 
den  Wechsel  des  A.  unter  der  Bedingung  zu  akzeptieren^ 
daß  er  vor  dem  Zahltage  einen  ßückAvechsel  für  dieselbe 
Summe  nebst  Zinsen  und  Provision,  gleichfalls  zahlbar 
zwei  Monate  nach  dato,  auf  A.  in  Edinburgh  ziehen 
darf.  Nun  zieht  B.  vor  Ablauf  der  ersten  zwei  Monate 
diesen  Rückwechsel  auf  A.  in  Edinburgh,  der  seiner- 
seits vor  Ablauf  der  anderen  zwei  Monate  einen  gleich- 
falls zwei  Monate  nach  dato  zahlbaren  zweiten  Wechsel 
auf  B.  in  London  zieht;  und  vor  Ablauf  der  dritten 
zwei  Monate  nimmt  wieder  B.  in  London  einen  Rück- 
wechsel auf  A.  in  Edinburgh,  gleichfalls  zwei  Monate 
nach  dato  zahlbar.  Diese  Praxis  ist  manchmal  nicht 
Monate  lang,   sondern   Jahre   lang   getrieben    worden, 

Adam  Sniitti.  VolUswolilslaiid.   II.  4 


50  Zweites  Buch :  Das  Kapital. 

indem  der  Wechsel  immer  mit  den  aufgehäuften  Zinsen 
und  Provisionen  für  alle  früheren  Wechsel  an  A.  in 
Edinburgh  zurückkehrte.  Die  Zinsen  betrugen  fünf 
Prozent  im  Jahr,  und  die  Provisionen  mindestens  ein 
halb  Prozent  bei  jeder  Tratte.  Da  die  Provisionen  sich 
mindestens  sechsmal  im  Jahre  wiederholten,  so  kostete 
das  Geld,  das  A.  durch  dieses  Mittel  aufbrachte,  ihn 
notwendig  mehr  als  acht  Prozent  jährlich,  ja  zuweilen 
noch  viel  mehr,  wenn  entweder  der  Preis  der  Provision 
stieg,  oder  er  Zinseszins  für  die  Zinsen  und  Provisionen 
der  früheren  Wechsel  zahlen  mußte.  Diese  Praxis 
nannte  man:  Geld  durch  Umlauf  aufbringen. 

In  einem  Lande,  wo  der  gewöhnliche  Kapitalge- 
winn bei  den  meisten  kaufmännischen  Unternehmungen 
zwischen  sechs  und  zehn  Prozent  beträgt,  mußte  eine 
Spekulation  schon  sehr  glücklich  ausfallen,  wenn  sie  so 
viel  einbringen  sollte,  um  nicht  nur  die  enormen  Kosten 
des  dazu  erforderlichen  Geldes,  sondern  auch  noch  einen 
ordentlichen  Gewinn  für  den  Unternehmer  abzuwerfen. 
Dennoch  sind  große  und  weitaussehende  Unternehmen 
unternommen  und  Jahre  lang  durchgeführt  worden,  ohne 
andere  Kapitalien  als  die  mit  so  enormen  Kosten  auf- 
gebrachten. Die  Projektenmacher  sahen  gewiß  in  ihren 
goldenen  Träumen  die  großen  Gewinne  vor  sich;  allein 
beim  Erwachen,  entweder  am  Ende  ihrer  Unterneh- 
mungen, oder  wenn  sie  nicht  mehr  imstande  waren, 
sie  weiter  zu  führen,  dürften  sie  selten  so  glücklich 
gewesen  sein,  den  Gewinn  zu  finden.*) 

*)  Die  im  Texte  beschriebene  Methode  war  keineswegs  die 
gewöhnlichste  oder  die  kostspieligste,  wie  jene  Abenteui'er  zu- 
weilen „Geld  durch  Umlauf  aufbrachten".  Häufig  setzte  A.  in 
Edinburgh  den  B.in  London  dadurch  in  Stand,  den  ersten  AVechsel 
zu  zahlen,  daß  er  wenige  Tage  vor  der  Verfallzeit  einen  zweiten 
Wechsel,  der  auf  drei  Monate  zu  laufen  hatte,  auf  den  näixdichen 
B.  in  London  zog,  diesen  an  seine  eigene  Order  zahlbaren  Wechsel 
in  Edinburgh  al  pari  verkaufte,  und  mit  der  Valuta  Wechsel  auf 


Kap.  II.:  Das  Geld.  51 

Die  Wechsel,  die  A.  in  Edinburgh  auf  B.  in  London 
zog,  diskontierte  er  regehnäßig  zwei  Monate  vor  der 
Verfallzeit  bei  einer  Bank  oder  einem  Bankier  in  Edin- 
burgh, und  die  ßückwechsel,  welche  B.  in  London  auf 
A.  in  Edinburgh  zog,  diskontierte  dieser  ebenso  regel- 
mäßig bei  der  Bank  von  England  oder  bei  Londoner 
Bankiers.  Die  Vorschüsse  auf  solche  Reitwechsel  wurden 
in  Edinburgh  in  Noten  der  schottischen  Banken,  oder  in 
London,  wenn  sie  bei  der  Bank  von  England  diskontiert 


London,  zahlbar  nach  Sicht  an  die  Order  von  B.,  kaufte  und 
diesem  zuschickte.  Gegen  das  Ende  des  letzten  Krieges  stand 
der  Wechselkui-s  zwischen  Edinburgh  und  London  oft  drei  Prozent 
zum  Nachteil  Edinburghs  und  jene  Wechsel  auf  Sicht  mußten 
also  den  A.  dasselbe  Agio  kosten.  Diese  Transaktion,  wenigstens 
viermal  im  Jahre  wiederholt,  und  stets  mit  einer  Provision  von 
wenigstens  einem  Prozent  belastet,  mußte  mithin  den  A.  wenig- 
stens vierzehn  Prozent  im  Jahre  kosten.  Ein  andermal  setzte 
A.  den  B.  dadurch  in  Stand,  den  ersten  Wechsel  zu  zahlen,  daß 
er  wenige  Tage  vor  der  Yerfallzeit  einen  zweiten  Zweimonats- 
Wechsel  nicht  auf  B.,  sondern  auf  eine  dritte  Person,  z.  B.  auf 
C.  in  London  zog.  Dieser  Wechsel  wurde  an  die  Order  von  B. 
gestellt,  der  ihn,  sobald  er  von  C.  akzeptiert  worden,  bei  einem 
Bankier  in  London  diskontierte;  A.  aber  setzte  den  C.  dadurch 
in  Stand  zu  zahlen,  daß  er  wenige  Tage  vor  der  VerfaUzeit 
einen  dritten  Zweimonats- Wechsel  entweder  auf  seinen  ersten 
Korrespondenten  B.  oder  auf  eine  vierte  oder  fünfte  Person  D. 
oder  E.  zog.  Dieser  dritte  Wechsel  wurde  an  die  Order  von  C. 
gestellt,  der  ihn,  sobald  er  akzeptiert  war,  auf  dieselbe  Weise 
bei  einem  Londoner  Bankier  diskontierte.  Da  diese  Tätigkeiten 
sich  wenigstens  sechsmal  im  Jahre  wiederholten,  und  da  jedes- 
mal eine  Provision  von  Avenigstens  einem  halben  Prozent,  sowie 
die  üblichen  Zinsen  auf  fünf  Prozent  hinzukamen,  so  mußte 
diese  Manier,  Geld  aufzubringen,  ebenso  wie  die  im  Texte  be- 
schriebene, den  A.  etwas  mehr  als  acht  Prozent  ko.sten.  Weil 
jedoch  der  Wechselkurs  zwischen  Edinburgh  und  London  gespart 
wurde,  war  sie  etwas  weniger  kostspielig  als  die  oben  erwähnte, 
erforderte  hingegen  einen  soliden  Kredit  bei  mehr  als  einem 
Londoner  Hause,  ein  Vorteil,  den  viele  dieser  Abenteurer  sich 
nicht  leicht  verschaffen  konnten. 


52  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

wurden,  in  Noten  dieser  Bank  ausgezahlt.  Wurden  nun 
auch  die  Wechsel,  auf  welche  diese  Noten  vorgeschossen 
waren,  sämtlich  zur  Verfallzeit  eingelöst,  so  wurde  doch 
der  auf  den  ersten  Wechsel  vorgeschossene  Betrag  den 
Banken  niemals  wirklich  wiedererstattet,  weil  immer, 
ehe  ein  Wechsel  fällig  war,  ein  anderer  Wechsel  in 
etwas  höherem  Betrage  gezogen  wurde,  und  die  Dis- 
kontierung dieses  Wechsels  unumgänglich  nötig  war, 
damit  der  fällige  Wechsel  gezahlt  werden  konnte. 
Diese  Zahlung  war  also  durchaus  eine  nur  scheinbare. 
Der  durch  diese  Wechselreiterei  aus  den  Kassen  der 
Banken  geleitete  Abzug  wurde  niemals  durch  einen 
wirkHchen  Zugang  wiederersetzt. 

Die  auf  solche  Reitwechsel  ausgegebenen  Noten  be- 
liefen sich  zuweilen  auf  das  ganze  Betriebskapital  eines 
großen,  weitaussehenden  landwirtschaftlichen,  kauf- 
männischen oder  industriellen  Unternehmens,  statt  ledig- 
lich auf  den  Teil,  den  der  Unternehmer,  wenn  es  kein 
Papiergeld  gegeben  hätte,  für  gelegentliche  Forderungen 
bar  hätte  liegen  haben  müssen.  Folglich  stellte  das 
meiste  Papiergeld  einen  Überschuß  über  den  Betrag 
des  Goldes  und  Silbers  dar,  das  im  Lande  umgelaufen 
wäre,  wenn  es  kein  Papiergeld  gäbe;  es  war  also  in 
größerer  Menge  vorhanden,  als  der  Umlauf  des  Landes 
leicht  aufnehmen  und  gebrauchen  konnte,  und  kehrte 
aus  diesem  Grunde  unmittelbar  zu  den  Banken  zurück, 
um  gegen  Gold  und  Silber  umgewechselt  zu  werden, 
das  diese  sich  dann  verschaffen  mußten,  wie  sie  eben 
konnten.  Es  war  ein  Kapital,  das  jene  Projektenmacher 
in  sehr  schlauer  Weise  den  Banken  nicht  nur  ohne 
deren  Wissen  und  Willen,  sondern  vielfach  auch  ohne 
daß  sie  die  leiseste  Ahnung  davon  hatten,  daß  sie  es 
in  Wahrheit  vorschössen,  entzogen  hatten. 

Wenn  zwei  Leute,  die  fortwährend  auf  einander 
ziehen,  ihre  Wechsel  stets  bei  demselben  Bankier  dis- 


Kap.  IL:  Das  Geld.  53 

kontieren,  so  wird  er  sogleich  entdecken,  wie  es  mit 
ihnen  steht,  und  deutHch  sehen,  daß  sie  ihr  Geschäft 
nicht  mit  einem  eigenen,  sondern  mit  dem  von  ihm  vor- 
geschossenen Kapital  treiben.  Diese  Entdeckung  ist 
jedoch  keineswegs  so  leicht,  wenn  sie  ihre  Wechsel  bald 
hier  bald  da  diskontieren,  und  wenn  nicht  immer  die 
nämlichen  zwei  Leute  auf  einander  ziehen,  sondern 
unter  einem  großen  Kreise  von  Spekulanten  abwechseln, 
die  es  vorteilhaft  finden,  einander  in  dieser  Manier, 
Geld  aufzubi'ingen,  beizustehen  und  es  deshalb  mög- 
lichst schwer  zu  machen,  den  Unterschied  eines  wirk- 
lichen und  eines  erdichteten  Wechsels  zu  erkennen, 
d.  h.  eines  Wechsels,  der  von  einem  wirklichen  Gläubi- 
ger auf  einen  wirklichen  Schuldner  gezogen  ist,  und 
eines  Wechsels,  füi'  welchen  es  eigentlich  keinen  anderen 
wirklichen  Gläubiger  giebt,  als  die  Bank,  die  ihn  dis- 
kontierte, und  keinen  anderen  wirklichen  Schuldner  als 
den  Spekulanten,  der  das  Geld  brauchte.  Koramt  auch 
ein  Bankier  dahinter,  so  ist  es  zuweilen  schon  zu  spät 
und  er  hat  die  Wechsel  dieser  Spekulanten  schon  in 
so  großem  Betrage  diskontiert,  daß  er  sie  durch  die 
Weigerung,  ferner  zu  diskontieren,  notwendig  banke- 
rott machen  und  sich-  durch  ihren  Untergang  sein  eige- 
nes Verderben  bereiten  würde.  Er  kann  es  daher  für 
seine  eigene  Sicherheit  nötig  finden,  noch  einige  Zeit 
in  dieser  gefährlichen  Lage  zu  verbleiben,  indem  er 
sich  nur  nach  und  nach  zurückzuziehen  sucht,  und 
täglich  mehr  Schwierigkeiten  mit  dem  Diskontieren 
macht,  um  die  Spekulanten  allmählich  zu  zwingen, 
sich  entweder  an  andere  Bankiers  zu  wenden,  oder  auf 
andere  Manier  Geld  aufzubringen,  so  daß  er  selbst 
baldmöglichst  aus  diesem  Kreise  herauskommt.  Die 
Schwierigkeiten,  die  die  Bank  von  England,  die  ange- 
sehensten Bankiers  in  London,  und  sogar  die  vorsich- 
tigeren schottischen  Banken  einige  Zeit  nachdem  sie 
alle  schon  zu  weit  gegangen  waren,  erhoben,  schreckte 


54  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

die  Spekulanten  nicht  nur  auf,  sondern  versetzte  sie  in 
die  höchste  Wut.  Ihre  eigne  Not,  die  allerdings  durch 
die  vorsichtige  und  unerläßliche  Zurückhaltung  der 
Banken  zuerst  veranlaßt  war,  nannten  sie  die  Not  des 
Landes;  und  diese  Not  des  Landes,  sagten  sie,  habe 
man  nur  der  Unwissenheit,  Engherzigkeit  und  schlech- 
ten Leitung  der  Banken  zu  verdanken,  die  den  hoch- 
herzigen Unternehmungen  derer,  die  das  Land  zu  ver- 
schönern, zu  fördern  und  zu  bereichern  strebten,  keine 
hinreichende  Unterstützung  zu  teil  werden  ließen. 
Sie  schienen  die  Banken  für  verpflichtet  zu  halten,  so 
lange  und  so  viel  zu  leihen,  als  sie  zu  borgen  wünsch- 
ten. Die  Banken  aber  schlugen  den  einzigen  Weg  ein, 
auf  dem  es  noch  möglich  war,  ihren  eigenen  und  den 
öffentlichen  Kredit  des  Landes  zu  retten,  indem  sie 
sich  weigerten,  denen  ferner  zu  kreditieren,  die  schon 
zu  viel  Kredit  erhalten  hatten. 

Mitten  in  diesem  Lärm  und  in  dieser  Not  wurde 
in  Schottland  eine  neue  Bank  zu  dem  ausdrücklichen 
Zwecke  errichtet,  der  Not  des  Landes  abzuhelfen.  Das 
Vorhaben  war  edel,  aber  die  Ausführung  unbesonnen, 
und  man  hatte  das  Wesen  und  die  Ursachen  der  Not, 
die  man  zu  heben  gedachte,  wohl  nicht  richtig  gewür- 
digt. Diese  Bank  zeigte  sich  sowohl  in  Bewilligung 
von  Kassenkonten  als  auch  im  Diskontieren  von  Wech- 
seln liberaler  als  jede  andere.  In  Betreff  der  Wechsel 
scheint  sie  fast  keinen  Unterschied  zwischen  wirklichen 
und  Reitwechseln  gemacht,  sondern  beide  gleichmäßig 
diskontiert  zu  haben.  Es  war  .der  erklärte  Grundsatz 
dieser  Bank,  auf  jede  leidliche  Sicherheit  das  ganze 
Kapital  für  solche  Arten  von  Anlagen  voi'zustrecken, 
aus  denen  es  nur  träge  und  spät  wieder  eingeht,  nament- 
lich für  Verbesserungen  der  Bodenkultur.  Solche  Ver- 
besserungen zu  fördern,  sollte  der  hauptsächlichste  der 
gemeinnützigen  Zwecke  sein,  zu  deren  Verwirklichung 


Kap.  11. :  Das  G  eld.  55 

die  Bank  gegründet  worden  war.  Durch  ihre  Libera- 
lität in  Bewilligung  von  Kassenkonten  und  im  Diskon- 
tieren von  AVechseln  gab  sie  ohne  Zweifel  eine  große 
Menge  von  Banknoten  aus.  Diese  Banknoten  kehrten 
aber,  da  der  größte  Teil  über  das  Maß  hinausging,  das 
der  Umlauf  des  Landes  leicht  aufnehmen  und  gebrau- 
chen kann,  fast  eben  so  schnell  wie  sie  ausgegeben 
waren,  zu  ihr  zurück,  um  gegen  Grold  und  Silber  um- 
gewechselt zu  werden.  Ihre  Kassen  waren  niemals 
vollständig  versehen.  Das  durch  zwei  Subskriptionen 
aufgebrachte  Kapital  betrug  £  160,000,  wovon  nur 
80°  0  eingezahlt  wurden.  Diese  Summe  war  in  mehre- 
ren Terminen  einzuzahlen.  Ein  großer  Teil  der  Aktio- 
näre erhielt  sogleich  nach  der  ersten  Einzahlung  ein 
Kassenkonto  bei  der  Bank,  und  die  Direktoren,  die 
sich  für  verpflichtet  hielten,  gegen  ihre  eigenen  Teil- 
nehmer dieselbe  Liberalität  zu  beobachten,  mit  der  sie 
gegen  alle  anderen  Leute  verfuhren,  gestatteten  vielen 
von  ihnen,  auf  das  Kassenkonto  so  viel  zu  borgen,  als 
sie  in  allen  folgenden  Terminen  einzuzahlen  hatten. 
Diese  Einzahlungen  brachten  daher  nur  soviel  in  die 
eine  Kasse,  als  einen  Augenblick  vorher  aus  der  ande- 
ren genommen  war.  Aber  wenn  die  Barbestände  der 
Bank  auch  noch  so  groß  gewesen  wären,  der  über- 
mäßige Umlauf  mußte  sie  doch  schneller  aufzehren,  als 
sie  sich  wieder  ergänzen  ließen,  wenn  man  nicht  zu 
dem  verderblichen  Mittel  greifen  wollte,  auf  London  zu 
ziehen  und  den  Wechsel  samt  Zinsen  und  Provision 
am  Verfalltage  durch  eine  neue  Tratte  auf  denselben 
Platz  zu  zahlen.  Bei  dieser  schlechten  Verfassung 
ihrer  Kassenbestände  soll  sie  schon  wenige  Monate  nach 
Beginn  des  Geschäftes  gezwungen  gewesen  sein,  zu 
diesem  Notbehelf  zu  greifen.  Die  Liegenschaften  der 
Aktionäre  waren  mehrere  Millionen  wert,  und  sie  haf- 
teten durch  ihre  Unterschrift  unter  die  Gründungsur- 


56  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

künde  für  alle  Verpflichtungen  der  Bank.  Mittelst  des 
großen  Kredits,  den  ein  so  bedeutendes  Unterpfand 
notwendig  verschaffen  mußte,  war  die  Bank  imstande, 
trotz  ihrer  zu  großen  Liberalität  das  Greschäft  länger 
als  zwei  Jahre  zu  betreiben.  Als  sie  es  einstellen  mußte, 
hatte  sie  etwa  £  200,000  Banknoten  im  Umlauf,  zu 
dessen  Aufrechthaltung  sie,  da  die  Noten  fortwährend 
ebenso  schnell  zurückkehrten,  als  sie  ausgegeben  waren, 
Wechsel  auf  London  zog,  deren  Zahl  und  Betrag  ohne 
Unterlaß  wuchs  und  bei  Einstellung  des  Geschäfts  mehr 
als  £,  600,000  betrug.  In  etwas  mehr  als  zwei  Jahren 
hatte  also  die  Bank  an  allerlei  Leute  über  £  800,000 
zu  5°/o  vorgeschossen.  An  den  £  200,000  ihres  Noten- 
umlaufs können  die  5"'o  vielleicht  als  reiner  Gewinn 
betrachtet  werden,  wovon  nur  die  Verwaltungskosten 
abzuziehen  sind.  Dagegen  zahlte  sie  auf  die  £  600,000, 
für  die  sie  fortwährend  Wechsel  auf  London  zog, 
mehr  als  8°/o  Zinzen  und  Provision,  und  verlor  folg- 
lich an  mehr  als  drei  Vierteln  ihres  ganzen  Umsatzes 
mehr  als  S^/o. 

Die  Tätigkeit  dieser  Bank  scheint  gerade  das 
Gegenteil  von  dem  hervorgebracht  zu  haben,  was  ihre 
Gründer  und  Leiter  beabsichtigt  haben.  Diese  wollten 
die  hochherzigen  Unternehmungen  —  denn  als  solche 
wurden  sie  von  ihnen  betrachtet  — ,  die  damals  in  ver- 
schiedenen Teilen  des  Landes  gemacht  wurden,  unter- 
stützen, und  zugleich  das  gesamte  Bankgeschäft  an 
sich  reißen,  um  die  übrigen  schottischen  Banken,  be- 
sonders die  Edinburgher,  deren  Zurückhaltung  im  Dis- 
kontieren Mißfallen  erregt  hatte,  zu  verdrängen.  Sicher- 
lich gewährte  die  Bank  den  Spekulanten  eine  Zeitlang 
Erleichterung  und  setzte  sie  in  Stand,  ihre  Projekte 
etwa  zwei  Jahre  länger  fortzusetzen,  als  es  ihnen  sonst 
möglich  gewesen  wäre;  aber  sie  ermöglichte  ihnen  da- 
durch nur,  sich  um  so  tiefer  in  Schulden  zn  stürzen. 


Kap.  Tl.:  Da.s  Gold.  57 

SO  daß,  als  der  Tag  des  Verderbens  kam,  sowohl  sie 
als  ihre  Gläubiger  um  so  schwerer  betroffen  wurden. 
Statt  die  Not  zu  lindern,  welche  die  Spekulanten  über 
sich  und  über  das  Land  gebracht  hatten,  dienten  die 
Operationen  der  Bank  in  der  Tat  nur  dazu,  sie  für  lange 
Zeit  zu  verschärfen.  Es  wäre  für  die  Spekulanten  selbst, 
für  ihre  Gläubiger  und  für  das  Land  weit  besser  ge- 
wesen, wenn  die  meisten  von  ihnen  schon  zwei  Jahre 
früher  hätten  aufhören  müssen.  Dagegen  brachte  die 
zeitweilige  Unterstützung,  die  die  Bank  den  Speku- 
lanten gewährte,  den  übrigen  schottischen  Banken  eine 
wirkliche,  dauernde  Hilfe.  Die  sich  mit  Wechselreiterei 
abgaben,  nahmen,  da  die  übrigen  Banken  Reitwechsel 
nicht  mehr  diskontieren  wollten,  ihre  Zuflucht  zu  der 
neuen  Bank,  wo  sie  mit  offenen  Armen  aufgenommen 
wurden.  Dadurch  wurde  es  den  übrigen  Banken  mög- 
lich, mit  Leichtigkeit  aus  diesem  verhängnisvollen 
Kreise  herauszutreten,  während  sie  sonst  schwerlich 
ohne  bedeutenden  Verlust,  oder  gar  ohne  dauernde 
Schädigung  ihres  Kredits  davon  gekommen  wären. 

Mit  der  Zeit  haben  also  die  Geschäfte  dieser  Bank 
die  wirkliche  Not  des  Landes,  die  sie  zu  lindern  ge- 
dachte, vermehrt;  hingegen  die  sehr  große  Not  ihrer 
Mitbewerber,  die  sie  zu  stürzen  beabsichtigte,  völlig 
beseitigt. 

Bei  Eröffnung  der  Bank  glaubten  viele,  sie  werde 
ihre  Kassen,  so  schnell  sie  sich  auch  leerten,  leicht 
durch  Anleihen  wieder  füllen  können,  die  sie  auf  die 
Sicherheiten  derer,  denen  sie  ihr  Papier  vorschoß,  auf- 
nähme. Die  Erfahrung  belehrte  sie  jedoch,  glaube  ich, 
bald,  daß  diese  Art  von  Geldbeschaffung  viel  zu  langsam 
sei,  um  den  Zwecken  der  Bank  zu  entsprechen,  und 
daß  die  Kassen,  die  von  vornherein  nicht  ausreichend 
waren  und  sich  so  schnell  vollends  leerten,  durch  nichts 
anderes  wieder  zu  füllen  seien,  als. durch  das  verderb- 
liche Mittel  Wechsel  auf  London  zu  ziehen,  die,  wenn 


58  Zweites  Biicli:  Das  Kapital. 

sie  fällig  wurden,  durch  andere  Tratten  auf  denselben 
Platz  nebst  Zinsen  und  Provision  gezahlt  werden  mußten. 
Hätte  die  Bank  aber  auch  auf  dem  ersteren  Wege  so 
schnell  Geld  aufbringen  können,  als  nötig  war,  so  mußte 
sie  doch  durch  jede  derartige  Handlung  verlieren,  statt 
zu  gewinnen,  so  daß  sie  sich  als  Handelsgesellschaft 
mit  der  Zeit  doch  ruiniert  haben  würde,  wenn  vielleicht 
auch  nicht  so  schnell  wie  durch  die  kostspielige  "Wechsel- 
reiterei. An  ihren  Noten  konnte  sie  keinen  Zinsgewinn 
machen,  da  diese  über  das  Maß  hinausgingen,  das  der 
Umlauf  des  Landes  aufnehmen  und  gebrauchen  konnte, 
und  ebenso  schnell,  als  sie  ausgegeben  waren,  zur  Um- 
wechselung  gegen  Gold  und  Silber  zurückkehrten,  wes- 
halb die  Bank  stets  von  neuem  Geld  aufnehmen  mußte. 
Hingegen  mußten  alle  Unkosten  für  diese  Aufnahmen, 
für  die  Anstellung  von  Agenten  zur  Beschaffung  von 
Geld,  für  die  Verhandlung  mit  den  Darleihern  und  für 
die  Ausfertigung  der  Verträge  usw.  von  ihr  getragen 
werden  und  in  der  Bilanz  einen  reinen  Verlust  er- 
geben. Der  Plan,  ihre  Kassen  auf  diese  Weise  zu  füllen, 
würde  dem  eines  Mannes  gleichen,  der  einen  Teich 
besitzt,  aus  dem  stets  Wasser  abfließt,  ohne  daß  es 
durch  einen  Zufluß  ersetzt  wird,  und  der  ihn  dadurch 
immer  gleichmäßig  voll  erhalten  will,  daß  er  eine 
Menge  Leute  anstellt,  die  mit  Eimern  aus  einer  mehrere 
Meilen  entfernten  Quelle  unablässig  Wasser  zutragen, 
um  ihn  wieder  zu  füllen. 

Hätte  sich  diese  Tätigkeit  aber  auch  für  die  Bank 
als  ausführbar  und  gewinnbringend  erwiesen,  so  würde 
doch  das  Land  keinen  Vorteil  daraus  gezogen,  im  Gegen- 
teil nur  einen  beträchtlichen  Verlust  davon  gehabt  haben. 
Diese  Handhabung  konnte  die  Menge  des  auszuleihen- 
den Geldes  nicht  im  mindesten  vermehren,  sondern  nur 
die  Bank  zu  einer  Art  allgemeinen  Leihamts  für  das 
ganze  Land  machen.    AVer  Geld  borgen  wollte,  mußte, 


Kap.  TT. :   Das  Geld.  59 

statt  zu  den  Privatleuten  zu  gehen,  die  ihr  das  Geld 
geliehen  hatten,  sich  an  die  Bank  wenden.  Nun  ist 
aber  eine  Bank,  die  vielleicht  an  fünfhundert  den  Di- 
rektoren meist  so  gut  wie  unbekannte  Personen  Geld 
ausleiht,  schwerlich  in  der  Wahl  ihrer  Schuldner  vor- 
sichtiger, als  ein  Privatmann,  der  sein  Geld  nur  weni- 
gen Leuten  leiht,  die  er  kennt  und  auf  deren  Be- 
sonnenheit und  Solidität  er  sich  verlassen  zu  können 
glaubt.  Die  Schuldner  einer  solchen  Bank,  wie  die, 
deren  Leitung  ich  hier  beschrieben  habe,  waren  wohl 
meist  eitle  Projektenmacher,  Wechselreiter,  die  das  Geld 
zu  schwindelhaften  Unternehmungen  verwandten,  die 
sie  bei  allem  Beistand,  der  ihnen  gewährt  wurde,  doch 
kaum  auszuführen  vermochten,  und  die,  wenn  sie  wirk- 
lich ausgeführt  wurden,  doch  niemals  die  verursachten 
Kosten  wieder  eingebracht  und  niemals  einen  Fonds  ge- 
schaffen haben  würden,  der  so  viel  Arbeit,  wie  auf  sie 
verwendet  war,  hätte  unterhalten  können.  Die  besonne- 
nen und  soliden  Schuldner  von  Privatleuten  dagegen 
verwenden  das  geborgte  Geld  viel  eher  zu  nüchternen, 
ihren  Kapitalien  angemessenen  Unternehmungen,  die 
zwar  weniger  großartig  und  wunderbar,  dafür  aber  um 
so  solider  und  gewinnbringender  sind,  alle  für  sie  ge- 
machten Auslagen  mit  reichem  Gewinn  zurückerstatten 
und  dadurch  einen  Fonds  schaffen,  aus  dem  eine  weit 
größere  Menge  Arbeit  erhalten  werden  kann,  als  auf 
sie  selbst  verwendet  war.  Der  glückliche  Erfolg  der  er- 
wähnten Tätigkeit  würde  mithin,  ohne  das  Kapital  des 
Landes  im  geringsten  vergrößert  zu  haben,  im  Gegen- 
teil einen  großen  Teil  von  ihm  aus  besonnenen  und  ge- 
winnreichen Unternehmungen  auf  unbesonnene  und 
keinen  Gewinn  bringende  gelenkt  haben. 

Daß  die  schottische  Industrie  aus  Mangel  an  Geld 
darniederliege,  war  die  Ansicht  des  berufenen  Law. 
Diesem  Geldmangel  gedachte  er  durch  Errichtung  einer 
besonderen  Art  von  Bank  abzuhelfen,  die,  wie  er  ge- 


ßO  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

glaubt,  zu  haben  scheint,  Papier  im  Betrage  des  Gesamt- 
wertes aller  Ländereien  des  Landes  ausgeben  könne. 
Das  schottische  Parlament  hielt  jedoch  das  Projekt, 
das  ihm  zuerst  vorgelegt  wurde,  zur  Annahme  für 
nicht  geeignet.  Später  wurde  es  mit  einigen  Abän- 
derungen vom  Herzog  von  Orleans,  dem  damaligen 
Regenten  Frankreichs,  angenommen.  Der  Gredanke, 
daß  es  möglich  sei,  Papiergeld  in  jedem  beliebigen 
Umfange  zu  vermehren,  lag  dem  sogenannten  Missi- 
sippi-Projekte,  vielleicht  dem  schwindelhaftesten  Bank- 
und  Börsenjobberprojekt,  das  die  Welt  je  gesehen  hat, 
zu  Grunde.  Die  verschiedenen  Leistungen  dieses  Pro- 
jekts hat  Du  Verney  in  seiner  „Prüfung  der  politischen 
Reflexionen  über  Handel  und  Finanzen  des  Herrn  Du 
Tot"  so  vollständig,  klar  und  scharfsinnig  entwickelt, 
daß  ich  sie  hier  nicht  schildern  will.  Die  Prinzipien, 
auf  denen  es  beruhte,  hat  Law  selbst  in  einer  Ab- 
handlung über  Geld  und  Handel,  die  er  in  Schottland 
veröffentlichte,  als  er  sein  Projekt  zuerst  vorlegte,  ent- 
wickelt. Die  glänzenden,  aber  phantastischen  Ideen, 
die  in  diesem  und  einigen  anderen  Büchern  über  die 
gleichen  Prinzipien  vorgetragen  w^erden,  machen  immer 
noch  auf  viele  Leute  Eindruck,  und  haben  vielleicht 
zum  Teil  jene  Ausschreitungen  im  Bankwesen  mit  ver- 
anlaßt, die  neuerdings  in  Schottland  und  anderwärts 
zu  beklagen  gewesen  sind. 

Die  Bank  von  England  ist  die  größte  Zettelbank 
in  Europa.  Sie  wurde  infolge  einer  Parlamentsakte 
durch  ein  Patent  vom  27.  Juli  1694  errichtet.  Damals 
schoß  sie  der  Regierung  die  Summe  von  £  1,200,000 
vor  gegen  eine  Annuität  von  £  100,000,  oder  £  96,000 
jährlicher  Zinsen  zu  S^'o  und  £  4000  für  die  jährlichen 
Verwaltungskosten.  Es  läßt  sich  denken,  daß  der 
Kredit  der  neuen  durch  die  Revolution  eingesetzten 
Regierung   sehr   gering   gewesen   sein  muß,    wenn  sie 


Kap.  IL:  Das  Geld.  61 

genötigt  war,  zu  einem  so  hohen  Zinsfuß  Geld  auf- 
zunehmen. 

Im  Jahre  1697  wurde  der  Bank  gestattet,  ihr 
Kapital  durch  eine  neue  Einzahlung  von  £  1,001,171 
10  sh.  zu  vergrößern.  Ihr  Gesamtkapital  betrug  mit- 
hin damals  £  2,101,171  10  sh.  Jene  Einzahlung  sollte, 
wie  es  hieß,  den  Staatskredit  heben.  Im  Jahre  1696 
standen  die  Tailles  (Koupons)  auf  vierzig,  fünfzig  und 
sechzig  Prozent,  und  die  Banknoten  auf  zwanzig  Pro- 
zent Disagio*.)  Während  der  zu  dieser  Zeit  vorge- 
nommenen großen  Silberumprägung  hielt  es  die  Bank 
für  geraten,  die  Zahlung  ihrer  Noten  zu  suspendieren, 
was  diese  natürlich  diskreditierte. 

Infolge  einer  Akte  aus  dem  siebenten  Jahre  der 
Königin  Anna  (c.  7.)  schoß  die  Bank  der  Schatzkammer 
die  Summe  von  £  400,000  vor,  so  daß  die  Gesamt- 
schuld mit  Einschluß  der  auf  die  Annuität  von  £  96,000 
Zinsen  und  £  4000  Verwaltungskosten  vorgeschossenen, 
jetzt  £  1,600,000  ausmachte.  Im  Jahre  1708  war  mit- 
hin der  Kredit  der  Regierung  so  gut  wie  der  der 
Privatleute,  da  sie  zu  sechs  Prozent,  dem  damals  ge- 
setzlichen und  üblichen  Zinsfuß,  entleihen  konnte. 
Infolge  derselben  Akte  tilgte  die  Bank  Schatzkammer- 
scheine im  Betrage  von  £  1,775,027  17  sh.  10  V2  d.  zu 
6°,  0  Zinsen,  und  durfte  gleichzeitig  ihr  Kapital  durch 
neue  Zeichnungen  verdoppeln.  Dasselbe  betrug  mit- 
hin 1708  £  4,402,343,  wovon  der  Eegierung  £  3,375,027 
17  sh.  10  V2  d.  geliehen  waren. 

Durch  die  Einzahlung  von  15  ^,0  wurde  im  Jahre 
1709  ein  Kapital  von  £  656,204  1  sh.  9  d.,  und  durch 
eine  andere  von  10",  0  im  Jahre  1710  ein  Kapital  von 
£  501,448  12  sh.  11  d.  eingeschossen.  Infolge  dieser 
beiden  Einzahlungen  belief  sich  also  das  Kapital  der 
Bank  auf  £  5,559,995   14  sh.  8  d. 

'■•)  James  Postlethwaite's  History  of  the  Public  Revenue,  p.  301. 


62  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Infolge  einer  Akte  aus  dem  dritten  Regierungs- 
jahre Georgs  I.  (c.  8.)  lieferte  die  Bank  £  2,000,000 
in  Schatzkammerscheinen  zur  Tilgung  ein,  wonach 
sich  also  die  der  Regierung  geliehene  Summe  auf 
£  5,375,027  17  sh.  10  d.  belief.  Infolge  der  Akte  aus 
dem  folgenden  Regierungsjahre  Georgs  I.  (c.  21.)  kaufte 
die  Bank  von  der  Südsee-Gesellschaft  Aktien  im  Be- 
trage von  £  4,000,000,  und  vergrößerte  ihr  Kapital 
infolge  der  Aktienzeichnungen  für  dies  Unternehmen 
1722  um  £  3,400,000.  Die  Vorschüsse  der  Bank  an 
die  Regierung  beliefen  sich  also  nun  auf  £  9,375,027 
17  sh.  10  d.,  und  ihr  Kapital  nur  auf  £  8,959,995 
14  sh.  8  d.  Dies  war  das  erste  Mal,  daß  die  Summe, 
die  die  Bank  dem  Staate  geliehen  hatte  und  wofür  sie 
Zinsen  empfing,  ihr  Kapital,  d.  h.  die  Summe,  für 
welche  den  Aktionären  eine  Dividende  gezahlt  wird, 
überstieg;  oder  mit  anderen  Worten,  daß  die  Bank 
anfing,  außer  dem  Dividenden-Kapital  noch  ein  anderes 
zu  haben,  von  dem  sie  keine  Dividende  zahlte,  was 
seitdem  immer  der  Fall  geblieben  ist.  Im  Jahre  1746 
hatte  die  Bank  aus  verschiedenen  Anlässen  dem  Staat 
£  11,686,800  vorgeschossen,  und  ihr  dividendenpflich- 
tiges  Kapital  war  durch  verschiedene  Nachforderungen 
und  Zeichnungen  bis  auf  £  10,780,000  gestiegen.  Das 
Verhältnis  dieser  beiden  Summen  zu  einander  ist  seit- 
dem das  nämliche  geblieben.  Infolge  der  Akte  aus 
dem  vierten  Regierungsjahre  Geoigs  III.  (c.  25.)  zahlte 
die  Bank  der  Regierung  für  die  Erneuerung  ihres 
Patents  £  110,000,  ohne  Zinsen  oder  Rückzahlung  zu 
erwarten,  sodaß  also  jene  beiden  anderen  Summen 
durch  diese  Zahlung  nicht  verändert  wurden. 

Die  Dividende  ist  je  nach  den  Änderungen  im 
Zinsfuß,  je  nach  den  Zinsen,  die  sie  zu  verschiedenen 
Zeiten  für  das  vom  Staate  geliehene  Geld  empfing,  so 
wie  nach  anderen  Umständen,  verschieden  gewesen. 
Der  Zinsfuß    fiel   nach    und    nach  von    acht   auf  3"/o. 


Kop.  ir.:  Das  Geld.  63 

Die  Dividende  der  Bank  hat  seit  einigen  Jahren 
5^/2 ''/o  betragen. 

Die  Zahlungsfähigkeit  der  Bank  von  England 
kommt  der  der  britischen  Begierung  gleich.  Was  sie  dem 
Staate  vorgeschossen  hat,  müßte  erst  verloren  gehen, 
ehe  ihre  Gläubio-er  einen  Verlust  erleiden  könnten. 
Keine  andere  Bankgesellschaft  kann  durch  eine  Parla- 
mentsakte gegründet  werden,  oder  wenigstens  darf  keine 
aus  mehr  als  sechs  Teilnehmern  bestehen.  Die  Bank  von 
England  betätigt  sich  nicht  nur  als  eine  gewöhnliche 
Bank,  sondern  als  eine  große  Staatsmaschine.  Sie 
empfängt  und  bezahlt  den  größten  Teil  der  den  Staats- 
gläubigern zukommenden  ßente,  setzt  die  Schatz- 
kammerscheine in  Umlauf,  und  schießt  der  Regierung 
den  jährlichen  Betrag  der  oft  erst  nach  einigen  Jahren 
bei  ihr  eingehenden  Grund-  und  Malzsteuer  vor.  Bei 
diesen  verschiedenen  Operationen  mag  die  Bank  bis- 
weilen durch  ihre  Verpflichtungen  gegen  den  Staat, 
ohne  Schuld  der  Direktion,  genötigt  worden  sein,  den 
Umlauf  mit  Papiergeld  zu  überfüllen.  Sie  diskontiert 
auch  kaufmännische  Wechsel,  und  hat  bei  verschiedenen 
Gelegenheiten  den  Kredit  der  größten  Häuser  nicht 
nur  in  England,  sondern  auch  in  Hamburg  und  Holland 
aufrecht  erhalten.  Einmal,  1763,  soll  sie  in  einer  einzigen 
Woche  etwa  £  1,600,000,  meist  in  Barren,  vorgeschossen 
haben;  doch  vermag  ich  weder  die  Größe  der  Summe 
noch  die  Dauer  der  Zeit  zu  verbü)'gen.  In  anderen 
Fällen  sah  sich  diese  große  Gesellschaft  in  die  Not- 
wendigkeit versetzt,   in  halben  Schillingen  zu  zahlen. 

Die  einsichtigsten  Bankoperationen  können  nicht 
durch  Vergrrȧerung  der  Kapitalien,  sondern  nur  dadurch 
die  Industrie  des  Landes  fördern,  daß  sie  einen  größeren 
Teil  dieser  Kapitalien  tätig  und  produktiv  machen, 
als  es  ohne  sie  geschehen  könnte.  Der  Teil  seines 
Kapitals,  den  ein  Geschäftsmann  unbeschäftigt  bar  in 
der  Kasse  haben  muß,  um  einlaufende  Forderungen  da- 


ß4  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

mit  befriedigen  zu  können,  ist  ein  totes  Kapital,  wel- 
ches, solange  es  in  dieser  Lage  bleibt,  weder  für  seinen 
Eigentümer  noch  für  das  Land  etwas  produziert.  Ver- 
ständige Bankoperationen  setzen  den  Geschäftsmann  in 
Stand,  sein  totes  Kapital  in  ein  tätiges  und  einträg- 
liches zu  verwandeln:  in  Rohstoffe  zur  Verarbeitung,  in 
Werkzeuge  und  Lebensmittel  zum  Unterhalt  der  Arbeit 
—  in  ein  Kapital,  das  sowohl  ihm  als  dem  Lande  etwas 
einbringt.  Das  Gold-  und  Silbergeld,  das  in  einem 
Lande  umläuft  und  durch  dessen  Vermittelung  die 
Produkte  des  Bodens  und  der  Arbeit  alljährlich  in 
Umlauf  gesetzt  und  an  die  Verbraucher  verteilt  werden, 
ist  ebenso  wie  das  bare  Geld  des  Geschäftsmanns  durch- 
aus ein  totes  Kapital.  Es  ist  ein  sehr  kostspieliger  Teil 
vom  Kapital  des  Landes,  der  dem  Lande  nichts  ein- 
bringt. Wenn  nun  verständige  Bankoperationen  Papier 
an  die  Stelle  eines  großen  Teils  der  edlen  Metalle 
setzen,  so  ist  das  Land  imstande,  jenes  tote  Kapital 
größtenteils  in  ein  tätiges  und  einträgliches,  dem  Lande 
etwas  einbringendes  Kapital  zu  verwandeln.  Das  in 
einem  Lande  umlaufende  Gold-  und  Silbergeld  kann 
mit  einer  Landstraße  verglichen  werden,  die  alles  Gras 
und  Korn  des  Landes  in  Umlauf  setzt  und  auf  den 
Markt  bringt,  selbst  aber  keinen  Halm  produziert.  Ver- 
ständige Bankoperationen  stellen,  wenn  ich  ein  so  kühnes 
Bild  gebrauchen  darf,  eine  Art  Straße  durch  die  Luft 
her  und  setzen  dadurch  das  Land  gleichsam  in  den 
Stand,  einen  großen  Teil  seiner  Landstraßen  in  gute 
Weiden  und  Kornfelder  zu  verwandeln,  und  dadurch 
den  Jahresertrag  des  Bodens  und  der  Arbeit  beträcht- 
lich zu  vermehren.  Doch  ist  zuzugeben,  daß  Handel  und 
Gewerbe  des  Landes,  obwohl  sie  sich  dadurch  steigern 
lassen,  doch  auf  den  Dädalusflügeln  des  Papiergeldes 
nicht  etwa  so  sicher  sind,  als  wenn  sie  auf  dem  festen 
Grunde  von  Gold  und  Silber  wandeln.  Außer  den  Un- 
fällen,  denen    sie   durch   den  Unverstand   der  Lenker 


Kap.  II. :  Das  Geld.  65 

dieses  Papieiumlaufs  ausgesetzt  sind,  können  sie  noch 
von  manchen  anderen  betroffen  werden,  vor  denen 
sie  keine  Klugheit  oder  Geschicklichkeit  jener  Lenker 
bewahren  kann. 

So  würde  z.  B.  ein  unglücklicher  Krieg,  in  welchem 
der  Feind  sich  der  Hauptstadt  und  folglich  auch  des 
Schatzes  bemächtigte,  auf  dem  der  Kredit  des  Papier- 
geldes beruht,  in  einem  Lande,  wo  der  ganze  Umlauf 
in  Papier  bestände,  eine  weit  größere  Verwirrung  her- 
vorbringen, als  in  einem  anderen,  wo  der  Umlauf  meist 
durch  Gold  und  Silber  bewirkt  wird.  Indem  das 
allgemein  gebräuchliche  Verkehrsmittel  seinen  Wert 
verlöre,  würden  die  Umsätze  nur  noch  durch  unmittel- 
baren Tausch  oder  auf  Kredit  erfolgen  können.  Da 
alle  Steuern  bisher  in  Papiergeld  bezahlt  wurden,  so 
würde  der  Fürst  nicht  wissen,  womit  er  seine  Truppen 
bezahlen,  oder  seine  Magazine  wieder  füllen  sollte,  und 
der  Zustand  des  Landes  weit  verzweifelter  sein,  als 
wenn  der  Umlauf  meist  in  Gold  und  Silber  bestanden 
hätte.  Deshalb  sollte  ein  Fürst,  der  sein  Gebiet  jeder- 
zeit im  besten  Verteidigungszustande  erhalten  will,  nicht 
nur  jene  übermäßige  Vermehrung  des  Papiergeldes 
verhüten,  durch  die  die  emittierenden  Banken  sich 
selbst  zugrunde  richten,  sondern  auch  eine  Vermehrung, 
durch  die  der  Umlauf  des  Landes  zumeist  mit  Papier 
angefüllt  wird,  nicht  zugeben. 

Der  Umlauf  jedes  Landes  läßt  sich  als  in  zwei 
verschiedene  Zweige  zerfallend  betrachten,  nämlich  als 
Umlauf  zwischen  den  Verkäufern  unter  einander,  und 
als  Umlauf  zwischen  den  Verkäufern  und  Verbrauchern. 
Obgleich  das  nämliche  Geld,  gleichviel  ob  Papier-  oder 
Metallgeld,  bald  in  dem  einen,  bald  in  dem  anderen 
Umlauf  verwendet  wird,  so  erfordert  doch  jeder  von 
ihnen,  da  beide  Zirkulationen  stets  zu  gleicher  Zeit  vor 
sich    gehen,    einen   bestimmten   Geldvorrat    der    einen 

Adam  Siuitb,  Volkswoblsttiud.  11.  O 


ßß  Zweites  Buch:  Dos  Kapital. 

oder  andern  Art  znm  Betrieb.  Der  Wert  der  zwischen 
den  verschiedenen  Verkäufern  umlaufenden  Güter  kann 
niemals  den  Wert  der  zwischen  den  Verkäufern  und 
den  Verbrauchern  umlaufenden  übersteigen,  weil  alles, 
was  von  den  Verkäufern  gekauft  wird,  zum  schließlichen 
Absatz  an  die  Verbraucher  bestimmt  ist.  Da  der 
Umlauf  zwischen  den  Verkäufern  im  großen  betrieben 
wird,  so  ist  für  jeden  einzelnen  Umsatz  gewöhnlich  eine 
sehr  bedeutende  Summe  nötig,  wogegen  die  im  allge- 
meinen kleinen  Umsätze  zwischen  den  Verkäufern  und 
Käufern  oft  nur  sehr  geringe  Beträge  erfordern:  ein 
Schilling  oder  manchmal  sogar  ein  halber  Penny  reicht 
dazu  hin.  Kleine  Beträge  laufen  aber  weit  schneller 
um,  als  große.  Ein  Schilling  wechselt  die  Besitzer  viel 
öfter  als  eine  Guinee,  und  ein  halber  Penny  noch 
viel  öfter  als  ein  Schilling.  Obgleich  daher  die  jähr- 
lichen Käufe  aller  Verbraucher  dem  Werte  nach  denen 
aller  Verkäufer  mindestens  gleich  sind,  so  können  sie 
doch  gewöhnlich  mit  einer  weit  geringeren  Menge  Geldes 
gemacht  werden,  weil  dieselben  Stücke  bei  den  einen 
wegen  des  schnelleren  Umlaufs  mehr  Käufe  vermitteln 
als    bei   den    anderen. 

Papiergeld  kann  nun  so  eingerichtet  werden,  daß 
es  sich  entweder  ziemlich  ausschließend  auf  den  Um- 
lauf unter  den  Verkäufern  beschränkt,  oder  sich  auch 
auf  einen  großen  Teil  des  Umlaufs  unter  den  Verkäufern 
und  Verbrauchern  ausdehnt.  Wo  keine  Banknoten 
unter  £  10  in  Umlauf  sind,  wie  in  London,  da  be- 
schränkt sich  das  Papiergeld  von  selbst  ziemlich  aus- 
schließend auf  den  Umlauf  zwischen  den  Verkäufern. 
Wenn  eine  Zehnpfundnote  in  die  Hände  eines  Ver- 
brauchers kommt,  so  ist  er  gewöhnlich  genötigt,  sie  im 
ersten  besten  Laden,  wo  er  für  fünf  Schilling  etwas 
kauft,  zu  wechseln,  so  daß  sie  oft  schon  in  die  Hände 
eines  Verkäufers  zurückkehrt,  ehe  der  Verbraucher  den 
vierzigsten  Teil  des  Geldes  verausgabt  hat.    Wo  dagegen 


Kap.  IL:  Das  Geld.  67 

Banknoten  in  so  kleinen  Summen,  wie  zwanzig  Schil- 
ling, ausgegeben  werden,  wie  in  Schottland,  da  erstreckt 
sich  das  Papiei'geld  auf  einen  ansehnlichen  Teil  des 
Umlaufs  zwischen  den  Verkäufern  und  Verbrauchern. 
Vor  der  Parlamentsakte,  die  dem  Umlauf  der  Zehn-  und 
Fünf  schillin  o;noten  Einhalt  tat,  füllte  es  einen  noch 
größeren  Teil  jenes  Umlaufs  aus.  In  Nordamerika 
wurde  Papiergeld  gewöhnlich  in  so  kleinen  Beträgen 
wie  ein  Schilling  ausgegeben  und  füllte  fast  den  ganzen 
Umlauf  aus.  In  Yorkshire  wurden  sogar  Sixpences  in 
Papier  ausgegeben. 

"Wo  die  Ausgabe  von  Banknoten  in  so  kleinen 
Beträgen  erlaubt  und  üblich  ist,  werden  viele  Leute 
von  geringem  Vermögen  in  den  Stand  gesetzt  und 
ermutigt,  Bankiers  zu  werden.  Jemand,  dessen  Fünf- 
pfund-, ja  dessen  Zwanzigschilling-Noten  von  jeder- 
mann zurückgewiesen  werden  würden,  wird  seine  auf 
einen  so  geringen  Betrag  wie  ein  Sixpence  ausgestellten 
Noten  unbedenklich  angenommen  sehen.  Doch  können 
die  bei  so  bettelhaften  Bankiers  häufig  vorkommenden 
Bankerotte  sehr  bedeutenden  Schaden  anrichten  und 
manchmal  großes  Unglück  über  viele  arme  Leute  brin- 
gen, die  deren  Zettel  in  Zahlung  angenommen  haben. 

Es  wäre  vieleicht  besser,  wenn  nirgends  im  Rei- 
che Banknoten  unter  fünf  Pfund  Sterling  ausgegeben 
würden.  Dann  würde  sich  das  Papiergeld  wahrschein- 
lich überall  auf  den  Umlauf  unter  den  Verkäufern  be- 
schränken, wie  es  gegenwärtig  in  London  der  Fall 
ist,  wo  keine  Banknoten  unter  zehn  Pfund  ausgegeben 
werden.  In  den  meisten  Teilen  des  Reichs  sind  fünf 
Pfund  eine  Summe,  die,  wenn  auch  nicht  viel  mehr 
als  die  Hälfte  der  Waren  dafür  zu  haben  ist,  als  in 
London  für  zehn,  in  der  Provinz  doch  für  ebenso  groß 
gilt  und  ebenso  selten  auf  einmal  ausgegeben  wird, 
als  zehn  Pfund  im  reichen  London. 


68  Zweites  Buoli:  Das  Kapital. 

Wo  Papiergeld  meist  auf  den  Umlauf  zwischen  den 
Verkäufern  beschränkt  ist,  wie  in  London,  da  ist  stets 
Gold  und  Silber  reichlich  vorhanden.  "Wo  es  sich 
hingegen  auf  einen  großen  Teil  des  Umlaufs  zwischen 
Verkäufern  und  Konsumenten  erstrekt,  w'ie  in  Schott- 
land und  noch  mehr  in  Nordamerika,  da  vertreibt  es 
das  Gold  und  Silber  fast  ganz  aus  dem  Lande,  indem 
beinahe  alle  gewöhnlichen  Geschäfte  des  inneren  Ver- 
kehrs mit  Papier  betrieben  werden.  Die  Unterdrückung 
der  Zehn-  und  Fünfschillingnoten  half  dem  Mangel  an 
Gold  und  Silber  in  Schottland  etwas  ab,  und  die  Unter- 
drückung der  Zwanzigschillingnoten  würde  ihm  wahr- 
scheinlich noch  mehr  abhelfen.  In  Amerika  sollen,  seit 
einige  der  papiernen  Umlaufsmittel  unterdrückt  worden 
sind,  die  edlen  Metalle  in  größerer  Menge  vorhanden 
sein,  wie  dies  ebenso  vor  der  Einführung  dieser  Umlaufs- 
mittel der  Fall  gewesen  sein  soll. 

Wenn  aber  auch  das  Papiergeld  fast  ganz  auf  den 
Umlauf  zwischen  den  Verkäufern  beschränkt  ist,  können 
doch  Banken  und  Bankiers  der  Industrie  und  dem 
Handel  des  Landes  denselben  Beistand  gewähren,  als 
wenn  das  Papiergeld  fast  den  ganzen  Umlauf  ausfüllt. 
Das  bare  Geld,  das  ein  Verkäufer  in  seiner  Kasse  haben 
muß,  um  gelegentliche  Forderungen  befriedigen  zu 
können,  ist  lediglich  für  den  Umlauf  zwischen  ihm  und 
anderen  Verkäufern,  von  denen  er  Waren  kauft,  be- 
stimmt. Er  hat  nicht  nötig,  Geld  für  den  Umlauf 
zwischen  ihm  und  den  Verbrauchern  in  seiner  Kasse 
zu  halten,  da  diese  seine  Kunden  sind  und  ihm  bares 
Geld  bringen,  nicht  aber  von  ihm  wegholen.  Wenn 
daher  Papiergeld  nur  in  solchen  Beträgen  ausgegeben 
werden  dürfte,  daß  es  fast  ganz  auf  den  Umlauf  zwischen 
den  Verkäufern  beschränkt  wäre,  so  würden  die  Banken 
und  Bankiers  doch  immer  noch  teils  durch  Diskontierung 
reeller  Wechsel,  teils  durch  Darlehen  auf  Kassenkonten 


Kap.  II. :  Das  Geld.  69 

die  Mehrzahl  jener  Verkäufer  der  Notwendigkeit  ent- 
heben können,  einen  beträchtlichen  Teil  ihres  Kapitals 
unbeschäftigt  und  bar  in  der  Kasse  zu  halten,  um  ge- 
legentliche Forderungen  befriedigen  zu  können.  Sie 
könnten  immer  noch  den  größten  Beistand  gewähren, 
den  überhaupt  Banken  und  Bankiers  Geschäftsleuten 
füglich  leisten  können. 

Privatleute  daran  zu  hindern,  die  Noten  eines  Ban- 
kiers, ob  auf  einen  großen  oder  kleinen  Betrag  aus- 
gestellt, in  Zahlung  zu  nehmen,  wenn  sie  dazu  bereit 
sind,  oder  einem  Bankier  die  Ausgabe  solcher  Noten 
zu  verbieten,  obgleich  die  Leute  zu  ihrer  Annahme  be- 
reit sind,  sei  —  könnte  man  sagen  —  eine  offenbare 
Verletzung  der  natürlichen  Freiheit,  die  das  Gesetz 
nicht  schwächen,  sondern  aufrecht  halten  soll,  und  in 
gewisser  Beziehung  können  solche  Maßregeln  in  der 
Tat  als  Verletzungen  der  natürlichen  Freiheit  betrach- 
tet werden;  allein  Handlungen  der  natürlichen  Freiheit 
weniger  einzelnen,  die  die  Sicherheit  der  ganzen  Ge- 
sellschaft gefährden,  werden  durch  die  Gesetze  aller 
Staaten  eingeschränkt  und  müssen  eingeschränkt  wer- 
den, in  den  freiesten  nicht  weniger  als  in  den  des- 
potischsten Staaten.  Die  Nötigung,  Brandmauern  zu 
errichten,  damit  das  Weitergreifen  des  Feuers  ver- 
hindert werde,  ist  eine  ganz  ähnliche  Verletzung  der 
natürlichen  Freiheit,  wie  die  hier  empfohlene  Regelung 
des  Bankwesens. 

Ein  Papiergeld,  das  in  Banknoten  besteht,  von 
Leuten  zweifellosen  Kredits  ausgegeben  wird,  auf  Vor- 
langen unbedingt  eingelöst  werden  muß  und  tatsäch- 
lich stets  gegen  Metall  eingelöst  wird,  wenn  es  zur 
Präsentation  kommt,  ist  in  jeder  Rücksicht  dem  Go]d- 
und  Silbergeld  an  Wert  gleich,  weil  zu  jeder  Zeit  Gold- 
und  Silbergeld  dafür  zu  haben  ist.  Man  muß  für 
solches  Papier  ebenso  wohlfeil  kaufen  oder  verkaufen 
als  für  Gold  und  Silber. 


70  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Man  hat  behauptet,  das  Papiergeld  erhöhe  durch 
Vermehrung  der  Menge  und  der  infolge  davon  ein- 
tretenden Wertverminderung  des  Gesamtumlaufs  not- 
wendig den  Geldpreis  der  Waren.  Da  jedoch  das  hin- 
zutretende Papier  stets  eine  ebenso  große  Menge  Gold 
und  Silber  dem  Umlauf  entzieht,  so  vergrößert  das 
Papiergeld  nicht  notwendig  die  Menge  des  Gesamtum- 
laufs. Seit  dem  Anfang  des  letzten  Jahrhunderts  bis 
auf  die  gegenwärtige  Zeit  waren  in  Schottland  die 
Lebensmittel  niemals  wohlfeiler,  als  im  Jahre  1759, 
obgleich  es  damals  infolge  des  Umlaufs  der  Zehn-  und 
Fünf  Schillingnoten  mehr  Papiergeld  im  Lande  gab  als 
jetzt.  Das  Verhältnis  zwischen  dem  Preise  der  Lebens- 
mittel in  Schottland  und  England  ist  jetzt  dasselbe, 
wie  vor  der  starken  Vermehrung  der  schottischen  Ban- 
ken. Das  Getreide  ist  in  England  meist  ebenso  wohl- 
feil als  in  Frankreich,  obgleich  im  ersteren  Lande  eine 
große  Menge  Papiergeld  umläuft,  und  in  letzterem  fast 
gar  keins.  1751  und  1752,  als  Hume  seine  „Politischen 
i\.bhandlungen"  veröffentlichte,  und  bald  nach  der 
starken  Vermehrung  des  Papiergeldes  in  Schottland, 
trat  allerdings  eine  sehr  empfindliche  Steigerung  der 
Lebensmittelpreise  ein,  woran  indes  wahrscheinlich 
nicht  die  Vermehrung  des  Papiergeldes,  sondern  die 
schlechte  Ernte  schuld  war. 

Anders  freilich  verhält  es  sich  mit  Noten,  deren 
sofortige  Einlösung  entweder  von  dem  guten  Willen 
der  Emissionshäuser,  oder  von  einer  Bedingung  ab- 
hängt, die  ihr  Inhaber  nicht  immer  zu  erfüllen  imstande 
ist,  oder  deren  Zahlung  nur  nach  einer  bestimmten 
Eeihe  von  Jahren  gefordert  werden  könnte,  und  die 
in  der  Zwischenzeit  keine  Zinsen  tragen.  Ein  solches 
Papiergeld  würde  ohne  Zweifel  mehr  oder  weniger 
unter  den  Wert  des  Goldes  und  Silbers  sinken,  je  nach- 
dem die  Schwierigkeit  und  Unsicheiiieit  einer  sofortigen 


Kap.  IL:  Das  Geld.  71 

Einlösung  für  größer  oder  geringer  gälte,  oder  je 
nachdem  der  Zeitpunkt  der  Zahlbarkeit  näher  oder 
ferner  läge. 

Yor  mehreren  Jahren  beliebten  die  schottischen 
Banken  in  ihre  Noten  eine  sogenannte  Optionsklausel 
zu  setzen,  durch  welche  sie  dem  Inhaber  je  nach  Wahl 
der  Direktoren  die  Zahlung  entweder  sogleich  bei 
Vorzeigung,  oder  erst  sechs  Monate  nachher  mit  Zins- 
vergütung für  diese  sechs  Monate  versprachen.  Die 
Direktoren  einiger  Banken  machten  bald  von  dieser 
Klausel  Gebrauch,  bald  drohten  sie,  wenn  gerade  für 
eine  große  Zahl  ihrer  Noten  Gold  und  Silber  verlangt 
wurde,  sie  würden  davon  Gebrauch  machen,  falls  man 
sich  nicht  mit  einem  Teil  des  Verlangten  begnüge. 
Die  Noten  dieser  Banken  machten  damals  den  größten 
Teil  der  Zahlungsmittel  in  Schottland  aus,  und  die 
Unsicherheit  der  Zahlung  verringerte  natürlich  ihren 
Wert  gegen  Gold-  und  Silbergeld.  Während  der  Dauer 
dieses  Mißbrauchs,  der  hauptsächlich  1762,  1763  und 
1764  überhand  nahm,  war  der  Wechselkurs  zwischen 
London  und  Dumfries  bisweilen  vier  Prozent  gegen 
Dumfries,  obgleich  diese  Stadt  keine  dreißig  Meilen  von 
Carlisle  entfernt  liegt,  wo  der  Wechselkurs  auf  London 
al  pari  stand.  In  Carlisle  wurden  nämlich  die  AVechsel 
in  Gold  und  Silber  bezahlt,  in  Dumfries  dagegen  in 
schottischen  Banknoten,  die  wegen  der  unsicheren  Ein- 
lösbarkeit  gegen  Gold  und  Silber  um  vier  Prozent 
niedriger  standen,  als  das  Bargeld.  Die  nämliche  Par- 
lamentsakte, durch  w  eiche  die  Zehn-  und  Fünfschilling- 
noten abgeschafft  wurden,  beseitigte  auch  jene  Klause], 
und  brachte  dadurch  den  Kurs  zwischen  England  und 
Schottland  auf  seinen  natürlichen  Satz,  d.  h.  auf  den- 
jenigen, den  der  Gang  des  Handels  und  die  Rimessen 
herbeiführen. 

Beim    Papiergeld    von    Yorkshire    hing    die    Bar- 


72  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Zahlung  so  kleiner  Beträge,  wie  ein  Sixpence,  mit- 
unter von  der  Bedingung  ab,  daß  der  Inhaber  für  den 
ganzen  Betrag  einer  Guinee  Noten  zum  Umwechseln  an 
das  Emissionshaus  bringen  müsse  —  eine  Bedingung, 
die  die  Inhaber  der  kleinen  Noten  oft  unmöglich  er- 
füllen konnten  und  die  deshalb  das  Papier  entwerten 
mußte.  Eine  Parlamentsakte  erklärte  daher  alle  solche 
Klauseln  für  ungesetzlich  und  schaffte  ebenso,  wie  in 
Schottland,  alle  Banknoten  unter  20  sh.  ab. 

Das  nordamerikanische  Papiergeld  bestand  nicht 
in  Banknoten,  die  auf  Verlangen  an  den  Inhaber  zahlbar 
waren,  sondern  in  einem  Staatspapier,  dessen  Zahlung 
erst  einige  Jahre  nach  der  Ausgabe  gefordert  werden 
konnte;  und  obgleich  die  Kolonialregierungen  den  In- 
habern dieser  Papiere  keine  Zinsen  zahlten,  erklärten 
sie  es  gleichwohl  zum  gesetzlichen  Zahlungsmittel  für 
den  vollen  Wert  seiner  Bezeichnung  und  machten  es 
auch  wirklich  dazu.  Wenn  man  aber  auch  die  Papiere 
der  Kolonien  für  vollkommen  gut  hält,  so  sind  doch 
z.  B.  £  100,  die  erst  in  15  Jahren  zahlbar  werden,  in 
einem  Lande,  wo  6*^.o  Zinsen  üblich  sind,  kaum  mehr 
als  £  40  baren  Geldes  wert.  Einen  Gläubiger  zu 
zwingen,  ein  solches  Papier  für  eine  bare  Schuld  von 
£  100  anzunehmen,  war  daher  eine  so  große  Ungerech- 
tigkeit, wie  sie  wohl  kaum  je  von  der  Regierung  eines 
anderen  sich  frei  nennenden  Landes  begangen  worden 
ist.  Das  Verfahren  trägt  den  Stempel  eines  Plans  be- 
trügerischer Schuldner,  ihre  Gläubiger  zu  prellen,  an 
sich  und  war  es  auch  nach  der  Versicherung  des  ehr- 
lichen und  biederen  Dr.  Douglas.  Die  Regierung  von 
Pennsylvanien  glaubte  zwar  bei  ihrer  ersten  Papiergeld- 
ausgabe 1722  ihr  Papier  durch  Strafandrohungen  gegen 
alle  die,  die  im  Preise  ihrer  Waren  je  nach  Zahlung  in 
Kolonialpapier  oder  in  Gold  und  Silber  einen  Unterschied 
machten,  auf  gleichen  Fuß  mit  den  edlen  Metallen  setzen 


Kap.  Tl.:  Das  Geld.  73 

ZU  können,  allein  diese  Maßnahme  war  ebenso  tyrannisch 
und  noch  weniger  wirksam  als  diejenige,  zu  deren 
Unterstützung  sie  getroffen  wurde.  Ein  positives  Ge- 
setz kann  wohl  einen  Schilhng  zu  einem  gesetzlichen 
Zahlungsmittel  für.  eine  Guinee  machen,  weil  es  die 
Gerichtshöfe  anweisen  kann,  den  Schuldner,  der  so  be- 
zahlt, zu  entlasten;  aber  kein  positives  Gesetz  kann 
einen  Mann,  der  Waren  verkauft  und  dem  es  freisteht, 
sie  zu  verkaufen  oder  nicht,  dazu  zwingen,  als  Bezah- 
lung einen  Schilling  für  eine  Guinee  zu  nehmen.  Trotz 
aller  Maßregeln  dieser  Art  ergab  sich  aus  dem  Wechsel- 
kurs mit  Großbritannien,  daß  £  100  in  einigen  Kolonien 
unter  Umständen  £  130,  in  anderen  gar  £  1100  galten; 
ein  Unterschied  im  Wert,  der  sich  nach  dem  Unter- 
schiede der  in  den  verschiedenen  Kolonien  ausgegebenen 
Menge  Papiergeldes,  sowie  nach  der  größeren  oder 
geringeren  Wahrscheinlichkeit  und  den  Fristen  der 
endlichen  Einlösung  und  Wiederbezahlung  richtete. 

Kein  Gesetz  konnte  mithin  gerechter  sein,  als  die 
in  den  Kolonien  mit  so  großem  Unrecht  gescholtene 
Parlamentsakte,  nach  welcher  künftig  kein  Papiergeld 
gesetzliches  Zahlungsmittel  sein  solle. 

Pennsylvanien  war  in  seiner  Papiergeldausgabe 
stets  maßvoller  als  alle  anderen  unserer  Kolonien.  Sein 
Papiergeld  soll  daher  niemals  unter  den  Wert  des 
Goldes  und  Silbers  gesunken  sein,  das  in  der  Kolonie 
vor  der  Ausgabe  des  Papiergeldes  in  Umlauf  gewesen 
war.  Yor  dieser  Emission  hatte  die  Kolonie  schon  den 
Nennwert  ihrer  Münzen  erhöht,  und  durch  eine  Akte 
ihrer  Volksvertretung  verordnet,  daß  5  sh.  sterl.  in  der 
Kolonie  für  6  sh.  3  d.,  und  später  für  6  sh.  8  d.  ge- 
nommen werden  sollten.  Mithin  stand  1  £  Kolonialgeld 
selbst  zu  der  Zeit,  als  der  Umlauf  in  Gold  und  Silber 
bestand,  mehr  als  30  "/o  unter  dem  Werte  eines  £  Ster- 
ling,   und  es  fiel  auch  selten  über  30°-o  unter  diesen 


74  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Wert,  als  der  Umlauf  in  Papier  bestand.  Der  Yorwand 
für  diese  Erhöhung  des  Nennwertes  war  die  Verhütung 
der  Ausfuhr  von  Grold  und  Silber,  die  man  dadurch 
zu  erreichen  glaubte,  daß  man  gleiche  Metallmengen 
in  der  Kolonie  größere  Summen  darstellen  ließ,  als 
im  Mutterlande.  Man  fand  aber  bald,  daß  der  Preis 
aller  Waren  aus  dem  Mutterlande  genau  im  Verhältnis 
der  Erhöhung  des  Nennwerts  stieg,  sodaß  ihr  Gold  und 
Silber   ebenso    schnell    ausgeführt  wurde,   wie  früher. 

Da  das  Papiergeld  der  Kolonien  bei  Bezahlung  der 
Provinzialsteuern  für  den  vollen  Wert  genommen  wurde, 
zu  dem  es  ausgegeben  war,  so  erhielt  es  durch  diesen 
Gebrauch  notwendig  einen  höheren  Wert,  als  es  bei 
der  wirklichen  und  vorausgesetzten  Entferntheit  des 
Einlösungstermins  gehabt  haben  würde.  Dieser  zu- 
sätzliche Wert  war  größer  oder  geringer,  je  nachdem 
die  Menge  des  ausgegebenen  Papiers  die  Summe,  die 
bei  Zahlung  der  Steuern  einer  jeden  Kolonie  zu  ver- 
wenden war,  mehr  oder  weniger  überstieg;  und  sie 
überstieg  diese  Summe  in  allen  Kolonien  sehr  bedeutend. 

Wenn  ein  Fürst  verordnete,  daß  ein  gewisser  Teil 
der  Steuern  in  einer  bestimmten  Art  Papiergeldes  ent- 
richtet werden  solle,  so  könnte  er  dadurch  diesem  Gelde 
einen  bestimmten  Wert  geben,  selbst  wenn  der  Wieder- 
bezahlungstermin  ganz  vom  Willen  des  Fürsten  abhinge; 
und  wenn  die  Papier  ausgebende  Bank  seine  Menge 
stets  etwas  unter  dem  zu  diesem  Zweck  erforderlichen 
Betrag  hielte,  so  könnte  die  Nachfrage  danach  so  groß 
werden,  daß  es  sogar  ein  Agio  erhielte,  d.  h.  etwas 
teurer  bezahlt  würde,  als  das  Gold-  und  Silbergeld,  für 
das  es  ausgegeben  wurde.  Auf  diese  Weise  erklären 
manche  das  Agio  der  Bank  zu  Amsterdam,  d.  h.  den 
Umstand,  daß  das  Bankogeld  einen  höheren  Wert  hat 
als  Kurant,  obgleich  ersteres  nicht  nach  Belieben  des 
Eigentümers   aus   der  Bank   genommen  werden   kann. 


Tvap.  IL:  Das  Geld.  75 

Die  meisten  ausländischen  Wechsel,  sagen  sie,  müssen 
in  Bankogeld,  d.  h.  durch  Übertragung  in  den  Büchern 
der  Bank  gezahlt  werden,  und  die  Direktoren  der  Bank 
halten,  so  wird  behauptet,  die  Menge  des  Bankogeldes 
stets  unter  der  Summe,  die  zu  jenem  Zwecke  erforder- 
lich ist.  Dies,  sagt  man,  sei  der  Grund,  weshalb  das 
Bankogeld  ein  Agio  von  vier  oder  fünf  Prozent  gegen 
Kurant  trage.  Diese  Sache  ist  jedoch,  wie  sich  später 
zeigen  wird,  fast  gänzlich  grundlos. 

Ein  Papiergeld,  das  unter  den  Wert  des  Gold- 
und  Silbergeldes  sinkt,  vermindert  dadurch  nicht  den 
Wert  dieser  Metalle,  oder  verursacht  nicht,  daß  mit 
gleichen  Mengen  jener  Metalle  kleinere  Warenmengen 
gekauft  werden  können.  Das  Verhältnis  zwischen  dem 
Wert  von  Gold  und  Silber  und  dem  der  Waren  aller 
Art  hängt  niemals  von  der  Beschaffenheit  oder  Menge 
des  in  einem  Lande  umlaufenden  Papiergeldes  ab, 
sondern  von  dem  Reichtum  oder  der  Armut  der  Berg- 
werke, die  zur  Zeit  den  großen  Markt  der  Handelswelt 
mit  diesen  Metallen  versorgen;  es  hängt  von  dem  Ver- 
hältnis zwischen  der  Arbeitsmenge  ab,  die  erforderlich 
ist,  um  eine  bestimmte  Menge  Gold  und  Silber,  und  der 
Arbeitsmenge,  die  erforderlich  ist,  um  eine  bestimmte 
Menge  aller  anderen  Waren  auf  den  Markt  zu  bringen. 

Wenn  die  Bankiers  verhindert  werden,  umlaufende, 
d.  h.  an"  den  Inhaber  zahlbare  Noten  unter  einem  ge- 
wissen Wertbetrag  auszugeben,  und  wenn  man  ihnen 
die  Verpflichtung  auferlegt,  ihre  Banknoten  sofort  und 
unbedingt  bei  Vorzeigung  zu  bezahlen,  so  kann  ihr 
Geschäft  in  allen  anderen  Beziehungen  ohne  Schaden 
füi"  das  Publikum  vollkommen  frei  gegeben  werden. 
Die  jüngste  Vermehrung  der  Bankgesellschaften  in 
beiden  Teilen  des  vereinigten  Königreichs,  die  viele 
so  stark  beunruhigt,  vermehrt  die  Sicherheit  des 
Publikums,    statt    sie  zu   vermindern.     Sie  zwingt  alle 


76  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Gesellschaften,  umsichtiger  zu  sein,  ihr  Papiergeld 
nicht  über  das  richtige  Verhältnis  zu  ihrer  Kasse  aus- 
zudehnen, und  sich  vor  jenen  tückischen  Stürmen  auf 
die  Bank  in  Acht  zu  nehmen,  die  ihnen  die  Neben- 
buhlerschaft so  vieler  Mitbewerber  stets  zuzuziehen 
bereit  ist.  Sie  schränkt  ferner  den  Umlauf  jeder 
einzelnen  Gesellschaft  auf  einen  engeren  Kreis  ein, 
und  führt  ihre  Noten  auf  eine  kleinere  Anzahl  zurück. 
Durch  die  Verteilung  des  Gesamtpapierumlaufs  über 
eine  größere  Zahl  von  Beteiligten  wird  das  Falliment 
einer  einzelnen  Gesellschaft,  —  ein  Ereignis,  das  immer- 
hin einmal  eintreten  kann,  —  dem  Publikum  weniger 
verderblich.  Auch  zwingt  dieser  freie  Wettbewerb 
alle  Bankiers  zu  einer  liberaleren  Behandlung  ihrer 
Kunden,  damit  sie  ihnen  nicht  von  den  Mitbewerbern 
abspenstig  gemacht  werden.  Wenn  im  Allgemeinen 
jeder  Geschäftszweig  oder  jede  Arbeitsteilung  für  das 
Publikum  von  Vorteil  ist,  so  wird  es  der  freiere  und 
allgemeinere  Wettbewerb  stets  noch  mehr  sein. 


Drittes    Kapitel. 

Kapitalanhäufung  oder  produktive 
und  unproduktive  Arbeit. 

Es  gibt  eine  Art  von  Arbeit,  die  dem  Werte  des 
Gegenstandes,  auf  den  sie  verwendet  wird,  etwas  hin- 
zufügt, und  eine  andere,  die  diese  Wirkung  nicht  hat. 
Die  erstere  kann,  da  sie  einen  Wert  hervorbringt  und 
produziert,  produktive,  die  letztere  unproduktive '••)  Ar- 
beit genannt  werden.  So  fügt  die  Arbeit  eines  Hand- 
werkers dem  Werte  der  von  ihm  bearbeiteten  Materialien 
in  der  Regel  noch  den  Wert  seines  eignen  Unterhalts 
und  des  Meistergewinnes  hinzu.  Die  Arbeit  eines 
Dienstboten  hingegen  fügt  dem  Werte  keiner  Sache 
etwas  hinzu.  Obgleich  der  Handwerksgesell  seinen 
Arbeitslohn  vom  Meister  vorgeschossen  erhält,  so  ver- 
ursacht er  ihm  tatsächlich  doch  keine  Kosten,  da  der 
Betrag  dieses  Lohnes  samt  einem  Grewinne  gewöhnlich 
in  dem  erhöhtem  Werte  des  verfertigten  Gegenstandes 
zurückerstattet  wird,  während  der  Unterhalt  eines 
Dienstboten  sich  niemals  wieder  ersetzt.  Durch  Be- 
schäftigung einer  Menge  von  Gesellen  wird  man  reich ; 
durch  das  Halten  einer  Menge  von  Dienstboten  wird 
man  arm.  Gleichwohl  hat  die  Arbeit  der  letzteren 
ihren  Wert,  und  verdient  ebenso  gut  wie  die  der  erste- 


*)  Einige  sehr  gelehrte  und  geistvolle  französische  .Scliril't- 
steller  haben  diese  Worte  in  einem  andern  Sinne  gebraucht. 
Im  letzten  Kapitel  des  vierten  Buches  werde  ich  zu  zeigen 
suchen,  daß  der  von  ihnen  diesen  Worten  beigelegte  Sinn  ein 
unrichtig'er  ist. 


78  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

ren   ihren  Lohn;   allein   die  Arbeit   des   Gesellen  wird 
in  einem  bestimmten  Gegenstande  oder  einer  verkäuf- 
lichen Ware  festgelegt  und  verwirklicht,  die  die  Voll- 
endung der  Arbeit  wenigstens  noch  eine  Zeitlang  über- 
dauert.    Die  Ware   ist  gleichsam  eine  gewisse  Menge 
Arbeit,  die  augesammelt  und  aufbewahrt  wurde,  um  im 
Bedarfsfalle  später  benutzt  zu  werden.    Dieser  Gegen- 
stand, oder,  was  dasselbe  ist,  der  Preis  dieses  Gegen- 
standes, kann  später,  im  Bedarfsfalle,  eine  ebenso  große 
Arbeitsmenge  in  Bewegung  setzen,  als  die,  durch  die 
er  ursprünglich  erzeugt  wurde.  Dagegen  wird  die  Arbeit 
des  Dienstboten  durchaus  in  keinem  bestimmten  Gegen- 
stande,  in   keiner  verkäuflichen  Ware  festgelegt  oder 
verwirklicht.       Seine    Dienste    gehen    gewöhnlich    im 
Augenblick  ihrer  Leistung  verloren,  und  lassen  selten 
eine  Spur  oder  einen  Wert  zurück,  wofür  eine  gleiche 
Menge  von  Diensten  später   beschafft  werden  könnte. 
Die   Arbeit   einiger    der    achtbarsten   Klassen   der 
Gesellschaft  bringt  gerade  so  wie  die  der  Dienstboten 
keinen   Wert  hervor,    und  fixiert   oder    realisiert   sich 
nicht  in  einem  dauernden  Gegenstande  oder  einer  ver- 
käuflichen Ware,  welche  die  Vollbringung  der  Arbeit 
überdauerte,  und  für  die  sich  später  eine  gleiche  Arbeits- 
menge beschaffen  ließe.     So   sind   z.  B.  der  Monarch 
und  alle  seine  Civil-  und  Militärbeamten  mit  der  ganzen 
Armee   und   Flotte,   unproduktive  Arbeiter.      Sie   sind 
die  Diener  des  Volkes,  und  empfangen  ihren  Unterhalt 
durch  einen  Teil  vom  Jahresprodukt  des  Fleißes  anderer 
Leute.  So  ehrenvoll,  nützlich  und  notwendig  ihr  Dienst 
auch  ist,    so   erzeugt  er   doch  nichts,   wofür   sich  eine 
gleiche  Menge   von  Diensten   später   beschaffen   ließe. 
Der  Schutz   der  Sicherheit   und   die  Verteidigung  des 
Staates,  die  Frucht  ihrer  diesjährigen  Arbeit,   können 
den  Schutz,  die  Sicherheit  und  die  Verteidigung  nicht 
für  das  nächste  Jahr  erkaufen.    In  die  nämliche  Klasse 


Kap.:  III.:  Kapitalanhäufiing  oder  prod.  u.  improd.  Arbeit.   79 

müssen  sowohl  einige  der  ernstesten  und  wichtigsten, 
als  auch  manche  der  unbedeutendsten  Berufe  eingereiht 
werden:  Geistliche,  Juristen,  Arzte,  Gelehrte  aller  Art; 
Schauspieler,  Musiker,  Opernsänger,  Tänzer  usw.  Die 
Arbeit  der  geringsten  unter  diesen  hat  einen  gewissen 
Wert,  der  sich  ganz  nach  denselben  Grundsätzen  regelt, 
die  den  Wert  aller  anderen  Arten  Arbeit  regeln;  und 
die  Arbeit  der  edelsten  und  nützlichsten  unter  ihnen 
bringt  nichts  hervor,  wofür  sich  später  eine  gleiche 
Menge  Arbeit  kaufen  oder  beschaffen  ließe.  Wie  die 
Deklamation  des  Schauspielers,  der.Vortrag  des  Redners 
oder  das  Tonstück  des  Musikers,  so  geht  die  Arbeit 
all'  dieser  Leute  im  nämlichen  Augenblicke  der  Pro- 
duktion verloren. 

Sowohl  produktive  und  unproduktive  Arbeiter  wie 
die,  die  überhaupt  nicht  arbeiten,  empfangen  insge- 
samt ihren  Unterhalt  aus  dem  Jahresertrag  des  Bodens 
und  der  Arbeit  des  Landes.  Dieser  Ertrag  kann,  so 
groß  er  auch  sein  mag,  doch  niemals  unbeschränkt 
sein,  sondern  muß  seine  gewissen  Grenzen  haben.  Je 
nachdem  daher  ein  kleinerer  oder  größerer  Teil  von 
ihm  in  einem  Jahre  auf  den  Unterhalt  unproduktiver 
Menschen  verwendet  wird,  um  so  mehr  wird  in  dem 
einen,  und  um  so  weniger  in  dem  anderen  Falle  für 
die  produktiven  übrig  bleiben,  und  der  Betrag  des 
nächsten  Jahres  wird  je  nachdem  größer  oder  kleiner 
sein:  denn  der  gesamte  Jahresertrag  ist,  abgesehen 
von  den  freiwilligen  Gaben  der  Erde,  lediglich  durch 
produktive  Arbeit  hervorgebracht. 

Wenn  auch  der  gesamte  Jahresertrag  von  dem 
Boden  und  der  Arbeit  eines  Landes  unzweifelhaft 
schließlich  zur  Befriedigung  des  Bedarfs  seiner  Be- 
wohner und  dazu  dient,  ihnen  ein  Einkommen  zu  ver- 
schaffen, so  zerfällt  er  doch,  wenn  er  zuerst  aus  dem 
Grund  und  Boden,  oder  aus  den  Händen  der  produk- 


80  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

tiven  Arbeiter  heraustritt,  in  zwei  Teile.  Der  eine  von 
beiden,  und  oft  der  grüßte,  hat  in  erster  Linie  ein 
Kapital  wieder  herzustellen,  d.  h.  die  Lebensmittel, 
Rohstoffe  und  Fabrikate,  die  dem  Kapital  entzogen 
worden  waren,  zu  erneuern;  der  andere  hat  entweder 
dem  Eigner  dieses  Kapitals  als  Gewinn,  oder  einem 
andern  als  Grundrente  ein  Einkommen  zu  liefern.  So 
ersetzt  ein  Teil  des  Bodenertrags  das  Kapital  des 
Pächters ;  der  andere  zahlt  seinen  Gewinn  und  die  Rente 
des  Grundeigentümers,  und  bildet  sowohl  für  den  Be- 
sitzer des  Kapitals  als  Gewinn,  als  auch  für  eine  andere 
Person  als  Grundrente  ein  Einkommen.  Ebenso  ersetzt 
auch  von  dem  Ertrag  einer  großen  Fabrik  der  eine  Teil, 
und  zwar  stets  der  größte,  das  Kapital  des  Unter- 
nehmers, während  der  andere  seinen  Gewinn  zahlt  und 
somit  dem  Besitzer  des  Kapitals  ein  Einkommen  liefert. 

Derjenige  Teil  des  jährlichen  Boden-  und  Arbeits- 
ertrags eines  Landes,  welcher  ein  Kapital  wiederher- 
stellt, wird  unmittelbar  stets  nur  zum  Unterhalt  pro- 
duktiver Arbeit  verwendet.  Er  zahlt  nur  den  Lohn 
produktiver  Arbeit.  Der  andere  Teil,  der  unmittelbar 
entweder  als  Gewinn  oder  als  Rente  ein  Einkommen 
zu  bilden  hat,  kann  ohne  LTnterschied  sowohl  produktive 
als  unproduktive  Hände  unterhalten. 

Welchen  Teil  seines  Vermögens  Jemand  auch  als 
Kapital  anlegt,  stets  erwartet  er  ihn  nebst  einem  Ge- 
winn wieder  ersetzt  zu  sehen.  Er  legt  es  also  nur  im 
Unterhalt  produktiver  Hände  an,  und  nachdem  es  ihm 
als  Kapital  gedient  hat,  bildet  es  für  sie  ein  Einkommen. 
Verwendet  er  einen  Teil  seines  Vermögens  zum  Unter- 
halt unproduktiver  Hände,  so  wird  dieser  Teil  in  dem- 
selben Augenblick  dem  Kapital  entzogen  und  dem  für 
unmittelbaren  Verbrauch  bestimmten  Vorrat  zugeteilt. 

Unproduktive  Arbeiter  und  solche,  die  gar  nicht 
arbeiten,  werden  sämtlich  durch  ein  Einkommen  unter- 


Kap.  III.:  Kapitalanhäufung  od.  prod.  u.  unprod.  Arbeit.  Ql 

halten;  entweder  erstens  durch  den  Teil  des  Jahres- 
ertrags, der  ursprünglich  bestimmt  ist,  für  gewisse 
Personen  als  Grundrente  oder  als  Kapitalgewinn  ein 
Einkommen  zu  bilden,  oder  zweitens  durch  den  Teil, 
der  zwar  ursprünglich  bestimmt  ist,  ein  Kapital  wieder- 
zuersetzen  und  nur  produktiven  Arbeitern  Unterhalt 
zu  gewähren,  aber  wenn  er  in  ihre  Hände  gekommen 
ist,  soweit  er  ihren  notwendigen  Bedarf  übersteigt,  ohne 
Unterschied  sowohl  zum  Unterhalt  produktiver  wie  un- 
produktiver Hände  verwendet  werden  kann.  So  kann 
nicht  nur  der  große  Grundherr  oder  der  reiche  Kauf- 
mann, sondern  selbst  der  gewöhnliche  Arbeiter,  wenn 
sein  Arbeitslohn  beträchtlich  ist,  einen  Dienstboten  unter- 
halten, oder  manchmal  in  ein  Schauspiel  oder  Puppen- 
spiel gehen,  und  auf  diese  Weise  seinen  Teil  zum  Unter- 
halt einer  Klasse  unproduktiver  Arbeiter  beitragen ;  oder 
er  zahlt  Abgaben  und  hilft  so  einer  anderen,  zwar 
achtbareren  und  nützlicheren,  aber  ebenso  unproduk- 
tiven Klasse  Unterhalt  gewähren.  Kein  Teil  des  Jahres- 
ertrages aber,  der  ursprünglich  bestimmt  ist,  ein  Kapi- 
tal wieder  zu  ersetzen,  wird  jemals  zum  Unterhalt 
unproduktiver  Hände  dienen,  ehe  er  nicht  alle  pro- 
duktive Arbeit,  oder  was  sonst  bei  der  Art  der  Kapitals- 
anlage in  Bewegung  zu  setzen  war,  wirklich  in  Be- 
wegung gesetzt  hat.  Der  Arbeiter  muß  seinen  Lohn 
durch  Arbeit  verdient  haben,  ehe  er  einen  Teil  von 
ihm  auf  diese  Weise  verwenden  kann,  und  dieser  Teil 
ist  gewöhnlich  nur  klein,  denn  er  muß  ihn  von  seinem 
Einkommen  erübrigen,  und  produktive  Arbeiter  ver- 
mögen selten  viel  zu  erübrigen.  Doch  erübrigen  sie 
immerhin  etwas,  und  beim  Steuerzahlen  kann  ihre 
Menge  einigermaßen  die  Geringfügigkeit  ihres  Beitrags 
ausgleichen.  Die  Grundrente  und  der  Kapitalgewinn 
sind  mithin  überall  die  Hauptquollen,  aus  denen  un- 
produktive Hände  ihren  Unterhalt  empfangen.    Es  sind 

Adam  Smith,  Volkswohlslaud.  Ji.  ^ 


82  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

die  beiden  Einkommensarten,  deren  Eigner  gewöhnlich 
am  meisten  erübrigen.  Sie  können  sowohl  produktive 
wie  unproduktive  Hände  damit  unterhalten ;  doch  schei- 
nen sie  zu  letzterem  vorzugsweise  geneigt.  Der  Auf- 
wand eines  großen  Lords  ernährt  gewöhnlich  mehr 
müßige  als  gewerbsame  Leute ;  der  reiche  Kaufmann 
unterhält  zwar  mit  seinem  Kapital  nur  gewerbtätige 
Leute,  aber  mit  seinem  Aufwände,  d.  h.  mit  seinem 
Einkommen  ernährt  er  gewöhnlich  dieselbe  Art  von 
Leuten,  wie  der  große  Lord. 

Daher  hängt  das  Verhältnis  der  produktiven  zu 
den  unproduktiven  Händen  in  einem  Lande  gar  sehr 
von  dem  Verhältnis  ab,  in  welchem  der  Teil  des  Jahres- 
ertrags, der  nach  seinem  Heraustreten  aus  der  Produk- 
tion, zum  Wiedersatz  eines  Kapitals  bestimmt  ist,  zu 
dem  Teil  steht,  der  entweder  als  E-ente  oder  Gewinn 
ein  Einkommen  bilden  soll.  Dies  Verhältnis  ist  ein 
ganz  anderes  in  reichen  Ländern,  als  in  armen. 

So  ist  gegenwärtig  in  den  reichen  Ländern  Europas 
ein  sehr  großer,  oft  der  größte  Teil  des  Bodenertrags 
bestimmt,  das  Kapital  des  reichen  und  unabhängigen 
Pächters  wiederzuersetzen;  das  Übrige  dient  dazu,  ihm 
seinen  Grewinn  und  die  Rente  für  den  Grundherrn 
zu  zahlen.  Dagegen  reichte  in  früherer  Zeit  während 
der  Feudalherrschaft  ein  sehr  kleiner  Teil  des  Ertrags 
hin,  das  auf  den  Anbau  verwendete  Kapital  zu  ersetzen. 
Dies  bestand  gewöhnlich  in  ein  Paar  Stück  elenden 
Viehes,  das  durch  die  freiwilligen  Erzeugnisse  unbebau- 
ten Landes  ernährt  wurde  und  als  zu  diesen  freiwilligen 
Erzeugnissen  gehörig  angesehen  werden  konnte.  Auch 
gehörte  es  gewöhnlich  dem  Grundeigentümer,  und  war 
von  ihm  dem  Bauern  nur  geliehen,  wie  eigentlich  auch 
der  ganze  Rest  des  Ertrags,  sei  es  als  Rente  für  sein 
Land  oder  als  Gewinn  seines  unbedeutenden  Kapitals, 
dem  Grundherrn  gehörte,  denn  die  Bauern  waren  in 
der  Regel  Leibeigene,  deren  Personen  und  Güter  sein 


Kap.  III.:  Kapitalanliiüifung  od.  prod.  u.  unprod.  Arbeit.   83 

Eigentum  waren.  Die  nicht  Leibeigenen  waren  Pächter 
auf  Zeit  (Tenants  at  will),  und  obgleich  die  von  ihnen 
bezahlte  Rente  nominell  oft  wenig  mehr  als  ein  Erb- 
zins war,  so  machte  es  tatsächlich  doch  den  ganzen 
Bodenertrag  aus.  Ihrem  Herrn  standen  jederzeit  im 
Frieden  ihre  Arbeit  und  im  Kriege  ihre  Dienste  zu 
Gebote.  Obgleich  sie  nicht  in  seinem  Hause  wohnten, 
waren  sie  doch  ebenso  abhängig  von  ihm,  wie  seine 
Dienerschaft  im  Hause.  Unstreitig  gehört  aber  doch 
der  ganze  Bodenertrag  dem,  der  über  die  Arbeit  und  die 
Dienste  all'  derer  verfügen  kann,  die  der  Boden  nährt. 
Im  gegenwärtigen  Zustande  Europas  übersteigt  der 
Anteil  des  Grundherrn  selten  ein  Drittel,  oft  nicht  ein 
Viertel  des  ganzen  Bodenertrags.  Dennoch  ist  die 
Grundrente  in  allen  kultivierten  Gegenden  seit  jenen 
Zeiten  um  das  Dreifache  und  Vierfache  gestiegen,  und 
dieses  Drittel  oder  Viertel  des  Jahresertrags  ist,  wie 
es  scheint,  drei  oder  vier  mal  größer,  als  damals  das 
Ganze.  Unter  den  Fortschritten  der  Kultur  vermindert 
sich  die  Rente  im  Verhältnis  zum  Bodenertrag,  obgleich 
sie  im  Verhältnis  zur  Ausdehnung  des  Bodens  zunimmt. 
In  den  reichen  europäischen  Ländern  werden  jetzt 
große  Kapitalien  auf  Handel  und  Fabriken  verwendet; 
unter  den  früheren  A^erhältnissen  dagegen  erforderten 
der  geringe  Handel,  der  betrieben  wurde,  und  die  svenige 
Hausindustrie  in  groben  Stoffen  nur  sehr  unbedeutende 
Kapitalien.  Doch  müssen  diese  sehr  große  Gewinne 
abgeworfen  haben,  denn  der  Zinsfuß  stand  nirgends 
unter  zehn  Prozent,  und  die  Gewinne  müssen  groß 
genug  gewesen  sein,  um  diesen  hohen  Zins  zu  bestreiten. 
Gegenwärtig  ist  in  den  kultivierten  Ländern  Europas 
der  Zinsfuß  nirgends  höher  als  sechs  Prozent,  und  in 
den  entwickeltsten  beträgt  er  gar  nur  vier,  drei  oder 
zwei  Prozent.  Ist  gleichwohl  der  Einkommensteil,  den 
man  aus  den  Kapitalgewinnen  zieht,  in  reichen  Ländern 


84  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

stets  weit  größer  als  in  armen,  so  rührt  dies  daher,  daß 
das  Kapital  weit  größer  ist;  im  Verhältnis  zu  dem 
Kapital  sind  die  Gewinne  gewöhnlich  weit  geringer. 

Der  Teil  des  Jahresertrags,  der  nach  seinem  Heraus- 
treten aus  der  Produktion  ein  Kapital  zu  ersetzen  hat, 
ist  mithin  nicht  nur  weit  größer  in  reichen  Ländern 
als  in  armen,  sondern  er  übertrifft  auch  bei  weitem 
den  Teil,  der  unmittelbar  dazu  dient,  als  Rente  oder 
als  Gewinn  ein  Einkommen  zu  bilden.  Die  zum  Unter- 
halt produktiver  Arbeit  bestimmten  Fonds  sind  in  den 
ersteren  nicht  nur  weit  größer  als  in  den  letzteren, 
sondern  stehen  auch  in  einem  weit  größeren  Verhältnis 
zu  denen,  die  zwar  ebenso  produktiven  wie  unproduk- 
tiven Händen  Unterhalt  geben  können,  doch  in  der 
B-egel  mit  Vorliebe  für  die  letzteren  verwendet  werden. 

Nach  dem  Verhältnis  zwischen  diesen  verschiedenen 
Fonds  richtet  sich  in  jedem  Lande  die  Betriebsamkeit 
oder  der  Müßiggang  der  Bewohner.  Wir  sind  aber  ge- 
werbfleißiger  als  unsere  Vorfahren,  weil  gegenwärtig 
die  zum  Unterhalt  des  Gewerbfleißes  bestimmten  Fonds 
im  Verhältnis  zu  denen,  die  auf  den  Unterhalt  des  Müßig- 
gangs verwendet  werden,  weit  größer  sind,  als  vor  zwei 
oder  drei  Jahrhunderten.  Unsere  Voreltern  gingen  müßig, 
weil  es  an  hinlänglicher  Aufmunterung  des  Gewerb fleißes 
fehlte.  Es  ist  besser,  sagt  ein  Sprichwort,  umsonst  zu 
spielen,  als  umsonst  zu  arbeiten.  In  Handel-  und  Fa- 
brikstädten,  wo  die  unteren  Volksklassen  vorzugsweise 
durch  Kapitalanlagen  Unterhalt  finden,  sind  diese  im  all- 
gemeinen fleißig,  nüchtern  und  wohlhabend,  wie  sich 
dies  in  vielen  englischen  und  in  den  meisten  holländi- 
schen Städten  zeigt.  In  Städten,  die  ihren  Wohlstand 
vorzugsweise  einer  beständigen  oder  zeitweiligen  Hof- 
haltung verdanken,  und  wo  die  unteren  Volksklassen 
ihren  Unterhalt  durch  den  mit  jener  verknüpften  Auf- 
wand finden,  sind  sie  in  der  Regel  träge,  liederlich  und 


Kap.  III.:  Kapitalanhihifung  od.  prod.  u.  unprod.  Arbeit.  35 

arm,  wie  in  Rom,  Versailles,  Oompiegne  und  Fontaine- 
bleau.  In  den  Städten  Frankreichs,  wo  die  Parlamente 
ihren  Sitz  haben,  findet  sich,  mit  Ausnahme  von  Rouen 
und  Bordeaux,  nur  wenig  Handel  oder  Industrie,  und 
die  unteren  Volksklassen,  die  hauptsächlich  von  dem 
Aufwände  leben,  den  die  Mitglieder  der  Gerichtshöfe 
und  die  prozessierenden  Parteien  machen,  sind  im  ganzen 
träge  und  arm.  Der  bedeutende  Handel  von  Eouen 
und  Bordeaux  scheint  lediglich  durch  ihre  Lage  hervor- 
gerufen zu  sein.  Rouen  ist  der  natürliche  Sammel- 
platz fast  aller  aus  fremden  Ländern  oder  aus  den 
französischen  Seeprovinzen  der  Hauptstadt  Paris  zum 
Verbrauch  zugeführten  "Waren.  Ebenso  ist  Bordeaux 
Niederlagsort  der  Weine,  die  an  den  Ufern  der  Garonne 
und  ihrer  Nebenflüsse  wachsen,  einem  der  reichsten 
Weinländer  der  Welt,  dessen  Weine  sich  am  besten 
zur  Ausfuhr  eignen,  da  sie  dem  Geschmacke  der  Aus- 
länder am  meisten  zusagen.  So  vorteilhafte  Lagen 
gewähren  natürlich  die  Möglichkeit  günstiger  Anlagen 
und  locken  daher  ein  großes  Kapital  herbei,  und  diese 
Kapitalanlagen  sind  die  Ursache  der  Gewerbtätigkeit 
jener  beiden  Städte.  In  den  übrigen  französischen 
Parlamentsstädten  scheint  nicht  mehr  Kapital  angelegt 
zu  sein,  als  ihr  Verbrauch  erfordert,  d.  h.  kaum  mehr, 
als  das  kleinstmögliche  Kapital,  das  überhaupt  dort 
angelegt  werden  kann.  Das  nämliche  kann  man  von 
Paris,  Madrid  und  Wien  sagen.  Unter  diesen  drei 
Städten  ist  Paris  die  bei  weitem  gewerbtätigste ;  aber 
Paris  ist  auch  selbst  der  Hauptmarkt  für  alles,  was 
hier  gearbeitet  wird,  und  der  eigene  Verbrauch  der 
Stadt  bildet  den  Hauptzweck  der  in  ihr  betriebenen 
Geschäfte.  London,  Lissabon  und  Kopenhagen  sind 
vielleicht  die  einzigen  drei  Städte  in  Europa,  die  be- 
ständige Residenzen  eines  Hofes  sind  und  doch  zugleich 
als  Handelsstädte  betrachtet  werden  können,  d.  h.  als 
Städte,  deren  Geschäfte  sich  nicht  blos  auf  ihren  eigenen 


86  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Verbrauch,  sondern  auch  auf  den  anderer  Städte  und 
Länder  erstrecken.  Die  Lage  aller  drei  Städte  ist 
außerordentlich  vorteilhaft  und  macht  sie  zu  natürlichen 
Niederlagen  für  einen  großen  Teil  der  für  den  Ver- 
brauch entlegener  Orte  bestimmten  Waren.  In  einer 
Stadt,  wo  großer  Aufwand  gemacht  wird,  ist  die  vorteil- 
hafte Anlegung  eines  Kapitals  zu  anderen  Zwecken  als 
zur  Versorgung  der  Stadt  selbst  wahrscheinlich  schwieri- 
ger, als  in  Städten,  wo  die  unteren  Volksklassen  ihren 
Unterhalt  lediglich  aus  solchen  Kapitalanlagen  ziehen. 
Der  Müßiggang  der  meisten  Leute,  die  von  ihrem  Ein- 
kommen leben,  übt  wahrscheinlich  einen  verderblichen 
Einfluß  auf  den  Fleiß  derer,  die  in  Kapitalanlagen 
Unterhalt  finden  sollten,  und  macht  es  weniger  vor- 
teilhaft, hier  ein  Kapital  anzulegen.  In  Edinburg  gab 
es  vor  der  LTnion  wenig  Handel  und  Industrie.  Als 
sich  das  schottische  Parlament  nicht  mehr  dort  ver- 
sammelte und  die  Stadt  nicht  mehr  die  Residenz  des 
hohen  und  niederen  schottischen  Adels  war,  wurde 
sie  ein  wenig  zur  Handels-  und  Fabrikstadt.  Sie  ist 
immerhin  noch  der  Sitz  der  höchsten  Gerichtshöfe 
Schottlands,  der  Zoll-  und  Akzise-Amter  usw.,  und 
es  werden  daher  noch  immer  bedeutende  Einkünfte 
dort  verausgabt.  An  Handel  und  Industrie  steht  sie 
weit  hinter  Glasgow  zurück,  dessen  Einwohner  vor- 
zugsweise durch  Kapitalanlagen  ihren  Unterhalt  finden. 
Bewohner  größerer  Landstädte,  die  schon  ziemliche 
Fortschritte  im  Gewerbfleiß  gemacht  hatten,  sind,  wie 
man  öfters  bemerkt  hat,  träge  und  arm  geworden, 
nachdem  ein  großer  Lord  in  ihrer  Nähe  seinen  Wohnsitz 
aufgeschlagen  hatte. 

Das  Verhältnis  zwischen  Kapital  und  Einkommen 
scheint  daher  überall  das  Verhältnis  zwischen  Fleiß 
und  Müßiggang  zu  regeln:  wo  das  Kapital  vorherrscht, 
da  waltet  Fleiß,  wo  das  Einkommen,  Müßiggang.  Jede 
Vermehrung    oder  Verminderung    des   Kapitals    wirkt 


Tvap.  lir. :  KapitaJauhäurung-  od.  prod.   u.  unprod.  Arbeit.  ,S7 

daher  naturgemäß  darauf  hin,  die  wirkHche  Menge  von 
Gewerbfleiß,  die  Zahl  produktiver  Hände  und  folglich 
den  Tauschwert  des  jährlichen  Boden-  und  Arbeits- 
ertrags, den  wahren  Reichtum  und  das  wahre  Einkom- 
men aller  Bewohner,  zu  vermehren  oder  zu  vermindern. 

Kapitalien  mehren  sich  durch  Sparsamkeit  und 
mindern  sich  durch  Verschwendung  und  Leichtsinn. 

"Was  jemand  von  seinem  Einkommen  erspart,  fügt 
er  seinem  Kapital  hinzu  und  verwendet  es  entweder 
selbst  im  Unterhalt  einer  weiteren  Zahl  produktiver 
Hände,  oder  läßt  es  andere  tun,  indem  er  es  ihnen 
gegen  Zinsen  d.  h.  für  einen  Anteil  am  Gewinn  leiht. 
Wie  das  Kapital  eines  einzelnen  sich  nur  durch  das 
vermehren  kann,  was  er  von  seinem  jährlichen  Ein- 
kommen oder  als  Gewinn  erspart,  so  kann  sich  auch 
das  Gesellschaftskapital,  das  das  nämliche  ist,  wie  das 
Kapital  der  Gesellschaftsgiieder  zusammen,  nur  auf  die 
gleiche  Weise  vermehren. 

Sparsamkeit,  und  nicht  Fleiß,  ist  die  unmittelbare 
Ursache  der  Kapitalvermehrung.  Der  Fleiß  schaffte 
zwar  die  Saclien  herbei,  welche  die  Sparsamkeit  anhäuft ; 
aber  soviel  der  Fleiß  auch  erwerben  mag,  wenn  die 
Sparsamkeit  es  nicht  erhält  und  sammelt,  würde  sich 
das  Kapital  niemals  vergrößern. 

Indem  die  Sparsamkeit  den  zum  Unterhalt  produk- 
tiver Hände  bestimmten  Fonds  vergrößert,  vermehrt 
sie  die  Zahl  der  Hände,  deren  Arbeit  dem  Wert  der 
Gegenstände,  auf  die  sie  verwendet  wird,  etwas  hin- 
zufügt und  erhöht  also  den  Tauschwert  des  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsertrags.  Sie  setzt  eine  weitere 
Menge  Gewerbfleiß  in  Bewegung,  der  dann  seinerseits 
den  Wert  des  Jahresertrags  erhöht. 

Was  jährlich  gespart  wird,  wird  ebenso  regelmäßig 
verzehrt,  als  was  jährlich  vergeudet  wird,  und  zwar 
fast  in  derselben  Zeit;  nur  wird  es  von  anderen  Leuten 
verzehrt.     Der  Teil  seines  Einkommens,  den  ein  reicher 


88  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Mann  jährlich  ausgibt,  wird  in  den  meisten  Fällen  von 
müßigen  Gästen  und  Dienstboten  aufgezehrt,  die  nichts 
zum  Ersatz  für  ihren  Verbrauch  zurücklassen.  Dagegen 
wird  der  Teil,  den  er  jährlich  erspart,  und  der  behufs 
eines  Gewinns  sofort  als  Kapital  angelegt  wird,  zwar 
ebenfalls,  und  fast  in  der  nämlichen  Zeit,  aber  von 
einer  anderen  Klasse  von  Leuten  verzehrt,  nämlich 
von  Tagelöhnern,  Fabrikarbeitern  und  Handwerkern, 
die  den  Wert  ihres  jährlichen  Verbrauchs  nebst  einem 
Gewinn  wiedererzeugen.  Nehmen  wir  an,  sein  Ein- 
kommen werde  ihm  in  Geld  bezahlt.  Gäbe  er  das 
Ganze  aus,  so  würde  sich  die  Nahrung,  Kleidung  und 
Wohnung,  die  dafür  zu  beschaffen  waren,  unter  die 
erstere  Klasse  von  Leuten  verteilt  haben.  Sparte  er 
dagegen  einen  Teil,  so  würde  dieser  Teil  behufs  eines 
Gewinns  sofort  entweder  von  ihm  selbst  oder  von  einem 
andern  als  Kapital  angelegt  sein,  und  die  Nahrung, 
Kleidung  und  Wohnung,  die  dafür  zu  beschaffen  waren, 
würde  notwendig  für  die  letztere  Klasse  zurückgelegt 
bleiben.  Der  Verbrauch  ist  der  nämliche,  aber  die 
Verbraucher  sind  andere. 

Durch  das,  was  ein  genügsamer  Mann  jährlich 
spart,  gewährt  er  nicht  nur  einer  neuen  Zahl  produk- 
tiver Hände  für  das  laufende  und  folgende  Jahr  Un- 
terhalt, sondern  stellt  auch,  wie  der  Gründer  eines 
öffentlichen  Arbeitshauses,  so  zu  sagen  einen  dauernden 
Fonds  zum  Unterhalt  einer  gleichen  Zahl  für  alle 
Zeiten  her.  Freilich  ist  die  beständige  Verteilung 
und  Bestimmung  dieses  Fonds  nicht  durch  ein  aus- 
drückliches Gesetz,  ein  Fideikommiß  oder  eine  Unver- 
äußerlichkeitsurkunde  gesichert ;  allein  er  ist  stets  durch 
eine  sehr  mächtige  Triebfeder,  nämlich  das  klare  Interesse 
aller  einzelnen,  denen  ein  Teil  davon  zufallen  wird, 
gewahrt.  Kein  Teil  dieses  Fonds  kann  später  zum 
Unterhalt    anderer    als   produktiver  Hände    verwendet 


Kap.  TIT. :  TCapitalanliiUifung  otl.  prod.  u.  improcl.  Arbeit.  89 

werden,  ohne  offenbaren  Verlust  für  den,  der  dessen 
eigentliche  Bestimmung  umkehrt. 

Der  Verschwender  tut  dies.  Indem  er  seine  Aus- 
gaben nicht  auf  sein  Einkommen  beschränkt,  greift 
er  sein  Kapital  an.  Wie  jemand,  der  die  Einkünfte 
einer  frommen  Stiftung  zu  profanen  Zwecken  miß- 
braucht, zahlt  er  den  Lohn  des  Müßiggangs  aus  den 
Fonds,  die  die  Sparsamkeit  seiner  Vorfahren  dem  Unter- 
halt des  Fleißes  gewidmet  hatte.  Indem  er  die  zur 
Beschäftigung  produktiver  Arbeit  bestimmten  Fonds 
vermindert,  vermindert  er,  soweit  es  von  ihm  abhängt, 
die  Menge  der  Arbeit,  die  den  bearbeiteten  Gegen- 
ständen einen  neuen  Wert  zusetzt,  und  folglich  den 
Wert  des  jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrages  des 
ganzen  Landes,  in  dem  der  wahre  Reichtum  und  das 
tatsächliche  Einkommen  seiner  Bewohner  besteht.  Würde 
die  Verschwendung  einiger  nicht  durch  die  Sparsam- 
keit anderer  ausgeglichen,  so  würde  das  Verhalten  jedes 
Verschwenders,  der  den  Müßiggänger  mit  dem  Brote  des 
Fleißigen  füttert,  nicht  nur  ihn  selbst  zum  Bettler  machen, 
sondern  auch  sein  Land  beeinträchtigen. 

Wenn  auch  die  Ausgaben  des  Verschwenders  gänz- 
lich auf  inländische  und  nicht  teilweise  auch  auf  fremde 
Waren  drauf  gingen,  würde  ihre  Wirkung  auf  die  pro- 
duktiven Fonds  der  Gesellschaft  doch  ganz  die  nämliche 
sein.  Jedes  Jahr  würde  eine  gewisse  Menge  Nahrung 
und  Kleidung,  die  produktive  Hände  hätte  unterhalten 
sollen,  zum  Unterhalt  unproduktiver  Hände  verwendet 
sein,  und  folglich  würde  jedes  Jahr  eine  Verminderung 
des  Wertes  eintreten,  den  sonst  der  Jahresertrag  des 
Bodens  und  der  Arbeit  des  Landes  gehabt  hätte. 

Allerdings  kann  man  sagen,  daß  wenn  dieser  Auf- 
wand nicht  auf  ausländische  Waren  draufgeht  und  keine 
Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  veranlaßt,  die  nämliche 
Menge  Geldes  im  Lande  bleiben  würde,  wie  früher. 
Aber  wenn  die  Menge  Nahrung  und  Kleidung,  die  so  von 


90  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

unproduktiven  Händen  verbraucht  wurde,  sich  unter 
produktive  verteilt  hätte,  so  würden  diese  den  vollen 
Wert  ihres  Verbrauchs  samt  einem  Gewinn  wieder- 
erzeugt haben.  Auch  in  diesem  Falle  würde  die  näm- 
liche Geldmenge  im  Lande  geblieben  sein,  und  außerdem 
zugleich  eine  "Wiedererzeugung  eines  gleichen  Wertes 
verbrauchbarer  Güter  stattgefunden  haben.  Es  würden 
mithin  zwei  Werte  anstatt  eines  vorhanden  gewesen  sein. 
Überdies  kann  in  einem  Lande,  in  dem  sich  der 
Wert  des  Jahresertrags  vermindert,  nicht  lange  dieselbe 
Geldmenge  bleiben.  Der  einzige  Nutzen  des  Geldes  be- 
steht darin,  daß  es  brauchbare  Waren  in  Umlauf  bringt. 
Mittelst  des  Geldes  werden  Nahrungsmittel,  Rohstoffe 
und  Fabrikate  ge-  und  verkauft,  und  an  ihre  eigent- 
lichen Verbraucher  verteilt.  Mithin  muß  sich  die  Geld- 
menge, die  in  einem  Lande  jährlich  verwendet  werden 
kann,  nach  dem  Wert  der  brauchbaren  Waren  richten, 
die  jährlich  in  ihm  umlaufen.  Diese  bestehen  entweder 
in  den  Boden-  und  Arbeitsprodukten  des  Landes  selbst, 
oder  in  Dingen,  die  mit  einem  Teile  dieser  Produkte 
gekauft  worden  sind.  Ihr  Wert  muß  daher  geringer 
werden,  wenn  sich  der  Wert  dieser  Produkte  vermin- 
dert, und  mit  ihm  muß  sich  auch  die  Geldmenge  ver- 
mindern, die  dazu  dient,  sie  in  Umlauf  zu  setzen.  Das 
Geld  aber,  das  durch  diese  jährliche  Verminderung 
der  Produktion  dem  inneren  Umlauf  entzogen  wird, 
wird  man  nicht  müßig  liegen  lassen.  Das  Interesse 
jedes  Geldbesitzers  fordert,  daß  er  es  anlege.  Da  sich 
ihm  aber  im  Lande  keine  Gelegenheit  dazu  bietet,  so 
wird  er  es  trotz  aller  Gesetze  und  Verbote  ins  Ausland 
schicken,  und  zum  Ankauf  brauchbarer  Waren  ver- 
wenden, die  man  im  Lande  verlangt.  Die  jährliche 
Ausfuhr  wird  auf  diese  Weise  eine  Zeit  lang  den  jähr- 
lichen Verbrauch  des  I^andes  über  den  Wert  seines 
eigenen   Jahresertrags    steigern.     Was    in    den    Tagen 


Tvap.  TIT.:   I\apit;il;inli;iufuiiy'  <h].   prod.   u.  iinprod.  Arbeit.  (JJ 

des  Wohlstandes  vom  Jahreseitrag  gespart  und  zum 
Ankauf  von  Gold  und  Silber  verwendet  worden  ist, 
wird  nun  in  der  Not  eine  Zeit  lang  dazu  dienen,  die 
Konsumtion  zu  versorgen.  In  diesem  Falle  ist  die 
Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  nicht  die  Ursache,  son- 
dern die  Wirkung  des  Verfalls,  und  kann  selbst  auf 
einige  Zeit  die  damit  verbundene  Not  erleichtern. 

Dagegen  muß  die  Geldmenge  in  einem  Lande 
naturgemäß  zunehmen,  wenn  der  Wert  des  Jahreser- 
trags steigt.  Der  größere  Betrag  der  während  eines 
Jahres  umlaufenden  brauchbaren  Waren  erfordert  auch 
eine  größere  Summe  Geldes,  um  sie  in  Umlauf  zu 
setzen.  Ein  Teil  des  vermehrten  Ertrags  wird  daher 
dazu  angewandt  werden,  die  weitere  Menge  Gold  und 
Silber,  die  den  Rest  in  Umlauf  zu  setzen  hat,  zu  kaufen, 
wo  sie  eben  zu  haben  ist.  In  diesem  Falle  wird  die 
Zunahme  jener  Metalle  die  Wirkung  und  nicht  die  .Ur- 
sache des  öffentlichen  Wohlstandes  sein.  Gold  und 
Silber  wird  überall  auf  die  nämliche  Weise  gekauft. 
Die  Nahrung,  Kleidung  und  Wohnung,  das  Einkommen 
und  der  Unterhalt  aller  derer,  deren  Arbeit  oder  Kapital 
dazu  dient,  die  Metalle  aus  den  Bergwerken  auf  den 
Markt  zu  bringen,  ist  der  Preis,  den  man  ebensowohl 
in  Peru  wie  in  England  für  sie  bezahlt.  Das  Land,  das 
diesen  Preis  zahlen  kann,  wird  sich  niemals  lange  ohne 
die  ausreichende  Menge  jener  Metalle  zu  behelfen  brau- 
chen, und  hinwiederum  wird  ein  Land  nie  lange  eine 
Menge  von  ihnen  behalten,  wenn  es  ihrer  nicht  bedarf. 

Worin  man  daher  auch  den  wirklichen  Reichtum 
und  das  wirkliche  Einkommen  eines  Landes  finden 
mag,  sei  es,  wie  die  gesunde  Vernunft  zu  fordern 
scheint,  in  dem  Werte  des  jährlichen  Boden-  und  Ar- 
beitsertrags, oder  sei  es,  wie  vulgäre  Vorurteile  an- 
nehmen, in  der  Menge  edler  Metalle,  die  in  ihnen  um- 
laufen, so  erscheint  doch  nach  beiden  Ansichten  jeder 


92  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Verschwender  als  ein  öffentlicher  Feind,  und  jeder 
sparsame  Mensch  als  ein  öffentlicher  Wohltäter. 

Die  Wirkungen  des  Leichtsinns  sind  oft  die  näm- 
lichen, wie  die  der  Verschwendung.  Jede  unbesonnene 
und  fehlschlagende  Unternehmung  in  der  Landwirt- 
schaft, im  Bergbau,  in  den  Fischereien,  in  Handel  und 
Industrie  bewirkt  gleicherweise  eine  Verminderung  der 
Fonds,  die  zum  LTnterhalt  produktiver  Arbeit  bestimmt 
sind.  Wenn  auch  bei  derartigen  Unternehmungen  das 
Kapital  nur  von  produktiven  Händen  verbraucht  wird, 
so  können  diese  bei  der  unbesonnenen  Art  ihrer  Ver- 
wendung doch  nicht  den  vollen  Wert  ihres  Verbrauches 
wiedererzeugen,  und  es  muß  daher  stets  eine  Verminde- 
rung der  produktiven  Fonds  der  Gesellschaft  eintreten. 

Daß  die  Lage  einer  großen  Nation  durch  die  Ver- 
schwendung oder  Unbesonnenheit  Einzelner  stark  be- 
einflußt wird,  kann  freilich  nur  selten  vorkommen; 
denn  diese  Vergeudung  oder  Unbesonnenheit  der  einen 
wird  stets  durch  die  Sparsamkeit  und  Besonnenheit 
anderer  mehr  als  ausgeglichen. 

Was  die  Verschwendung  betrifft,  so  ist  der  Antrieb 
dazu  in  der  Begierde  nach  augenblicklichem  Genuß  zu 
suchen,  die,  so  heftig  und  unwiderstehlich  sie  auch  zu- 
weilen sein  mag,  doch  gewöhnlich  vorübergehend  und 
gelegentlich  eintritt.  Dagegen  ist  der  Antrieb  zum 
Sparen  in  dem  Verlangen  zu  finden,  unsere  Lage  zu 
verbessern,  ein  Verlangen,  das  zwar  gewöhnlich  ruhig 
und  leidenschaftslos  ist,  aber  uns  auch  von  der  Wiege 
bis  ans  Grab  begleitet.  In  der  ganzen  Zeit  zwischen 
diesen  beiden  Endpunkten  gibt  es  vielleicht  kaum  einen 
einzigen  Augenblick,  wo  ein  Mensch  so  vollständig  mit 
seiner  Lage  zufrieden  wäre,  daß  er  nicht  den  Wunsch 
hegen  sollte,  sie  irgendwie  zu  verändern  oder  zu  ver- 
bessern. Das  Mittel,  durch  das  die  meisten  Menschen 
ihre  Lage  zu  verbessern  wünschen,  ist  die  Vergrößerung 


Kap.  III. :  Kapitalanhäufiing'  od.  prod.  u.  iinprod.  Arbeit.  93 

ihres  Vermögens.  Es  ist  das  gewöhnlichste  und  ein- 
leuchtendste Mittel;  und  die  sicherste  Art,  wie  man  sein 
Vermögen  vergrößern  kann,  besteht  darin,  daß  man 
einen  Teil  des  regelmäßigen  Jahreserwerbs  oder  eines 
außerordentlichen  Gewinns  spart  und  aufhäuft.  Obschon 
daher  der  Trieb  zum  Aufwände  sich  bei  fast  allen 
Menschen  manchmal  und  bei  manchen  Menschen  fast 
immer  geltend  macht,  so  scheint  doch  durchschnittlich 
bei  den  Meisten  der  Trieb  zur  Sparsamkeit  nicht  nur 
vorzuherrschen,  sondern  ganz  bedeutend  zu  überwiegen. 

Was  den  Leichtsinn  betrifft,  so  ist  die  Zahl  be- 
sonnener und  glücklicher  Unternehmungen  überall  weit 
größer,  als  die  der  unbesonnenen  und  fehlschlagenden. 
Trotz  aller  Klagen  über  häufige  Bankerotte  bilden  die 
Bedauernswerten,  die  dies  Mißgeschick  trifft,  doch  nur 
einen  sehr  kleinen  Teil  aller,  die  sich  mit  Handel  und 
Gewerben  beschäftigen,  und  das  Verhältnis  ist  vielleicht 
nicht  viel  höher,  als  eins  zu  tausend.  Der  Bankerott 
ist  vielleicht  das  größte  und  niederschlagendste  Un- 
glück, das  einen  Unschuldigen  treffen  kann,  und  des- 
halb wenden  die  meisten  alle  Vorsicht  an,  ihn  zu  ver- 
meiden. Manche  freilich  hüten  sich  nicht  davor,  wie 
Manche  sich  auch  vor  dem  Galgen  nicht  hüten. 

Große  Nationen  werden  niemals  durch  die  Ver- 
schwendung und  den  Leichtsinn  von  Privatleuten  arm, 
wohl  aber  hie  und  da  durch  Verschwendung  und  Leicht- 
sinn der  Staatsbehörden.  Das  ganze,  oder  nahezu  das 
ganze  Staatseinkommen  wird  in  den  meisten  Ländern 
zum  Unterhalt  unproduktiver  Hände  verwendet.  Dahin 
gehören  ein  zahlreicher  und  glänzender  Hofstaat,  eine 
zahlreiche  Geistlichkeit,  große  Flotten  und  Armeen,  die 
im  Frieden  nichts  hervorbringen  und  in  Kriegszeiten 
nichts  erwerben,  wodurch  die  Kosten  ihres  Unterhalts 
selbst  nur  während  der  Dauer  des  Krieges  gedeckt 
würden.      Da   Leute   dieser   Art   selbst   nichts   hervor- 


94  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

bringen,  so  werden  sie  durch  den  Ertrag  der  Arbeit 
anderer  unterhalten.  Werden  sie  also  unnötigerweise 
vermehrt,  so  können  sie  in  einem  Jahre  so  viel  von 
diesem  Ertrag  verbrauchen,  daß  nicht  genug  übrig- 
bleibt, um  die  produktiven  Arbeiter,  die  im  nächsten 
Jahre  den  Gesamtertrag  reproduzieren  sollen  zu  unter- 
halten. Der  Ertrag  des  nächsten  Jahres  wird  also 
kleiner  sein,  als  der  des  vorhergehenden,  und,  dauert  der 
Übelstand  fort,  wird  der  Ertrag  des  dritten  Jahres  noch 
kleiner  als  der  des  zweiten.  Diese  unproduktiven  Hände, 
die  nur  mit  einem  Teil  des  ersparten  Einkommens 
unterhalten  werden  sollten,  können  so  viel  von  dem 
Gesamteinkommen  verbrauchen,  und  dadurch  so  viele 
zwingen,  ihre  Kapitalien,  ihre  für  den  Unterhalt  pro- 
duktiver Arbeit  bestimmten  Fonds  anzugreifen,  daß  alle 
Sparsamkeit  und  Klugheit  der  Einzelnen  nicht  im  Stande 
ist,  die  Vergeudung  und  Verschlechterung  der  Produk- 
tion wieder  gut  zu  machen,  die  durch  jene  gewaltsame 
und   aufgedrungene   Schmälerung  herbeigeführt   wird. 

Doch  scheint  erfahrungsmäßig  Sparsamkeit  und 
Umsicht  meist  hinreichend,  um  nicht  nur  die  Ver- 
schwendung und  den  Leichtsinn  einzelner,  sondern 
auch  die  Ausschweifungen  einer  Regierung  auszu- 
gleichen. Die  gleichmäßige,  beständige  und  ununter- 
brochene Anstrengung  jedes  Menschen,  seine  Lage  zu 
verbessern,  dieser  Trieb,  aus  dem  der  öffentliche  wie 
der  Privatwohlstand  entspringt,  ist  oft  mächtig  genug, 
um  trotz  der  Ausschweifung  der  Regierung  und  der 
größten  Mißgriffe  der  Verwaltung  den  natürlichen  Fort- 
schritt zum  Besseren  aufrecht  zu  erhalten.  Gleich  dem 
unbekannten  Triebe  des  tierischen  Lebens  stellt  er  oft 
trotz  der  albernen  Vorschriften  des  Arztes  Gesundheit 
und  Kräfte  des  Körpers  wieder  her. 

Das  jährliche  Arbeitsprodukt  eines  Volkes  kann  in 
seinem  Werte  nur  durch  Vermehrung  ihrer  produktiven 


Kap.  TIT.:  Kapitalanhäufiing  od.  prod.  n.  iinprod.  Arbeit.  95 

Arbeiter  oder  durch  Erhöhung  der  Produktivkraft  der 
bisher  beschäftigten  Arbeiter  steigen.  Die  Zahl  der  pro- 
duktiven Arbeiter  kann  offenbar  nur  infolge  einer  Zu- 
nahme des  Kapitals  bezvv.  der  zu  ihrem  Unterhalt  be- 
stimmten Fonds  zunehmen.  Die  Produktivkräfte  einer 
gleichbleibenden  Menge  von  Arbeitern  können  nur  in- 
folge einer  Zunahme  und  Vervollkommnung  in  den  zur 
Erleichterung  und  Abkürzung  der  Arbeit  dienenden 
Maschinen  und  Werkzeugen,  oder  infolge  einer  geeig- 
neteren Teilung  und  Verteilung  der  Arbeit  zunehmen. 
In  beiden  Fällen  ist  fast  immer  ein  neues  Kapital  er- 
forderlich. Nur  mittelst  eines  neu  hinzugekommenen 
Kapitals  wird  es  dem  Unternehmer  möglich,  seine  Ar- 
beiter mit  besseren  Maschinen  zu  versorgen  oder  eine 
geeignetere  Arbeitsteilung  unter  ihnen  einzuführen. 
Wenn  die  zu  verrichtende  Arbeit  aus  einer  Anzahl  von 
Teilen  besteht,  so  erfordert  es  ein  weit  größeres  Kapital, 
jeden  Arbeiter  immer  nur  auf  ein  und  dieselbe  Art  zu 
beschäftigen,  als  ihn  abwechselnd  an  die  verschiedenen 
Teile  gehen  zu  lassen.  Vergleicht  man  daher  den  Zu- 
stand eines  Volkes  in  zwei  verschiedenen  Perioden, 
und  findet  man,  daß  ein  jährlicher  Boden-  und  Arbeits- 
ertrag in  der  späteren  größer  ist,  als  in  der  früheren, 
daß  seine  Ländereien  besser  angebaut,  seine  Manufak- 
turen zahlreicher  und  blühender  sind  und  sein  Handel 
ausgedehnter  ist,  so  kann  man  überzeugt  sein,  daß  sein 
Kapital  zwischen  diesen  beiden  Perioden  sich  ver- 
größert, und  durch  die  verständige  Wirtschaft  der  einen 
mehr  gewonnen  haben  muß,  als  es  durch  den  Leicht- 
sinn anderer  Privatpersonen  oder  die  MifSgriffe  der 
Regierung  verloren  hat.  Und  man  wird  finden,  daß 
dies  in  allen  einigermaßen  ruhigen  und  friedlichen 
Zeiten  bei  fast  allen  Nationen  der  Fall  gewesen  ist, 
selbst  bei  denen,  die  sich  nicht  gerade  der  weisesten 
und  sparsamsten  Regierungen  zu  erfreuen  hatten.   Um 


96  Zweites  Buoli:  Das  Kapital. 

sich  hierüber  ein  richtiges  Urteil  zu  bilden,  muß  man 
allerdings  den  Zustand  des  Landes  in  ziemlich  weit 
von  einander  entlegenen  Perioden  betrachten.  Der 
Fortschritt  ist  oft  ein  so  allmählicher,  daß  er  in  zu 
nahe  aneinander  liegenden  Perioden  nicht  nur  nicht 
zu  bemerken  ist,  sondern  auch  durch  den  Verfall  ent- 
weder gewisser  Gewerbe  oder  gewisser  Gegenden  — 
Dinge,  die  vorkommen  können,  obschon  das  Land  im 
allgemeinen  großen  Wohlstand  aufzuweisen  hat  — ,  oft 
die  Vermutung  genährt  wird,  daß  der  Reichtum  und 
die  Gewerbtätigkeit  des  Ganzen  im  Abnehmen  sei. 

Der  jährliche  Boden-  und  Arbeitsertrag  Englands 
z.  B.  ist  jetzt  gewiß  weit  größer,  als  vor  etwas  mehr 
als  einem  Jahrhundert,  zur  Zeit  der  Restauration  Karls 
des  Zweiten.  Obgleich  heutzutage  wohl  wenige  hieran 
zweifeln,  so  vergingen  doch  seitdem  selten  fünf  Jahre, 
ohne  daß  ein  Buch  oder  eine  Broschüre  erschien  und 
durch  seine  geschickte  Abfassung  beim  Publikum  teil- 
weise Glauben  fand,  welches  sich  zu  zeigen  bemühte, 
daß  der  Reichtum  der  Nation  im  Abnehmen,  das  Land 
entvölkert,  der  Ackerbau  vernachlässigt,  die  Manufak- 
turen im  Verfall  seien  und  der  Handel  darniederliege. 
Auch  waren  diese  Schriften  nicht  immer  Parteischriften, 
die  elenden  Ausgeburten  der  Lüge  und  Käuflichkeit ; 
sondern  viele  von  ihnen  waren  von  ganz  unbefangenen 
und  einsichtigen  Leuten  geschrieben,  die  nur  schrieben, 
was  sie  glaubten,  und  aus  keinem  anderen  Grunde 
schrieben,  sls  weil  sie  es  glaubten. 

Der  jährliche  Boden-  und  Arbeitsertrag  Englands 
war  hinwiederum  zur  Zeit  der  Restauration  gewiß  weit 
größer,  als  etwa  hundert  Jahre  früher,  beim  Regierungs- 
antritt Elisabeths.  Und  zu  dieser  Zeit  war  das  Land, 
wie  man  allen  Grund  zu  glauben  hat,  in  der  Kultur  weit 
mehr  vorgeschritten,  als  ein  Jahrhundert  früher,  gegen 
den  Schluß   der  Bürgerkriege  zwischen   den   Häusern 


Kap.  III.:  Kapitalanliilufimg'  od.  prod.   u.  unprod.  Arbeit.  97 

York  und  Lancaster.  Selbst  damals  aber  war  es  wahr- 
scheinlich in  einer  besseren  Lage,  als  zur  Zeit  der 
normannischen  Eroberung,  und  zur  Zeit  der  norman- 
nischen Eroberung  in  einer  besseren,  als  während  der 
Wirren  der  sächsischen  Heptarchie.  Sogar  in  dieser 
frühen  Zeit  aber  war  das  Land  unstreitig  kultivierter, 
als  bei  dem  Einfalle  Julius  Cäsars,  wo  seine  Bewohner 
sich  fast  in  gleichem  Zustande  befanden,  wie  die 
Wilden  Nordamerikas. 

Dennoch  fanden  in  allen  diesen  Perioden  nicht  nur 
viel  Verschwendung  sowohl  einzelner  wie  des  Staats, 
viele  kostspielige  und  unnötige  Kriege  und  großer  Miß- 
brauch des  Jahresertrags  zu  Unterhaltung  unproduktiver 
statt  produktiver  Hände  statt,  sondern  die  Wirren  der 
bürgerlichen  Zwietracht  veranlaßten  auch  eine  so  ab- 
solute Vergeudung  und  Zerstörung  des  Kapitals,  daß 
man  denken  sollte,  es  würde  nicht  nur,  wie  es  in  der 
Tat  geschah,  die  natüi'liche  Anhäufung  des  Reichtums 
aufgehalten  worden,  sondern  das  Land  müßte  auch  am 
Ende  des  Zeitraums  ärmer  gewesen  sein,  als  an  seinem 
Anfange.  Wie  viele  LTnordnungen  und  Unglücksfälle 
traten  nicht  selbst  in  der  glücklichsten  jener  Perioden, 
dem  Zeitraum  seit  der  Restauration,  ein,  von  denen  man, 
wenn  man  sie  hätte  voraussehen  können,  nicht  bloß  die 
Verarmung,  sondern  den  gänzlichen  Untergang  des  Lan- 
des erwartet  haben  würde?  So  das  Feuer  und  die  Pest  in 
London,  die  beiden  Kriege  mit  Holland,  die  Wirren  der 
Revolution,  der  Krieg  in  Irland,  die  vier  kostspieligen 
französischen  Kriege  1688,  1702,  17-12  und  1756,  und 
die  beiden  Rebellionen  von  1715  und  1745.  Im  Laufe 
der  vier  französischen  Kriege  ging  die  Nation  eine 
Schuld  von  mehr  als  145  Millionen  ein,  ungerechnet 
die  anderen  außerordentlichen  Ausgaben,  die  durch 
jene  Kriege  verursacht  wurden,  so  daß  man  die  Summe 
der  Kosten  nicht  geringer  als  auf  200  Millionen  ver- 
Adam .Smith,  Volkswohlstuinl.  11.  ' 


98  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

anschlagen  kann.  Ein  so  großer  Teil  vom  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsertrag  des  Landes  ist  seit  der  Re- 
volution bei  verschiedenen  Gelegenheiten  auf  den  Unter- 
halt einer  außerordentlichen  Zahl  von  unproduktiven 
Händen  verwendet  worden.  Hätten  jene  Kriege  nicht 
einem  so  großen  Kapital  diese  besondere  Richtung  ge- 
geben, so  würde  natürlich  der  größte  Teil  von  ihm 
auf  den  Unterhalt  produktiver  Hände  verwendet  worden 
sein,  deren  Arbeit  den  ganzen  Wert  ihres  Verbrauchs 
samt  einem  Gewinne  zurückerstattet  hätte.  Der  Wert 
des  jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrags  wäre  dadurch 
mit  jedem  Jahre  bedeutend  gestiegen,  und  jede  jähr- 
liche Zunahme  würde  die  des  folgenden  Jahres  noch 
erhöht  haben.  Es  würden  mehr  Häuser  gebaut,  mehr 
Ländereien  in  Kultur  genommen  und  andere,  die  be- 
reits angebaut  waren,  besser  kultiviert  worden  sein; 
man  hätte  mehr  Manufakturen  errichtet,  und  die  bereits 
errichteten  weiter  ausgedehnt;  und  man  kann  sich 
kaum  vorstellen,  bis  zu  welcher  Höhe  der  wahre  Reich- 
tum und  das  wahre  Einkommen  des  Landes  sich  in 
dieser  Zeit  hätte  erheben  können. 

Mußte  aber  auch  die  Verschwendung  der  Regierung 
den  natürlichen  Fortschritt  Englands  zu  Reichtum  und 
Kultur  zweifellos  verzögern,  so  konnte  sie  ihn  doch 
nicht  verhindern.  Sein  jährlicher  Boden-  und  Arbeits- 
ertrag ist  gegenwärtig  unstreitig  weit  größer  als  zur 
Zeit  der  Restauration  oder  der  Revolution,  und  daher 
muß  auch  das  auf  die  Kultur  dieses  Bodens  und  den 
Unterhalt  dieser  Arbeit  jährlich  verwendete  Kapital 
weit  größer  sein.  Inmitten  aller  Anforderungen  der 
Regierung  ist  dieses  Kapital  durch  die  Sparsamkeit  und 
Klugheit  einzelner,  durch  ihre  allgemeine,  stetige  und 
ununterbrochene  Anstrengung,  ihre  Lage  zu  verbessern, 
still  und  allmählich  gewachsen.  Diese  Anstrengung,  die 
durch  das  Gesetz  geschützt  und  durch  die  Freiheit,  sie 


Kap.  III.:  KapitalauliiUifung-  od.  prod.   u.  unprod.  Arbeit.  99 

auf  die  vorteilhafteste  Weise  auszuüben,  verstattet  war, 
hat  den  Fortschritt  Englands  zu  Reichtum  und  Kultur 
in  der  Vergangenheit  zu  Wege  gebracht,  und  wird  es 
hoffentlich  in  alle  Zukunft  tun.  Wie  jedoch  England 
niemals  mit  einer  sehr  sparsamen  Regierung  gesegnet 
gewesen  ist,  so  ist  die  Sparsamkeit  auch  zu  keiner  Zeit 
eine  besonders  charakteristische  Tugend  der  Engländer 
gewesen.  Es  ist  daher  die  höchste  Unverschämtheit 
und  Anmaßung  von  Königen  und  Ministern,  die  Wirt- 
schaft der  Privatleute  überwachen  und  deren  Ausgaben 
durch  Luxusgesetze  oder  Verbote  der  Einfuhr  fremder 
Luxuswaren  einschränken  zu  wollen.  Sie  selbst  sind 
immer  und  ohne  alle  Ausnahme  die  größten  Verschwen- 
der in  der  Gesellschaft.  Mögen  sie  doch  auf  ihren 
eigenen  Aufwand  acht  haben,  und  den  Privatleuten 
getrost  den  ihrigen  überlassen.  Stürzt  ihre  Ausschwei- 
fung den  Staat  nicht  ins  Verderben,  so  wird  die  der 
Untertanen  es  gewiß  nicht  tun. 

Da  die  Sparsamkeit  das  Gresellschaftskapital  ver- 
größert, und  die  Verschwendung  es  verringert,  so  kann 
das  Verhalten  derer,  die  gerade  so  viel  ausgeben,  wie 
sie  einnehmen,  ohne  neues  Vermögen  zu  erwerben,  noch 
das  alte  Kapital  anzugreifen,  das  Gesellschaftskapital 
weder  vergrößern  noch  vermindern.  Doch  scheinen 
manche  Arten  von  Ausgaben  mehr  zu  dem  Anwachsen 
des  öffentlichen  Reichtums  beizutragen,  als  andere. 

Das  Einkommen  eines  einzelnen  kann  entweder 
für  Dinge  ausgegeben  werden,  die  man  sofort  verbraucht 
und  in  denen  die  Ausgabe  des  einen  Tages  die  eines 
anderen  weder  ermäßigen  noch  unterstützen  kann;  oder 
es  kann  für  dauerhaftere  Gegenstände  ausgegeben 
werdeji,  die  sich  anhäufen  lassen,  und  in  denen  die 
Ausgabe  des  einen  Tages  je  nach  Wahl  die  des  fol- 
genden ermäßigen  oder  unterstützen  und  ihre  Wirkung 
erhöhen  kann.    Ein  reicher  Mann  kann  z.  B.  sein  Ein- 


IQQ  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

kommen  auf  eine  verschwenderisch  besetzte  Tafel,  auf 
den  Unterhalt  einer  großen  Zahl  von  Dienstboten  und 
auf  eine  Menge  Hunde  und  Pferde  verwenden,  oder  er 
kann,  indem  er  sich  mit  einem  mäßigen  Tische  und 
wenigen  Bedienten  begnügt,  seinen  grüßten  Teil  zur 
Ausschmückung  seines  Hauses  oder  Landsitzes,  auf 
nützliche  oder  prächtige  Gebäude,  auf  nützliche  oder 
prächtige  Möbel,  auf  Bücher,  Statuen  und  Gemälde, 
oder  auf  wertlosere  Dinge,  wie  Edelsteine  und  Tand 
aller  Art,  oder  auch,  was  das  Nichtigste  von  Allem  ist, 
zur  Sammlung  einer  großen  Garderobe  verwenden,  wie 
es  der  Günstling  und  Minister  eines  großen  Fürsten  ge- 
tan hat,  der  vor  einigen  Jahren  gestorben  ist*).  Wenn 
von  zwei  gleich  vermögenden  Männern  der  eine  haupt- 
sächlich auf  jene,  der  andere  auf  diese  Art  sein  Ein- 
kommen ausgiebt,  so  wird  die  Prachtentfaltung  desje- 
nigen, der  hauptsächlich  dauerhafte  Waren  kauft,  be- 
ständig zunehmen,  da  der  Aufwand  jedes  Tages  die 
Wirkung  des  Aufwandes  am  folgenden  Tage  unter- 
stützen und  erhöhen  hilft,  wogegen  die  Prachtentfaltung 
des  anderen  am  Ende  des  Zeitraums  nicht  größer  sein 
würde,  als  am  Anfang.  Der  erstere  würde  schließlich 
der  reichere  sein.  Er  würde  einen  Vorrat  von  Waren 
haben,  die,  wenn  sie  auch  nicht  ihren  Kostenpreis  wert 
wären,  doch  immer  etwas  wert  wären.  Von  dem  Auf- 
wände des  letzteren  hingegen  bliebe  keine  Spur  zurück 
und  die  Wirkungen  einer  zehn-  oder  zwanzigjährigen 
Verschwendung  würden  so  vollständig  verschwunden 
sein,  als  hätten  sie  niemals  bestanden. 

Wie  die  eine  Art  des  Aufwandes  für  den  Reichtum 
eines  Einzelnen  günstiger  ist,  als  die  andere,  so  ist  sie 
es  auch  für  den  Reichtum  eines  Volkes.  Die  Häuser, 
die  Möbel,    die  Kleidungsstücke   der  Reichen   werden 

■'•)  Anspielung  auf  den  Grafen  Brühl,  der  365  Röcke  hinter- 
lassen haben  soll.  Der  Über  s. 


Kap.  III.:  Kapitalanhäufung-  oil.  prod.  u.  Tinprod.  Arbeit.   101 

nach  kurzer  Zeit  den  unteren  und  mittleren  Volks- 
klassen nützlich.  Diese  können  sie  kaufen,  wenn  die 
oberen  Klassen  sie  satt  bekommen,  und  so  steigert  sich 
allmählich  der  allgemeine  Komfort  des  ganzen  Volkes, 
wenn  jene  Art  des  Aufwandes  unter  vermögenden 
Leuten  allgemein  wird.  In  Ländern,  die  schon  lange 
reich  sind,  findet  man  oft  die  unteren  Volksklassen  im 
Besitz  von  Häusern  und  Grerätschaften,  die  noch  gut 
und  vollkommen  brauchbar,  aber  keineswegs  für  den 
Bedarf  dieser  Klassen  hergestellt  sind.  Was  früher  ein 
Sitz  der  Familie  Seymour  war,  ist  jetzt  ein  Gasthaus 
an  der  Straße  nach  Bath.  Das  Hochzeitsbett  Jakobs 
des  Ersten  von  Grroßbritannien,  welches  ihm  die  Kö- 
nigin als  fürstliches  Geschenk  aus  Dänemark  zuge- 
bracht hatte,  war  vor  einigen  Jahren  die  Zierde  einer 
Bierschenke  in  Dunfermline.  In  manchen  alten  Städten, 
die  entweder  lange  stillstehend  geblieben  oder  etwas 
in  Verfall  geraten  sind,  findet  man  manchmal  kein 
einziges  Haus,  das  für  seine  gegenwärtigen  Bewohner 
gebaut  sein  kann.  Tritt  man  in  ein  solches  Haus,  so 
findet  man  nicht  selten  manche  vortreffliche  altmodische 
Möbel,  die  noch  ganz  gut  zu  gebrauchen  sind,  und  für 
die  jetzigen  Besitzer  ebensowenig  gemacht  sein  können. 
Stattliche  Paläste,  herrliche  Landhäuser,  große  Samm- 
lungen von  Büchern,  Statuen,  Gemälden  und  anderen 
Seltenheiten  sind  oft  nicht  bloß  für  die  Nachbarschaft, 
sondern  für  das  ganze  Land,  zu  dem  sie  gehören,  ein 
Schmuck  und  eine  Ehre.  Versailles  ist  ein  Schmuck 
und  ein  Ruhm  für  Frankreich,  Stowe  und  Wilton  für 
England.  Italien  erfreut  sich  noch  immer  wegen  der 
Menge  solcher  Denkmäler  einer  gewissen  Verehrung, 
obgleich  der  Eeichtum,  der  sie  hervorrief,  verfallen  ist, 
und  obgleich  der  Genius,  der  sie  schuf,  erloschen  zu 
sein  scheint,  erloschen  vielleicht  deshalb,  weil  er  nicht 
mehr  die  gleiche  Beschäftigung  fand. 


IQ2  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Die  Ausgaben  für  dauerhafte  Gegenstände  sind 
nicht  nur  der  Anhäufung,  sondern  auch  der  Sparsam- 
keit günstig.  Hat  jemand  einmal  darin  zu  viel  getan, 
so  kann  er  sich  leicht  einschränken,  ohne  sich  dem 
Tadel  der  Leute  auszusetzen.  Dagegen  die  Zahl  der 
Dienerschaft  sehr  zu  verringern,  statt  eines  verschwen- 
derischen Tisches  einen  mäßigen  einzuführen,  eine 
Equipage  wieder  aufzugeben,  nachdem  man  sie  einmal 
gehabt  hat:  das  sind  Veränderungen,  die  der  Beob- 
achtung der  Nachbarn  nicht  entgehen  können,  und  die 
für  ein  Anerkenntnis  füherer  Torheit  gelialten  werden. 
Darum  haben  auch  wenige  von  denen,  die  einmal  so 
unglücklich  waren,  sich  in  zu  große  Ausgaben  dieser 
Art  einzulassen,  später  den  Mut  einzulenken,  ehe 
gänzlicher  Verfall  und  Bankerott  sie  dazu  zwingt. 
Hat  dagegen  jemand  für  Gebäude,  Möbel,  Bücher  oder 
Gemälde  zu  viel  Geld  ausgegeben,  so  läßt  sich  noch 
nicht  auf  eine  frühere  Torheit  schließen,  wenn  er  sein 
Verhalten  ändert.  Die  genannten  Dinge  sind  der  Art, 
daß  weitere  Ausgaben  für  sie  durch  die  früheren  Aus- 
gaben unnötig  gemacht  werden,  und  wenn  jemand 
damit  innehält,  so  nimmt  man  nicht  an,  daß  er  es 
deshalb  tue,  weil  es  sein  Vermögen  übersteigt,  sondern 
weil  seine  Laune  befriedigt  ist. 

Nebenbei  geben  die  Ausgaben  für  dauerhafte  Sachen 
gewöhnlich  einer  größeren  Menge  von  Leuten  Unter- 
halt, als  die  Kosten  verschwenderischster  Gastfreund- 
schaft. Von  zwei-  oder  dreihundert  Pfunden  Lebens- 
mittel, die  manchmal  bei  einem  großen  Feste  aufge- 
tragen werden,  wird  vielleicht  die  Hälfte  auf  den  Mist 
geworfen,  und  jedenfalls  ein  großer  Teil  vergeudet 
und  mißbraucht.  "Wären  die  Kosten  eines  solchen 
Gastmahls  dazu  angewendet  worden,  Maurern,  Zimmer- 
leuten, Tapezierern,  Mechanikern  usw.  Arbeit  zu  geben, 
so  würde  sich   eine   gleich  große  Menge  Lebensmittel 


Kap.  III.:  Kapitalanlüiiifung  od.  prod.  u.  unprod.  Arbeit.  103 

Tinter  eine  viel  größere  Zahl  von  Leuten  verteilt  haben, 
die  sie  groschen-  und  pfundweise  gekauft  und  auch 
nicht  eine  Unze  davon  unnötigerweise  weggeworfen 
hätten.  Davon  abgeselien,  unterhält  jener  Aufwand 
auf  die  eine  Art  produktive,  auf  die  andere  unpro- 
duktive Hände.  Auf  die  eine  Art  vermehrt  er  also  den 
Tauschwert  des  jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrages 
des  Landes,  auf  die  andere  Art  tut  er  es  nicht. 

Doch  möchte  ich  mit  alle  dem  nicht  so  verstanden 
werden,  als  ob  ich  meinte,  daß  die  eine  Art  des  Auf- 
wandes stets  einen  liberaleren  oder  edleren  Geist  an- 
zeige, als  die  andere.  Wenn  ein  reicher  Mann  sein  Ein- 
kommen hauptsächlich  auf  Gastfreundschaft  verwendet, 
so  teilt  er  das  Meiste  davon  mit  seinen  Freunden  und 
Gefährten ;  wenn  er  es  aber  dazu  anwendet,  dauerhafte 
Sachen  zu  kaufen,  so  gibt  er  oft  alles  für  seine  eigene 
Person  aus,  und  gibt  niemandem  etwas  ohne  ein  Äqui- 
valent. Die  letztere  Art  des  Aufwandes  zeugt  also  zu- 
mal dann,  wenn  sie  sich  auf  Nichtigkeiten  richtet,  z.  B. 
auf  den  Tand  in  Kleidung  und  Geräten,  auf  Juwelen, 
Spielereien  usw.,  oft  nicht  nur  von  kleinlichen,  sondern 
von  niedrigen  und  selbstsüchtigen  Anlagen.  Was  ich 
sagen  will,  ist  allein  dies,  daß  die  eine  Art  des  Auf- 
wandes, da  sie  immer  zu  einer  Anhäufung  wertvoller 
Dinge  führt,  der  Sparsamkeit  des  Einzelnen  günstiger 
ist,  zum  Wachstum  des  Gesellschaftskapitals  beiträgt 
und  eher  produktive  als  unproduktive  Hände  unter- 
hält, —  auch  mehr  als  die  andere  zum  Wachstum  des 
öffentlichen  Wohlstandes  beiträgt. 


Viertes  Kapitel. 
Das  auf  Zinsen  ausgeliehene  Kapital. 

Das  auf  Zins  ausgeliehene  Vermögen  wird  von 
dem  Darleiher  stets  als  ein  Kapital  betrachtet.  Er  er- 
wartet, daß  es  ihm  zur  gehörigen  Zeit  zurückerstattet 
werde,  und  daß  der  Borger  ihm  mitttlerweile  für  seinen 
Gebrauch  eine  gewisse  Jahresrente  zahle.  Der  Borger 
kann  es  entweder  als  ein  Kapital  oder  als  einen  für 
den  unmittelbaren  Verbrauch  bestimmten  Vorrat  be- 
nutzen. Benutzt  er  es  als  ein  Kapital,  so  wendet  er  es 
zum  Unterhalt  produktiver  Arbeiter  an,  die  seinen 
Wert  samt  einem  Gewinne  wieder  hervorbringen:  in 
diesem  Falle  kann  er  das  Kapital  zurückerstatten  und 
den  Zins  zahlen,  ohne  eine  andere  Einkommensquelle 
zu  veräußern  oder  anzugreifen.  Benutzt  er  es  als  einen 
für  den  unmittelbaren  Verbrauch  bestimmten  Vorrat, 
so  handelt  er  als  ein  Verschwender,  und  vergeudet  im 
Unterhalt  des  Müßigen,  was  zur  Förderung  des  Fleißi- 
gen bestimmt  war.  Er  vermag  in  diesem  Falle,  ohne 
eine  andere  Einkommensquelle,  wie  Grundbesitz  oder 
Grundrente,  zu  veräußern  oder  anzugreifen,  weder  das 
Kapital  zurückzuerstatten,  noch  die  Zinsen  zu  bezahlen. 

Das  auf  Zins  ausgeliehene  Vermögen  wird  sicher- 
lich unter  Umständen  auf  beide  Arten  benutzt;  auf 
die  erstere  jedoch  öfter  als  auf  die  letztere.  Wer  Geld 
borgt,  um  es  zu  vergeuden,  wird  bald  ruiniert  sein, 
und  wer  ihm  leiht,  wird  gewöhnlich  seine  Torheit  zu 
bereuen  haben.    Zu  einem  solchen  Zwecke  zu  borgen 


Kap.  l\.:  Das  auf   Zinsen  ausgeliehene  Kapital.         i()5 

oder  zu  leihen,  ist  in  allen  Fällen,  wo  es  sich  nicht 
um  groben  Wucher  handelt,  gegen  das  Interesse  beider 
Teile,  und  obschon  das  eine  wie  das  andere  ohne 
Zweifel  r>fters  geschieht,  so  macht  es  die  Rücksicht, 
die  jeder  auf  sein  eigenes  Interesse  nimmt,  doch  wahr- 
scheinlich, daß  es  keineswegs  so  häufig  geschieht,  wie 
man  zuweilen  glaubt.  Man  frage  einen  reichen  Mann 
von  gewöhnlichem  Verstände,  an  was  für  Leute  er 
seine  meisten  Kapitalien  verliehen  habe,  an  solche,  die 
sie  nach  seiner  Ansicht  gewinnbringend  anlegen,  oder 
an  solche,  die  sie  durchbringen  wollten,  und  er  wird 
über  die  Frage  lachen.  Selbst  unter  den  Borgern, 
einer  Klasse  von  Leuten,  die  eben  nicht  wegen  ihrer 
Genügsamkeit  berühmt  sind,  ist  daher  die  Zahl  der 
Sparsamen  und  Fleißigen  weit  größer,  als  die  der 
Verschwenderischen  und  Müßigen. 

Die  einzigen,  denen  oft  Geld  geborgt  wird,  ohne 
daß  man  von  ihnen  seine  sehr  einträgliche  Verwendung 
erwartet,  sind  Gutsbesitzer,  die  Hypotheken  aufnehmen. 
Doch  borgen  auch  sie  kaum  jemals  lediglich  in  der 
Absicht,  das  Geld  zu  verschwenden.  Was  sie  borgen, 
kann  man  gewöhnlich  als  schon  ausgegeben  ansehen, 
ehe  sie  es  borgen.  Sie  haben  in  der  Regel  von  Krämern 
und  Gewerbtreibenden  schon  so  viele  Waren  auf  Kredit 
genommen  und  verbraucht,  daß  sie  ein  Darlehn  auf- 
nehmen müssen,  um  ihre  Schulden  damit  zu  bezahlen. 
Das  geborgte  Kapital  erstattet  den  Krämern  und  Gewerb- 
treibenden die  Kapitalien  wieder,  die  die  Gutsbesitzer 
aus  den  Renten  ihrer  Güter  nicht  hätten  ersetzen  können. 
Es  wird  also  eigentlich  nicht  zu  dem  Zwecke  geborgt, 
um  verausgabt  zu  werden,  sondern  um  ein  Kapital 
wieder  zu  erstatten,   das  schon  früher  verausgabt  war. 

Fast  alle  verzinslichen  Darlehen  werden  in  Geld,  sei 
es  Papier,  oder  Gold  und  Silber  gemacht;  was  der  Borger 
aber   tatsächlich    braucht,    und    was  der  Darleiher  ihm 


106  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

tatsächlich  verschafft,  ist  nicht  das  Geld,  sondern  des 
Geldes  Wert,  oder  die  Waren,  die  er  damit  kaufen 
kann.  Benutzt  er  es  als  einen  zum  unmittelbaren  Ver- 
brauch bestimmten  Vorrat,  so  sind  es  Waren  allein, 
die  er  in  diesen  Vorrat  einstellen  kann.  Benutzt  er  es 
als  ein  Kapital  zu  gewerblichen  Anlagen,  so  sind  es 
wieder  nur  Waren,  die  dem  Ge werbtreibenden  die 
Werkzeuge,  Rohstoffe  und  Lebensmittel  verschaffen, 
deren  er  zum  Betriebe  bedarf.  Mittelst  des  Darlehns 
tiberträgt  so  zu  sagen  der  Darleiher  auf  den  Borger 
sein  Recht  an  einen  gewissen  Teil  des  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsertrages  des  Landes,  den  der  Bor- 
ger nach  Belieben  verwenden  kann. 

Die  Menge  Vermögen,  oder,  wie  man  gewöhnlich 
sagt,  die  Menge  Geldes,  die  in  einem  Lande  auf  Zinsen 
ausgeliehen  werden  kann,  bestimmt  sich  mithin  nicht 
nach  dem  Betrage  des  Geldes  sei  es  Papier  oder  Münze, 
das  als  Werkzeug  der  verschiedenen  im  Lande  ge- 
machten Darlehen  dient,  sondern  nach  dem  Betrage  des 
Teils  vom  Jahresertrage,  der  nach  seinem  Heraustreten 
aus  der  Boden-  oder  Arbeitsproduktion  nicht  nur  ein 
Kapital  überhaupt,  sondern  ein  solches  Kapital  wieder 
zu  erstatten  bestimmt  ist,  das  der  Eigentümer  selbst 
anzulegen  sich  die  Mühe  nicht  machen  will.  Da  solche 
Kapitalien  gewöhnlich  in  Geld  ausgeliehen  und  zurück- 
gezahlt werden,  so  bilden  sich  die  sogenannten  Geld- 
interessen*) daraus.  Diese  sind  nicht  nur  von  den 
Interessen  des  Grundbesitzes,  sondern  auch  von  denen 


*)  „Interessen"  sind  hier  nicht  im  Sinne  von  Zinsen,  son- 
dern in  der  andern  Bedeutung  des  Worts  aufzufassen.  Man 
redet  in  England  von  landed  interests,  manufacturing  interests, 
Interessen  des  Grundbesitzes,  der  Industrie  usw.  Garve  und 
ihm  nachfolgend  Stirner  übersetzen  „money  interests"  hier 
geradezu  mit  „Geldeigentum",  was  indessen  dem  Sinne  nicht 
vollständig  entspricht.     Anm.  d.  Übers. 


Kap.   IV.:   Da.s  auf  Zinsen  ausgelieheno   Kapital.         [Q'J 

des  Handels  und  der  Industrie  verschieden,  da  in  letzte- 
ren die  Eigentümer  ihre  Kapitalien  selbst  anlegen.  Doch 
auch  bei  den  Geldinteressen  ist  das  Geld  gleichsam  nur 
eine  Anweisung,  die  die  Kapitalien,  mit  deren  Anlegung 
die  Eigentümer  sich  nicht  selbst  befassen  mögen,  von 
einer  Hand  in  die  andere  überträgt.  Diese  Kapitalien 
können  unvergleichlich  größer  sein,  als  der  Betrag  des 
Geldes,  das  zum  Werkzeug  ihrer  Übertragung  dient: 
denn  die  nämlichen  Geldstücke  können  nach  und  nach 
zu  vielen  verschiedenen  Darlehen  dienen,  ebenso  wie 
zu  vielen  verschiedenen  Käufen.  A  leiht  z.  B.  dem 
W  £  1000,  mit  denen  W  sofort  von  B  Güter  zum 
Werte  von  £  1000  kauft.  Da  B  das  Geld  selbst  nicht 
braucht,  so  leiht  er  die  nämlichen  Stücke  dem  X,  und 
X  kauft  damit  sofort  von  C  andere  Güter  von  £  1000 
Wert.  C  leiht  sie  wieder  in  derselben  Weise  und  aus 
demselben  Grunde  dem  Y,  der  gleichfalls  damit  Güter 
von  D  kauft.  So  können  dieselben  Stücke  Papier-  oder 
gemünzten  Geldes  im  Laufe  weniger  Tage  zum  Werk- 
zeug dreier  Darlehen  und  dreier  Käufe  dienen,  die  jedes 
dem  ganzen  Betrage  jener  Stücke  an  Wert  gleich- 
kommen. Was  die  drei  Kapitalisten  A,  B  und  C  an 
die  drei  Borger  W,  X  und  Y  übertragen,  ist  das  Ver- 
mögen, jene  Käufe  zu  machen.  In  diesem  Vermögen 
besteht  der  Wert  und  der  Nutzen  dieser  Darlehen. 
Der  von  den  drei  Kapitalisten  ausgeliehene  Fonds  ist 
gleich  dem  Werte  der  Waren,  die  damit  gekauft  werden 
können,  und  dreimal  so  groß,  wie  der  Betrag  des  Geldes, 
mit  dem  die  Käufe  gemacht  wurden.  Dennoch  können 
alle  Darlehen  vollkommen  gesichert  sein,  wenn  die  von 
den  Schuldnern  gekauften  Waren  so  verwendet  worden 
sind,  daß  sie  zu  gehöriger  Zeit  einen  gleichen  Betrag 
Papier  oder  Geld  mit  Gewinn  wieder  einbringen.  Und 
wie  die  nämlichen  Geldstücke  als  Werkzeuge  ver- 
schiedenei-  Darlehen  von  dreimal  oder  auch  droißigmal 


108  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

höherem  Betrage  dienen  können,  so  können  sie  auch 
nach  und  nach  als  Werkzeug  der  Rückzahlung  dienen. 

Auf  diese  Weise  läßt  sich  ein  auf  Zins  ausge- 
liehenes Kapital  als  eine  vom  Darleiher  auf  den  Borger 
übertragene  Anweisung  auf  einen  gewissen  großen  Teil 
des  Jahresertrags  betrachten,  wobei  die  Bedingung  ge- 
macht wurde,  daß  der  Borger  dem  Darleiher  während 
der  Dauer  des  Anlehens  jährlich  einen  kleineren  Teil, 
Zins  genannt,  und  am  Schluß  einen  ebenso  großen  Teil 
wie  der  ursjDrünglich  angewiesene,  Rückzahlung  ge- 
nannt, anweisen  soll.  Obgleich  das  Geld,  es  sei  Papier- 
oder Metallgeld,  gewöhnlich  als  Dokument  der  An- 
weisung sowohl  auf  den  kleineren,  als  auch  auf  den 
größeren  Teil  dient,  so  ist  es  doch  von  dem,  was  da- 
durch angewiesen  wird,  durchaus  verschieden. 

In  dem  Verhältnis,  wie  der  Teil  des  Jahresertrages 
zunimmt,  der  beim  Heraustreten  aus  der  Produktion  ein 
Kapital  wiederzuerstatten  bestimmt  ist,  nehmen  auch 
in  einem  Lande  die  sogenannten  Geldinteressen  zu. 
Die  Zunahme  der  Kapitalien,  aus  denen  die  Besitzer 
ein  Einkommen  ziehen  wollen,  ohne  sich  mit  ihrer 
Verwendung  selbst  zu  befassen,  schreitet  natürlich  mit 
der  allgemeinen  Zunahme  des  Kapitals  überhaupt  fort, 
oder  mit  anderen  Worten,  wenn  das  Kapital  zunimmt, 
so  wird  die  Menge  der  auf  Zins  ausgeliehenen  Kapi- 
talien allmählich  größer  und  größer. 

Je  mehr  die  Menge  der  auszuleihenden  Kapitalien 
wächst,  desto  mehr  vermindert  sich  notwendig  der  Zins, 
oder  der  Preis,  der  für  die  Benutzung  dieser  Kapitalien 
bezahlt  wird,  und  zwar  nicht  bloß  aus  den  allgemeinen 
Gründen,  die  eine  Ermäßigung  des  Marktpreises  der 
Dinge  herbeiführen,  wenn  ihre  Menge  größer  wird, 
sondern  auch  aus  anderen,  diesem  besonderen  Falle 
eigentümlichen  Gründen.  Wenn  die  Kapitalien  in  einem 
Lande  zunehmen,  müssen  die  Gewinne,  die  durch  ihre 


Kap.  IV.:   Has  auf  Zinsen  ausg-eliehene  Kapital.        109 

Verwendung  zu  machen  sind,  notwendig  kleiner  wer- 
den; es  wird  immer  schwerer  und  schwerer,  in  dem 
Lande  für  neue  KapitaHen  gewinnbringende  Anlagen 
zu  finden.  Daraus  entspringt  dann  eine  Konkurrenz 
zwischen  den  verschiedenen  Kapitalien,  und  der  Be- 
sitzer des  einen  sucht  sich  derjenigen  Anlagen  zu  be- 
mächtigen, die  ein  anderer  schon  in  Besitz  hat.  In  den 
meisten  Fällen  kann  er  nur  dann  darauf  rechnen,  den 
andern  zu  verdrängen,  wenn  er  billigere  Bedingungen 
stellt;  er  muß  seine  Ware  nicht  nur  wohlfeiler  verkaufen, 
sondern  auch  manchmal,  um  den  Verkauf  zu  ermög- 
lichen, sie  etwas  teurer  einkaufen.  Die  Nachfrage  nach 
produktiver  Arbeit  wird  durch  die  Zunahme  der  zu 
ihrem  Unterhalt  bestimmten  Fonds  mit  jedem  Tage 
größer.  Die  Arbeiter  finden  leicht  Beschäftigung,  aber 
den  Besitzern  der  Kapitalien  wird  es  schwer,  Arbeiter 
zu  finden.  Ihre  Konkurrenz  steigert  den  Arbeitslohn 
und  mindert  die  Gewinne.  Werden  aber  so  die  aus  der 
Nutzung  eines  Kapitals  zu  ziehenden  Gewinne  gleichsam 
an  beiden  Enden  verkleinert,  so  muß  notwendig  zu- 
gleich der  Preis,  der  für  seine  Nutzung  gezahlt  werden 
kann,  d.  h.  der  Zinsfuß,  sinken. 

Locke,  Law  und  Montesquieu  sowie  viele  andere 
Schriftsteller  scheinen  geglaubt  zu  haben,  daß  die  durch 
die  Entdeckung  des  spanischen  Westindiens  vermehrte 
Menge  Goldes  und  Silbers  die  wahre  Ursache  des 
niedrigeren  Zinsfußes  in  den  meisten  Ländern  Europas 
sei.  Da  diese  Metalle,  sagen  sie,  selbst  an  Wert  ver- 
loren haben,  mußte  auch  die  Nutzung  eines  Teils  von 
ihnen  an  Wert  einbüßen  und  folglich  der  Preis,  der 
dafür  bezahlt  werden  kann,  sinken.  Dieser  auf  den 
ersten  Blick  so  richtig  erscheinende  Gedanke  ist  von 
Humo  so  vollständig  widerlegt  worden,  daß  man  kaum 
noch  etwas  darüber  zu  sagen  braucht.  Doch  mag  das 
folgende   kurze   und   einfache  Argument  dazu  dienen. 


110  Zweites  Buch :  Das  Kapital. 

die  Täuschung,  durch  welche  sich  jene  Schriftsteller 
haben  irre  leiten  lassen,  noch  schärfer  ins  Licht  zu 
stellen. 

Vor  der  Entdeckung  des  spanischen  Westindiens 
waren  10  ^/o,  wie  es  scheint,  der  gewöhnliche  Zinsfuß 
in  den  meisten  Ländern  Europas.  Er  ist  seitdem  in 
manchen  Ländern  auf  6,  5,  4  und  3%  gesunken. 
Nehmen  wir  an,  daß  in  jedem  Lande  der  Wert  des 
Silbers  in  dem  nämlichen  Verhältnis  gesunken  sei, 
wie  der  Zinsfuß,  und  daß  z.  ß.  in  den  Ländern,  wo 
der  Zins  von  10  auf  5%  herabgegangen  ist,  für  die 
nämliche  Menge  Silbers  nur  halb  soviel  Waren  gekauft 
werden  können,  als  früher.  Diese  Annahme  wird  sich, 
wie  ich  glaube,  nirgends  richtig  erweisen,  aber  sie  ist 
für  die  Meinung,  die  wir  prüfen  wollen,  die  günstigste. 
Selbst  unter  dieser  Voraussetzung  ist  es  schlechter- 
dings unmöglich,  daß  die  Silberentwertung  auch  nur 
den  mindesten  Einfluß  auf  das  Sinken  des  Zinsfußes 
haben  konnte.  Wenn  £  100  in  jenen  Ländern  jetzt 
keinen  höheren  Wert  haben,  als  ehedem  £  50,  so  können 
£  10  jetzt  nicht  mehr  Wert  haben,  als  ehedem  £  5. 
Welche  Ursachen  auch  das  Kapital  entwertet  haben, 
immer  müssen  sie  auch  den  Zins  ermäßigt  haben,  und 
zwar  genau  in  demselben  Verhältnis.  Das  Verhältnis 
zwischen  dem  Wert  des  Kapitals  imd  dem  des  Zinses 
mußte  das  nämliche  bleiben,  wenn  auch  der  Zinsfuß  sich 
niemals  änderte.  Ändert  sich  aber  der  Zinsfuß,  dann  wird 
allerdings  notwendig  das  Verhältnis  zwischen  diesen 
beiden  Werten  geändert.  Wenn  £  100  jetzt  nicht  mehr 
wert  sind,  als  ehedem  £  50,  so  können  auch  £  5  jetzt 
nicht  mehr  wert  sein,  als  £  2  10  sh.  ehedem.  Wenn 
sich  also  der  Zinsfuß  von  10  auf  5%  ermäßigt,  so  geben 
wir  für  den  Gebrauch  eines  Kapitals,  das  der  Annahme 
zufolge  nur  halb  so  viel  wert  ist  wie  früher,  einen 
Zins,  der  nur  ein  Viertel  des  früheren  Zinses  beträgt. 


Kap.  IV.:  Das  auf  Zinsen  ausgeliehene  Kapital.        m 

Jede   Yermehrung  in   der   Silbermenge   kann,    so 
lange  die  Menge  der  mittelst  des  Silbers  in  Umlauf  ge- 
sezten  Waren  die  nämliche  bleibt,  keine  andere  Folge 
haben,  als  die,  den  Wert  dieses  Metalls  zu  vermindern. 
Der  Nominalwert  aller  Arten  von  Waren  würde  größer 
werden,  ihr  Sachwert  aber  ganz  derselbe  bleiben,  wie 
früher.      Sie    würden    gegen    eine    größere    Zahl    von 
Silberstücken  vertauscht  werden  ;  aber  die  Arbeitsmenge, 
die  dafür  zu  Gebote  stände,  die   Zahl   von  Menschen, 
welche  damit  unterhalten  und  beschäftigt  werden  könnte, 
würde   ganz    die   nämliche   bleiben.      Das   Kapital   des 
Landes  wäre  gleich  groß  und  es  könnte  nur  eine  größere 
Zahl  von  Stücken  erforderlich  werden,  um  einen  gleichen 
Teil  von  ihm  aus  einer  Hand  in  die  andere  zu  über- 
tragen.     Die  Anweisungsdokumente   würden,   wie   die 
Akten  eines  weitschweifigen  Advokaten,  umfangreicher 
werden;  aber  die  angewiesenen  Dinge  blieben  dieselben, 
wie  früher,   und  könnten  auch  nur  dieselbe  Wirkung 
haben.     Da    die    zum   Unterhalt  produktiver   Arbeiter 
bestimmten  Fonds  sich  gleich  blieben,  so  würde  auch 
die  Nachfrage  nach  Arbeit  die  gleiche  sein.     Ihr  Preis 
oder  Lohn  wäre  zwar  nominell  höher,  tatsächlich  aber 
derselbe;  er  würde  in  einer  größeren  Zahl  von  Silber- 
stücken ausgezahlt,   aber   man   könnte   mit   ihnen   nur 
die  nämliche  Menge  Waren  kaufen.  Die  Kapitalgewinne 
blieben   nominell  wie  tatsächlich  die   nämlichen.     Der 
Arbeitslohn  wird  gewöhnlich  nach  der  Menge  Silbers  ge- 
rechnet, die  dem  Arbeiter  gezahlt  wird.  Ist  sie  größer  ge- 
worden, so  ist  der  Lohn  scheinbar  gestiegen,  ist  aber 
tatsächlich  oft  nicht  höher  als  früher.  Dagegen  werden 
die  Kapitalgewinne  nicht  nach  der  Zahl  der  Silberstücke, 
mit  denen  sie  gezahlt  werden,  sondern  nach  dem  Ver- 
hältnis berechnet,   in   dem   diese  Stücke  zum  Gesamt- 
kapital stehen.     Man  sagt:  5  sh.  sind  der  gewöhnliche 
Wochenlohn  und  10^ lo  der  übliche  Kapitalgevvinn  eines 


112  Zweites  Bucli:  Da.s  Kapital. 

Landes.  Wenn  aber  das  Gesamtkapital  des  Landes 
das  nämliche  ist,  wie  früher,  so  wird  der  Wettbewerb 
zwischen  den  verschiedenen  Kapitalien  der  einzelnen, 
in  die  das  Gesamtkapital  zerfällt,  gleichfalls  nur  der 
nämliche  sein,  und  sie  werden  alle  ihr  Geschäft  mit 
den  gleichen  Vorteilen  und  Nachteilen  treiben.  Das 
gewöhnliche  Verhältnis  zwischen  Kapital  und  Gewinn, 
und  deshalb  auch  der  gewöhnliche  Geldzins  werden 
sich  daher  gleich  bleiben,  denn  was  für  die  Nutzung 
des  Geldes  gewöhnlich  gegeben  werden  kann,  richtet 
sich  in  der  Regel  danach,  was  sich  durch  diese  Nutzung 
gewöhnlich  gewinnen  läßt. 

Hingegen  würde  jede  Zunahme  in  der  Menge  der 
jährlich  in  einem  Lande  umlaufenden  Waren,  wenn 
gleichzeitig  die  Menge  des  Geldes,  mittelst  dessen  sie 
in  Umlauf  gesetzt  werden,  die  nämliche  bleibt,  außer 
dem  Steigen  des  Geldwertes  noch  manche  andere  wich- 
tige Folgen  haben.  Das  Kapital  des  Landes,  obwohl 
nominell  das  gleiche,  würde  tatsächlich  doch  größer 
sein:  man  würde  es  noch  immer  durch  dieselbe  Menge 
Geldes  ausdrücken,  aber  man  würde  damit  über  eine 
größere  Menge  Arbeit  verfügen.  Die  Menge  produk- 
tiver Arbeit,  die  mit  dem  Kapital  unterhalten  und  in 
Bewegung  gesetzt  werden  könnte,  würde  zunehmen  und 
damit  auch  die  Nachfrage  nach  Arbeit  steigen.  Ihr  Lohn 
würde  natürlich  mit  der  Nachfrage  steigen,  und  könnte 
doch  zu  sinken  scheinen:  er  könnte  in  einer  kleineren 
Summe  Geldes  ausgezahlt  werden,  aber  die  kleinere 
Summe  würde  eine  grr)ßere  Menge  Waren  erkaufen, 
als  früher  die  größere.  Die  Kapitalgewinne  würden  sich 
ebensowohl  tatsächlich,  wie  dem  Ansehn  nach  vermin- 
dern ;  denn  da  das  Gesamtkapital  des  Landes  größer  ge- 
worden ist,  wird  sich  auch  die  Konkurrenz  zwischen  den 
verschiedenen  Kapitalien,  aus  denen  es  besteht,  mehren 
und   ihre   Besitzer   nötigen,    sich    mit   einem    kleineren 


Kap.  IV.:  Da.s  auf  Zinsen  au.sgeliehene  Kapital.        113 

Anteil  am  Produkte  der  durch  ihre  Kapitalien  in  Be- 
wegung gesetzten  Arbeit  zu  begnügen.  Und  so  kann 
der  Geldzins,  der  immer  mit  dem  Kapitalgevvinn  gleichen 
Schritt  hält,  bedeutend  sinken,  wenn  auch  der  Geldwert 
oder  die  Warenmenge,  die  sich  mit  einer  bestimmten 
Summe  kaufen  läßt,  bedeutend  gestiegen  ist. 

In  manchen  Ländern  war  der  Geldzins  durch  Gesetz 
verboten.  Da  sich  jedoch  durch  die  Nutzung  des  Geldes 
überall  etwas  gewinnen  läßt,  so  muß  auch  etwas  für 
diese  Nutzung  bezahlt  werden.  Die  Erfahrung  hat  ge- 
lehrt, daß  diese  Maßregel,  statt  dem  Übel  des  Wuchers 
zu  steuern,  dieses  vielmehr  verschlimmerte;  denn  der 
Schuldner  muß  nun  nicht  bloß  die  Nutzung  des  Geldes, 
sondern  auch  die  Gefahr  bezahlen,  die  der  Gläubiger 
läuft,  wenn  er  sich  die  Nutzung  bezahlen  läßt.  Er  muß 
den  Gläubiger  so  zu  sagen  gegen  die  Strafen  auf 
Wucher  versichern. 

In  Ländern,  in  denen  das  Zinsnehmen  erlaubt  ist, 
setzt  das  Gesetz,  um  wucherische  Erpressungen  zu  verhü- 
ten, gewöhnlich  den  höchsten  Zinsfuß  fest,  der  straflos 
genommen  werden  darf.  Dieser  Zinsfuß  muß  stets  etwas 
über  dem  niedrigsten  Marktpreise,  d.  h.  über  dem  Preise 
stehen,  der  von  Leuten,  die  unzweifelhafte  Sicherheit 
geben  können,  für  die  Nutzung  des  Geldes  bezahlt  zu 
werden  pflegt.  Wird  der  gesetzliche  Zinsfuß  unter  dem 
niedrigsten  Marktpreis  festgesetzt,  so  müssen  die  Folgen 
fast  die  nämlichen  sein,  als  wenn  das  Zinsnehmen 
überhaupt  verboten  ist.  Der  Gläubiger  wird  sein  Geld 
nicht  für  weniger  ausleihen,  als  seine  Nutzung  wert 
ist,  und  der  Schuldner  muß  ihn  noch  für  die  Gefahr 
bezahlen,  die  er  läuft,  indem  er  den  vollen  Wert  der 
Nutzung  annimmt.  Wird  der  gesetzliche  Zinsfuß  genau 
nach  dem  niedrigsten  Marktpreise  bestimmt,  so  ver- 
nichtet er  bei  ehrenhaften,  die  Gesetze  ihres  Landes 
beobachtenden  Leuten  den  Kredit  aller  derer,  die  nicht 

Adam  Smitli,  VolkswolilKlaiul.   11.  '^ 


114  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

die  allerbeste  Sicherheit  zu  geben  vermögen,  und  zwingt 
sie,  sich  an  Wucherer  zu  wenden.  In  einem  Lande,  wie 
Großbritannien,  wo  der  Regierung  zu  3  °  o  und  Privat- 
leuten bei  guter  Sicherheit  zu  4  und  4V2-'.o  Geld  ge- 
liehen wird,  ist  der  gegenwärtige  gesetzliche  Zinsfuß, 
5"/o,  wohl  ein  ganz  angemessener. 

Es  ist  jedoch  darauf  zu  achten,  daß  der  gesetzliche 
Zinsfuß  zwar  etwas,  aber  nicht  viel  über  dem  niedrig- 
sten Marktpreise  stehen  muß.  Würde  z.  B.  der  gesetz- 
liche Zinsfuß  in  Großbritannien  auf  8  oder  10 "o  fest- 
gesetzt, so  würde  das  meiste  auszuleihende  Geld  an 
Verschwender  und  Projektenmacher  gegeben  werden, 
da  diese  allein  sich  zu  so  hohen  Zinsen  verstehen.  Be- 
sonnene Leute  würden  nicht  mit  ihnen  zu  konkurrieren 
wagen,  da  sie  für  die  Nutzung  des  Geldes  nicht  mehr 
geben  mögen,  als  einen  Teil  von  dem,  was  sie  durch 
diese  Nutzung  zu  gewinnen  hoffen  können.  Sonach 
würde  ein  großer  Teil  des  Landeskapitals  denjenigen 
Händen,  die  am  ehesten  einen  einträglichen  und  vorteil- 
haften Gebrauch  davon  machen  könnten,  entzogen  und 
anderen  zugewendet,  die  es  höchst  wahrscheinlich  durch- 
bringen und  vergeuden  würden.  Wo  hingegen  der  ge- 
setzliche Zinsfuß  nur  wenig  über  dem  niedrigsten  Markt- 
preis steht,  genießen  besonnene  Leute  als  Borger  immer 
den  Vorzug  vor  Verschwendern  und  Projektenmachern. 
Der  Darleiher  erhält  von  den  ersteren  fast  ebensoviel 
Zinsen,  als  er  von  den  letzteren  nehmen  darf,  und  sein 
Geld  ist  dabei  weit  sicherer  in  den  Händen  der  ersteren, 
als  in  denen  der  letzteren.  In  diesem  Falle  wird  also 
ein  großer  Teil  des  Landeskapitals  in  solche  Hände 
gebracht,  von  denen  anzunehmen  ist,  daß  sie  es  vorteil- 
haft verwenden. 

Kein  Gesetz  vermag  einen  niedrigeren  Zinsfuß 
zu  erzwingen,  als  die  zur  Zeit  niedrigste  Marktrate. 
Trotz  des  Edikts  von  1766,  durch  welches  der  König  von 


Kap.  lY. :  Das  auf  Zinsen  ausgeliehene  Kapital.         115 

Frankreich  den  Zinsfuß  von  5  auf  4°'o  herabzusetzen 
versuchte,  wurde  doch  immerfort  zu  5^'o  verliehen 
und  das  Gesetz  auf  allerlei  Art  umgangen. 

Der  gewöhnliche  Preis  des  Grund  und  Bodens  hängt 
überall  von  dem  üblichen  Zinsfuße  ab.  Wer  ein  Kapital 
hat,  von  dem  er  ein  Einkommen  zu  beziehen  wünscht, 
ohne  sich  mit  seiner  Verwendung  selbst  zu  befassen,  geht 
mit  sich  zu  Rate,  ob  er  Grundbesitz  dafür  kaufen,  oder 
es  auf  Zinsen  ausleihen  soll.  Die  bessere  Sicherheit  der 
Ländereien  in  Verbindung  mit  manchen  anderen  Vor- 
teilen, die  fast  überall  mit  dieser  Art  von  Besitz  ver- 
knüpft sind,  wird  ihn  gewöhnlich  geneigt  machen,  sich 
mit  einem  geringeren  Einkommen  aus  Grundbesitz  zu 
begnügen,  um  dem  höheren,  das  er  durch  Ausleihen 
seines  Geldes  gewinnen  könnte,  zu  entsagen.  Jene  Vor- 
teile sind  groß  genug,  um  einen  kleinen  Verlust  im 
Einkommen  auszugleichen;  aber  sie  gleichen  doch  nur 
einen  kleinen  Verlust  aus,  und  wenn  die  Grundrente 
weiter  hinter  dem  Geldzins  zurückbliebe,  würde  niemand 
Grundbesitz  kaufen  und  dieser  letztere  dadurch  selbst 
bald  im  Preise  sinken.  Überträfen  dagegen  jene  Vor- 
teile den  Unterschied  erheblich,  so  würde  jedermann 
Grundbesitz  kaufen,  und  dieser  würde  dadurch  bald 
wieder  im  Preise  steigen.  Als  die  Zinsen  10  "/o 
betrugen,  verkaufte  man  Grundbesitz  gewöhnlich  für 
das  zehn-  bis  zwölffache  seines  jährlichen  Ertrages. 
Als  der  Zinsfuß  auf  6,  5  und  -1°  o  sank,  stieg  der  Preis 
des  Grundbesitzes  auf  das  zwanzig-,  fünfundzwanzig- 
und  dreißigfache  des  jährlichen  Ertrages.  Der  gewöhn- 
liche Zinsfuß  ist  in  Frankreich  höher  als  in  England; 
der  gewöhnliche  Preis  des  Grundbesitzes  niedriger.  In 
England  verkauft  man  ihn  in  der  Regel  für  das  dreißig- 
fache, in  Frankreich  für  das  zwanzigfache  des  Jahres 
ertrages. 


S* 


Fünftes  Kapitel. 
Die  verschiedenen  Kapitalanlagen. 

Obwohl  alle  Kapitalien  nur  zum  Unterhalt  pro- 
duktiver Arbeit  bestimmt  sind,  so  ist  doch  die  Arbeits- 
menge, die  von  gleich  großen  Kapitalien  in  Bewegung 
gesetzt  werden  kann,  je  nach  der  verschiedenen  Ver- 
wendung der  Kapitalien  sehr  verschieden  und  nicht 
minder  ist  dies  der  Wert,  den  ihre  Anwendung  zu  dem 
jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrag  hinzufügt. 

Ein  Kapital  kann  in  vier  verschiedenen  Arten  an- 
gelegt werden,  entweder  erstens  zur  Hervorbringung  der 
Rohprodukte,  die  jährlich  für  den  Verbrauch  der  Gesell- 
schaft erforderlich  sind,  oder  zweitens  zur  Verarbeitung 
dieser  Rohprodukte  zum  unmittelbaren  Gebrauch  und 
Verbrauch,  oder  drittens  zum  Transport  der  rohen  oder 
verarbeiteten  Produkte  von  den  Plätzen,  wo  sie  reich- 
lich vorhanden  sind,  nach  denen,  wo  man  ihrer  bedarf^ 
oder  endlich  viertens  zu  ihrer  Teilung  in  so  kleine 
Teilchen  wie  sie  dem  unmittelbaren  Bedürfnisse  derer, 
die  sie  brauchen,  entsprechen.  In  ersterer  Art  werden 
die  Kapitalien  aller  derer  angelegt,  die  die  Kultur  oder 
den  Betrieb  von  Landgütern,  Bergwerken  und  Fische- 
reien unternehmen,  in  der  zweiten  Art  die  Kapitalien 
der  gewerblichen  Unternehmer,  in  der  dritten  die  Kapi- 
talien der  Grossisten,  in  der  vierten  die  der  Detaillisten. 
Kapitalanlagen,  die  nicht  in  die  eine  oder  andere  dieser 
Kategorien  gehörten,  lassen  sich  kaum  denken. 


Kap.  Y. :  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  117 

Jede  dieser  vier  Arten,  Kapital  anzulegen,  ist  für 
den  Bestand  oder  die  Ausdehnung  der  drei  übrigen  nicht 
minder  wie  zum  allgemeinen  Wohlbefinden  der  Gesell- 
schaft durchaus  erforderlich.  Ohne  Kapitalanlagen  zur 
Hervorbringung  von  Produkten  könnten  weder  Grewerbe 
noch  Handel  in  ausreichender  Menge  bestehen.  Ohne 
Kapitalanlagen  zur  industriellen  Verarbeitung  der  Roh- 
produkte, die  einer  Veredelung  bedürfen,  ehe  sie  sich 
zum  Ge-  und  Verbrauch  eignen,  würden  diese  niemals 
hervorgebracht  werden,  weil  keine  Nachfrage  darnach 
vorhanden  wäre,  oder  sie  würden,  falls  sie  freiwillig 
wachsen,  keinen  Tauschwert  haben  und  zum  Wohlstande 
der  Gesellschaft  nichts  beitragen  können.  Ohne  Kapital- 
anlagen zum  Transport  der  rohen  oder  verarbeiteten 
Produkte  von  den  Orten,  wo  sie  reichlich  vorhanden 
sind,  nach  denen,  wo  man  ihrer  bedarf,  könnte  von  diesen 
Produkten  nicht  mehr  hervorgebracht  werden  als  für  den 
Gebrauch  der  Umgegend  erforderlich  wäre.  Das  Kapital 
des  Kaufmanns  vertauscht  das  überschüssige  Produkt 
des  einen  Orts  gegen  das  eines  anderen,  ermutigt  dadurch 
in  beiden  Orten  die  Gewerbtätigkeit  und  vermehrt  deren 
Genußmittel.  Ohne  Kapitalanlagen  zur  Teilung  der 
rohen  und  verarbeiteten  Produkte  in  so  kleine  Teilchen, 
daß  sie  dem  unmittelbaren  Verbrauch  derer,  die  ihrer 
bedürfen,  entsprechen,  würde  jedermann  gezwungen 
sein,  eine  größere  Menge  von  Waren  zu  kaufen,  als 
sein  unmittelbares  Bedürfnis  erfordert.  Gäbe  es  z.  B. 
keinen  Fleischhandel,  so  müßte  jeder  auf  einmal  einen 
Ochsen  oder  ein  ganzes  Schaf  kaufen.  Dies  wäre  ge- 
wöhnlich schon  für  die  Reichen  recht  unbequem,  für 
die  Armen  noch  weit  lästiger.  Wenn  ein  armer  Arbeiter 
genötigt  wäre,  auf  einmal  Ijebensmittel  für  einen  oder 
für  sechs  Monate  zu  kaufen,  so  müßte  er  einen  großen 
Teil  des  Vorrats,  den  er  in  den  Werkzeugen  oder  in 
den  Geräten  seiner  Werkstätte  als  Kapital  benutzt  und 


\IQ  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

der  ihm  ein  Einkommen  bringt,  dem  zum  unmittelbaren 
Verbrauch  bestimmten  Vorrat,  der  ihm  kein  Einkommen 
liefert,  zuweisen.  Nichts  kann  daher  für  einen  solchen 
Mann  bequemer  sein,  als  daß  er  seine  Lebensmittel 
von  Tag  zu  Tag,  oder  selbst  von  Stunde  zu  Stunde, 
wie  er  sie  gerade  braucht,  kaufen  kann.  Dadurch  allein 
wird  es  ihm  möglich,  beinahe  seinen  ganzen  Vorrat 
als  Kapital  zu  verwenden.  Er  kann  nun  in  gröf3erem 
Maßstab  arbeiten,  und  der  dadurch  erzielte  Gewinn 
gleicht  den  höheren  Preis,  den  der  Kleinhändler  als 
seinen  Gewinn  auf  die  Waren  schlägt,  reichlich  aus. 
Die  Vorurteile  mancher  Publizisten  gegen  die  Krämer 
und  kleinen  Geschäftsleute  sind  völlig  grundlos.  Es 
ist  keineswegs  nötig,  sie  zu  besteuern  oder  ihre  Zahl 
zu  beschränken,  denn  selbst  bei  der  größten  Vermehrung 
können  sie  dem  Publikum  nicht  schaden,  während  sie 
allerdings  gegenseitig  sich  Schaden  zufügen.  Die  Menge 
von  Materialwaren  z.  B.,  die  in  einer  Stadt  verkauft 
werden  können,  ist  durch  die  Nachfrage  in  der  Stadt 
und  ihrer  Umgegend  begrenzt.  Darum  kann  im  Ma- 
terialwarenhandel nicht  mehr  Kapital  angelegt  werden, 
als  zum  Ankauf  dieser  Menge  erforderlich  ist.  Ist  dieses 
Kapital  zwischen  zwei  Händlern  geteilt,  so  wird  der 
Wettbewerb  sie  zwingen,  wohlfeiler  zu  verkaufen,  als 
wenn  es  in  einer  Hand  vereinigt  wäre,  und  wäre  das 
Kapital  unter  zwanzig  verteilt,  so  würde  ihre  Konkurrenz 
um  soviel  größer  und  die  Möglichkeit,  daß  sie  sich  zu 
einer  Preiserhöhung  verabreden  könnten,  um  ebensoviel 
geringer  sein.  Ihr  Wettbewerb  würde  vielleicht  einige 
von  ihnen  zu  Grunde  richten;  dies  ist  jedoch  ihre  eigene 
Sorge  und  kann  ihnen  getrost  überlassen  werden.  Es 
kann  weder  den  Konsumenten  noch  den  Produzenten 
schaden;  im  Gegenteil,  es  muß  dahin  führen,  daß  die 
Kleinhändler  wohlfeiler  verkaufen,  als  sie  tun  würden, 
wenn  der  ganze  Handel  von  einer  oder  zwei  Personen 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  119 

monopolisiert  wäre.  Bisweilen  mag  freilich  ein  gut- 
mütiger Kunde  von  ihnen  verleitet  werden,  etwas  zu 
kaufen,  was  er  nicht  braucht.  Dies  Übel  ist  jedoch 
nicht  so  groß,  daß  es  die  Beachtung  der  Behörden 
verdiente,  und  würde  auch  durch  Beschränkung  der 
Zahl  der  Kleinhändler  schwerlich  verhütet  werden  kön- 
nen. Es  ist  nicht  die  Menge  der  Bierhäuser,  um  hier 
das  bedenklichste  Beispiel  anzuführen,  die  unter  den 
Leuten  den  Hang  zum  Trunk  hervorbringt,  sondern 
umgekehrt,  dieser  Hang,  der  aus  anderen  Ursachen 
entspringt,  setzt  die  vielen  Bierhäuser  in  Nahrung. 

Wer  seine  Kapitalien  in  einer  jener  vier  Arten  an- 
legt, ist  selbst  ein  produktiver  Arbeiter.  Wird  diese 
Arbeit  richtig  geleitet,  so  fixiert  und  realisiert  sie  sich 
in  dem  Gegenstande  oder  der  verkäuflichen  Ware,  auf 
die  sie  verwendet  wird,  und  fügt  ihrem  Preise  mindestens 
den  Wert  ihrer  eigenen  Unterhaltung  und  Konsumtion 
hinzu.  Die  Gewinne  des  Pächters,  des  Gewerbtreiben- 
den,  des  Grossisten  und  Kleinhändlers  kommen  sämtlich 
von  dem  Preise  der  Waren  her,  die  die  beiden  ersteren 
hervorbringen  und  die  beiden  letzteren  kaufen  und  ver- 
kaufen. Doch  werden  gleiche  Kapitalien,  je  nachdem 
sie  in  der  einen  oder  anderen  Art  angelegt  sind,  un- 
mittelbar sehr  verschiedene  Mengen  produktiver  Arbeit 
in  Bewegung  setzen  und  auch  den  Wert  des  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsertrags  in  sehr  ungleichem  Verhältnis 
vermehren. 

Das  Kapital  des  Kleinhändlers  erstattet  das  des 
Grossisten,  von  dem  er  seine  Waren  bezieht  samt  dessen 
Gewinn  zurück  und  ermöglicht  letzterem  dadurch  die 
Fortführung  seines  Geschäfts.  Der  Kleinhändler  selbst 
ist  hierbei  der  einzige  produktive  Arbeiter,  den  das 
Kapital  unmittelbar  beschäftigt.  In  seinem  Gewinn 
besteht  der  ganze  Wert,  den  diese  Kapitalanlage  dem 
jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrage  der  Gesellschaft 
hinzufügt. 


120  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Das  Kapital  des  Großhändlers  erstattet  das  der 
Landwirte  und  Gewerbtreibenden,  von  denen  er  die 
rohen  und  verarbeiteten  Produkte,  mit  denen  er  han- 
delt, bezieht,  samt  deren  Gewinn  zurück  und  ermöglicht 
ihnen  dadurch  die  Fortführung  ihrer  Geschäfte.  Nament- 
lich durch  diesen  Dienst  trägt  er  indirekt  dazu  bei, 
die  produktive  Arbeit  der  Gesellschaft  zu  unterstützen 
und  den  Wert  des  Jahresertrags  zu  erhöhen.  Sein 
Kapital  beschäftigt  auch  die  Seeleute  und  Frachtführer, 
die  seine  Waren  von  einem  Ort  zum  andern  befördern 
und  erhöht  den  Preis  der  Waren  nicht  nur  um  den 
Betrag  seiner  eigenen  Gewinne,  sondern  auch  um  den 
Betrag  der  an  jene  bezahlten  Löhne.  Dies  ist  die  ganze 
produktive  Arbeit,  die  sein  Kapital  unmittelbar  in  Be- 
wegung setzt  und  der  ganze  Wert,  den  es  unmittelbar 
dem  Jahresertrag  hinzufügt.  In  beiden  Beziehungen 
ist  jedoch  die  AVirkung  eine  viel  bedeutendere  als  die 
des  Kapitals  der  Kleinhändler. 

Ein  Teil  der  Kapitalien  des  Gewerbtreibenden  ist 
als  stehendes  Kapital  in  den  Werkzeugen  angelegt  und 
erstattet  das  Kapital  anderer  Gewerbtreibenden,  von 
denen  er  sie  kauft,  mit  den  entsprechenden  Gewinnen 
zurück.  Ein  Teil  seines  Umlaufskapitals  wird  auf  den 
Ankauf  von  Rohstoffen  verwendet  und  erstattet  die 
Kapitalien  der  Landwirte  und  Bergwerksbesitzer,  von 
denen  er  sie  kauft,  mit  den  entsprechenden  Gewinnen 
zurück.  Ein  bedeutender  Teil  seines  Kapitals  jedoch 
ist  stets  entweder  jährlich  oder  in  kürzeren  Zeiträumen 
unter  die  Arbeiter  verteilt,  die  er  beschäftigt.  Es  ver- 
mehrt den  Wert  der  Rohstoffe  um  den  Arbeitslohn 
und  den  Unternehmergewinn,  der  aus  dem  auf  Arbeits- 
löhne, Rohstoffe  und  Werkzeuge  verwendeten  Gesamt- 
kapital gezogen  wird  und  es  setzt  daher  unmittelbar 
eine  weit  größere  Menge  produktiver  Arbeit  in  Bewe- 
gung und  fügt  dem  jährlichen  Boden-  und  Arbeitsertrage 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  121 

der  Gesellschaft  einen  weit  größeren  Wert  hinzu,  als 
durch  ein  gleiches  Kapital  in  den  Händen  eines  Grossi- 
sten geschieht.  Kein  Kapital  von  gleicher  Größe  setzt 
aber  eine  größere  Menge  produktiver  Arbeit  in  Bewe- 
gung, als  das  des  Landwirts.  Nicht  nur  seine  Knechte 
und  Mägde,  sondern  auch  seine  Arbeitstiere  sind  pro- 
duktive Arbeiter.  Ja  die  Natur  selbst  arbeitet  in  der 
Landwirtschaft  mit  dem  Menschen  zusammen,  und  was 
sie  hervorbringt,  hat,  obwohl  die  Arbeit  nichts  kostet, 
doch  ebenso  gut  seinen  Wert,  als  die  Produkte  der 
teuersten  Arbeiter.  Die  wichtigsten  Verrichtungen  der 
Landwirtschaft  haben  den  Zweck,  die  Fruchtbarkeit 
der  Natur  nicht  sowohl  zu  erhöhen,  obwohl  auch  dies 
geschieht,  als  sie  auf  die  Erzeugung  der  dem  Menschen 
nützlichen  Pflanzen  zu  lenken.  Ein  mit  Dornen  und 
Disteln  bewachsenes  Feld  kann  oft  ebensoviel  Pflanzen 
hervorbringen,  als  der  bestangebaute  Weinberg  oder 
Kornacker.  Das  Pflanzen  und  Beackern  dient  mehr  da- 
zu, die  tätige  Fruchtbarkeit  der  Natur  zu  regeln  als  zu 
beleben,  und  nach  aller  Arbeit  der  Menschen  bleibt 
der  Natur  noch  immer  das  meiste  zu  tun  übrig.  Die 
Arbeiter  und  die  Arbeitstiere,  die  in  der  Landwirtschaft 
gebraucht  werden,  bringen  also  nicht  nur,  wie  die 
Arbeit  in  den  Manufakturen,  den  Wert  ihres  eigenen 
Verbrauchs  oder  des  Kapitals,  das  sie  beschäftigt,  nebst 
den  Gewinnen  seines  Besitzers,  sondern  einen  weit 
höheren  Wert  hervor.  Sie  bringen  außer  dem  Kapital 
und  Gewinn  des  Pächters  in  der  Regel  auch  eine  Rente 
für  den  Grundherrn  hervor.  Diese  Rente  kann  als  der 
Ertrag  der  Naturkräfte  angesehen  werden,  deren  Nutz- 
ung der  Grundherr  dem  Pächter  überläßt.  Sie  ist  je 
nach  dem  vorausgesetzten  Umfang  dieser  Kräfte,  oder 
mit  anderen  Worten,  je  nach  der  vorausgesetzten  natür- 
lichen oder  künstlichen  Fruchtbarkeit  des  Bodens  größer 
oder  kleiner.     Sie  ist  das  Werk  der  Natur,   das  nach 


122  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Abzug  alles  dessen,  was  als  Menschenwerk  betrachtet 
werden  kann,  übrig  bleibt  und  beträgt  selten  weniger 
als  ein  Viertel,  oft  aber  mehr  als  ein  Drittel  des  Ge- 
samtertrags. Niemals  kann  eine  gleiche  Menge  pro- 
duktiver Arbeit  in  den  Gewerben  eine  so  bedeutende 
Reproduktion  erzielen.  In  den  Gewerben  tut  die  Natur 
nichts,  der  Mensch  alles,  und  die  Reproduktion  richtet 
sich  notwendig  immer  nach  der  Stärke  der  dabei  täti- 
gen Kräfte.  Das  in  der  Landwirtschaft  angelegte  Ka- 
pital setzt  daher  nicht  allein  eine  größere  Menge  pro- 
duktiver Arbeit  in  Bewegung,  als  ein  gleich  großes  in 
den  Gewerben  angelegtes  Kapital,  sondern  es  fügt 
auch  im  Verhältnis  zu  der  Menge  produktiver  Arbeit, 
die  es  beschäftigt,  dem  jährlichen  Boden-  und  Arbeits- 
ertrag des  Landes,  dem  wahren  Reichtum  und  Ein- 
kommen seiner  Bewohner,  einen  weit  größeren  Wert 
hinzu.  Es  ist  unter  allen  Arten  der  Kapitalanlagen 
die  für  die  Gesellschaft  bei  weitem  vorteilhafteste. 

Die  in  der  Landwirtschaft  und  im  Kleinhandel 
einer  Gesellschaft  angelegten  Kapitalien  bleiben  stets 
innerhalb  dieser  Gesellschaft.  Ihre  Verwendung  ist  auf 
einen  bestimmten  Ort,  auf  das  Gut  oder  den  Boden  des 
Detaillisten  beschränkt;  auch  gehören  sie  mit  wenigen 
Ausnahmen  ansäßigen  Mitgliedern  der  Gemeinde. 

Das  Kapital  eines  Grossisten  scheint  dagegen  nir- 
gends einen  festen  oder  notwendigen  Sitz  zu  haben, 
sondern  kann  von  Ort  zu  Ort  wandern,  je  nachdem  es 
billig  zu  kaufen  oder  teuer  zu  verkaufen  vermag. 

Das  Kapital  des  Gewerbtreibenden  muß  allerdings 
auch  da  bleiben,  wo  das  Gewerbe  betrieben  wird,  aber 
der  Ort,  wo  dies  geschieht,  ist  nicht  immer  notwendig- 
festgesetzt,  sondern  kann  vom  Platze  der  Rohstoff- 
erzeugung wie  des  Verbrauchs  weit  entfernt  sein. 
Lyon  ist  sowohl  von  dem  Orte,  der  seine  Fabrikmate- 
rialien liefert,  als  von  denen,  wo  seine  Fabrikate  ver- 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  I2'i 

braucht  werden,  weit  entfernt.  Die  vornehmen  Leute 
Siziliens  tragen  seidene  Kleider  von  dem  in  Sizilien 
hervorgebrachten  llohstoff,  die  in  anderen  Ländern 
hergestellt  wurden.  Ein  erheblicher  Teil  der  Wolle 
Spaniens  wird  in  Großbritannien  verarbeitet  und  zum 
Teil    als   Tuch    wieder   nach   Spanien   zurückgesendet. 

Ob  der  Kaufmann,  dessen  Kapital  die  überschüssi- 
gen Produkte  eines  Volks  ausführt,  ein  Einheimischer 
oder  Fremder  ist,  macht  wenig  Unterschied.  Ist  er  ein 
Fremder,  so  ist  die  Zahl  der  produktiven  Arbeiter  im 
Volke  notwendig  um  einen  geringer,  als  wenn  er  ein 
Eingeborner  wäre,  und  auch  der  Wert  des  Jahreser- 
trags ist  um  den  Gewinn  dieses  einen  geringer.  Die 
Seeleute  oder  Frachtführer,  die  er  beschäftigt,  können 
ohne  Unterschied  seinem  Lande  oder  jenem  oder  einem 
dritten  Lande  angehören.  Das  Kapital  eines  Fremden 
verleiht  den  überschüssigen  Produkten  des  Volks  durch 
ihren  Austausch  gegen  andere  Dinge,  für  die  im  Lande 
Nachfrage  besteht,  ebenso  gut  einen  Wert,  wie  das 
eines  Einheimischen.  Es  erstattet  das  Kapital  des- 
jenigen, der  den  Überschuß  erzeugt,  ebensogut  zurück 
und  ermöglicht  ihm  die  Fortführung  seiner  Geschäfte 
ebensogut.  Und  dies  ist  ja  der  Dienst,  durch  den 
das  Kapital  eines  Grossisten  hauptsächlich  dazu  bei- 
trägt, die  produktive  Arbeit  zu  unterstützen  und  den 
Wert  des  Jahresertrags  des  Volks,  dem  er  angehört, 
zu  erhöhen. 

Von  größerem  Belang  ist  es,  ob  das  Kapital  der 
Gewerbtreibenden  im  Lande  seinen  Sitz  hat.  Es  setzt 
in  diesem  Falle  notwendig  eine  größere  Menge  produk- 
tiver Arbeit  in  Bewegung,  und  fügt  dem  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsertrage  der  Gesellschaft  einen  grö- 
ßeren Wort  hinzu.  Doch  kann  es  dem  Lande  immer- 
hin sehr  nützlich  sein,  wenn  es  auch  nicht  in  ihm 
seinen  Sitz  hat.     Die  Kapitalien  der  britischen  Fabri- 


124  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

kanten,  die  den  jährlich  von  den  baltischen  Küsten 
zugeführten  Flachs  und  Hanf  verarbeiten,  sind  den 
Ländern,  wo  er  erzeugt  wird,  gewiß  sehr  nützlich. 
Diese  Rohstoffe  sind  ein  Teil  des  überschüssigen  Pro- 
duktes jener  Länder,  der,  wenn  er  nicht  jährlich  gegen 
Dinge,  die  man  dort  begehrt,  vertauscht  würde,  keinen 
Wert  hätte,  und  bald  gar  nicht  mehr  erzeugt  werden 
würde.  Die  Kaufleute,  die  ihn  ausführen,  erstatten 
die  Kapitalien  derer  zurück,  die  ihn  hervorbringen, 
und  ermuntern  sie  dadurch,  den  Anbau  fortzusetzen ; 
und 'den  Kaufleuten  wird  von  britischen  Fabrikanten 
ihr  Kapital  zurückerstattet. 

Ein  Land  kann  ebenso,  wie  eine  Person,  oft  nicht 
Kapital  genug  haben,  um  sowohl  alle  seine  Ländereien 
anzubauen,  als  auch  seine  ganzen  Rohprodukte  zu  ver- 
arbeiten und  den  überschüssigen  Teil  der  rohen  oder 
verarbeiteten  Produkte  auf  die  entfernten  Märkte  zu 
bringen,  wo  er  gegen  andere  daheim  begehrte  Waren 
vertauscht  werden  kann.  Die  Bewohner  vieler  Teile 
Großbritanniens  haben  nicht  Kapital  genug,  um  all" 
ihre  Ländereien  anzubauen.  Die  Wolle  der  südlichen 
Gi-rafschaften  Schottlands  wird  großenteils,  nach  einer 
langen  Landfracht  auf  jämmerlichen  Straßen,  in  York- 
shire verarbeitet,  weil  es  am  Erzeugungsorte  an  Kapital 
zur  Verarbeitung  gebricht.  Auch  gibt  es  in  Groß- 
britannien viele  kleine  Fabrikstädte,  deren  Einwohner 
nicht  Kapital  genug  haben,  um  die  Erzeugnisse  ihrer 
Industrie  auf  die  entfernten  Märkte  zu  schaffen,  wo 
Nachfrage  danach  und  Verbrauch  davon  ist.  Wenn 
es  einige  Kaufleute  unter  ihnen  gibt,  so  sind  diese 
eigentlich  doch  nur  die  Agenten  reicherer  Kaufleute, 
die  in  größeren  Handelsstädten  wohnen. 

Wenn  das  Kapital  eines  Landes  nicht  zu  allen 
drei  Zwecken  hinreicht,  so  wird  die  Menge  produktiver 
Arbeit,  die  es  innerhalb  des  Landes  in  Gang  setzt,  um 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  125 

SO  größer  und  der  Wert,  den  es  dem  jährlichen  Boden- 
und  Arbeitsertrage  der  Gesellschaft  hinzufügt,  desto 
höher  sein,  je  mehr  Kapital  auf  die  Landwirtschaft 
verwendet  wird.  Nächst  der  Landwirtschaft  setzt  das 
in  der  Industrie  angelegte  Kapital  die  grüI5te  Menge 
produktiver  Arbeit  in  Bewegung,  und  fügt  dem  Jahres- 
ertrag den  größten  Wert  hinzu.  Das  im  Ausfuhr- 
handel angelegte  Kapital  hat  unter  allen  dreien  die 
geringste  Wirkung. 

Das  Land,  das  nicht  hinreichendes  Kapital  für  alle 
drei  Zwecke  besitzt,  ist  allerdings  noch  nicht  zu  dem 
Grade  von  Wohlstand  gelangt,  für  den  es  von  der 
Natur  bestimmt  scheint.  Allein  der  Versuch,  vorzeitig 
und  mit  unzureichendem  Kapital  alle  drei  Zwecke  zu 
verfolgen,  wäre  freilich  für  ein  Volk  ebensowenig  wie 
für  einen  Einzelnen  der  kürzeste  Weg,  ein  hinläng- 
liches Kapital  zu  gewinnen.  Das  Kapital  aller  Indivi- 
duen einer  Nation  hat  gerade  so,  wie  das  eines  Ein- 
zelnen, seine  Grenzen,  und  vermag  nur  gewisse  Zwecke 
zu  erfüllen.  Auch  nimmt  das  Kapital  aller  Individuen 
einer  Nation  ebenso,  wie  das  eines  Einzelnen,  nur  durch 
langsame  Anhäufung  der  Ersparnisse  aus  ihren  Ein- 
künften zu,  und  wird  daher  wahrscheinlich  am  schnell- 
sten zunehmen,  wenn  es  so  angelegt  wird,  daß  es  allen 
Einwohnern  des  Landes  das  größte  Einkommen  liefert, 
da  sie  dann  imstande  sind,  die  größten  Ersparnisse  zu 
machen.  Das  Einkommen  aller  Einwohner  eines  Landes 
richtet  sich  aber  notwendig  nach  dem  Werte  des  jähr- 
lichen Ertrags  ihres  Bodens  und  ihrer  Arbeit. 

Die  Hauptursache  des  schnellen  Fortschritts  unsrer 
amerikanischen  Kolonien  zu  Reichtum  und  Größe  war 
die,  daß  sie  bisher  fast  alle  ihre  Kapitalien  auf  die 
Landwirtschaft  verwendeten.  Sie  haben  auI3er  jenen 
aufs  Haus  beschränkten  und  gröberen  Gewerben,  die 
notwendig  den  Fortschritt  des  Ackerbaus  begleiten 
und  die  Beschäftigung   der  Weiber  und  Kinder   aller 


126  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Familien  bilden,  keine  Manufakturen.  Der  größere  Teil 
ihres  Ausfuhr-  und  Küstenhandels  wird  mit  den  Ka- 
pitalien von  Kaufleuten  betrieben,  die  in  Großbritannien 
wohnen.  In  einigen  Provinzen,  besonders  in  Virginien 
und  Maryland,  gehören  selbst  die  Speicher  und  Waren- 
häuser der  Detaillisten  großenteils  Kaufleuten,  die  im 
Mutterlande  wohnen,  und  bieten  eines  der  wenigen  Bei- 
spiele dar,  wie  der  Kleinhandel  eines  Volks  mit  den 
Kapitalien  von  Leuten  betrieben  wird,  die  nicht  seine 
ansässigen  Glieder  sind.  Wollten  die  Amerikaner  durch 
Koalition  oder  andere  gewaltsame  Mittel  die  Einfuhr 
europäischer  Manufakturwaren  hemmen,  denjenigen 
ihrer  Landsleute,  welche  dieselben  Waren  herstellen 
könnten,  ein  Monopol  geben  und  so  einen  großen  Teil 
ihres  Kapitals  in  diese  Erwerbszweige  lenken,  so  würden 
sie  die  weitere  Zunahme  im  Werte  ihres  Jahresertrags 
verzögern,  statt  ihn  zu  beschleunigen,  und  den  Fort- 
schritt ihres  Landes  zu  wahrem  Reichtum  und  wahrer 
Größe  hemmen,  statt  ihn  zu  befördern.  Dies  würde 
noch  mehr  der  Fall  sein,  wenn  sie  es  versuchten,  in 
derselben  Weise  ihren  gesamten  Ausfuhrhandel  zu 
monopolisieren. 

Der  Aufschwung  eines  Volkes  scheint  in  der  Tat 
fast  niemals  so  lange  angedauert  zu  haben,  um  ein 
großes  Land  für  alle  drei  Zwecke  hinreichende  Kapita- 
lien erwerben  zu  lassen;  man  müßte  denn  den  wunder- 
baren Erzählungen  von  dem  Reichtum  und  der  Kultur 
Chinas,  des  alten  Egyptens  und  von  dem  früheren  Zu- 
stande Hindostans  Glauben  schenken.  Selbst  diese  drei 
Länder,  nach  allen  Berichten  die  reichsten,  die  es  je- 
mals gegeben  hat,  sind  vorzugsweise  wegen  der  hohen 
Stufe  ihrer  Landwirtschaft  und  Industrie  berühmt ;  da- 
gegen ragten  sie  im  auswärtigen  Handel  keineswegs 
hervor.  Die  alten  Egypter  hatten  einen  abergläubischen 
Widerwillen  gegen  das  Meer;  ein  ganz  ähnlicher  Aber- 
glaube herrschte  unter  den  Indiern;  und  die  Chinesen 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  127 

zeichneten  sich  niemals  im  auswärtigen  Handel  aus. 
Die  meisten  überschüssigen  Produkte  dieser  drei  Länder 
scheinen  von  jeher  durch  Ausländer  ausgeführt  worden 
zu  sein,  die  ihnen  dafür  andere  Dinge,  wonach  dort 
Begehr  war,  am  häufigsten  Gold  und  Silber,  in  Tausch 
gaben. 

Gleiche  Kapitalien  werden  also  in  einem  Lande 
je  nach  dem  Verhältnis,  in  denen  sie  im  Ackerbau, 
in  den  Gewerben  und  im  Großhandel  angelegt  sind, 
eine  größere  oder  geringere  Menge  produktiver  Arbeit 
in  Bewegung  setzen  und  den  Wert  des  Jahresertrags 
seines  Bodens  und  seiner  Arbeit  mehr  oder  minder 
erhöhen.  Auch  ist  der  Unterschied  je  nach  den  ver- 
schiedenen Zweigen  des  Großhandels,  in  denen  ein 
Teil  davon  angelegt  ist,  sehr  bedeutend. 

Aller  Großhandel,  alles  Kaufen  zum  Zweck  des 
Wiederverkaufs  im  Großen,  läßt  sich  auf  drei  Gattun- 
gen zurückführen:  den  Binnenhandel,  den  auswärtigen 
Handel  für  den  Verbrauch  und  den  Zwischenhandel. 
Der  Binnenhandel  kauft  die  Produkte  des  Gewerb- 
fleißes in  einer  Gegend  des  Landes  und  verkauft  sie 
in  der  andern;  er  umfaßt  sowohl  den  Innern  als  den 
Küstenhandel.  Der  auswärtige  Handel  für  den  Ver- 
brauch kauft  fremde  Waren  für  den  inländischen  Ver- 
brauch. Der  Zwischenhandel  vermittelt  den  Verkehr 
fremder  Länder,  d.  h.  er  führt  die  überschüssigen  Pro- 
dukte des  einen  dem  andern  zu. 

Das  Kapital,  das  dazu  dient,  in  einem  Teile  des 
Landes  die  Produkte  des  heimischen  Gewerbfleißes  zu 
kaufen,  um  sie  im  andern  zu  verkaufen,  ersetzt  durch 
jede  solche  Tätigkeit  in  der  Regel  zwei  gesonderte  Ka- 
pitalien, die  beide  im  Ackerbau  oder  in  der  Industrie 
des  Landes  angelegt  waren,  und  macht  es  ihnen  da- 
durch möglich,  in  dieser  Anlage  zu  verbleiben.  So  oft 
es  dem  Kaufmann  zur  Entsendung  einer  Partie  Waren 
dient,  bringt  es  gewöhnlich  einen  mindestens  gleichen 


228  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

Wert  in  anderen  Waren  zurück.  Sind  beide  Produkte 
des  einheimischen  Gewerbfleißes,  so  ersetzt  das  Kapital 
notwendig  mit  jeder  solchen  Tätigkeit  zwei  verschie- 
dene Kapitalien,  die  beide  zum  Unterhalt  produktiver 
Arbeit  dienten  und  es  dadurch  einander  möglich 
machten,  dies  auch  ferner  zu  tun.  Das  Kapital,  das 
schottische  Manufakturwaren  nach  London  sendet  und 
englisches  Getreide  und  englische  Manufakturwaren 
nach  Edinburgh  zurückbringt,  ersetzt  notwendig  durch 
jede  solche  Tätigkeit  zwei  britische  Kapitalien,  die 
beide  in  der  Landwirtschaft  oder  in  der  Industrie 
Großbritanniens  angelegt  waren. 

Auch  das  zum  Kauf  ausländischer  Waren  für  den 
heimischen  Verbrauch  verwendete  Kapital  ersetzt,  wenn 
dieser  Kauf  mit  Landeserzeugnissen  bestritten  wird, 
durch  jede  solche  Tätigkeit  zwei  verschiedene  Kapi- 
talien; aber  nur  eins  von  ihnen  dient  zum  Unterhalt 
des  inländischen  Gewerbfleißes.  Das  Kapital,  das  bri- 
tische Waren  nach  Portugal  sendet  und  portugiesische 
nach  Großbritannien  zurückbringt,  ersetzt  durch  jede 
solche  Tätigkeit  nur  ein  britisches  Kapital.  Das  andere 
ist  ein  portugiesisches.  Wenn  daher  auch  der  Umsatz 
im  auswärtigen  Handel  eben  so  rasch  wie  im  inländi- 
schen sein  sollte,  so  gewährt  er  dem  Gewerbfleiß  oder 
der  produktiven  Arbeit  des  Landes  doch  nur  halb  so 
viel  Ermutigung. 

Die  Erträge  des  auswärtigen  Handels  gehen  aber 
nur  selten  so  schnell  ein,  wie  die  des  Binnenhandels. 
Die  Erträge  des  letzteren  gehen  gewöhnlich  vor  Ende 
des  Jahres  und  zuweilen  drei  bis  vier  mal  im  Jahre,  die 
Erträge  des  auswärtigen  Handels  dagegen  selten  vor 
Ende  des  Jahres  und  manchmal  erst  nach  zwei  oder 
drei  Jahren  ein.  Ein  im  Binnenhandel  angelegtes  Kapital 
macht  daher  oft  zwölf  Umschläge  oder  geht  zwölf  Mal 
hin  und  her,  ehe  ein  im  auswärtigen  Handel  angelegtes 
einen  einzigen  gemacht  hat.    Sind  also  beide  Kapitalien 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  129 

gleich  groß,  so  gewährt  das  eine  dem  Gewerbfleiß  des 
Landes  vierundzwanzig  Mal  mehr  Aufmunterung  und 
Unterstützung  als  das  andere. 

Die  ausländischen  Waren  für  den  inländischen 
Verbrauch  werden  häufig  nicht  mit  Produkten  des  hei- 
mischen Fleißes,  sondern  mit  anderen  ausländischen 
"Waren  gekauft.  Diese  letzteren  jedoch  müssen  entweder 
unmittelbar  mit  den  Erzeugnissen  des  heimischen  Fleißes 
oder  mit  sonst  etwas,  was  mit  diesen  erkauft  wurde,  ge- 
kauft worden  sein ;  denn  abgesehen  von  Krieg  und  Er- 
oberung können  ausländische  Waren  nie  anders  erwor- 
ben werden,  als  durch  Tausch  für  etwas,  das  im  Lande, 
sei  es  unmittelbar  oder  nach  zwei  oder  mehreren  ver- 
schiedenen Umsätzen,  produziert  worden  ist.  Die  Wir- 
kungen des  in  einem  weitschweifigen  Außenhandel  an- 
gelegten Kapitals  sind  mithin  in  jeder  Hinsicht  die 
nämlichen,  wie  die  eines  im  direktesten  Handel  der 
Art  angelegten,  nur  daß  die  schließlichen  Erträge  wohl 
noch  später  eingehen,  da  sie  von  den  Erträgen  zweier 
oder  dreier  verschiedener  auswärtiger  Umsätze  abhän- 
gen. Wenn  der  Flachs  und  Hanf  ßigas  mit  dem  Tabak 
Virginiens  gekauft  wird,  der  seinerseits  mit  britischen 
Manufaktur  waren  gekauft  wurde,  so  muß  der  Kauf- 
mann auf  die  Einnahmen  zweier  auswärtiger  Umsätze 
warten,  ehe  er  dasselbe  Kapital  zum  erneuten  Ankauf 
einer  gleichen  Menge  britischer  Manufakturwaren  ver- 
wenden kann.  Falls  der  virginische  Tabak  nicht  mit 
britischen  Manufaktur  waren,  sondern  mit  Bum  und 
Zucker  von  Jamaika,  der  selbst  erst  für  jene  Manu- 
fakturwaren eingehandelt  wurde,  gekauft  worden  ist, 
muß  er  auf  die  Eingänge  von  drei  Umsätzen  warten. 
Würden  diese  zwei  oder  drei  auswärtigen  Umsätze  von 
zwei  oder  drei  Kaufleuten  gemacht,  von  denen  der 
zweite  die  vom  ersten,  und  der  dritte  die  vom  zweiten 
eingeführten  Waren    behufs  Wiederausfuhr    kauft,    so 

All  am  Smith,  Volkswublstaml.   II.  !> 


I3Q  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

würde  allerdings  jeder  die  Erträge  seines  Kapitals  schnel- 
ler erhalten;  aber  die  schließlichen  Eingänge  vom  ganzen 
in  dem  Geschäft  angelegten  Kapital  würden  gerade  so 
langsam  sein,  wie  sonst.  Ob  das  gesamte  in  einem  so 
weitschweifigen  Handel  angelegte  Kapital  einem  oder 
drei  Kaufleuten  gehört,  kann  für  das  Land  keinen 
Unterschied  machen,  sondern  nur  für  die  einzelnen 
Kaufleute.  In  beiden  Fällen  wird  ein  dreimal  größeres 
Kapital  gebraucht,  um  einen  gewissen  Betrag  britischer 
Manufakturwaren  gegen  eine  gewiße  Menge  Flachs 
und  Hanf  umzutauschen,  als  nötig  gewesen  wäre,  wenn 
die  Manufakturwaren  und  der  Flachs  und  Hanf  un- 
mittelbar gegen  einander  vertauscht  worden  wären. 
Das  in  einem  so  weitschweifigen  Außenhandel  angelegte 
Gesamtkapital  gewährt  deshalb  der  produktiven  Arbeit 
des  Landes  gewöhnlich  weniger  Aufmunterung  und 
Unterstützung,  als  ein  gleich  großes  Kapital,  das  auf 
einen  mehr  direkten  Handel  derselben  Art  verwendet 
wird. 

Welche  ausländische  Ware  es  auch  sei,  mit  der 
die  ausländischen  Waren  für  den  innern  Verbrauch  ge- 
kauft werden,  ein  wesentlicher  Unterschied  kann  da- 
durch weder  in  der  Natur  des  Handels,  noch  in  der 
Aufmunterung  und  Unterstützung,  die  er  der  produk- 
tiven Arbeit  des  ihn  betreibenden  Landes  gewährt,  herbei- 
geführt werden.  Wird  sie  z.  B.  mit  dem  Golde  Bra- 
siliens oder  dem  Silber  Perus  gekauft,  so  muß  dies 
Gold  und  Silber  ebenso  wie  der  virginische  Tabak 
mit  etwas  gekauft  worden  sein,  das  entweder  ein  Produkt 
des  Landes,  oder  mittelst  eines  solchen  bezahlt  war. 
Soweit  also  die  produktive  Arbeit  des  Landes  in  Betracht 
kommt,  hat  der  mittelst  Gold  und  Silber  betriebene 
Außenhandel  die  Vorteile  und  Nachteile  jedes  anderen 
weitschweifigen  Außenhandels,  und  erstattet  das  Kapi- 
tal, das  unmittelbar  zui-  Unterstützung  dieser  produk- 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanla,o-en.  jßx 

tiven  Arbeit  verwendet  wurde,  nicht  schneller  und 
nicht  langsamer  zurück.  Einen  Vorzug  scheint  er 
allerdings  vor  jedem  anderen  gleich  weitschweifigen 
Außenhandel  zu  haben.  Die  Versendung  jener  Metalle 
von  einem  Orte  zum  andern  ist  wegen  ihres  geringeren 
Umfangs  und  größeren  Werts  weniger  kostspielig,  als 
die  Versendung  fast  aller  anderen  auswärtigen  Waren 
von  gleichem  Werte.  Ihre  Frachtkosten  sind  weit  ge- 
ringer, und  ihre  Versicherungskosten  nicht  größer; 
überdies  leiden  sie  weniger  als  irgend  eine  andere 
Ware  durch  den  Transport.  Man  kann  daher  durch 
Vermittelung  von  Gold  und  Silber  eine  gleiche  Menge 
ausländischer  Waren  oft  mit  einer  kleineren  Menge 
einheimischer  Erzeugnisse  kaufen,  als  durch  Vermit- 
telung einer  anderen  ausländischen  Ware;  die  Nachfrage 
des  Landes  kann  daher  in  dieser  Weise  vollständiger 
und  mit  weniger  Kosten  befriedigt  werden,  als  in  jeder 
andern.  Ob  ein  Handel  dieser  Art  durch  die  beständige 
Ausfuhr  jener  Metalle  das  Land,  von  dem  er  betrieben 
wird,  in  andrer  Beziehung  arm  machen  kann,  werde 
ich  später  ausführlich  zu  untersuchen  haben. 

Der  im  Zwischenhandel  angelegte  Teil  der  Kapi- 
talien eines  Landes  unterstützt  nicht  die  produktive 
Arbeit  dieses  Landes,  sondern  diejenige  anderer.  Er 
kann  zwar  durch  jede  Tätigkeit  zwei  verschiedene  Kapi- 
talien wiedererstatten,  aber  keines  von  ihnen  gehört 
diesem  Lande.  Das  Kapital  des  holländischen  Kauf- 
manns, das  polnisches  Getreide  nach  Portugal  schafft 
und  die  Früchte  und  Weine  Portugals  zurückbringt, 
erstattet  durch  jede  solche  Tätigkeit  zwei  Kapitalien 
wieder,  von  denen  keines  zur  Unterstützung  der  pro- 
duktiven Arbeit  Hollands  verwendet  ist,  sondern  eines 
zur  Unterstützung  derjenigen  Polens,  das  andere  zu  der- 
jenigen Portugals.    Nur  die  Gewinne  kehren  regelmäßig 

nach  Holland  zurück  und  bilden  den  ganzen  Zuwachs, 

9:5: 


j^32  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

den  dieser  Handel  dem  jährlichen  Boden-  und  Arbeits- 
ertrage dieses  Landes  verschafft.  Wenn  freilich  der 
Zwischenhandel  eines  Landes  mit  den  eigenen  Schiffen 
und  Seeleuten  betrieben  wird,  so  verteilt  sich  der  darin 
angelegte  Teil  des  Kapitals,  der  die  Fracht  zahlt,  unter 
eine  gewiße  Zahl  produktiver  Arbeiter  dieses  Landes. 
Fast  alle  Nationen,  die  einen  beträchtlichen  Frachthandel 
trieben,  haben  ihn  tatsächlich  so  betrieben,  und  wahr- 
scheinlich hat  der  Handel  selbst  seinen  Namen  davon 
erhalten,  daß  die  Bewohner  solcher  Länder  die  Fracht- 
führer für  andere  Länder  sind.  Doch  ist  diesem  Handel 
ein  derartiger  Betrieb  nicht  unbedingt  wesentlich.  Ein 
holländischer  Kaufmann  kann  z.  B.  sein  Kapital  in  der 
Verkehrsvermittelung  zwischen  Polen  und  Portugal  an- 
legen und  einen  Teil  der  überschüssigen  Produkte  des 
einen  dem  andern  nicht  in  holländischen,  sondern  in 
britischen  Fahrzeugen  zuführen.  In  manchen  Fällen 
geschieht  dies  wirklich.  Man  hat  deshalb  gemeint,  der 
Zwischenhandel  sei  für  Länder  wie  Großbritannien, 
dessen  Verteidiguno;  und  Sicherheit  auf  der  Zahl  seiner 
Seeleute  und  Schiffe  beruht,  besonders  vorteilhaft. 
Allein  das  gleiche  Kapital  kann  im  Außenhandel  und 
selbst  in  der  einheimischen  Küstenschiffahrt  ebenso  viele 
Seeleute  und  Schiffe  beschäftigen,  als  im  Zwischenhandel. 
Die  Zahl  der  Seeleute  und  Schiffe,  die  ein  Land  zu 
beschäftigen  vermag,  hängt  nicht  von  der  Natur  des 
Handels,  sondern  teils  vom  Verhältnis  des  Umfangs  der 
Waren  zu  ihrem  Werte,  teils  von  der  Entfernung  der 
Häfen,  zwischen  denen  die  Waren  hin  und  her  gehen, 
ab,  und  zwar  hauptsächlich  von  dem  ersteren  dieser 
Umstände.  Der  Kohlenhandel  von  Newcastle  nach 
London  beschäftigt  z.  B.  mehr  Schiffe,  als  der  ganze 
Zwischenhandel  Englands,  obgleich  beide  Häfen  nicht 
weit  von  einander  entfernt  sind.  Die  Rhederei  eines 
Landes    wird    daher    nicht    immer  notwendig  dadurch 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  133 

vermehrt  werden,  daß  man  durch  besondere  Aufmun- 
terung einen  größeren  Teil  des  Kapitals  in  den  Zwischen- 
handel drängt,  als  ihm  naturgemäß  zufließen  würde. 

Das  im  Binnenhandel  angelegte  Kapital  eines  Lan- 
des wird  also  in  der  Regel  einer  größeren  Menge  pro- 
duktiver Arbeit  Aufmunterung  und  Unterstützung  ge- 
währen, und  den  Wert  seines  Jahresertrags  mehr 
erhöhen,  als  ein  gleich  großes  im  auswärtigen  Handel 
angelegtes  Kapital;  und  das  auf  letztere  Art  angelegte 
Kapital  ist  wiederum  in  beiden  Beziehungen  vorteil- 
hafter, als  ein  gleich  großes  im  Zwischenhandel  angeleg- 
tes Kapital.  Der  Reichtum  und,  sofern  Macht  vom 
Reichtum  abhängt,  die  Macht  eines  jeden  Landes  rich- 
tet sich  stets  nach  dem  Wert  seines  Jahresertrags  — 
des  Fonds,  aus  welchem  alle  Steuern  schließlich 
bestritten  wei'den  müssen.  Das  große  Ziel  der  poli- 
tischen Ökonomie  aller  Länder  besteht  aber  darin,  den 
Reichtum  und  die  Macht  des  Landes  zu  vermehren. 
Sie  sollte  daher  dem  auswärtigen  Handel  keinen  Vor- 
zug geben  oder  ihn  mehr  ermuntern  als  den  inländischen, 
noch  den  Zwischenhandel  mehr  als  die  beiden  andern. 
Sie  sollte  in  keinen  dieser  beiden  Kanäle  einen  größeren 
Teil  des  Nationalkapitals  drängen  oder  locken,  als 
naturgemäß  von  selbst  hineinfließen  würde. 

Jeder  dieser  Handelszweige  ist  jedoch  nicht  nur 
vorteilhaft,  sondern  auch  notwendig  und  unausbleib- 
lich, wenn  der  Lauf  der  Dinge  ohne  Zwang  oder  Ge- 
waltsamkeit ihn  auf  natürliche  Weise  einführt. 

Wenn  die  Produkte  eines  besonderen  Industriezwei- 
ges den  Bedarf  des  Landes  übersteigen,  so  muß  der 
Überschuß  ins  Ausland  gesendet  und  gegen  etwas  ver- 
tauscht werden,  wonach  im  Lande  Nachfrage  ist. 
Ohne  eine  solche  Ausfuhr  müßte  ein  Teil  der  produk- 
tiven Arbeit  des  Landes  aufhören,  und  der  Wert  seines 
Jahresertrages  sich  vermindern.    Großbritanniens  Boden 


134  Zweites  Buch:  Das  Kapital. 

und  Arbeit  bringt  gewöhnlich  mehr  Getreide,  Wollen- 
und  Eisenwaren  hervor,  als  der  Bedarf  des  inneren 
Marktes  erfordert.  Der  Überschuß  muß  daher  ins  Aus- 
land gesendet  und  gegen  etwas  vertauscht  werden, 
wonach  im  Lande  Nachfrage  ist.  Nur  durch  solche 
Ausfuhr  kann  jener  Überschuß  einen  hinlänglichen 
Wert  erhalten,  um  die  Arbeit  und  Kosten  der  Produk- 
tion einzubringen.  Die  Küstengegenden  und  die  Ufer 
schiffbarer  Flüsse  bieten  nur  deshalb  der  Industrie  eine 
vorteilhafte  Lage  dar,  weil  sie  die  Ausfuhr  und  den 
Austausch  solcher  überschüssigen  Produkte  gegen  an- 
dere, die  im  Lande  mehr  begehrt  sind,  erleichtern. 

Wenn  die  ausländischen  Waren,  die  so  mit  den 
überschüssigen  Produkten  des  heimischen  Fleißes  ge- 
kauft wurden,  die  Nachfrage  des  inländischen  Marktes 
übersteigen,  so  muß  der  Überschuß  wieder  ins  Ausland 
gesendet  und  gegen  etwas  vertauscht  werden,  wonach 
mehr  Nachfrage  im  Lande  ist.  Alljährlich  werden  un- 
gefähr 96000  Oxhoft  Tabak  in  Virginien  und  Maryland 
mit  überschüssigen  Produkten  des  britischen  Fleißes 
gekauft;  die  Nachfrage  Großbritanniens  jedoch  erfordeit 
kaum  14,000.  Wenn  also  die  übrigen  82,000  nicht  ins 
Ausland  geschickt  und  gegen  etwas,  v^-onach  mehr 
Nachfrage  im  Lande  ist,  vertauscht  würden,  so  müßte 
ihre  Einfuhr  sofort  aufhören,  und  mit  ihr  auch  die 
produktive  Arbeit  aller  der  Einwohner  Großbritanniens, 
die  gegenwärtig  mit  Herstellung  der  Waren  beschäftigt 
sind,  womit  die  82,000  Oxhoft  jährlich  gekauft  werden. 
Diese  Waren,  die  ein  Teil  vom  Boden-  und  Arbeits- 
produkte Großbritanniens  sind,  haben  im  Lande  selbst 
keinen  Mai'kt,  und  würden,  wenn  sie  auch  des  auslän- 
dischen Marktes  beraubt  wären,  nicht  mehr  hervorge- 
bracht werden  können.  Selbst  der  weitschweifigste 
Außenhandel  kann  mithin  in  manchen  Fällen  zur  Un- 
terstützung  der   produktiven   Arbeit   des   Landes    und 


Kap.  v.:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  135 

zur  Erhöhung  des  Betrages  seiner  Jahresproduktion  eben- 
so notwendig  sein,  als  der  direkteste. 

Wenn  der  Kapitalvorrat  eines  Landes  sich  bis  zu 
dem  Grade  vermehrt  hat,  daß  er  in  der  Beschaffung 
des  Bedarfs  und  in  der  Unterstützung  der  produktiven 
Arbeit  des  Landes  nicht  mehr  volle  Beschäftigung 
findet,  so  bemächtigt  sich  der  Überschuß  ganz  von  selbst 
des  Zwischenhandels,  und  verrichtet  dieselben  Dienste 
für  fremde  Länder.  Der  Zwischenhandel  ist  die  natür- 
liche Wirkung  und  das  Symptom  eines  großen  Volks- 
wohlstandes, scheint  aber  nicht  seine  natürliche  Ursache 
zu  sein.  Staatsmänner,  die  ihn  durch  besondere  Auf- 
munterang begünstigen  wollten,  scheinen  die  Wirkung 
und  das  Symptom  irrtümlich  als  Ursache  betrachtet 
zu  haben.  Holland  im  Verhältnis  zu  seiner  Gebiets- 
ausdehnung und  Einwohnerzahl  bei  weitem  das  reichste 
europäische  Land,  hat  demgemäß  den  größten  Zwischen- 
handel in  Europa.  England,  wohl  das  zweitreichste 
Land  Europas,  wird  gleichfalls  als  stark  daran  beteiligt 
angesehen,  wiewohl  bei  näherer  Betrachtung  sein  soge- 
nannter Zwischenhandel  nur  ein  weitschweifiger  Außen- 
handel für  den  Konsum  sein  dürfte.  Von  dieser  Art 
sind  großenteils  die  Geschäfte,  die  die  Waren  Ost-  und 
Westindiens  sowie  Amerikas  nach  den  verschiedenen 
europäischen  Märkten  befördern.  Diese  Waren  werden 
in  der  Regel  entweder  unmittelbar  mit  Erzeugnissen 
britischen  Fleißes  oder  mit  anderen  durch  sie  bezahlten 
Waren  gekauft,  und  die  schließlichen  Eingänge  dieser 
Geschäfte  w^erden  fast  immer  in  Großbritannien  gebraucht 
und  verzehrt.  Der  in  britischen  Schiffen  zwischen  den 
verschiedenen  Häfen  des  Mittelmeeres  und  der  in  gleicher 
Weise  von  britischen  Kaufleuten  zwischen  den  verschie- 
denen Häfen  Indiens  betriebene  Handel  bilden  wohl 
die  Hauptzweige  des  eigentlichen  Zwischenhandels  von 
Großbritannien. 


136  Zweites  Bucli:  Das  Kapital. 

Der  Umfang  des  Binnenhandels  und  des  Kapitals, 
das  darin  angelegt  werden  kann,  findet  notwendig  seine 
Grenze  an  dem  Werte  der  überschüssigen  Produkte 
aller  der  Plätze  im  Lande,  die  ihre  Produkte  mit  ein- 
ander austauschen ;  der  Umfang  des  auswärtigen  Handels 
für  den  Konsum  an  dem  Betrage  der  überschüssigen 
Produkte  des  ganzen  Landes  und  dessen,  was  damit 
gekauft  werden  kann ;  der  Umfang  des  Zwischenhandels 
am  Betrage  der  überschüssigen  Produkte  aller  Länder 
der  Welt.  Sein  möglicher  Umfang  ist  daher  im  Ver- 
gleich mit  dem  der  beiden  anderen  gewissermaßen  un- 
endlich, und  vermag  die  größten  Kapitalien  in  sich  auf- 
zunehmen. 

Die  Rücksicht  auf  den  eigenen  Gewinn  ist  der 
einzige  Beweggrund,  der  den  Besitzer  eines  Kapitals 
bestimmt,  es  im  Ackerbau,  in  der  Industrie  oder  in 
irgend  einem  Zweige  des  Groß-  oder  Kleinhandels 
anzulegen.  Die  verschiedenen  Mengen  produktiver 
Arbeit,  die  sein  Kapital  in  Bewegung  setzen,  und  die 
verschiedenen  Werte,  die  es  dem  jährlichen  Boden- 
und  Arbeitsertrage  des  Volks  hinzufügen  kann,  je  nach- 
dem er  das  Kapital  in  der  einen  oder  anderen  dieser 
drei  Arten  anwendet,  kommen  für  ihn  nicht  in  Betracht. 
Daher  werden  in  Ländern,  wo  die  Landwirtschaft  das 
gewinnreichste  Geschäft  und  Pachtung  und  Bodenkultur 
der  geradeste  Wog  zu  einem  glänzenden  Vermögen 
ist,  die  Kapitalien  der  Einzelnen  naturgemäß  in  der  für 
das  ganze  Volk  ersprieI51ichsten  Weise  verwendet  werden. 
Doch  scheinen  die  landwirtschaftlichen  Gewinne  in 
keinem  Teile  Europas  bedeutender  zu  sein,  als  in  an- 
deren Gewerben.  Zwar  haben  Spekulanten  seit  einigen 
Jahren  das  Publikum  an  allen  Ecken  mit  den  glänzend- 
sten Schilderungen  der  Gewinne  belustigt,  die  sich  durch 
Anbau  und  Verbesserung  des  Bodens  machen  ließen. 
Ohne  in  eine  Erörterung  ihrer  Rechnungen  einzugehen, 


Kap.  V:  Die  verschiedenen  Kapitalanlagen.  X37 

werden  wir  uns  durch  eine  sehr  einfache  Beobachtung 
überzeugen,  daß  ihr  Ergebnis  falsch  sein  muß.  Man 
sieht  täglich  die  glänzendsten  Vermögen,  die  im  Laufe 
eines  Menschenlebens  durch  Handel  und  Industrie  er- 
worben wurden,  und  zwar  oft  mit  einem  sehr  kleinen, 
ja  häufig  ohne  alles  Kapital.  Dagegen  ist  im  Laufe 
dieses  Jahrhunderts  vielleicht  kein  einziges  Beispiel 
in  Europa  vorgekommen,  daß  ein  solches  Vermögen 
in  gleicher  Zeitdauer  uud  mit  gleichem  Kapital  durch 
Landwirtschaft  erworben  worden  wäre.  Und  doch  liegt 
in  allen  großen  Ländern  Europas  noch  viel  gutes  Land 
unbebaut,  und  der  größere  Teil  des  bebauten  ist  weit 
davon  entfernt,  in  so  hohem  Maße  kultiviert  zu  sein,  als 
er  dessen  fähig  wäre.  Der  Ackerbau  ist  daher  fast 
überall  fähig,  ein  weit  größeres  Kapital  aufzunehmen, 
als  jemals  in  ihm  angelegt  worden  ist.  "Welche  Um- 
stände in  der  europäischen  Wirtschaftspolitik  den  in 
den  Städten  betriebenen  Gewerben  einen  so  großen 
Vorzug  vor  den  auf  dem  Lande  betriebenen  verschafft 
haben,  daß  es  Privatleute  oft  vorteilhafter  finden,  ihre 
Kapitalien  in  dem  entferntesten  Zwischenhandel  Asiens 
und  Amerikas  anzulegen,  als  zur  Verbesserung  und 
Kultur  der  fruchtbarsten  Ländereien  in  ihrer  nächsten 
Umgebung,  will  ich  in  den  beiden  folgenden  Büchern 
ausführlich  zu  erläutern  suchen. 


Drittes  Buch. 

Die  verschiedenen  Fortschritte  zum  Reichtum 
bei  den  verschiedenen  Nationen. 

Erstes  Kapitel. 
Der  natürliche  Fortschritt  zum  Reichtum. 

Der  wichtigste  Verkehr  jeder  zivilisierten  Gesell- 
schaft ist  der,  welcher  zwischen  den  Stadtbewohnern 
und  den  Landleuten  geführt  wird.  Er  besteht  im 
Austausch  der  Rohprodukte  gegen  Fabrikate,  entweder 
unmittelbar,  oder  durch  Vermittelung  des  Geldes  oder 
gewisser  Geld  vertretender  Papiere.  Das  Land  versorgt 
die  Stadt  mit  Unterhaltsmitteln  und  Rohstoffen  für  die 
Fabrikation.  Die  Stadt  bezahlt  diese  Lieferungen  da- 
durch, daß  sie  den  Landbewohnern  einen  Teil  des 
verarbeiteten  Produkts  zurückschickt.  Von  der  Stadt, 
in  der  eine  Reproduktion  von  Substanzen  weder  statt- 
findet, noch  stattfinden  kann,  darf  man  mit  Recht  sa- 
gen, daß  sie  ihren  ganzen  Reichtum  und  ihren  Unter- 
halt vom  Lande  gewinnt.  Wir  dürfen  aber  deshalb 
nicht  glauben,  daß  der  Gewinn  der  Stadt  ein  Verlust 
für  das  Land  sei.  Beide  gewinnen  gegenseitig  und 
wechselseitig,  und  die  Teilung  der  Arbeit  ist  in  diesem, 
wie  in  allen  anderen  Fällen  vorteilhaft  für  alle  die  ver- 
schiedenen Personen,  die  in  den  mannigfaltigen  Be- 
schäftigungen, in  die  die  Arbeit  geteilt  ist,  Verwendung 
finden.  Die  Landbewohner  kaufen  von  der  Stadt  eine 
größere  Menge  von  Fabrikaten  mit  dem  Ertrage  einer 


Kap.  I:  Der  natürliche  Fortschritt  zum   Reichtum.      139 

viel  kleineren  Arbeitsmenge,  als  sie  aufwenden  müßten, 
wenn  sie  die  Fabrikate  selbst  zu  verfertigen  versuchten. 
Die  Stadt  bietet  einen  Markt  dar  für  den  überschüssigen 
Ertrag  des  Landes  oder  für  das,  was  über  den  Unter- 
halt der  Landwirte  selbst  erzeugt  wird;  und  in  der 
Stadt  vertauschen  die  Landbewohner  diesen  Überschuß 
gegen  andere  Artikel,  für  die  bei  ihnen  Nachfrage  be- 
steht. Je  größer  die  Zahl  und  das  Einkommen  der 
Stadtbewohner  ist,  einen  desto  ausgedehnteren  Markt 
bietet  die  Stadt  den  Landbewohnern  dar;  und  je  aus- 
gedehnter der  Markt  ist,  desto  vorteilhafter  ist  er  für 
eine  größere  Zahl  von  Personen.  Das  Korn,  das  eine 
Meile  von  der  Stadt  wächst,  wird  dort  für  denselben 
Preis  verkauft  wie  dasjenige,  das  aus  einer  Entfernung 
von  zwanzig  Meilen  kommt.  Allein  der  Preis  des 
letzteren  muß  im  Allgemeinen  nicht  nur  die  Kosten 
der  Pflanzung  und  der  Beförderung  auf  den  Markt 
decken,  sondern  auch  den  gewöhnlichen  Wirtschafts- 
gewinn für  den  Landwirt.  Deshalb  gewinnen  die  Eigen- 
tümer und  ßebauer  des  Landes,  das  in  der  Nähe  der 
Stadt  liegt,  in  dem  Preise  dessen,  was  sie  verkaufen, 
außer  dem  gewöhnlichen  Wirtschaftsgewinn  den  gan- 
zen Wert  der  Fracht  der  von  entfernteren  Gegenden 
zugeführten  Produkte;  und  sie  sparen  außerdem  in 
dem  Preise  dessen,  was  sie  verkaufen,  den  ganzen 
Wert  der  Fracht.  Man  vergleiche  die  Kultur  der  in 
der  in  der  Nähe  einer  großen  Stadt  liegenden  Ländereien 
mit  der  Kultur  entfernter,  und  man  wird  sich  leicht 
überzeugen,  wie  sehr  das  Land  durch  den  Verkehr 
mit  der  Stadt  gewinnt.  Bei  allen  absurden  Meinungen 
über  die  Handelsbilanz  ist  doch  noch  nie  behauptet 
worden,  daß  das  Land  durch  seinen  Verkehr  mit  der 
Stadt  oder  die  Stadt  durch  ihren  Verkehr  mit  dem  Lande 
verliere. 

Da  nach   der  Natur   der  Dingo   der  Lebensunter- 


140      Drittes  Bucli:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

halt  der  Bequemlichkeit  und  dem  Luxus  vorangeht,  so 
muß  notwendig  die  Industrie,  die  den  ersteren  herbei- 
schafft, älter  sein,  als  die,  die  für  die  letzteren  sorgt. 
Die  Bodenkultur,  die  die  Lebensmittel  schafft,  muß 
daher  notwendig  dem  Entstehen  der  Stadt,  die  nur  die 
Mittel  zu  Bequemlichkeit  und  Luxus  liefert,  vorangehen. 
Nur  die  überschüssigen  Produkte  des  Landes,  d.  h. 
diejenigen,  die  nach  Abzug  des  Unterhalts  seiner  Be- 
bauer  übrig  bleiben,  werden  zur  Ernährung  der  Stadt 
abgegeben,  deren  Zunahme  daher  mit  der  Zunahme 
jenes  Überschusses  gleichen  Schritt  halten  muß.  Aller- 
dings braucht  die  Stadt  nicht  immer  alle  ihre  Lebens- 
mittel vom  platten  Lande  der  Umgegend  oder  sogar 
nur  von  dem  Gebiete  zu  beziehen,  zu  dem  sie  gehört, 
sondern  kann  sie  aus  weit  entfernten  Ländern  erhalten ; 
und  dies  hat,  obschon  es  keine  Ausnahme  von  der 
allgemeinen  Regel  bildet,  in  verschiedenen  Zeiten  und 
Ländern  doch  beträchtliche  Abweichungen  im  Fortschritt 
des  "Wohlstandes  verursacht. 

Die  Ordnung  der  Dinge,  die  im  allgemeinen,  wenn 
auch  nicht  in  jedem  einzelnen  Lande,  durch  die  Not- 
wendigkeit aaferlegt  ist,  wird  überall  durch  die  natür- 
lichen Neigungen  des  Menschen  gefördert.  Hätten  nie- 
mals menschliche  Einrichtungen  diese  natürlichen  Nei- 
gungen durchkreuzt,  so  hätten  sich  die  Städte  nirgends 
über  das  Maß  vergrößern  können,  das  durch  die  Bo- 
denkultur des  umliegenden  Gebietes  vorgezeichnet  war, 
wenigstens  bis  dahin,  wo  dies  Gebiet  vollständig  kul- 
tiviert w^ar.  Bei  gleichen  oder  fast  gleichen  Gewinnen 
werden  es  die  meisten  Menschen  vorziehen,  ihr  Kapital 
lieber  in  der  Landwirtschaft,  als  in  der  Industrie  oder 
im  auswärtigen  Handel  anzulegen.  Wer  sein  Kapital 
in  Grundbesitz  anlegt,  hat  es  mehr  unter  Aufsicht  und 
zur  Verfügung,  und  sein  Vermögen  ist  weniger  Un- 
glücksfällen  ausgesetzt,   als   das   des  Händlers,   der  es 


Kap.  I:  Der  natürlirho  Fortschritt  zum  Reichtum.      141 

nicht  nur  Wind  und  Wellen,  sondern  auch  den  unsiche- 
reren Elementen  menschlicher  Torheit  und  Ungerech- 
tigkeit überlassen  muß,  indem  er  in  entfernten  Ländern 
Leuten  Kredit  gibt,  deren  Charakter  und  Lage  er  fast 
niemals  genau  kennt.  Das  Kapital  des  Grundherrn  da- 
gegen, das  in  dem  Anbau  des  Bodens  festgelegt  ist, 
scheint  so  gesichert  zu  sein,  als  es  überhaupt  die 
Natur  menschlicher  Angelegenheiten  erlaubt.  Die  Schön- 
heit der  Natur,  die  Freuden  des  Landlebens,  die  Ruhe 
des  Gemüts,  die  es  verspricht,  und  wo  nicht  die  Un- 
gerechtigkeit menschlicher  Gesetze  sie  stört,  die  Un- 
abhängigkeit, die  es  tatsächlich  gewährt,  sind  Reize, 
die  einen  jeden  mehr  oder  weniger  anziehen;  und  wie 
der  Bodenanbau  die  ursprüngliche  Bestimmung  des 
Menschen  war,  so  scheint  der  letztere  auf  jeder  Stufe 
seines  Daseins  eine  Vorliebe  für  diese  seine  erste  Be- 
schäftigung behalten  zu  haben. 

Ohne  den  Beistand  einiger  Handwerker  läßt  sich 
der  Landbau  allerdings  nur  in  sehr  unbequemer  Weise 
und  mit  beständigen  Unterbrechungen  betreiben. 
Schmiede,  Zimmerleute,  Rad-  und  Pflugmacher,  Maurer, 
Gerber,  Schuhmacher  und  Schneider  sind  Leute,  deren 
Dienste  der  Landmann  oft  gebraucht.  Nicht  minder 
bedürfen  diese  Handwerker  einander,  und  da  ihr  Wohn- 
platz nicht  wie  der  des  Landmanns  durchaus  an  einen 
bestimmten  Fleck  gebunden  ist,  so  lassen  sie  sich 
naturgemäß  in  gegenseitiger  Nähe  nieder  und  bilden 
so  eine  kleine  Stadt  oder  einen  Flecken.  Bald 
kommen  Schlächter,  Brauer,  Bäcker  und  viele  andere 
Handwerker  und  Krämer  hinzu,  die  zur  Versorgung 
mit  dem  Bedarf  jener  notwendig  oder  brauchbar  sind, 
und  die  Stadt  weiterhin  vergrößern.  So  dienen  die 
Stadt-  und  die  Landbewohner  einander  gegenseitig. 
Die  Stadt  bildet  einen  beständigen  Markt,  wohin  die 
Landleute  sich  begeben,  um  ihre  Produkte  gegen  Ge- 
werbserzeuanissc  umzusetzen.  Die  Einwohner  der  Stadt 


142     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

werden  durch  diesen  Verkehr  mit  dem  Material  für 
ihre  Arbeit  und  den  Mitteln  ihrer  Ernährung  versorgt. 
Die  Menge  veredelter  Arbeit,  die  sie  den  Land- 
leuten verkaufen,  bestimmt  notwendig  die  Menge  von 
Materialien  und  Lebensmitteln,  die  sie  kaufen.  Folglich 
kann  ihre  Beschäftigung  wie  ihr  Unterhalt  nur  in  dem 
Verhältnis  zunehmen,  wie  sich  die  Nachfrage  des  plat- 
ten Landes  nach  veredelter  Ware  vermehrt;  und  diese 
Nachfrage  kann  wiederum  nur  in  dem  Verhältnis  stei- 
gen, wie  sich  die  Kultur  des  Bodens  ausdehnt.  Hätten 
daher  menschliche  Einrichtungen  nie  störend  in  den 
natürlichen  Lauf  der  Dinge  eingegriffen,  so  würde  in 
allen  politischen  G-emeinschaften  die  steigende  Wohl- 
habenheit und  Vergrößerung  der  Städte  die  Folge  der 
Besserung  und  Kultur  des  Landes  gewesen  und  im 
Verhältnis  zu  dieser  Kultur  vorgeschritten  sein. 

In  unsern  nordamerikanischen  Kolonien,  wo  un- 
bebautes Land  noch  zu  leichten  Bedingungen  zu  haben 
ist,  sind  noch  in  keiner  Stadt  Gewerbe  für  den  aus- 
wärtigen Verkauf  eingerichtet  worden.  Wenn  dort 
ein  Handwerker  etwas  mehr  Kapital  gesammelt  hat, 
als  dazu  nötig  ist,  sein  Gewerbe  behufs  Versorgung 
der  Umgegend  zu  betreiben,  so  ist  er  nicht  versucht, 
damit  eine  Fabrik  für  entferntere  Umsätze  zu  errichten, 
sondern  er  verwendet  es  auf  den  Ankauf  und  die 
Kultur  unbebauter  Ländereien.  Aus  einem  Hand- 
werker wird  er  ein  Pflanzer,  und  wieder  der  hohe 
Arbeitslohn  noch  der  leichte  Unterhalt,  den  dies  Land 
den  Handwerkern  gewährt,  kann  ihn  bestechen,  lieber 
für  andere  Leute,  als  für  sich  selbst  zu  arbeiten.  Er 
fühlt,  daß  ein  Handwerker  der  Knecht  seiner  Kunden 
ist,  von  denen  er  seinen  Unterhalt  empfängt,  daß  da- 
gegen ein  Pflanzer,  der  sein  eignes  Land  bebaut  und 
seinen  Lebensunterhalt  durch  die  Arbeit  seiner  eigenen 
Familie  gewinnt,  tatsächlich  ein  Herr  und  von  aller 
Welt  unabhängig  ist. 


Kap.  I:  Der  natürliche  Fortschritt  zum  Reichtum.      143 

Dagegen  sucht  in  Ländern,  wo  entweder  unange- 
bautes  Land  nicht  mehr  vorhanden  oder  nicht  unter 
leichten  Bedingungen  zu  haben  ist,  jeder  Handwerker, 
der  mehr  Kapital  gesammelt  hat,  als  er  in  den  Geschäften 
der  Umgegend  verwenden  kann,  für  entfernte  Umsätze 
zu  arbeiten.  Der  Schmied  errichtet  eine  Eisenwaren-, 
der  Weber  eine  Leinen-  oder  Wollwaren-Fabrik.  Diese 
verschiedenen  Fabriken  verzweigen  sich  mit  der  Zeit 
immer  weiter,  und  vervollkommnen  und  verfeinern 
sich  daher  auf  die  mannigfachste  Art,  wie  es  leicht  be- 
greiflich ist  und  also  hier  nicht  weiter  auseinanderge- 
setzt zu  werden  braucht. 

Industrielle  Kapitalanlagen  werden  bei  gleichen 
oder  fast  gleichen  Gewinnen  natürlich  Anlagen  im 
auswärtigen  Handel  vorgezogen,  und  zwar  aus  dem- 
selben Grunde,  aus  dem  der  Ackerbau  der  Industrie 
vorgezogen  wird.  Wie  das  Kapital  des  Grundherrn 
oder  Pächters  sicherer  ist,  als  das  des  Industriellen, 
so  ist  das  des  letzteren,  da  er  es  immer  unter  Aufsicht 
und  zu  seiner  Verfügung  hat,  sicherer  als  das  Kapital 
des  Kaufmanns,  der  auswärtigen  Handel  treibt.  Zwar 
muß  auf  jeder  Entwicklungsstufe  jedes  Volks  der  über- 
schüssige Teil  der  rohen  oder  verarbeiteten  Produkte, 
d.  h.  derjenige,  wonach  im  Lande  selbst  keine  Nach- 
frage ist,  nach  auswärts  versandt  und  gegen  etwas 
vertauscht  werden,  wofür  im  Lande  Bedarf  ist.  Ob 
aber  das  Kapital,  das  jene  überschüssigen  Produkte 
ausführt,  ein  fremdes  oder  inländisches  ist,  hat  wenig 
Bedeutung.  Wenn  das  Volk  nicht  Kapital  genug  er- 
worben hat,  um  alle  seine  Ländereien  anzubauen  und 
alle  seine  Rohprodukte  in  der  vollständigsten  Weise 
zu  verarbeiten,  so  ist  es  sogar  sehr  vorteilhaft,  daß  die 
Rohprodukte  mittelst  fremden  Kapitals  ausgeführt  wer- 
den, damit  das  ganze  Volkskapital  auf  nützlichere  Zwecke 
verwendet    werden    kann.      Der    Reichtum    dos    alten 


X44     Dnttes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

Ägypten,  Chinas  und  Hindostans  beweist  hinlänglich, 
daß  ein  Volk  einen  hohen  Grad  von  Wohlstand  erreichen 
kann,  wenn  auch  der  größte  Teil  seines  Ausfuhrhandels 
von  Fremden  betrieben  wird.  Der  Fortschritt  unserer 
nordamerikanischen  und  westindischen  Kolonien  würde 
weit  weniger  schnell  gewesen  sein,  wenn  kein  anderes 
als  das  ihnen  gehörige  Kapital  auf  die  Ausfuhr  ihrer 
überschüssigen  Produkte  verwendet  worden  wäre. 

Dem  natürlichen  Laufe  der  Dinge  gemäß  ist  also 
der  größere  Teil  des  Kapitals  jeder  aufblühenden  Ge- 
sellschaft zuerst  auf  die  Landwirtschaft,  dann  auf  die 
Industrie,  und  erst  zuletzt  auf  den  auswärtigen  Handel 
gerichtet.  Diese  Ordnung  der  Dinge  ist  so  durchaus 
natürlich,  daß  sie,  glaube  ich,  in  jedem  Volke,  das  ein 
größeres  Gebiet  bewohnt,  stets  in  einem  gewissen  Grade 
inne  gehalten  wurde.  Ein  Teil  der  Ländereien  mußte 
angebaut  sein,  ehe  Städte  von  einiger  Bedeutung  ent- 
stehen konnten,  und  eine  Art  gröberer  Gewerbe  mußte 
in  den  Städten  getrieben  werden,  ehe  man  daran  denken 
konnte,  sich  auf  auswärtigen  Handel  einzulassen. 

Obwohl  aber  diese  natürliche  Reihenfolge  der  Dinge 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  bei  jedem  Volke  eintreten 
mußte,  so  ist  sie  in  allen  neueren  Staaten  Europas  in 
vielen  Beziehungen  gerade  umgekehrt  worden.  Der 
auswärtige  Handel  einiger  ihrer  Städte  hat  alle  ihre 
feineren  Manufakturen,  d.  h.  solche,  die  sich  für  ent- 
fernten Absatz  eignen,  eingeführt;  und  Industrie  und 
auswärtiger  Handel  im  Verein  haben  die  wesentlichsten 
Fortschritte  derLandwirtschaft  veranlaßt.  Die  Sitten  und 
Gewohnheiten,  die  der  Charakter  ihrer  ursprünglichen 
Regierungen  mit  sich  brachte,  und  die  sich  fort  erhielten, 
nachdem  diese  Regierungen  schon  bedeutende  Ände- 
rungen erlitten  hatten,  zwangen  sie  in  diesen  unnatür- 
lichen und  rückwärtsschreitenden  Gang  hinein. 


Zweites  Kapitel. 

Entmutigung  des  Äckerbaus  in  dem  früheren 

Zustand  Europas  nach  dem  Fall  des 

römischen  Reichs. 

Als  die  germanischen  und  skythischen  Völkerschaf- 
ten die  westlichen  Provinzen  des  römischen  Reichs  über- 
fluteten, dauerten  die  Wirren,  die  auf  eine  so  große 
Umwälzung  des  Bestehenden  folgten,  mehrere  Jahrhun- 
derte fort.  Die  Räubereien  und  Gewalttätigkeiten, 
die  die  Barbaren  gegen  die  früheren  Einwohner  ver- 
übten, unterbrachen  den  Verkehr  zwischen  Stadt  und 
Land.  Die  Städte  verödeten  und  das  Land  blieb  un- 
bebaut; die  westlichen  Provinzen  Europas,  die  sich 
unter  der  Römerherrschaft  eines  hohen  Grades  vonWohl- 
stand  erfreut  hatten,  sanken  in  die  tiefste  Armut  und 
Barbarei.  Während  dieser  Wirren  erwarben  oder  rissen 
die  Häupter  oder  Anführer  jener  Völkerschaften  die 
meisten  Ländereien  an  sich.  Ein  großer  Teil  war  unan- 
gebaut ;  aber  kein  Teil,  ob  angebaut  oder  nicht,  war  ohne 
einen  Eigentümer.  Das  gesamte  Land  wurde  in  Be- 
schlag genommen  und  der  größte  Teil  durch  einige 
wenige  Eigentümer. 

Diese  ursprüngliche  Beschlagnahme  unangebauter 
Ländereien  könnte  zwar  ein  großes,  doch  vorübergehen- 
des Übel  gewesen  sein.  Sie  hätten  bald  wieder  durch 
Vererbung  oder  Veräußerung  geteilt  und  in  kloine 
Stücke  zerschlagen  werden  können.  Aber  das  Gesetz 
der  Erstgeburt  ließ  die  Teilung  durch  Erbfolge  nicht 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.   II.  10 


14G     ürlttes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

ZU,  und  die  Einführung  der  Fideikommisse  verhinderte 
die  Parzellierung  durch  Veräußerung. 

Wenn  Grrund  und  Boden  wie  bewegliches  Eigen- 
tum nur  als  Mittel  des  Unterhalts  und  Genusses  be- 
trachtet wird,  so  teilt  das  natürliche  Gesetz  der  Erbfolge 
jenen  wie  dieses  unter  alle  Kinder  der  Familie:  unter 
alle,  deren  Unterhalt  und  Genuß,  wie  angenommen 
werden  darf,  dem  Vater  gleich  teuer  ist.  Dieses  na- 
türliche Erbfolgegesetz  galt  demgemäß  bei  den  Kömern, 
die  in  der  Vererbung  von  Grund  und  Boden  so  wenig 
einen  Unterschied  zwischen  älteren  und  jüngeren,  männ- 
lichen und  weiblichen  Kindern  machten,  als  wir  bei 
der  Verteilung  von  beweglichem  Eigentum.  Solange 
man  aber  Grund  und  Boden  nicht  bloß  als  ein  Mittel 
des  Unterhalts,  sondern  der  Macht  und  Schirmherrlich- 
keit ansah,  hielt  man  es  für  besser,  ihn  ungeteilt  auf 
einen  zu  vererben.  In  jenen  gesetzlosen  Zeiten  war 
jeder  Grundherr  ein  kleiner  Fürst.  Seine  Bauern  waren 
seine  Untertanen.  Er  war  ihr  Richter  und  in  gewissen 
Beziehungen  ihr  Gesetzgeber  im  Frieden  und  ihr  An- 
führer im  Kriege.  Er  führte  nach  Belieben  Krieg, 
oft  gegen  seine  Nachbarn,  manchmal  auch  gegen  seinen 
Fürsten.  Daher  hing  die  Sicherheit  eines  Landbesitzes, 
der  Schutz,  den  sein  Eigentümer  denen,  die  darauf 
wohnten,  gewähren  konnte,  von  seiner  Größe  ab.  Ihn 
teilen,  hieß,  ihn  zu  Grunde  richten,  und  alle  seine  Be- 
wohner der  Gefahr  aussetzen,  durch  die  Einfälle  der 
Nachbarn  unterdrückt  und  vernichtet  zu  werden.  Das 
Gesetz  der  Erstgeburt  griff  daher  zwar  nicht  sofort, 
aber  im  Laufe  der  Zeit  bei  der  Erbfolge  in  Grundbe- 
sitz aus  demselben  Grunde  Platz,  aus  dem  es  sich  bei 
der  Vererbung  des  Throns  in  Monarchien,  zwar  auch 
nicht  immer  beim  ersten  Entstehen,  so  doch  später  gel- 
tend machte.  Damit  die  Macht  und  folglich  die  Sicher- 
heit der  Monarchie  nicht  durch  die  Teilung  geschwächt 
werde,  muß  sie  ganz  auf  eins  der  Kinder  übergehen. 


Kap.  II:  Entmutigung-  des  Ackerbaus.  147 

Welchem  unter  ihnen  ein  so  wichtiger  Vorzug  gegeben 
werden  soll,  muß  durch  eine  allgemeine  Regel,  die  sich 
nicht  auf  die  zweifelhaften  Unterschiede  des  persönlichen 
Verdienstes,  sondern  auf  ein  klares,  augenfälliges  und 
unbestreitbares  Merkmal  gründet,  bestimmt  werden. 
Unter  den  Kindern  derselben  Familie  gibt  es  keinen 
anderen  unbestreitbaren  Unterschied  als  den  des  Ge- 
schlechts und  des  Alters.  Das  männliche  Geschlecht  hat 
allgemein  den  Vorzug  vor  dem  weiblichen,  und  bei 
sonstiger  Gleichheit  erhält  der  Altere  überall  den  Vor- 
rang vor  dem  Jüngeren.  Daher  das  Recht  der  Erst- 
geburt und  der  sogenannten  Erbfolge  in  gerader  Linie. 

Gesetze  bleiben  oft  noch  lange  Zeit  in  Kraft,  nach- 
dem die  Umstände,  die  sie  zuerst  hervorriefen  und 
sie  allein  rechtfertigen  konnten,  nicht  mehr  vor- 
handen sind.  Bei  dem  gegenwärtigen  Zustande  Europas 
ist  der  Eigentümer  eines  einzigen  Morgen  Landes  ge- 
nau ebenso  sicher  in  seinem  Besitz,  als  der  Besitzer 
von  hunderttausend.  Dennoch  wird  das  Erstgeburts- 
recht noch  immer  respektiert,  und  dürfte  sich,  da  unter 
allen  Einrichtungen  keine  so -geeignet  ist,  den  Familien- 
stolz zu  nähren,  noch  manches  Jahrhundert  erhalten. 
In  jeder  anderen  Beziehung  kann  nichts  dem  wahren 
Interesse  einer  zahlreichen  Familie  mehr  zuwiderlaufen, 
als  ein  Recht,  das,  um  eins  der  Kinder  zu  bereichern, 
alle  übrigen  zu  Bettlern  macht. 

Fideikommisse  {Entails)  sind  die  natürliche  Folge 
des  Erstgeburtsrechts.  Sie  wurden  eingeführt,  um  eine 
gewisse  Erbfolge  in  gerader  Linie  zu  erhalten,  zu  welcher 
das  Erstgeburtsrecht  die  erste  Idee  gab,  und  um  zu 
verhindern,  daß  ein  Teil  des  ursprünglichen  Grundbe- 
sitzes durch  Schenkung,  Vermächtnis  oder  Verkauf,  in- 
folge Torheit  oder  Mißgeschick  eines  der  späteren  Erben 
der  Stammlinie  entfremdet  werde.  Den  Römern  waren 
sie  gänzlich  unbekannt;  weder  ihre  Substitutionen,  noch 


148      Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

ihre  Fideikommisse  haben  eine  Ähnlichkeit  mit  den 
Entails,  wenn  auch  einige  französische  Juristen  der 
neueren  Einrichtung  Namen  und  Gewand  jener  alten 
zu  geben  beliebt  haben. 

Solange  großer  Grundbesitz  eine  Art  Fürstentum 
war,  mochten  die  Fideikommisse  nicht  unvernünftig  sein. 
Gleich  den  sogenannten  Grundgesetzen  einiger  Monar- 
chien konnten  sie  oft  verhindern,  daß  die  Sicherheit 
von  Tausenden  durch  die  Laune  oder  den  Übermut 
eines  Einzelnen  gefährdet  werde.  Aber  beim  gegen- 
wärtigen Zustande  Europas,  wo  kleiner  wie  großer  Be- 
sitz ihre  Sicherheit  in  den  Gesetzen  des  Staats  finden, 
kann  es  nichts  Alberneres  geben.  Sie  sind  auf  die 
albernste  aller  Voraussetzungen  gegründet,  auf  die  Vor- 
aussetzung, als  ob  alle  folgenden  Geschlechter  der 
Menschen  auf  die  Erde  und  alles,  was  sie  trägt,  nicht 
ein  gleiches  Recht  hätten,  wie  die  Vorfahren,  und  daß 
das  Eigentum  der  heutigen  Generation  nach  den  Ein- 
fällen derer  beschränkt  und  geordnet  sein  dürfte,  die 
vielleicht  schon  fünfhundert  Jahre  tot  sind.  Gleichwohl 
werden  Fideikommisse  noch  im  größeren  Teile  Europas, 
und  namentlich  in  solchen  Ländern  respektiert,  in  denen 
adelige  Geburt  ein  notwendiges  Erfordernis  zu  bürger- 
lichen und  militärischen  Ehrenstellen  ist.  Man  hält 
die  Fideikommisse  für  nötig  zur  Aufrechthaltung  des 
ausschließlichen  Vorrechts  des  Adels  auf  die  hohen 
Ämter  und  Würden  des  Staats;  und  da  dieser  Stand 
nun  einmal  einen  ungerechten  Vorzug  vor  seinen  Mit- 
bürgern an  sich  gerissen  hat,  so  hielt  man  es,  damit 
ihn  seine  Armut  nicht  lächerlich  mache,  für  recht,  ihm 
auch  noch  einen  zweiten  zuzuerteilen.  Das  gemeine 
Recht  in  England  ist  zwar,  wie  man  sagt,  dem  ewigen 
Eigentum  entgegen,  und  dieses  ist  dort  eingeschränkter, 
als  in  allen  anderen  europäischen  Monarchien,  obgleich 
auch  England  nicht  o-anz  frei  davon  ist.  In  Schottland 


Kap.  II:  Entmutigung  des  Ackerbaus.  149 

soll  mehr  als  ein  Fünftel,  vielleicht  sogar  mehr  als  ein 
Drittel  alles  Grundeigentums  unter  Fideikommiß  stehen. 
So  wurden  große  Strecken  unangebauten  Landes 
nicht  nur  von  einzelnen  Familien  in  Beschlag  genom- 
men, sondern  auch  die  Möglichkeit,  wieder  geteilt  zu 
werden,  so  viel  als  möglich  auf  immer  abgeschnitten. 
Ein  großer  Eigentümer  ist  jedoch  selten  ein  guter 
Landwirt.  Injenen  gesetzlosen  Zeiten,  die  so  barbarische 
Einrichtungen  entstehen  ließen,  hatte  der  große  Eigen- 
tümer genug  damit  zu  tun,  sein  Grebiet  zu  verteidigen, 
oder  seine  Gerichtsbarkeit  und  Autorität  über  das  Ge- 
biet seiner  Nachbarn  auszudehnen.  Er  hatte  keine 
Muße,  um  auf  Anbau  und  Verbesserung  des  Bodens 
zu  denken.  Als  aber  die  Herstellung  von  Gesetz  und 
Recht  ihm  diese  Muße  gewährte,  fehlte  es  ihm  oft  an 
Neigung  und  fast  immer  an  der  nötigen  Fähigkeit  zur 
Landwirtschaft.  Kam  der  Aufwand  für  sein  Haus  und 
seine  Person,  wie  es  sehr  oft  der  Fall  war,  seinem 
Einkommen  gleich  oder  überstieg  es  gar,  so  hatte  er 
kein  Kapital,  um  es  auf  die  Bewirtschaftung  zu  ver- 
wenden. War  er  ein  guter  Wirt,  so  fand  er  es  in  der 
Regel  vorteilhafter,  seine  jährlichen  Ersparnisse  auf 
neue  Güterkäufe,  als  auf  die  Verbesserung  seines  alten 
Besitzes  zu  verwenden.  Um  Grundbesitz  gewinnbrin- 
gend zu  verbessern,  ist,  wie  bei  allen  anderen  Geschäfts- 
unternehmungen, ein  genaues  Achten  auf  kleine  Er- 
sparnisse und  Gewinne  erforderlich,  dessen  ein  Mann, 
der  in  großem  Reichtum  geboren  und  erzogen  ist,  selten 
fähig  ist,  selbst  wenn  er  von  Natur  einen  Hang  zur 
Sparsamkeit  hat.  Die  Lage  eines  solchen  Mannes  macht 
ihn  ganz  natürlich  mehr  zu  Luxusausgaben,  als  zu  ge- 
winnbringenden Anlagen  geneigt,  deren  er  nicht  bedarf. 
Die  Eleganz  seiner  Kleidung,  seiner  Equipage,  seines 
Hauses  und  seiner  Möbel,  das  sind  die  Dinge,  auf  die 
er  von  Kindheit  an  zu  achten  gewohnt  ist,  und  diese 
Sinnesrichtung  verläßt  ihn   auch  nicht,    wenn    es  sich 


X50     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

um  die  Melioration  seiner  Güter  handelt.  Er  verschönert 
vielleicht  vier  oder  fünfhundert  Morgen  in  der  Umgebung 
seines  Hauses  mit  Kosten,  die  zehnmal  so  hoch  sind, 
als  das  Land  nach  aller  seiner  Verbesserung-  wert  ist, 
und  findet,  daß  er  bei  derartigen  Kulturen  (und  für  an- 
dere hat  er  wenig  Sinn)  bankerott  geworden  sein  würde, 
ehe  nur  der  zehnte  Teil  seines  Guts  fertig  wäre.  Es 
gibt  in  beiden  Teilen  des  vereinigten  Königreichs  noch 
große  Gutskomplexe,  die  seit  den  Zeiten  der  Feudal- 
anarchie  ununterbrochen  in  den  Händen  derselben  Fa- 
milie geblieben  sind.  Man  vergleiche  den  gegenwärtigen 
Zustand  solcher  Güter  mit  den  Besitzungen  der  kleinen 
Eigentümer  in  ihrer  Nähe,  und  man  wird  keinen  anderen 
Beweis  brauchen,  um  sich  zu  überzeugen,  wie  ungünstig 
so  ausgedehntes  Grundeigentum  der  Bodenkultur  ist. 
War  schon  von  den  großen  Eigentümern  wenig 
für  die  Bodenverbesserung  zu  erwarten,  so  ließ  sich 
noch  weniger  von  denen  hoffen,  die  das  Land  unter 
ihnen  inne  hatten.  Unter  der  früheren  Verfassung  Eu- 
ropas waren  die  Bauern  alle  vom  Belieben  des  Gutsherrn 
abhängig;  alle  oder  fast  alle  waren  Sklaven;  nur  war 
ihre  Sklaverei  von  milderer  Art,  als  die  unter  den 
alten  Griechen  und  E-ömern,  oder  selbst  die  in  unseren 
westindischen  Kolonieen.  Sie  galten  eigentlich  mehr 
dem  Gute  als  dem  Gutsherrn  gehörig,  und  konnten 
daher  wohl  mit  dem  Gute,  aber  nicht  für  ihre  Person  ver- 
kauft werden.  Mit  Einwilligung  ihres  Herrn  konnten  sie 
heiraten,  und  er  durfte  die  Ehe  später  nicht  durch  den 
Verkauf  des  Mannes  und  des  Weibes  an  verschiedene 
Personen  trennen.  Schädigte  er  einen  an  Leib  oder 
Leben,  so  unterlag  er  einer  Strafe,  wenn  auch  in  der 
ßegel  nur  einer  geringen.  Aber  Eigentum  konnten  die 
Bauern  nicht  erwerben;  was  sie  erwarben,  war  für  den 
Herrn  erworben,  und  er  konnte  es  ihnen  nach  Gefallen 
nehmen.    Alle  Bodenverbesserungen  durch  solche  Skia- 


Kap.  II:  Entmutigung  des  Ackerbaus.  151 

ven  waren  eigentlich  vom  Herrn  selbst  ausgeführt,  da 
sie  auf  seine  Kosten  ausgeführt  wurden  und  Aussaat, 
Vieh  und  Ackergerät  ihm  gehörte.  Er  hatte  allein  den 
Gewinn  davon.  Die  Sklaven  konnten  nichts  als  ihren 
täglichen  Unterhalt  erwerben.  Eigentlich  war  es  also 
der  Eigentümer  selbst,  der  sein  Land  inne  hatte  und 
durch  seine  Leibeigenen  bebauen  ließ.  Diese  Art  von 
Sklaverei  besteht  noch  in  Rußland,  Polen,  Ungarn, 
Böhmen,  Mähren  und  anderen  Teilen  Deutschlands. 
Nur  in  den  westlichen  und  südwestlichen  Ländern  Eu- 
ropas ist  sie  nach  und  nach  gänzlich  abgeschafft  worden. 
Wenn  aber  bedeutende  Verbesserungen  selten  von 
großen  Eigentümern  zu  erwarten  sind,  so  sind  sie  am 
wenigsten  zu  erwarten,  wenn  sie  Sklaven  als  Arbeiter 
verwenden.  Die  Erfahrung  aller  Zeiten  und  Länder  be- 
weist, glaube  ich,  daß  die  von  Sklaven  verrichtete  Ar- 
beit, obgleich  sie  nur  deren  Unterhalt  zu  kosten  scheint, 
am  Ende  doch  die  teuerste  von  allen  ist.  Ein  Mensch, 
der  kein  Eigentum  erwerben  kann,  kann  auch  kein 
anderes  Interesse  haben,  als  so  viel  wie  möglich  zu  essen, 
und  so  wenig  wie  möglich  zu  arbeiten.  Was  er  mehr 
tun  soll,  als  genügend  ist,  um  ihm  Unterhalt  zu  ver- 
schaffen, läßt  sich  ihm  nur  mit  Gewalt,  nicht  durch  sein 
eignes  Interesse  abzwingen.  Wie  sehr  der  Getreidebau 
im  alten  Italien  verfiel,  Avie  unvorteilhaft  er  für  den 
Gutsherrn  wurde,  als  der  Betrieb  Sklaven  anheimfiel, 
ist  sowohl  von  Plinius  wie  von  Columella  geschildert 
worden.  Nicht  viel  besser  war  es  zur  Zeit  des  Ari- 
stoteles im  alten  Griechenland.  Von  der  idealen  Republik 
redend,  die  Plato  in  seinen  „Gesetzen"  schildert,  meint 
er,  um  fünftausend  müßige  Menschen  —  die  Zahl  von 
Kriegern,  die  als  zur  Verteidigung  der  Republik  er- 
forderlich angenommen  war  —  samt  ihren  Weibern  und 
Knechten  zu  unterhalten,  sei  ein  Gebiet  von  grenzen- 
loser Ausdehnung  und  Fruchtbarkeit  gleich  den  Ebenen 
von  Babylon  nötig. 


152      Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

Der  Stolz  macht  den  Menschen  herrschsüchtig,  und 
nichts  ist  ihm  peinlicher,  als  sich  herablassen  zu  sollen? 
niedriger  stehende  zu  überzeugen  (anstatt  ihnen  zu  be- 
fehlen). "Wenn  das  Gesetz  es  gestattet  und  die  Natur 
der  Arbeit  es  verträgt,  zieht  er  deshalb  in  der  Regel 
den  Dienst  der  Sklaven  dem  freier  Männer  vor.  Die 
Zucker-  und  Tabakpflanzungen  können  die  Kosten  der 
Sklavenkultur  vertragen;  der  Getreidebau,  scheint  es, 
kann  es  heutigen  Tages  nicht.  In  den  englischen  Ko- 
lonien, deren  hauptsächlichstes  Erzeugnis  Getreide  ist, 
wird  die  Arbeit  meist  durch  freie  Leute  getan.  Der 
neuliche  Beschluß  der  Quäker  in  Pennsylvanien,  alle 
ihre  Negersklaven  in  Freiheit  zu  setzen,  kann  uns  über- 
zeugen, daß  deren  Zahl  nicht  sehr  groß  gewesen  sein 
wird.  Hätten  sie  einen  beträchtlichen  Teil  ihres  Be- 
sitzes ausgemacht,  so  hätte  ein  solcher  Beschluß  niemals 
durchgehen  können.  In  unsern Zuckerkolonien  hingegen 
wird  alle  Arbeit  uud  in  unsern  Tabakskolonien  die 
meiste  von  Sklaven  verrichtet.  Die  Gewinne  einer  Zucker- 
pflanzung in  allen  unseren  westindischen  Kolonien  sind 
in  der  Regel  weit  größer,  als  die  jeder  andern  Kultur 
in  Europa  oder  Amerika;  und  die  Gewinne  einer  Tabaks- 
pflanzung sind  zwar  nicht  so  hoch  wie  jene,  aber  doch, 
wie  bereits  bemerkt,  höher  als  die  des  Getreidebaues. 
Beide  können  die  Kosten  einer  Sklavenkultur  tragen, 
nur  kann  es  Zucker  noch  besser  als  Tabak.  Daher  ist 
die  Zahl  der  Schwarzen  im  Verhältnis  zu  den  Weißen 
in  unsern  Zuckerkolonien  weit  größer,  als  in  unsern 
Tabakskolonien . 

Auf  die  leibeigenen  Bauern  der  früheren  Zeiten  folgte 
allmälig  eine  Art  vonP/chtern,  die  gegenwärtig  in  Frank- 
reich unter  dem  Namen  der  Metayers  bekannt  sind.  Im 
Lateinischen  heißen  sie  Ooloni partiarii.  In  Epgland  sind 
sie  schon  so  lange  abgekommen,  daß  ich  jetzt  keinen 


Kap.  II:  Entmutigung  des  Ackerbaus.  153 

englischen  Namen  für  sie  weiß.  Der  Eigentümer  versah 
sie  mit  der  Aussaat,  dem  Vieh  und  dem  Ackergerät, 
kurz  mit  allem  zum  Anbau  des  Gutes  erforderlichen 
Kapital.  Der  Ertrag  wurde  gleichmäßig  zwischen  dem 
Eigentümer  und  dem  Pächter  geteilt,  jedoch  mit  Abzug 
dessen,  was  zur  Erhaltung  des  Kapitals  erforderlich 
schien,  das,  wenn  der  Pächter  das  Gut  verließ  oder  ihm 
gekündigt  wurde,  dem  Eigentümer  zurückzuerstatten  war. 
Die  Bewirtschaftung  durch  solche  Pächter  ge- 
schieht eigentlich  ebenso  auf  Kosten  des  Eigentümers, 
wie  die  Bewirtschaftung  durch  Sklaven,  doch  ist  ein 
sehr  wesentlicher  Unterschied  vorhanden.  Die  Pächter 
können  als  freie  Leute  Eigentum  erwerben,  und  haben, 
da  sie  einen  bestimmten  Anteil  vom  Bodenertrag  er- 
halten, ein  offenbares  Interesse  daran,  daß  der  Gesamt- 
ertrag so  groß  als  möglich  sei,  damit  auch  ihr  Anteil 
es  werde.  Ein  Sklave  hingegen,  der  über  seinen 
Unterhalt  hinaus  nichts  erwerben  kann,  denkt  nur  an 
seine  Bequemlichkeit  und  bringt  außer  seinem  Unter- 
halt möglichst  wenig  hervor.  Wahrscheinlich  teils 
wegen  dieses  Vorzugs  der  freien  Arbeit,  teils  wegen  der 
Eingriffe  in  die  Autorität  der  großen  Barone,  zu  denen 
die  Leibeigenen  von  den  auf  jene  stets  eifersüchtigen 
Landesherren  ermuntert  wurden,  und  die  zuletzt  jene 
Art  Dienstbarkeit  geradezu  lästig  gemacht  zu  haben 
scheinen,  kam  die  Leibeigenschaft  in  den  meisten  Ländern 
Europas  ab.  Doch  ist  die  Zeit  und  Art,  in  der  eine  so 
wichtige  Umwälzung  zustande  kam,  einer  der  unklarsten 
Punkte  in  der  neueren  Geschichte.  Die  römische  Kirche 
schreibt  sich  ein  großes  Verdienst  daran  zu,  und  sicher 
ist,  daß  schon  im  zwölften  Jahrhundert  Alexander  III. 
eine  Bulle  behufs  allgemeiner  Sklavenemancipation  er- 
ließ. Sie  scheint  jedoch  mehr  eine  fromme  Ermahnung, 
als  ein  Gesetz  gewesen  zu  sein,  dem  die  Gläubigen  unbe- 
dingten Gehorsam  schuldig  gewesen  wären.  Die  Sklaverei 


15-1      Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

dauerte  fast  überall  noch  mehrere  Jahrhunderte  fort, 
bis  sie  nach  und  nach  durch  die  vereinte  Wirkung  der 
oben  erwähnten  beiden  Interessen  des  Grundeigen- 
tümers einerseits,  und  des  Landesherrn  andererseits 
abgeschafft  wurde.  Ein  freigelassener  Leibeigener,  der 
gleichzeitig  im  Besitz  des  Landes  gelassen  wurde,  konnte 
es,  da  er  kein  eigenes  Kapital  hatte,  nur  mit  Hilfe 
dessen  bewirtschaften,  was  ihm  der  Grundeigentümer 
vorschoß,  und  muß  deshalb  das  gewesen  sein,  was  die 
Franzosen  einen  Metaijer  nennen. 

Indessen  auch  diese  letztere  Klasse  von  Bauern 
konnte  kein  Interesse  haben,  einen  kleinen  Teil  des 
Kapitals,  das  sie  von  ihrem  Anteil  am  Ertrag  etwa 
ersparten,  für  weitere  Bodenverbesserungen  zu  veraus- 
gaben, da  der  Grundherr,  der  nichts  verausgabte,  doch 
den  halben  Ertrag  erhielt.  Schon  der  Zehute,  der  doch 
nur  ein  Zehntel  des  Ertrags  ist,  hat  sich  als  ein  sehr 
großes  Hinderniß  der  Bodenverbesserung  erwiesen. 
Eine  Abgabe,  die  sich  auf  die  Hälfte  belief,  mußte  daher 
eine  förmliche  Schranke  dagegen  sein.  Es  konnte  allen- 
falls im  Interesse  eines  Metayer  liegen,  dem  Boden  so 
viel  abzugewinnen,  wie  mittelst  des  vom  Eigentümer 
gelieferten  Kapitals  möglich  war ;  aber  niemals  konnte  er 
ein  Interesse  daran  haben,  einen  Teil  seines  eignen  Kapi- 
tals dazu  zu  tun.  In  Frankreich,  wo  noch  fünf  Sechstel 
des  ganzen  Reichs  sich  in  den  Händen  dieser  Art  von 
Bauern  befinden  sollen,  klagen  die  Grundbesitzer,  daß 
ihre  Metayers  das  Vieh  ihrer  Herren  lieber  zu  Fuhr- 
gelegenheiten als  zum  Ackerbau  benutzen,  weil  sie  in 
dem  einen  Falle  den  ganzen  Gewinn  für  sich  behalten, 
im  anderen  ihn  mit  ihrem  Grundherrn  teilen  müssen. 
Diese  Art  von  Pächtern  besteht  noch  in  einigen  Teilen 
Schottlands,  wo  man  sie  steel-bow  tenants*)  nennt.  Jene 

*)  Unter  steel-bow-goods  vei'steht  das  .schottische  Recht 
diejenigen  Bestandteile  eines  Landguts,  die   Eigentum   des  Be- 


Kap.  II:  Entmutigung-  des  Ackerbaus.  J[55 

alten  englischen  Lehnsleute,  die  nach  dem  Oberrichter 
Gilbert  und  Doktor  Blackstone  eher  Verwalter  des 
Gutsherrn  als  eigentliche  Pächter  waren,  gehörten  wahr 
scheinlich  zu  derselben  Kategorie. 

Auf  diese  Art  von  Lehnsleuten  folgten,  obwohl  nur 
ganz  allmählich,  die  eigentlichen  Pächter,  die  das  Land 
mit  ihrem  eigenen  Kapital  bestellen,  und  dem  Grund- 
eigentümer eine  bestimmte  Rente  zahlen.  Haben  solche 
Pächter  langjährige  Kontrakte,  so  finden  sie  es  zuweilen 
in  ihrem  Interesse,  einen  Teil  ihres  Kapitals  auf  Guts- 
verbesserungen zu  wenden;  denn  sie  können  erwarten, 
es  mit  einem  großen  Gewinn  vor  Ablauf  der  Pacht- 
zeit wieder  zu  erhalten.  Doch  war  auch  der  Besitz 
solcher  Pächter  lange  Zeit  äußerst  unsicher,  und  ist  es 
in  vielen  Teilen  Europas  noch.  Sie  konnten  vor  Ab- 
lauf ihres  Termins  durch  einen  neuen  Käufer  gesetzlich 
aus  ihrer  Pacht  getrieben  werden;  in  England  sogar 
durch  eine  erdichtete  Klage  auf  Wiedereinsetzung  in 
rechtmäßigen  Besitz.  Waren  sie  einmal  ungesetzlicher- 
weise durch  Gewalttat  ihres  Herrn  vertrieben,  so  war 
das  Rechtsmittel  ein  sehr  mangelhaftes ;  sie  wurden  nicht 
immer  in  ihrem  Besitz  restituiert,  sondern  erhielten 
allenfalls  Entschädigungen,  die  ihrem  wirklichen  Ver- 
luste niemals  gleich  kamen.  Selbst  in  England,  wo  der 
freie  Bauernstand  immer  am  meisten  geachtet  war,  wurde 
doch  erst  um  das  vierzehnte  Jahr  Heinrichs  VII.  die 
Besitzstörungsklage  eingeführt,  wodurch  der  Pächter 
nicht  blos  Schadenersatz,  sondern  Wiedereinsetzung  in 
den  Besitz  erlangt,  und  nach  der  über  seinen  Anspruch 
nicht  blos  durch  eine  einzige  Instanz  entschieden  werden 
kann.  Diese  Klage  hat  sich  als  ein  so  wirksames  Rechts- 
mittel erwiesen,  daß  in  der  neueren  Praxis  der  Grund- 
herr bei  einer  Klage  atif  Wiedereinsetzung  selten  von 

sitzers  sind  und  die  der  abzieliende  Pächter  (tenant)  nicht  mit- 
nehmen darf.  R.   P. 


156     Drittes  Buch  :  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

denjenigen  B/echtsmitteln  Gebrauch  macht,  die  ihm  als 
Grundherrn  zustehen,  sondern  im  Namen  seines  Päch- 
ters die  Besitzstörungsklage  anstellt.  In  England  ist 
also  die  Sicherheit  des  Pächters  ebenso  groß,  wie  die 
des  Eigentümers.  Überdies  ist  in  England  eine  Pacht 
auf  Lebenszeit,  die  vierzig  Schilling  Pachtzins  gibt,  ein 
Freigut  und  berechtigt  den  Inhaber  zu  einer  Stimme 
bei  Parlamentswahlen;  und  da  ein  großer  Teil  der 
Bauern  solche  Freigüter  hat,  so  wird  der  ganze  Stand 
wegen  der  politischen  Wichtigkeit,  die  er  durch  das 
Stimmrecht  erlangt,  in  der  Achtung  der  Grundherren 
gehoben.  Es  dürfte  kaum  izgendwo  anders  Beispiele 
geben,  daß  Pächter  auf  einem  Grund  und  Boden,  der 
ihnen  nicht  gehört, Gebäude  aufführen,  bloß  im  Vertrauen 
auf  das  Ehrgefühl  ihres  Grundherrn,  das  ihm  nicht 
gestatten  werde,  sich  eine  so  wichtige  Gutsverbesserung 
zu  Nutze  zu  machen.  Diese  den  Landleuten  so  gün- 
stigen Gesetze  und  Gewohnheiten  haben  vielleicht  mehr 
zu  der  gegenwärtigen  Größe  Englands  beigetragen, 
als  alle  seine  viel  gerühmten  Handelsordnungen  zu- 
sammengenommen . 

Das  Gesetz,  das  die  längsten  Pachtkontrakte  gegen 
alle  Gutsnachfolger  sicherstellt,  gehört,  soviel  ich  weiß, 
Großbritannien  an.  Es  wurde  in  Schottland  schon  1449 
von  Jakob  IL  durch  ein  Gesetz  eingeleitet,  dessen 
wohltätiger  Einfluß  jedoch  durch  Fideikommisse  sehr 
gehemmt  wurde,  da  die  Erben  von  Fideikommissen 
gewöhnlich  keine  Pachtverträge  auf  eine  längere  Reihe 
von  Jahren,  zuweilen  sogar  nur  auf  ein  Jahr,  eingehen 
durften.  Eine  Parlamentsakte  hat  neuerdings  ihre  Fesseln 
in  diesen  Punkten  etwas  gelockert,  obgleich  sie  noch 
immer  viel  zu  fest  sind.  Da  überdies  in  Schottland 
ein  Pachtgut  kein  Stimmrecht  bei  Parlamentswahlen 
gibt,  so  stehen  die  Landleute  bei  ihren  Gutsherren 
dort  weniger  in  Achtung,  als  in  England. 


Kap.  II:  Entmiitio-iing  des  Ackerbaus.  157 

In  anderen  Ländern  Europas  fand  man  es  zwar  auch 
ratsara,  die  Pächter  sowohl  gegen  die  Erben  wie  gegen 
die  Käufer  zu  schützen ;  aber  man  beschränkte  diesen 
Schutz  doch  nur  auf  einen  sehr  kleinen  Zeitraum:  in 
Frankreich  z.  B.  auf  neun  Jahre  von  Beginn  der  Pacht 
an.  Allerdings  ist  er  in  diesem  Lande  vor  Kurzem  auf 
siebenundzwanzig  Jahre  ausgedehnt  worden;  aber  auch 
dieser  Zeitraum  ist  noch  zu  kurz,  um  den  Pächter  zu 
den  wichtigsten  Verbesserungen  zu  ermutigen.  Früher 
waren  die  Grundeigentümer  die  Gesetzgeber  in  allen 
Ländern  Europas.  Die  agrarischen  Gesetze  wurden  da- 
her alle  auf  die  vermeintlichen  Interessen  des  Eigen- 
tümers zugeschnitten.  So  meint  man,  es  liege  in  seinem 
Interesse,  wenn  kein  von  seinen  Vorfahren  bewilligter 
Pachtkontrakt  ihn  auf  lange  Zeit  daran  hindere,  vom 
vollen  Werte  seines  Landes  den  Genuß  zu  haben.  Hab- 
sucht und  Ungerechtigkeit  sind  immer  kurzsichtig  und 
man  sah  nicht,  wie  sehr  diese  Anordnung  von  Ver- 
besserungen abhalten  und  dadurch  mit  der  Zeit  dem 
wahren  Interesse  der  Grundeigentümer  schaden  mußte. 

Auch  hielt  man  die  Bauern,  außer  zur  Zahlung  der 
Rente,  auch  noch  zu  einer  Menge  v^on  Diensten  gegen 
den  Grundherrn  verbunden,  die  selten  in  der  Pacht 
ausdrücklich  benannt  oder  durch  eine  genaue  Regel 
bestimmt  waren,  sondern  sich  nach  dem  Herkommen 
des  Edelhofs  oder  der  Baronie  richteten.  Da  also  dabei 
für  die  Willkür  ein  großer  Spielraum  verblieb,  waren 
die  Pächter  vielen  Plackereien  unterworfen.  In  Schott- 
land hat  die  Abschaffung  aller  Dienste,  die  nicht  aus- 
drücklich im  Kontrakte  stipuliert  sind,  innerhalb  weniger 
Jahre  den  Zustand  der  Landleute  wesentlich  verbessert. 

Die  Leistungen  für  den  Staat,  die  man  den  Land- 
leuten auferlegte,  waren  nicht  weniger  willkürlich  als 
jene  Privatdienste.  Die  Herstellung  und  Unterhaltung 
der  Landstraßen,  eine  Last,  die,  wenn  auch  nicht  überall 


158     Drittes  Buch:  Die  vei'schiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

gleich  drückend,  noch  in  allen  Ländern  bestehen  dürfte, 
war  nicht  die  einzige.  Wenn  die  königlichen  Truppen, 
der  Hofstaat  oder  königliche  Beamte  eine  Gegend 
passierten,  so  waren  die  Landleute  verpflichtet,  ihnen 
Pferde,  Wagen  und  Lebensmittel  um  den  vom  Fourier 
festgesetzten  Preis  zu  stellen.  Großbritannien  ist, 
glaube  ich,  die  einzige  Monarchie  in  Europa,  wo  dieser 
Druck  gänzlich  abgeschafft  ist.  In  Frankreich  und 
Deutschland  besteht  er  noch. 

Die  Staatssteuern,  denen  die  Landleute  unterworfen 
wurden,  waren  ebenso  regellos  und  drückend  wie  die 
Dienste.  So  ungern  die  Barone  ihrerseits  dem  Landes- 
herrn eine  Geldbeisteuer  bewilligten,  so  erlaubten  sie 
ihm  doch  leicht,  ihre  Hintersassen  zu  „besteuern"  (wie 
man  es  euphemistisch  nannte),  ohne  einzusehen,  wie 
sehr  dies  am  Ende  ihr  eignes  Einkommen  treffen  müsse. 
Die  taille,  wie  sie  noch  jetzt  in  Frankreich  besteht, 
kann  als  ein  Beispiel  jener  alten  Steuern  dienen.  Sie 
ist  eine  Abgabe  auf  die  mutmaßlichen  Gewinne  des 
Pächters,  die  nach  dem  vorhandenen  Inventar  geschätzt 
werden.  Es  liegt  folglich  in  seinem  Interesse,  so  wenig 
als  möglich  zu  haben,  und  also  auch  so  wenig  als  mög- 
lich auf  den  Anbau  und  nichts  auf  die  Verbesserung 
des  Landes  zu  wenden.  Wenn  sich  auch  ein  Kapital 
in  der  Hand  eines  französischen  Pächters  sammelte, 
so  käme  doch  die  taille  einem  Verbote  gleich,  es  je  in 
der  Landwirtschaft  anzulegen.  Überdies  gilt  diese 
Steuer  als  eine  Verunehrung  für  jeden,  der  ihr  unter- 
worfen ist,  da  sie  ihn  nicht  nur  unter  den  Rang  eines 
Edelmanns,  sondern  unter  den  eines  Bürgers  stellt; 
und  wer  das  Gut  eines  andern  pachtet,  unterliegt  ihr. 
Dieser  Herabsetzung  wird  sich  weder  ein  Edelmann, 
noch  selbst  ein  Bürger,  der  Kapital  besitzt,  unterwerfen. 
Die  Steuer  hindert  also  nicht  nur  das  auf  dem  Lande 
angesammelte  Kapital  an  der  Anlage  in  Bodenverbesse- 


Kap.  TT:  Entmutigun.e,-  des  Ackerbaus.  159 

rungen,  sondern  macht  ihnen  auch  alle  übrigen  Kapi- 
talien abwendig.  Die  alten  Zehnten  und  Fünfzehnten, 
die  früher  in  England  so  üblich  waren,  scheinen,  so- 
weit sie  Grund  und  Boden  trafen,  ähnliche  Steuern 
gewesen  zu  sein,  wie  die  taille. 

Unter  allen  diesen  Entmutigungen  ließ  sich  nicht 
erwarten,  daß  die  Bauern  viel  für  die  Bodenkultur  tun 
würden.  Diese  Menschenklasse  hat  selbst  bei  voller  ge- 
setzlicher Freiheit  und  Sicherheit  mit  großen  Nach- 
teilen zu  kämpfen.  Der  Pächter  verhält  sich  zum  Eigen- 
tümer, wie  ein  Kaufmann,  der  mit  geborgtem  Gelde, 
zu  einem  anderen,  der  mit  eignem  Kapital  arbeitet. 
Beider  Kapitalien  können  zunehmen,  aber  das  des  einen 
wird  bei  ebenso  guter  Anwendung  stets  langsamer  zu- 
nehmen, als  das  des  anderen,  wegen  des  so  großen 
Gewinnteiles,  der  von  den  Zinsen  des  Darlehns  auf- 
gezehrt wird.  Ebenso  muß  das  vom  Pächter  bewirtschaf- 
tete Gut  bei  gleich  verständiger  Wirtschaft  weit  lang- 
samer an  Wert  zunehmen  als  das  vom  Eigentümer 
bewirtschaftete,  wegen  des  großen  Teils  vom  Ertrag, 
der  in  der  Rente  draufgeht  und  der,  Avenn  der  Pächter 
Eigentümer  gewesen  wäre,  von  ihm  zu  weiteren  Boden- 
verbesserungen  hätte  verwendet  werden  können.  Über- 
dies ist  der  Stand  eines  Pächters  nach  der  Natur  der 
Dinge  geringer  als  der  eines  Eigentümers.  In  den 
meisten  Ländern  Europas  werden  die  Landleute  für 
eine  geringere  Klasse  gehalten,  als  selbst  die  besseren 
Geschäftsleute  und  Handwerker,  und  überall  für  geringer, 
als  die  großen  Kaufleute  und  Fabrikanten.  Darum 
wird  selten  ein  Mann  von  Vermögen  den  höheren  Stand 
verlassen,  um  in  den  niedrigeren  einzutreten.  Selbst 
unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  wird  daher  wenig 
Kapital  aus  anderen  Gewerben  auf  die  Bodenkultur  im 
Pachtwege  übergehen.  Mehr  als  in  jedem  anderen  Lande 
geschieht  es  vielleicht  in  Großbritannien,  obgleich  auch 


160     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

hier  die  großen  Kapitalien,  die  hie  und  da  in  Pach- 
tungen angelegt  sind,  gewöhnlich  auch  in  Pachtungen 
erworben  worden,  dem  Erwerbszweige,  in  dem  Kapitalien 
gewöhnlich  am  langsamsten  erworben  werden.  Nächst 
kleinen  Eigentümern  sind  aber  in  allen  Ländern  reiche 
und  große  Pächter  die  Hauptbeförderer  der  Boden- 
kultur, Sie  sind  es  vielleicht  in  England  noch  mehr 
als  in  jeder  anderen  europäischen  Monarchie.  In  den 
Republiken  Holland  und  Bern  sollen  die  Pächter  nicht 
hinter  den  englischen  zurückstehen. 

Die  frühere  europäische  Wirtschaftspolitik  war  auch 
in  anderen  Beziehungen  der  Landwirtschaft,  gleichviel 
ob  vom  Eigentümer  oder  vom  Pächter  betrieben,  un- 
günstig: erstens,  durch  das,  wie  es  scheint,  fast  überall 
geltende  Verbot,  Korn  ohne  besondere  Erlaubnis  aus- 
zuführen; und  zweitens  durch  die  Beschränkungen,  die 
dem  inländischen  Handel  nicht  bloß  in  Getreide,  son- 
dern in  fast  allen  Produkten  der  Landwirtschaft  durch 
die  albernen  Gesetze  gegen  Spekulanten,  Höker  und 
Aufkäufer,  sowie  durch  die  Marktprivilegien  aufgelegt 
wurden.  Es  wurde  bereits  bemerkt,  auf  welche  Weise 
durch  das  Getreideausfuhrverbot  in  Verbindung  mit 
einigen  Begünstigungen  der  Getreideeinfuhr  die  Kultur 
des  alten  Italiens,  des  von  Natur  fruchtbarsten  Landes 
in  Europa  und  zu  jener  Zeit  Sitz  des  größten  Reiches 
der  Welt,  gehemmt  wurde.  Bis  zu  welchem  Grade 
solche  dem  inländischen  Getreidehandel  auferlegte  Be- 
schränkungen, verbunden  mit  dem  allgemeinen  Aus- 
fuhrverbot, die  Bodenkultur  in  weniger  fruchtbaren 
und  weniger  begünstigten  Ländern  hemmen  mußten,  ver- 
mag man  sich  kaum  vorzustellen. 


Drittes  Kapitel. 

Entstehen  und  Wachsen  der  Städte  nach  dem 
Falle  des  römischen  Reichs. 

Die  Einwohner  der  Städte  und  Flecken  waren  nach 
dem  Falle  des  römischen  Reichs  nicht  besser  daran, 
als  die  des  platten  Landes.  Freilich  waren  sie  eine 
Menschenklasse,  die  von  den  ersten  Einwohnern  der  alten 
griechischen  und  italischen  Republiken  sehr  verschieden 
war.  Diese  bestanden  vornehmlich  aus  den  Grundeigen- 
tümern, unter  die  das  Staatsgebiet  ursprünglich  ver- 
teilt war,  und  die  es  geraten  fanden,  ihre  Häuser  nahe 
bei  einander  zu  bauen  und  sie  behufs  gemeinsamer 
Verteidigung  mit  einer  Mauer  zu  umgeben.  Nach  dem 
Falle  des  römischen  Reichs  dagegen  scheinen  die  Grund- 
eigentümer gewöhnlich  in  befestigten  Schlössern  auf 
ihren  Gütern  und  mitten  unter  ihren  Pächtern  und 
Dienstleuten  gelebt  zu  haben.  Die  Städte  wurden  haupt- 
sächlich von  Gewerbtreibenden  und  Handwerkern  be- 
wohnt, die  damals  in  einem  sklavenähnlichen  Zustande 
gelebt  zu  haben  scheinen.  Die  Privilegien,  die  man  in 
alten  Dokumenten  den  Einwohnern  einiger  der  bedeutend- 
sten Städte  von  Europa  bewilligt  findet,  zeigen  hinläng- 
lich, was  sie  vor  jenen  Verleihungen  waren.  Leute, 
denen  es  als  ein  Privilegium  bewilligt  wird,  daß  sie 
ihre  Töchter  ohne  Erlaubnis  ihres  Herrn  verheiraten 
dürfen,  daß  bei  ihrem  Tode  ihre  Kinder  und  nicht  ihr 
Herr  ihr  Vermögen  erben  soll,  und  daß  sie  über  ihren 
Nachlaß  testamentarisch  verfügen  dürfen,  müssen  sich 

Adam  Smith,  Volkswohlstaud.  11.  ^'- 


162     Drittes  Buch:  Die  verscliiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

vor  jenen  Verleihungen  entweder  ganz  oder  doch  fast 
■ganz  in  dem  nämlichen  Zustande  der  Leibeigenschaft 
befunden  haben,  wie  die  Bauern  auf  dem  Lande. 

Sie  scheinen  in  der  Tat  eine  sehr  arme  niedrige 
Klasse  von  Menschen  gewesen  zu  sein,  die,  wie  die 
Trödler  und  Hausierer  heutzutage,  mit  ihren  Waren  von 
Ort  zu  Ort  und  von  Markt  zu  Markt  zu  ziehen  pflegten. 
In  allen  europäischen  Ländern  wurden  damals  ebenso, 
wie  heute  noch  in  verschiedenen  tartarischen  Staaten 
Asiens,  von  den  Personen  und  Waren  der  Reisenden 
Abgaben  erhoben,  wenn  sie  durch  gewisse  Edelhüfe 
kamen,  gewisse  Brücken  passierten,  ihre  Waren  von 
Markt  zu  Markt  führten  und  auf  dem  Markte  eine  Ver- 
kaufsbude errichteten.  Diese  Abgaben  waren  in  England 
unter  dem  Namen  von  Passier-,  Brücken-,  Stand-  und 
Marktzöllen  bekannt.  Bald  vom  König,  bald  von  einem 
der  großen  Lords,  die  anscheinend  in  gewissen  Fällen 
dazu  ermächtigt  waren,  wurde  einzelnen  Handelsleuten, 
zumal  solchen,  die  auf  den  Domänen  des  Königs  oder 
des  Lord  wohnten,  eine  allgemeine  Befreiung  von  diesen 
Abgaben  bewilligt.  Solche  Handelsleute  wurden  des- 
halb, obgleich  sie  in  anderer  Beziehung  noch  leibeigen 
oder  nicht  viel  besser  als  leibeigen  waren,  freie  Handels- 
leute genannt.  Zum  Ersatz  pflegten  sie  ihrem  Schutz- 
herrn eine  Art  jährlicher  Kopfsteuer  zu  zahlen,  denn 
in  jenen  Zeiten  wurde  Schutz  selten  ohne  bare  Bezahlung 
bewilligt,  und  diese  Abgabe  mochte  als  ein  Ersatz  für 
den  Verlust  angesehen  werden,  die  ihre  Patrone  durch 
ihre  Befreiung  von  andern  Abgaben  erlitten.  Anfäng- 
lich scheinen  sowohl  die  Kopfsteuern  als  die  Befreiungen 
durchaus  persönlich  gewesen  zu  sein,  und  nur  einzelne 
Individuen  entweder  lebenslänglich  oder  bis  auf  Wider- 
ruf berührt  zu  haben.  In  den  sehr  unvollständigen 
Nachrichten,  die  aus  dem  Domesday-book  über  ver- 
schiedene Städte  Englands  veröffentlicht  worden  sind. 


Kap.  Ill:  Entstellen  und  Wachsen  der  Städte.  163 

werden  oft  bald  die  Abgaben,  welche  einzelne  Bürger 
für  diese  Art  Schutz  an  den  König  oder  an  einen  anderen 
großen  Heri-n  zahlten,  bald  nur  der  Gesamtbetrag  aller 
solcher  Abgaben  erwähnt*). 

So  knechtisch  aber  auch  die  Lage  der  Stadtbewohner 
ursprünglich  gewesen  sein  mag,  so  sind  sie  doch  offen- 
bar weit  früher  zu  Freiheit  und  Unabhängigkeit  gelangt, 
alsdie  Bauern  aufdemLande.  Der  aus  solchen  städtischen 
Kopfsteuern  sich  ergebende  Teil  der  königlichen  Ein- 
künfte wurde  gewöhnlich  gegen  eine  bestimmte  Rente 
bald  an  den  Sheriff  der  Grafschaft,  bald  an  andere  Leute 
auf  eine  Reihe  von  Jahren  verpachtet.  Oft  hatten  die 
Bürger  selbst  Kredit  genug,  um  die  Pachtung  der  aus 
ihrer  Stadt  fließenden  Steuern  zu  übernehmen,  indem  sie 
solidarisch  für  die  ganze  Rente  hafteten"'*).  Derartige 
Verpachtungen  scheinen  dem  damals  üblichen  Wirt- 
schaftssystem der  europäischen  Fürsten  entsprochen 
zu  haben;  denn  sie  überließen  oft  ganze  Güter  ihren 
Insassen  pachtweise,  wobei  letztere  solidarisch  für  die 
ganze  Rente  hafteten,  aber  die  Eintreibung  nach  Gut- 
dünken besorgen  und  die  Rente  durch  eigene  Verwalter 
an  die  königliche  Schatzkammer  zahlen  konnten,  so 
daß  sie  von  der  Zudringlichkeit  der  königlichen  Beamten 
befreit  blieben,  was  man  in  jener  Zeit  als  äußerst  wich- 
tig ansah. 

Anfänglich  wurden  die  städtischen  Pachtungen 
ebenso  wie  andere  den  Bürgern  wahrscheinlich  nur  auf 
eine  Reihe  von  Jahren  überlassen.  Im  Laufe  der  Zeit 
jedoch  scheint  es  allgemeine  Praxis  geworden  zu  sein, 
sie  ihnen  gegen  eine  bestimmte,  nie  zu  erhöhende  Rente 
gewissermaßen  in  Erbpacht   zu   geben.     Da  auf  diese 

*)  Siehe :  Brady's  Historical  Treatise  of  Cities  and  Boroughs^ 
pag.  3  u.  ff. 

**)  Siehe:  Madox  Firma  Burgi  pag.  18;  und  History  of  the 
Exchequer  ch.  X.  sect.  V.  pag.  223,  first  edition. 

11* 


164     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

Weise  die  Zahlung  eine  immerwährende  geworden  war, 
so  wurden  natürlich  die  Befreiungen,  für  die  sie  entrichtet 
wurde,  es  ebenfalls  und  hörten  nunmehr  auf,  persönlich 
zu  sein  und  konnten  nicht  mehr  den  Einzelnen  als 
solchen,  sondern  als  Bürgern  einer  gewissen  Stadt 
zustehen,  die  deshalb  eine  Freistadt  hieß,  wie  jene  Per- 
sonen Freibürger  oder  freie  Handelsleute  geheißen  hatten. 

Zugleich  mit  dieser  Bewilligung  wurden  den  Bür- 
gern der  Stadt  die  wichtigen  oben  genannten  Privilegien 
erteilt,  daß  sie  ihre  Töchter  nach  Gutdünken  verheiraten, 
daß  ihre  Kinder  sie  beerben  und  daß  sie  über  ihr  be- 
wegliches Vermögen  letztwillig  verfügen  durften.  Ob 
Privilegien  dieser  Art  schon  früher  einzelnen  als  solchen 
zugleich  mit  der  Gewerbefreiheit  bewilligt  zu  werden 
pflegten,  weiß  ich  nicht;  ich  halte  es  jedoch  nicht  für 
unwahrscheinlich,  obgleich  ich  keinen  direkten  Beweis 
dafür  beibringen  kann.  Wie  dem  aber  auch  sei,  die 
Hauptattribute  der  Leibeigenschaft  und  Sklaverei  wurden 
nun  wenigstens  von  ihnen  genommen  und  sie  wurden 
nun  frei  im  heutigen  Sinne  des  Worts. 

Dies  war  nicht  alles.  In  der  Regel  wurden  sie 
gleichzeitig  zu  einer  Gemeinde  od  er  Korporation  erhoben, 
mit  dem  Recht,  ihre  städtischen  Beamten  und  Vertre- 
tungen selbst  zu  wählen,  Ortsstatute  zu  erlassen,  Mauern 
zu  ihrer  Verteidigung  aufzuführen  und  sämtliche  Ein- 
wohner einer  gewissen  militärischen  Disziplin  zu  unter- 
werfen sowie  zum  Wachtdienst  heranzuziehen  d.  h.  zur 
Beschützung  und  Verteidigung  jener  Mauern  gegen  An- 
griffe und  Überfälle  sowohl  bei  Nacht  wie  bei  Tage. 
In  England  waren  sie  in  der  Regel  von  der  Hundert- 
schafts- und  Grafschafts-Gerichtsbarkeit  befreit,  und  alle 
vorkommenden  Rechtsstreitigkeiten  außer  den  die  Krone 
betreffenden  der  Entscheidung  ihrer  eigenen  Obrigkeiten 
überlassen.    In  anderen  Ländern  war  ihnen  oft  eine  noch 


Kap.  Ill:  Entstehen  und  Wachsen  der  Städte.  165 

weit  größere  und  ausgedehntere  Gerichtsbarkeit  zuge- 
billigt*). 

Es  mochte  wohl  notwendig  sein,  Städten,  die  ihre 
Einkünfte  in  Pacht  hatten,  auch  eine  gewisse  Executiv- 
Gerichtsbarkeit  zu  verleihen,  um  ihre  Bürger  zur  Zah- 
lung anhalten  zu  können.  In  jenen  gesetzlosen  Zeiten 
würde  es  sehr  bedenklich  gewesen  sein,  wenn  sie  diese 
Art  Justiz  bei  einem  anderen  Tribunal  hätten  suchen 
sollen.  Gleichwohl  muß  es  auffallend  erscheinen,  daß 
die  Fürsten  aller  Länder  Europas  sich  auf  diese  AVeise 
für  eine  festbestimmte  und  niemals  zu  erhöhende  Rente 
des  Teils  ihrer  Einkünfte  entäußerten,  der  unter  allen 
am  ehesten  lediglich  durch  den  natürlichen  Gang  der 
Dinge,  ohne  Kosten  oder  Mühe  ihrerseits,  wachsen  konnte, 
und  daß  sie  überdies  aus  freien  Stücken  eine  Art  unab- 
hängiger Republiken  im  Herzen  ihrer  Reiche  errichteten. 

Um  dies  zu  verstehen,  muß  man  sich  erinnern,  daß 
damals  vielleicht  in  keinem  europäischen  Staate  ein 
Landesherr  imstande  war,  im  ganzen  Umfang  seines 
Gebietes  den  schwächeren  Teil  seiner  Untertanen  gegen 
die  Bedrückung  der  Großen  zu  schützen.  Diejenigen, 
welche  das  Gesetz  nicht  beschützen  konnte,  und  die 
nicht  stark  genug  waren,  sich  selbst  zu  verteidigen, 
mußten  entweder  zu  dem  Schutze  eines  Großen  ihre 
Zuflucht  nehmen  und,  um  ihn  zu  erhalten,  seine  Sklaven 
oder  Vassallen  werden,  oder  sie  mußten  unter  sich  ein 
gemeinsames  Schutz-  und  Trutzbündnis  schließen.  Die 
einzelnen  Einwohner  der  Städte  und  Flecken  waren 
zur  Verteidigung  ohnmächtig;  dagegen  mit  ihren  Nach- 
barn zu  Schutz  und  Trutz  verbunden,  waren  sie  im- 
stande, einen  nicht  verächtlichen  Widerstand  zu  leisten. 
Die  Barone  verachteten  die  Bürger,  die  sie  nicht  bloß 


*)   Siehe:    Madox  Firma  Burgi.     Ferner;   Pfeffel,   Abrege 
chronologique  de  l'histoire  d'AlIemagne. 


166      Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

als  einen  anderen  Stand,  sondern  als  einen  Haufen 
emanzipierter  Sklaven,  und  fast  als  eine  andere  Species 
von  Geschöpfen  ansahen.  Der  "Wohlstand  der  Bürger 
weckte  stets  ihren  Neid  und  Zorn,  und  sie  plünderten 
sie  bei  jeder  Gelegenheit  ohne  Gnade  und  Erbarmen. 
Die  Bürger  ihrerseits  haßten  und  fürchteten  die  Adligen. 
Auch  der  König  haßte  und  fürchtete  die  letzteren,  wo- 
gegen er  die  Bürger  wohl  verachten  konnte,  aber  keinen 
Grund  hatte,  sie  zu  hassen  oder  zu  fürchten.  So  machte 
ein  gegenseitiges  Interesse  die  Bürger  geneigt,  den 
König  zu  unterstützen,  und  den  König,  ihnen  gegen 
den  Adel  zu  helfen.  Die  Bürger  waren  die  Feinde  seiner 
Feinde,  und  es  lag  in  seinem  Interesse,  sie  gegen  diese 
Feinde  so  sicher  und  unabhängig  wie  möglich  zu  stellen. 
Durch  die  Erlaubnis,  ihre  Magistrate  zu  wählen  und 
durch  das  Recht,  Ortsstatute  zu  erlassen,  Mauern  zu 
ihrer  Verteidigung  zu  bauen  und  alle  Einwohner  einer 
Art  militärischer  Disziplin  zu  unterwerfen,  gab  er  ihnen 
alle  Mittel  zur  Sicherheit  und  Unabhängigkeit  von  den 
Baronen,  die  er  zu  geben  imstande  war.  Ohne  die 
Herstellung  einer  geordneten  Verfassung  dieser  Art  und 
ohne  die  Macht,  ihre  Bewohner  zu  nötigen,  nach  einem 
bestimmten  Plan  oder  System  zu  handeln,  würde  kein 
freiwilliger  Bund  zu  Schutz  und  Trutz  ihnen  dauernde 
Sicherheit  verschafft  oder  sie  in  Stand  gesetzt  haben, 
dem  König  ansehnlichen  Beistand  zu  leisten.  Indem 
dieser  ihnen  die  Einkünfte  ihrer  Stadt  in  Erbpacht  gab, 
benahm  er  denen,  die  er  zu  Freunden  und  gewisser- 
maßen zu  Verbündeten  zu  haben  wünschte,  allen  Grund 
zur  Eifersucht  und  zu  dem  Verdachte,  daß  er  sie  später 
etwa  durch  Erhöhung  der  Rente  oder  durch  Vergebung 
der  Pacht  an  einen  anderen  drücken  werde. 

Die  Fürsten,  die  mit  ihren  Baronen  am  gespannte- 
sten lebten,  scheinen  demgemäß  in  Bewilligungen  an 
ihre  Bürger   am   freigebigsten  gewesen   zu   sein.     Der 


Kap.  Ill:  Entstehen  und  Wachsen  der  Städte.  JßJ 

König  Johann  von  England  z.  B.  war  anscheinend  einer 
der  größten  Wohltäter  der  Städte*).  Nachdem  Philipp 
der  Erste  von  Frankreich  allen  Einfluß  auf  seine  Ba- 
rone verloren  hatte,  zog,  nach  P.  Daniel,  gegen  das 
Ende  seiner  Regierung  sein  Sohn  Ludwig,  später  bekannt 
unter  dem  Namen  Ludwigs  des  Dicken,  die  Bischöfe 
seines  Königreiches  darüber  zu  Rate,  welches  die  ge- 
eignetsten Mittel  sein  dürften,  die  Gewalt  der  grol3on 
Barone  einzuschränken.  Sie  machten  zwei  Vorschläge. 
Der  eine  ging  dahin,  eine  neue  Art  Gerichtsbarkeit  ein- 
zuführen und  in  jeder  größeren  Stadt  seines  Gebiets 
Magistrate  und  städtische  Vertretungen  herzustellen ; 
der  andere,  eine  neue  Miliz  zu  bilden  und  die  Einwoh- 
ner der  Städte  unter  dem  Befehl  ihrer  Magistrate  unter 
Umständen  zum  Beistande  des  Königs  ausrücken  zu 
lassen.  Von  diesem  Zeitpunkte  ist,  den  französischen 
Altei  tumsforschern  zufolge,  die  Einführung  der  Magi- 
strate und  Stadtvertretungen  in  Frankreich  zu  datieren. 
In  Deutschland  erlangten  die  meisten  freien  Städte  un- 
ter den  unseligen  Regierungen  der  Hohenstaufen  zuerst 
ihre  Privilegien  und  ward  der  berühmte  hanseatische 
Bund  zuerst  furchtbar.*''') 

Die  städtische  Miliz  scheint  damals  den  Mannen 
der  Adligen  nicht  nachgestanden  zu  haben,  und  da  sie 
bei  plötzlichen  Vorfällen  schneller  versammelt  werden 
konnte,  so  gewann  sie  oft  in  ihren  Streitigkeiten  mit 
den  benachbarten  Baronen  die  Oberhand.  In  Ländern 
wie  Italien  und  die  Schweiz,  in  denen  wegen  ihrer 
Entfernung  vom  Hauptsitze  der  Regierung  oder  wegen 
der  natürlichen  Stärke  des  Landes  oder  aus  irgend 
einem  anderen  Grunde  der  Landesherr  nach  und  nach 
sein  ganzes  Ansehen  verlor,  wurden  die  Städte  in  der 
Regel  unabhängige  Republiken,  unterjochten  den  Adel 

=*=)  Siehe  Madox.    ^''*)  Siehe  Pfeffel. 


J  68      Drittes  Bucli:  Die  verscluedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

der  Umgegend  und  zwangen  ihn,  seine  Burgen  niederzu- 
reißen und  gleicli  anderen  friedlichen  Einwohnern  in  der 
Stadt  zu  wohnen.  Dies  ist  die  kurze  Geschichte  der 
Republik  Bern,  sowie  verschiedener  anderer  Städte  in 
der  Schweiz.  Mit  Ausnahme  von  Venedig,  dessen  Ge- 
schichte etwas  anders  verlief,  war  es  die  Geschichte 
aller  bedeutenden  italienischen  Republiken,  deren  soviele 
zwischen  dem  Ende  des  zwölften  und  dem  Anfang  des 
sechzehnten  Jahrhunderts  entstanden  und  untergegangen 
sind.  In  Ländern  wie  Frankreich  und  England,  wo 
das  Ansehen  des  Landesherrn,  so  gering  es  oft  war, 
doch  niemals  ganz  erlosch,  hatten  die  Städte  keine 
Gelegenheit,  völlig  unabhängig  zu  werden.  Indes  wurden 
sie  doch  so  mächtig,  daß  der  Landesherr  ihnen  ohne 
ihre  Einwilligung  außer  der  festgesetzten  Pachtrente 
keine  Abgaben  auflegen  konnte.  Sie  wurden  daher 
aufgefordert,  Abgeordnete  zu  der  allgemeinen  Stände- 
versammlung des  Reichs  zu  schicken,  um  im  Verein 
mit  der  Geistlichkeit  und  den  Baronen  dem  König  bei 
dringenden  Gelegenheiten  außerordentliche  Hilfe  zu 
bewilligen.  Da  sie  auch  seine  Macht  gewöhnlich  mehr 
begünstigten,  so  scheinen  ihre  Abgeordneten  öfters  als 
ein  Gegengewicht  gegen  die  Macht  der  großen  Barone 
benutzt  worden  zu  sein.  Daher  die  Vertretung  der 
Städte  in  den  ständischen  Versammlungen  aller  großen 
europäischen  Monarchien. 

Auf  diese  Weise  wurde  zu  einer  Zeit,  wo  die  Bauern 
des  platten  Landes  noch  jeder  Art  von  Gewalttätigkeit 
ausgesetzt  waren,  in  den  Städten  Ordnung  und  gute  Ver- 
waltung und  mit  diesen  zugleich  Freiheit  und  Sicherheit 
der  einzelnen  begründet.  Menschen  in  wehrloser  Lage 
begnügen  sich  aber  mit  ihrem  notwendigen  Unterhalt, 
weil  ihr  Mehrerwerb  nur  die  Ungerechtigkeit  ihrer  Unter- 
drücker reizen  würde.  Sind  sie  hingegen  sicher,  die 
Früchte  ihres  Fleißes  zu  genießen,  so  strengen  sie  sich 
natürlich  an,  ihre  Lage  zu  verbessern,  und  nicht  nur 


Kap.  Ill:  Entstehen  und  "Wachsen  der  Städte.  169 

das  notwendige,  sondern  auch  die  Bequemlichkeiten  und 
feineren  Genüsse  des  Lebens  zu  erwerben.  Dieser  Fleiß, 
der  auf  etwas  mehr  als  den  notwendigen  Unterhalt 
ausgeht,  stellte  sich  daher  weit  früher  in  den  Städten, 
als  bei  den  Bewohnern  des  platten  Landes  ein.  Wenn 
sich  in  den  Händen  eines  armen  Bauern,  der  unter  dem 
Druck  der  Leibeigenschaft  schmachtete,  ein  kleines  Ka- 
pital sammelte,  so  verbarg  er  es  sorgfältig  vor  seinem 
Herrn,  dem  es  sonst  geh()rt  hätte,  und  ergriff  die  erste 
Gelegenheit,  um  in  eine  Stadt  zu  entfliehen.  Das  Gesetz 
war  damals  so  nachsichtig  gegen  die  Städter  und  so  be- 
eifert, die  Macht  der  Barone  über  die  Landbewohner  zu 
schmälern,  daß  der  Flüchtling,  wenn  er  sich  ein  Jahr 
lang  vor  der  Verfolgung  seines  Herrn  verbergen  konnte, 
auf  immer  frei  war.  Alle  Kapitalien,  die  sich  in  den 
Händendes  fleißigen  Teils  der  Landbewohner  sammelten, 
flüchteten  sich  daher  natürlich  in  die  Städte,  die  einzigen 
Zufluchtsorte,  wo  sie  ihrem  Erwerber  sicher  waren. 

Allerdings  müssen  die  Einwohner  einer  Stadt  zuletzt 
immer  ihren  Unterhalt  und  alle  Stoffe  und  Hilfsmittel 
ihrer  Industrie  vom  Lande  empfangen.  Doch  sind  die 
Einwohner  einer  Stadt,  die  entweder  an  der  Meeresküste 
oder  an  den  Ufern  eines  schiffbaren  Flusses  liegt,  nicht 
notwendig  darauf  beschränkt,  ihren  Bedarf  aus  der  Um- 
gegend zu  beziehen.  Sie  haben  einen  viel  weiteren  Spiel- 
raum und  können  ihren  Bedarf  aus  den  entlegensten 
Enden  der  Welt  beziehen,  entweder  in  Tausch  gegen 
ihre  gewerblichen  Erzeugnisse,  oder  durch  Rhederei  zwi- 
schen fremden  Ländern  und  Vermittelung  ihres  gegen- 
seitigen Austausches.  Auf  solche  Weise  kann  eine  Stadt 
zu  großem  Wohlstand  und  Glanz  gelangen,  während 
nicht  nur  ihre  Umgebung,  sondern  auch  die  Länder,  mit 
denen  sie  Handel  treibt,  arm  und  elend  bleiben.  Jedes 
dieser  Länder  einzeln  könnte  der  Stadt  vielleicht  nur 
einen  kleinen  Teil  ihres  Unterhalts  oder  ihrer  Beschäf- 
tigung gewähren,  aber  alle  zusammen  sind  sie  imstande. 


170     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

ihr  Unterhalt  und  Beschäftigung  im  reichsten  Maße 
zu  verschaffen.  Indes  gab  es  doch  in  dem  engen  Ver- 
kehrskreiso jener  Zeiten  einige  Länder,  die  reich  und 
gevverbsam  waren;  so  das  griechische  Reich,  solange  es 
bestand,  und  das  Reich  der  Sarazenen  während  der  Herr- 
schaft der  Abbassiden;  so  auch  Ägypten  bis  zu  seiner 
Eroberung  durch  die  Türkon,  ein  Teil  der  Küsten  der 
Berberei  und  alle  Provinzen  Spaniens,  die  unter  der 
Herrschaft  der  Mauren  standen. 

Die  Städte  Italiens  scheinen  die  ersten  in  Europa 
gewesen  zu  sein,  die  sich  durch  den  Handel  zu  einem 
hohen  Grade  von  Wohlstand  aufschwangen.  Italien  lag 
im  Mittelpunkte  der  damaligen  Zivilisation.  Auch  die 
Kreuzzüge,  die  zwar  durch  die  großen  von  ihnen  zuge- 
fügten Verluste  an  Kapitalien  und  Menschen  den  Fort- 
schritt der  meisten  europäischen  Länder  notwendig  hem- 
men mußten,  waren  doch  dem  Aufschwünge  einiger 
italienischen  Städte  äußerst  günstig.  Die  großen  Heere, 
welche  von  allen  Seiten  her  zur  Eroberung  des  heiligen 
Landes  auszogen ,  gaben  der  Schiff  fahrt  Venedigs,  Genuas 
und  Pisas  teils  durch  die  Beförderung  der  Heere,  noch 
mehr  aber  durch  ihre  Versorgung  mit  Lebensmitteln, 
außerordentlichen  Aufschwung.  Sie  waren  gleichsam 
die  Proviantmeister  dieser  Heere,  und  so  wurde  die 
verderblichste  Tollheit,  die  jemals  die  europäischen  Völ- 
ker befallen  hat,  eine  Quelle  des  Reichtums  für  jene 
Republiken. 

Die  Einwohner  der  Handelsstädte  nährten  durch 
Einfuhr  der  fertigen  Fabrikate  und  kostspiehgen  Luxus- 
artikel reicherer  Länder  die  Eitelkeit  der  großen  Eigen- 
tümer, die  jene  Waren  mit  großen  Mengen  ihrer  Roh- 
produkte gierig  kauften.  Der  Handel  fast  ganz  Europas 
bestand  damals  vornehmlich  in  dem  Austausch  seiner 
Rohprodukte  gegen  die  industriellen  Erzeugnisse  zivi- 
lisierterer  Völker.    So  wurde   die  Wolle  Englands   ge- 


Kap.  Ill:  Entstehen  und  AVachsen  der  Städte.  17 J 

gen  französische  Weine  und  die  feinen  Tücher  Flanderns 
vertauscht,  wie  heutzutage  das  Getreide  Polens  gegen 
den  Wein  und  Branntwein  Frankreichs  und  die  Soiden- 
und  Sammetwaren  Frankreichs  und  Italiens. 

Auf  diese  Art  wurde  durch  den  auswärtigen  Handel 
der  Geschmack  an  den  feineren  und  künstlicheren  Fabri- 
katen in  Länder  vorpflanzt,  in  denen  solche  Gegenstände 
nicht  verfertigt  wurden.  Als  jedoch  dieser  Geschmack 
so  allgemein  wurde,  dal.5  er  eine  beträchtliche  Nachfi'age 
hervorrief,  suchten  die  Kaufleuto,  um  die  Frachtkosten 
zu  ersparen,  Manufakturen  derselben  Art  in  ihrem  eige- 
nen Lande  zu  errichten.  Daher  der  Ursprung  der  ersten 
Fabriken  für  entfernte  Absatzgebiete,  die  nach  dem 
Falle  des  römischen  Reichs  in  den  westlichen  Ländern 
Europas  entstanden. 

Kein  großes  Land  hat,  wie  bemei'kt  werden  muß, 
jemals  ohne  alle  Industrie  bestanden  oder  bestehen  kön- 
nen; und  wenn  man  von  einem  Lande  sagt,  es  habe 
keine  Industrie,  so  meint  man  damit  die  feineren  und 
künstlicheren  d.  h.  solche,  die  sich  für  entfernte  Ab- 
satzgebiete eignen.  In  jedem  großen  Lande  ist  die  Klei- 
dung und  das  Hausgerät  der  großen  Mehrzahl  des  Volkes 
das  Produkt  seiner  eigenen  Industrie.  Dies  ist  sogar  in 
den  armen  Ländern,  die  nach  dem  gewöhnlichen  Aus- 
druck keine  Industrie  haben,  noch  allgemeiner  der  Fall, 
als  in  den  reichen,  wo  sie  als  hoch  entwickelt  betrachtet 
wird.  In  den  letzteren  wird  man  im  Allgemeinen  unter 
den  Kleidern  und  dem  Hausgerät  der  niedrigsten  Volks- 
klasse einen  weit  größeren  Teil  ausländischer  Produkte 
finden,  als  in  den  erstereu. 

Die  Industrien,  die  sich  für  entfernte  Absatzgebiete 
eignen,  scheinen  auf  zweierlei  Art  in  die  verschiedenen 
Länder  verpflanzt  worden  zu  sein. 

Zuweilen  wurden  sie  in  der  oben  erwähnten  Art 
durch    die   so   zu    sagen    gewaltsame    Einwirkung    der 


172     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

Kapitalien  einzelner  Kaufleute  und  Unternehmer  einge- 
führt, die  sie  auf  die  Nachahmung  fremder  Industrien 
derselben  Art  verwendeten.  Solche  Industrien  haben 
daher  ihren  Ursprung  im  auswärtigen  Handel,  und  dies 
scheint  mit  der  früheren  Seiden-,  Sammt-  und  Brokat- 
industrie, dieim  dreizehnten  Jahrhundert  inLucca  blühte, 
der  Fall  gewesen  zu  sein.  Von  da  wurde  sie  durch 
die  Tyrannei  eines  der  Helden  Macchiavell's,  Castruccio 
Castracani,  verbannt;  er  vertrieb  im  Jahre  1310  neun 
Hundert  Familien  aus  Lucca,  von  denen  einunddreißig 
nach  Venedig  flohen  und  sich  erboten,  daselbst  die  Seiden- 
industrie einzuführen*).  Ihr  Anerbieten  wurde  ange- 
nommen; sie  erhielten  viele  Vorrechte  und  fingen  die 
Geschäfte  mit  dreihundert  Arbeitern  an.  Ahnlich  scheint 
es  mit  der  Manufaktur  von  feinen  Tüchern  gegangen 
zu  sein,  die  schon  vor  Alters  in  Flandern  blühte  und  in 
den  ersten  Regierungsjahren  der  Königin  Elisabeth  nach 
England  verpflanzt  wurde;  und  ebenso  mit  der  jetzigen 
Seidenindustrie  vonLyon  undSpitalflields.  Derartig  ver- 
pflanzte Industrien  verarbeiten  in  der  Regel  ausländische 
Stoffe,  da  sie  ausländische  Waren  nachahmen.  Beim 
ersten  Aufblühen  der  venezianischen  Industrie  kamen  die 
Stoffe,  sämtlich  aus  Sicilien  und  der  Levante.  Die  noch 
ältere  Industrie  Luccas  Wurdegleichfalls  mitausländischen 
Stoffen  betrieben.  Die  Kultur  des  Maulbeerbaums  und 
die  Zucht  der  Seidenwürmer  scheint  im  nördlichen  Italien 
nicht  vor  dem  sechzehnten  Jahrhundert  üblich  gewesen 
zu  sein;  nach  Frankreich  kamen  diese  Geschäfte  erst 
unter  der  Regierung  Karls  IX.  Die  flandrischen  Manu- 
fakturen wurden  hauptsächlich  mit  spanischer  oder  eng- 
lischer Wolle  betrieben.  In  England  war  die  spanische 
Wolle  zwar  nicht  das  Material  der  ersten  Wollmanufak- 
turten  überhaupt,  aber  doch  das  der  ersten  Manufakturen 
für  entfernten  Absatz.    Rohstoff  der  Lyoner  Manufak- 

*)  Siehe  Sandi,  Istoria   civile  di  Vinezia,  Parte  II.    Vol.   I, 
pag.  247,  256. 


Kap.  Ill;  Entstehen  und  Wachsen  der  Städte.         173 

turen  ist  bis  zum  heutigen  Tag  zur  größern  Hälfte  aus- 
ländische Seide;  bei  ihrer  ersten  Errichtung  bestand 
das  ganze  oder  fast  das  ganze  Material  daraus.  Unter 
den  Rohstoffen  der  Manufakturen  in  Spitalfields  ist  wohl 
nichts  von  englischer  Herkunft.  Da  solche  Manufakturen 
in  der  Regel  von  wenigen  Privatleuten  eingeführt  werden, 
so  haben  sie  ihren  Sitz  bald  in  einer  Seestadt,  bald  in 
einer  Stadt  im  Innern  des  Landes,  je  nachdem  Interesse, 
Einsicht  oder  Laune  es  fügt. 

Ein  andres  Mal  entstehen  Manufakturen  für  entfernten 
Absatz  auf  natürlichem  Wege  und  gleichsam  von  selbst 
durch  die  allmälige  Verfeinerung  jener  groben,  aufs 
Haus  beschränkten  Manufakturen,  die  auch  in  den  ärmsten 
und  rohesten  Ländern  immer  betrieben  werden  müssen. 
Solche  Manufakturen  arbeitenge  wohnlich  mit  Materialien, 
welche  das  Land  hervorbringt,  und  scheinen  oft  zuerst 
in  Gegenden  vervollkommnet  zu  sein,  die,  wenn  auch 
nicht  allzuweit,  so  doch  immer  entfernt  von  der  Seeküste, 
ja  manchmal  ohne  alle  Wasserverbindung  waren.  Ein 
von  Natur  fruchtbares  und  leicht  zu  bebauendes  Binnen- 
land bringt  einen  großen  Überschuß  von  Lebensmitteln 
über  die  zum  Unterhalt  der  Bauern  nötige  Menge  her- 
vor, und  bei  den  hohen  Kosten  der  Landfracht  und  der 
Schwierigkeit  der  Fluf3schifffahrt  wird  es  oft  schwer, 
diesen  Überschuß  auszuführen.  Der  Überfluß  macht 
daher  die  Lebensmittel  wohlfeil  und  veranlaßt  zahlreiche 
Arbeiter,  welche  finden,  daß  sie  sich  hier  durch  Fleiß 
mehr  Unterhaltsmittel  und  Lebensgenuß  verschaff  en  kön- 
nen, als  anderwärts,  sich  in  der  Gegend  niederzulassen. 
Sie  verarbeiten  nur  die  Rohstoffe,  die  das  Land  hervor- 
bringt, und  vertauschen  ihre  fertigen  Waren,  oder,  was 
dasselbe  ist,  den  Preis  dieser  Waren  gegen  neue  Roh- 
stoffe und  Lebensmittel.  Sie  geben  dem  überschüssigen 
Teile  der  Bodenerzeugnisse  einen  neuen  Wert,  indem 
sie  die  Kosten,   diese   nach   einem  Seehafen   oder   auf 


174     Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

einen  entfernten  Markt  zu  schaffen,  ersparen;  und  ver- 
schaffen zugleich  im  Tausch  für  die  Bodenerzeugnisse 
dem  Landmann  wohlfeiler  als  zuvor  die  ihm  nützlichen 
oder  angenehmen  Gegenstände.  Die  Landleute  erhalten 
für  ihre  überschüssigen  Erzeugnisse  bessere  Preise  und 
kaufen  ihren  Bedarf  an  anderen  Waren  wohlfeiler.  Da- 
durch werden  sie  ermutigt  und  befähigt,  den  Über- 
schuß durch  weitere  Verbesserungen  und  vollkommnere 
Bodenkultur  noch  zu  vermehren;  und  wie  die  Frucht- 
barkeit des  Landes  den  Manufakturen  ihr  Dasein  gab, 
so  wirkt  der  Fortschritt  der  Manufakturen  wieder  auf 
das  Land  zurück  und  erhöht  dessen  Fiuchtbarkeit. 
Die  Industriellen  versorgen  zuerst  die  Umgegend  und 
später,  wenn  ihre  Arbeit  sich  vervollkommnet  und  ver- 
feinert, entferntere  Märkte;  denn  wenn  auch  weder 
das  Rohprodukt  noch  selbst  die  gröberen  Manufaktur- 
waren die  Kosten  einer  bedeutenden  Landfracht  ohne 
große  Schwierigkeit  tragen  könnten,  so  vermag  es  doch 
die  feinere  und  künstlichere  Ware  ganz  leicht.  Sie 
enthält  oft  in  einem  kleinen  Baume  den  Preis  einer 
großen  Menge  von  Ilohprodukten.  Ein  Stück  Tuch 
z.  B.  das  nur  achtzig  Pfund  wiegt,  schließt  nicht  nur 
den  Preis  von  achtzig  Pfund  Wolle,  sondern  manch- 
mal auch  den  von  mehreren  tausend  Pfund  Gretreide,  die 
den  Unterhalt  der  verschiedenen  Arbeiter  und  ihrer 
Arbeitgeber  bildeten,  in  sich.  Auf  diese  Weise  wird 
das  Getreide,  welches  in  seiner  eigenen  Gestalt  nur  mit 
großer  Schwierigkeit  hätte  versandt  werden  können,  in 
der  Gestalt  eines  fertigen  Fabrikats  wirksam  ausgeführt 
und  kann  mit  Leichtigkeit  in  die  entlegensten  Ge- 
genden der  Welt  versendet  werden.  Auf  diesem  na- 
türlichen Wege  sind  die  Manufakturen  von  Leeds,  Hali- 
fax, Sheffield,  Birmingham  und  Wolverhampton  ent- 
standen. Sie  sind  Kinder  des  Ackerbaues.  In  der 
neueren  Geschichte  Europas  ist  ihre  Ausbreitung  und 


Kap.  Ill:  Entstehen   und  Wachsen  der  Städte.  175 

Veivollkommnung  gewöhnlich  später  eingetreten  als 
die  solcher  Gewerbe,  die  dem  auswärtigen  Handel  ihr 
Dasein  verdanken.  England  war  in  der  Fabrikation 
feiner  Tücher  aus  spanischer  Wolle  schon  länger  als 
ein  Jahrhundert  berühmt,  ehe  eines  der  jetzt  in  den 
oben  erwähnten  Städten  blühenden  Gewerbe  auf  ent- 
fernten Absatz  eingerichtet  war.  Die  Ausbreitung  und 
Vervollkommnung  dieser  letzteren  konnte  nur  infolge 
der  Ausbreitung  und  Vervollkommnung  des  Ackerbaues 
eintreten,  —  der  letzten  und  größten  Wirkung  des 
auswärtigen  Handels  und  der  durch  ihn  unmittelbar 
verpflanzten  Industrie,  wie  ich  dies  jetzt  begründen 
werde. 


Viertes  Kapitel. 

Wie  der  städtische  Verkehr  zur  Vervollkomm- 
nung der  Landwirtschaft  beigetragen  hat. 

Die  Zunahme  und  der  Reichtum  der  Handels-  und 
Industriestädte  trug  auf  dreifache  Weise  zur  Kultur  und 
Verbesserung  der  Gegenden  bei,   in  denen   sie  lagen: 

Erstens  ermutigten  sie  durch  Gewährung  eines 
großen  und  leichten  Absatzes  für  die  Rohprodukte  des 
Landes  zu  seiner  Kultur  und  weiteren  Verbesserung. 
Dieser  wohltätige  Einfluß  beschränkte  sich  nicht  auf 
die  Gegenden,  in  denen  sie  lagen,  sondern  breitete  sich 
mehr  oder  weniger  auf  alle  Länder  aus,  mit  denen  sie 
in  Verkehr  standen.  Diesen  allen  eröffneten  sie  einen 
Markt  für  ihre  rohen  und  verarbeiteten  Produkte  und 
erteilten  ihnen  infolge  davon  Antriebe  zu  Fleiß  und 
Kultur.  Doch  zog  ihr  eigenes  Land  wegen  seiner  Nähe 
den  größten  Vorteil  von  diesem  Markte.  Da  seine  Roh- 
produkte weniger  Frachtkosten  zu  tragen  hatten,  so 
konnten  die  Händler  den  Produzenten  bessere  Preise 
bewilligen,  und  sie  den  Konsumenten  doch  ebenso  wohl- 
feil liefern,  als  die  aus  entfernteren  Gegenden. 

Zweitens  wurde  das  von  den  Städtern  erworbene 
Vermögen  oft  dazu  verwendet,  verkäufliche  Ländereien 
an  sich  zu  bringen,  die  sonst  meist  unbebaut  geblieben 
wären.  Kaufleute  haben  in  der  Regel  den  Ehrgeiz, 
Gutsbesitzer  zu  werden,  und  wenn  sie  es  sind,  erweisen 
sie  sich  gewöhnlich  als  die  eifrigsten  Förderer  der  Boden- 
kultur.    FAn  Kaufmann  ist  gewohnt,  sein  Geld  haupt- 


Kap.  IV. :  Der  städt.  Yerkclir  ein  Förderer  d.  Landwirtschaft.  177 

sächlich  in  gewinnreichen  Unternehmungen  anzulegen, 
während  ein  Landedelmann  gewohnt  ist,  es  hauptsächlich 
in  großem  Aufwände  draufgehen  zu  lassen.    Der  eine 
sieht  sein  Geld  oft  davon  gehen  und  mit  Gewinn  wieder 
zurückkehren ;  der  andere  hingegen  erwartet,  wenn  er 
sich  einmal  davon  getrennt  hat,  kaum  je  etwas  davon 
wiederzusehen.  Diese  verschiedenen  Gewohnheiten  wir- 
ken auf  ihre  Sinnesart  und  Neigung  in  jeder  Art  von 
Geschäften.      Ein   Kaufmann   ist  in   der  Regel   unter- 
nehmend, ein  Landjunker  ängstlich.     Der  eine  scheut 
es   nicht,  auf  einmal  ein  großes  Kapital   für  die  Ver- 
besserung seines  Landes  zu  verausgaben,   wenn  er  nur 
die  wahrscheinliche  Aussicht  hat,  ein  größeres  Kapital 
wieder  herauszuschlagen;   der   andere   wagt,   wenn   er 
wirklich  ein  Kapital  hat,  was  nicht  immer  der  Fall  ist, 
nur  selten,  es  auf  diese  Weise  zu  verwenden.    Wenn 
er  überhaupt  etwas  für  Verbesserungen  tut,  so  geschieht 
es  in  der  Regel  nicht  mit  einem  Kapital,  sondern  mit 
den    Ersparnissen    aus    seinen   jährlichen    Einkünften. 
Wer  jemals  in   einer  Handelsstadt  gelebt  hat,   die   in 
einer  wenig  kultivierten  Gegend  liegt,  muß  oft  bemerkt 
haben,  um  wie  viel  kühner  Kaufleute  in  solchen  Unter- 
nehmungen vorgehen,  als  Landedelleute.  Überdies  macht 
die  Gewöhnung  an  Ordnung,  Sparsamkeit  und  Aufmerk- 
samkeit,   wozu  Handelsgeschäfte    den   Kaufmann   von 
selbst  heranbilden,  diesen  weit  geschickter,  Unterneh- 
mungen der  Art  mit  Gewinn  und  Erfolg  durchzuführen. 
Drittens  und  letztens  bringen  Handel  und  Industrie 
nach  und  nach  Ordnung  und  Verwaltung   und  damit 
zugleich  individuelle  Freiheit  und  Sicherheit  unter  den 
Landbewohnern  mit  sich,  die  zuvor  fast  in  beständigem 
Kriegszustande  mit  ihren  Nachbarn  und  in  sklavischer 
Abhängigkeit   von  ihren  Obern   gelebt   hatten.     Diese 
Wirkung  ist  zwar  am  wenigsten  beachtet  worden,  ist 
aber  gleichwohl  die   wichtigste  von    allen.     Hume   ist 

Adam  Smith,  Volkswohlstaud.  U.  1-2 


178  Di'itte.s  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

meines  Wissens  der  einzige  Schriftsteller,   der  darauf 
hingewiesen  hat. 

In  einem  Lande,  das  weder  auswärtigen  Handel, 
noch  irgend  eine  der  feineren  Manufakturen  besitzt,  findet 
ein  großer  Eigentümer  nichts,  wofür  er  den  Überschuß 
seiner  Bodenprodukte  vertausdien  könnte,  und  ver- 
braucht deshalb  alles  in  bäurischer  Gastlichkeit  daheim. 
Ist  der  Überschuß  seiner  Bodenprodukte  groß  genug, 
um  hundert  oder  tausend  Menschen  zu  erhalten,  so 
kann  er  doch  keinen  anderen  Gebrauch  davon  machen, 
als  hundert  oder  tausend  Menschen  damit  zu  ernähren. 
Er  ist  daher  allezeit  von  einer  Menge  von  Schmarotzern 
und  Abhängigen  umgeben,  die,  weil  sie  für  ihren  Unter- 
halt keinen  Gegenwert  zu  geben  haben,  sondern  nur  von 
seiner  Gnade  leben,  ihm  gehorchen  müssen,  wie  Soldaten 
dem  Fürsten,  der  sie  bezahlt.  Vor  der  Ausbreitung  des 
Handels  und  der  Industrie  in  Europa  überstieg  die  Gast- 
lichkeit der  Reichen  und  Großen,  vom  Landesherrn 
herab  bis  zum  kleinsten  Baron,  alle  Begriffe.  West- 
minster-Hall  war  der  Speisesaal  Wilhelms  des  Roten 
und  mag  oft  für  seine  Gesellschaft  nicht  zu  groß  ge- 
wesen sein.  Als  ein  Beweis  verschwenderischen  Reich- 
tums wurde  es  angesehen,  daß  Thomas  Becket  den  Fuß- 
boden seiner  Halle  mit  Stroh  oder  Heu  bestreuen  ließ, 
damit  die  Ritter  oder  Knappen,  die  keine  Sitze  be- 
kommen konnten,  sich  ihre  schönen  Kleider  nicht  ver- 
derben sollten,  wenn  sie  sich  auf  den  Boden  setzten,  um 
ihr  Mahl  zu  verzehren.  Der  große  Graf  von  Warwick 
soll  auf  seinen  verschiedenen  Gütern  jeden  Tag  dreißig- 
tausend Menschen  ernährt  haben ;  und  wenn  diese  Zahl 
auch  übertrieben  sein  mag,  so  muß  sie  immerhin  sehr 
groß  gewesen  sein,  um  eine  solche  Übertreibung  zu- 
zulassen. Eine  ähnliche  Gastfreiheit  war  noch  vor 
wenigen  Jahren  in  vielen  Gegenden  der  schottischen 
Hochlande  Sitte.     Sie  scheint  allen  Völkern   eigen  zu 


Kap.  IV. :  Der  städt.  Verkehr  ein  Fih'derer  d.  Landwirtschaft.  1 79 

sein,  die  wenig  Handel  und  Industrie  kennen.  „Ich 
habe  gesehen,"  erzählt  Dr.  Pococke,  „wie  ein  arabischer 
Häuptling  in  einer  Stadt,  wohin  er  gegangen  war,  um 
Vieh  zu  verkaufen,  auf  offener  Straße  speiste,  und  alle 
Vorübergehenden,  selbst  gemeine  Bettler,  einlud,  sich 
zu  ihm  zu  setzen   und  an  dem  Mahle  teilzunehmen." 

Die  Bauern  waren  vom  großen  Grundeigentümer 
in  jeder  Beziehung  ebenso  abhängig  wie  seine  Dienst- 
leute. Die  nicht  Leibeigenen  waren  Pächter  auf  Zeit 
(Tenants  at  will),  die  eine  dem  Unterhalt,  den  ihnen  das 
Land  lieferte,  in  keiner  Weise  entsprechende  Rente 
zahlten.  Eine  Krone  (fünf  Schilling),  eine  halbe  Krone, 
ein  Schaf,  ein  Lamm  war  noch  vor  wenigen  Jahren  in 
den  schottischen  Hochlanden  ein  üblicher  Pachtzins  für 
ein  Stück  Land,  das  eine  Familie  nährte.  An  einigen 
Orten  ist  es  noch  bis  heute  so;  auch  erhält  man  für 
Geld  dort  jetzt  nicht  mehr  Waren  als  anderwärts.  In 
einem  Lande,  wo  die  überschüssigen  Produkte  eines 
großen  Gutes  auf  dem  Gute  selbst  verzehrt  werden 
müssen,  wird  es  dem  Eigentümer  oft  angenehmer  sein, 
wenn  es  zum  Teil  nicht  in  seinem  Hause  geschieht, 
wofern  nur  die  Verzehrer  von  ihm  ebenso  abhängig 
bleiben,  als  sein  Gefolge  oder  sein  Hausgesinde.  Er  er- 
spart sich  dadurch  die  Last  einer  zu  großen  Gesellschaft 
oder  eines  zu  großen  Hausstandes.  Ein  Pächter  auf 
Zeit,  der  gerade  genug  Land  hat,  um  seine  Familie 
zu  unterhalten  und  einen  Erbzins  zu  zahlen,  ist  ebenso 
abhängig  vom  Eigentümer,  und  muß  ihm  ebenso  be- 
dingungslos gehorchen,  wie  ein  Diener  oder  Angestellter. 
Seine  Dienstboten  und  Angestellten  füttert  er  in  seinem 
Hause,  und  seine  Zinsleute  in  den  ihrigen.  Beider 
Existenz  hängt  von  seiner  Gnade  ab,  und  die  Dauer 
des  Verhältnisses  von  seinem  Belieben. 

Auf  die  Autorität,  welche  die  großen  Eigentümer 
unter  solchen  Verhältnissen  über  ihre  Pächter  und  Dienst- 

12* 


180  Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

leute  hatten,  gründete  sich  die  Macht  der  alten  Barone. 
Sie  wurden  im  Frieden  die  Richter  und  im  Kriege  die 
Anführer  all'  derer,  die  auf  ihren  Gütern  wohnten. 
Sie  konnten  innerhalb  ihrer  Besitzungen  die  Ordnung 
aufrecht  erhalten  und  das  Gesetz  zur  Geltung  bringen, 
weil  sie  die  Gesamtkräfte  aller  Einwohner  gegen  das 
Unrecht  eines  einzelnen  aufzubieten  vermochten.  Nie- 
mand sonst  hatte  hinlängliche  Macht  dazu.  Nament- 
lich hatte  sie  der  König  nicht.  In  jenen  Zeiten  war  er 
wenig  mehr  als  der  größte  Eigentümer  auf  seinen 
Domänen,  dem  die  übrigen  großen  Eigentümer  zur 
gemeinschaftlichen  Verteidigung  gegen  gemeinsame 
Feinde  eine  gewisse  Ehrerbietung  zollten.  Die  Zahlung 
einer  kleinen  Schuld  innerhalb  des  Gebiets  eines  großen 
Eigentümers,  wo  alle  Einwohner  bewaffnet  und  an  ge- 
genseitiges Zueinanderstehen  gewöhnt  waren,  erzwingen 
zu  wollen,  würde  dem  König,  wenn  er  es  kraft  eigener 
Gewalt  versucht  hätte,  beinahe  ebensoviel  Anstrengung 
gekostet  haben,  als  die  Dämpfung  eines  Bürgerkriegs. 
Er  war  daher  genötigt,  im  größten  Teile  des  Landes 
die  Rechtspflege  denen  zu  überlassen,  die  sie  zu  hand- 
haben vermochten,  und  aus  dem  nämlichen  Grunde  den 
Befehl  über  die  Landmiliz  denen  zu  überlassen,  welchen 
diese  Miliz  gehorchte. 

Es  ist  ein  Irrtum,  zu  glauben,  daß  diese  Territo- 
rialgerichtsbarkeit ihren  Ursprung  in  den  Lehnsgesetzen 
habe.  Nicht  blos  die  höchste  Civil-  und  Kriminal-Ge- 
richtsbarkeit, sondern  auch  die  Macht,  Truppen  auszu- 
heben, Geld  zu  schlagen,  und  selbst  Provinzialgesetze  für 
ihre  Untertanen  zu  machen,  dies  alles  waren  Rechte, 
die  schon  Jahrhunderte  früher,  ehe  nur  der  Name  des 
Feudalrechts  in  Europa  bekannt  war,  den  großen  Eigen- 
tümern als  Allod  zukamen.  Die  Macht  der  angelsächsi- 
schen Barone  vor  der  Eroberung  scheint  ebenso  groß 
gewesen   zu   sein,   wie   die  Macht   der   normannischen 


Kap.  lY. :  Der  ytädt.  Verkehr  ein  Förderer  d.  Landwirtschaft.    XQ ^ 

Barone  nachher;  aber  das  Lehnrecht  ist  erst  nach  der 
Eroberung  in  England  gemeines  Recht  geworden.  Daß 
die  großen  Barone  in  Frankreich  lange  vor  Einführung 
des  Feudalrechts  die  ausgedehnteste  Macht  und  Gerichts- 
barkeit besaßen,  ist  unzweifelhaft.  Diese  Macht  und 
Gerichtsbarkeit  entsprang  notwendig  aus  den  eben  ge- 
schilderten Verhältnissen  des  Eigentums  und  der  Ge- 
wohnheiten. Auch  ohne  auf  das  entfernte  Altertum 
der  französischen  und  englischen  Monarchie  zurückzu- 
gehen, kann  man  in  weit  späterer  Zeit  viele  Belege  dafür 
finden,  daß  aus  derartigen  Ursachen  stets  auch  derartige 
Wirkungen  entstehen  müssen.  Es  ist  noch  keine  dreißig 
Jahre  her,  daß  Cameron  von  Lochiel,  ein  Edelmann 
von  Lochabar  in  Schottland,  der  kein  Staatsbeamter,  ja 
nicht  einmal  ein  reichsunmittelbarer  Baron,  sondern  nur 
ein  Yassall  des  Herzogs  von  Argyll  und  nicht  einmal 
Friedensrichter  war,  dennoch  die  höchste  Kriminaljustiz 
über  seine  Leute  ausübte.  Er  soll  es  zwar  ohne  alle 
gerichtlichen  Förmlichkeiten,  aber  mit  großer  Gerech- 
tigkeit getan  haben,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich, 
daß  der  Zustand  jener  Gegend  es  damals  für  ihn  not- 
wendig machte,  sich  diese  Autorität  anzumaßen,  um 
den  öffentlichen  Frieden  zu  erhalten.  Dieser  Edelmann, 
dessen  Rente  nie  über  £  500  jährlich  betrug,  führte 
1745  achthundert  seiner  Leute  gegen  die  Regierung 
ins  Feld. 

Die  Einführung  des  Lehnrechts,  weit  entfernt,  die 
Macht  der  großen  Ijehnsbarone  zu  erweitern,  kann  viel- 
mehr als  ein  Versuch  angesehen  werden,  sie  einzu- 
schränken. Das  Lehnrecht  führte  eine  geregelte  Sub- 
ordination mit  einer  langen  Reihe  von  Diensten  und 
Pflichten  ein,  vom  König  bis  zum  kleinsten  Grundbe- 
sitzer herunter.  Während  der  Minderjährigkeit  des 
Grundherrn  fiel  die  Rente  und  die  Verwaltung  des  Gutes 
in  die  Hände  des  unmittelbaren  Lehnsherrn,  und  folglich 


182  Di'ittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

bei  allen  großen  Eigentümern  in  die  Hände  des  Königs, 
der  für  den  Unterhalt  und  die  Erziehung  des  Mündels 
zu  sorgen  hatte  und  dem  als  Vormund  das  Recht  zu- 
stand, ihn  seinem  Stande  entsprechend  zu  verheiraten. 
Wenn  nun  diese  Einrichtung  schon  darauf  abzielte,  die 
Macht  des  Königs  zu  heben  und  die  der  großen  Grund- 
herren zu  schwächen,  so  konnte  sie  doch  nicht  ausreichen, 
um  Ordnung  und  eine  gute  Verwaltung  unter  den  Be- 
wohnern des  Landes  herzustellen,  weil  sie  jene  Verhält- 
nisse des  Eigentums  und  der  Sitten,  aus  denen  die  Miß- 
stände erwuchsen,  nicht  ausreichend  ändern  konnte.  Die 
Macht  der  Regierung  blieb,  wie  vorher,  im  Haupte  zu 
schwach  und  in  den  untergeordneten  Gliedern  zu  stark, 
und  die  übermäßige  Stärke  der  untergeordneten  Glieder 
war  die  Ursache  der  Schwäche  des  Hauptes.  Nach  der 
Einführung  der  Lehnsordnung  war  der  König  noch  eben- 
so unfähig,  die  Gewalttätigkeit  der  großen  Barone  ein- 
zuschränken, wie  vorher.  Sie  fuhren  fort,  nach  Belieben 
mit  einander  fast  ohne  Unterlaß  Krieg  zu  führen,  oft 
genug  auch  gegen  den  König;  und  das  offene  Land 
blieb  nach  wie  vor  ein  Schauplatz  der  Gewalttätigkeit, 
des  Raubes  und  der  Zerrüttung. 

Aber  was  all'  die  Gewalt  der  Lehnseinrichtungen  nie- 
mals hatte  bewirken  können,  das  brachte  allmählich  der 
stille  und  unmerkliche  Einfluß  des  auswärtigen  Handels 
und  der  Industrie  zuwege.  Diese  lieferten  den  großen 
Besitzern  allmählich  Artikel,  für  die  sie  das  ganze  über- 
schüssige Produkt  ihrer  Ländereien  vertauschen,  und 
die  sie  selber  ganz  verbrauchen  konnten,  ohne  sie  mit 
ihren  Pächtern  und  Dienstleuten  teilen  zu  müssen.  Alles 
für  uns  und  nichts  für  andere,  das  scheint  auf  allen 
Kulturstufen  die  elende  Maxime  der  Herren  des  Menschen- 
geschlechts gewesen  zu  sein.  Sobald  sie  daher  ein 
Mittel  finden  konnten,  den  ganzen  Betrag  ihrer  Rente 
selbst  zu  verbrauchen,  hatten  sie  keine  Neigung  mehr. 


Kap.  IV. :  Der  städt.  Verkehr  ein  Förderer  d.  Landwirtschaft.   [83 

sie  mit  anderen  Leuten  zu  teilen.  Für  ein  Paar  diaman- 
tene Schnallen  oder  derartigen  Tand  und  Überfluß  gaben 
sie  den  Unterhalt  oder,  was  dasselbe  ist,  den  Preis  des 
Unterhalts  von  tausend  Menschen  auf  ein  Jahr,  und  da- 
mit die  ganze  "Wucht  und  Macht  hin,  die  dies  ihnen 
verschaffen  konnte.  Doch  die  Schnallen  waren  ganz  ihr 
eisen,  und  kein  anderes  Menschenkind  konnte  einen 
Anteil  daran  fordern,  während  sie  bei  der  früheren 
Ausgabeart  mit  wenigstens  tausend  Menschen  hätten 
teilen  müssen.  Für  die  Richter,  die  hier  zu  wählen 
hatten,  war  der  Unterschied  entscheidend;  und  so  gaben 
sie  allmählich  für  die  Befriedigung  der  kindischsten,  ge- 
meinsten und  armseligsten  aller  Eitelkeiten  ihre  ganze 
Macht  und  Autorität  hin. 

In  einem  Lande,  wo  es  keinen  auswärtigen  Handel 
und  keine  feinere  Industrie  gibt,  kann  ein  Mann  von 
zehntausend  Pfund  jährlich  sein  Einkommen  nicht  wohl 
anders  verwenden,  als  zum  Unterhalt  von  etwa  tausend 
Familien,  die  ihm  natürlich  Untertan  sind.  Unter  den 
jetzigen  Verhältnissen  Europas  kann  ein  Mann  von 
zehntausend  Pfund  jährlich  sein  ganzes  Einkommen  aus- 
geben (und  tut  es  auch  gewöhnlich),  ohne  unmittelbar 
zwanzig  Leute  zu  ernähren  oder  mehr  als  zehn  Soldaten 
zu  kommandieren,  die  des  Kommandierens  nicht  wert 
sind.  Mittelbar  erhält  er  vielleicht  eine  ebenso  große 
oder  noch  größere  Anzahl  von  Menschen,  als  bei  seinem 
früheren  Ausgabesystem ;  denn  wenn  auch  die  Menge 
der  kostbaren  Produkte,  für  welche  er  sein  ganzes  Ein- 
kommen hingibt,  nur  sehr  klein  ist,  so  muß  doch  die 
Anzahl  der  Arbeiter,  von  denen  jene  gesammelt  und  zu- 
bereitet wurden,  sehr  groß  sein.  Ihr  hoher  Preis  rührt 
in  der  Regel  vom  Lohn  ihrer  Arbeit  und  den  Gewinnen 
air  ihrer  Arbeitgeber  her.  Indem  er  den  Preis  bezahlt, 
bezahlt  er  mittelbar  all'  den  Lohn  und  Gewinn  und 
trägt   so   mittelbar  zum   Unterhalt  aller  Arbeiter   und 


X84  Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

Arbeitgeber  bei.  Doch  trägt  er  gewöhnlich  nur  einen 
sehr  kleinen  Teil  zum  Lohn  oder  Gewinn  jedes  einzel- 
nen bei;  bei  sehr  wenigen  vielleicht  ein  Zehntel,  bei 
vielen  nicht  ein  Hundertstel,  und  bei  manchen  nicht  ein 
Tausendstel,  ja  nicht  ein  Zehntausendstel  des  ganzen 
jährlichen  Unterhalts.  Wenn  er  also  auch  zu  ihrer  aller 
Unterhalt  beiträgt,  so  sind  sie  doch  alle  mehr  oder  we- 
niger unabhängig  von  ihm,  weil  sie  alle  im  allgemeinen 
auch  ohne  ihn  leben  können. 

"Wenn  die  großen  Grrundeigentümer  ihre  Renten 
für  den  Unterhalt  ihrer  Pächter  und  Dienstleute  aus- 
geben, so  erhält  ein  jeder  von  ihnen  alle  seine  Pächter 
und  Dienstleute  vollständig.  Wenn  sie  die  Kenten  hin- 
gegen für  den  Unterhalt  von  Gewerbsleuten  und  Hand- 
w^erkern  ausgeben,  so  können  sie  alle  zusammen  ge- 
nommen eine  ebenso  große  oder,  wegen  der  mit  einer 
rohen  Gastlichkeit  verknüpften  Vergeudung,  eine  noch 
größere  Anzahl  von  Leuten  erhalten  als  früher;  allein 
jeder  von  ihnen  trägt,  einzeln  genommen,  oft  nur  einen 
sehr  kleinen  Teil  zum  Unterhalt  jedes  einzelnen  jener 
großen  Anzahl  bei.  Der  Gewerbsmann  oder  Handwerker 
zieht  seinen  Unterhalt  nicht  aus  der  Beschäftigung  für 
einen,  sondern  für  hundert  oder  tausend  Kunden.  Ob- 
wohl er  daher  ihnen  allen  in  einem  gewissen  Maße 
verpflichtet  ist,  so  ist  er  doch  nicht  von  einem  einzelnen 
völlig  abhängig. 

Wenn  auf  diese  Weise  der  persönliche  Aufwand  der 
großen  Grundeigentümer  allmählich  zunahm,  so  war  es 
nicht  anders  möglich,  als  daß  die  Anzahl  ihrer  Leute 
ebenso  allmählich  abnahm,  bis  sie  endlich  alle  entlassen 
wurden.  Derselbe  Grund  be  wog  sie  auch,  nach  und  nach 
den  unnötigen  Teil  ihrer  Pächter  zu  entlassen.  Die 
Pachtgüter  wurden  erweitert  und  die  Bauern  trotz  aller 
Klagen  über  Entvölkerung  bis  zu  der  Anzahl  vermindert, 
die  nach  dem  damaligen  unvollkommenen  Zustande  der 


Kap.  IV. :  Der  ,st;ult,  Verkehr  ein  Fünlerer  <1.  Landwirtschalt.   185 

Landwirtschaft  zum  Anbau  nötig  war.  Durch  die 
Entfernung  der  unnötigen  Mauler  und  durch  die  Ein- 
forderung des  vollen  Pachtwertes  vom  Pächter  gewann 
der  Eigentümer  einen  größeren  Überschuß  oder,  was 
dasselbe  ist,  den  Preis  eines  größeren  Überschusses,  und 
Kaufleute  und  Fabrikanten  sorgten  bald  dafür,  daß  er 
den  größeren  Überschuß  in  derselben  Weise,  wie  früher 
den  kleineren,  für  seine  eigene  Person  ausgab.  Dieselben 
Ursachen  wirkten  fort,  und  so  wünschte  er,  seine  Renten 
über  die  Summe  zu  steigern,  die  sein  Grundbesitz  im 
damaligen  Zustande  des  Anbaues  eintrug.  Seine  Pächter 
konnten  aber  nur  unter  der  einen  Bedingung  in  eine 
Erhöhung  ihrer  Pacht  willigen,  daß  sie  in  ihrem  Besitze 
auf  einehinreichendeReihe  von  Jahren  gesichert  würden, 
um  Zeit  zu  haben,  ihre  Auslagen  für  die  Verbesserung 
des  Bodens  mit  Gewinn  wieder  zu  erhalten.  Die  kost- 
spielige Eitelkeit  des  Grundeigentümers  machte  ihn 
willig,  auf  diese  Bedingung  einzugehen,  und  so  entstan- 
den die  langen  Pachten. 

Selbst  ein  Pächter  auf  Zeit,  der  den  vollen  Wert 
des  Bodens  bezahlt,  ist  nicht  gänzlich  vom  Grundherrn 
abhängig.  Die  Geldvorteile,  die  sie  von  einander  haben, 
sind  gleich  und  beruhen  auf  Gegenseitigkeit,  und  ein 
solcher  Pächter  wird  weder  sein  Leben  noch  sein  Ver- 
mögen in  dem  Dienste  des  Eigentümers  bloßstellen. 
Hat  er  aber  einen  Pachtkontrakt  auf  eine  lange  Reihe 
von  Jahren,  so  ist  er  völlig  unabhängig,  und  sein  Grund- 
herr darf  von  ihm  auch  nicht  den  kleinsten  Dienst  er- 
warten, der  nicht  entweder  ausdrücklich  in  dem  Kontrakte 
bedungen,  oder  dem  Pächter  nach  den  allgemeinen 
Landesgesetzen  auferlegt  ist. 

Nachdem  so  die  Pächter  unabhängig  geworden  und 
die  Dienstleute  entlassen  waren,  vermochten  die  großen 
Eigentümer  nicht  mehr  die  geregelte  Rechtspflege  zu 
unterbrechen  oder  den  Landfrieden  zu  stören.  Sie  hatten 


186  Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

nicht  wie  Esau  in  Zeiten  des  Hungers  und  Not  für  ein 
Linsengericht,  sondern  im  Übermut  des  Reichtums  für 
Flitterkram  und  Tand,  der  sich  besser  zum  Spielzeug 
für  Kinder  als  zum  Ziel  der  Wünsche  von  Männern 
eignet,  ihr  Erstgeburtsrecht  verkauft  und  wurden  ebenso 
unbedeutend,  wie  irgend  ein  wohlhabender  Bürger  und 
Geschäftsmann  in  einer  Stadt.  Nun  wurde  im  offenen 
Lande  nicht  minder  als  in  der  Stadt  eine  feste  Regierung 
eingeführt,  da  dort  wie  hier  niemand  mehr  Macht  genug 
besaß,  um  sich  ihren  Maßregeln  zu  widersetzen. 

Es  gehört  vielleicht  nicht  hierher,  aber  ich  kann  die 
Bemerkung  nicht  unterdrücken,  daß  in  handeltreibenden 
Ländern  sehr  alte  Familien,  die  viele  Generationen  hin- 
durch große  Güter  vom  Vater  auf  den  Sohn  vererbten, 
sehr  selten  sind.  In  Ländern  hingegen,  die  wenig  Han- 
del haben,  wie  Wales  oder  die  schottischen  Hochlande, 
sind  sie  sehr  häufig.  Die  arabischen  Geschichten  sind 
alle  mit  Genealogie  angefüllt  und  eine  darunter,  die  von 
einem  Tartarischen  Chan  geschrieben  und  in  mehrere 
europäische  Sprachen  übersetzt  worden  ist,  enthält  fast 
nichts  anderes;  ein  Beweis,  daß  unter  diesen  Völkern  alte 
Familien  sehr  häufig  sind.  In  Ländern,  wo  ein  reicher 
Mann  sein  Einkommen  nicht  anders  ausgeben  kann, 
als  zum  Unterhalt  von  soviel  Menschen,  wie  davon  leben 
können,  vermag  er  nicht  weiter  zu  gehen;  und  sein 
Wohltätigkeitssinn  wird  selten  so  unbezähmbar  sein, 
daß  er  mehr  Menschen  zu  unterhalten  suchen  sollte, 
als  er  vermag.  Aber  wo  er  den  größten  Teil  seines 
Einkommens  für  seine  eigene  Person  ausgeben  kann, 
gibt  es  oft  für  seinen  Aufwand  keine  Schranken,  weil 
seine  Eitelkeit  oder  Eigenliebe  keine  Schranken  hat. 
Deshalb  bleiben  in  liandeltreibenden  Ländern  die  Reich- 
tümer trotz  der  strengsten  Gesetze  gegen  Verschwen- 
dung sehr  selten  lange  in  derselben  Familie,  bei  ein- 
fachen  Völkern    dagegen   geschieht    es    oft    ohne    alle 


Kap.  IV. :  Der  städt.  Verkehr  ein  Förderer  d.  Land  Wirtschaft.   187 

gesetzliche  Vorkehrungen,  denn  unter  Hirtenvölkern,  wie 
den  Tartaren  und  Arabern,  macht  die  verzehrbare  Natur 
ihres  Eigentuuis  alle  solche  Vorkehrungen  überflüssig. 

Auf  diese  Weise  war  eine  für  das  Glück  der  Ge- 
sellschaft ungemein  wichtige  Revolution  durch  zwei 
Klassen  von  Leuten  zuwege  gekommen,  die  nicht  im 
mindesten  die  Absicht  hatten,  der  Allgemeinheit  zu 
dienen.  Das  einzige  Motiv  der  großen  Eigentümer  war 
die  Befriedigung  einer  höchst  kindischen  Eitelkeit;  die 
Kaufleute  und  Handwerker  aber  handelten  zwar  aus 
einem  weit  weniger  lächerlichen  aber  durchaus  eigen- 
nützigen Beweggrund,  nämlich  in  Verfolgung  ihres 
Krämertriebes,  den  Pfennig  zu  nehmen,  wo  er  zu  haben 
ist.  Keine  von  beiden  Klassen  hatte  eine  Kenntnis 
oder  Ahnung  von  der  großen  Revolution,  welche  die  Tor- 
heit der  einen  und  die  Emsigkeit  der  anderen  nach 
und  nach  zuwege  brachte. 

So  sind  Handel  und  Gewerbe  der  Städte  in  den 
meisten  Ländern  Europas  die  Ursache  und  Veranlassung 
zu  den  Fortschritten  der  Bodenkultur  geworden,  statt 
ihre  Wirkung  zu  sein. 

Da  indessen  dieser  Vorgang  dem  natürlichen  Laufe 
der  Dinge  entgegengesetzt  ist,  so  ist  er  auch  langsam 
und  unsicher.  Man  vergleiche  den  langsamen  Fortschritt 
derjenigen  europäischen  Länder,  deren  Wohlstand  haupt- 
sächlich von  ihrem  Handel  und  ihrer  Industrie  abhängt, 
mit  den  schnellen  Fortschritten  unserer  nordamerikani- 
schen Kolonien,  deren  Wohlstand  gänzlich  auf  dem 
Ackerbau  beruht.  Im  größten  Teile  Europas  verdoppelt 
sich  die  Einwohnerzahl,  wie  man  annimmt,  erst  in  fünf- 
hundert Jahren ;  in  einigen  unserer  nordamerikanischen 
Kolonien  verdoppelte  sie  sich  in  zwanzig  oder  fünfund- 
zwanzig Jahren.  In  Europa  verhindern  die  Erstgeburts- 
rechte und  verschiedene  Methoden,  das  Eigentum  der 
Familien  zu  verewigen,  die  Teilung  der  großen  Güter, 


188  Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

und  machen  dadurch  eine  Vermehrung  der  kleinen 
Eigentümer  unmöglich.  Ein  kleiner  Eigentümer  aber, 
der  jeden  Teil  seines  Gütchens  kennt,  der  es  mit  all 
der  Liebe  betrachtet,  welche  Eigentum,  zumal  kleines 
Eigentum  einflößt,  und  der  deshalb  seine  Freude  daran 
hat,  es  nicht  bloß  anzubauen,  sondern  auch  zu  schmücken, 
ist  gewöhnlich  der  emsigste,  verständigste  und  glück- 
lichste Förderer  der  Bodenkultur.  Überdies  werden 
durch  die  nämlichen  Gesetze  so  viele  Ländereien  dem 
Markte  entzogen,  daß  stets  mehr  Kapitalien  zum  Kauf 
vorhanden  sind,  als  Land  zum  Verkauf,  sodaß  der  E,est 
stets  zu  einem  Monopolpreise  verkauft  wird.  Die  Rente 
trägt  niemals  die  Zinsen  des  Kaufgeldes  aus  und  ist 
außerdem  noch  mitKostenfür  die  Erhaltung  und  anderen 
gelegentlichen  Lasten  beschwert,  denen  der  Geldzins 
nicht  unterliegt.  Land  zu  kaufen,  ist  in  Europa  überall 
eine  höchst  unvorteilhafte  Anlage  eines  kleinen  Kapitals. 
Allerdings  wird  ein  Mann  von  mäßigem  Vermögen, 
wenn  er  sich  vom  Geschäft  zurückzieht,  sein  kleines 
Kapital  der  größeren  Sicherheit  wegen  manchmal  in 
Grundbesitz  anlegen.  Auch  pflegen  oft  Leute,  deren 
Einkommen  aus  einer  anderen  Quelle  fließt,  ihre  Er- 
sparnisse auf  diese  Weise  zu  sichern.  Aber  ein  junger 
Mann,  der  ein  Kapital  von  zwei  oder  drei  tausend  £ 
auf  den  Kauf  und  Anbau  eines  kleinen  Gutes  verwendet, 
statt  sich  dem  Handel  oder  einer  Profession  zu  widmen, 
kann  zwar  hoffen,  recht  glücklich  und  unabhängig  zu 
leben,  muß  aber  aller  Hoffnung  auf  großes  Vermögen 
oder  große  Auszeichnung,  die  zu  gewinnen  er  bei  einer 
anderen  Kapitalanlage  dieselbe  Chance  hätte  wie  jeder 
andere,  auf  immer  entsagen.  Kann  jedoch  ein  solcher 
Mann  nicht  Eigentümer  werden,  so  verschmäht  er  es 
auch  oft,  Pächter  zu  werden.  Die  geringe  Menge  und 
der  hohe  Preis  des  verkäuflichen  Grundbesitzes  hindert 
mithin  zahlreiche  Kapitalien,  im  Anbau  und  in  der 
Verbesserung  des  Bodens  Verwendung  zu  suchen,  die 


Rap.  IV. :  Der  städt.  Verkehr  ein  Fönlerer  d.  Lamlwirtscliaft.   \QQ 

sonst  diese  Richtung  eingeschlagen  haben  würden. 
In  Nordamerika  hingegen  sind  fünfzig  oder  sechzig  £ 
oft  ein  hinlängliches  Kapital,  um  eine  Pflanzung  damit 
anzufangen.  Der  Kauf  und  die  Kultur  unangebauten 
Bodens  ist  dort  die  gewinnbringendste  Anlage  für  die 
kleinsten  wie  für  die  größten  Kapitalien  und  der  ge- 
radeste Weg  zu  all'  dem  Vermögen  und  Ansehen,  die 
man  daselbst  zu  erwerben  vermag.  Allerdings  ist  solcher 
Boden  in  Nordamerika  fast  für  nichts  oder  zu  einem 
Preise  zu  haben,  der  weit  hinter  dem  Werte  seiner 
freiwilligen  Produkte  zurückbleibt;  was  in  Europa  oder 
überhaupt  in  jedem  Lande,  wo  sämtlicher  Grund  und 
Boden  längst  Privateigentum  ist,  nicht  statthaben  kann. 
Ginge  jedoch  Grundeigentum  beim  Tode  eines  Eigen- 
tümers, der  eine  zahlreiche  Familie  hinterläßt,  auf  alle 
Kinder  zu  gleichen  Teilen  über,  so  würde  es  gewöhn- 
lich zum  Verkauf  kommen,  und  es  käme  dann  soviel 
Land  auf  den  Markt,  daß  es  keinen  Monopolpreis  mehr 
haben  könnte.  Die  freie  Rente  von  Grund  und  Boden 
würde  den  Zinsen  des  Kaufgeldes  näher  kommen,  und 
man  könnte  ein  kleines  Kapital  ebenso  vorteilhaft  auf 
den  Ankauf  von  Grund  und  Boden,  wie  auf  irgend 
etwas  anderes  verwenden. 

England  ist  wegen  der  natürlichen  Fruchtbarkeit 
seines  Bodens,  wegen  der  großen  Ausdehnung  seiner 
Seeküste  im  Verhältnis  zum  ganzen  Lande  und  wegen 
der  vielen  schiffbaren  Flüsse,  die  es  durchschneiden 
und  vielen  seiner  Binnenplätze  bequeme  Wasservei*- 
bindung  verschaffen,  von  Natur  vielleicht  ebenso  ge- 
eignet wie  irgend  ein  großes  Land  Europas  der  Sitz 
auswärtigen  Handels,  einer  Industrie  für  entfernten  Um- 
satz und  aller  Bodenkultur  zu  sein,  die  dadurch  ver- 
anlaßt werden  kann.  Auch  war  seit  Beginn  der  Re- 
gierung Elisabeths  die  englische  Gesetzgebung  auf  die 
Interessen  des  Handels  und  der  Industrie  vorzugweise 
bedacht,    und    in    der   Tat  gibt    es   in   Europa,    selbst 


190  Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum.- 

Holland  nicht  ausgenommen,  kein  Ijand,  dessen  Gesetze 
im  allgemeinen  diesen  Zweigen  des  Gewerbfleißes  gün- 
stiger wären.  Daher  sind  auch  Handel  und  Industrie 
während  dieser  ganzen  Zeit  immer  mehr  vorgeschritten. 
Auch  die  Landwirtscliaft  hat  zweifellos  Fortschritte  ge- 
macht; aber  sie  scheint  dem  weit  schnelleren  Fortschritt 
des  Handels  und  der  Industrie  nur  langsam  und  in 
einiger  Entfernung  gefolgt  zu  sein.  Der  grüßte  Teil 
des  Landes  war  wohl  schon  vor  der  Regierung  Elisabeths 
angebaut;  aber  selbst  jetzt  noch  liegt  ein  sehr  großer 
Teil  brach,  und  der  bei  weitem  größte  Teil  ist  noch 
lange  nicht  so  kultiviert,  wie  er  sein  könnte.  Gleich- 
wohl begünstigt  das  englische  Gesetz  den  Ackerbau 
nicht  nur  mittelbar  durch  den  Schutz  des  Handels, 
sondern  auch  unmittelbar  durch  manche  direkte  Auf- 
munterungen. Außer  in  Zeiten  der  Teurung  ist  die 
Getreideausfuhr  nicht  nur  frei,  sondern  wird  durch  eine 
Prämie  befördert;  in  Zeiten  mäßiger  Fülle  aber  ist  die 
Einfuhr  fremden  Getreides  mit  Abgaben  belegt,  die  einem 
Verbote  gleichkommen.  Die  Einfuhr  lebenden  Viehs, 
außer  von  Irland,  ist  stets  verboten,  und  auch  von 
Irland  ist  sie  erst  seit  kurzem  frei  gegeben  worden. 
Die  Landwirte  haben  also  ein  Monopol  auf  die  zwei 
größten  und  Mächtigsten  Artikel  der  Landwirtschaft, 
Brot  und  Fleisch.  Sind  auch  diese  Ermunterungen,  wie 
ich  später  zeigen  werde,  im  Grunde  wohl  ganz  illusorisch, 
so  zeigen  sie  doch  wenigstens  zur  Genüge  den  guten 
Willen  der  Gesetzgebung,  den  Ackerbau  zu  fördern. 
Aber  was  weit  wichtiger  ist  als  all'  dies:  die  englischen 
Landleute  genießen  soviel  Sicherheit,  Unabhängigkeit 
und  Achtung,  als  das  Gesetz  nur  geben  kann.  Kein 
Land  mithin,  wo  das  Recht  der  Erstgeburt  gilt,  Zehnten 
gezahlt  werden  und  Fideikommisse  gestattet  sind,  so 
sehr  sie  auch  dem  Geiste  des  Gesetzes  zuwiderlaufen, 
kann  der  Landwirtschaft  mehr  Förderung  zu  teil 
werden  lassen,   als  England.     Und  dennoch  ist  seine 


Kap.  IV. :  Der  städt.  Verkolir  oin  Förderer  d.  Landwirtscliaft.   191 

Bodenkultur  noch  auf  verhältnismäßig  niederer  Stufe. 
Wie  würde  es  damit  aussehen,  wenn  das  Gesetz  der 
Landwirtschaft  unmittelbar  keine  andere  Forderung 
hätte  zu  teil  werden  lassen,  als  die  aus  dem  Fortschritt 
des  Handels  unmittelbar  entspringende,  und  wenn  die 
Landleute  in  derselben  Lage  geblieben  wären,  wie  in 
den  meisten  andern  Ländern  Europas?  Seit  Beginn  der 
Regierung  Elisabeths  sind  jetzt  mehr  als  zweihundert 
Jahre  verflossen,  ein  Zeitraum  so  lang,  wie  menschlicher 
"Wohlstand  zu  dauern  pflegt. 

Frankreich  scheint  schon  ein  Jahr  früher,  ehe  Eng- 
land sich  als  ein  handeltreibendes  Land  auszeichnete, 
einen  bedeutenden  Handel  getrieben  zu  haben.  Die 
französische  Marine  war  vor  der  Expedition  Karls  VIH. 
nach  Neapel,  nach  den  Begriffen  der  Zeit,  bedeutend. 
Die  Landwirtschaft  Frankreichs  steht  jedoch  im  Ganzen 
auf  einer  niedrigeren  Stufe  als  die  Englands.  Das  Ge- 
setz des  Landes  gab  ihr  niemals  eine  so  direkte  Auf- 
munterung. 

Der  Außenhandel  Spaniens  und  Portugals  nach 
anderen  Teilen  Europas  wird  zwar  größtenteils  auf 
fremden  Schiffen  betrieben,  ist  aber  sehr  bedeutend. 
Der  Handel  mit  ihren  Kolonien  wird  auf  ihren  eignen 
Schiffen  betrieben  und  ist  wegen  des  großen  Umfangs 
und  Reichtums  jener  Kolonien  noch  viel  größer.  Doch 
haben  beide  Länder  niemals  eine  bedeutende  Industrie 
für  fernen  Umsatz  gehabt,  und  der  größte  Teil  ihres 
Grund  und  Bodens  liegt  noch  brach.  Portugals  aus- 
wärtiger Handel  ist  von  älterem  Datum  als  der  jedes 
anderen  großen  Landes  in  Europa,  mit  Ausnahme  von 
Italien. 

Italien  ist  das  einzige  große  Land  Europas,  das 
durch  auswärtigen  Handel  und  Industrie  für  fernen  Um- 
satz in  allen  Teilen  kultiviert  und  verbessert  worden  ist. 
Vor  dem  Einfalle  Karls  VIII.  war  Italien  nach  Guicciar- 


192   Drittes  Buch:  Die  verschiedenen  Fortschritte  z.  Reichtum. 

dini  in  seinen  gebirgigsten  und  dürrsten  Gegenden  nicht 
weniger  angebaut,  als  in  den  ebensten  und  fruchtbar- 
sten. Die  günstige  Lage  und.  die  große  Zahl  unabhän- 
giger Staaten,  die  damals  dort  bestanden,  trugen  wahr- 
scheinlich zu  dieser  Kultur  nicht  wenig  bei.  Auch  ist 
es,  trotz  dieser  Erklärung  eines  der  einsichtigsten  und 
maßvollsten  der  neueren  Geschichtsschreiber,  nicht  un- 
möglich, daß  Italien  zu  jener  Zeit  nicht  besser  ange- 
baut war,  als  England  gegenwärtig. 

Das  in  einem  Lande  durch  Handel  und  Industrie 
erworbene  Kapital  ist  jedoch  ein  sehr  prekärer  und 
unsicherer  Besitz,  bis  ein  Teil  von  ihm  in  der  Kultur 
seines  Bodens  gesichert  und  realisiert  ist.  Ein  Kaufmann 
ist,  wie  man  sehr  richtig  sagt,  nicht  notwendig  der 
Bürger  eines  bestimmten  Landes.  Es  ist  ihm  höchst 
gleichgültig,  an  welchem  Ort  er  seinen  Handel  treibt, 
und  eine  Kleinigkeit  kann  ihn  veranlassen,  sein  Kapital 
und  mit  ihm  alle  Gewerbtätigkeit,  die  es  unterstützt, 
von  einem  Lande  nach  einem  anderen  zu  bringen. 
Kein  Kapital  kann  als  zum  Lande  gehörig  betrachtet 
werden,  ehe  es  nicht  in  Gebäuden  oder  in  den  dauern- 
den Verbesserungen  des  Bodens  so  zu  sagen  über  das 
Land  ausgebreitet  wurde.  Von  dem  großen  Reichtum, 
den  die  meisten  Hansestädte  besessen  haben  sollen,  ist 
jetzt  keine  Spur  mehr  übrig,  außer  in  den  vergessenen 
Geschichten  des  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhun- 
derts. Es  ist  sogar  ungewiß,  wo  einige  dieser  Städte 
gelegen  haben,  oder  welchen  europäischen  Städten  die 
lateinischen  Namen  zukommen,  die  ihnen  gegeben  wa- 
ren. In  Italien  hingegen  haben  zwar  die  Unglücksfälle, 
die  das  Land  am  Ende  des  fünfzehnten  und  am  An- 
fange des  sechzehnten  Jahrhunderts  zu  erleiden  hatte, 
den  Handel  und  die  Industrie  der  lombardischen  und 
toskanischen  Städte  bedeutend  verringert;  aber  diese 
Länder  gehören  doch  noch  zu  den  bevölkertsten  und 


Kap.  IV. :  Dor  städt.  Yerkelir  ein  Förderer  d.  Landwirtschaft.   193 

bestangebauten  in  Europa.  Die  Bürgerkriege  Flanderns 
und  die  darauf  folgende  spanische  Herrschaft  vernichte- 
ten den  großen  Handel  Antwerpens,  Gents  und  Brüg- 
ges; aber  Flandern  ist  noch  immer  eines  der  reichsten, 
bestangebauten  und  bevölkertsten  Länder  Europas.  Die 
gewöhnlichen  Erschütterungen  des  Krieges  und  des 
Staats  trocknen  leicht  die  Quellen  des  nur  dem  Handel 
entsprossenen  Reichtums  aus;  derjenige  hingegen,  der 
aus  den  solideren  Verbesserungen  des  Ackerbaues  her- 
vorgeht, ist  weit  dauerhafter,  und  kann  nur  durch  die 
gewaltsameren  Zuckungen  zerstört  werden,  wie  sie  durch 
jahrhundertlange  Verheerungen  feindlicher  und  barba- 
rischer Völkerschaften  veranlaßt  werden,  und  wie  sie 
einige  Zeit  vor  und  nach  dem  Falle  des  römischen 
Reiches  im  Westen  Europas  stattgefunden  haben. 


Adam  Smith,  Volkswohlstand.  11.  '<J 


Viertes  Buch. 
Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Einleitung. 

Die  politische  Ökonomie,  als  ein  Zweig  des  Wis- 
sens eines  Staatsmanns  oder  Gesetzgebers  betrachtet, 
verfolgt  zwei  veischiedene  Ziele:  erstens,  wie  dem  Volke 
reichliches  Einkommen  oder  Unterhalt  zu  verschaffen, 
oder,  richtiger,  wie  es  instand  zu  setzen  sei,  sich  selbst 
ein  reichliches  Einkommen  oder  Unterhalt  zu  verschaf- 
fen ;  und  zweitens,  wie  dem  Staat  oder  Gemeinwesen 
ein  zur  Bestreitung  der  öffentlichen  Dienste  hinreichen- 
des Einkommen  zu  sichern  sei.  Sie  hat  den  Zweck, 
sowohl  die  Staatsbürger,  als  auch  den  Herrscher  zu 
bereichern. 

Die  verschiedene  Entwicklung  des  Reichtums  in 
verschiedenen  Zeitaltern  und  bei  verschiedenen  Völkern 
hat  zwei  verschiedene  Systeme  der  politischen  Ökonomie 
in  Hinsicht  auf  das  Ziel,  das  Volk  zu  bereichern,  her- 
vorgerufen. Das  eine  von  ihnen  kann  das  Handels-, 
das  andere  das  Landwirtschaftssystem  genannt  werden. 
Ich  werde  beide  so  vollständig  und  deutlich,  wie  ich 
kann,  darzulegen  suchen,  und  werde  mit  dem  Handels- 
s}  stem  beginnen.  Es  ist  das  neuere  System  und  unser 
Land  wie  unsere  Zeit  sind  am  besten  damit  vertraut. 


Erstes    Kapitel. 

Grundsätze 
des  Handels-  oder  Merkantilsystems. 

Daß  der  Reichtum  in  Geld  oder  in  Gold  und  Silber 
bestehe,  ist  eine  vulgäre  Vorstellung,  die  ihren  natürlichen 
Entstehungsgrund  in  der  doppelten  Funktion  des  Geldes 
als  Verkehrswerkzeug  und  als  Wertmesser  hat.  In- 
folge seiner  Eigenschaft  als  Verkehrs  Werkzeug  können 
wir,  wenn  wir  Geld  haben,  uns  alles,  was  wir  brauchen, 
leichter  verschaffen,  als  mittelst  jeder  andern  Ware. 
Das  Wichtigste  ist  immer,  Geld  zu  haben.  Wenn 
wir  das  haben,  hält  es  nicht  schwer,  jeden  andern 
Kauf  zu  machen.  Infolge  seiner  Eigenschaft  als  Wert- 
messer schätzen  wir  den  Wert  aller  anderen  Waren 
nach  der  Menge  Geldes,  für  die  sie  zu  haben  sind.  Wir 
sagen  von  einem  reichen  Manne,  er  sei  viel,  und  von 
einem  armen,  er  sei  wenig  Geld  „wert".  Von  einem 
sparsamen  Manne,  d.  h.  einem  Manne,  der  gern  reich 
sein  möchte,  sagt  man,  er  liebe  das  Geld;  und  von 
einem  sorglosen,  freigebigen  oder  verschwenderischen 
Menschen,  er  achte  das  Geld  nicht.  Reich  werden  heißt 
Geld  erwerben;  kurz,  Vermögen  und  Geld  werden 
in  der  gewöhnlichen  Sprachweise  als  durchaus  gleich- 
bedeutend angesehen. 

Ein  reiches  Land,  meint  man,  müßte  ebenso  wie 
ein  reicher  Mann  Überfluß  an  Geld  haben;  und  Gold 
und  Silber  in  einem  Lande  anzuhäufen,  sei  der  leichteste 
Weg,  es  zu  bereichern.  Nach  der  Entdeckung  Amerikas 
pflegte  die  erste  Frage  der  Spanier,  wenn  sie  an  einer 


196      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

unbekannten  Küste  landeten,  dahin  zu  lauten,  ob  Gold 
oder  Silber  in  der  Gegend  zu  finden  sei.  Nach  den 
Nachrichten,  die  sie  darüber  einzogen,  beurteilten  sie, 
ob  es  der  Mühe  lohne,  sich  daselbst  niederzulassen,  bezvv. 
ob  das  Land  der  Eroberung  wert  sei.  Piano  Car[)ino, 
ein  Mönch,  der  vom  König  von  Frankreich  als  Gesandter 
zu  einem  der  Söhne  des  berühmten  Dschingiskhan  ge- 
sandt war,  erzählt,  die  Taitaren  hätten  ihn  oft  gefragt, 
ob  es  in  Frankreich  viele  Schafe  und  Ochsen  gebe? 
Ihre  Frage  hatte  denselben  Zweck,  wie  die  der  Spanier ; 
sie  wollten  wissen,  ob  das  Land  reich  genug  sei,  um 
die  Eroberung  zu  verlohnen.  Unter  den  Tartaren,  wie 
unter  allen  andern  Hirtenvölkern,  die  gewöhnlich  mit 
dem  Gebrauche  des  Geldes  nicht  bekannt  sind,  ist  Vieh 
das  Verkehrswerkzeug  und  der  Maßstab  des  Wertes. 
Nach  ihrer  Ansicht  bestand  daher  der  ßeichtum  in 
Vieh,  wie  er  nach  der  Ansicht  der  Spanier  in  Gold 
und  Silber  bestand.  Von  beiden  Ansichten  kam  viel- 
leicht die  tartarische  der  Wahrheit  näher. 

Locke  findet  folgenden  Unterschied  zwischen  Geld 
und  anderen  beweglichen  Gütern.  Alle  anderen  beweg- 
lichen Güter,  sagt  er,  sind  so  leicht  zu  verbrauchen,  daß 
man  sich  auf  den  in  ihnen  bestehenden  Reichtum  nicht 
verlassen  kann,  und  daß  eine  Nation,  die  in  dem  einen 
Jahre  einen  Überfluß  daran  hat,  im  nächsten  Jahre, 
ohne  alle  Ausfuhr,  sondern  lediglich  durch  Verschwen- 
dung, großen  Mangel  daran  haben  kann.  Geld  hingegen 
sei  ein  beständiger  Freund,  der  zwar  von  Hand  zu  Hand 
wandere,  aber  wenn  man  verhindern  kann,  daß  er  aus 
dem  Lande  geht,  nicht  leicht  der  Vergeudung  und  dem 
Verbrauch  ausgesetzt  sei.  Daher  sei  Gold  und  Silber 
der  solideste  und  wichtigste  Teil  des  beweglichen  Reich- 
tums einer  Nation,  und  die  Vermehrung  dieser  Metalle 
sollte  deshalb,  wie  er  meint,  das  Hauptziel  der  Staats- 
wirtschaft sein. 


Kap.  T.:  Griiiidsiltze  des  Haiulols-  oder  Merkantilsy.stcMiis.    [97 

Andere  räumen  ein,  daß  wenn  ein  Volk  sich  von 
aller  Welt  isolieren  könnte,  wenig  darauf  ankommen 
würde,  wie  viel  oder  wie  wenig  Geld  bei  ihm  umlaufe. 
Die  Verbrauchsgegenstände,  die  mittelst  dieses  Geldes 
in  Umlauf  kämen,  würden  nur  für  eine  größere  oder 
kleinere  Anzahl  Geldstücke  vertauscht  werden ;  aber 
die  tatsächliche  Wohlhabenheit  oder  Armut  des^Landes 
würde,  das  geben  sie  zu,  nur  von  dem  Überfluß  oder 
dem  Mangel  dieser  Verbrauchsgegenstände  abhängen. 
Anders  hingegen,  meinen  sie,  verhalte  es  sich  mit  Län- 
dern, die  mit  fremden  Völkern  Verbindungen  haben, 
auswärtige  Kriege  zu  führen  genötigt  sind  und  Flotten 
und  Heere  in  fernen  Gegenden  unterhalten  müssen. 
Dies  könne,  sagen  sie,  nur  dadurch  geschehen,  daß  zu 
ihrer  Bezahlung  Geld  außer  Landes  geschickt  werde, 
und  ein  Volk  könne  nicht  viel  wegschicken,  wenn  es 
nicht  viel  habe.  Mithin  müsse  jedes  Volk  in  Friedens- 
zeiten Gold  und  Silber  aufhäufen,  um  eintretenden  Falls 
die  Mittel  zur  Führung  auswärtiger  Kriege  zu  besitzen. 

Infolge  dieser  vulgären  Vorstellungen  haben  alle 
europäischen  Völker,  freilich  ohne  sonderlichen  Erfolg, 
auf  alle  möglichen  Mittel  gesonnen,  Gold  und  Silber  in 
ihren  Ländern  aufzuhäufen.  Spanien  nnd  Portugal, 
die  die  bedeutendsten  Minen  besitzen,  aus  denen  Europa 
mit  diesen  Metallen  versorgt  wird,  haben  ihre  Ausfuhr 
entweder  unter  den  härtesten  Strafen  verboten  oder 
sie  mit  einer  hohen  Abgabe  belegt.  Ähnliche  Verbote 
scheinen  früher  bei  den  meisten  anderen  europäischen 
Völkern  gang  und  gäbe  gewesen  zu  sein  und  finden 
sich  sogar,  wo  man  es  am  wenigsten  erwarten  sollte, 
in  einigen  alten  schottischen  Parlamentsakten,  die  die 
Ausfulir  von  Gold  und  Silber  aus  dem  Königreiche 
bei  schwerer  Strafe  untersagen.  Die  gleiche  Politik 
befolgten  früher  Frankreich  und  England. 

Als  diese  Länder  Handelsstaaton  wurden,  fanden  die 


198      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Kaufleute  dies  Verbot  in  vielen  Fällen  äußerst  lästig. 
Sie  konnten  oft  die  fremden  Waren,  die  sie  nach  ihrem 
Land  einführen  oder  in  andere  fremde  Länder  bringen 
wollten,  vorteilhafter  mit  Gold  oder  Silber,  als  mit 
jeder  andern  Ware  kaufen.  Sie  machten  daher  gegen 
das  Verbot,  als  für  den  Handel  schädlich,  Vorstellungen. 

Sie  machten  geltend,  dali  erstlich  die  Ausfuhr  von 
Gold  und  Silber  zum  Ankauf  fremder  Waren  nicht 
immer  die  Menge  dieser  Metalle  im  Reiche  vermindere. 
Im  Gegenteil  könne  sie  sie  oft  vei-grol^ern,  weil  jene 
Waren,  wenn  sich  ihr  Verbrauch  im  Lande  nicht  ver- 
mehre, nach  fremden  Ländern  zurück  exportiert  werden 
könnten,  und  dann,  mit  großem  Gewinn  verkauft,  mehr 
Geld  zurückbrächten,  als  zu  ihrem  Ankauf  fortgesendet 
war.  Mun  vergleicht  diese  Tätigkeit  des  auswärtigen 
Handels  mit  dem  Säen  und  Ernten  beim  Ackerbau: 
„Betrachten  wir  die  Tätigkeit  des  Landwirts  nur  zur 
Saatzeit,  wo  er  viel  gutes  Korn  in  die  Erde  hineinwirft, 
so  werden  wir  ihn  eher  für  einen  Narren  als  für  einen 
Landwirt  halten;  sehen  wir  aber  auf  das  Ziel  seiner 
Arbeiten  in  der  Ernte,  so  werden  wir  den  Wert  und 
reichen  Erfolg  seines  Handels  entdecken." 

Zweitens  machten  sie  geltend,  daß  das  Verbot  die 
Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  nicht  verhindern  könne, 
die  wegen  ihres  im  Verhältnis  zum  AVerte  kleinen  Um- 
fangs  leicht  hinaus  zu  schmuggeln  seien.  Die  Ausfuhr 
könne  nur  durch  gehörige  Beachtung  dessen,  was  sie 
die  Handelsbilanz  nannten,  verhütet  werden.  Wenn 
das  Land  Waren  in  einem  höheren  Betrag  ausführe 
als  einführe,  so  würden  ihm  fremde  Völker  einen  Saldo 
schuldig  bleiben,  der  notwendig  in  Gold  und  Silber 
bezahlt  werden  müsse  und  dadurch  die  Menge  dieser 
Metalle  im  Eeich  vergrößere.  Wenn  hingegen  das 
Land  Waren  im  höheren  Betrag  einfühle  als  ausführe, 
so   würde   es  fremden  Nationen    einen  Saldo   schuldig 


Kap.  I.:  Grundsätze  des  Handels-  oder  Merkantilsvstems.  19g 

bleiben,  der  diesen  auf  dieselbe  Weise  gezahlt  werden 
müsse  und  jene  Menge  verringern  würde.  In  diesem 
Falle  könne  das  Verbot  die  Ausfuhr  nicht  verhüten, 
sondern  sie  nur  kostspieliger,  weil  gefahrvoller,  machen. 
Der  Wechselkurs  werde  dadurch  noch  ungünstiger  für 
das  schuldende  Land,  weil  der  Geschäftsmann,  der  einen 
Wechsel  auf  das  Ausland  kaufe,  dem  Bankier,  der  ihn 
verkauft,  nicht  nur  das  in  der  Natur  der  Sache  liegende 
llisiko,  sowie  die  Mühe  und  Kosten  der  Versendung 
des  Geldes,  sondern  auch  noch  die  aus  dem  Verbote 
entstellende  Gefahr  vergüten  müsse.  Je  mehr  aber  der 
Wechselkurs  gegen  ein  Land  stehe,  desto  ungünstiger 
werde  auch  die  Handelsbilanz  für  es,  weil  das  Geld 
dieses  Landes  im  Vergleich  zu  dem  des  Landes,  das 
die  Bilanz  für  sich  habe,  notwendig  um  ebensoviel  im 
Werte  sinken  müsse.  Sei  z.  B.  der  Wechselkurs  zwi- 
schen England  und  Holland  5°/o  gegen  England,  so 
würden  in  England  105  Unzen  Silber  nötig  sein,  um 
einen  Wechsel  von  100  Unzen  Silber  auf  England  zu 
kaufen;  105  Unzen  Silber  w^ären  also  in  England  nur 
soviel  wert,  wie  100  Unzen  in  Holland,  und  würden 
auch  nur  eine  verhältnismäßige  Menge  holländischer 
Waren  kaufen;  100  Unzen  Silber  in  Holland  würden 
dagegen  soviel  wert  sein,  wie  105  Unzen  in  England 
und  eine  verhältnismäßige  Menge  englischer  Waren 
kaufen.  Die  englischen  Waren,  die  man  nach  Holland 
verkaufe,  würden  um  die  Differenz  des  Wechselkurses 
wohlfeiler,  und  die  holländischen  Waren,  die  man  nach 
England  verkaufe,  um  soviel  teurer  verkauft;  das  eine 
würde  um  die  Differenz  des  Wechselkurses  weniger 
holländisches  Geld  nach  England,  und  das  andere  um 
soviel  mehr  englisches  Geld  nach  Holland  ziehen ;  und 
die  Handelsbilanz  stehe  mithin  notwendig  um  soviel 
ungünstiger  für  England  und  erfordere  die  Ausfuhr 
eines  größeren  Saldo  an  Gold  und  Silber  nach  Holland. 


200     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Diese  Argumente  waren  teils  richtig  und  teils  so- 
phistisch. Sie  waren  richtig,  so  weit  sie  anführten,  daß 
die  Ausfuhr  des  Goldes  und  Silbers  im  Handel  dem 
Lande  oft  vorteilhaft  sein  könne  und  daß  kein  Verbot 
ihre  Ausfuhr  zu  verhüten  vermöge,  wenn  Privatleute 
bei  dieser  Ausfuhr  Vorteil  fänden.  Sophistisch  aber 
waren  sie  in  der  Annahme,  daI3  die  Erhaltung  oder 
Vermehrung  jener  Metalle  die  Beachtung  der  Regierung 
mehr  verdiene,  als  die  Erhaltung  oder  Vermehrung 
jeder  anderen  nützlichen  Ware,  die  bei  der  Freiheit 
des  Handels  ohne  jede  Bedachtnahme  von  selbst  in 
der  nötigen  Menge  vorhanden  sein  wird.  Sophistisch 
war  auch  vielleicht  die  Behauptung,  der  hohe  Preis  der 
Wechsel  vermehre  notwendig  die  sogenannte  ungünstige 
Handelsbilanz,  oder  veranlasse  die  Ausfuhr  einer  grö- 
ßeren Menge  Goldes  und  Silbers.  Dieser  hohe  Preis 
war  allerdings  den  Kaufleuten,  die  Geld  ins  Ausland 
zu  schicken  hatten,  sehr  nachteilig,  denn  sie  mußten 
die  Wechsel,  welche  sie  von  ihren  Bankiers  auf  aus- 
ländische Plätze  erhielten,  um  so  teurer  bezahlen.  Allein 
das  aus  dem  Verbot  entspringende  Risiko  verursachte 
zwar  den  Bankiers  außergewöhnliche  Kosten,  aber  des- 
halb wurde  nicht  notwendig  mehr  Geld  aus  dem  Lande 
geführt.  Diese  Kosten  wurden  vielmehr  gewöhnlich  alle 
im  Lande  verauslagt,  um  das  Geld  aus  dem  Lande  zu 
schmuggeln,  und  konnten  kaum  einen  Sixpence  mehr 
als  die  gezogene  Summe  hinaustreiben.  Auch  mußte  der 
hohe  Preis  der  Wechsel  die  Kaufleute  bewegen,  die  Aus- 
fuhr mit  der  Einfuhr  womöglich  ins  Gleichgewicht  zu 
bringen,  um  den  hohen  Wechselkurs  auf  eine  möglichst 
kleine  Summe  zu  bezahlen.  Überdies  mußte  der  hohe 
Preis  der  Wechsel  wie  eine  Steuer  wirken,  den  Preis 
der  fremden  Waren  erhöhen  und  dadurch  ihren  Ver- 
brauch vermindern.  Er  konnte  daher  die  sogenannte 
ungünstige    Handelsbilanz    und    folglich    die    Ausfuhr 


Kap.  T. :  Grundsätze  des  Handels-  oder  Merkantilsystems.  201 

des  Goldes  und  Silbers  nicht  vermehren  sondern  nur 
vermindern. 

Doch  wie  dem  auch  sei,  diese  Argumente  überzeug- 
ten die  Leute,  an  die  sie  gerichtet  waren.  Sie  waren  von 
Kaufleuten  an  Parlamente  und  Ministerien,  an  den  Adel 
und  die  Gentry  gerichtet,  d.  h.  von  Leuten,  die  man 
in  Handelsangelegenheiten  für  sachverständig  hielt,  an 
Leute,  die  recht  wohl  wußten,  daß  sie  nichts  davon 
verständen.  Daß  der  auswärtige  Handel  das  Land  be- 
reichere, zeigte  die  Erfahrung  dem  Adel  und  der  Gentry 
so  gut  wie  den  Kaufleuten;  aber  in  welcher  Weise,  das 
wußte  keiner  von  ihnen  recht.  Die  Kaufleute  wußten 
vollkommen,  in  welcher  Weise  er  sie  bereicherte;  es 
Avar  ihre  Sache,  das  zu  wissen;  aber  auf  welche  Art 
er  das  Land  bereichere,  ging  sie  nichts  an.  Daran 
dachten  sie  nur,  w^enn  sich  eine  Gelegenheit  bot,  vom 
Lande  eine  Veränderung  in  den  Gesetzen  über  den 
auswärtigen  Handel  zu  verlangen.  Dann  wurde  es 
nötig,  etwas  von  den  wohltätigen  Wirkungen  des  aus- 
wärtigen Handels  zu  reden  und  über  die  Art,  wie  diese 
Wirkungen  durch  die  bestehenden  Gesetze  gehemmt 
würden.  Den  Richtern,  die  in  der  Sache  zu  entscheiden 
hatten,  schien  es  sehr  einleuchtend,  wenn  man  ihnen 
sagte,  daß  der  auswärtige  Handel  Geld  ins  Land  bringe, 
daß  aber  die  fraglichen  Gesetze  ihn  verhinderten,  es 
in  dem  Umfange  zu  tun,  wie  er  es  sonst  könnte.  Jene 
Argumente  hatten  daher  den  gewünschten  Erfolg. 
Das  Verbot  der  Gold-  und  Silberausfuhr  war  in  Frank- 
reich und  England  auf  die  Landesmünzen  beschiänkt, 
ausländische  Münzen  aber  und  Barren  waren  freigegeben. 
In  Holland  und  an  einigen  anderen  Orten  war  diese  Frei- 
heit sogar  auf  die  Landesmünze  ausgedehnt.  Die  Auf- 
merksamkeit der  Regierung  wurde  von  der  Verhütung 
der  Gold-  und  Silberausfuhr  abgezogen  und  auf  die  Über- 
wachung der  Handelsbilanz  als   der  einzigen  Ursache, 


202      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

die  eine  Vermehrung  oder  Verminderung  jener  Metalle 
bewirken  könne,  hingelenkt.  Von  einer  fruchtlosen 
Sorge  wurde  sie  auf  eine  noch  weit  verwickeitere  schwie- 
riofere  und  doch  ebenso  fruchtlose  g-elenkt.  Der  Titel 
von  Muns  Buche:  „Englands  Schatz  im  auswärtigen 
Handel"  wurde  ein  Grundsatz  in  der  politischen  Ökono- 
mie nicht  allein  Englands,  sondern  auch  aller  anderen 
Handelsstaaten.  Der  inländische  oder  Binnenhandel, 
der  wichtigste  von  allen,  der  Handel  in  dem  ein  gleich 
großes  Kapital  das  größte  Einkommen  liefert  und  dem 
Volke  die  ausgebroitetste  Beschäftigung  verschafft,  wurde 
nur  als  nebensächlich  gegenüber  dem  auswärtigen  Han- 
del betrachtet.  Der  Binnenhandel,  hieß  es,  bringe  weder 
Geld  ins  Land,  noch  führe  er  etwas  hinaus.  Das  Land 
könne  also  durch  ihn  weder  reicher  noch  ärmer  werden, 
außer  insofern  seine  Blüte  oder  sein  Verfall  indirekt 
auf  den  Zustand  des  auswärtigen  Handels  Einfluß  übe. 
Ein  Land,  das  keine  eignen  Bergwerke  hat,  muß 
ohne  Zweifel  sein  Gold  und  Silber  aus  fremden  Ländern 
beziehen,  gerade  wie  ein  Land,  das  keine  eignen  "Wein- 
berge hat,  seine  Weine  anderswoher  beziehen  muß.  Es 
scheint  jedoch  nicht  nötig  zu  sein,  daß  der  Staat  seine 
Aufmerksamkeit  mehr  auf  den  einen  als  auf  den  andern 
Gegenstand  verw'ende.  Ein  Land,  das  die  Mittel  hat, 
AVein  zu  kaufen,  wird  immer  soviel  Wein  erhalten,  wie 
es  braucht;  und  ein  Land,  das  die  Mittel  hat,  Gold  und 
Silber  zu  kaufen,  wird  niemals  um  diese  Metalle  in  Ver- 
legenheit sein.  Sie  sind  gleich  allen  anderen  Waren 
füi-  einen  gewissen  Preis  zu  kaufen,  und  wie  sie  der 
Preis  aller  anderen  Waren  sind,  so  sind  diese  wieder 
der  Preis  jener  Metalle.  Wir  können  mit  vollkommener 
Sicherheit  darauf  rechnen,  daß  die  Freiheit  des  Handels 
uns  ohne  alle  Fürsorge  der  Regierung  stets  mit  soviel 
Wein  versorgen  wird,  wäe  wir  brauchen,  und  können  mit 
ebenso  großer  Sicherheit  darauf  rechnen,  dadurch  stets 


Kap.  T. :  Gnindsät/e  des  Handels-  oder  INIerkantilsystems.  203 

auch  mit  allem  Golde  und  Silber  versorgt  zu  werden,  das 
wir  zu  kaufen  und,  sei  es  zum  Umlauf  unsrer  Waren 
oder  zu  andern  Zwecken,  zu  verwenden  imstande  sind. 

Die  Menge  jeder  Ware,  die  menschliche  Betrieb- 
samkeit entweder  zu  kaufen  oder  zu  produzieren  vermag, 
richtet  sich  in  jedem  Lande  nach  der  wirksamen  Nach- 
frage, d.  h.  nach  der  Nachfrage  derjenigen,  die  bereit 
sind,  die  gesamte  Rente,  Arbeit  und  Gewinn  zu  zahlen, 
die  für  die  Herstellung  der  Sache  und  für  ihre  Versen- 
dung- nach  dem  Markte  zu  zahlen  sind.  Keine  Ware 
aber  richtet  sich  leichter  oder  genauer  nach  dieser  wirk- 
samen Nachfrage,  als  Gold  und  Silber,  weil  wegen  ihres 
geringen  Volumens  und  großen  Wertes  keine  leichter 
als  diese  Metalle  von  einem  Orte  nach  dem  anderen,  von 
Orten,  wo  sie  wohlfeil,  nach  anderen,  wo  sie  teuer  sind, 
von  Orten,  wo  sie  die  wirksame  Nachfrage  überschreiten, 
nach  anderen,  wo  sie  hinter  ihr  zurückbleiben,  gebracht 
werden  kann.  Ist  z.  B.  in  England  eine  Nachfrage 
nach  einer  größeren  Menge  Goldes,  so  kann  ein  Paket- 
boot fünfzig  Tonnen  Gold  von  Lissabon,  oder  wo  es 
sonst  zu  haben  ist,  hierherbringen,  woraus  mehr  als 
fünf  Millionen  Guineen  geprägt  werden.  Ist  dagegen 
eine  wirksame  Nachfrage  nach  Getreide  in  ebenso  hohem 
Betrag  vorhanden,  so  würden,  die  Tonne  zu  fünf  Guineen 
gerechnet,  eine  Million  Schiffstonnen  oder  tausend 
Schiffe  von  je  tausend  Tonnen  Gehalt  dazu  nötig  sein. 
Die  ganze  englische  Flotte  reichte  dazu  nicht  aus. 

Wenn  die  in  ein  Land  eingeführte  Menge  Goldes  und 
Silbers  die  wirksame  Nachfrage  übersteigt,  so  kann  keine 
Wachsamkeit  der  Regierung  die  Ausfuhr  verhüten.  All' 
die  harten  Gesetze  Spaniens  und  Portugals  sind  nicht  im- 
stande, ihr  Gold  und  Silber  im  Lande  zu  halten.  Die 
fortwährenden  P]infuhren  aus  Peru  und  Brasilien  über- 
steigen die  wirksame  Nachfrage  jener  T^änder  und 
drücken  dort  den  Preis  der  Metalle  unter  das  Niveau, 


204     Vierte«  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

auf  dem  er  in  den  benachbarten  Ländern  steht.  Wenn 
hingegen  in  einem  Lande  ihre  Menge  hinter  der  wirk- 
samen Nachfrage  zurückbleibt,  so  daß  ihr  Preis  über 
sein  Niveau  in  den  benachbarten  Ländern  steigt,  so 
hat  die  Regierung  nicht  nötig,  sich  um  ihre  Einfuhr 
besondere  Mühe  zu  geben.  Selbst  wenn  sie  die  Ein- 
fuhr zu  verhindern  strebte,  würde  sie  nicht  imstande 
sein,  dies  durchzusetzen.  Als  die  Spartaner  die  Mittel  ge- 
wonnen hatten,  Gold  und  Silber  zu  kaufen,  durchbrachen 
diese  Metalle  alle  Dämme,  die  die  Lykurgischen  Gesetze 
ihrem  Eingange  nach  Lacedämon  entgegengesetzt  hatten. 
Alle  harten  Zollgesetze  vermögen  die  Einfuhr  des  Tees 
der  ostindischen  Gesellschaften  Hollands  und  Gothen- 
burgs  nicht  zu  verhindern,  weil  ihr  Tee  etwas  wohlfeiler 
ist,  als  der  der  britischen  Gesellschaft.  Und  doch  ist 
ein  Pfund  Tee  von  der  besten  Qualität,  das  mit  16  sh. 
bezahlt  wird,  ungefähr  hundertmal  so  groß  wie  die  bez. 
Menge  Silbers  und  zweitausendmal  so  groß  wie  die  bez. 
Menge  Gold,  und  folglich  um  soviel  schwerer  einzu- 
schmuggeln. 

Dem  leichten  Transport  von  Gold  und  Silber  von 
Orten,  wo  sie  im  Überfluß  vorhanden  sind,  nach  anderen, 
wo  sie  fehlen,  ist  es  teilweise  zuzuschreiben,  daß  der 
Preis  dieser  Metalle  nicht  fortwährend  ebenso  schwankt, 
wie  der  der  meisten  anderen  Waren,  die  durch  ihren 
Umfang  gehindert  sind,  ihren  Platz  bei  Uberfüllung 
oder  Entleerung  des  Marktes  leicht  zu  verändern.  Zwar 
ist  auch  der  Preis  dieser  Metalle  nicht  ganz  von  Schwan- 
kungen frei,  aber  sie  sind  in  der  Regel  langsam,  allmählich 
und  gleichmäßig.  Mannimmt  z.B.,  vielleicht  ohne  rechten 
Grund,  an,  daß  in  Europa  diese  Metalle  im  gegenwärtigen 
und  vorigen  Jahrhundert  wegen  der  beständigen  Ein- 
fuhren aus  dem  spanischen  Westindien  ununterbrochen 
aber  allmählich  im  Preise  gesunken  seien.  Um  jedoch 
eine  plötzliche  Veränderung  im  Preise  von  Gold  und 


Kap.  T. :  Grundsätze  dos  Handels-  oder  Merkantilsy.stcms.  205 

Silber  hervorzubringen,  so  daß  der  Goldpreis  aller 
anderen  Waren  dadurch  auf  einmal  auffallend  gesteigert 
oder  gedrückt  würde,  dazu  würde  eine  ähnliche  Devo- 
lution im  Handel  erforderlich  sein,  wie  die,  welche  durch 
die  Entdeckung  Amerikas  veranlaßt  worden  ist. 

Wenn  trotz  alledem  einmal  Gold  und  Silber  in 
einem  Lande,  das  sie  zu  kaufen  imstande  ist,  fehlen 
sollten,  so  gibt  es  dafür  mehr  Ersatzmittel,  als  für  jede 
andere  Ware.  Wenn  die  Rohstoffe  für  die  Industrie 
fehlen,  so  muß  diese  in  Stockung  geraten.  Fehlt  es 
an  Lebensmitteln,  so  müssen  die  Leute  darben.  Doch 
'wenn  Geld  fehlt,  wird  der  Tausch  an  seine  Stelle  treten, 
wenn  er  auch  mit  großen  Unbequemlichkeiten  verknüpft 
ist.  Kaufen  und  verkaufen  auf  Kredit  und  monatliche 
oder  halbjährige  Abrechnung  der  Kaufleute  würde  das 
Geld  schon  viel  leichter  ersetzen.  Ein  gut  eingerichtetes 
Papiergeld  aber  wird  seine  Stelle  nicht  nur  ohne  Unbe- 
quemlichkeit, sondern  oft  sogar  mit  Vorteil  ersetzen. 
Die  Fürsorge  der  Regierung  wäre  daher  in  keiner  Hin- 
sicht so  unnütz  angewandt,  als  in  der  Überwachung 
der  Goldmenge  im  Lande. 

Gleichwohl  ist  keine  Klage  häufiger,  als  die  über 
Geldmangel.  Geld,  wie  Wein,  ist  stets  selten  bei  Leuten, 
die  keine  Mittel  haben,  sie  zu  kaufen,  noch  Kredit,  sie  zu 
borgen.  Wer  eines  oder  das  andere  hat,  wird  selten 
um  das  Geld  oder  den  Wein,  die  er  braucht,  verlegen 
sein.  Die  Klage  über  Geldmangel  wird  jedoch  nicht  bloß 
von  leichtsinnigen  Verschwendern  erhoben.  Man  hört  sie 
zuweilen  allgemein  in  einer  Handelsstadt  und  ihrer  Um- 
gegend. Ihre  gewöhnliche  Ursache  ist  Überspekulation. 
Nüchterne  Männer,  deren  Unternehmungen  nicht  im 
richtigen  Verhältnis  zu  ihren  Kapitalien  stehen,  haben 
oft  ebenso  wenig  Mittel,  Geld  zu  kaufen,  oder  Kredit,  es 
zu  borgen,  wie  Verschwender,  deren  Aufwand  in  keinem 
richtigen  Verhältnisse  zu  ihrem  Einkommen  steht.    Ehe 


206     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

ihre  Unternehmungen  etwas  einbringen,  ist  ihr  Kapital 
dahin,  und  mit  ihm  ihr  Kredit.  Sie  laufen  überall  um- 
her, um  Geld  zu  borgen,  und  jedermann  antwortet  ihnen, 
er  habe  keines  zu  verleihen.  Aber  auch  solche  allgemeinen 
Klagen  über  Geldmangel  beweisen  nicht  immer,  daß 
nicht  die  gewöhnliche  Zahl  von  Gold-  und  Silberstücken 
im  Lande  umlaufe,  sondern  nur,  daß  sie  vielen  Leuten 
fehlen,  die  nichts  dafür  zu  geben  haben.  Wenn  die 
Handelsgewinno  einmal  größer  sind,  als  gewöhnlich,  so 
verfallen  in  der  Regel  große  wie  kleine  Geschäftsleute 
in  den  Fehler  einer  zu  großen  Ausdehnung  der  Geschäfte. 
Sie  senden  nicht  immer  mehr  Geld  als  gewöhnlich  aus' 
dem  Lande,  aber  sie  kaufen  im  Lande  selbst  und  aus- 
wärts eine  ungewöhnliche  Menge  von  Waren  auf  Kredit, 
die  sie  in  der  Hoffnung,  daß  die  llimessen  vor  dem  Zahl- 
tage eingehen  werden,  auf  entfernte  Märkte  senden.  Die 
Zahltage  erscheinen  jedoch  vor  dem  Eingang  der  Ri- 
messen, und  sie  haben  nichts  in  Händen,  womit  sie  ent- 
weder Geld  kaufen  oder  gute  Sicherheit  für  Darlehen 
geben  könnten.  Es  ist  also  nicht  ein  Mangel  an  Gold 
und  Silber,  sondern  die  Schwierigkeit,  die  es  solchen 
Leuten  macht,  zu  borgen,  und  die,  welche  ihre  Gläu- 
biger haben,  Zahlung  zu  erhalten,  was  jene  allgemeine 
Klage  über  Geldmangel  verursacht. 

Es  würde  zu  lächerlich  sein,  allen  Ernstes  beweisen 
zu  wollen,  daß  Reichtum  nicht  in  Geld  oder  in  Gold 
und  Silber,  sondern  in  dem  besteht,  was  das  Geld 
kauft  und  dieser  Kaufkraft  wegen  wert  ist.  Das  Geld 
macht  ohne  Zweifel  immer  einen  Teil  des  National- 
kapitals aus;  aber  es  ist  schon  gezeigt  worden,  daß  es 
nur  einen  kleinen  und  immer  den  am  wenigsten  ein- 
träglichen Teil  von  ihm  ausmacht. 

Nicht  deshalb  findet  es  der  Kaufmann  im  allge- 
meinen leichter,  Waren  mit  Geld,  als  Geld  mit  Waren 
zu  kaufen,   weil  der  Reichtum   wesentlicher  in  Geld  als 


Kap.  ].:  Gninrlsätze  des  Handels-  oder  Merkantilsystcms.  207 

Waren  besteht,  sondern  deshalb,  weil  das  Geld  das  be- 
kannte und  feststehende  Verkehrswerkzeug  ist,  wofür 
alle  Dinge  leicht  in  Umtausch  gegeben  werden,  das 
aber  nicht  immer  mit  gleicher  Leichtigkeit  für  jedes 
Ding  in  Tausch  zu  erhalten  ist.  überdies  sind  die 
meisten  Waren  dem  Verderben  mehr  ausgesetzt  als 
Geld,  und  der  Kaufmann  kann  oft  einen  weit  größeren 
Verlust  durch  das  Behalten  der  Ware  als  lediglich  den 
des  Geldes  erleiden.  Wenn  seine  Waren  ihm  auf  Lager 
bleiben,  ist  er  auch  Geldforderungen,  denen  er  nicht 
nachzukommen  vermag,  mehr  ausgesetzt,  als  wenn  er 
ihren  Preis  in  seiner  Kasse  hat.  Vor  allem  entspringt 
sein  Gewinn  unmittelbarer  aus  dem  Verkauf,  als  aus 
dem  Kauf,  und  aus  all'  diesen  Gründen  ist  er  gewöhn- 
lich vielmehr  darauf  bedacht,  seine  AVaren  gegen 
Geld,  als  sein  Geld  gegen  Waren  zu  vertauschen. 
Ein  Kaufmann  kann  bei  einem  noch  so  reichlich  ge- 
füllten Warenlager  zuweilen  ruiniert  sein,  weil  er  nicht 
zur  rechten  Zeit  verkaufen  kann;  ein  Volk  oder  Land 
dagegen  ist  solchen  Unfällen  nicht  ausgesetzt.  Das 
ganze  Kapital  eines  Kaufmanns  besteht  oft  in  leicht 
verderblichen  Waren,  die  Geld  kaufen  sollen;  dagegen 
ist  es  immer  nur  ein  sehr  kleiner  Teil  der  jährlichen 
Boden-  und  Arbeitsprodukte  eines  Landes,  der  von  den 
Nachbarn  Gold  und  Silber  einkaufen  soll.  Der  bei  weitem 
größere  Teil  läuft  unter  ihnen  selbst  um  und  wird  von 
ihnen  verbraucht,  und  selbst  von  dem  Überschüsse,  der 
nach  anderen  Ländern  gesandt  wird,  hat  das  Meiste  ge- 
wöhnlich die  Bestimmung,  ander'e  ausländische  Waren 
zu  erkaufen.  Wäre  daher  Gold  und  Silber  auch  nicht 
für  die  zum  Ankauf  dieser  Metalle  bestimmten  Waren 
zu  haben,  so  ginge  die  Nation  deshalb  doch  nicht  zu 
Grunde.  Sie  könnte  allerdings  dadurch  Verlust  und 
Unbequemlichkeit  erleiden  und  gezwungen  sein,  zu  dem 
einen  oder  andern  der  Ersatzmittel  des  Geldes  zu  greifen ; 
allein  das  jährliche  Boden-  und  Arbeitsprodukt  würde 


208     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

das  nämliche  oder  beinahe  das  nämliche  bleiben,  weil 
ein  gleiches  oder  beinahe  gleiches  verzehrbares  Kapital 
anf  go  wendet  werden  würde,  es  zu  erzielen.  Obschon 
Waren  nicht  immer  ebenso  leicht  Geld  verschaffen,  wie 
Gold  Waren,  so  verschaffen  sie  es  a^^f  die  Länge  doch 
gewisser,  als  dieses  jene.  Waren  können  zu  manchen 
anderen  Zwecken  dienen,  als  zum  Kaufe  von  Geld;  Geld 
aber  dient  zu  keinem  anderen,  als  zum  Kaufe  von  Waren. 
Das  Geld  sucht  also  notwendig  Waren  auf,  aber  Waren 
suchen  nicht  immer  oder  nicht  notwendig  das  Geld 
auf.  Wer  kauft,  ist  nicht  stets  gewillt,  wieder  zu 
verkaufen,  sondern  will  oft  nur  brauchen  oder  ver- 
zehren, wogegen  derjenige,  der  verkauft,  immer  wieder 
zu  kaufen  beabsichtigt.  Der  eine  kann  oft  mit  dem 
Kauf  sein  Geschäft  beendet  haben,  der  andere  dagegen 
hat  immer  nur  die  Hälfte  der  Arbeit  getan.  Nicht  um 
seiner  selbst  willen  lieben  die  Menschen  das  Geld, 
sondern  um  dessen  willen,  was  sie  damit  kaufen  künnen. 
Verbrauchbare  Waren,  sagt  man,  gehen  bald  zu 
Grunde,  während  Gold  und  Silber  dauerhafterer  Natur 
sind  und  ohne  fortwährende  Ausfuhr  leicht  Menschen- 
alter hindurch  aufgehäuft  werden  könnten,  zur  unglaub- 
lichen Vermehrung  des  wahren  Reichtums  des  Landes. 
Nichts  könne  daher  für  ein  Land  so  schädlich  sein,  als 
derjenige  Handel,  der  im  Vertauschen  so  dauerhafter 
Waren  gegen  so  vergängliche  bestehe.  Den  Handel  aber, 
der  im  Tausch  englischer  Eisenwaren  gegen  französische 
Weine  besteht,  sehen  wir  nicht  für  nachteilig  an,  ob- 
gleich Eisenwaren  sehr  dauerhaft  sind  und  ohne  die 
fortwährende  Ausfuhr  leicht  Jahrhunderte  hindurch 
aufgehäuft  werden  könnten,  zur  unglaublichen  Vermeh- 
rung der  Töpfe  und  Pfannen  des  Landes.  Allein  es 
leuchtet  ein,  daß  die  Zahl  solcher  Utensilien  in  jedem 
Lande  notwendig  durch  den  Gebrauch  begrenzt  ist,  den 
man  davon  machen  kann;   daf3  es  albern    sein  v/ürde. 


Kap.  T.:  Grundsätze  dos  Handels-  oder  Merkantilsvstems.  209 

mehr  Töpfe  und  Pfannen  zu  haben,  als  zum  Kochen  der 
Lebensmittel,  die  gewöhnlich  verbraucht  werden,  nötig 
sind ;  und  daß,  wenn  die  Menge  der  Lebensmittel  zu- 
nimmt, zugleich  mit  ihr  die  Zahl  der  Töpfe  und  Pfannen 
leicht  vermehrt  werden  kann,  indem  ein  Teil  des  Zu- 
wachses an  Lebensmitteln  dazu  verwendet  würde,  sie  zu 
kaufen,  oder  mit  andern  Worten,  eine  weitere  Anzahl 
Arbeiter  damit  ernährt  würde,  deren  Geschäft  es  ist,  sie 
zu  verfertigen.  Ebenso  leicht  sollte  es  einleuchten,  daß 
in  jedem  Lande  die  Menge  Gold  und  Silber  durch  den 
Bedarf  an  diesen  Metallen  begrenzt  ist;  daß  man  ihrer 
bedarf,  um  als  Münzen  Waren  in  Umlauf  zu  setzen  oder 
als  Geschirr  eine  Sorte  Hausgerät  zu  liefern;  daß  die 
Menge  gemünzten  Geldes  sich  in  jedem  Lande  nach  dem 
Betrage  der  damit  in  Umlauf  gesetzten  Waren  richtet, 
so  daß,  wenn  sich  dieser  Betrag  vermehrt,  sofort  ein  Teil 
der  Waren  ins  Ausland  gesendet  wird,  um  die  frische 
Menge  Geldes  zu  kaufen,  die  nötig  ist,  um  sie  in  Umlauf 
zu  setzen;  daß  die  Menge  des  Gold-  und  Silbergerätes 
sich  nach  der  Zahl  und  dem  Iveichtum  der  Familien 
richtet,  die  sich  einen  solchen  Luxus  erlauben  können, 
so  daß,  wenn  sich  die  Zahl  und  der  Reichtum  solcher 
Familien  vermehrt,  höchst  wahrscheinlich  ein  Teil  des 
vermehrten  Reichtums  dazu  verwendet  werden  wird,  eine 
neue  Menge  goldener  und  silberner  Geräte  da  zu  kaufen, 
wo  man  sie  eben  findet;  und  daß  es  endlich  ebenso  töricht 
wäre,  den  Reichtum  eines  Landes  durch  Einfuhr  oder 
Zurückhalten  einer  unnötigen  Menge  Goldes  und  Silbers 
vermehren  zu  wollen,  wie  es  töricht  wäre,  einer  Familie 
dadurch  zu  einer  besseren  Mahlzeit  verhelfen  zu  w'ollen, 
daß  man  sie  zwänge,  eine  unnötige  Menge  Küchenge- 
rät zu  halten.  Wie  die  Kosten  dieses  unnötigen  Ge- 
rätes die  Menge  oder  die  Güte  der  für  den  Haushalt 
erforderlichen  Lebensmittel  vermindern,  aber  nicht  ver- 
mehren würden,  so  würden  auch  in  einem  Lande  die 

Adam  Smitb,  Volkswohlstand.  II.  1-t: 


210      Viertes  Burli:  Die  Svstpino  der  politischen   Ökonomie, 

Kosten  des  Ankaufs  einer  unnötigen  Menge  Goldes  und 
Silbers  notwendig  das  Vermögen  schmälern,  das  dem 
Volke  Nahrung,  Kleidung,  Wohnung,  Unterhalt  und 
Arbeit  verschafft.  Gold  und  Silber  sind,  wie  man  fest- 
halten muß,  sei  es  als  Münze  oder  als  Geschirr,  genau 
ebenso  Geräte,  wie  das  Küchengeschirr.  Vermehrt  sich 
der  Bedarf  an  ihnen,  vermehren  sich  die  verzehrbaren 
Waren,  die  damit  in  Umlauf  gesetzt  oder  daraus  ver- 
fertigt werden,  so  wird  sich  unfehlbar  auch  die  Menge 
jener  Metalle  vermehren.  Versuchte  man  hingegen, 
diese  Menge  durch  außerordentlicheMittel  zu  vermehren, 
so  würde  sich  ebenso  unfehlbar  der  Bedarf  und  damit 
zugleich  die  Menge  vermindern,  die  niemals  den  Be- 
darf übersteigen  kann.  Sollten  sie  jemals  über  dies 
Maß  hinaus  zunehmen,  so  ist  ihre  Versendung  so  leicht 
und  der  Verlust,  wenn  sie  müßig  und  unbenutzt  liegen, 
so  groß,  daß  kein  Gesetz,  ihre  sofortige  Ausfuhr  aus 
dem  Lande  verhindern  kcinnte. 

Es  ist  nicht  immer  notwendig,  Gold  und  Silber 
aufzuhäufen,  um  ein  Land  in  den  Stand  zu  setzen, 
auswärtige  Kriege  zu  führen  und  in  entfernten  Gegenden 
Flottefi  und  Heere  zu  unterhalten.  Flotten  und  Heere 
unterhält  man  nicht  mit  Gold  und  Silber,  sondern  mit 
verzehrbaren  Waren.  Ein  Volk,  das  durch  das  Jahres- 
produkt seines  heimischen  Fleißes,  durch  das  jährliche 
Einkommen  aus  seinem  Grund  und  Boden,  seiner  Arbeit 
und  seinem  verzehrbaren  Vorrat  die  Mittel  gewinnt, 
jene  verbrauchbaren  AVaron  in  entfernten  Gegenden  zu 
kaufen,  kann  dort  auch  Kriege  führen. 

Der  Sold  und  die  Lebensmittel  für  ein  Heer  in 
einem  entfernten  Lande  lassen  sich  auf  dreierlei  Art 
beschaffen,  erstens  durch  Hinsendung  eines  Teils  des 
angesammelten  Gold-  und  Silbervorrats,  zweitens  eines 
Teils  vom  Jahresprodukt  der  Industrie,  oder  endlich 
eines  Teils  der  landwirtschaftlichen  Produkte. 


Kap.  I.:  Grundsätze  des  Handels-  oder  Merkantilsvstems.  211 

Das  in  einem  Lande  vorhandene  oder  angesammelte 
Gold  und  Silber  kann  man  in  drei  Gattungen  einteilen : 
erstens  das  umlaufende  Geld,  zweitens  die  Geräte  der 
Familien  und  drittens  das  Geld,  welches  durch  langjäh- 
rige Sparsamkeit  gesammelt  und  im  Schatz  des  Fürsten 
niedergelegt  ist. 

Von  dem  umlaufenden  Gelde  des  Landes  kann  nur 
selten  viel  entbehrt  werden,  weil  selten  ein  Überfluß 
davon  vorhanden  sein  kann.  Der  Betrag  der  in  einem 
Lande  jährlich  gekauften  und  verkauften  Waren  erfor- 
dert eine  gewisse  Menge  Geldes,  um  die  Waren  in  L^m- 
lauf  zu  setzen  und  an  ihre  eigentlichen  Verbraucher  zu 
verteilen:  mehr  aber  ist  nicht  verwendbar.  Der  Um- 
laufskanal zieht  eine  zu  seiner  Füllung  hinreichende 
Summe  an  sich,  und  läßt  niemals  mehr  zu.  Doch  wird 
gewöhnlich  bei  einem  auswärtigen  Kriege  diesem  Kanal 
etwas  entzogen.  Da  eine  große  Zahl  von  Menschen 
außerhalb  unterhalten  wird,  so  werden  weniger  im  Lande 
selbst  unterhalten.  Es  sind  daselbst  weniger  Waren  im 
Umlaufe  und  es  ist  weniger  Geld  dazu  nötig,  sie  in 
Umlauf  zu  setzen.  Auch  wird  bei  solchen  Gelegenheiten 
gewöhnlich  eine  größere  Menge  Papiergeld  dieser  oder 
jener  Art,  wie  Schatzkammerscheine,  Admiralitäts- 
wechsel und  in  England  Banknoten,  ausgegeben,  und 
da  dasselbe  die  Stelle  des  umlaufenden  Goldes  und  Sil- 
bers vertritt,  so  wird  dadurch  dje  Ausfuhr  einer  größeren 
Menge  des  letzteren  ermöglicht.  Alles  dies  wäre  jedoch 
nur  eine  dürftige  Hilfs(|uelle  zur  Führung  eines  kost- 
spieligen und  mehrere  Jahre  lang  dauernden  Krieges. 

Das  Einschmelzen  des  Gold-  und  Silbergeräts  der 
Privatleute  hat  sich  auf  alle  Fälle  als  noch  unwirksamer 
erwiesen.  Die  Franzosen  hatten  beim  Beginn  des  letz- 
ten Kriegs  von  diesem  Mittel  nicht  so  viel  Nutzen,  um 
den  Verlust  der  Fasson  zu  ersetzen. 

Die  angesammelten  Schätze  des  Fürsten  boten  in 


212      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

früheren  Zeiten  eine  weit  grüi^ere  und  dauerndere  Hilfs- 
quelle dar.  Gegenwärtig  scheint  mit  Ausnahme  des 
Königs  von  Preußen  kein  europäischer  Fürst  einen 
Staatsschatz  anzusammeln. 

Die  Fonds,  aus  denen  die  auswärtigen  Kriege  dieses 
Jahrhunderts,  die  kostspieligsten  vielleicht,  die  je  da- 
gewesen sind,  bestritten  wurden,  scheinen  die  Ausfuhr 
des  umlaufenden  Geldos  oder  der  Gold-  und  Silbergeräte 
der  Privaten  oder  des  fürstlichen  Schatzes  wenig  berührt 
zu  haben.  Der  letzte  französische  Krieg  kostete  Groß- 
britannien mehr  als  9U  Millionen,  mit  Einschluß  nicht 
nur  der  75  Millionen  neu  hinzugekommener  Staatsschul- 
den, sondern  auch  der  zwei  Zuschlags-Schillinge  auf 
jedes  £  Grundsteuer  und  der  jährlichen  Darlehen  aus 
dem  Tilgungsfonds.  Mehr  als  zwei  Drittel  dieser  Summe 
wurde  in  fernen  Ländern  ausgegeben:  in  Deutschland, 
Portugal,  Amerika,  in  den  Häfen  des  mittelländischen 
Meeres,  in  Ost-  und  Westindien.  Die  Könige  von  Eng- 
land hatten  keinen  Staatsschatz.  Nie  hat  man  davon 
gehört,  daß  eine  außergewöhnliche  Menge  von  Geräten 
eingeschmolzen  worden  wäre.  Das  im  Lande  umlaufende 
Gold  und  Silber  wird  auf  nicht  mehr  als  achtzehn 
Millionen  geschätzt,  doch  gilt  diese  Schätzung  nach  der 
letzten  Umprägung  des  Goldes  als  zu  gering.  Nehmen 
wir  daher  nach  der  übertriebensten  Berechnung,  von  der 
ich  je  gesehen  oder  gehört  habe,  an,  daß  der  Umlauf  in 
Gold  und  Silber  zusammen  30  Millionen  £  betrug. 
Wäre  der  Krieg  mittelst  unseres  Geldes  geführt  worden, 
so  würde  auch  nach  dieser  höchsten  Berechnung  das 
ganze  Geld  in  einem  Zeitraum  von  sechs  bis  sieben 
Jahren  zwei  mal  hin  und  her  geschickt  worden  sein. 
Dies  angenommen,  würde  es  den  sprechendsten  Beweis 
liefern,  wie  unnötig  die  Überwachung  des  Geldumlaufs 
durch  die  Begiorung  ist,  da  nach  jener  Voraussetzung 
das  oanze  Geld  des  Landes  in  einer  kurzen  Zeit  zweimal 


Kap.  I.:  Grundsätze  des  Handels-  oder  ]\Ierkantilsystems.  213 

hin  und  her  gegangen  sein  muß,  ohne  daß  irgend  ein 
Mensch  etwas  davon  gemerkt  hat.  Der  Umlaufskanal 
war  anscheinend  keinen  Augenblick  leerer,  als  er  sonst 
zu  sein  [)t'legte.  Es  fehlte  wenig  Leuten  an  Geld,  wenn 
sie  nur  Mittel  hatten,  es  zu  kaufen.  Die  Gewinne  des 
Außenhandels  sind  während  des  ganzen  Krieges,  nament- 
lich aber  gegen  sein  Ende,  größer  als  gewöhnlich.  Dies 
verursachte,  wie  gewöhnlich,  eine  allgemeine  Überspe- 
kulation  in  allen  großbritannischen  Häfen,  und  daraus 
entstand  wieder  die  gewöhnliche  auf  jedeÜberspekulation 
folgende  Klage  über  Geldmangel.  Nun  fehlte  es  vielen 
Leuten  an  Geld,  da  sie  weder  Mittel  hatten,  es  zu 
kaufen,  noch  Kredit,  es  zu  borgen:  und  weil  die  Schuld- 
ner es  schwer  fanden  zu  borgen,  war  es  auch  für  die 
Gläubiger  schwer,  Bezahlungzu erhalten.  Fürdiejedoch, 
die  den  AVert  des  Goldes  und  Silbers  bezahlen  konn- 
ten, war  es  auch  für  diesen  Wert  zu  haben. 

Die  ungeheuren  Kosten  des  letzten  Krieges  müssen 
also  nicht  durch  die  Ausfuhr  von  Gold  und  Silber,  son- 
dern durch  die  britischer  Waren  dieser  oder  jener  Art 
bestritten  worden  sein.  Wenn  die  Regierung,  oder 
wer  in  ihrem  Namen  handelte,  mit  einem  Kaufmann 
Rimessen  nach  dem  Auslande  verabredete,  so  suchte  die- 
ser natürlich  seinen  auswärtigen  Korrespondenten,  auf 
den  er  einen  Wechsel  zog,  lieber  durch  AVarcn  als 
durch  Geld  zu  bezahlen.  War  für  britische  Waren  dort 
kein  Begehr,  so  suchte  er  sie  in  ein  anderes  Land  zu 
senden,  wo  er  einen  Wechsel  auf  das  erstere  kaufen 
konnte.  Die  Versendung  von  Waren  auf  einen  geeig- 
neten Markt  wirft  stets  erheblichen  Gewinn  ab,  die 
Versendung  von  Gold  und  Silber  selten  irgend  einen. 
Werden  diese  Metalle  behufs  Ankaufs  fremder  Waren 
weggesendet,  so  entspringt  der  Gewinn  des  Kaufmanns 
nicht  aus  dem  Kaufe,  sondern  aus  dem  Verkaufe  der 
Rückladung.    Werden  sie  aber  bloß  zur  Bezahlung  einer 


214     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Schuld  fortgeschickt,  so  erhält  er  nichts  dafür  zurück 
und  macht  folghch  keinen  Gewinn.  Darum  sinnt  er  auf 
Mittel,  seine  auswärtigen  Schulden  durch  Ausfuhr  von 
Waren  und  nicht  von  Gold  und  Silber  zu  bezahlen. 
Daher  ist  von  dem  Verfasser  des  Buches :  „the  present 
state  of  the  nation"  mit  Recht  auf  die  große  Ausfuhr 
britischer  Waren  während  des  letzten  Kriegs,  ohne  ent- 
sprechende Einfuhr,  aufmerksam  gemacht  worden. 

Außer  den  oben  erwähnten  drei  Sorten  von  Gold 
und  Silber  gibt  es  in  allen  großen  Handelsstaaten  eine 
ganze  Anzahl  Barren,  die  zum  Behuf  des  auswärtigen 
Handels  abwechselnd  ein-  und  ausgeführt  werden.  Da 
diese  Barren  unter  den  verschiedenen  Handelsstaaten  auf 
gleiche  Weise  umlaufen,  wie  die  Landesmünze  in  jedem 
einzelnen  Lande,  so  kann  man  sie  als  das  Geld  der  großen 
Handelsrepublik  ansehen.  Die  Landesmünze  erhält  ihre 
Bewegung  und  Richtung  von  den  Waren,  die  innerhalb 
eines  einzelnen  Gebietes  umlaufen;  das  Geld  der  Handels- 
republik erhält  sie  von  denen,  die  zwischen  verschie- 
denen Ländern  in  Umlauf  sind.  Beide  dienen  zur  Er- 
leichterung der  Tausche:  jene  zwischen  verschiedenen 
Individuen  desselben  Volks,  diese  zwischen  den  Indi- 
viduen verschiedener  Völker.  Etwas  von  diesem  Gelde 
der  großen  Handelsrepublik  kann  wohl  zur  Führung 
des  letzten  Krieges  verwendet  worden  sein  und  ist 
wahrscheinlich  in  der  Tat  so  verwendet  worden.  Natür- 
lich wird  es  in  der  Zeit  eines  allgemeinen  Krieges  eine 
andere  Bewegung  und  Richtung  erhalten,  als  die,  welche 
es  mitten  im  tiefsten  Frieden  einhält;  es  wird  mehr  auf 
dem  Schauplatze  des  Krieges  umlaufen  und  mehr  dazu 
dienen,  dort  und  in  benachbarten  Gegenden  den  Sold 
und  Unterhalt  der  verschiedenen  Armeen  zu  bezahlen. 
AV^ie  viel  aber  auch  Großbritannien  von  diesem  Gelde  der 
Handelsrepublik  jährlich  gebraucht  haben  mag,  so  mul.i 
das  Land  es  doch  alle  Jahre   entweder  mit  britischen 


Kap.  I.:  Grundsätze  dos  ITandels-  oder  iMerkantilsy.stems.  215 

Waren  oder  mit  sonst  etwas,  das  mittelst  dieser  Waren 
gekauft  worden  war,  angeschafft  haben,  und  dies  führt 
uns  doch  wieder  zu  dem  jährlichen  Boden-  und  Arbeits- 
ertrage des  Landes  als  der  schließlichen  Hilfsquelle  der 
Kriegsführung  zurück.  Natürlich  muß  ein  so  großer 
jährlicher  Aufwand  mit  einem  großen  jährlichen  Ertrag 
bestritten  worden  sein.  So  beliefen  sich  z.  ß.  die  Aus- 
gaben 1761  auf  mehr  als  neunzehn  Millionen.  Keine 
Ansammlung  hätte  eine  so  große  jährliche  Verschwen- 
dung ertragen  können.  Keine  Produktion,  selbst  nicht 
die  Gold-  und  Silberproduktion,  hätte  dazu  hingereicht. 
Alles  Gold  und  Silber,  das  in  einem  Jahre  nach  Spanien 
und  Portugal  eingeführt  wird,  beläuft  sich  nach  den 
besten  Quellen  gewöhnlich  nicht  auf  viel  über  6  Milli- 
onen £,  was  in  gewissen  Jahren  kaum  hingereicht  hätte, 
die  Kriegskosten  für  vier  Monate  zu  decken. 

Die  Waren,  die  sich  am  besten  zur  Ausfuhr  in 
ferne-Länder  eignen,  um  daselbst  entweder  den  Sold  und 
Unterhalt  eines  Heeres  oder  einen  Teil  des  hierzu  be- 
stimmten Geldes  der  Handelsrepublik  zukaufen,  scheinen 
die  feineren  und  künstlichen  Fabrikate  zu  sein,  die  bei 
kleinem  Umfang  großen  Wert  haben  und  deshalb  mit 
wenigen  Kosten  weit  versandt  werden  können.  Ein  Land, 
dessen  Industrie  einen  großen  jährlichen  Überschuß  an 
solchen  Fabrikaten,  die  im  xlusland  Absatz  finden,  her- 
vorbringt, kann  jahrelang  einen  kostspieligen  Krieg  aus- 
halten, ohne  viel  Gold  und  Silber  auszuführen,  oder  über- 
haupt viel  zur  Ausfuhr  übrig  zu  haben,  iillerdings  muß 
in  diesem  Falle  ein  beträchtlicher  Teil  des  jährlichen 
Überschusses  seiner  Fabrikate  ausgeführt  werden,  ohne 
dem  Lande  einen  Ersatz  zurückzubringen,  wiewohl  ihn 
der  Kaufmann  erhält;  denn  die  Regierung  kauft  letzterem 
seine  Wechsel  aufs  Ausland  ab,  um  dort  den  Sold  und 
Unterhalt  einer  Armee  damit  zu  bezahlen.  Ein  Teil 
jenes  Überschusses  kann  auch  dem  Lande  noch  etwas 


216      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

zurückbringen.  Im  Kriege  pflegt  an  die  Fabrikanten 
eine  doppelte  Nachfrage  heranzutreten,  und  sie  finden 
sich  berufen,  erstens  Waren  zur  Ausfuhr  herzustellen, 
mit  denen  die  aufs  Ausland  behufs  Bezahlung  des  Soldes 
und  Unterhalts  der  Armee  gezogenen  AVechsel  gezahlt 
werden  können,  und  zweitens  diejenigen  Waren,  die 
zum  Ankauf  der  gewöhnlichen  Rückladungen  dienen 
sollen,  die  im  Lande  selbst  verbraucht  zu  werden  pflegen. 
Daher  können  oft  mitten  im  verheerendsten  auswärtigen 
Kriege  die  meisten  Fabriken  in  großem  Flor  stehen  und 
umgekehrt  bei  Wiederkehr  des  Friedens  zurückgehen. 
►Sie  können  mitten  im  E-uin  ihres  Landes  blühen  und 
mit  der  Wiederkehr  seines  Wohlstandes  verfallen.  Die 
Verschiedenheit  der  Lage  vieler  britischer  Industrie- 
zweige während  des  letzten  Krieges  und  einige  Zeit 
nach  dem  Frieden  können  zur  Erläuterung  des  eben 
Gesagten  dienen. 

Kein  sehr  kostspieliger  odei'  lange  dauernder  aus- 
wärtiger Krieg  kann  füglich  durch  Ausfuhr  von  Roh- 
produkten bestritten  werden.  Die  Ti-ansportkoston  einer 
so  großen  Menge  davon,  daß  der  Sold  und  Unterhalt 
eines  Heeres  damit  bezahlt  werden  könnte,  wären  zu 
groß.  Auch  bringen  nur  wenige  Länder  viel  mehr 
Rohprodukte  hervor,  als  zum  Unterhalt  der  eigenen  Be- 
wohner hinreicht.  Eine  große  Menge  von  ihnen  hinaus- 
senden, hieße  also  einen  Teil  der  dem  Volke  unentbehr- 
lichen Unterhaltsmittel  wegsenden.  Anders  verhält  es 
sich  mit  der  Ausfuhr  von  Fabrikaten.  Der  Unterhalt 
der  mit  ihrer  Verfertigung  beschäftigten  Leute  bleibt 
im  Lande,  und  nur  der  ÜberschufJ  ihrer  Arbeiten  wird 
ausgeführt.  Hume  macht  wiederholt  auf  die  Unfähig- 
keit der  alten  Könige  von  England  aufmerksam,  ohne 
Unterbrechung  einen  langwierigen  auswärtigen  Krieg 
zu  führen.  Die  Engländer  jener  Zeit  hatten,  um  den 
Sold  und  Unterhalt  ihrer  Heere  im  Auslande  zu  kaufen, 


Kap.  I.:  Grundsätze  des  Handels-  oder  Merkantilsysteins.  217 

nichts  weiter,  als  entweder  die  Rohprodukte  ihresBodens, 
von  denen  dem  heimischen  Verbrauch  nicht  viel  ent- 
zogen werden  konnte,  oder  einige  wenige  Fabrikate 
der  gröbsten  Art,  deren  Versendung  gleich  der  der 
Rohprodukte  zu  kostspielig  war.  Jene  Unfähigkeit  ent- 
sprang nicht  aus  dem  Geldmangel,  sondern  dem  Mangel 
an  feineren  und  künstlicheren  Fabrikwaren.  Kaufen  und 
Verkaufen  w  urde  in  England  damals  wie  jetzt  mittelst 
des  Geldes  bewirkt.  Die  Summe  des  umlaufenden  Geldes 
mut3  sich  damals  zu  der  Zahl  und  dem  Werte  der  durch- 
schnittlich en  Käu  fe  und  Verkäufe  ebenso  verhalten  haben , 
wie  jetzt,  oder  muß  vielmehr  größer  gewesen  sein,  weil 
es  damals  kein  Papiergold  gab,  welches  jetzt  zum  großen 
Teil  die  Stelle  des  Goldes  und  Silbers  vertritt.  Unter 
Völkern,  die  wenig  Handel  und  Industrie  kennen,  kann 
aus  Gründen,  die  wir  später  entwickeln  werden,  der 
Landesherr  bei  außerordentlichen  Gelegenheiten  nur 
selten  viel  Beistand  von  seinen  Untertanen  erhalten. 
In  solchen  Ländern  sucht  er  daher  in  der  Regel  einen 
Schatz  zu  sammeln,  der  in  Fällen  der  Not  seine  einzige 
Zuflucht  ist.  Aber  auch  abgesehen  von  dieser  Not- 
wendigkeit ist  er  in  einer  Lage,  welche  der  zur  Samm- 
lung eines  Schatzes  erforderlichen  Sparsamkeit  günstig 
ist.  In  einfachen  Verhältnissen  ist  der  Aufwand  selbst 
des  Landesherrn  nicht  von  der  eiteln  Lust  an  einer 
glänzenden  Hofhaltung  bestimmt,  sondern  wird  zu 
Gnadenbezeugungen  für  die  Lehnsleute  und  zur  Gast- 
freiheit gegen  das  Gefolge  verwendet.  Freigebigkeit 
und  Gastlichkeit  arten  aber  sehr  selten  in  Verschwendung 
aus,  wie  es  die  Eitelkeit  fast  immer  tut.  Jeder  Tar- 
tarenfürst  hat  demzufolge  einen  Schatz.  Die  Schätze 
des  Mazeppa,  desKosackenhäuptlings  in  der  Ukraine  und 
berühmten  Bundesgenossen  Karls  XII.,  sollen  sehr  gro]3 
gewesen  sein.  Die  merovingischen  Könige  von  Frank- 
reich hatten  jeder  einen  Schatz,  und  wenn  sie  ihr  Reich 


218     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

unter  ihre  Kinder  teilten,  teilten  sie  auch  den  Schatz. 
Die  sächsischen  Fürsten  und  die  ersten  Könige  nach  der 
Eroberung  scheinen  ebenfalls  einen  Schatz  angesammelt 
zu  haben.  Der  erste  Schritt  jedes  neuen  Regenten  war, 
sich  des  Schatzes  des  vorigen  Königs  zu  bemächtigen, 
denn  dies  sicherte  die  Nachfolge  am  besten.  Die  Fürsten 
zivilisiei'ter  und  handeltreibender  Staaten  haben  es  nicht 
in  dem  Grade  nötig,  einen  Schatz  aufzuhäufen,  weil  sie 
in  außerordentlichen  Fällen  gewöhnlich  außerordentliche 
Beihülfe  von  ihren  Untertanen  erhalten  können,  und 
sind  deshalb  auch  weniger  darauf  bedacht.  Sie  folgen 
naturgemäß  oder  vielleicht  notgedrungen  der  Mode  der 
Zeit,  und  ihr  Aufwand  richtet  sich  nach  derselben  über- 
triebenen Eitelkeit,  die  den  Aufwand  aller  übrigen  großen 
Eigentümer  in  ihren  Staaten  leitet.  Der  bedeutungs- 
lose Prunk  ihres  Hofes  wird  von  Tag  zu  Tag  glänzender, 
und  die  Ausgaben  für  ihn  verhindern  nicht  nur  die 
Ansammlung,  sondern  greifen  auch  oft  den  zu  nötigeren 
Ausgaben  bestimmten  Fonds  an.  Was  Dercyllidas  vom 
persischen  Hofe  sagte,  daß  er  dort  viel  Glanz,  aber 
wenig  Kraft,  viele  Diener,  aber  wenig  Krieger  gesehen 
habe,  läßt  sich  auch  auf  den  Hof  mancher  europäischen 
Fürsten  anwenden. 

Die  Einfuhr  von  Gold  und  Silber  ist  nicht  der  wich- 
tigste, und  noch  weit  weniger  der  einzige  Gewinn,  den 
eine  Nation  aus  ihrem  auswärtigen  Handelzieht.  Zwischen 
welchen  Plätzen  auch  der  auswärtige  Handel  getrieben 
wwden  mag:  sie  haben  alle  zwei  verschiedenartige  Vor- 
teile von  ihm.  Er  führt  den  Überschuß  ihrer  Boden- 
und  Arbeitsprodukte,  wonach  im  Lande  keine  Nachfrage 
ist,  aus,  und  bringt  dafür  etwas  anderes  zurück,  was 
im  Lande  begehrt  wird.  So  gibt  er  dem,  was  für  sie 
Überfluß  ist,  durch  Austausch  gegen  etwas  anderes, 
das  einen  Teil  ihrer  Bedürfnisse  befriedigen  und  ihre 
Genüsse  vermehren  kann,  einen  Wert.    Die  Schranken 


Kap.  I.:  Grundsätze  ties  Handels-  oder  ]\[erkantilsystems.  219 

des  heimischen  Marktes  werden  durch  seine  Dazwischen- 
kunft  kein  Hindernis,  die  Teilung  der  Arbeit  in  jedem 
Industriezweige  bis  zur  höchsten  Vollkommenheit  zu  ent- 
wickeln. Indem  er  einen  ausgedehnteren  Markt  für  den 
Überschuß  der  i^rbeitserzeugnisse  eröffnet,  ermutigt 
er  zur  Vervollkommnung  der  hervorbringenden  Kräfte, 
zur  äußersten  Vermehrung  der  Jahresproduktion  und 
dadurch  zur  Vergrößerung  des  wahren  Einkommens  und 
Reichtums  des  Volkes.  Diese  großen  und  wichtigen 
Dienste  leistet  der  auswärtige  Handel  unausgesetzt  allen 
Ländern,  zwischen  denen  er  getrieben  wird.  Sie  alle 
haben  großen  Vorteil  von  ihm,  den  größten  aber  das- 
jenige, in  dem  der  Kaufmann  seinen  Sitz  hat,  da  dieser 
sich  gewöhnlich  die  Befriedigung  des  Bedarfs  seines 
eignen  Landes  und  die  Ausfuhr  von  seinem  Überfluß 
am  meisten  angelegen  sein  läßt.  Die  Einfuhr  des  nötigen 
Goldes  und  Silbers  in  Länder,  die  keine  Bergwerke 
haben,  ist  ohne  Zweifel  ein  Gegenstand  des  auswärtigen 
Handels,  aber  jedenfalls  nur  ein  höchst  unbedeutender. 
Ein  Land,  das  lediglich  in  dieser  Absicht  auswärtigen 
Handel  triebe,  würde  kaum  in  einem  Jahrhundert  ein 
Schiff  zu  befrachten  haben. 

Nicht  durch  die  Einfuhr  von  Gold  und  Silber  hat  die 
Entdeckung  Amerikas  Europa  reicher  gemacht.  Durch 
den  lleichtum  der  amerikanischen  Minen  sind  diese  Me- 
talle wohlfeiler  geworden.  Silbergerät  kann  jetzt  für 
etwa  den  dritten  Teil  des  Getreides  oder  der  Arbeit  se- 
kauft  werden,  die  es  im  fünfzehnten  Jahrhundert  gekostet 
haben  würde.  Mit  dem  nämlichen  Aufwände  von  Arbeit 
und  Waren  kann  Europa  jährlich  etwa  dreimal  soviel 
Silbergeschirr  kaufen,  als  zu  jener  Zeit.  Wenn  aber  eine 
Ware  für  den  dritten  Teil  des  bisherigen  Preises  ver- 
kauft wird,  so  können  nicht  nur  die  früheren  Käufer 
dreimal  soviel  davon  kaufen,  sondern  sie  ist  nun  auch 
für  eine  weit  größere  Zahl  von  Käufern,  vielleicht  für 


220      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

zehn-  oder  zwanzigraal  mehr  als  früher,  erreichbar  ge- 
Avorden,  so  daß  jetzt  nicht  dreimal,  sondern  zvvanzig- 
oder  dreiliigmal  soviel  Silbergeschirr  in  Europa  sein 
kann,  als  selbst  bei  dem  jetzigen  Kulturzustande  vorhan- 
den sein  würde,  wenn  die  amerikanischen  Minen  nicht 
entdeckt  worden  wären.  Insofern  hat  Kuropa  allerdings 
einen  wirklichen,  wenn  auch  sehr  unbedeutenden  Vorteil 
gewonnen.  Die  Wohlfeilheit  des  Goldes  und  Silbers 
macht  diese  Metalle  eher  weniger  zu  Münzen  geeignet, 
als  sie  es  früher  waren.  Um  die  nämlichen  Käufe  zu 
machen,  müssen  wir  uns  jetzt  mit  einer  größeren  Menge 
dieser  Münzen  beladen  und  einen  Schilling  bei  uns  tragen, 
wo  vorher  ein  Grot  (4  d.)  genügte.  Es  ist  schwer  zu 
sagen,  was  geringfügiger  ist,  dieser  Nachteil  oder  jener 
Vorteil.  Keins  von  beiden  konnte  im  Zustand  Europas 
eine  wesentliche  Veränderung  hervorbringen.  Dennoch 
hat  die  Entdeckung  Amerikas  gewiß  eine  sehr  wichtige 
Veränderung  hervorgebracht.  Indem  sie  allen  Waren 
Europas  einen  neuen  und  unerschöpflichen  Markt  öffnete, 
gab  sie  zu  neuen  Arbeitsteilungen  und  technischen  Ver- 
besserungen Anlaß,  die  in  dem  engen  Kreise  des  frühe- 
ren Handels  aus  Mangel  an  einem  für  den  größten  Teil 
seiner  Erzeugnisse  hinreichend  aufnahmefähigen  Markte 
nie  hätten  Platz  greifen  können.  Die  produktiven 
Kräfte  der  Arbeit  entwickelten  sich,  und  ihr  Erzeugnis 
und  mit  ihm  das  wahre  Einkommen  und  der  wahre 
Reichtum  der  Einwohner  nahm  in  allen  Ländern  Europas 
zu.  Fast  alle  europäischen  Waren  waren  für  Amerika 
neu  und  viele  waren  es  für  Europa.  So  entstand  eine 
neue  lioihe  von  Tauschen,  an  die  man  vorher  nie  ge- 
dacht hatte,  und  die  für  den  neuen  Erdteil  ebenso 
vorteilhaft  hätten  werden  können,  wie  sie  es  für  den 
alten  unstreitig  waren.  Allein  die  barbarische  Unge- 
rechtigkeit der  Europäer  machte  ein  Ereignis,  das  für 
alle  wohltätig  sein  konnte,  für  manche  dieser  un- 
glücklichen Länder  verderblich  und  zerstörend. 


Kap.  1.:  Onindsätzo  dos  Handels-  oder  Morkantilsystoms.  221 

Die  ziemlich  gleichzeitige  Entdeckung  eines  Weges 
nach  Ostindien  um  das  Vorgebirge  der  guten  Hoffnung 
eröffnete  trotz  der  größeren  Entfernung  dem  auswärtigen 
Handel  vielleicht  einen  noch  größeren  Spielraum,  als 
selbst  die  Entdeckung  Amerikas.  In  Amerika  gab  es 
nur  zwei  Völkerschaften,  die  höher  als  die  Wilden  standen, 
und  diese  wurden  fast  zu  gleicher  Zeit  vertilgt  wie  ent- 
deckt. Die  übrigen  waren  vollständig  wild.  Dagegen 
waren  China,  Hindostan,  Japan,  so  wie  mehrere  andere 
ostindische  Eeiche,  ohne  ergiebige  Gold-  und  Silberminen 
zu  besitzen,  in  jeder  anderen  Beziehung  weit  reicher,  kul- 
tivierter und  in  Künsten  und  Gewerben  vorgeschrittener, 
als  Mexiko  oder  Peru,  selbst  wenn  wir  den  übertriebenen 
durchaus  unglaubwürdigen  Berichten  spanischer  Schrift- 
steller über  den  alten  Zustand  jener  Reiche  Glauben 
schenken  wollten.  Reiche  und  zivilisierte  Nationen 
können  aber  stets  mit  einander  viel  größere  Werte 
austauschen  als  mit  Wilden  und  Barbaren.  Gleichwohl 
hat  Europa  bisher  von  seinem  Handel  mit  Ostindien 
viel  weniger  Vorteil  gezogen,  als  von  dem  mit  Amerika. 
Die  Portugiesen  mono[)olisierten  den  ostindischen 
Handel  fast  ein  Jahrhundert  lang  für  sich,  und  die 
übrigen  europäischen  Nationen  konnten  nur  mittelbar 
durch  die  Portugiesen  Waren  nach  jenem  Lande 
senden  oder  von  dorther  empfangen.  Als  die  Holländer 
im  Anfange  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Portugiesen 
zu  verdrängen  anfingen,  überließen  sie  ihren  ganzen 
Ostindien-Handel  einer  privilegierten  Gesellschaft.  Eng- 
länder, Franzosen,  Schweden  und  Dänen  folgten 
diesem  Beispiel,  so  daß  bis  jetzt  keine  einzige  große 
europäische  Nation  den  Vorteil  freien  Verkehrs  nach 
Ostindien  gehabt  hat.  Dies  erklärt  hinreichend,  warum 
dieser  Verkehr  niemals  so  vorteilhaft  gewesen  ist,  wie 
der  nach  Amerika,  der  zwischen  fast  allen  europä- 
ischen  Nationen   und   ihren   Kolonien    für    alle  Staats- 


222      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

bürger  frei  war.  Die  aussoliließenden  Privilegien  jener 
ostindischen  Gesellschaften,  ihre  großen  ßeichtümer, 
die  hohe  Begünstigung  und  Beschützung,  die  diese 
ihnen  seitens  der  Regierungen  verschafften,  haben 
vielen  Neid  gegen  sie  erregt.  Dieser  Neid  hat  oft 
ihren  Handel  als  durchaus  verderblich  geschildert, 
weil  er  alle  Jahre  so  große  Mengen  Silbers  aus  dem 
Lande  führe.  Die  Gegenpartei  hat  erwidert,  ihr  Handel 
könne  wohl  durch  die  stete  Silberausfuhr  Europa  im 
allgemeinen  ärmer  machen,  aber  nicht  das  einzelne 
Land,  von  dem  der  Handel  getrieben  werde:  denn 
durch  die  Ausfuhr  eines  Teils  der  Rückladungen  nach 
anderen  europäischen  Ländern  komme  jährlich  eine 
weit  größere  Summe  jenes  Metalls  ins  Land,  als  aus- 
geführt worden  sei.  Sowohl  jener  Vorwurf,  als  diese 
Antwort  gründen  sich  auf  die  populäre  Vorstellung, 
die  ich  eben  geprüft  habe;  es  ist  daher  unnötig,  mehr 
darüber  zu  sagen.  Wegen  der  jährlichen  Silberaus- 
fuhr nach  Ostindien  ist  wahrscheinlich  das  Silberge- 
schirr in  Europa  etwas  teurer,  als  es  sonst  sein  würde, 
und  das  gemünzte  Silber  verschafft  wahrscheinlich 
eine  größere  Menge  Arbeit  und  AVaren.  Die  erste 
dieser  beiden  Wirkungen  ist  ein  sehr  geringfügiger 
Verlust,  die  letztere  ein  sehr  kleiner  Vorteil;  beide 
sind  zu  unbedeutend,  um  irgendwie  von  Seiten  des 
Staates  Aufmerksamkeit  zu  verdienen.  Dadurch  daß 
der  Handel  nach  Ostindien  den  europäischen  Waren, 
oder,  was  so  ziemlich  dasselbe  ist,  dem  mit  diesen 
Waren  gekauften  Gold  und  Silber  einen  Markt  eröffnet, 
muß  er  notwendig  die  jährliche  Produktion  europä- 
ischer Waren,  und  folglich  den  wahren  Reichtum  und 
das  wahre  Einkommen  Europas  vermehren.  Daß  er 
es  bis  heute  so  wenig  getan  hat,  ist  wahrscheinlich 
den  Einschränkungen  zu  danken,  mit  denen  er  überall 
zu  kämpfen  hat. 


Kap.   I.:  Grundsätze'  des  ITandols-  oder  Merkantilsystems.   223 

Ich  hielt  es  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  ermüdend 
zu  werden,  für  nötig,  die  populäre  Vorstellung,  daß 
der  ßeichtum  in  Geld  oder  in  Gold  und  Silber  be- 
stehe, ausführlich  zu  untersuchen.  Gold  bedeutet,  wie 
bereits  bemerkt,  nach  dem  gewöhnlichen  Sprachge- 
brauch oft  so  viel  wie  Reichtum,  und  diese  Zwei- 
deutigkeit des  Ausdrucks  hat  uns  jene  volkstümliche 
Vorstellung  so  geläufig  gemacht,  daß  selbst  diejenigen, 
welche  von  ihrer  Ungereimtheit  überzeugt  sind,  sehr 
leicht  ihre  Grundsätze  vergessen  und  sie  im  Verlauf 
ihres  Raisonnements  als  eine  ausgemachte  und  unleug- 
bare Wahrheit  annehmen.  Einige  der  besten  eng- 
lischen Schriftsteller  über  den  Handel  fangen  mit  der 
Bemerkung  an,  daf3  der  Reichtum  eines  Landes  nicht 
bloß  in  seinem  Gold  und  Silber,  sondern  auch  in  seinen 
Ländereien,  Häusern  und  verbrauchbaren  "Waren  aller 
Art  bestehe.  Im  Laufe  ihrer  Darlegungen  scheinen 
aber  die  Ländereien,  Häuser  und  Waren  ihrem  Ge- 
dächtnisse zu  entschwinden,  und  die  Kraft  ihrer 
Gründe  beruht  oft  auf  der  Voraussetzung,  daß  aller 
Reichtum  in  Gold  und  Silber  bestehe,  und  daß  sie  zu 
vermehren  die  große  Aufgabe  der  nationalen  Industrie 
und  des  Handels  sei. 

Die  beiden  Grundsätze  einmal  aufgestellt,  daß  der 
Reichtum  in  Gold  und  Silber  bestehe,  und  daß  diese 
Metalle  in  ein  Land,  das  keine  Bergwerke  habe,  nur 
mittelst  der  Handelsbilanz  oder  mittelst  einer  die  Ein- 
fuhr überwiegenden  Ausfuhr  gebracht  werden  können, 
—  wurde  es  notwendig  die  Hauptaufgabe  der  politi- 
schen Ökonomie,  die  Einfuhr  fremder  Waren  zum 
inneren  Verbrauch  möglichst  zu  vermindern,  und  die 
Ausfuhr  der  Erzeugnisse  einheimischen  Fleißes  miig- 
lichst  zu  vermehren.  Die  beiden  großen  Hebel,  das 
Land  zu  bereichern,  waren  daher  Beschränkungen  der 
Einfuhr  und  Ermunterunaen  der  Ausfuhr. 


224      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politisrhen  C)konomie. 

Die  Einfuhrbeschränkungen  waren  doppelter  Art: 
Erstens  Beschränkungen  der  Einfuhr  solcher  zum 
inneren  Verbrauch  bestimmter  fremder  Waren,  die  im 
Ijande  selbst  erzeugt  werden  konnten:  gleichviel  aus 
welchem  Lande  sie  kamen.  Zweitens,  Beschränkungen 
der  Einfuhr  fast  aller  Arten  von  "Waren  aus  Ländern, 
denen  gegenüber  eine  nachteilige  Handelsbilanz  vor- 
ausgesetzt wurde.  Diese  Beschränkungen  bestanden 
bald  in  hohen  Zöllen  und  bald  in  gänzlichen  Verboten. 

Die  Ausfuhi-  wuide  bald  durch  Rückzölle,  bald 
durch  Prämien,  bald  durch  vorteilhafte  Handelsverträge 
mit  fremden  Staaten  und  bald  durch  Begründung  von 
Kolonien  in  entfernten  Ländern  begünstigt. 

Rückzölle  gab  man  in  zweierlei  Fällen.  Wenn  die 
heimischen  Fabrikate  einem  Zoll  oder  einei-  Akzise 
unterworfen  waren,  wurde  bei  der  Ausfuhr  oft  das 
Ganze  oder  ein  Teil  davon  zurückgegeben;  und  wenn 
ausländische  einem  Zoll  unterworfene  AVaren  eingeführt 
wurden,  um  wieder  ausgeführt  zu  werden,  wurde  bei 
der  Ausfuhr  entweder  der  ganze  Zoll,  oder  ein  Teil 
davon  zurückerstattet. 

Ausfuhrprämien  gab  man  zur  Ermunterung  man- 
cher erst  beginnender  oder  solcher  Industrien,  denen 
man  eine  besondere  Begünstigung  glaubte  angedeihen 
lassen  zu  müssen. 

Durch  vorteilhafte  Handelsverträge  verschaffte 
man  den  Waren  und  Kaufleuten  des  eignen  Landes 
in  fremden  Staaten  gewisse  Vorrechte  vor  den  Waren 
und  Kaufleuten  anderer  Staaten. 

Durch  die  Begründung  von  Kolonien  in  entfernten 
Ländern  vv'urden  den  Waren  und  Kaufleuten  des  die 
Kolonie  gründenden  Landes  nicht  nur  besondere  Vor- 
rechte, sondern  oft  auch  ein  Monopol  erteilt. 

Die  beiden  oben  erwähnten  Einfuhibeschränkungen 
zusammen  mit  diesen  vier  Ausfuhrbegünstigungen  bilden 


Kap.  T. :  Grundsätze  des  Handels-  oder  MerkantilsA-stems.  225 

die  sechs  Hauptmittel,  duich  die  das  Handelssystem 
die  Menge  des  Goldes  und  Silbers  in  einem  Lande  zu 
vermehren  gedenkt,  indem  es  die  Handelsbilanz  zu 
seinen  Gunsten  wendet.  Ich  werde  jedes  dieser  Mittel 
in  einem  besonderen  Kapitel  erörtern,  und  ohne  auf 
ihre  angebliche  Wirkung,  Geld  ins  Land  zu  bringen, 
weiter  Rücksicht  zu  nehmen,  hauptsächlich  untersuchen, 
welchen  Einfluß  ein  jedes  auf  das  jährliche  Produkt 
seines  Fleißes  haben  muß.  Je  nachdem  sie  dazu  dienen, 
den  Wert  dieses  Jahresprodukts  zu  vermehren  oder  zu 
vermindern,  müssen  sie  offenbar  den  wahren  Reich- 
tum und  das  Einkommen  des  Landes  vermehren  oder 
vermindern. 


Adam  Smith,  Volkswohlstand.  II.  15 


Z  vv  e  i  te  s  K  a  p  i  t  e  1. 

Beschränkungen  der  Einfuhr  solcher  Waren,  die 
im  Lande  selbst  hervorgebracht  werden  können. 

Schränkt  man  die  Einfuhr  solcher  Waren,  die  im 
Lande  selbst  hervorgebracht  werden  können,  entweder 
durch  hohe  Zölle  ein  oder  verhindert  sie  durch  gänz- 
liche Verbote,  so  wird  dadurch  der  einheimischen  mit 
ihrer  Erzeugung  beschäftigten  Industrie  mehr  oder 
weniger  das  Monopol  auf  dem  inländischen  Markte 
gesichert.  So  sichert  das  Verbot,  Vieh  oder  gesalzenes 
Fleisch  aus  fremden  Ländern  einzuführen,  den  bri- 
tischen Viehzüchtern  das  Monopol  auf  dem  inländischen 
Fleischmarkte.  Die  hohen  Getveidezölle,  die  in  Zeiten 
mäßiger  Ernten  prohibitiv  wirken,  verschaffen  den 
Getreideproduzenten  einen  gleichen  Vorteil.  Das  Verbot 
der  Einfuhr  fremder  Wollwaren  begünstigt  ebenso  die 
Wollwareufabrikanten.  Die  Seidenindustrie  hat  neuer- 
dings, obwohl  sie  nur  ausländische  Materialien  ver- 
arbeitet, denselben  Vorteil  erhalten.  Die  Leinen- 
industrie hat  ihn  zwar  noch  nicht,  ist  aber  auf  dem 
besten  Wege  dazu.  Ebenso  haben  auch  manche  andere 
Industrielle  ganze  oder  partielle  Monopole  gegen  ihre 
Landsleute  erlangt.  Die  Menge  der  Waren,  deren  Ein- 
fuhr in  Großbritannien  ganz  oder  teilweise  verboten 
ist,  ist  viel  größer,  als  man  sich  in  der  Regel  denkt, 
wenn  man  mit  den  Zollgesetzen  nicht  vertiaut  ist. 

Daß  dieses  Monopol  des  inländischen  Marktes  die 
Industriezweige,  denen  es  zuteil  wird,  oft  sehr  fördert 


Kap.   IL:  Beschränkungen  der  Warenoinfulir.  227 

und  ihnen  einen  größeren  Teil  der  Arbeitskräfte  und 
des  Kapitals  zuwendet,  als  es  sonst  der  Fall  gewesen 
sein  würde,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Ob  es  aber 
den  allgemeinen  Gewerbfleiß  des  Volkes  vermehrt  oder 
ihm  die  vorteilhafteste  Richtung  gibt,  ist  wohl  nicht 
ganz  ebenso  ausgemacht. 

Der  allgemeine  Gewerbfleiß  des  Volkes  kann  nie- 
mals die  Grenzen  überschreiten,  die  ihm  das  National- 
kapital setzt.  Wie  die  Zahl  der  Arbeiter,  die  ein 
Privatmann  beschäftigen  kann,  in  bestimmtem  Verhältnis 
zu  seinem  Kapital  stehen  muß,  so  muß  auch  die  Zahl 
derjenigen,  die  von  sämtlichen  Gliedern  eines  großen 
Volks  fortwährend  beschäftigt  werden,  im  Verhältnis 
zum  Gesamtkapital  dieses  Volkes  stehen,  und  kann 
dieses  Verhältnis  niemals  überschreiten.  Keine  Handels- 
regelungen können  den  Gewerbfleiß  eines  Volkes  höher 
entwickeln,  als  sein  Kapital  es  erlaubt.  Sie  können  nur 
einen  Teil  von  ihm  in  eine  Richtung  lenken,  die  er 
sonst  nicht  genommen  haben  würde,  und  es  ist  keines- 
wegs sicher,  daß  diese  künstliche  Richtung  für  das  Volk 
vorteilhafter  sei,  als  die,  welche  er  von  selbst  genommen 
haben  würde. 

Jeder  einzelne  ist  stets  darauf  bedacht,  die  vor- 
teilhafteste Anlage  für  das  Kapital,  über  das  er  zu  ge- 
bieten hat,  ausfindig  zu  machen.  Er  hat  allerdings  nur 
seinen  eignen  Vorteil  und  nicht  den  des  Volkes  im 
Auge;  aber  gerade  die  Bedachtnahme  auf  seinen  eignen 
Vorteil  führt  ganz  von  selbst  dazu,  daß  er  diejenige  An- 
lage bevorzugt,  welche  zugleich  für  die  Gesellschaft 
die  vorteilhafteste  ist. 

Erstens  sucht  jeder  sein  Kapital  möglichst  nahe 
bei  seinem  Wohnsitz,  und  folglich  möglichst  im  hei- 
mischen Gewerbfleiß  anzulegen,  falls  er  dabei  den 
üblichen  Kapitalgewinn  oder  doch  nicht  viel  weniger 
zu  erzielen  vermag. 

15='- 


228      Viertes  Budi:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

So  zieht  jeder  Großhändler  bei  gleichem  oder  an- 
nähernd gleichem  Gewinn  den  inneren  dem  auswärtigen 
Handel,  und  wiederum  den  auswärtigen  Handel  zum 
Konsum  dem  Zwischenhandel  vor.  Im  Binnenhandel 
kommt  ihm  sein  Kapital  niemals  so  weit  aus  dem  Ge- 
sicht, wie  gewöhnlich  bei  dem  auswärtigen.  Er  wird 
den  Charakter  und  die  Lage  der  Leute,  denen  er  Kredit 
gibt,  besser  kennen  lernen,  und  wenn  er  getäuscht 
werden  sollte,  so  kennt  er  die  Landesgesetze  besser, 
die  Abhülfe  schaffen  können.  Im  Zwischenhandel  ist 
das  Kapital  des  Kaufmanns  so  zu  sagen  auf  zwei  fremde 
Länder  vorteilt,  und  kein  Teil  kehrt  notwendig  unter 
seine  unmittelbare  Aufsicht  und  Vorfügung  zurück. 
Das  Kapital,  das  ein  Amsterdamer  Kaufmann  verwendet, 
um  Getreide  von  Königsberg  nach  Lissabon  und  Früchte 
und  Wein  von  Lissabon  nach  Königsberg  zu  schaffen, 
ist  in  der  Regel  zur  Hälfte  in  Königsberg  und  zur 
Hälfte  in  Lissabon  und  braucht  niemals  nach  Amster- 
dam zu  kommen.  Der  natürliche  Wohnsitz  eines  solchen 
Kaufmanns  müßte  Königsberg  oder  Lissabon  sein,  und 
nur  ganz  besondere  Umstände  können  ihn  bestimmen, 
den  Aufenthalt  in  Amsterdam  vorzuziehen.  Das  Unbe- 
hagen, von  seinem  Kapital  so  weit  getrennt  zu  sein, 
bestimmt  ihn  aber  gewöhnlich,  einen  Teil  der  Königs- 
berger Waren,  die  für  den  Lissaboner  Markt,  und  einen 
Teil  der  Lissaboner  Waren,  die  für  Königsberg  be- 
stimmt waren,  nach  Amsterdam  kommen  zu  lassen;  und 
obwohl  er  sich  dadurch  den  doppelten  Kosten  des  Ein- 
unil  Ausladens,  sowie  der  Bezahlung  einiger  Abgaben 
und  Zölle  unterwirft,  so  läßt  er  sich  doch  diesen  Übel- 
stand gern  gefallen,  um  nur  einen  Teil  seines  Kapitals 
immer  unter  seiner  Aufsicht  und  zur  Verfügung  zu 
haben;  und  so  kommt  es,  daß  jedes  Land,  das  be- 
deutenden Zwischenhandel  treibt,  stets  das  Emporium 
oder  der  Hauptmarkt    für    die  Waren  all'    der  Länder 


Kap.  IL:  Bescliräiikiingen  der  Wareneinfuhr.  229 

wird,  deren  Handel  es  betreibt.  Der  Kaufmann  sucht 
stets,  um  ein  zweites  Ein-  und  Ausladen  zu  ersparen, 
möglichst  viele  Waren  dieser  Länder  auf  dem  heimischen 
Markte  zu  verkaufen  und  dadurch,  soviel  an  ihm  liegt, 
den  Zwischenhandel  in  einen  auswärtigen  Handel  zu 
verwandeln.  Ebenso  wird  ein  Kaufmann,  der  auswär- 
tigen Handel  treibt,  immer  froh  sein,  möglichst  viel  der 
für  auswärtige  Märkte  aufgehäuften  Waren  mit  gleichem 
oder  annähernd  gleichem  Gewinn  im  Lande  selbst  ver- 
kaufen zu  können.  Durch  tunlichste  Verwandlung  des 
auswärtigen  Handels  in  einen  Binnenhandel  erspart  er 
sich  die  Gefahr  und  Mühe  der  Ausfuhr.  Die  Heimat 
ist  auf  diese  Weise  so  zu  sagen  der  Mittelpunkt,  um 
welchen  die  Kapitalien  der  Einwohner  fortwährend  um- 
laufen und  nach  welchem  sie  beständig  streben,  obgleich 
sie  manchmal  durch  besondere  Ursachen  abgestoßen 
und  nach  entfernteren  Anlagen  hingetrieben  werden 
können.  Ein  im  Binnenhandel  angelegtes  Kapital  setzt 
aber,  wie  bereits  gezeigt  wurde,  notwendig  eine  größere 
Menge  heimischen  Fleißes  in  Bewegung  und  schafft 
einer  größeren  Anzahl  von  Einwohnern  Einkommen  und 
Beschäftigung,  als  ein  gleich  großes  Kapital,  das  im 
auswärtigen  Handel  angelegt  ist,  und  ein  in  dem  aus- 
wärtigen Handel  angelegtes  hat  den  gleichen  Vorzug 
vor  einem  ebenso  großen  im  Zwischenhandel  angelegten 
Kapital.  Bei  gleichem  oder  auch  nur  annähernd  gleichem 
Gewinn  ist  mithin  jeder  von  selbst  geneigt,  sein  Kapital 
in  der  Weise  anzulegen,  wie  es  dem  heimischen  Fleiße 
wahrscheinlich  die  meiste  Unterstützung  gowälirt  und 
der  größten  Anzahl  von  Mensehen  in  seinem  Lande 
Einkommen  und  Beschäftigung  verschafft. 

Zweitens  sucht  jeder,  der  sein  Kai»ital  zur  Unter- 
stützung des  heimischen  Gewerb  floi(.5es  verwendet, 
diesen  Gewerbfleii3  natürlich  so  zu  lenken,  daß  der 
Ertrag  einen  möglichst  groJJen  Wort  darstellt. 


230     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Der  Ertrag  des  Gewerbfleißes  besteht  in  dem,  was 
er  dem  zu  bearbeitenden  Gegenstande  oder  Stoffe  an 
Wert  zusetzt.  Je  nachdem  dieser  Ertrag  groß  oder 
gering  ist,  sind  es  auch  die  Gewinne  des  Kapitalisten. 
Kapitalien  werden  aber  nur  des  Gewinns  halber  auf  die 
Gewerbe  verwendet,  und  man  wird  sie  daher  stets  dem- 
jenigen Gewerbe  zuzuwenden  suchen,  deren  Produkte 
den  größten  Wert  hoffen  lassen,  d.  h.  die  größte  Menge 
Geldes  oder  anderer  Waren  einzutauschen  versprechen. 

Nun  ist  das  Jahreseinkommen  jedes  Volkes  immer 
gerade  so  groß,  wie  der  Tauschwert  der  gesamten 
Jahresergebnisse  seines  Fleißes  oder  vielmehr  das  Ein- 
kommen ist  nichts  anderes,  als  dieser  Tauschwert  selber. 
Da  aber  jeder  sein  Kapital  möglichst  zur  Unterstützung 
des  inländischen  Gewerbfleißes  zu  verwenden  und  diesen 
Gewerbfleiß  so  zu  leiten  sucht,  daß  sein  Produkt  den 
grollten  Wert  erhält,  so  arbeitet  auch  jeder  notwendig 
dahin,  das  Jahreseinkommen  des  Volks  so  groß  zu 
machen,  als  er  kann.  Allerdings  beabsichtigt  er  in 
der  Regel  w  eder,  das  allgemeine  Wohl  zu  fördern,  noch 
weiß  er,  in  welchem  Maß  er  es  befördert.  Wenn  er 
dem  heimischen  Gewerbfleiß  vor  dem  fremden  den 
Vorzug  gibt,  so  hat  er  nur  seine  eigene  Sicherheit 
vor  Augen,  und  wenn  er  diesen  Gewerbfleiß  so  lenkt, 
daß  sein  Produkt  den  größten  Wert  erhält,  so  bezweckt 
er  lediglich  seinen  eignen  Gewinn  und  wird  in  diesem 
wie  in  vielen  anderen  Fällen  von  einer  unsichtbaren 
Hand  geleitet,  einen  Zweck  zu  befördern,  der  ihm 
keineswegs  vorschwebte.  Das  Volk  hat  davon  keinen 
Schaden,  daß  jenes  seine  Absicht  nicht  war.  Oft  fördert 
er  durch  die  Verfolgung  seines  eignen  Interesses  das  der 
Gesellschaft  weit  wirksamer,  als  wenn  er  es  zu  befördern 
wirklich  beabsichtigte.  Ich  habe  niemals  gesehen,  daß 
Leute,  die  zum  allgemeinen  Besten  Handel  zu  treiben 
vorgaben,  viel  Gutes  ausgerichtet  hätten.     In  der  Tat 


Kap.  TT.:  Beschränkungen  der  Warencinfuhr.  231 

geben  es  die  Kaufleute  auch  nur  selten  vor  und  es  be- 
darf nur  weniger  Worte,  es  ihnen  auszureden. 

Auf  welche  Gattungen  des  heimischen  Gewerb- 
fleißes jemand  sein  Kapital  verwenden  soll,  und  bei 
welcher  das  Produkt  den  größten  Wert  verspricht,  kann 
offenbar  jeder  einzelne  nach  seinen  örtlichen  Verhält- 
nissen weit  besser  beurteilen,  als  es  ein  Staatsmann 
oder  Gesetzgeber  für  ihn  tun  könnte.  Der  Staatsmann, 
der  sich  versucht  fühlte,  Privatleuten  Anleitung  zu 
geben,  wie  sie  ihre  Kapitalien  anlegen  sollen,  würde  sich 
nicht  allein  eine  höchst  unnötige  Fürsorge  aufladen, 
sondern  sich  eine  Autorität  anmaßen,  die  nicht  einmal 
einem  Ministerium  oder  einem  Senat,  geschweige  denn 
einem  einzelnen  Manne  getrost  überlassen  werden 
könnte,  und  die  nirgends  so  gefährlich  sein  würde,  als 
in  der  Hand  eines  Mannes,  der  töricht  und  dünkelhaft 
genug  wäre,  sich  dazu  fähig  zu  erachten. 

Den  Erzeugnissen  inländischen  Gewerbfleißes 
irgend  welcher  Art  das  Monopol  des  heimischen  Marktes 
zugestehen,  heißt  aber  gewissermaßen  nichts  anderes, 
als  Privatleuten  die  Art  vorzeichnen,  wie  sie  ihre  Ka- 
pitalien anlegen  sollen,  und  muß  fast  in  allen  Fällen 
eine  nutzlose  oder  schädliche  Maßnahme  sein.  Können 
die  Produkte  des  heimischen  Gewerbfleißes  ebenso 
wohlfeil  geliefert  werden,  wie  die  des  ausländischen, 
so  ist  die  Maßnahme  offenbar  nutzlos;  wo  nicht,  so 
muß  sie  in  der  Regel  schädlich  sein.  Bei  jedem  klugen 
Hausvater  ist  es  Grundsatz,  niemals  etwas  im  Hause 
machen  zu  lassen,  was  er  billiger  kaufen  kann.  Der 
Schneider  macht  sich  seine  Schuhe  nicht  selbst,  sondern 
kauft  sie  vom  Schuhmacher;  der  Schuhmacher  macht 
sich  seine  Kleider  nicht,  sondern  beschäftigt  den 
Schneider;  und  der  Landmann  macht  weder  das  eine 
noch  das  andere,  sondern  gibt  den  beiden  Handwerkern 
zu  tun.     Sie  alle  finden  es   in   ihrem  Interesse,   ihren 


232     Viertes  Buch:  Die  S^'Steme  der  politischen  Ökonomie. 

ganzen  Fleiß  auf  dasjenige  zu  verwenden,  worin  sie 
etwas  vor  ihren  Nachbarn  voraus  haben,  und  mit  einem 
Teile  ihrer  Erzeugnisse,  oder,  was  dasselbe  ist,  mit  dem 
Preise  eines  Teils  davon  ihren  übrigen  Bedarf  zu  kaufen. 
Was  im  Verfahren  jeder  Familie  Klugheit  ist,  kann 
in  dem  eines  großen  Reichs  schwerlich  töricht  sein. 
Wenn  uns  ein  fremdes  Land  mit  einer  Ware  wohlfeiler 
versehen  kann,  als  wir  selbst  sie  zu  machen  imstande 
sind,  so  ist  es  besser,  daß  wir  sie  ihm  mit  einem  Teile 
vom  Erzeugnis  unserer  Industrien,  in  denen  wir  vor 
dem  Auslande  etwas  voraushaben,  abkaufen.  Der  all- 
gemeine Gewerbfleiß  des  Landes,  der  sich  immer  nach 
dem  darin  angelegten  Kapital  richtet,  wird  dadurch  so 
wenig  vermindert,  wie  der  Gewerbfleiß  der  oben  er- 
wähnten Handwerker,  sondern  es  bleibt  ihm  nur  über- 
lassen, die  einträglichste  Beschäftigung  zu  M'ählen. 
Sicherlich  verfehlt  er  diesen  Zweck,  wenn  er  auf  eine 
Sache  gelenkt  wird,  die  man  wohlfeiler  kaufen  kann,  als 
er  sie  zu  verfertigen  vermag.  Der  Wert  seines  jährlichen 
Erzeugnisses  wird  gewiß  mehr  oder  weniger  vermindert, 
wenn  er  von  der  Verfertigung  offenbar  wertvollerer 
Waren  ab-  und  auf  die  Verfertigung  minder  wertvoller 
hingelenkt  wird.  Vorausgesetzt,  die  Ware  könnte  vom 
Auslande  wohlfeiler  bezogen,  als  im  Lande  hergestellt 
werden,  so  wäre  man  imstande,  sie  bloß  mit  einem 
Teile  der  Waren,  oder,  was  dasselbe  ist,  einem  Teil 
vom  Preise  der  Waren  zu  kaufen,  welche  die  mit  einem 
gleich  großen  Kapital  betriebene  Industrie  im  Lande 
selbst  hätte  erzeugen  können,  wenn  man  sie  ihrem 
natürlichen  Laufe  überlassen  hätte.  Die  Landesindustrie 
wird  mithin  durch  jede  solche  Maßnahme  nur  von  einem 
mehr  oder  weniger  vorteilhaften  Gewerbe  abgelenkt, 
und  der  Tauschwert  ihres  jährlichen  Produkts  muß 
sich  notwendig  vermindern,  anstatt  sich,  wie  es  der  Ge- 
setzgeber gewollt  hat.  zu  vergrößern. 


Kap.  IL:  Beschränkungen  der  ^Yareneinfuhr.  233 

Zwar  kann  eine  oder  die  andere  Industrie  sich  durch 
solche  Maßnahmen  bisweilen  schneller  entwickeln,  als 
es  sonst  hätte  geschehen  können,  und  die  Ware  kann 
nach  einer  gewissen  Zeit  im  Lande  ebenso  wohlleil  oder 
noch  wohlfeiler  hergestellt  werden,  als  im  Auslande; 
aber  wenn  auch  auf  diese  Weise  die  Industrie  des  Volks 
früher,  als  es  sonst  hätte  geschehen  können,  mit  Vor- 
teil in  einen  besonderen  Kanal  geleitet  wird,  so  folgt 
doch  keineswegs  daraus,  daß  die  Totalsumme  der  Lan- 
desindustrie oder  des  Volkseinkommens  durch  eine 
solche  Maßnahme  vermehrt  -»werden  könne.  Der  Ge- 
werbfleiß des  Volkes  kann  sich  nur  in  dem  Maße  ver- 
mehren, wie  sein  Kapital  zunimmt,  und  sein  Kapital 
kann  nur  in  dem  Maße  zunehmen,  wie  nach  und  nach 
etwas  vom  Volkseinkommen  ers[)art  wird.  Aber  die 
unmittelbare  Wirkung  jeder  solchen  Maßnahme  ist  eine 
Verminderung  ihres  Einkommens,  und  was  ihr  Ein- 
kommen vermindert,  wird  gewiß  ihr  Kapital  nicht 
schneller  vermehren,  als  es  sich  von  selbst  vermehrt 
haben  würde,  wenn  man  beide,  Kapital  und  Industrie, 
ihrem  natürlichen  Gange  überlassen  hätte. 

Wenn  auch  das  Volk  ohne  solche  Maßnahmen  die 
gewünschte  Industrie  niemals  erhalten  hätte,  so  würde 
es  darum  in  irgend  einer  Periode  seiner  Dauer  doch 
nicht  notwendig  ärmer  sein.  In  jeder  Periode  seiner 
Dauer  könnte  doch  sein  ganzes  Kapital  und  sein  ganzer 
Gewerbfleiß  zwar  auf  andere  Gegenstände,  aber  in  einer 
Weise  verwendet  worden  sein,  die  zur  Zeit  die  vorteil- 
hafteste war.  In  jeder  Periode  hätte  ihr  Einkommen 
das  größte  sein  können,  welches  das  Kapital  zu  liefern 
vermochte,  und  sowohl  Kapital  als  Einkommen  könnten 
mit  der  größtmöglichen  Schnelligkeit  gewachsen  sein. 

Die  natürlichen  Vorteile,  welche  ein  Land  in  Her- 
vorbringung gewisser  Waren  vor  einem  andern  voraus 
hat,  sind  mitunter  so  groß,  daß  es,  wie  alle  Welt  zugibt. 


234     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

vergeblich  sein  würde,  dagegen  anzukämpfen.  In  Treib- 
häusern, Mistbeeten  und  dergleichen  lassen  sich  in  Schott- 
land sehr  gute  Trauben  ziehen  und  auch  recht  guter 
Wein  davon  gewinnen;  nur  würde  dieser  etwa  dreißig- 
mal soviel  kosten,  als  ein  mindestens  ebenso  guter  Wein 
des  Auslandes.  Wäre  es  ein  vernünftiges  Gresetz,  die 
Einfuhr  aller  fremden  Weine  zu  verbieten,  bloß  um  die 
Erzeugung  des  Clarets  und  Burgunders  in  Schottland 
zu  befördern?  Wenn  es  aber  eine  offenbare  Albern- 
heit wäre,  auf  ein  Gewerbe  dreißigmal  mehr  Kapital 
und  Fleiß  zu  verwenden,  als  nötig  ist,  um  eine  gleiche 
Menge  der  begehrten  Waren  aus  fremden  Ländern  zu 
kaufen,  so  muß  es  auch  eine,  zwar  nicht  ganz  so  auf- 
fällige, doch  durchaus  ähnliche  Albernheit  sein,  auf  ein 
Gewerbe  den  dreißigsten  oder  auch  nur  den  dreihundert- 
sten Teil  mehr  an  Kapital  und  Fleiß  zu  verw^enden. 
Ob  die  Vorteile,  welche  ein  Land  vor  dem  anderen 
voraus  hat,  natürliche  oder  erworbene  sind,  kommt  hier- 
bei nicht  in  Betracht.  Solange  das  eine  I^and  diese 
Vorteile  hat  und  das  andere  sie  entbehrt,  solange  ist 
es  auch  für  das  letztere  vorteilhafter,  von  dem  ersteren 
zu  kaufen,  als  selbst  zu  erzeugen.  Der  Vorteil,  den 
ein  Handwerker  über  seinen  Nachbar  hat,  der  ein  an- 
deres Handwerk  treibt,  ist  nur  ein  erworbener,  und  doch 
finden  es  beide  vorteilhafter,  von  einander  zu  kaufen, 
als  Dinge  zu  verfertigen,  die  nicht  zu  ihrem  Geschäft 
gehören. 

Kaufleute  und  Fabrikanten  ziehen  von  dem  Monopol 
des  inländischen  Marktes  den  grüßten  Vorteil.  Das 
Verbot  der  Einfuhr  fremden  Viehs  und  gesalzenen 
Fleisches,  so  wie  die  hohen  Getreidezölle,  die  in  Zeiten 
mäßiger  Ernten  einem  Verbote  gleichkommen,  sind  lange 
nicht  so  vorteilhaft  für  die  Viehzüchter  und  Landwirte 
Großbritanniens,  als  andere  ähnliche  Verordnungen  es 
für   die  Kaufloute   und  Fabrikanten   sind.     Fabrikate, 


Kap.  IL:  Beschninkung-en  der  Wareneinfuhr.  235 

besonders  feinere,  sind  leichter  aus  einem  Lande  in  das 
andere  zu  schaffen,  als  Getreide  oder  Vieh.  Daher  ist 
auch  der  auswärtige  Handel  namentlich  mit  Einfuhr  oder 
Ausfuhr  von  Fabrikaten  beschäftigt.  Bei  Fabrikaten 
wird  schon  ein  sehr  kleiner  Vorteil  den  Ausländer  in 
Stand  setzen,  unsere  Arbeiter  zu  unterbieten,  selbst  auf 
dem  inländischen  Markte.  Dagegen  müßte  er  sehr 
große  Vorteile  voraus  haben,  wenn  er  das  nämliche 
auch  bei  den  Rohprodukten  des  Bodens  sollte  tun 
können.  Wäre  die  freie  Einfuhr  fremder  Fabrikwaren 
erlaubt,  so  würden  manche  heimische  Industrien  wahr- 
scheinlich zu  leiden  haben,  einige  vielleicht  sogar  zu 
Grunde  gehen,  und  ein  bedeutender  Teil  des  gegen- 
wärtig in  ihnen  angelegten  Kapitals  und  Gewerbfleißes 
würde  eine  andere  Beschäftigung  suchen  müssen.  Aber 
auch  die  freieste  Einfuhr  der  Rohprodukte  könnte  auf 
den  Ackerbau  keinen  solchen  EinfJuß  haben. 

Würde  z.  B.  die  p]iufuhr  fremden  Viehs  jemals 
gänzlich  freigegeben,  so  könnte  doch  so  wenig  ein- 
geführt werden,  daß  der  britische  Viehhandel  nur  un- 
bedeutend davon  betroffen  würde.  Lebendes  A^ioh  ist 
vielleicht  die  einzige  Ware,  deren  Transport  zur  See 
kostspieliger  ist  als  zu  Lande.  Zu  Lande  geht  es  selbst 
auf  den  Markt;  zur  See  muß  nicht  nur  das  Vieh,  sondern 
auch  sein  Futter  und  Wasser  nicht  ohne  viele  Kosten 
und  Schwierigkeiten  transportiert  werden.  Die  kurze 
Überfahrt  zwischen  Irland  und  GrofJbritannien  erleichtert 
zwar  die  Einfuhr  irischen  Viehs;  wenn  aber  aucli  seine 
freie  Einfuhr,  die  jüngst  nur  auf  eine  gewisse  Zeit 
bewilligt  worden  ist,  auf  immer  nachgegeben  würde,  so 
könnte  sie  doch  die  Interessen  der  britischen  Vieh- 
züchter nicht  sonderlich  berühren.  Die  Teile  Groß- 
britanniens, die  an  die  irische  See  grenzen,  sind  sämt- 
lich Weideländer.  Zu  ihrem  Gebrauch  kann  iiländisches 
Vieh  nicht  eingeführt  und  müßte  erst  mit  vielen  Kosten 


236     Viertes  Bucli:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

und  Schwierigkeiten  durch  diese  weiten  Landstriche 
getrieben  werden,  ehe  es  auf  seinen  eigenthchen  Markt 
gelangen  könnte.  Fettes  Vieh  liei^e  sich  so  weit  gar- 
nicht  treiben.  Es  wäre  daher  nur  möglich,  mageres 
Vieh  einzuführen,  und  diese  Einfuhr  würde  mit  dem 
Interesse  der  Landschaften,  die  sich  mit  Viehmast  ab- 
geben, nicht  streiten,  durch  den  verminderten  Preis 
des  mageren  Viehes  ihnen  vielmehr  vorteilhaft  werden: 
sie  würde  also  nur  mit  dem  Interesse  der  Gegenden, 
in  denen  man  Vieh  züchtet,  streiten.  Die  geringe  Menge 
des  seit  der  freien  Einfuhr  aus  Irland  eingebrachten 
Viehs,  sowie  der  gute  Preis,  zu  dem  mageres  Vieh  noch 
immer  verkauft  wird,  scheint  jedoch  zu  beweisen,  daß 
auch  die  Viehzucht  treibenden  Gegenden  Großbri- 
tanniens durch  die  freie  Einfuhr  irischen  Viehes  nicht 
sonderlich  leiden.  Das  gewöhnliche  Volk  Irlands  soll 
sich  zwar  der  Ausfuhr  des  Viehs  bisweilen  mit  Gewalt 
widersetzt  haben;  wenn  aber  die  Exporteure  einen  be- 
deutenden Nutzen  dabei  gehabt  hätten,  so  würden  sie, 
da  das  Gesetz  auf  ihrer  Seite  war,  den  Widerstand 
des  Pöbels  wohl  mit  Leichtigkeit  überwunden  haben. 
Überdies  müssen  Gegenden,  in  denen  Viehmast  ge- 
trieben wird,  stets  hoch  kultiviert  sein,  während  die 
Vieh  züchtenden  in  der  Regel  noch  weit  im  Anbau  zurück 
sind.  Der  hohe  Preis  des  mageren  Viehs  vermehrt  den 
Wert  des  unangebauten  Bodens,  und  ist  dadurch  gleich- 
sam eine  Prämie  auf  die  Unterlassung  des  Anbaues. 
Für  ein  durchaus  gut  angebautes  Land  ist  es  vorteil- 
hafter mageres  Vieh  einzuführen,  als  es  selbst  zu  ziehen. 
Die  Provinz  Holland  soll  daher  jetzt  auch  diesen  Grund- 
satz befolgen.  Die  gebirgigen  Teile  von  Schottland, 
Wales  und  Northumberland  sind  keiner  hohen  Kultur 
fähig  und  scheinen  von  der  Natur  zu  den  viehzüchtenden 
Gegenden  Großbritanniens  bestimmt  zu  sein.  Die  völlig 
■freie  Einfuhr  fremden  Viehs  könnte  keine  andere  Wir- 


Kap.  IT.:  Bosclirilnkun.i^oii  <ler  Warenoinfuhr.  237 

kung  haben,  als  diese  viehzüchtenden  Gegenden  zu  hin- 
dern, aus  der  zunehmenden  Bevölkerung  und  Kultur 
des  übrigen  Reichs  Vorteil  zu  ziehen,  ihre  Preise  auf 
eine  unmäßige  Hübe  zu  treiben  und  allen  besser  an- 
gebauten und  kultivierten  Teilen  des  Landes  eine 
effektive  Steuer  aufzulegen. 

Die  völlio-  freie  P]infuhr  gesalzenen  Fleisches  k(')nnte 
das  Interesse  der  großbritannischen  Viehzüchter  ebenso 
wenig  berühren,  wie  die  Einfuhr  lebenden  Viehs.  Ge- 
salzenes Fleisch  ist  nicht  nur  eine  sehr  voluminöse 
Ware,  sondern  auch  im  Vergleich  mit  frischem  Fleisch 
von  geringerer  Güte  und,  da  es  mehr  Arbeit  und  Kosten 
verursacht,  von  höherem  Ih'eise.  Es  kann  daher  niemals 
mit  dem  frischen,  sondern  höchstens  mit  dem  Salzfleisch 
des  Landes  in  Wettbewerb  treten.  Es  dient  zur  Verpro- 
viantierung der  Schiffe  für  weite  ßeisen  und  zu  ähnlichen 
Zwecken,  kann  aber  niemals  einen  beträchtlichen  Teil 
der  Volksnahrung  ausmachen.  Die  geringe  Einfuhr  von 
Salzfleisch  aus  Irland  seit  der  Freigabe  der  P]infuhr  ist 
ein  Erfahrungsbeweis,  daß  unsere  Viehzüchter  nichts 
davon  zu  fürchten  haben.  Es  scheint  nicht,  daß  der 
Fleischpreis  davon  erheblich  berührt  worden  wäre. 

Selbst  die  freie  Einfuhr  fremden  Getreides  könnte 
das  Interesse  der  großbritannischen  Landwirte  nur 
wenig  berühren.  Getreide  ist  eine  noch  weit  volumi- 
nösere Ware  als  Fleisch.  Ein  Pfund  Weizen  zu  einem 
Penn}'  ist  so  teuer,  wie  ein  Pfund  Fleisch  zu  vier  Pence. 
Die  geringe  Menge  fremden  Getreides,  die  selbst  in 
Zeiten  des  größten  Mangels  eingeführt  worden  ist,  kann 
unsere  Landwirte  überzeugen,  daß  sie  auch  von  der 
freiesten  Einfuhr  nichts  zu  fürchten  haben.  Die  durch- 
schnittliche Jahreseinfuhr  beträgt  nach  dem  sehr  gut 
unterrichteten  Verfasser  der  Abhandlungen  über  den  Ge- 
treidehandel (Tracts  upon  the  corn  trade)  nur  23,728 
Quarters  aller  Getreidesorten  und  übersteigt  nicht  ^/sti 
des  jährlichen  Verbrauchs.    Wie  aber  die  Ausfuhrprämie 


238      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

auf  Getreide  in  fruchtbaren  Jahren  eine  größere  Aus- 
fuhr veranlaßt,  so  muß  sie  auch  in  Jahren  des  Mangels 
eine  größere  Einfuhr  bewirken,  als  bei  dem  dermaligen 
Zustande  der  Landwirtschaft  sonst  stattfinden  würde. 
In  Folge  der  Prämie  kann  der  Überfluß  des  einen 
Jahres  den  Mangel  des  andern  nicht  ausgleichen,  und 
da  die  durchschnittliche  Ausfuhrmenge  dadurch  ver- 
mehrt wird,  so  muß  es  auch  bei  dem  dermaligen  Zu- 
stande des  Ackerbaus  mit  der  durchschnittlichen  Einfuhr 
geschehen.  Da  ohne  die  Prämie  weniger  Getreide  aus- 
geführt werden  würde,  so  ist  es  wahrscheinlich,  daß 
durchschnittlich  auch  weniger  eingeführt  werden  würde, 
als  jetzt.  Die  Getreidehändler,  die  den  Getreidehandel 
zwischen  Großbritannien  und  dem  Auslande  vermitteln, 
würden  viel  weniger  zu  tun  haben  und  sehr  dabei  zu 
kurz  kommen;  aber  die  Landwirte  könnten  sehr  wenig 
dabei  verlieren.  Daher  habe  ich  auch  die  Getreidehändler 
viel  mehr  als  die  Landwirte  um  die  Erneuerung  und 
Fortdauer  der  Prämie  besorgt  gesehen. 

Gutsbesitzer  und  Pächter  sind,  sehr  zu  ihrer  Ehre, 
von  dem  elenden  Monopolgeiste  am  wenigsten  ange- 
steckt. Der  Unternehmer  einer  großen  Fabrik  ist  zu- 
weilen schon  beunruhigt,  wenn  innerhalb  zwanzig  Meilen 
ein  gleichartiges  Werk  errichtet  wird.  Der  holländische 
Unternehmer  der  Wollwarenfabrik  zu  Abbeville  stellte 
die  Bedingung,  daß  innerhalb  dreißig  Meilen  von  dieser 
Stadt  kein  gleichartiges  Werk  errichtet  werden  dürfe. 
Pächter  und  Gutsbesitzer  sind  dagegen  in  der  Regel 
eher  geneigt,  Anbau  und  Kultur  auf  den  benachbarten 
Pachtungen  und  Gütern  zu  befördern,  als  sie  zu  hindern. 
Sie  haben  keine  Geheimnisse  der  Art,  v^'ie  die  meisten 
Fabrikanten,  und  lieben  es  vielmehr,  ein  neues  Ver- 
fahren, das  sie  vorteilhaft  befunden  haben,  ihren  Nach- 
barn mitzuteilen  und  nach  Kräften  zu  verbreiten. 
Pins  quaestns,  sagt  der  alte  Cato,  stahilissimnsqiie  mini- 


Kap.  II.:  Bcschränkunoen  der  Warcneinfiihr.  239 

meqne  invidiosiis;  minimeque  male  cogitantes  sunt,  qiii 
in  PO  studio  occupaii  sunt.  Gutsbesitzer  und  Pächter 
sind  in  allen  Teilen  des  Landes  zerstreut  und  können 
daher  nicht  so  leicht  zusammentreten,  wie  Kaufleute 
und  Fabrikanten,  die,  in  Städten  zusammenlebend  und 
an  jenen  exklusiven  Korporationsgeist  gewöhnt,  der  in 
Städten  herrschend  ist,  natürlich  allen  ihren  Landsleuten 
gegenüber  das  nämliche  ausschließliche  Vorrecht  zu 
behaupten  suchen,  das  sie  gewöhnlich  gegenüber  den 
Bürgern  ihrer  Stadt  besitzen.  Sie  scheinen  demgemäß  die 
ursprünglichen  Fjrfinder  jener  auf  die  Einfuhr  fremder 
Waren  gelegten  Beschränkungen  zu  sein,  die  ihnen  das 
Monopol  des  inneren  Marktes  sichern.  Wahrscheinlich 
um  ihnen  nachzuahmen  und  sich  mit  Leuten,  die  allem 
Anscheine  nach  sie  drücken  wollten,  ins  Gleichgewicht 
zu  setzen,  vergaßen  Gutsbesitzer  und  Pächter  Groß- 
britanniens so  sehr  den  ihrem  Stande  natürlichen  Edel- 
mut, daß  sie  um  das  ausschliel31iche Vorrechtnachsuchten, 
ihre  Landsleute  mit  Getreide  und  Fleisch  zu  versorgen. 
Sie  haben  sich  wohl  nicht  Zeit  genommen,  zu  überlegen, 
wieviel  weniger  ihr  Interesse  durch  die  Freiheit  des 
Handels  berührt  werde,  als  das  der  Leute,  deren  Beispiel 
sie  folgten. 

Das  dauernde  Verbot  der  Getreide-  und  Viehein- 
fuhr bedeutet  in  der  Tat  eine  Verordnung,  daß  die 
Bevölkerung  und  Industrie  des  Landes  niemals  das  Maaß 
übersteigen  soll,  das  die  Rohprodukte  des  eigenen 
Bodens  unter-halten  können. 

Es  gibt  indessen  zwei  Fälle,  in  denen  es  im  All- 
gemeinen vorteilhaft  zu  sein  scheint,  die  fremde  Industrie 
zu  Gunsten  der  einheimischen  etwas  zu  belasten. 

Der  erste  ist  der,  wenn  eine  gewisse  Industrie  zur 
Verteidigung  des  Landes  notwendig  ist.  Die  Ver- 
teidigung Großbritanniens  hängt  z.  B.  sehr  erheblich 
von  der  Zahl  seiner  Matrosen  und  Schiffe  ab.  Die 
Navigationsakte   sucht   daher    mit    vollem   Rechte   den 


240     Viei'tes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

großbiitannischen  Matrosen  und  Schiffen  das  Monopol 
der  Rhederei  ihres  Landes  zu  geben,  in  einigen  Fällen 
durch  gänzliche  Verbote,  in  anderen  durch  schwere 
Belastung  der  Schiffe  fremder  Länder.  Die  hauptsäch- 
lichsten Anordnungen  dieser  Akte  sind  folgende: 

Erstens :  allen  Schiffen,  deren  Mannschaft  nicht  zu 
^4  und  deren  Eigentümer  und  Kapitäne  nicht  britische 
Untertanen  sind,  ist  bei  Strafe  des  Verlustes  von  Schiff 
und  Ladung  verboten,  nach  britischen  Kolonien  und 
Pflanzungen  Handel  zu  treiben  oder  sich  mit  dem 
Küstenhandel  Großbritanniens  zu  befassen. 

Zweitens:  viele  der  voluminösesten  Einfahrartikel 
können  nach  Grroßbritannien  nur  entweder  in  den  eben 
beschriebenen  Schiffen  oder  in  Schiffen  desjenigen 
Landes  gebracht  werden,  in  dem  die  Waren  erzeugt 
worden  sind,  und  wenn  deren  Eigentümer,  Kapitäne  und 
^U  der  Seeleute  dem  bez.  Lande  angehören;  werden  sie 
in  Schiffen  der  letzteren  Art  eingeführt,  so  sind  sie 
dem  doppelten  Eingangszoll  unterworfen.  Werden  sie 
in  Schiffen  eines  andern  Landes  eingeführt,  so  steht 
Verlust  von  Schiff  und  Ladung  darauf.  Als  jene  Akte 
erlassen  wurde,  waren  die  Holländer,  wie  noch  heute, 
die  größten  Frachtführer  Europas,  und  durch  diese 
Verordnung  w^urden  sie  gänzlich  davon  ausgeschlossen, 
die  Frachtführer  Großbritanniens  zu  sein,  d.  h.  uns 
die  Waren  irgend  eines  anderen  europäischen  Landes 
zuzuführen. 

Drittens :  viele  der  voluminösesten  Einfuhrartikel 
dürfen  auch  in  britischen  Schiffen  nur  aus  dem 
Ursprungslande  eingeführt  werden,  bei  Strafe  des  Ver- 
lustes von  Schiff  und  Ladung.  Auch  diese  Verordnung 
war  vermutlich  gegen  die  Holländer  gerichtet,  Holland 
war  damals  wie  jetzt  das  große  Emporium  für  alle 
europäischen  Waren,  und  durch  diese  Verordnung 
wurden  die  britischen  Schiffe  abgehalten,  die  Waren 
andrer   europäischer  Länder  in  Holland  einzunehmen. 


Kap.  Tl.:  Beschrilnkun^'on  der  Wareneinfiihr.  241 

Viertens:  gesalzene  Fische  aller  Art,  Wallfisch- 
barten, Fischbein,  Tran  und  Fett  unterliegen,  wenn 
sie  nicht  von  britischen  Schiffen  gefangen  und  an  ihrem 
Bord  bereitet  sind,  dem  doppelten  Eingangszoll.  Die 
Holländer,  die  noch  jetzt  die  größten  Fischer  in  Europa 
sind,  waren  damals  die  einzigen,  die  fremde  Nationen 
mit  Fischen  zu  versorgen  suchten.  Durch  diese  Ver- 
ordnung wurde  es  ihnen  sehr  erschwert,  Großbritannien 
ferner  damit  zu  versorgen. 

Als  die  Navigationsakte  erlassen  wurde,  bestand 
zwischen  England  und  Holland  zwar  kein  eigentlicher 
Krieg,  aber  doch  die  heftigste  Erbitterung.  Diese  nahm 
ihren  Anfang  unter  dem  langen  Parlament,  das  die 
Akte  auch  zuerst  entwarf,  und  brach  bald  nachher  in 
den  holländischen  Kriegen  unter  dem  Protektor  und 
Karl  dem  Zweiten  aus.  Es  ist  daher  nicht  unmöglich, 
daß  manche  der  Verordnungen  dieser  berühmten  Akte 
aus  der  nationalen  Erbitterung  hervorgegangen  sind; 
dennoch  sind  sie  so  weise,  als  wenn  sie  von  dem  be- 
sonnensten Vorstände  eingegeben  wären.  Die  nationale 
Erbitterung  ging  zu  jener  Zeit  ganz  auf  dasselbe  Ziel, 
welches  die  bedächtigste  Weisheit  hätte  empfehlen 
können  —  auf  die  Verminderung  der  holländischen 
Seemacht,  der  einzigen,  welche  die  Sicherheit  Englands 
zu  gefährden  imstande  war. 

Das  Navigationsgesetz  ist  dem  auswärtigen  Handel 
oder  dem  Zuwachs  an  Reichtum,  der  aus  ihm  entstehen 
kann,  nicht  günstig.  Das  Interesse  einer  Nation  in 
ihren  Handelsbeziehungen  zu  anderen  Nationen  ist,  wie 
das  eines  Kaufmanns  zu  seinen  Kunden:  so  wohlfeil 
zu  kaufen  und  so  teuer  zu  verkaufen,  als  möglich.  Sie 
wird  aber  wahrscheinlich  dann  wohlfeil  kaufen,  wenn 
sie  durch  die  vollkommenste  Handelsfreiheit  aller  Na- 
tionen aufmuntert,  die  Waren,  die  sie  braucht,  zu  ihr 
zu  bringen,  und  aus  demselben  Grunde  wird  sie  teuer 

Adam  Smith,  VolU-swdlilstaml.  U.  16 


242     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

verkaufen  können,  wenn  so  ihre  Märkte  sich  mit  der 
größten  Zahl  von  Käufern  füllen.    Allerdings  legt  die 
Navigationsakte  den  fremden  Schiffen,  die  die  Erzeug- 
nisse britischen  Gewerbfleißes  zu  holen  kommen,  keine 
Last  auf;  sogar  der  frühere  Eingangszoll,  der  von  allen 
aus-  und  eingeführten  Waren  erhoben  wurde,  ist  durch 
verschiedene   spätere  Akte  bei  den    meisten   Ausfuhr- 
artikeln aufgehoben  worden.'   Allein  wenn  die  Ausländer 
durch  Verbote  oder  hohe  Zölle  verhindert  werden,  be- 
hufs Verkaufs  zu  kommen,  so  können  sie  oft  auch  be- 
hufs Einkaufs  nicht  kommen,  weil  sie  ohne  Ladung  die 
Fracht  von  ihrem  Lande  nach  Grroßbritannien  verlieren 
müßten.    Wenn  wir  also  die  Zahl  der  Verkäufer  ver- 
mindern,  vermindern   wir  damit   auch  die  der  Käufer 
und  müssen  dann  höchst  wahrscheinlich  nicht  nur  die 
fremden  Waren  teurer  kauf  en,  sondern  auch  die  unsrigen 
wohlfeiler  verkaufen,  als  es  bei  vollkommener  Handels- 
freiheit geschehen  würde.    Da  jedoch  Verteidigung  weit 
wichtiger  ist  als  Reichtum,  so  ist  die  Navigationsakte 
vielleicht  das  weiseste  aller  Handelsgesetze  Englands. 
Der  zweite  Fall,   in  dem  es  im   allgemeinen  vor- 
teilhaft sein  wird,  fremde  Waren  zur  Ermunterung  des 
heimischen  Gewerbfleißes  mit  Abgaben  zu  belasten,  ist 
der,   ^venn  im  Lande    selbst   auf   die  Erzeugnisse   des 
letzteren  Steuern  gelegt  sind.    In  diesem  Falle  scheint 
es  billig,  daß  von  den  gleichen  Erzeugnissen  des  aus- 
wärtigen   Gewerbfleißes    dieselben    Steuern     erhoben 
werden.    Dies  würde  dem  einheimischen  Gewerbfleiße 
kein  Monopol  auf  dem  inneren  Markt  geben,  noch  einem 
einzelnen  Gewerbe  einen  größeren  Anteil  an  dem  Ka- 
pital und  der  Arbeit  des  Landes  zuwenden,  als  es  von 
selbst  geschähe.    Es  würde  nur  verhindern,  daß  ein  Teil 
der    ihm    naturgemäß    zuströmenden    Kapitalien    und 
Arbeitskräfte  durch  die  Steuer  in    eine  minder  natür- 
liche  Richtung   gelenkt   würde,    und    die   Konkurrenz 


Kap.  IT.:  JlosrliränkunQon  der  Warcnoinfuhr.  243 

zwischen  dem  fremden  und  einheimischen  Gewerbflcißc 
nach  der  Steuer  möglichst  auf  dem  Fuße  lassen,  wie 
zuvor.  Wenn  in  Großbritannien  eine  solche  Steuer  auf 
Erzeugnissse  heimischen  Gewerbfleißes  gelegt  wird,  so 
pflegt  man  gleichzeitig,  um  die  lauten  Klagen  unsrer 
Kaufleute  und  Fabrikanten  über  drückende  Konkurrenz 
zu  beschwichtigen,  eine  viel  stärkere  Abgabe  auf  die 
Einfuhr    aller  gleichartigen  fremden  Waren  zu  legen. 

Diese  zweite  Beschränkung  der  Handelsfreiheit 
sollte,  nach  einigen,  in  manchen  Fällen  viel  weiter  aus- 
gedehnt werden,  als  gerade  nur  auf  solche  fremde 
Waren,  die  mit  den  im  Lande  besteuerten  in  Wett- 
bewerb geraten  können.  Wenn  in  einem  Lande  die 
Lebensbedürfnisse  besteuert  werden,  behauptet  man,  sei 
es  angemessen,  nicht  allein  die  aus  andern  Ländern 
eingeführten  gleichen  Lebensbedürfnisse,  sondern  alle 
Arten  fremder  Waren  zu  besteuern,  die  mit  irgend 
einem  Erzeugnisse  des  einheimischen  Gcwerbfleißes  in 
Konkurrenz  geraten  könnten.  Die  Lebensmittel,  sagt 
man,  werden  durch  solche  Steuern  notwendig  teurer, 
und  der  Preis  der  Arbeit  muß  stets  mit  dem  Preise  des 
Unterhalts  der  Arbeiter  steigen.  Polglich  werde  jede 
Ware,  die  das  Erzeugnis  einheimischen  Gewerbfleißes 
sei,  selbst  wenn  sie  nicht  unmittelbar  besteuert  ist,  in- 
folge solcher  Steuern  doch  teurer,  weil  die  Arbeit,  durch 
die  sie  entstehe,  teurer  werde.  Solche  Steuern  wirkten 
also  ebenso,  als  wenn  auf  jede  einzelne  im  Lande  ver- 
fertigte Ware  eine  Steuer  gelegt  sei,  und  um  den  ein- 
heimischen Gewerbfleiß  mit  dem  fremden  auf  gleichen 
Fuß  zu  setzen,  werde  es  notwendig,  auf  jede  fremde 
Ware  einen  Zoll  zu  legen,  der  der  Preiserhöhung  der 
einheimischen  Waren,  mit  denen  jene  in  Wettbewerb 
treten  könne,  gleich  komme. 

Ob  Steuern  auf  den  Lebensbedarf,  wie  in  Groß- 
britannien   auf  Seife,   Salz,   Leder,   Lichter   usw.,    den 

IG* 


244      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politisrhen   Ökonomie. 

Preis  der  Arbeit  und  folglich  den  aller  anderen  Waren 
steigern,  werde  ich  später  in  dem  Kapitel  über  die  Be- 
steuerung erörtern.  AngenomTnen  einstweilen,  daß  sie 
diese  Wirkung  haben,  wie  es  unzweifelhaft  der  Fall 
ist,  so  ist  doch  diese  allgemeine  Preiserhöhung  aller 
Waren  infolge  des  erhöhten  Arbeitspreises  ein  Fall, 
der  sich  von  der  Preiserhöhung  einer  einzelnen  Ware 
durch  eine  unmittelbar  auf  sie  gelegte  Steuer  in  fol- 
genden zwei  Beziehungen  unterscheidet. 

Erstens  weiß  man  immer  ganz  genau,  um  wieviel 
der  Preis  einer  solchen  Ware  durch  die  Steuer  erhöht 
wird ;  wieviel  Einfluß  aber  die  allgemeine  Preiserhöhung 
der  Arbeit  auf  jedes  besondere  Arbeitserzeugnis  hat,  läßt 
sich  niemals  auch  nur  mit  einiger  Genauigkeit  angeben. 
Es  wäre  daher  unmöglich,  die  Steuer  auf  jede  fremde 
Ware  mit  dieser  Preiserhöhung  jeder  einheimischen  in 
ein  nur  einigermaßen  genaues  Verhältnis    zu  bringen. 

Zweitens  haben  Steuern  auf  den  Lebensbedarf  bei- 
nahe denselben  Einfluß  auf  die  Umstände  des  Volkes, 
wie  ein  unfruchtbarer  Boden  und  ein  ungünstiges  Klima. 
Die  Lebensmittel  werden  dadurch  auf  dieselbe  Art  ver- 
teuert, als  wenn  zu  ihrer  Erzeugung  mehr  Arbeit  und 
Kosten  erforderlich  wären.  Wie  es  aber  bei  dem  natür- 
lichen, vom  Boden  und  Klima  herrührenden  Mangel 
albern  wäre,  die  Leute  anzuleiten,  wie  sie  ihre  Kapita- 
lien und  ihren  Fleiß  anwenden  sollen,  so  auch  bei  der 
künstlichen  aus  den  Steuern  entspringenden  Teuerung. 
In  beiden  Fällen  würde  es  offenbar  das  Beste  sein,  es 
ihnen  zu  überlassen,  ihren  Fleiß  tunlichst  ihrer  Lage 
anzupassen  und  diejenigen  Beschäftigungen  ausfindig  zu 
machen,  in  denen  sie,  trotz  ihrer  ungünstigen  Verhält- 
nisse, einen  Vorteil  auf  dem  heimischen  oder  fremden 
Markte  haben  könnten.  Ihnen  eine  neue  Steuer  aufzu- 
legen, weil  sie  schon  mit  Steuern  überbürdet  sind;  und 
weil   sie   schon   den   Lebensbedarf   zu    teuer  bezahlen. 


Kap.  Tl.:  Beschnlnkungen  der  Warenoinfuhr.  245 

ihnen  auch  noch  die  meisten  andern  Waren  zu  ver- 
teuern, das  ist  gewiß  der  törichtste  Weg,  sie  schadlos 
zu  halten. 

Solche  Steuern  sind,  wenn  sie  eine  gewisse  Höhe 
erreicht  haben,  ein  Fluch,  wie  die  Unfruchtbarkeit  des 
Bodens  und  die  Rauhheit  des  Klimas;  und  dennoch 
werden  sie  gerade  in  den  reichsten  und  gewerbfleißig- 
sten  Ländern  am  allermeisten  aufgelegt.  Andere  Länder 
könnten  so  große  Übel  nicht  ertragen.  Wie  nur  die 
kräftigsten  Körper  bei  einer  ungesunden  Diät  leben 
und  gesund  bleiben  können,  so  können  auch  nur  solche 
Nationen  bei  so  großen  Steuern  bestehen  und  gedeihen, 
die  in  jeder  Art  von  Gewerbfleiß  die  größten  natür- 
lichen und  erworbenen  Vorteile  genießen.  Holland  ist 
das  schwerstbesteuerte  Land  in  Europa  und  bleibt 
unter  besonders  günstigen  Umständen  blühend,  nicht, 
wie  man  törichter  Weise  geglaubt  hat,  wegen  seiner 
Steuern,  sondern  trotz  ihrer. 

Wie  es  zwei  Fälle  gibt,  in  denen  es  in  der  Regel 
vorteilhaft  ist,  den  fremden  Gewerbfleiß  behufs  Auf- 
munterung des  heimischen  zu  belasten,  so  gibt  es 
zwei  andere,  wo  man  bisweilen  zu  überlegen  hat: 
erstens,  inwieweit  es  angemessen  ist,  die  freie  Einfuhr 
gewisser  fremder  Waren  fortdauern  zu  lassen,  und 
zweitens,  inwieweit  oder  auf  welche  Art  diese  freie  Ein- 
fuhr, nachdem  sie  eine  Zeit  lang  unterbrochen  war, 
wiederherzustellen  angemessen  wäre. 

Der  Fall,  in  welchem  man  bisweilen  zu  überlegen 
hat,  inwieweit  es  gut  ist,  die  freie  Einfuhr  gewisser 
fremder  Waren  fortdauern  zu  lassen,  ist  der,  wenn 
eine  andere  Nation  die  Einfuhr  mancher  unserer  Fabri- 
kate durch  hohe  Zölle  oder  Verbote  beschränkt.  Die 
Rache  schreibt  in  diesem  Falle  natürlich  Wiederver- 
geltung durch  Auflage  derselben  Zölle  und  Verbote 
auf  die  Einfuhr  einiger  oder  aller  ihrer  Fabrikate  vor. 


246     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie, 

Selten  unterlassen  es  die  Nationen,  in  dieser  Weise 
Vergeltung  zu  üben.  Die  Franzosen  waren  solion  früh 
darauf  bedacht,  ihre  Industrie  durch  die  Beschränkung 
der  Einfuhr  fremder  Waren,  die  mit  den  ihrigen  hätten 
in  Wettbewerb  treten  können,  zu  begünstigen.  Hierin 
bestand  großenteils  die  Wirtschaftspolitik  Colberts,  der 
hierin  trotz  seines  großen  Talents  durch  die  Sophisterei 
der  Kaufleute  und  Fabrikanten,  die  stets  Monopole 
gegen  ihre  Landsleute  verlangen,  getäuscht  worden  zu 
sein  scheint.  Heute  sind  die  einsichtsvollsten  Männer 
in  Frankreich  der  Meinung,  daß  seine  derartigen  Maß- 
nahmen dem  Lande  nicht  heilsam  gewesen  sind.  Durch 
den  Tarif  von  1667  belegte  dieser  Minister  eine  große 
Menge  fremder  Fabrikate  mit  hohen  Zöllen.  Auf  seine 
Weigerung,  sie  zu  Gunsten  der  Holländer  zu  mildern, 
verboten  diese  1676  die  Einfuhr  der  französischen  Weine, 
Branntweine  und  Manufakturwaren.  Der  Krieg  von  1672 
scheint  zum  Teil  durch  diese  Handelsstreitigkeiten  her- 
vorgerufen zu  sein;  der  Friede  zu  Nimvvegen  machte 
ihnen  1678  ein  Ende.  Einige  Zölle  wurden  zu  Gunsten 
der  Holländer  gemildert,  die  ihrerseits  ihr  Verbot  auf- 
hoben. Um  dieselbe  Zeit  begannen  die  Franzosen  und 
Engländer  ihren  Gewerbfleiß  gegenseitig  durch  Zölle 
und  Verbote  zu  drücken ;  doch  scheinen  die  Franzosen 
das  erste  Beispiel  gegeben  zu  haben.  Der  Geist  der  Feind- 
seligkeit, der  seitdem  immer  zwischen  diesen  beiden  Na- 
tionen geherrscht  hat,  hat  bis  jetzt  auf  beiden  Seiten  eine 
Zollermäßigung  verhiudei't.  ]  697  verboten  die  Engländer 
die  Einfuhr  von  Spitzen  flandrischen  Fabrikats,  wofür 
die  Regierung  Flanderns,  das  damals  unter  spanischer 
Herrschaft  stand,  die  Einfuhr  der  englischen  Wollen- 
waren verbot.  Im  Jahre  ]  700  wurde  in  England  das 
Einfuhrverbot  gegen  Spitzen  unter  der  Bedingung  auf- 
gehoben, daß  die  Einfuhr  englischer  Wollenwaren  in 
Flandern  wieder  auf  den  alten  Fuß  gesetzt  würde. 


Kap.  IT.:  Beschränk  iiii,i;pn  der  Warenein  fuhr.  247 

Solche  Wiedervergeltungen  mögen  angemessen 
sein,  wenn  eine  Wahrscheinlichkeit  vorhanden  ist,  da- 
durch die  Aufhebung  der  beklagten  Verbote  und  liohon 
Zölle  zu  bewirken.  Die  Wiedergewinnung  eines  groi3on 
auswärtigen  Marktes  wird  in  der  Regel  den  vorüber- 
gehenden Nachteil,  eine  Zeitlang  gewisse  Waren  teurer 
bezahlen  zu  müssen,  mehr  als  ausgleichen.  Ob  solche 
Wiedervergeltungen  aber  die  gewünschte  Wirkung 
hoffen  lassen,  dies  zu  beurteilen,  ist  vielleicht  weniger 
die  Sache  des  Gesetzgebers,  der  sich  allein  von  alla'G- 
meinen  sich  immer  gleich  bleibenden  Prinzipien  leiten 
lassen  sollte,  als  der  Geschicklichkeit  jenes  hinterlistigen, 
verschlagenen  Tiers,  das  man  einen  Staatsmann  oder 
Politiker  zu  nennen  pflegt,  und  dessen  Entschlüsse  sich 
nach  den  momentanen  Schwankungen  richten.  Wenn 
keine  Wahrscheinlichkeit  vorhanden  ist,  einen  solchen 
AViderruf  durchsetzen  zu  können,  so  scheint  es  eine 
schlechte  Methode  zu  sein,  den  Schaden,  der  gewissen 
Klassen  unseres  Volkes  zugefügt  worden,  dadurch 
wieder  gut  machen  zu  wollen,  daß  wir  selbst  nicht  nur 
diesen  Klassen,  sondern  auch  fast  allen  übrigen  Schaden 
zufügen.  Wenn  unsere  Nachbarn  irgend  einen  unserer 
Industrieartikel  verbieten,  so  verbieten  wir  gewöhnlich 
nicht  nur  dieselbe  Ware,  denn  dies  würde  kaum  schwer 
empfunden  werden,  sondern  mehrere  andere  der  ihrigen. 
Dies  mag  unzweifelhaft  einigen  Klassen  unserer  Ar- 
beiter Aufmunterung  geben  und  sie  durch  den  Aus- 
schluß einiger  ihrer  Mitbewerber  instand  setzen,  ihre 
Preise  auf  dem  inländischen  Markt  zu  erhöhen.  Aber 
die  Arbeiter,  die  durch  das  Verbot  der  Nachbarn  leiden, 
haben  keinen  Vorteil  von  den  unsrigen.  Im  Gegenteil 
werden  sie  und  fast  alle  übiigen  Klassen  unserer  Mit- 
bürger durch  unser  Verbot  gezwungen,  gewisse  AVaren 
teurer  zu  bezahlen  als  früher.  Jedes  derartige  Gesetz 
legt  mithin  dem  Lande  eine  faktische  Abgabe  auf,  nicht 


248     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

zugunsten  derjenigen  Klasse  von  Gevveibtreibenden, 
die  von  des  Nachbars  Verbot  Schaden  hat,  sondern 
zugunsten  anderer. 

Der  Fall,  in  welchem  man  bisweilen  zu  überlegen 
hat,  in  wieweit  und  auf  welche  Art  es  angemessen  ist, 
die  freie  Einfuhr,  nachdem  sie  eine  Zeit  lang  unter- 
brochen war,  wiederherzustellen,  ist  der,  wenn  gewisse 
Industrien  durch  hohe  Zolle  und  Verbote  auf  die  kon- 
kurrierenden fremden  Waren  dermaßen  in  Aufnahme 
gekommen  sind,  daß  sie  eine  große  Menge  Hände  be- 
schäftigen. Dann  kann  die  Humanität  fordern,  daß  die 
Handelsfreiheit  nur  langsam,  stufenweise  und  mit  vieler 
Zurückhaltung  und  Behutsamkeit  hergestellt  werde. 
"Würden  die  hohen  Zölle  und  Verbote  auf  einmal  fort- 
genommen, so  könnten  sich  die  wohlfeileren  fremden 
Waren  so  plötzlich  auf  den  heimischen  Markt  stürzen, 
daß  auf  einmal  viele  Tausende  unsres  Volkes  ihres 
gewohnten  Geschäfts  und  Unterhalts  beraubt  würden. 
Ohne  Zweifel  könnten  daraus  sehr  bedeutende  Wirren 
entstehen;  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nicht 
so  schlimm,  wie  man  gewöhnlich  denkt,  und  dies  zwar 
aus  folgenden  beiden  Gründen: 

Erstens,  alle  die  Fabrikate,  von  denen  ein  Teil 
nach  anderen  europäischen  Ländern  zu  gehen  pflegt, 
ohne  eine  Ausfuhrprämie  zu  genießen,  können  durch 
die  freieste  Einfuhr  fremder  Waren  nur  wenip;  leiden. 
Solche  Fabrikate  müssen  auswärts  ebenso  wohlfeil  ver- 
kauft werden,  wäe  die  fremden  Waren  gleicher  Art, 
und  müssen  folglich  im  Lande  selbst  noch  wohlfeiler 
sein.  Sie  würden  daher  den  inneren  Markt  doch  be- 
haupten ;  und  wenn  auch  mitunter  ein  launischer  Mann 
der  Mode  die  fremden  Waren  den  wohlfeileren  und 
besseren  inländischen  bloß  aus  dem  Grunde  vorziehen 
sollte,  weil  sie  fremd  sind,  so  könnte  diese  Torheit 
der  Natur   der  Sache   nach   doch   so    wenig  einreißen, 


Kap.  TL:  Beschränknngpii  der  Warenoinfnlir.  249 

daß  ihr  Einfluß  auf  die  allgemeinen  Geschäfte  des 
Volks  nicht  fühlbar  sein  dürfte.  Nun  wird  jährlich 
ein  großer  Teil  unserer  Wollen  waren,  unseres  Leders 
und  unserer  Eisenwaren  nach  anderen  europäischen 
Ländern  ausgeführt,  ohne  Ausfuhrprämien  zu  erhalten, 
und  gerade  dies  sind  diejenigen  Industrien,  welche 
bei  uns  die  meisten  Hände  beschäftigen.  Die  Seiden- 
industrie würde  vielleicht  bei  dieser  Handelsfreiheit 
am  meisten  leiden,  und  nächst  ihr  die  Leinenindustrie, 
obwohl  letztere  weit  weniger  als  erstere. 

Zweitens,  wenn  auch  dui'ch  Wiederherstellung  der 
Handelsfreiheit  eine  große  Anzahl  von  Leuten  aus  ihrer 
gewöhnlichen  Beschäftigung  und  ihrem  bisherigen  Brod- 
erwerb getrieben  würden,  so  folgt  daraus  doch  keines- 
wegs, das  sie  dadurch  aller  Beschäftigung  und  alles 
Broderwerbes  beraubt  seien.  Durch  die  Verminderuno; 
der  Armee  und  Flotte  wurden  am  Schluß  des  letzten 
Krieges  mehr  als  hunderttausend  Soldaten  und  Seeleute 
(eine  gleiche  Zahl,  wie  sie  in  den  größten  Industrien 
beschäftigt  wird),  auf  einmal  aus  ihrer  bisherigen  Be- 
schäftigung gerissen ;  aber  \N'enn  sie  auch  sicherlich  hart 
davon  getroffen  wurden,  so  waren  sie  doch  nicht  aller 
Beschäftigung  und  alles  Broderwerbes  beraubt.  Die 
meisten  Seeleute  begaben  sich  wahrscheinlich  nach  und 
nach,  wie  sich  die  Gelegenheit  zeigte,  in  den  Dienst 
der  Handelsmarine,  und  in  der  Zwischenzeit  verloren 
sie  und  die  Soldaten  sich  in  der  großen  Masse  des 
Volkes  und  fanden  in  vielerlei  Geschäften  Arbeit.  Aus 
einer  so  großen  Änderung  der  Lage  von  mehr  als 
hunderttausend  Menschen,  alle  an  das  Waffenhand- 
werk und  zum  Teil  an  Eaub  und  Plünderung  gewöhnt, 
entsprang  nicht  nur  keine  gewaltige  Erschütterung, 
sondern  auch  kaum  eine  merkliche  Unordnung.  Die 
Zahl  der  Landstreicher  nahm  kaum  ii'gendwo  auffallend 
zu,  und  selbst  die  Arbeitslöhne  ermäßigten  sich,  soviel 


250     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

ich  erfahren  konnte,  bei  keinem  Gewerbe,  außer  in 
der  Handelsmarine.  Vergleicht  man  aber  die  Gewohn- 
heiten eines  Soldaten  und  eines  Fabrikarbeiters,  so 
wird  man  zugeben  müssen,  daß  die  des  letzteren  ihn 
für  die  Verwendung  in  einem  neuen  Gewerbe  weniger 
untauglich  machen,  als  die  des  ersteren  für  Vorwen- 
dung in  einem  Geschäft  überhaupt.  Der  Fabrikarbeiter 
war  immer  gewöhnt,  seinen  Unterhalt  nur  seiner  Ar- 
beit zu  verdanken;  der  Soldat  erwartet  ihn  von  seinem 
Solde.  Anstrengung  und  Fleiß  sind  dem  einen,  Müßig- 
gang und  Zerstreuung  dem  anderen  vertraut.  Es  ist 
aber  gewiß  viel  leichter,  seinen  Fleiß  von  einer  Art 
Arbeit  auf  die  andere  hinüber  zu  leiten,  als  Müßig- 
gang und  Zerstreuung  überhaupt  zur  Arbeit  zu  bringen. 
Überdies  haben,  wie  schon  bemerkt,  die  meisten  In- 
dustrien so  viel  Verwandschaft  mit  anderen,  daß  ein 
Arbeiter  seinen  Fleiß  leicht  von  der  einen  auf  die 
andere  übertragen  kann.  Auch  wird  die  Mehrzahl 
solcher  Arbeiter  gelegentlich  zu  ländlichen  Arbeiten 
verwendet.  Das  Kapital,  das  sie  zuvor  in  einem  Ge- 
werbe beschäftigte,  wird  doch  im  Lande  bleiben,  um 
eine  gleiche  Anzahl  von  Menschen  auf  andere  Weise 
zu  beschäftigen.  Wenn  aber  das  Kapital  des  Landes 
dasselbe  bleibt,  wird  auch  die  Nachfrage  nach  Arbeitern 
die  nämliche  oder  beinahe  die  nämliche  bleiben,  ob- 
schon  sie  an  anderen  Orten  und  in  anderen  Gewerben 
beschäftigt  werden.  Allerdings  haben  Soldaten  und 
Seeleute,  wenn  sie  aus  dem  königlichen  Dienst  ent- 
lassen sind,  die  Freiheit,  überall  in  Großbritannien  oder 
Irland  ein  Gewerbe  zu  treiben.  Stellt  man  aber  die 
gleiche  natürliche  Freiheit  des  Gewerbes  für  alle  Staats- 
bürger ebenso  her,  wie  für  die  Soldaten  und  Seeleute; 
d.  h.  bricht  man  mit  den  Zunftprivilegien  und  schafft 
das  Lehrlingsgesetz  ab,  die  beide  wahre  Eingriffe  in 
die  natürliche  Freiheit  sind;   nimmt  man   endlich  das 


Kap.  IT.:  Bcschränkuiigoii  der  Wareneinfuhr.  251 

Ansäßigkeitsgesetz  zurück,  so  daß  ein  armer  Arbeiter, 
der  in  einem  Grewerbe  oder  an  einem  Orte  außer  Be- 
schäftigung kommt,  diese  in  einem  anderen  Gewerbe 
oder  an  einem  anderen  Orte  suchen  darf,  ohne  eine  Ver- 
folgung oder  Zurückweisung  fürchten  zu  müssen  —  so 
werden  weder  der  Staat  noch  Einzehie  von  der  ge- 
legentlichen Entlsssung  gewisser  Gattungen  von  Fabrik- 
arbeitern viel  mehr  zu  fürchten  haben,  als  von  der  Ver- 
abschiedung von  Soldaten.  Unsere  Fabrikanten  haben 
ohne  Zweifel  große  Verdienste  um  das  Land;  aber  sie 
können  keine  größeren  haben  als  diejenigen,  die  es  mit 
ihrem  Blute  verteidigen,  und  verdienen  daher  auch 
nicht  mit  mehr  Schonung  behandelt  zu   werden. 

Zu  erwarten,  daß  die  Handels-  und  Gewerbefreiheit 
in  Großbritannien  jemals  vollkommen  hergestellt  werde, 
ist  freilich  ebenso  töricht,  als  zu  erwarten,  daJ.)  hier 
einmal  ein  Ozeanien  oder  Utopien  gegründet  werden 
könnte.  Nicht  nur  die  Vorurteile  des  Publikums, 
sondern,  was  schwerer  zu  besiegen  ist,  die  Privat- 
interessen vieler  einzelnen  stehen  dem  schnurstracks 
entgegen.  Wenn  sich  die  Offiziere  der  Armee  einer 
Verminderung  der  Truppenzahl  mit  gleichem  Eifer  und 
gleicher  Einmütigkeit  widersetzten,  wie  die  Fabrikanten 
jedem  Gesetz,  das  die  Zahl  ihrer  Mitbewerber  auf  dem 
inländischen  Markte  vermehren  könnte;  wenn  die 
ersteren  ihre  Soldaten  ebenso  aufhetzten,  wie  die 
letzteren  ihre  Arbeiter  gegen  die,  die  derartige  An- 
ordnungen in  Vorschlag  bringen,  so  würde  es  ebenso 
gefährlich  sein,  die  Militärmacht  zu  vermindern,  wie 
es  jetzt  gefährlich  geworden  ist,  das  Monopol,  das 
unsere  Fabrikanten  gegen  uns  erhalten  haben,  irgend- 
wie einschränken  zu  wollen.  Dieses  Monopol  hat  in 
einigen  Zünften  ihre  Anzahl  so  vermehrt,  daß  sie 
gleich  einem  übermäßigen  stehenden  Heere  der  Re- 
gierung   furchtbar    geworden    sind,    und    vielfach    die 


■252     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

gesetzgebende  Gewalt  einschüchtern.  Das  Parlainents- 
mitghed,  das  jeden  Vorschlag  zur  Kräftigung  dieses 
Monopols  unterstützt,  kann  sicher  darauf  rechnen,  nicht 
nur  den  Ruf  eines  Mannes  zu  gewinnen,  der  sich  auf 
die  Greschäfte  versteht,  sondern  sich  auch  bei  einer 
Klasse  von  Leuten,  die  durch  Zahl  und  Reichtum  ein 
großes  Gewicht  haben,  Einfluß  und  Popularität  zu  ver- 
schaffen. Widersetzt  er  sich  ihnen  dagegen,  oder  hat  er 
gar  Ansehen  genug,  um  ihre  Absichten  zu  durchkreuzen, 
so  kann  weder  die  anerkannteste  Rechtschaffenheit,  noch 
der  höchste  Rang,  noch  das  größte  Verdienst  um  den 
Staat  ihn  vor  der  schmählichsten  Beschimpfung  und 
Verleumdung,  vor  pei'sönlicher  Beleidigung  und  selbst 
vor  wirklicher  Gefahr  schützen,  wie  sie  aus  der  in- 
solenten Beschimpfung  wütender  und  in  ihren  Hoff- 
nungen getäuschter  Monopolisten  entsteht. 

Der  Unternehmer  einer  großen  Fabrik,  der  durch 
plötzliche  Freigebung  der  heimischen  Märkte  genötigt 
würde,  sein  Geschäft  aufzugeben,  würde  ohne  Zweifel 
sehr  empfindlich  leiden.  Der  Teil  seines  Kapitals,  der 
bisher  zum  Ankauf  von  Stoffen  und  zur  Bezahlung  der 
Arbeiter  verwendet  wurde,  kann  vielleicht  ohne  große 
Schwierigkeit  eine  andere  Verwendung  finden.  Aber 
derjenige  Teil  von  ihm,  der  in  den  Fabrikgebäuden, 
Maschinen  usw.  festgelegt  ist,  ließe  sich  schwerlich 
ohne  beträchtlichen  Verlust  veräußern.  Die  billige 
Rücksicht  auf  sein  Interesse  fordert  daher,  daß  Ver- 
änderungen dieser  Art  nie  plötzlich,  sondern  langsam, 
stufenweise,  und  nach  einer  sehr  langen  Ankündigung 
eingeführt  werden.  Die  Gesetzgebung  sollte  deshalb, 
wenn  es  möglich  ist,  daß  ihre  Erwägungen  nicht 
durch  die  laute  Zudringlichkeit  parteiischer  Interessen, 
sondern  durch  eine  großartige  Auffassung  des  allge- 
meinen Besten  geleitet  werden,  vielleicht  gerade  darum 
besonders  darauf  bedacht  sein,    weder  neue  Monopole 


Kap.  IT.:  Bescliränkuno-en  der  Warenoinrnhr.  253 

ZU  bewilligen,  noch  die  bereits  bewilligton  weiter  aus- 
zudehnen. Jede  solche  Maßregel  führt  zu  Störungen 
im  Staatsleben,  denen  ohne  neue  Störungen  schwer 
abzuhelfen  ist. 

Wie  weit  es  angemessen  sein  kann,  Zölle  auf  die 
Einfuhr  fremder  Waren  zu  legen,  nicht  behufs  Ver- 
hinderung ihres  Imports,  sondern  behufs  Vermehrung 
des  Staatscinkommens,  werde  ich  später  im  Kapitel 
von  den  Steuern  erörtern.  Steuern,  die  die  Einfuhr 
verhindern  oder  auch  nur  vermindern  sollen,  sind 
offenbar  für  die  Zolleinkünfte  ebenso  nachteilig,  wie 
für  die  Handelsfreiheit. 


Drittes   Kapitel. 

Die  außergewöhnlichen 

Einfuhrbeschränkungen  von  Waren  aus  solchen 

Ländern,  von  denen  angenommen  wird,  daß  die 

Handelsbilanz  mit  ihnen  ungünstig  ist. 


Erster  Teil. 

Die  Unvernunft  solcher  Einschränkungen  selbst 
nach  den  Grundsätzen  des  Handelssystems. 

Auf  die  Wareneinfuhr  von  den  Ländern,  von  denen 
angenommen  wird,  daß  die  Handelsbilanz  mit  ihnen 
ungünstig  ist,  außergewöhnliche  Kinschränkungen  zu 
legen,  ist  das  zweite  Auskunftsmittel,  wodurch  das 
Handelssystem  die  Menge  von  Gold  und  Silber  zu 
steigern  gedenkt.  So  können  in  Großbritannien  schle- 
sische  Leinen  zum  heimischen  Verbrauch  gegen  Er- 
stattung gewisser  Zölle  eingeführt  werden.  Franzö- 
sische Cambrics  und  Linons  sind  dagegen  verboten  und 
dürfen  nur  in  London  behufs  Wiederausfuhr  in  Lager- 
häuser aufgenommen  werden.  Auf  die  französischen 
Weine  sind  höhere  Zölle  gelegt,  als  auf  diejenigen 
Portugals  und  jedes  anderen  Landes.  Durch  den  so- 
genannten Impost  von  1692  wurden  alle  französischen 
Waren  mit  einem  Wertzoll  von  25  °,  o  belegt,  während 
die  Waren  anderer  Völker  größtenteils  viel  niedrigeren 
Zöllen,  die  kaum  5°/o  übersteigen,  unterworfen  waren. 
Allerdings  waren  französischer  Wein,  Branntwein,  Salz 
und  Essig  davon  ausgenommen;  diese  Waren  sind 
entweder  durch  andere  Gesetze,  oder  durch  besondere 


Kap.  ni. :  Bo,srliränkun,2,-en  der  Warcncinfiilir.  Tl.   I.      255 

Klauseln  des  nämlichen  Gesetzes,  anderen  schweren 
Zöllen  unterworfen.  1696  wurde,  da  der  erste  Zoll  die 
Einfuhr  nicht  hinlänglich  abgeschreckt  zu  haben  schien, 
ein  zweiter  Zoll  von  25^  o  auf  alle  französischen  Waren 
mit  Ausnahme  des  Branntweins  gelegt  und  zugleich 
auf  die  Tonne  französischen  Weins  ein  neuer  Zoll  von 
£  25  und  auf  die  Tonne  französischen  Essigs  ein  Zu- 
schlagszoll von  £  15.  Bei  den  allgemeinen  sogenannten 
Subsidien  oder  Zöllen  von  5'^,o,  die  auf  alle  oder  die 
meisten  der  im  Zolltarif  aufgezählten  Waren  gelegt 
sind,  wurden  französische  Waren  niemals  vergessen. 
Rechnen  wir  die  Eindrittel-  und  Zweidrittel-Subsidie 
für  eine  ganze,  so  gab  es  fünf  solcher  allgemeinen 
Subsidien,  sodaß  vor  dem  Anfang  des  jetzigen  Kriegs 
75°/o  als  der  niedrigste  Zoll  betrachtet  werden  kann, 
dem  die  meisten  Rohprodukte  oder  Fabrikate  Frank- 
reichs unterworfen  waren.  Bei  den  meisten  Waren 
kommen  diese  Zölle  einem  Verbote  gleich.  Die  Fran- 
zosen haben,  glaube  ich,  unsere  Waren  ebenso  behandelt; 
doch  bin  ich  mit  den  einzelnen  Erschwerungen,  die 
sie  auf  sie  gelegt  haben,  nicht  so  genau  bekannt.  Diese 
gegenseitigen  Beschränkungen  haben  allem  billigen  Ver- 
kehr zwischen  den  beiden  Völkern  fast  ein  Ende  gemacht, 
und  die  Schmuggler  sind  jetzt  die  Hauptimporteure  so- 
wohl britischer  Waren  nach  Frankreich,  als  französischer 
Waren  nach  Großbritannien.  Die  Grundsätze,  die  ich  im 
vorigen  Kapitel  erörtert  habe,  hatten  ihren  Ursprung 
in  Privatinteressen  und  dem  Monopolgeiste;  diejenigen, 
die  ich  in  diesem  Kapitel  prüfen  will,  in  nationalen  Vor- 
urteilen und  feindseliger  Gesinnung.  Sie  sind  demgemäß 
wohl  als  noch  unvernünftiger  zu  betrachten,  und  sind 
es  selbst  nach  den  Grundsätzen  des  Handelssystems. 
Erstens:  Selbst  wenn  es  sicher  wäre,  daß  bei  freiem 
Handel  z.  B.  zwischen  Frankreich  und  England  die 
Handelsbilanz  zu  Gunsten  Frankreichs  ausfallen  würde, 


256     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

SO  wäre  daraus  keineswegs  zu  folgern,  daß  ein  solcher 
Handel  nachteilig  für  England  wäre,  oder  daß  die 
Handelsbilanz  seines  Gesamthandels  sich  dadurch  mehr 
gegen  England  wenden  würde.  Sind  die  Weine  Frank- 
reichs besser  und  billiger  als  diejenigen  Portugals,  oder 
seine  Leinen  waren  billiger  und  besser,  als  diejenigen 
Deutschlands,  so  ist  es  für  Großbritannien  vorteilhafter, 
sowohl  den  AVein  wie  die  fremden  Leinenwaren,  die  es 
braucht,  von  Frankreich  zu  kaufen,  als  von  Portugal 
und  Deutschland.  Müßte  auch  der  Wert  der  jährlichen 
Einfuhren  von  Frankreich  dadurch  bedeutend  steigen, 
so  würde  sich  doch  der  Wert  der  gesamten  Jahresein- 
fuhr in  dem  Maße  vermindern,  als  die  französischen 
Waren  derselben  Güte  billiger  wären  als  diejenigen 
der  anderen  beiden  Länder.  Dies  würde  der  Fall 
sein  selbst  bei  der  Annahme,  daß  sämtliche  einge- 
führten französischen  Waren  in  Großbritannien  ver- 
braucht würden. 

Zweitens:  Ein  großer  Teil  von  ihnen  kann  nach 
anderen  Ländern  wieder  ausgeführt  werden,  wo  sie,  mit 
Gewinn  verkauft,  einen  dem  Kaufpreis  der  gesamten 
eingeführten  französischen  Waren  an  Wert  vielleicht 
gleichkommenden  Ertrag  zurückbringen  können.  Was 
man  oft  von  dem  Ostindienhandel  gesagt  hat,  könnte 
möglicherweise  von  dem  Handel  mit  Frankreich  richtig 
sein,  daß  nämlich,  obwohl  die  meisten  ostindischen 
Waren  mit  Gold  und  Silber  gekauft  werden,  die  Wieder- 
ausfuhr eines  Teils  von  ihnen  nach  anderen  Ländern 
mehr  Gold  und  Silber  in  das  den  Handel  treibende 
Land  zurückbringe,  als  der  Kaufpreis  der  gesamten 
Wai'en  betrage.  Einer  der  wichtigsten  Zweige  des  hol- 
ländischen Handels  besteht  dermalen  in  der  Verfrach- 
tung französischer  Waren  nach  anderen  europäischen 
Ländern.  Selbst  ein  Teil  der  in  Großbritannien  getrun- 
kenen französischen  Weine  wird  heimlich  aus  Holland 


Kap.  ITT.:  Besoliviinkun.nen  il(>r  Warencinruhr.  Tl.  I.      257 

und  Seeland  eingeführt.  Wäre  der  Handel  zwischen 
Frankreich  und  England  frei,  oder  könnten  franz()sische 
Waren  wenigstens  zu  denselben  Zöllen  eingeführt 
werden,  wie  diejenigen  anderer  europäischer  Völker, 
und  würde  bei  der  Ausfuhr  der  Zoll  wieder  zurück- 
gezahlt, so  könnte  England  einen  Anteil  an  dem  für 
Holland  so  vorteilhaften  Handel  erhalten. 

Drittens  und  letztens  gibt  es  kein  sicheres  Urteil, 
wodurch  wir  bestimmen  könnten,  auf  welcher  Seite  die 
sogenannte  Bilanz  zwischen  den  Ländern  liegt,  oder 
welche  von  ihren  Waren  im  größten  Betrag  ausführen. 
Nationale  Vorurteile  und  Feindseligkeiten,  die  stets 
durch  das  Privatinteresse  gewisser  Händler  genährt 
werden,  sind  die  Antriebe,  die  bei  allen  hierher  ge- 
hörigen Fragen  in  der  Regel  unser  Urteil  leiten.  Doch 
gibt  es  zwei  Prüfsteine,  die  bei  solchen  Gelegenheiten 
oft  angewandt  werden,  nämlich  die  Zolltabellen  und  der 
Wechselkurs.  Die  Zolltabellen  sind,  wie  jetzt  wohl 
allgemein  anerkannt  ist,  ein  sehr  unsicherer  Prüfstein, 
weil  die  Schätzung  des  Wertes  bei  den  meisten  Waren 
eine  sehr  ungenaue  ist.  Der  Gang  des  Wechselkurses 
ist  es  vielleicht  fast  ebenso. 

Wenn  der  Wechselkurs  zwischen  zwei  Plätzen  wie 
London  und  Paris  pari  steht,  so  soll  dies  ein  Zeichen 
sein,  daß  die  gegenseitigen  Schulden  von  London  und 
Paris  und  umgekehrt  gleich  stehen.  Wenn  dagegen  in 
London  auf  einen  Wechsel  auf  Paris  ein  Agio  gezahlt 
wird,  so  soll  dies  ein  Zeichen  sein,  daß  die  Schulden 
von  London  an  Paris  durch  diejenigen  von  Paris  an 
London  nicht  ausgeglichen  werden,  sondern  daß  von 
letzterem  Platze  ein  Saldo  in  Geld  weggesendet  werden 
müsse  —  eine  Sendung  für  deren  Gefahr,  Mühe  und 
Kosten  das  Agio  gefordert  und  bewilligt  werde.  Der 
gewöhnliche  Stand  des  Soll  und  Haben  zwischen  diesen 
beiden  Städten  muß  jedoch,  so   behauptet  man,  durch 

Adam  SuüUi,  VolUswohlslaiuI.  IL  17 


258      Viertes  Buch:  Die  Systeine  der  politischen  Ökonomie. 

den  gewöhnlichen  Gang  der  gegenseitigen  Geschäfte 
geregelt  werden.  Wenn  keine  von  ihnen  von  der 
anderen  mehr  einführe,  als  nach  ihr  ausführe,  so  würde 
sich  das  Soll  und  Haben  einer  jeden  ausgleichen.  Wenn 
hingegen  eine  von  ihnen  von  der  anderen  für  einen 
größeren  Betrag  einfühi'e,  als  nach  ihr  ausführe,  so 
werde  die  erstere  notwendig  der  anderen  mit  einer 
größeren  Summe  verschuldet,  als  die  andere  ihr.  Das 
Soll  und  Haben  einer  jeden  gleiche  sich  nicht  aus,  und 
von  dem  Platze,  dessen  Soll  das  Haben  übersteigt, 
müsse  Geld  weggesendet  werden.  Da  also  der  gewöhn- 
liche Wechselkurs  ein  Anzeichen  von  dem  gewöhnlichen 
Stand  der  Rechnung  zwischen  den  beiden  Plätzen  sei, 
so  müsse  er  auch  ein  Anzeichen  von  dem  gewöhnlichen 
Gang  ihrer  Ein-  und  Ausfuhren  sein,  da  diese  jenen 
Stand  notwendig  bestimmen. 

Allein  wenn  selbst  der  gewöhnliche  Gang  des  Wech- 
selkurses ein  genügendes  Beweismittel  für  den  gewöhn- 
lichen Stand  der  Rechnung  zwischen  zwei  Ländern  wäre, 
so  würde  daraus  nicht  folgen,  daß  die  Handelsbilanz 
zu  Gunsten  des  Platzes  sei,  der  den  gewöhnlichen  Stand 
des  Soll  und  Haben  zu  seinen  Gunsten  hat.  Der  ge- 
wöhnliche Stand  des  Soll  und  Haben  zwischen  zwei 
Plätzen  wird  nicht  immer  durch  den  gewöhnlichen 
Gang  ihrer  Geschäfte  miteinander  ausschließlich  be- 
stimmt, sondern  ist  oft  durch  den  Gang  der  Geschäfte 
eines  von  ihnen  mit  anderen  Plätzen  beeinflußt.  So  ist 
es  z.  B.  üblich,  die  Waren,  welche  englische  Kaufleute 
von  Hamburg,  Danzig,  Riga  usw.  kaufen,  mit  Wechseln 
auf  Holland  zu  bezahlen,  und  der  gewöhnliche  Stand 
des  Süll  und  Haben  zwischen  England  und  Holland 
wird  daher  nicht  ausschließlich  durch  den  gewöhnlichen 
Gang  der  Geschäfte  dieser  beiden  Länder  miteinander 
bestimmt,  sondern  durch  den  Gang  der  Geschäfte  Eng- 
lands mit  diesen  anderen  Plätzen  beeinflußt.     Kln^land 


Kap.  TIT.:  Beschränkungen  der  "Wareneinfuhr.  Tl.  T.     259 

kann  genötigt  sein,  jedes  Jahr  Geld  nach  Holland  zu 
senden,  obwohl  seine  jährlichen  Ausfuhren  nach  diesem 
Lande  den  Jahresbetrag  seiner  Einfuhren  von  dorther 
weit  übersteigen  und  obwohl  die  sogenannte  Handels- 
bilanz sehr  beträchtlich  zu  Gunsten  Englands  sein  kann. 

Auf  die  Art  übrigens,  wie  das  pari  des  Wechsel- 
kurses bisher  berechnet  wurde,  kann  der  gewöhnliche 
Gang  des  Wechselkurses  kein  hinlängliches  Anzeichen 
sein,  daß  der  gewöhnliche  Stand  des  Soll  und  Haben 
zu  Gunsten  des  Landes  ist,  welches  den  gewöhnlichen 
Gang  des  Wechselkurses  zu  seinen  Gunsten  zu  haben 
scheint,  oder,  mit  anderen  Worten,  der  wirkliche 
Wechselkurs  kann  von  dem  berechneten  oft  so  gänzlich 
verschieden  sein,  daß  aus  dem  Gang  des  letzteren  in 
vielen  Fällen  kein  sicherer  Schluß  auf  den  ersteren 
gezogen  werden  kann. 

Wenn  man  für  eine  in  England  zahlbare  Summe 
Geldes,  die  dem  englischen  Münzfuß  entsprechend,  eine 
gewisse  Anzahl  Unzen  reinen  Silbers  enthält,  einen 
Wechsel  für  eine  in  Frankreich  zahlbare  Geldsumme;  die 
dem  französischen  Münzfuß  entsprechend,  die  gleiche 
Zahl  Unzen  Feinsilber  enthält,  empfängt,  so  steht,  wie 
man  sagt,  der  Wechselkurs  zwischen  England  und 
Frankreich  pari.  Zahlt  man  mehr,  so  gibt  man  an- 
geblich ein  Agio  und  der  Wechselkurs,  sagt  man,  ist 
gegen  England  und  zu  Gunsten  Frankreichs.  Zahlt 
man  weniger,  so  erhält  man  nach  der  Voraussetzung 
ein  Agio  und  der  Wechselkurs,  heißt  es,  ist  gegen 
Frankreich  und  zu  Gunsten  Englands. 

Allein  erstens  läßt  sich  der  Wert  des  Kurantgeldes 
verschiedener  Länder  nicht  immer  nach  dem  Münzfuß 
ihrer  betreffenden  Münzen  beurteilen.  In  einigen  ist 
die  Münze  mehr,  in  den  anderen  weniger  abgenutzt, 
beschnitten  oder  sonst  verschlechtert.  Der  Wert  des 
Kurantgeldes  in  einem  Lande  steht  aber  im  Vergleich 


260      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

ZU  dem  eines  anderen  nicht  im  Verhältnis  zu  der  Menge 
reinen  Silbers,  die  es  enthalten  sollte,  sondern  zu  der, 
die  es  wirklich  enthält.  Vor  der  Umprägung  der  Silber- 
münzen zu  König  Wilhelms  Zeit  wurde  der  Wechsel- 
kurs zwischen  England  und  Holland  in  der  üblichen 
Manier  nach  dem  Münzfuß  ihrer  betreffenden  Münzen 
auf  25^/0  gegen  England  berechnet.  Allein  der  Wert 
der  Kurantmünze  Englands  war  damals,  wie  wir  von 
Lowndes  erfahren,  mehr  als  25%  unter  seinem  Münz- 
werte. Der  Avirkliche  Wechselkurs  kann  daher  damals 
sogar  zu  Gunsten  Englands  gewesen  sein,  trotzdem,  daß 
der  berechnete  Kurs  so  sehr  gegen  England  war;  eine 
geringere  Zahl  Unzen  reinen  Silbers,  die  in  England 
effektiv  gezahlt  wurden,  können  einen  Wechsel  auf 
eine  größere  Zahl  Unzen  reinen  Silbers,  in  Holland 
zahlbar,  gekauft  haben,  und  wer  ein  Agio  zu  geben 
glaubte,  kann  in  Wahrheit  eines  erhalten  haben.  Die 
französische  Münze  war  vor  der  letzten  Umprägung 
der  englischen  Goldmünze  viel  weniger  abgenutzt,  als 
die  englische  und  vielleicht  zwei  oder  drei  Prozent  ihrem 
Münzwert  näher.  Wenn  daher  der  berechnete  Kurs 
mit  Frankreich  nur  zwei  oder  drei  Prozent  gegen  Eng- 
land stand,  so  konnte  der  wirkliche  Kurs  zu  seinen 
Gunsten  sein.  Seit  der  Umprägung  der  Goldmünze 
ist  der  Wechselkurs  beständig  zu  Gunsten  Englands 
und  gegen  Frankreich  gewesen. 

Zweitens  werden  in  einigen  Ländern  die  Kosten 
der  Ausmünzung  von  der  Regierung  bestritten;  in 
anderen  von  Privatleuten,  welche  ihre  Barren  nach  der 
Münze  bringen,  w-obei  die  Regierung  aus  der  Ausmün- 
zung eine  Einnahme  zieht.  In  England  werden  die 
Münzkosten  von  der  Regierung  getragen,  und  wenn 
man  ein  Pfund  Standardsilber  nach  der  Münze  bringt, 
erhält  man  62  Schillinge  dafür,  welche  ein  Pfund  des 
gleichen  Standardsilbers  enthalten.    In  Frankreich  wird 


Kap.  Til.:  Beschränkungen  der  Wareneinfulir.  Tl.  T.     261 

für  die  Ausprägung  eine  Gebühr  von  8**/o  abgezogen, 
die  nicht  allein  die  Kosten  der  Prägung  deckt,  sondern 
auch  der  llegierung  eine  kleine  Einnahme  gewährt. 
Da  in  England  die  Prägung  nichts  kostet,  so  kann 
die  Kurantmünze  niemals  viel  wertvoller  sein,  als  die 
Monge  Rohmetall,  die  sie  faktisch  enthält.  In  Frank- 
reich, wo  die  Arbeit  bezahlt  wird,  erhöht  sich  der  Wert 
in  derselben  Art,  wie  bei  der  Verarbeitung  des  Silbers 
zu  Geschirr.  Eine  Summe  französischen  Greldes,  die 
ein  gewisses  Gewicht  reinen  Silbers  enthält,  ist  mithin 
mehr  wert,  als  eine  Summe  englischen  Geldes,  das  ein 
gleiches  Gewicht  reinen  Silbers  enthält  und  muß  mehr 
ßohmetall  oder  andere  Waren  erfordern,  um  sie  zu 
kaufen.  Wenn  daher  auch  die  Kurantmünzen  der  beiden 
Länder  dem  Münzfuß  ihrer  betreffenden  Münzen  gleich 
nahe  kommen,  so  könnte  doch  eine  Summe  englischen 
Geldes  nicht  wohl  eine  Summe  französischen  Geldes 
kaufen,  die  eine  gleiche  Zahl  Unzen  reinen  Silbers 
enthält,  und  folglich  auch  nicht  einen  Wechsel  auf 
Frankreich  für  eine  solche  Summe.  AVenn  für  einen 
solchen  Wechsel  nicht  mehr  Aufgeld  bezahlt  würde, 
als  hinreicht,  um  die  Kosten  der  französischen  Prägung 
zu  decken,  so  könnte  der  wirkliche  Wechselkurs 
zwischen  beiden  Ländern  pari  sein,  ihr  Soll  und  Haben 
könnte  gegenseitig  sich  ausgleichen  und  der  berechnete 
Kurs  wäre  trotzdem  bedeutend  zu  Gunsten  Frankreichs. 
Wenn  weniger  als  diese  Summe  bezahlt  würde,  so  könnte 
der  wirkliche  Wechselkurs  zu  Gunsten  Englands  sein 
und  der  berechnete  gleichwohl  zu  Gunsten  Frankreichs. 
Drittens  und  letztens  werden  an  einigen  Plätzen, 
wie  Rotterdam,  Hamburg,  Venedig  usw.,  ausländische 
Wechsel  in  dem  sogenannten  Bankogeld  gezahlt,  an 
anderen  dagegen,  wie  London,  Lissabon,  Antwerpen, 
Livorno,  usw.,  in  dem  gewöhnlichen  Umlaufsmittel  des 
Landes.      Das    sogenannte    Bankogeld    ist    stets    von 


262     Viertes  Buch:  Die  S^^steme  der  politischen  Ökonomie. 

größerem  Wort,  als  dieselbe  Nominalsumme  in  gewöhn- 
lichen Umlaufsmitteln.  Tausend  Gulden  in  der  Bank 
von  Amsterdam  z.  B.  sind  mehr  wert  als  tausend  Gulden 
holländisch  Kurant.  Die  Differenz  zwischen  ihnen  wird 
Bankagio  genannt,  das  in  Amsterdam  in  der  Regel  etwa 
5  °  0  beträgt.  Angenommen,  das  Kurantgeld  der  beiden 
Länder  komme  dem  Münzfuß  ihrer  bezüglichen  Münzen 
gleich  nahe  und  das  eine  zahle  ausländische  Wechsel 
in  diesem  gewöhnlichen  Umlaufsmittel,  während  das 
andere  sie  in  Bankogeld  zahlt,  so  ist  es  klar,  daß  der 
berechnete  Wechselkurs  zu  Gunsten  desjenigen  Landes 
sein  kann,  das  in  Bankogeld  zahlt,  wenn  auch  der  wirk- 
liche Kurs  zu  Gunsten  desjenigen  sein  sollte,  das  in 
Kurantgeld  zahlt;  und  zwar  aus  dem  nämlichen  Grunde, 
aus  welchem  der  berechnete  Kurs  zu  Gunsten  des  Landes 
sein  kann,  welches  in  besserem  Gelde,  d.  h.  in  dem 
seinem  Münzfuße  näher  kommenden  Gelde  zahlt,  ob- 
wolil  der  wirkliche  Kurs  zu  Gunsten  des  Landes  sein 
kann,  das  in  schlechterem  zahlt.  Der  berechnete 
Wechselkurs  war,  vor  der  letzten  Umprägung  der  Gold- 
münze, mit  Amsterdam,  Hamburg,  Venedig  und  ich 
glaube  mit  allen  anderen  Plätzen,  die  in  sogenanntem 
Bankogeld  zahlen,  in  der  Regel  gegen  London.  Daraus 
folgt  aber  keineswegs,  daß  der  wirkliche  Kurs  gegen 
I^ondon  gewesen  ist.  Seit  der  Umprägung  der  Gold- 
münze hat  er  sich  selbst  mit  diesen  Plätzen  zu  Gunsten 
Londons  gewendet.  Der  berechnete  Wechselkurs  war 
in  der  Regel  mit  Lissabon,  Antwerpen,  Livorno  und, 
Frankreich  ausgenommen,  wohl  mit  den  meisten  anderen 
Plätzen  Europas,  die  in  dem  gewöhnlichen  Kurant  zahlen, 
zu  Gunsten  Londons,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich, 
daß  der  wirkliche  Kurs  es  ebenfalls  war. 


Kap.   HI.:  Eine  Absrliwcil'ung  über  Depositenbanken.      263 


Abschweifung  über  die  Depositenbanken, 
namentlich  diejenige  Amsterdams. 

Die  Umhiufsmittel  eines  großen  Staats  wie  Frank- 
reich und  Enghxnd  bestehen  in  der  Regel  fast  ausschließ- 
lich aus  seiner  eigenen  Münze.  Sollte  das  Umlaufsmittel 
mithin  einmal  abgenutzt,  beschnitten  oder  sonst  unter 
seinen  Währungswert  gesunken  sein,  so  kann  der  Staat 
durch  eine  Umprägung  seiner  Münze  den  Nennwort 
leicht  wiederherstellen.  Das  Kurantgold  eines  kleinen 
Staats  wie  Genua  oder  Hamburg  dagegen  kann  schwer- 
lich durchaus  in  seiner  eigenen  Münze  bestehen,  sondern 
wird  zu  einem  großen  Teil  aus  Münzen  aller  benach- 
barten Staaten  bestehen,  mit  denen  seine  Einwohner 
einen  ununterbrochenen  Verkehr  haben.  Ein  derartiger 
Staat  kann  mithin  durch  Umprägung  seiner  Münze  nicht 
immer  seine  Umlaufsmittel  reformieren.  Werden  in 
diesem  Umlaufsmittel  auswärtige  Wechsel  gezahlt,  so 
muß  der  unsichere  Wert  einer  Summe  Geldes,  das  seiner 
Natur  nach  selbst  so  unbestimmt  ist,  den  Wechselkurs 
stets  erheblich  gegen  einen  solchen  Staat  wenden,  da 
seine  Umlaufsmittel  in  allen  auswärtigen  Ländern  unter 
ihrem  wirklichen  Wert  stehen. 

Um  nun  den  Schaden  abzuwenden,  den  dieser  un- 
günstige Wechselkurs  für  die  Kaufleute  solcher  kleinen 
Staaten  herbeiführen  muß,  haben  diese,  sobald  sie  ihrem 
Handel  größere  Teilnahme  zuwendeten,  oft  verordnet, 
daß  auswärtige  Wechsel  von  einem  gewissen  Betrag 
nicht  in  dem  gewöhnlichen  Kurantgeld,  sondern  durch 
eine  Anweisung  auf  eine  bestimmte  Bank  oder  durch 
eine  Übertragung  in  deren  Büchern  bezahlt  werden 
solle,  einer  Bank,  die  auf  Kredit  gegründet  war  und 
unter  dem  Schutz  des  Staates  stand;  und  diese  Bank 
war  stets  verpflichtet,  in  gutem  und  richtigem,  dem 
Münzfuß   des  Staats  genau   entsprechendem  Gelde  zu 


26-1     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

zahlen.  Die  Banken  von  Venedig,  Genua,  Amsterdam, 
Hamburg  und  Nürnberg  scheinen  sämtlich  ursprüng- 
lich mit  dieser  x^bsicht  gegründet  zu  sein,  wenn  auch 
einige  von  ihnen  später  anderen  Zwecken  dienstbar 
gemacht  worden  sind.  Da  das  Geld  solcher  Banken 
besser  ist,  als  das  gewöhnliche  Kurantgeld  des  Landes, 
so  trug  es  natürlich  ein  größeres  oder  kleineres  Agio, 
je  nachdem  das  Kurant  als  mehr  oder  weniger  gegen 
den  Münzfuß  des  Staates  verschlechtert  galt.  Das  Agio 
der  Bank  von  Hamburg  z.  B.,  das  gewöhnlich  etwa 
14°/o  betragen  soll,  ist  die  vorausgesetzte  Differenz 
zwischen  dem  Normalgelde  des  Staats  und  dem  be- 
schnittenen, abgenutzten  und  verschlechterten  Kurant, 
das  von  allen  benachbarten  Ländern  hereinströmt. 

Vor  1609  verringerte  die  große  Menge  beschnittener 
und  abgenutzter  ausländischer  Münzen,  die  der  ausge- 
dehnte Handel  Amsterdams  aus  allen  Teilen  Europas 
zusammenbrachte,  den  Wert  des  dortigen  Kurant  etwa 
9^*0  unter  denjenigen  des  guten,  frisch  aus  der  Münze 
kommenden  Geldes.  Das  gute  Geld  kam  nicht  so  bald 
in  Umlauf,  als  es  auch  schon  eingeschmolzen  oder 
ausgeführt  wurde,  wie  es  in  solchen  Fällen  stets  ge- 
schieht. Die  Kaufleute  konnten  bei  reichlich  vorhan- 
denen Umlaufsmitteln  nicht  immer  eine  hinreichende 
Menge  guter  Münzen  finden,  um  ihre  Wechsel  zu 
zahlen,  und  der  Wert  dieser  Wechsel  wurde  trotz 
verschiedener  Verordnungen,  die  es  verhüten  sollten, 
in  hohem  Maße  unsicher. 

Um  diesem  Übelstande  abzuhelfen,  wurde  1609 
unter  der  Garantie  der  Stadt  eine  Bank  gegründet. 
Diese  Bank  nahm  sowohl  die  ausländischen,  wie  die 
leichten  und  abgenutzten  Landesmünzen  zu  ihrem 
wahren  inneren  Werte  nach  der  Landeswährung  an  und 
zog  nur  so  viel  ab,  wie  für  die  Deckung  der  Prägungs- 
und anderer  notwendigen  Verwaltungskosten  erforder- 


Kap.  III.:  Eine  Abschweifung  über  Depositenbanken.      265 

lieh  war.  Für  den  nach  diesem  oeringl'iigigen  Abzug 
übrig  bleibenden  Betrag  gab  sie  einen  Kredit  in  ihren 
Büchern,  der  Bankgeld  genannt  wurde,  das,  da  es  ein 
genau  dem  Währungswerte  entsprechendes  Geld  dar- 
stellte, stets  von  demselben  tatsächlichen  Wert  war, 
wie  dies,  und  einen  höheren  inneren  Wert  hatte,  als 
das  Kurantgeld.  Gleichzeitig  wurde  bestimmt,  daß 
alle  auf  Amsterdam  gezogenen  Wechsel  im  Werte  von 
600  Gulden  und  darüber  in  Bankgeld  gezahlt  werden 
sollten,  was  auf  einmal  alle  Unsicherheit  im  Werte 
dieser  Wechsel  beseitigte.  Infolge  dieser  Bestimmung 
war  jeder  Kaufmann  genötigt,  sich  ein  Konto  bei  dieser 
Bank  zu  verschaffen,  um  seine  auswärtigen  Wechsel 
zu  bezahlen,  was  natürlich  eine  bestimmte  Nachfrage 
nach  Bankgeld  veranlaßte. 

Außer  seinem  großen  inneren  Wert  im  Verhältnis 
zum  Kurantgeld  und  dem  durch  jene  Nachfrage  ihm 
erteilten  AVert,  besitzt  das  Bankgeld  noch  andere  Vor- 
züge. Es  ist  sicher  vor  Feuersgefahr,  Diebstahl  und 
anderen  Unfällen;  die  Stadt  Amsterdam  leistet  dafür 
Bürgschaft;  es  kann  durch  eine  einfache  Übertragung 
ohne  die  Mühe  des  Zählens  oder  das  Risiko  des  Trans- 
ports von  einem  nach  dem  andern  Platze,  gezahlt  werden. 
In  Folge  dieser  verschiedenen  Voi'züge  scheint  es  von 
Anfang  an  ein  Agio  gebracht  zu  haben,  und  man  glaubt 
allgemein,  daß  all  das  Geld,  das  ursprünglich  in  der 
Bank  deponiert  war,  darin  geblieben  ist,  da  Niemandem 
daran  lag,  Zahlung  für  eine  Schuld  zu  fordern,  die  er 
gegen  ein  x\gio  verkaufen  konnte.  Fordert  der  Be- 
sitzer eines  Bankkredits  Zahlung  von  der  Bank,  so  ver- 
liert er  dieses  Asio.  Wie  ein  frisch  von  der  Münze 
kommender  Schilling  nicht  mehr  Waren  kaufen  wird, 
als  ein  außergewöhnlich  abgenutzter  Schilling,  so  würde 
auch  das  gute  und  vollwichtige  Geld  der  Bank,  wenn 
es  in  die  Hände  eines  Privatmanns  übergeht  und  mit 


266     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

dem  gewöhnlichen  Kurant  des  Landes  vermischt  und 
vertauscht  wird,  nicht  mehr  Wort  haben,  als  dieses 
Kurant,  von  dem  es  l'erner  nicht  leicht  zu  unter- 
scheiden wäre.  So  lange  es  in  der  Bank  blieb,  war 
sein  Vorzug  bekannt  und  unzweifelhaft.  Kommt  es 
dagegen  an  eine  Privatperson,  so  würde  es  vielleicht 
mühsamer  sein,  seinen  höheren  Wert  festzustellen,  als 
es  die  Differenz  wert  ist.  Duich  sein  Heraustreten 
aus  den  Kassen  der  Bank  verliert  es  überdies  alle  die 
anderen  Vorzüge  des  Bankgeldes:  seine  Sicherheit, 
seine  leichte  und  sichere  Übertragbarkeit,  seine  Ver- 
wendbarkeit als  Zahlmittel  für  ausländische  Wechsel. 
Überdies  konnte  man,  wie  sich  zeigen  wird,  es  nicht 
aus  den  Kassen  der  Bank  entnehmen,  ohne  vorher  die 
Aufbewahrungskosten  zu  bezahlen. 

Die  Depositen  an  Bargeld,  d.  h.  die  Depositen, 
welche  die  Bank  in  Münze  wiederzuerstatten  verpflichtet 
war,  bildeten  das  Stammkapital  der  Bank,  oder  den 
ganzen  Wert  dessen,  was  durch  das  sogenannte  Bank- 
geld repräsentiert  war.  Gegenwärtig  nimmt  man  an, 
daß  sie  nur  einen  sehr  kleinen  Teil  davon  bilden.  Um 
den  Bullionhandel  zu  erleichtern,  pflegt  die  Bank  seit 
diesen  vielen  Jahren  auf  Depositen  von  Gold-  und 
Silberbarren  Kredit  in  ihren  Büchern  zu  erteilen. 
Dieser  Kredit  ist  in  der  Regel  etwa  5"o  unter  dem 
Münzpreise  solcher  Barren.  Die  Bank  erteilt  dagegen 
einen  Schein,  der  den  Deponenten  oder  Inhaber  be- 
rechtigt, die  deponierten  Barren  innerhalb  sechs  Mo- 
naten jederzeit  wieder  herauszunehmen,  wenn  er  an 
die  Bank  eine  gleiche  Menge  Bankgeld,  wie  die,  worauf 
ihm  in  ihren  Büchern  auf  das  Depositum  Kredit  ge- 
geben war,  zurücküberträgt  und  für  die  Aufbewahrung 
des  Deposits,  falls  es  in  Silber  bestand,  V*  "/o  und  falls 
in  Gold  ^,2"  0  zahlt,  gleichzeitig  aber  erklärt,  daß  mangels 
solcher  Zahlung  und  beim  Erlöschen  dieses  Termins  das 


Kap.  HI.:  Eine  Abychweifiini;'  nt)ec  Depositenbanken.     267 

Depositum  der  Bank  zu  dem  Preise  gehören  soll,  zu 
welchem  sie  es  angenommen  oder  wofür  sie  in  ihren 
Büchern  Kredit  eröffnet  hatte.  Was  so  für  die  Aufbe- 
wahrung des  Deposits  gezahlt  wird,  kann  als  eine  Ait 
von  Lagerhauszins  betrachtet  werden  ;  und  warum  dieser 
Lagerhauszins  für  Gold  um  soviel  teurer  sein  soll,  als 
für  Silber,  dafür  hat  man  verschiedene  Gründe  geltend 
gemacht.  Die  Feinheit  des  Goldes,  hat  man  gesagt,  ist 
schwieriger  festzustellen,  als  die  des  Silbers.  Betrüge- 
reien sind  leichter  möglich  und  veranlassen  bei  dem 
edleren  Metall  einen  größeren  Verlust.  Überdies  ist 
Silber  das  Währungsmetall,  und  der  Staat,  sagte  man, 
wünsche  mehr  die  Hinterlegung  von  Silberdepositen 
als  von  Golddepositen  zu  begünstigen. 

Depositen  von  Barren  werden  am  häufigsten  ge- 
macht, wenn  der  Preis  etwas  niedriger  als  gewöhnlich 
steht,  und  werden  herausgezogen,  wenn  er  steigt.  In 
Holland  steht  der  Marktpreis  des  Bullion  gewöhnlich 
über  dem  Münzpreise,  aus  demselben  Grunde,  aus  dem 
es  in  England  vor  der  letzten  Umprägung  der  Gold- 
münzen der  Fall  war.  Die  Differenz  soll  in  der  Regel 
6 — 16  Stüber  auf  die  Mark,  oder  8  Unzen  Silber  zu 
^^12  fein  und  V12  Zusatz  betragen.  Der  Bankpreis,  oder 
der  Kredit,  den  die  Bank  für  Depositen  von  solchem 
Silber  (auch  in  ausländischen  Münzen  von  bekannter  und 
anerkannter  Feinheit,  wie  die  mexikanischen  Dollars)  er- 
teilt, beträgt  22  Gulden  für  die  Mark ;  der  Münzpreis  ist 
ungefähr  23  Gulden  und  der  Marktpreis  23  fl.  6  St.  bis 
23  fl.  16  Stüber,  oder  2  bis  3"  0  über  dem  Münzpreise."'') 

*)  Die  Sätze,  zu  denen  die  Bank  von  Amsterdam  in  diesem 
Augenblick  (September  1775)  Metall  und  Münzen  annimmt,  sind 

folgende : 

Silber: 
Mexikanische  Piaster  (Dollars)      ] 

Französische  Kronen    .     .     .     .      /     Gulden  22.  —  pr.  Mark 
Englische  Silbermünzen   .     .     .     j 


268     Viertes  Bucli:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Die  Verhältnisse  zwischen  dem  Bankpreise,  Münzproise 
und  Marktpreise  der  Goldbarren  sind  beinahe  die 
gleichen.  Man  kann  in  der  Regel  seinen  Bankschein 
für  die  Differenz  zwischen  dem  Münzpreise  der  Barren 
und  dorn  Marktpreise  verkaufen.  Ein  Schein  für  Bullion 
ist  fast  stets  etwas  wert  und  es  kommt  daher  selten 
vor,  daß  jemand  ihn  erloschen,  oder  seine  Barren  zu 
dem  Preise,  zu  dem  sie  die  Bank  angenommen  hat, 
verfallen  läßt,  indem  er  sie  entweder  nicht  vor  Ab- 
lauf der  6  Monate  zurücknimmt,  oder  die  Zahlung  des 
Vi  oder  ^'2'',ü  für  die  Verlängerung  auf  abermalige 
()  Monate  verabsäumt.  Immerhin  soll  es,  zwar  selten, 
aber  doch  gelegentlich  vorgekommen  sein,  und  zwar 
bei  Gold  häufiger  als  bei  Silber,  wegen  der  höheren 
Lagerhausgebühr,  die  für  die  Aufbewahrung  des 
edleren  Metalles  zu  zahlen  ist. 

Wer  gegen  ein  Depositum  von  Bullion  sowohl  einen 
Bankkredit  wie  einen  Schein  erhält,  zahlt  seine  Wechsel 
bei  Fälligwerden  mit  diesem  Bankkredit  und  vorkauft 

Mexikanische  neue  Piaster  .     .  Gulden  21.  —  pr.  Mark 

Ducatons „  3.  —  pr.  Stück 

Reichstaler „  2.     8         „ 

Silber  in  Barren  "/j,j  fein  =21  pr.  Mark,  und  in  dem- 
selben Verhältnis  herab  bis  zu  74  ^eiu,  wofür  5  Gulden  gegeben 
werden.     Barren  fein  Silber  =  23  pr.  Mark. 

Gold: 

Portugiesische  Münzen     ...     1 

Guineen /     Gulden  310.   —  pr.  Mark 

Loui.sd'or,  neue j 

Louisd'or,  alte, „        300.  —  „ 

Neue  Dukaten „        4.  19.  8  per  Due. 

Gold  in  Barren  wird  im  Verhältnis  seiner  Feinheit  zu  den 
genannten  Münzen  angenommen;  auf  Barren  fein  Gold  gibt  die 
Ijaiik  340  fl.  pr.  Mark.  Im  Allgemeinen  wird  indessen  auf 
]M Unzen  von  anerkannter  Feinheit  etwas  mehr  gegeben  als  auf 
Gold-  und  Silberbarren,  deren  Feinheit  erst  durch  Schmelzen 
und  Probieren  zu  ermitteln  ist. 


Kap.  TIT.:  Eine  Absrlnveifiin,<>-  über  Depositenhanken.     269 

oder  behält  seinen  Schein,  je  nachdem  er  glaubt,  daß 
der  Preis  des  Bullion  steigen  oder  fallen  wird.  Der 
Schein  oder  der  Bankkredit  bleiben  selten  lange  in 
einer  Hand,  und  es  ist  dazu  auch  kein  Anlaß  vor- 
handen. Wer  einen  Schein  hat  und  Bullion  braucht, 
findet  stets  eine  Menge  Bankgeld  zum  gewöhnlichen 
Preis,  und  wer  Bankgeld  hat  und  Bullion  braucht, 
findet  stets  Bankscheine  in  gleicher  Menge. 

Die  Besitzer  von  Bankkrediten  und  die  Inhaber  von 
Scheinen  bilden  zwei  verschiedene  Sorten  von  Gläu- 
bigern der  Bank.  Der  Inhaber  eines  Scheins  kann  das 
Bullion,  auf  das  der  Schein  ausgestellt  ist,  nicht  heraus- 
ziehen, ohne  der  Bank  eine  dem  Preis,  zu  dem  sie  das 
Bullion  angenommen  hatte,  gleichkommende  Summe 
Bankgeld  zu  verschreiben.  Wenn  er  kein  Bankgeld 
selbst  besitzt,  muß  er  es  von  anderen  kaufen.  Der  Be- 
sitzer von  Bankgeld  kann  Bullion  nicht  herausziehen, 
ohne  der  Bank  Scheine  für  die  Menge,  die  er  braucht, 
zu  produzieren.  Wenn  er  im  eigenen  Besitz  keine  hat, 
muß  er  sie  von  anderen  kaufen.  Der  Inhaber  eines 
Scheins,  der  Bankgeld  kauft,  kauft  damit  die  Mittel, 
eine  Menge  Bullion  herauszunehmen,  dessen  Münzpreis 
ö^/o  unter  dem  pari-Preis  steht.  Das  Agio  von  5°,o, 
das  er  in  der  ßegel  dafür  bezahlt,  wird  mithin  nicht 
für  einen  eingebildeten,  sondern  für  einen  tatsächlichen 
Wert  gezahlt.  Kauft  der  Besitzer  von  Bankgeld  einen 
Schein,  so  kauft  er  das  Mittel,  eine  gewisse  Menge 
Bullion  herauszunehmen,  dessen  Marktpreis  in  der  Regel 
2  bis  3 "  0  über  dem  Münzpreis  steht.  Der  Preis,  den 
er  dafür  zahlt,  wird  mithin  ebenfalls  für  einen  tatsäch- 
lichen Wert  gezahlt.  Der  Preis  des  Scheins  und  der 
Preis  des  Bankgeldes  machen  zusammen  den  vollen 
Wert  oder  Preis. des  Bullion  aus. 

Auf  Depositen  in  der  Landesmünze  gewährt  die 
Bank  ebensowohl  Scheine  wie  Bankkredite.  Allein  diese 


270     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Scheine  sind  oft  von  keinem  Wert  und  haben  daher  auch 
keinen  Marktpreis.  Auf  Ducatons  z.  B.,  die  im  Umlauf 
3  Gulden  3  Stüber  gelten,  gibt  die  Bank  nur  einen  Kredit 
von  3  Gulden,  oder  5  °/o  weniger  als  ihren  Kurantwert. 
Sie  gibt  einen  Schein,  der  den  Inhaber  gleicherweise 
berechtigt,  die  deponierte  Anzahl  von  Dukatons  inner- 
halb G  Monaten  gegen  Zahlung  von  '  t°  o  für  die  Auf- 
bewahrung wieder  herauszunehmen.  Dieser  Schein  wird 
oft  keinen  Marktpreis  haben.  Drei  Gulden  Bankgeld 
sind  in  der  Regel  auf  dem  Markt  8  Gulden  3  Stüber, 
d.  h.  den  vollen  Wert  der  Dukatons,  wenn  sie  aus 
der  Bank  genommen  würden,  wert,  und  ehe  sie  heraus- 
genommen werden  können,  müssen  sie  Vi^/o  für  die 
Aufbewahrung  zahlen,  was  für  den  Inhaber  des  Scheines 
lediglich  ein  Verlust  sein  würde.  Fällt  jedoch  das  Agio 
der  Bank  einmal  auf  8*^/0,  so  können  diese  Scheine 
einen  Marktpreis  haben  und  für  1  °  0  Agio  verkauft 
werden.  Jetzt  steht  das  Agio  der  Bank  in  der  Regel 
5"/o  und  man  läßt  daher  solche  Scheine  oft  verfallen. 
Die  Scheine,  vvelche  für  Depositen  von  Golddukaten 
gegeben  werden,  läßt  man  noch  öfter  verfallen,  weil 
auf  sie  ein  höherer  Lagerhauszins,  nämlich  ^12 ",  o  für 
die  Aufbewahrung  bezahlt  werden  muß,  wenn  man  sie 
wieder  haben  will.  Die  5^/o,  welche  die  Bank  ver- 
dient, wenn  die  Depositen  von  Münze  oder  Bullion 
verfallen,  können  als  der  Lagerhauszins  für  die  Auf- 
bewahrung solcher  Depositen  gelten. 

Die  Summe  des  Bankgeldes,  für  die  die  Scheine 
verfallen,  muß  sehr  bedeutend  sein  und  das  ganze 
Stammkapital  der  Bank  umfassen,  das,  wie  man  annimmt, 
seit  der  Zeit  der  ersten  Depositen  darin  geblieben  ist, 
weil  niemand  ein  Interesse  daran  hatte,  seinen  Schein 
erneuern  zu  lassen,  oder  sein  Depositum  zu  erheben,  da 
aus  den  bereits  angeführten  Gründen  niemand  das  eine 
oder  andere  ohne  Verlust  tun  konnte.     Welches  aber 


Kap.  TT!.:  Eine  Abschweifung-  über  Depositenbanken.      271 

auch  der  Betrag  dieser  Summe  s  in  mag,  im  Verhältnis 
zur  Gesamtmenge  des  Bankgeldes  gilt  sie  doch  nur  für 
sehr  klein.  Die  Bank  von  Amsterdam  ist  seit  dieser 
langen  Zeit  das  grüßte  Lagerhaus  Europas  für  Bullion 
gewesen,  wofür  man  die  Scheine  selten  verfallen  ließ. 
Der  bei  weitem  größte  Teil  des  Bankgeldes  oder  der 
Buchkredite  der  Bank  soll  seit  diesen  vielen  Jahren 
durch  die  Depositen  geschaffen  sein,  welche  die  Edel- 
metallhändler ununterbrochen  machen  und  herausziehen. 

Forderungen  an  die  Bank  können  nur  auf  Grund 
eines  Scheines  erhoben  werden.  Der  kleinere  Teil  des 
Bankgeldes,  wofür  die  Scheine  erloschen  sind,  ist  mit 
der  weit  größeren  Masse,  für  die  sie  noch  in  Kraft  be- 
stehen, gemischt,  sodaß,  wenn  auch  eine  beträchtliche 
Summe  vorhanden  ist,  für  die  es  keine  Scheine  gibt, 
dennoch  kein  besonderer  Teil  sich  darunter  befindet, 
der  nicht  zu  irgend  einer  Zeit  von  irgend  wem  einge- 
fordert werden  könnte.  Die  Bank  kann  nicht  an  zwei 
Personen  für  dieselbe  Sache  Schuldnerin  sein  und  der 
Besitzer  von  Bankgeld,  der  keinen  Schein  hat,  kann 
von  der  Bank  nicht  eher  Zahlung  fordern,  als  bis  er 
einen  kauft.  In  gewöhnlichen  und  ruhigen  Zeiten  kann 
es  ihm  nicht  schwer  werden,  einen  Schein  zum  Markt- 
preise zu  kaufen,  der  in  der  Regel  dem  Preis  entspricht, 
zu  welchem  er  die  Münze  oder  das  Bullion  verkaufen 
kann,  das  aus  der  Bank  zu  nehmen  der  Schein  berechtigt. 

Anders  kann  es  freilich  während  einer  öffentlichen 
Notlage  sich  gestalten,  bei  einem  kriegerischen  Einfall 
z.  B.,  wie  der  der  Franzosen  im  Jahre  1672.  Die  Be- 
sitzer von  Bankgeld  sind  dann  alle  bestrebt,  es  aus  der 
Bank  in  eigene  Verwahrung  zu  nehmen,  und  die  Nach- 
frage nach  Scheinen  kann  dann  ihren  Preis  auf  eine 
exorbitante  Höhe  steigern.  Ihre  Besitzer  können  sich 
ausschweifenden  Erwartungen  hingeben  und  anstatt  2 
bis  8°/o  die  Hälfte  des  Bankgeldes  fordern,  das  auf  die 


272      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Depositen,  auf  welche  die  Scheine  lauten,  kreditiert 
wurde.  Der  Feind,  der  die  Verfassung  der  Bank  kennt, 
könnte  selbst  die  Scheine  aufkaufen,  um  zu  verhindern, 
daß  der  Barschatz  fortgeführt  werde.  In  solchen  Not- 
lagen würde  indeß,  wie  man  annimmt,  die  Bank  wohl 
ihre  gewöhnliche  ßegel,  nur  an  die  Inhaber  von  Schei- 
nen Zahlung  zu  leisten,  durchbrechen.  Die  Inhaber 
von  Scheinen,  die  kein  Bankgeld  hätten,  müßten  doch 
den  Wert  des  Deposits,  wofür  ihre  Scheine  ausgestellt 
worden  sind,  bis  auf  2  oder  3 ''/o  erhalten  haben.  Die 
Bank,  sagt  mau,  würde  daher  in  diesem  Fall  kein 
Bedenken  tragen,  den  vollen  Wert  dessen,  was  den 
Besitzern  von  Bankgeld,  die  keine  Scheine  erhalten 
können,  als  Kredit  in  ihre  Bücher  eingeschrieben  war, 
entweder  in  Geld  oder  Bullion  zu  zahlen  und  gleich- 
zeitig auch  die  2  oder  3^/o  an  solche  Inhaber  von 
Scheinen,  die  kein  Bankgeld  haben,  da  dies  der  ganze 
Betrag  ist,  auf  den  sie  unter  solchen  Umständen  mit 
Recht  Anspruch  hätten. 

Selbst  in  gewöhnlichen  und  ruhigen  Zeiten  liegt 
es  im  Interesse  der  Inhaber  von  Scheinen,  das  Agio 
zu  drücken,  um  entweder  Bankgeld  (und  folglich  das 
Bullion,  welches  aus  der  Bank  zu  nehmen  ihr  Schein 
sie  in  den  Stand  setzen  würde)  um  so  billiger  zu  kaufen, 
oder  ihre  Scheine  an  Leute,  die  Bankgeld  haben  und 
Bullion  herausnehmen  wollen,  desto  teurer  zu  verkaufen, 
da  der  Preis  eines  Scheins  in  der  E-egel  der  Differenz 
zwischen  dem  Marktpreise  des  Bankgeldes  und  dem  der 
Münze  oder  des  Bullion,  wofür  der  Schein  bewilligt  war, 
gleich  ist.  Im  Interesse  der  Inhaber  des  Bankgeldes 
hingegen  liegt  es,  das  Agio  zu  steigern  und  entweder 
ihr  Bankgeld  um  so  teurer  zu  verkaufen,  oder  einen 
Schein  um  so  billiger  zu  kaufen.  Um  die  Machen- 
schaften der  Börsenjobber  zu  verhüten,  die  durch  diese 
entgegenstehenden  Interessen  veranlaßt  werden  können, 
war  die  Bank  vor   einigen  Jahren   zu  dem  Entschluß 


Kap.  IIT. :  Eine  Abschweifung-  über  Depositenbanken.     273 

gekommen,  jederzeit  Bankgeld  für  Kurant  mit  ö^/o 
Agio  zu  verkaufen  und  es  mit  4''/o  Agio  wieder  zu 
kaufen.  Infolge  dieses  Beschlusses  kann  das  Agio 
niemals  über  5  °/o  steigen  oder  unter  4"  o  fallen  und 
das  Verhältnis  zwischen  dem  Marktpreis  und  dem  Bank- 
und  Kurantgeld  ist  zu  allen  Zeiten  dem  Verhältnis 
zwischen  ihren  inneren  Werten  beinahe  gleich.  Bevor 
dieser  Beschluß  gefaßt  war,  pflegte  der  Marktpreis 
des  Bankgeldes  zuweilen  bis  auf  9  °  o  Agio  zu  steigen 
und  zuweilen  auf  pari  zu  sinken,  je  nachdem  die  ent- 
gegenstehenden Interessen  den  Markt  beeinflußten. 

Die  Bank  von  Amsterdam  erklärt,  daß  sie  von 
ihren  Depositen  nichts  ausleihe,  sondern  für  jeden 
Gulden,  wofür  man  in  ihren  Büchern  kreditiert  steht, 
den  Wert  eines  Gulden  entweder  in  Geld  oder  Barren 
liegen  habe.  Daß  sie  in  ihren  Kassen  all  das  Geld 
oder  Rohmetall  hat,  wofür  Scheine  ausgestellt  wurden, 
die  jederzeit  zur  Einlösung  präsentiert  werden  können 
und  die  tatsächlich  beständig  hin-  und  zurückgehen, 
ist  nicht  wohl  zu  bezweifeln.  Ob  es  aber  hinsichtlich 
derjenigen  Teile  ihres  Kapitals  der  Fall  ist,  wofür  die 
Scheine  schon  längst  erloschen  sind,  die  in  gewöhn- 
lichen und  ruhigen  Zeiten  nicht  eingefordert  werden 
können  und  die  tatsächlich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
für  immer  oder  wenigstens  so  lange,  wie  die  General- 
staaten bestehen,  bei  ihr  bleiben  werden,  ist  wohl  nicht 
so  unzweifelhaft.  In  Amsterdam  indessen  steht  kein 
Glaubensartikel  fester,  als  daß  für  jeden  Gulden,  der 
als  Bankgeld  umläuft,  ein  entsprechender  Gulden  in 
Gold  oder  Silber  im  Schatze  der  Bank  zu  finden  sei. 
Die  Stadt  leistet  dafür  Garantie.  Die  Bank  steht  unter 
der  Direktion  der  vier  regierenden  Bürgermeister,  die 
jedes  Jahr  wechseln.  Jede  neue  Reihe  von  Bürger- 
meistern untersucht  den  Schatz,  vergleicht  ihn  mit  den 
Büchern,   leistet  einen  Eid  darauf  und  liefert  ihn  mit 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  U.  i  !5 


274     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie, 

derselben  hergebracliten  Feierlichkeit  ihren  Nachfolgern 
ab;  und  in  diesem  ordentlichen  und  religiösen  Lande 
sind  Eide  noch  heilig.  Ein  derartiger  Turnus  scheint 
allein  schon  eine  ausreichende  Sicherheit  iregen  alle  un- 
zulässigen  Praktiken  darzubieten.  Inmitten  aller  der 
Revolutionen,  die  der  Parteigeist  in  der  Regierung 
von  Amsterdam  veranlaßt  hat,  klagte  die  herrschende 
Partei  ihre  Vorgänger  niemals  einer  Untreue  in  der 
Bankvervvaltung  an.  Keine  Anklage  hätte  das  Ansehen 
und  das  Glück  der  unterlegenen  Partei  tiefer  schädigen 
können,  und  wenn  eine  solche  Anklage  Grund  gehabt 
hätte,  darf  man  überzeugt  sein,  daß  sie  erhoben  worden 
wäre.  Im  Jahre  1672,  als  der  König  von  Frankreich 
in  Utrecht  war,  zahlte  die  Bank  von  Amsterdam  so 
leicht,  daß  an  der  treuen  Erfüllung  ihrer  Verpflich- 
tungen kein  Zweifel  bleiben  konnte.  Manche  Stücke, 
die  damals  aus  ihren  Kassen  kamen,  schienen  von 
dem  Feuer  angegriffen  zu  sein,  das  im  Stadthause 
bald  nach  Gründung  der  Bank  ausgebrochen  war,  und 
mußten  mithin  seit  dieser  Zeit  dort  gelegen  haben. 

Welchen  Betrag  der  Barschatz  der  Bank  erreicht, 
ist  eine  Frage,  die  die  Berechnungen  der  Neugierigen 
lange  beschäftigt  hat;  doch  können  darüber  nur  Ver- 
mutungen angestellt  werden.  Im  Allgemeinen  rechnet 
man,  daß  ungefähr  zweitausend  Leute  bei  der  Bank 
Konten  haben,  und  wenn  man  annimmt,  daß  jeder 
durchschnittlich  £  1500  auf  seinem  Konto  habe  (was 
sehr  hoch  gerechnet  ist),  so  würde  die  Gesamtmenge 
des  Bankgeldes,  und  folglich  auch  des  Schatzes  in 
der  Bank,  sich  auf  etwa  3  Millionen  Pfund  oder,  zu 
11  Gulden  das  Pfund,  auf  33  Millionen  Gulden  belaufen; 
eine  bedeutende  Summe  und  hinreichend,  um  einen  sehr 
ausgedehnten  Umlauf  zu  unterhalten,  aber  gleichwohl 
weit  unter  den  ausschweifenden  Ideen,  die  manche 
Leute  sich   von   diesem  Schatz  oebildet  haben. 


Kap.  ITT.:  Eine  Abschweifung^-  übei-  Depositenbanken.     275 

Die  Stadt  Amsterdam  zieht  aus  der  Bank  eine  be- 
deutende Einnahme.  Außer  dem,  was  man  den  oben 
berührten  Lagerhauszins  nennen  kann,  zahlt  jeder  bei 
der  ersten  Eröffnung  eines  Kontos  eine  Gebühr  von 
10  Gulden  und  für  jedes  neue  Konto  3  Gulden  3  Stüber; 
für  jede  Übertragung  2  Stüber,  und  wenn  die  Über- 
tragung weniger  als  300  Gulden  beträgt,  6  Stüber,  um 
die  häufige  Übertragung  so  kleiner  Beträge  zu  verhin- 
dern. Wer  es  verabsäumt,  sein  Konto  zweimal  im  Jahr 
auszugleichen,  verfällt  in  eine  Strafe  von  25  Gulden. 
Wer  eine  Übertragung  für  mehr  als  sein  Guthaben  an- 
weist, hat  3''/o  für  die  überschüssige  Summe  zu  zahlen 
und  seine  Anweisung  wird  überdies  bei  Seite  gelegt. 
Auch  macht,  wie  man  annimmt,  die  Bank  durch  den 
Verkauf  fremder  Münzen  oder  Barren,  die  zuweilen 
durch  Erlöschen  der  Scheine  ihr  anheimfallen  und  die 
sie  stets  liegen  läßt,  bis  sie  sie  mit  Vorteil  verkaufen 
kann,  einen  beträchtlichen  Gewinn.  Ebenso  durch  Ver- 
kauf des  Bankgeldes  zu  5*^/0  Agio  und  durch  seinen 
Kauf  zu  4°/o.  Diese  verschiedenen  Einnahmequellen 
betragen  bei  weitem  mehr,  als  zur  Bezahlung  der  Ge- 
hälter der  Beamten  und  zur  Deckung  der  Verwaltungs- 
kosten erforderlich  ist.  Die  Zahlungen  für  die  Aufbe- 
wahrung des  Bullion  gegen  Scheine  sollen  allein  eine 
jährliche  Nettoeinnahme  von  150,000  bis  200,000  Gul- 
den ausmachen.  Der  ursprüngliche  Zweck  dieser  Ein- 
richtung war  jedoch  nicht  die  Erzielung  einer  Ein- 
nahme, sondern  der  öffentliche  Nutzen.  Ihr  Zweck 
war,  die  Kaufleute  von  den  Nachteilen  eines  ungünstigen 
Wechselkurses  zu  befreien.  Die  Einnahme,  welche 
daraus  entstanden  ist,  war  eine  unvorhergesehene  und 
kann  als  nebensächlich  betrachtet  werden. 

Es  ist  nun  Zeit,  von  dieser  langen  Abschweifung, 
in  die  ich  unvermerkt  geraton  bin,  um  die  Gründe  zu 
erklären,   warum  der  Wechselkurs  zwischen   den  Län- 

18- 


276     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

dern,  die  in  sogenanntem  Bankgeld  zahlen  und  denen, 
die  in  gewöhnlichem  Kurant  zahlen,  in  der  Regel  zu 
Gunsten  der  ersteren  und  gegen  die  letzteren  zu  sein 
scheint,  zurückzukehren.  Das  erstere  zahlt  in  einer 
Geldsorte,  deren  innerer  Wert  stets  derselbe  ist  und 
sich  genau  dem  Münzfuß  der  bezüglichen  Münzen  an- 
paßt; das  letztere  in  einer  Geldsorte,  deren  innerer 
Wert  beständig  schwankt  und  fast  stets  mehr  oder 
weniger  unter  jenem  Münzful3e  steht. 


Zweiter  Teil. 


Von  der  Unvernunft  solcher  außerordentlichen  Beschrän- 
kungen nach  anderen  Grundsätzen.    • 

Im  Vorhergehenden  habe  ich  zu  zeigen  gesucht, 
wie  unnötig  es  sogar  nach  den  Grundsätzen  des  Handels- 
systems ist,  außergewöhnliche  Beschränkungen  auf  die 
Einfuhr  von  Waren  aus  solchen  Ländern  zu  legen,  mit 
denen  die  Handelsbilanz  als  ungünstig  angenommen  wird. 

Nichts  kann  jedoch  alberner  sein,  als  diese  ganze 
Lehre  von  der  Handelsbilanz,  auf  welche  nicht  allein 
diese  Einschränkungen,  sondern  fast  alle  anderen 
Handelsregelungen  gegründet  sind.  Wenn  zwei  Plätze 
miteinander  Handel  treiben,  so  nimmt  diese  Lehre  an, 
daß,  wenn  die  Handelsbilanz  sich  ausgleicht,  keiner  von 
ihnen  etwas  verliert  oder  gewinnt;  wenn  sie  sich  aber 
in  irgend  einem  Grade  auf  die  eine  Seite  neigt,  einer 
von  ihnen  verliert  und  der  andere  gewinnt,  genau  in 
dem  Verhältnis  ihrer  Abweichung  von  dem  Gleichge- 
wicht. Beide  Annahmen  sind  falsch.  Ein  Handel,  der 
mittelst  Ausfuhrprämien  und  Monopolen  gewaltsam 
herbeigeführt  ist,  kann  für  das  Land,  zu  dessen  Gunsten 
er  angeblich  eingerichtet  worden  ist,  ungünstig  sein 
und  ist  es  in  der  Tat  gewöhnlich,  wie  ich  später  zeigen 


Kap.  III.:  Beschränkungen  der  Wareneinfuhr.  Tl.  TT.     277 

werde.  Der  Handel  aber,  der  ohne  Gewalt  oder  Zwang 
zwischen  zwei  Plätzen  naturgemäß  besteht,  ist  stets 
vorteilhaft  für  beide,  wenn  auch  nicht  für  jeden  gleich 
vorteilhaft. 

Unter  Vorteil  oder  Gewinn  verstehe  ich  nicht  die 
Zunahme  der  Gold-  und  Silbermenge,  sondern  die  Zu- 
nahme des  Tauschwertes  des  jährlichen  Boden-  und 
Arbeitsertrags  des  Landes,  oder  die  Zunahme  der 
jährlichen  Einkünfte  seiner  Bewohner. 

Gleicht  sich  die  Bilanz  aus,  und  besteht  der  Handel 
zwischen  den  beiden  Plätzen  lediglich  im  Austausch 
ihrer  selbsterzeugten  Waren,  so  werden  sie  in  den 
meisten  Fällen  nicht  allein  beide  gewinnen,  sondern 
gleichmäßig  oder  beinahe  gleichmäßig  gewinnen;  jeder 
wird  in  diesem  Fall  einen  Markt  für  einen  Teil  der 
überschüssigen  Produkte  des  andern  darbieten;  jeder 
wird  ein  Kapital  ersetzen,  das  in  der  Produktion  und 
Veredlung  dieses  Teils  von  überschüssigen  Produkten 
des  andern  angelegt  war  und  das  unter  eine  gewisse 
Zahl  seiner  Einwohner  verteilt,  ihnen  Einkommen  und 
Unterhalt  gab.  Ein  Teil  der  Einwohner  eines  jeden 
wird  daher  indirekt  sein  Einkommen  und  seinen  Unter- 
halt von  dem  andern  beziehen.  Da  die  umgesetzten 
Waren  ebenfalls  als  gleichwertig  angenommen  sind,  so 
werden  auch  die  im  Handel  angelegten  Kapitalien  in 
den  meisten  Fällen  gleich  oder  nahezu  gleich  sein,  und 
da  beide  in  der  Produktion  heimischer  Erzeugnisse  der 
beiden  Länder  angelegt  sind,  so  wird  das  Einkommen 
und  der  Unterhalt,  die  ihre  Verteilung  den  Einwohnern 
eines  jeden  darbieten  wird,  gleich  oder  nahezu  gleich 
sein.  Diese  Einkünfte  und  dieser  Unterhalt,  die  man 
sich  gegenwärtig  gewährt,  werden  je  nach  dem  Umfang 
ihrer  Geschäfte  größer  oder  kleiner  sein.  Wenn  sie 
sich  jährlich  z.  B.  auf  £  100,000  oder  auf  eine  Million 
auf  jeder  Seite  belaufen,  so  würde  jeder  der  Plätze  den 


278     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Einwohnern  des  andern  in  dem  einen  Fall  ein  jähr- 
liches Einkommen  von  £  100,000,  in  dem  andern  ein 
solches  von  einer  Million  gewähren. 

Wäre  ihr  Handel  so  beschaffen,  daß  einer  der 
Plätze  dem  andern  nur  heimische  Produkte  zuführte, 
während  die  Rücksendungen  des  andern  lediglich  aus 
fremden  Waren  beständen,  so  würde  die  Bilanz  sich 
dennoch  ausgleichen,  da  Waren  mit  Waren  bezahlt 
werden.  Beide  Plätze  würden  in  diesem  Falle  ge- 
winnen, aber  nicht  gleichmäßig  gewinnen,  und  die  Ein- 
wohner des  Landes,  das  nur  heimische  Erzeugnisse  aus- 
führte, würden  die  größten  Einkünfte  aus  dem  Handel 
ziehen.  Wenn  England  z.  B.  von  Frankreich  nur  die 
heimischen  Erzeugnisse  dieses  Landes  einführt  und  keine 
Waren  heimischer  Erzeugung  hat,  die  dort  im  Begehr 
sind,  mithin  jene  durch  Hinsendung  einer  großen 
Menge  auswärtiger  Waren,  wie  Taback  oder  ostindische 
Waren,  zahlt,  so  würde  dieser  Handel  zwar  den  Ein- 
wohnern beider  Länder  ein  gewisses  Einkommen  ver- 
schaffen, aber  denen  Frankreichs  mehr  als  denen  E]ng- 
lands.  Das  ganze  jährlich  darin  angelegte  französische 
Kapital  würde  jährlich  unter  die  Einwohner  Frankreichs 
verteilt  werden.  Unter  die  Engländer  dagegen  würde 
nur  der  Teil  des  englischen  Kapitals,  der  zur  Erzeu- 
gung der  englischen  Waren  diente,  mit  denen  jene  aus- 
wärtigen Waren  gekauft  wurden,  jährlich  verteilt  weiden. 
Der  größere  Teil  von  ihm  würde  die  Kapitalien  ersetzen, 
welche  in  Virginien,  Hindostan  und  China  angelegt  sind 
und  den  Einwohnern  dieser  fernen  Länder  Einnahmen 
und  Unterhalt  gegeben  hatten.  Wären  die  Kapitalien 
mithin  gleich  oder  nahezu  gleich,  so  würde  die  Anlage 
des  französischen  Kapitals  das  Einkommen  des  fran- 
zösischen Volkes  weit  mehr  vermehren,  als  diejenige 
des  englischen  Kapitals  das  Einkommen  des  englischen 
Volkes.  Frankreich  würde  in  diesem  Fall  einen  direkten 


Kap.  TIT.:  Tlc^chriinkuii^on  der  Wareiipinfulir.  Tl.  IT.      279 

Außenhandel  mit  England  treiben,  während  England 
einen  weitschweifigen  Handel  derselben  Art  mit  Frank- 
reich treiben  würde.  Die  verschiedenen  Wirkungen 
eines  im  direkten  und  eines  in  einem  weitschweifigen 
Außenhandel  angelegten  Kapitals  sind  bereits  ausführ- 
lich erörtert  worden. 

Es  gibt  wahrscheinlich  nirgends  zwischen  zwei 
Ländern  einen  Handel,  der  gänzlich  im  beiderseitigen 
Austausch  heimischer  Erzeugnisse,  oder  heimischer  Er- 
zeugnisse einerseits  und  fremder  Waren  andererseits, 
bestände.  Fast  alle  Länder  tauschen  miteinander  teils 
heimische,  teils  ausländische  Waren  aus.  Das  Land 
aber,  in  dessen  Ausfuhr  der  größte  Teil  von  heimischer 
Erzeugung  und  der  mindeste  fremdländischen  Ur- 
sprungs ist,  wird  stets  am  meisten  gewinnen. 

Wenn  England  die  jährlich  von  Frankreich  ein- 
geführten Waren  nicht  mit  Tabak  und  ostindischen 
Waren,  sondern  mit  Gold  und  Silber  bezahlte,  so  würde 
in  diesem  Fall  die  Bilanz  als  ungleich  gelten,  da  Waren 
nicht  mit  Waren,  sondern  mit  Gold  und  Silber  bezahlt 
würden.  Doch  auch  in  diesem  Fall,  wie  in  dem  vorher- 
gehenden, würde  der  Handel  den  Einwohnern  beider 
Länder  ein  Einkommen  verschaffen,  obwohl  denen 
Frankreichs  ein  größeres  als  denen  Englands.  Einiges 
Einkommen  würde  er  auch  denen  Englands  verschaffen. 
Das  Kapital,  das  in  der  Erzeugung  englischer  Waren, 
welche  dieses  Gold  und  Silber  ankauften,  angelegt  war; 
das  Kapital,  das  unter  gewisse  Einwohner  Englands 
verteilt  war  und  ihnen  ein  Einkommen  verschafft  hatte, 
würde  dadurch  ersetzt  sein  und  ihnen  die  Fortsetzung 
ihrer  Geschäfte  ermöglicht  haben.  Das  Gesamtkapital 
Englands  würde  durch  diese  Gold-  und  Silberausfuhr 
nicht  mehr  vermindert  worden,  als  durch  die  Ausfuhi' 
eines  gleichen  Betrags  an  anderen  Waren.  Im  Gegen- 
teil, in  den  meisten  Fällen  würde  es  vermehrt  worden. 


280     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Es  werden  keine  anderen  Waren  ins  Ausland  gesendet, 
als  für  die  eine  größere  Nachfrage  im  Auslande  als 
daheim  angenommen  wird  und  für  die,  der  Erwartung 
zufolge,  ein  größerer  Wert  zurückkommt,  als  ausgeführt 
wird.  Wenn  der  Tabak,  der  in  England  nur  £  100,000 
wert  ist.  in  Frankreich  Wein  kauft,  der  in  England 
£  110,000  wert  ist,  so  wird  der  Tausch  das  Kapital 
Englands  um  £  10,000  vermehren.  Ebenso  wenn 
£  100,000  englisches  Gold  französischen  Wein  kaufen, 
der  in  England  £  110,000  wert  ist,  wird  dieser  Tausch 
das  Kapital  Englands  gleichfalls  um  £  10,000  vermehren. 
Da  ein  Kaufmann,  der  für  £  110,000  Wein  in  seinem 
Keller  hat,  ein  reicherer  Mann  ist,  als  der,  welcher 
nur  für  £  100,000  Tabak  in  seinem  Speicher  hat,  so 
ist  er  gleicherweise  ein  reicherer  Mann,  als  der,  welcher 
nur  für  £  100,000  Gold  in  seiner  Kasse  hat.  Er  kann 
eine  größere  Menge  Fleiß  in  Bewegung  setzen  und 
einer  größeren  Menge  von  Leuten  Einkommen,  Unter- 
halt und  Beschäftigung  gewähren,  als  jeder  der  beiden 
anderen.  Aber  das  Kapital  des  Landes  ist  den  Kapi- 
talien aller  seiner  verschiedenen  Einwohner  gleich, 
und  die  Menge  des  Fleißes,  die  darin  jährlich  unter- 
halten werden  kann,  ist  derjenigen  gleich,  die  diese 
Kapitalien  insgesamt  zu  erhalten  vermögen.  Sowohl 
das  Kapital  des  Landes,  wie  die  Menge  des  Gewerb- 
fleißes, die  darin  jährlich  unterhalten  werden  kann, 
müssen  daher  in  der  liegel  durch  diese  Ausfuhr  ver- 
mehrt werden.  Allerdings  würde  es  vorteilhafter  für 
England  sein,  wenn  es  die  Weine  Frankreichs  mit 
seinen  Eisenwaren  und  Tuchen  kaufen  könnte,  als 
daß  es  sie  mit  dem  Tabak  Virgin iens  oder  mit  dem 
Gold  und  Silber  Brasiliens  und  Perus  kaufen  muß.  Ein 
direkter  Außenhandel  ist  stets  vorteilhafter  als  ein 
weitschweifiger;  aber  ein  weitschweifiger  Außenhandel, 
der  mit  Gold  und  Silber  betrieben  wird,  scheint  nicht 


Kap.  III.:  Beschränkungen  der  Wareneinfuhr.  Tl.  IT.     281 

weniger  vorteilhaft  zu  sein,  als  ein  gleich  weitschweifi- 
ger mit  anderen  Waren.  Auch  wird  ein  Land,  das 
keine  Minen  besitzt,  durch  seine  jährliche  Ausfuhr 
von  Gold  und  Silber  nicht  wahrscheinlicher  an  diesen 
Metallen  erschöpft,  als  ein  Land,  das  keinen  Tabak 
baut,  durch  die  gleiche  jährliche  Ausfuhr  dieser  Pflanze. 
Wie  ein  Land,  das  die  Mittel  hat,  Tabak  zu  kaufen, 
ihn  niemals  lange  entbehren  wird,  so  wird  auch  ein 
Land,  das  die  Mittel  hat,  Gold  und  Silber  zu  kaufen, 
niemals  lange  an  ihnen  Mangel  leiden. 

Das  Geschäft,  das  ein  Arbeiter  mit  dem  Bierhaus 
treibt,  sagt  man,  ist  ein  verlustbringendes  Geschäft;  und 
das  Geschäft,  das  ein  Industrievolk  mit  einem  Wein- 
lande treibt,  kann  als  ein  Geschäft  von  gleicher  Art 
betrachtet  werden.  Ich  antworte,  daß  das  Geschäft  mit 
dem  Bierhaus  nicht  notwendig  ein  verlustbringendes  ist. 
Seiner  eigenen  Natur  nach  ist  es  genau  so  vorteilhaft, 
wie  jedes  andere,  obwohl  viellleicht  eher  dem  Mißbrauch 
ausgesetzt.  Die  Beschäftigung  eines  Brauers,  und  selbst 
diejenige  eines  Branntweinschenkers,  sind  so  notwendige 
Arbeitsteilungen,  wie  irgend  eine.  Es  wird  im  All- 
gemeinen für  einen  Arbeiter  vorteilhafter  sein,  die 
Menge,  die  er  braucht,  vom  Brauer  zu  kaufen,  als  sie 
selbst  zu  brauen,  und  ist  er  arm,  so  wird  es  in  der 
Regel  vorteilhafter  für  ihn  sein,  seinen  Bedarf  im 
kleinen  von  dem  Detaillisten  zu  kaufen,  als  im  großen 
vom  Brauer.  Er  kann  unzweifelhaft  zuviel  von  beiden 
kaufen,  ebenso  wie  von  jedem  andern  Geschäftsmann  in 
seiner  Gegend,  vom  Fleischer,  wenn  er  ein  Schlemmer 
ist,  vom  Tuchhändler,  wenn  er  gerne  unter  seines- 
gleichen durch  seine  äußere  Erscheinung  glänzt.  Trotz- 
dom ist  es  für  die  große  Masse  der  Arbeiter  vorteil- 
hafter, daß  alle  diese  Geschäfte  frei  sind,  obwohl  diese 
Freiheit  in  allen  gemißbraucht  werden  kann  und  in 
einigen  vielleicht  mehr  gemißbraucht  wird,  als  in  andern. 


282     Viei'tes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Einzelne  können  zwar  ihr  Vermögen  durch  übermäßigen 
Verbrauch  geistiger  Getränke  zu  Grunde  richten ;  aber 
es  scheint  keine  Gefahr  zu  haben,  daß  eine  ganze  Nation 
OS  tun  werde.  In  jedem  Lande  gibt  es  eine  Menge 
Leute,  die  für  solche  Getränke  mehr  ausgeben,  als  sie 
dürften;  aber  die  allermeisten  werden  dafür  weniger 
ausgeben.  Es  verdient  auch  bemerkt  zu  werden,  daß, 
wenn  wir  die  Erfahrung  zu  Rate  ziehen,  die  Billigkeit 
des  Weins  eine  Ursache  nicht  der  Trunkenheit,  sondern 
der  Nüchternheit  zu  sein  scheint.  Die  Einwohner  der 
Weinländer  sind  in  der  Regel  die  nüchternsten  Leute 
in  Europa,  wie  die  Spanier,  Italiener  und  die  Einwohner 
der  südfranzösischen  Provinzen  beweisen.  In  ihr-er 
täglichen  Kost  sind  die  Leute  selten  unmäßig.  Niemand 
gibt  sich  die  Miene  der  Freigebigkeit  und  Gastfreiheit, 
wenn  er  von  einem  Getränke  reichlich  spendet,  das  so 
billig  ist  wie  Dünnbier-.  Im  Gegenteil,  in  den  Ländern, 
welche  entweder  wegen  zu  großer  Hitze  oder  Kälte 
keine  Trauben  hervorbringen  und  wo  der  Wein  mithin 
teuer  und  selten  ist,  ist  Trunkenheit  eirä  allgemeines 
Laster-,  wie  unter  den  nördlichen  Nationen  und  allen 
denen,  die  unter  den  Tropen  leben,  z.  B.  den  Negern 
an  der  Küste  Guineas.  Wenn  ein  französisches  Re- 
giment von  einer  der-  Nordprovinzen  Frankreichs  kommt, 
wo  der  Wein  ziemlich  teuer  ist,  und  in  den  Südprovinzen 
einquartiert  wir-d,  wo  er  sehr  billig  ist,  so  lassen  sich 
die  Soldaten,  wie  ich  oft  habe  bemerken  hören,  zuerst 
durch  die  Billigkeit  des  guten  AVeines  und  die  Neuheit 
der  Sache  verführen;  aber  nach  einem  mehrmonatlichen 
Aufenthalt  werden  die  meisten  von  ihnen  so  nüchtern, 
wie  die  anderen  Bewohner.  Wür-den  die  Zölle  auf 
fremde  Weine  und  die  Akzise  auf  Malz,  Bier  und  Ale 
plötzlich  beseitigt,  so  könnte  es  in  Großbritannien 
gleichfalls  vorkommen,  daß  das  Militär  und  die  unteren 
Klassen  des  Volks  ganz  allgemein  sich  zeitweilig  der 


Kap.  HI.:  Be.schriinkungen  der  Wareneinl'ulir.  'J'l,  IT.      283 

Trunkenheit  hingäben;  aber  vermutlich  würde  bald 
eine  dauernde  und  fast  allgemeine  Mäßigkeit  darauf 
folgen.  Gegenwärtig  ist  Trunkenheit  keineswegs  das 
Laster  der  vornehmeren  Leute  oder  derjenigen,  die  sich 
die  kostspieligsten  Getränke  leicht  anschaffen  können. 
Ein  von  Bier  trunkener  Edelmann  wird  kaum  jemals 
unter  uns  zu  sehen  sein.  Die  Beschränkungen  des  Wein- 
handels in  Großbritannien  scheinen  überdies  nicht  so- 
wohl darauf  berechnet,  die  Leute  zu  hindern,  wenn  ich 
so  sagen  soll,  ins  Bierhaus  zu  gehen,  als  dahin  zu  gehen, 
wo  sie  das  beste  und  billigste  Getränk  kaufen  können. 
Die  Einfuhr  portugiesischen  Weins  ist  begünstigt,  die- 
jenige französischen  Weins  erschwert.  Die  Portugiesen, 
sagt  man  allerdings,  sind  bessere  Kunden  für  unsre 
Fabrikanten,  als  die  Franzosen  und  müssen  dahei- 
einen  Vorzug  vor  ihnen  genießen.  Da  sie  unsre  Kunden 
sind,  meint  man,  müssen  wir  auch  die  ihrigen  sein. 
So  erhebt  man  die  kleinen  Kunstgriffe  der  Krämer 
zu  politischen  Grundsätzen  für  das  Verhalten  eines 
grollen  Reichs;  denn  nur  der  geringste  Krämer  macht 
sich  die  Beschäftigung  seiner  Kunden  zur  ßegel.  Ein 
großer  Kaufmann  kauft  seine  Waren  stets  da,  wo  sie 
am  billigsten  und  am  besten  sind,  ohne  Rücksicht 
auf  irgend  ein  Interesse  der  Art. 

Dui'ch  Grundsätze  wie  diese  jedoch,  sind  die  Na- 
tionen überredet  worden,  daß  ihr  Interesse  erheische, 
alle  ihre  Nachbarn  an  den  Bettelstab  zu  bringen.  Jedes 
Volk  soll  mit  neidischem  Auge  auf  die  Wohlfahrt  aller 
der  Völker,  mit  denen  es  Handel  treibt,  blicken  und 
ihren  Gewinn  als  seinen  eigenen  Verlust  betrachten. 
Der  Verkehr,  der  unter  Nationen  wie  unter  Individuen 
naturgemäß  ein  Band  der  Einigung  und  Freundschaft 
sein  sollte,  ist  die  fruchtbarste  Quelle  der  Zwietracht 
und  Feindschaft  geworden.  Der  launische  Ehrgeiz  von 
Königen  und  Ministem  ist  während  des  gegenwärtigen 


284     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

und  des  verflossenen  Jahrhunderts  der  Ruhe  nicht 
minder  verhängnisvoll  gewesen,  als  der  schamlose  Neid 
der  Kaufleute  und  Fabrikanten.  Die  Gewalttätigkeit 
und  Ungerechtigkeit  der  Beherrscher  des  Menschen- 
geschlechts ist  ein  altes  Übel,  gegen  das,  fürchte  ich, 
die  Natur  der  menschlichen  Dinge  kaum  eine  Abhülfe 
zuläßt.  Allein  die  niedrige  Habsucht  und  der  Monopol- 
geist der  Kaufleute  und  Fabrikanten,  die  niemals  die 
Beherrscher  der  Menschen  sind,  noch  sein  sollten, 
können  zwar  vielleicht  nicht  gebessert  werden,  aber 
sehr  leicht  ist  es  zu  verhindern,  daß  sie  die  Ruhe 
irgend  eines  anderen  Standes,  als  des  eigenen,  stören. 
Daß  es  der  Monopolgeist  war,  der  ursprünglich 
diese  Lehre  sowohl  ersann  wie  verbreitete,  ist  unzweifel- 
haft; und  die  Leute,  welche  sie  zuerst  lehrten,  waren 
keineswegs  solche  Toren,  wie  man  glauben  könnte.  In 
allen  Ländern  ist  es  und  muß  es  stets  das  Interesse 
der  großen  Masse  des  Volks  sein,  ihre  Bedürfnisse  von 
denen,  die  verkaufen,  so  billig  wie  möglich  zu  kaufen. 
Der  Satz  ist  so  einleuchtend,  daß  es  lächerlich  wäre, 
sich  die  Mühe  zu  geben  ihn  zu  beweisen;  auch  würde 
er  niemals  in  Frage  gestellt  worden  sein,  wenn  nicht 
die  interessierte  Sophistik  der  Kaufleute  und  Fabri- 
kanten den  gesunden  Menschenverstand  beirrt  hätte. 
Ihr  Interesse  ist  in  dieser  Beziehung  demjenigen  der 
großen  Masse  des  Volkes  genau  entgegengesetzt.  Wie 
es  das  Interesse  der  Zunftmeister  ist,  die  übrigen  Ein- 
wohner zu  verhindern,  andere  Leute  als  sie  selbst  zu 
beschäftigen,  so  ist  es  das  Interesse  der  Kaufleute  und 
Fabrikanten  eines  jeden  Landes,  sich  das  Monopol  des 
heimischen  Marktes  zu  sichern.  Daher  rühren  in  Groß- 
britannien und  in  den  meisten  anderen  europäischen 
Ländern  die  hohen  Zölle  auf  fast  alle  von  fremden 
Kaufleuten  eingeführte  Waren;  daher  die  hohen  Zölle 
und  Verbote  auf  alle  die  ausländischen  Fabrikate,  die 


Kap.  III.:  Beschränkungon  der  Wareneinfiihr.  Tl.  II.     285 

mit  den  eigenen  in  Wettbewerb  treten  können;  daher 
auch  die  außerordentlichen  Einschränkungen  auf  die 
Einfuhr  fast  aller  Sorten  von  Waren  aus  denjenigen 
Ländern,  mit  denen  die  Handelsbilanz  für  ungünstig 
gilt,  d.  h.  gegen  die  die  nationale  Feindseligkeit  am 
gewaltigsten  entflammt  ist. 

Der  Reichtum  einer  benachbarten  Nation  aber,  wie 
gefährlich  im  Krieg  und  in  der  Politik  er  sein  mag, 
ist  im  Handel  sicherlich  vorteilhaft.  In  einem  Zustande 
der  Feindseligkeit  kann  er  unsere  Feinde  in  den  Stand 
setzen,  den  unsrigen  überlegene  Flotten  und  Armeen 
zu  unterhalten ;  aber  in  einem  Stande  des  Friedens  und 
Verkehrs,  muß  er  sie  ebenso  befähigen,  mehr  Werte  mit 
uns  auszutauschen  und  den  direkten  Produkten  unsrer 
Industrie,  oder  was  mit  ihnen  gekauft  sein  mag,  einen 
besseren  Markt  darzubieten.  Wie  ein  reicher  Mann  wahr- 
scheinlich ein  besserer  Kunde  für  die  gewerbfleißigen 
Leute  in  seiner  Nachbarschaft  ist,  als  ein  armer,  so  ist 
es  gleicherweise  ein  reiches  Volk.  Ein  reicher  Mann, 
der  selbst  Fabrikant  ist,  ist  allerdings  ein  sehr  gefähr- 
licher Nachbar  für  alle  diejenigen,  welche  dasselbe  Ge- 
schäft treiben.  Allein  seine  übrigen  Nachbarn,  also  bei 
weitem  die  Mehrzahl,  gewinnen  durch  den  guten  Ab- 
satz, den  sein  Aufwand  ihnen  gewährt.  Sie  gewinnen 
selbst  dadurch,  daß  er  seine  ärmeren  Wettbewerber 
unterbietet.  Die  Fabrikanten  eines  reichen  Volkes 
können  auf  dieselbe  Art  unzweifelhaft  sehr  gefährliche 
Nebenbuhler  für  diejenigen  seiner  Nachbarn  sein.  Allein 
gerade  dieser  Wettbewerb  ist  für  die  große  Masse  des 
Volkes  vorteilhaft,  das  außerdem  durch  den  guten  Ab- 
satz, den  der  große  Aufwand  eines  solchen  Volkes  in 
jeder  anderen  Beziehung  darbietet,  erheblich  gewinnt. 
Privatleute,  die  ein  Vermögen  erwerben  wollen,  denken 
niemals  daran,  sich  in  entfernte  und  arme  Provinzen  dos 
Landes  zurückzuziehen,  sondern  gehen  entweder  in  die 


286      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Hauptstadt  oder  in  eine  der  großen  Handelsstädte.  Sie 
wissen,  daß,  wo  wenige  Kapitalien  umlaufen,  wenig  zu 
gewinnen  ist,  daß  hingegen,  wo  viele  in  Bewegung  sind, 
ein  Teil  davon  ihnen  zufallen  kann.  Dieselben  Grund- 
sätze, welche  auf  diese  Art  den  gesunden  Menschen- 
verstand von  einem  oder  zehn  oder  zwanzig  Individuen 
leiten,  müssen  auch  das  Urteil  von  einer  oder  zehn  oder 
zwanzig  Millionen  bestimmen  und  ein  ganzes  Volk  ver- 
anlassen, den  Reichtum  seiner  Nachbarn  als  eine  mut- 
maßliche Ursache  und  Gelegenheit,  für  sich  selbst  Reich- 
tum zu  erwerben,  anzusehen.  Ein  Volk,  das  sich  durch 
auswärtigen  Handel  bereichern  will,  wird  es  sicherlich 
am  wahrscheinlichsten  tun,  wenn  seine  Nachbarn  sämt- 
lich reiche,  gewerbfleißige  und  handeltreibende  Völker 
sind.  Ein  großes  Volk,  das  auf  allen  Seiten  von  no- 
madenhaften armen,  unzivilisierten  Völkerschaften  um- 
geben ist,  kann  ohne  Zweifei  durch  die  Kultur  seines 
Bodens  und  durch  seinen  inneren  Handel  Reichtum 
erwerben,  aber  nicht  durch  auswärtigen  Handel.  Es 
scheint,  daß  auf  diese  Art  die  alten  Egj^pter  und  in 
der  Neuzeit  die  Chinesen  ihren  großen  Reichtum  er- 
worben haben.  Die  alten  Eg^q^ter,  so  wird  behauptet, 
vernachlässigten  den  auswärtigen  Handel,  und  die  neu- 
eren Chinesen  blicken  auf  ihn  bekanntermaßen  mit  der 
äußersten  Verachtung  und  halten  ihn  kaum  des  leise- 
sten gesetzlichen  Schutzes  wert.  Die  neueren  Grund- 
sätze des  auswärtigen  Handels  haben  wegen  der  Nei- 
gung, alle  unsre  Nachbarn  arm  zu  machen,  soweit  sie 
diese  beabsichtigte  Wirkung  hervorbringen  können,  die 
Tendenz,  eben  diesen  Handel  unbedeutend  und  ver- 
ächtlich zu  machen. 

Es  geschah  infolge  dieser  Grundsätze,  daß  der 
Handel  zwischen  Frankreich  und  England  in  beiden 
Ländern  so  viel  Entmutigungen  und  Beschränkungen 
unteruoifen  ist.    Wenn  diese  beiden  Länder  jedoch  ihr 


Kap.  in.:  Besrhriinkuno-cn  der  Warcneinfiihr.  Tl.  II.      287 

wirkliches  Interesse  zu  Rate  zögen,  ohne  jede  Handels- 
eifersucht oder  nationale  Feindseligkeit,  so  könnte  der 
Handel  Frankreichs  für  Großbritannien  vorteilhafter 
werden  als  der  jedes  anderen  Landes,  und  aus  demselben 
Grund  der  Handel  Großbritanniens  für  Frankreich. 
Frankreich  ist  der  nächste  Nachbar  Großbritanniens. 
In  dem  Handel  zwischen  der  Südküste  Englands  und 
den  nördlichen  und  nordwestlichen  Küsten  Frankreichs 
können  die  Zahlungen,  ebenso  wie  im  Binnenhandel 
4,  5  oder  6mal  im  Jahr  erwartet  werden.  Das  in  diesem 
Handel  angelegte  Kapital  könnte  daher  in  jedem  der 
beiden  Länder  4,  5  oder  G  mal  soviel  Gewerbfleiß  in 
Bewegung  setzen  und  4,  5  oder  6  mal  soviel  Leuten 
Arbeit  und  LTnterhalt  verschaffen,  als  ein  gleiches  Ka- 
pital in  den  meisten  anderen  Zweigen  des  auswärtigen 
Handels.  Zwischen  den  entferntesten  Teilen  Frank- 
reichs und  Großbritanniens  könnten  die  Zahlungen 
mindestens  einmal  im  Jahr  erwartet  werden,  und  auch 
dieser  Handel  würde  demnach  mindestens  ebenso  vor- 
teilhaft sein,  wie  die  meisten  anderen  Zweige  unseres 
europäischen  Handels.  Er  würde  mindestens  dreimal 
so  vorteilhaft  sein,  als  der  berühmte  Handel  mit  unseren 
nordamerikanischen  Kolonien,  in  welchem  die  Eingänge 
selten  in  kürzeren  Zeiträumen  als  drei  Jahren,  oft  erst 
in  vier  oder  fünf  Jahren,  erfolgen.  Überdies  faßt 
Frankreich  ungefähr  24  Millionen  Einwohner,  während 
unsere  nordamerikanischen  Kolonien  kaum  mehr  als 
3  Millionen  haben  dürften;  und  Frankreich  ist  ein  viel 
reicheres  Land,  als  Nordamerika,  obwohl  dort  wegen 
der  ungleicheren  Verteilung  des  E-eichtams  mehr  Ar- 
mut und  Bettelei  herrscht,  als  im  anderen  Lande. 
Frankreich  könnte  deshalb  einen  mindestens  achtmal 
so  umfangreichen  und  wegen  der  großen  Häufigkeit 
der  Zahlungen  einen  24  mal  so  vorteilhaften  Markt  dar- 
bieten, als  der  ist,  den  unsere  nordamerikanischen  Ko- 


288     Viertes  Buch:  Die  Sj'steme  der  politischen  Ökonomie. 

lonien  jemals  darboten.  Der  Handel  mit  Großbritannien 
würde  für  Frankreich  genau  ebenso  vorteilhaft  sein 
und  dem  Reichtum  der  Bevölkerung  und  der  Nähe 
der  beiden  Länder  entsprechend  dieselbe  Überlegen- 
heit über  den  Handel  Frankreichs  mit  seinen  Kolonien 
besitzen.  Dies  ist  der  ungeheure  Unterschied  zwischen 
dem  Handel,  den  die  "Weisheit  beider  Nationen  ent- 
mutigen zu  müssen  glaubte  und  dem,  den  sie  am 
meisten  begünstigt  hat. 

Dieselben  Umstände  aber,  die  einen  offenen  und 
freien  Yerkehr  zwischen  den  beiden  Ländern  für  beide 
so  vorteilhaft  gemacht  haben  würden,  haben  diesem 
Handel  gerade  die  größten  Hindernisse  bereitet.  Da 
sie  Nachbarn  sind,  sind  sie  notwendig  Feinde,  und  der 
Reichtum  und  die  Macht  eines  jeden  wird  deswegen 
für  den  andern  desto  furchtbarer;  und  was  die  Vorteile 
nationaler  Freundschaft  vermehren  würde,  dient  nur 
dazu,  die  Heftigkeit  des  Nationalhasses  zu  entflammen. 
Beide  sind  reiche  und  gewerbsame  Nationen  und  die 
Kaufleute  und  Fabrikanten  einer  jeden  fürchten  die 
wetteifernde  Geschicklichkeit  und  Tätigkeit  der  andern. 
Die  Handelseifersucht  ist  erwacht  und  sie  nährt  den 
Nationalhaß  und  wird  wiederum  von  ihm  genährt. 
Und  die  Handeltreibenden  beider  Länder  behaupten 
mit  all  der  leidenschaftlichen  Anmaßung  interessierter 
Heuchelei  den  sicheren  Untergang  eines  jeden  infolge 
jener  ungünstigen  Handelsbilanz,  die,  wie  sie  be- 
haupten, die  unfehlbare  Wirkung  eines  ungehemmten 
Verkehrs  mit  dem  andern  sein  würde. 

Es  gibt -keinen  Handelsstaat  in  Europa,  dem  der 
herannahende  Ruin  von  den  Doctoren  dieses  Systems 
aus  einer  ungünstigen  Handelbilanz  nicht  oft  voraus- 
gesagt worden  wäre.  Nach  all  der  Angst  jedoch,  die 
sie  davor  erregt  haben,  nach  all  den  vergeblichen 
Versuchen  fast  aller  handeltreibenden  Nationen,  diese 


Kap.  TIT.:  Besohränkuno-en  der  "Wareneinfiilir.  Tl.  TT.     289 

Bilanz  zu  ihren  Gunsten  und  gegen  ihre  Nachbarn 
zu  wenden,  scheint  es  nicht,  daß  irgend  ein  Volk  in 
Europa  durch  diese  Ursache  in  irgend  einer  Beziehung 
verarmt  wäre.  Viehnehr  sind  alle  Städte  und  Länder 
in  dem  Verhältnis,  wie  sie  ihre  Häfen  allen  Nationen 
geöffnet  haben,  durch  diesen  freien  Handel,  statt  davon 
wie  nach  den  Satzungen  des  Handelss3'stems  hätte  er- 
wartet werden  müssen,  ruiniert  worden  zu  sein,  be- 
reichert worden.  Allerdings  gibt  es  in  Europa  einige 
wenige  Städte,  die  in  gewisser  Beziehung  den  Namen 
von  Freihäfen  verdienen,  aber  kein  Land,  das  ihn  ver- 
dient. Holland  nähert  sich  vielleicht  diesem  Charakter 
am  meisten,  obwohl  es  noch  sehr  entfernt  davon  ist, 
und  Holland  zieht  anerkanntermaßen  nicht  allein  seinen 
ganzen  Reichtum,  sondern  auch  die  meisten  seiner 
anderen  notwendigen  Unterhaltsmittel  aus  dem  aus- 
wärtigen Handel. 

In  der  Tat  gibt  es  eine  andere  bereits  erörterte, 
von  der  Handelsbilanz  sehr  verschiedene  Bilanz,  die,  "je 
nachdem  sie  günstig  oder  ungünstig  ist,  notwendig  die 
Blüte  oder  den  Verfall  eines  jeden  Volkes  veranlaßt. 
Dies  ist  die  Bilanz  der  jährlichen  Produktion  oder  Kon- 
sumtion. Wenn,  wie  bereits  bemerkt,  der  Tauschwert 
der  Jahreserzeugung  denjenigen  des  Verbrauchs  über- 
steigt, muß  das  Volkskapital  jährlich  im  Verhältnis  zu- 
nehmen. Das  Volk  lebt  in  diesem  Falle  von  seinem 
Einkommen,  und  was  es  jährlich  davon  erspart,  kommt 
natürlich  zu  seinem  Kapital  hinzu  und  wird  so  angelegt, 
daß  es  die  Jahresproduktion  auch  weiterhin  vermehrt. 
Wenn  der  Tauschwert  der  Jahresproduktion  hinter  dem 
der  Jahreskonsumtion  zurückbleibt,  so  muß  das  Volks- 
kapital jährlich  nach  Maßgabe  des  Defizits  abnehmen. 
Die  Ausgaben  des  Volks  überschreiten  in  diesem  Falle 
seine  Einnahmen,  und  es  greift  notwendig  sein  Kapital 
an.    Sein  Kapital,  und  zugleich  mit  ihm  der  Tauschwert 

Adam  Smith,  Volkswohlstand.  II.  1*J 


290     Viei'tos  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

des  Jahresprodukts  seines  Fleißes  muß  daher  notwendig 
abnehmen.  Diese  Bilanz  der  Erzeugung  und  des  Ver- 
brauchs ist  von  der  sogenannten  Handelsbilanz  durchaus 
verschieden.  Sie  könnte  auch  bei  einem  Volk,  das  keinen 
auswärtigen  Handel  hat,  sondern  von  aller  Welt  isoliert 
wäre,  platzgreifen.  Sie  kann  auf  dem  ganzen  Erdenrund 
platzgreifen,  dessen  Reichtum,  Bevölkerung  und  Kultur 
sowohl  allmählich  steigen,  wie  allmählich  sinken  kann. 
Die  Bilanz  der  Produktion  und  Konsumtion  kann 
beständig  zu  Gunsten  einer  Nation  sein,  wenn  auch 
die  Handelsbilanz  in  der  Regel  gegen  sie  ist.  Eine 
Nation  kann  vielleicht  ein  halbes  Jahrhundert  lang  mehr 
einführen  als  ausführen;  das  Gold  und  Silber,  das 
während  dieser  ganzen  Zeit  zu  ihr  kommt,  kann  sofort 
wieder  weggehen;  ihre  umlaufende  Münze  kann  all- 
mählich abnehmen  und  verschiedenes  Papiergeld  an 
deren  Stelle  treten,  und  selbst  die  Schulden,  die  sie 
bei  den  Völkern,  mit  denen  sie  hauptsächlich  Handel 
treibt,  eingeht,  können  allmählich  wachsen,  und  dennoch 
kann  ihr  wirklicher  Reichtum,  der  Tauschwert  des  jähr- 
lichen Produkts  ihres  Bodens  und  ihrer  Arbeit,  währ'end 
derselben  Periode  in  viel  größerem  Maße  wachsen.  Der 
Zustand  unserer  nordamerikanischen  Kolonien  und  der 
Handel,  den  sie  vor  Beginn  der  gegenwärtigen  Unruhen*) 
mit  Großbritannien  trieben,  können  zum  Beweis  dienen, 
daß  dies  keineswegs  eine  unmögliche  Annahme  ist. 


*)  Dies  wurde  im  Jahre  1775  geschrieben. 


Viertes    Kapitel. 
Über  Rückzölle. 

Kaufleute  und  Fabrikanten  begnügen  sich  nicht  mit 
dem  Monopol  des  heimischen  Marktes,  sondern  verlangen 
auch  den  ausgedehntesten  Absatz  im  Auslande  für  ihre 
Waren.  Ihr  Land  kann  fremden  Nationen  kein  Gesetz 
vorschreiben  und  kann  daher  selten  ihnen  dort  ein  Mo- 
nopol verschaffen.  Sie  sind  deshalb  in  der  Regel  ge- 
nötigt, sich  mit  Petitionen  um  gewisse  Begünstigungen 
der  Ausfuhr  zu  begnügen.  Von  diesen  Begünstigungen 
scheinen  die  sogenannten  Rückzölle  die  billigsten  zu 
sein.  Dem  Kaufmann  bei  der  Ausfuhr  die  ganze  Summe 
oder  einen  Teil  der  Verbrauchssteuern  oder  Binnenzölle, 
die  auf  heimische  Erzeugnisse  gelegt  sind,  zurückzu- 
erstatten, kann  niemals  die  Ausfuhr  einer  größeren 
Menge  von  Waren  zur  Folge  haben,  als  ausgeführt 
worden  wären,  wenn  keine  Steuer  darauf  bestände. 
Solche  Begünstigungen  haben  nicht  die  Tendenz,  in 
eine  bestimmte  Anlage  einen  größeren  Teil  des  Landes- 
kapitals zu  lenken,  als  was  von  selbst  hineingeflossen 
wäre,  sondern  kann  nur  den  Zoll  hindern,  einen  Teil 
dieses  Teils  nach  anderen  Anlagen  hinzutreiben.  Sie 
können  nicht  zur  Zerstfaung  des  Gleichgewichts  führen, 
das  sich  unter  allen  verschiedenen  Beschäftigungen  des 
Volkes  naturgemäß  herstellt,  sondern  nur  verliindern, 
daß  es  durch  den  Zoll  umgestoßen  werde.  Sie  können 
die  natürliche  Teilung    und  Verteilung   der  Arbeit  im 


292     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Volk,  die  aufrecht  zu  erhalten  in  den  meisten  Fällen 
vorteilhaft  ist,  nicht  zerstören,  sondern  nur  aufrecht 
erhalten. 

Ein  Gleiches  kann  von  den  ßückzöllen  auf  die 
Wiederausfuhr  eingeführter  fremder  Waren  gesagt 
werden,  Rückzölle,  die  in  Großbritannien  in  der  Regel 
beinahe  den  Einfuhrzoll  erreichen.  Nach  der  zweiten  der 
Bestimmungen,  die  der  Parlamentsakte,  die  die  jetzige  so- 
genannte alte  Subsidie  auflegte,  boigefügtsind,  hatte  jeder 
Kaufmann,  ob  Engländer  oder  Fremder,  den  Anspruch, 
die  Hälfte  des  Einfuhrzolles  bei  der  Ausfuhr  zurück- 
erstattet zu  erhalten;  der  englische  Kaufmann  unter  der 
Voraussetzung,  daß  sie  innerhalb  neun  Monaten  erfolge. 
Wein,  Korinthen  und  verarbeitete  Seide  waren  die  ein- 
zigen Artikel,  die  nicht  unter  diese  Bestimmung  fielen, 
sondern  andere  und  noch  höhere  Begünstigungen  ge- 
nossen. Die  durch  jene  Parlamentsakte  aufgelegten 
Zölle  waren  damals  die  einzigen  Einfuhrzölle.  Der 
Termin,  innerhalb  dessen  diese  und  alle  anderen  Rück- 
zölle reklamiert  werden  konnton,  wurde  späterhin  (Stat. 
7  Geo.  I.  eh.  21.  sect.  10)    auf  drei  Jahre  verlängert. 

Die  Zölle,  welche  seit  der  alten  Subsidie  aufgelegt 
worden  sind,  werden  bei  der  Ausfuhr  meist  vollständig 
zurückerstattet.  Diese  allgemeine  Bestimmung  unter- 
liegt jedoch  vielfachen  Ausnahmen  und  das  Kapitel  von 
den  Rückzöllen  ist  ein  viel  komplizierteres  geworden, 
als  es  bei  der  ersten  Einrichtung  gewesen  war. 

Bei  der  Ausfuhr  gewisser  ausländischer  Waren, 
von  denen  man  voraussetzte,  daß  die  Einfuhr  weit  über 
den  inländischen  Bedarf  hinausgehe,  wurde  der  volle 
Zoll  zurückerstattet,  ohne  daß  auch  nur  die  Hälfte  der 
alten  Subsidie  einbehalten  wurde.  Vor  der  Empörung 
unserer  nordamerikanischen  Kolonien  hatten  wir  das 
Tabakmonopol  in  Maryland  und  Virginien.  Wir  im- 
portierten  ungefähr  96000  Oxhoft   und  der  heimische 


Kap.  IV.:  Über  Rückzölle.  293 

Verbrauch  soll  14000  Oxhoft  nicht  überstiegen  haben. 
Zur  Beförderung  des  großen  Exports,  der  erforderlich 
war,  um  uns  von  dem  übrigen  zu  befreien,  wurden 
die  vollen  Zölle  zurückerstattet,  falls  die  Ausfuhr  inner- 
halb dreier  Jahre  erfolgte. 

Noch  jetzt  haben  wir,  obwohl  nicht  vollständig,  so 
doch  nahezu,  das  Zuckermonopol  unserer  westindisclien 
Inseln.  Deshalb  werden,  wenn  der  Zucker  innerhalb 
eines  Jahres  ausgeführt  wird,  alle  Einfuhrzölle  zurück- 
erstattet, und  wenn  er  innerhalb  dreier  Jahre  ausgeführt 
wird,  der  volle  Zoll  bis  auf  die  Hälfte  der  alten  Subsidie, 
die  noch  auf  die  Ausfuhr  der  meisten  Waren  einbe- 
lialten  wird.  Obwohl  die  Einfuhr  von  Zucker  den  in- 
ländischen Bedarf  erheblich  übersteigt,  so  ist  der  Über- 
schuß doch  im  Verhältnis  zu  dem  beim  Tabak  üb- 
lichen unbedeutend. 

Einige  die  Eifersucht  unserer  Fabrikanten  beson- 
ders erregende  Objekte  sind  einzuführen  verboten.  Nur 
für  den  Export  können  sie  gegen  gewisse  Zölle  einge- 
führt und  in  Niederlagen  untergebracht  werden.  Auf 
diese  werden  aber  beim  Export  keine  Zölle  rückver- 
gütet. Unsere  Fabrikanten,  scheint  es,  sehen  es  ungern, 
daß  auch  nur  diese  beschränkte  Einfuhr  gestattet  ist, 
und  fürchten,  ein  Teil  dieser  Waren  möchte  aus  den 
Niederlagen  gestohlen  werden  und  in  Wettbewerb  mit 
ihren  eigenen  treten.  Die  Waren,  die  unter  dieser  Be- 
schränkung eingeführt  werden  dürfen,  sind  Seiden- 
zeuge, französische  Cambrics  und  Linons,  gefärbte 
und  bedruckte  Baumwollenzeuge  usw. 

Wir  wollen  nicht  einmal  die  Frachtführer  fianzö- 
sischer  Waren  sein  und  uns  lieber  einen  Gewinn  ent- 
gehen lassen,  als  durch  unsere  Vermittelung  denen,  die 
wir  als  unsre  Feinde  ansehen,  einen  Gewinn  zufheßen 
lassen.  Auf  die  Ausfuhr  aller  französischen  Waren 
wird  nicht  nur  die  Hälfte  der  alten  Subsidie,  sondern 
auch  ein  Viertel  der  anderen  Hälfte  einbehalten. 


294     Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

Nach  der  vierten  der  der  alten  Subsidie  beigege- 
benen Bestimmungen  belief  sich  der  ßückzoll  auf  die 
Ausfuhr  aller  Weine  auf  weit  mehr-  als  die  Hälfte  des 
Zolls,  der  zur  Zeit  auf  ihre  Einfuhr  gelegt  war;  und 
es  scheint  damals  der  Zweck  der  Gesetzgebung  ge- 
wesen zu  sein,  den  Zwischenhandel  in  Wein  etwas 
mehr  zu  begünstigen.  Auch  verschiedene  andere  Ab- 
gaben, die  entweder  damals  oder  später  als  die  alte 
Subsidie  eingeführt  wurden  :  der  sogenannte  Zuschlags- 
zoll,  die  neue  Subsidie,  die  Eindrittel-  und  Zweidrittel- 
subsidie,  der  Impost  von  1692,  der  Weinstempel, 
wurden  bei  der  Ausfuhr  zurückgegeben.  Da  indessen 
alle  diese  Abgaben,  mit  Ausnahme  des  Zuschlagszolls 
und  des  Imposts  von  1692  bei  der  Einfuhr  in  barem 
Gelde  bezahlt  wurden,  so  ging  bei  einer  so  großen 
Summe  so  viel  an  Zinsen  verloren,  daß  man  vernünfti- 
gerweise auf  keinen  vorteilhaften  Zwischenhandel  in 
diesen  Artikeln  rechnen  konnte.  Es  wurde  also  nur  ein 
Teil  des  sogenannten  Weinimposts,  und  von  den  £  25 
Zoll  auf  eine  Schiffstonne  französischen  Wein,  oder  von 
den  in  den  Jahren  1745,  1763  und  1778  eingeführten 
Auflagen  gar  nichts  bei  der  Ausfuhr  zurückgegeben. 
Die  zwei  Imj)Oste  zu  5%,  um  die  1779  und  1781  alle 
früheren  Zölle  erhöht  wurden,  werden  bei  allen  übrigen 
ausgeführton  Waren,  mithin  auch  beim  Wein  zurück- 
gegeben. Die  neueste  Abgabe,  welche  namentlich  auf 
den  Wein  gelegt  ist,  die  vom  Jahre  1780,  wird  voll 
zurückbezahlt,  —  eine  Vergünstigung  die  wohl  niemals 
die  Ausfuhr  von  nur  einer  einzigen  Tonne  Wein  ver- 
anlassen wird,  solange  man  so  viele  andere  schwere 
Abgaben  einbehält.  Diese  Bestimmungen  galten  für 
alle  Plätze,  wohin  die  Ausfuhr  erlaubt  ist,  außer  nach 
den  biitischen  Kolonien  in  Amerika. 

Die  siebente  Akte  vom  fünfzehnten  Regierungs- 
jahre Karls  II.  unter  dem  Titel :  „Akte  zur  Begünstigung 


Kap.   l\.:  Über  KiickzöUe.  295 

des  Handels",  hatte  Großbritannien  das  Monopol  er- 
teilt, die  Kolonien  mit  allen  Produkten  und  Fabrikaten 
Europas  zu  versorgen  und  folglich  auch  mit  Weinen. 
In  einem  Lande  mit  so  ausgedehnter  Küste,  wie  unsere 
nordamerikanischen  und  westindischen  Kolonien,  wo 
unsere  Gewalt  stets  so  schwach  und  den  Einwohnern 
gestattet  war,  gewisse  Waren  in  eigenen  Schiffen  nach 
allen  Teilen  Europas  und  später  wenigstens  nach  allen 
Teilen  Europas  südlich  vom  Cap  Finisterre  zu  schaffen, 
ist  es  nicht  sehr  wahrscheinlich,  daß  dieses  Monopol 
jemals  volle  Wirkung  erlangen  konnte,  und  sie  fanden 
wahrscheinlich  jederzeit  Mittel,  aus  den  Ländern,  nach 
denen  sie  Waren  bringen  durften,  Ladung  zurückzu- 
nehmen. Doch  scheint  es  ihnen  Schwierigkeiten  ge- 
macht zu  haben,  Weine  aus  den  Erzeugungsländern 
einzuführen;  und  von  Großbritannien,  wo  sie  mit  vielen 
schweren  Zöllen  belastet  waren,  von  denen  ein  erheb- 
licher Teil  bei  der  Ausfuhr  nicht  rückvergütet  wurde, 
konnten  sie  sie  nicht  wohl  einführen.  Madeirawein,  der 
keine  europäische  Ware  ist,  konnte  direkt  nach  Amerika 
und  den  westindischen  Inseln  importiert  werden,  da 
der  Handel  mit  der  Insel  Madeira  in  allen  nicht  aus- 
drücklich verbotenen  Waren  frei  war.  Dieser  Umstand 
hatte  wahrscheinlich  jene  allgemeine  Vorliebe  für  Ma- 
deirawein veranlaßt,  die  unsere  Offiziere  beim  Beginn 
des  Krieges  1755  in  allen  unseren  Kolonien  vorfanden 
uad  die  sie  nach  dem  Mutterlande  zurückbrachten,  wo 
jener  Wein  zuvor  nie  viel  begehrt  gewesen  war.  Am 
Schlüsse  dieses  Krieges  1763  wurde  (duich  die  fünf- 
zehnte Akte  Sekt.  12  vom  4.  Jahre  Georgs  III.)  die 
Rückvergütung  aller  Zölle  bis  auf  £  3  10  sh.  bei  der 
Ausfuhr  von  Weinen  nach  den  Kolonien,  mit  allei- 
niger Ausnahme  der  französischen  Weine,  deren  Ver- 
trieb und  Verbrauch  der  Nationalhal3  auf  keine  Weise 
begünstigen    wollte,    nachgegeben.     Die    Periode    von 


296      Viertes  Buch:  Die  Systeme  der  politischen  Ökonomie. 

der  Erteilung  dieser  Begünstigung  bis  zur  Empörung 
unserer  nordamerikanischen  Kolonien  war  wohl  zu 
kurz,  um  in  den  Gewohnheiten  dieser  Länder  eine  er- 
hebliche Veränderung  zu  veranlassen. 

Dieselbe  Akte,  welche  hinsichtlich  des  Rückzolls 
von  Wein,  mit  Ausschluß  des  französischen,  die  Ko- 
lonien vor  anderen  Ländern  so  sehr  begünstigte,  be- 
günstigte sie  um  so  weniger  hinsichtlich  der  Rück- 
zölle auf  die  meisten  anderen  Waren.  Auf  die  Aus- 
fuhr der  meisten  Waren  nach  anderen  Ländern  wurde 
die  Hälfte  der  alten  Subsidie  zurückvergütet.  Aber 
dieses  Gesetz  verordnete,  daß  auf  die  Ausfuhr  aller 
europäischen  oder  ostindischen  Produkte  oder  Fabri- 
kate, mit  Ausnahme  der  Weine,  weißen  Kalikos  und 
Mousselins,  kein  Zoll  zurückvergütet  werden  solle. 

Die  Rückzölle  wurden  ursprünglich  vielleicht  be- 
hufs Förderung  des  Zwischenhandels  bewilligt,  der, 
da  die  Schiffsfracht  von  den  Ausländern  häufig  in 
Geld  bezahlt  wird,  als  ein  Mittel  betrachtet  wurde, 
Gold  und  Silber  ins  Land  zu  bringen.  Wenn  nun 
auch  der  Zwischenhandel  sicherlich  keiner  besonderen 
Beförderung  bedarf  und  der  Beweggrund  der  Ein- 
richtung vielleicht  töricht  genug  war,  so  scheint  die 
Einrichtung  selbst  doch  billig  zu  sein.  Solche  Rück- 
zöllo  können  keinen  größeren  Teil  des  Landeskapitals 
in  dieses  Gewerbe  drängen,  als  von  selbst  hineinge- 
gangen wäre,  wenn  es  keine  Einfuhrzölle  gegeben  hätte. 
Sie  verhindern  nur,  daß  das  Geschäft  durch  diese  Zölle 
gänzlich  ausgeschlossen  wird.  Der  Zwischenhandel 
sollte  aber,  obwohl  er  keine  Bevorzugung  verdient, 
nicht  ausgeschlossen,  sondern  gleich  allen  anderen 
Gewerben  frei  sein.  Er  ist  eine  notwendige  Hilfs- 
quelle für  diejenigen  Kapitalien,  die  weder  in  der 
Landwirtschaft  noch  in  der  Industrie  des  Landes,  noch 
in  seinem  Binnenhandel,   oder   in  seinem  auswärtigen 


Kap.  IV.:  Über  Rückzullo.  297 

Handel  zum  einheimischen  Verbrauch  Beschäftigung 
finden  können. 

Die  Zolleinnahmen  leiden  nicht,  sondern  gewinnen 
durch  solche  Rückzölle  durch  den  Teil  des  Zolls,  der 
einbehalten  wird.  Würden  die  vollen  Zölle  einbehalten, 
so  könnten  die  freunden  Waren,  auf  die  sie  bezahlt 
wurden,  selten  ausgeführt  und  folglich  auch  wegen 
Mangel  an  Absatz  nicht  eingeführt  werden.  Die  Zölle, 
von  denen  ein  Teil  einbehalten  wird,  würden  mithin 
überhaupt  nicht  bezahlt  worden  sein. 

Diese  Gründe  scheinen  die  Rückzölle  hinreichend 
zu  rechtfertigen  und  würden  sie  rechtfertigen,  wenn 
auch  die  vollen  Zölle,  sei  es  auf  die  Produkte  der  hei- 
mischen Industrie  oder  auf  fremde  Waren,  bei  der  Aus- 
fuhr stets  rückvergütet  würden.  Die  Akziseeinnahmen 
würden  allerdings  in  diesem  Falle  ein  wenig  leiden 
und  die  Zolleinnahmen  sehr  viel  mehr;  aber  die  na- 
türliche Bilanz  des  Gewerbfleißes,  die  natürliche  Teilung 
und  Verteilung  der  Arbeit,  welche  durch  solche  Zölle 
stets  mehr  oder  weniger  gestört  ist,  würden  durch  eine 
derartige  Maßnahme  in  etwas  wieder  hergestellt  werden. 

Diese  Gründe  rechtfertigen  indessen  die  Rückzölle 
nur  auf  den  Warenexport  nach  den  völlig  unabhängigen 
Ländern,  nicht  nach  denen,  wo  unsere  Kaufleute  und 
Fabrikanten  ein  Monopol  haben.  Ein  Rückzoll  z.  B. 
auf  die  Ausfuhr  europäischer  Waren  nach  unseren  ameri- 
kanischen Kolonien  wird  nicht  immer  eine  größere  Aus- 
fuhr veranlassen,  als  ohne  ihn  eingetreten  wäre.  In 
Folge  des  Monopols,  das  unsere  Kaufleute  und  Fabri- 
kanten dort  gemessen,  könnte  oft  vielleicht  dieselbe 
Menge  dorthin  gesendet  werden,  wenn  auch  die  vollen 
Zölle  einbehalten  würden.  Der  Rückzoll  kann  daher 
oft  für  die  Akzise-  und  Zolleinnahmen  ein  reiner  Ver- 
lust sein,  ohne  den  Handel  zu  berühren,  oder  irgend- 
wie auszudehnen.     Wieweit   solche  Rückzölle   als   ein 


298     Viertes  Buch;  Die  S^'steme  der  politischen  Ökonomie. 

Förderungsmittel  für  den  Gewerbfleiß  unserer  Kolonien 
zu  rechtfertigen  sind,  oder  wieweit  es  für  das  Mutter- 
land vorteilhaft  ist,  die  Kolonien  von  den  Steuern  zu 
befreien,  die  von  allen  übrigen  Untertanen  bezahlt 
werden,  wird  sich  nachher  ergeben,  wenn  ich  auf  das 
Kapitel  der  Kolonien  zu  reden  komme. 

Rückzölle  sind  indessen,  wie  stets  festzuhalten  ist, 
nur  in  den  Fällen  nützlich,  in  denen  die  Waren  zum 
Export,  von  denen  man  sie  erhebt,  wirklich  nach  dem 
Auslande  ausgeführt,  und  nicht  heimlich  in  unser 
eigenes  Land  zurückgebracht  werden.  Daß  manche 
Rückzölle,  namentlich  die  auf  Tabak,  oft  auf  diese  Art 
mißbraucht  worden  sind  und  zu  vielen,  die  Einnahmen 
ebenso  wie  den  ehrlichen  Geschäftsmann  schädigenden, 
Unterschleifen  Veranlassungen  gegeben  haben,  ist  wohl- 
bekannt. 


VERLAGS-  UND  PARTIE-ARTIKEL 

von 

R.  L  PRAGER 

Spezialgeschäft  für  Rechts-  u.  Staatswissenschaften  u.  Geschichte 

in 

BERLIN 

1872—1906. 


Berlin,  NW.  7 

No.  21,  Mittelstrasse  (zwischen  Friedrich-  und  Neustiidt.  Kirchstr.) 


1907. 


Die  Firma  R.  L.  Prager  wurde  als  Antiquariat  und  Sortiment  be- 
gründet zu  Berlin  am  1.  April  1872  von  Robert  Ludwig  Prager,  welcher 
noch  heute  Besitzer  der  Firma  ist.  Prokurist  ist  Paul  Schulz.  Anfänglich 
als  gemischtes  Geschäft  geführt,  ist  der  von  Anfang  an  mit  Liebe  gepflegten 
Spezialität : 

„Rechts-  und  Staatswissenschaften  und  Geschichte" 

in  Sortiment,  Antiquariat  und  Verlag  nunmehr  weitaus  der  Hauptteil  der 
Geschäftstätigkeit  gewidmet.  Der  Verlag  gehört  ausschliesslich  dieser  Rich- 
tung an  und  wird  gebildet  aus  teils  selbst  gedruckten,  teils  in  Restauflage 
oder  in  Partien  übernommenen  Werken. 

Der  Drucklegung  von  Dissertationen,  kleineren  Abhandlungen  und 
grösseren  Werken  für  Rechnung  der  Verfasser  sowie  deren  Vertrieb  im 
Buchhandel  wird  besondere  Sorgfalt  zugewandt. 

Das  Antiquarlager  umfasst  mehr"  als  200,000  Bände  und  sind  darüber 
bis  Ende  1906  173  Kataloge  veröffentlicht  worden,  ausserdem  gibt  die 
Firma  seit  1886  vierteljährlich  einen 

„Bericht  über  Neue  Erscheinungen  und  Äntiquaria 

aus  dem  Gesamtgebiete  der 

Rechts-  und  Staatswissenschaften" 

Preis  jährlich  postfrei  M  1,— 
heraus,   welcher  neben   Personalnachrichten    und  Totenschau,  Mitteilungen 
über  künftig  erscheinende  Bücher  und  Antiquarkataloge,  die  Neuen  Erschei- 
nungen des  betreffenden  Vierteljahres  in  sämtlichen  Kultursprachen  verzeichnet. 
Von  grösseren  Lagerkatalogen  sei  des  letzten,  unter  dem  Titel: 

„Bibliotheca  juridico-oeconomico-politica" 

erschienenen  gedacht,  welcher  auf  618  Seiten  beinahe  20,000  Werke  in 
wissenschaftlicher  Anordnung  verzeichnet  (Preis  M  6, — )  und  ein  wertvolles 
Repertorium  der  einschlägigen  Wissenschaften  bildet,  sowie  der  augen- 
blicklich vergriffenen 

„CoUectio  plusquam  4000  dissertationum" 

(Preis  M  1,—)  welche  den  Bestand  des  Lagers  -an  rechtswissenschaftlichen 
Dissertationen,  Programmen  etc.  vom  16.  Jahrh.  bis  zur  neuesten  Zeit  zur 
Kenntnis  des  gelehrten  Publikums  bringt. 

An  Auktionen  wurden  im  Laufe  der  Zeit  sieben  abgehalten. 

Die  Geschäftsräume  befanden  sich  vom  1.  April  1872  bis  31.  März 
1877  Linienstrasse  138;  vom  1.  April  1877  bis  30.  Sept.  1881  Charlottenstr. 
19;  vom  1.  Oct.  1881  bis  30.  Sept.  1890  Universitätstrasse  5;  vom  1.  Oct. 
1890  an  befinden  sie  sich  Mittelstrasse  21  im  eigenen  Hause. 

Kommissionär  in  Leipzig:  Carl  Fr.  Fleischer.  Bankverbindung:  Deutsche 
Bank  in  Berlin,  Dep.-Kasse  A.  Fernspreclier:  Amt  I  No.  7369.  Telegramm- 
adresse: Prager  Mittelstrasse  Berlin, 


M.  Pf. 

Adickes,  Fr.  Zur  Lehre  von  den  Rechtsquellen,  insbes.  üb.  d.  Vernunft  u. 
d.  Natur  d.  Sache  als  Rechtsquellen  u.  über  das  Gewohnheitsrecht.  (XII, 
81  SS.)  gr.  8.  Cass.  1872.  (M  2)  1  — 

Alexi,  S.  John  Law  und  sein  System.  Ein  Beitrag  zur  Finanz-  u.  Münz- 
geschichte   (VII,  67  SS.  m.  2  Tfln.  Abb.  u.  3  Tabb.)   8.  1885.  5  - 

Antiqua,  Die  westgoth.,  od.  das  Gesetzbuch  Reccareds.  Brachst,  e.  Par. 
Palimps.,  hrsg.  v.  F.  Blume.  (XXIV,  47  SS.)  8.  Halle  1847.  -  80 

Arnold,  W.  Verfassungsgesch.  d.  deutschen  Freistädte.  2  Bde.  (XL,  444  SS.; 
XVI,  502  SS.)  8.  Hamb.  1854.  |M  16)  8  — 

Barbovescu,  Jon.  Geschichte  d.  röm.  Prov.  Dacien.  (35  SS.)  gr.  8.  1885.  —  80 

—  Die  Basch-Araba  u.  d.  Anfänge  d.  romän.  Staates.  Zugl.  e.  Beitrag  z. 
Gesch.  d.  Dtschn.  in  Siebenbürgen    (V,  41  SS.)  gr.  8.  1892.  1  20 

—  Der  autonome  Zoll-Tarif  von  Rumänien  vom  17./29.  Mai  1886  nebst  den 
Conventional-Tarifsätzen  sowie  e.  Uebersicht  der  Veränderungen,  welche 
durch  den  Ablauf  des  Rumän.-Oesterr.  Handelsvertrages  vom  22.  Juni 
1875  hervorgerufen  sind,  zusammengestellt.  (68  S    Tab.)  4.  1886.        2  — 

Basch,  J.  Wirthschaftliche  Weltlage.  Börse  und  Geldmarkt.  Für  die  Jahre 
1891-1901.  (2.-12.  Folge.)  8.  1892-1902.  ä  1  — 

Die  erste  Folge  erschien  bei  Leonhard  Simion  in  Berlin. 

Baumstark,  E.  15  Jahre  Gründung  der  Staats-  u.  landw.  Acad.  Eldena. 
(82  SS.)  8.  Gr.  1860.  -  60 

—  Zur  Gesch.  d.  arbeit.  Klasse.  (54  SS.)  8.  Gr.  1853. '  —  60 
Beiträge  zur  mittelalterlichen  Rechtsgeschichte.   Hrsg.  v.  G.  Pescatore, 

Hft.  1:    Incerti  auctoris  summa  de  success.  Eine  syst.  Darstellung  d.  Erb- 
rechts a.  d.  alt.  Glossatorenzeit.  {X,  37  SS.)  gr.  8.  1889.  1  60 
„    la:    Canis,  J.  i.    De   modo  studendi  in  jure  libellus.    N.    d.   Ed.   princ. 
V.  J.  1476.  Hrsg.  v.  G.  Pescatore.  (58  SS.)  gr.  8.  1889.            2  — 
„       2:    Miscellen.  (No.  1-13.)  (VI,  122  SS.)  gr.  8.  1889.                         3  — 
„      3:   Thomae   Diplovatatii    Opus    de   praestantia   doctorum.    Erste  Abth.: 
Prooemium.  Justinianus.  Isidorus  Hispalensis.  Accursius.  (48  u. 
184  SS.)  gr.  8.  1890.  7  — 
Bericht  über  neue  Erscheinungen  und  Antiquaria  aus  dem  Gesamt- 
gebiete der  Rechts-  und  Staatswissenschaften.  4  Nos.  jährlich.  Jahrg. 
1-XXI.  1886-1906.  (ä  4  Nos.,  jede  3  Bg.)  gr.  8. 

Preis  postfrei  der  Jahrgang  1  — 
Inhalt:   Personal nachrichten.    Nachrichten  über  künftig  erscheinende 
Bücher.  Kataloge.  Neue  Erscheinungen.  Antiquaria.  Anzeigen. 
Berlinisches  Stadtbuch   aus  dem  Ende  des  XIV.  Jahrh.   Neue  Ausg.   ver- 
anstaltet V.  d.  Stadt.  Behörden  Berlins.  Mit  2  färb.  Bildern  u.  3  Schrift- 
proben. (XLIX,  303  SS.)  gr.  8.  1883.  (M  12)  4  — 
Bernhard,  M.    Die   Holzindustrie  in  der  Grafschaft  Glatz.   (VIII,  144  SS.) 
gr.  8.  1906.  2  — 
Bibliotheca  juridico-oeconomico-politica.  Verz.  e.  Sammlung  v.  Werken 
aus  d.  Ges. -Geb.  d.  Rechts-  u.  Staatswiss.  Zusgest.  v.  R.  L.  Prager.  (VI, 
618  SS.)  gr.  8.  1895.  Lwd.  Auf  starkem  Papier.  6  — 
Herr  Professor  Dr.  K.  Schulz,  Bibliothekar  am  Reichsgericht,  behandelt 
in  dem  Juristischen  Literaturblatt  1896  No.  2  die  „Bibliotheca"  und  den 
„Bericht"  in  einem  längeren  Aufsatze,  in  dem  es  u.  A    heisst: 

„Unendliche  Mühe  und  Arbeit  steckt  in  diesen  Verzeichnissen  und 
„in  dem  seit  1886  vierteljährlich  erscheinenden  Bericht.  Bibliotheken 
„und  Bücherkäufer   haben    an   einem  blühenden  Antiquarhandel  ein 


4  Verlags-  und  Partie-Artikel 

M.  Pf. 
„grosses  Interesse.  Aus  diesem  Grunde  möchte  ich  „Bibliotheca"  und 
„„Böricht",    erstere  als  ein  nützliches  Handbuch   für  jede  juristische 
„Bibliothek,    letzteren  als    eine    zweckmässige   Uebersicht    neuer  Er- 
„scheinungen  und  neuer  antiquarischer  Erwerbungen,  welche  die  Biblio- 
„theca  dauernd  ergänzt,  der  Aufmerksamkeit  der  Juristen  empfehlen." 
Bibliotheca  juridica  et  oeconomico-politica.  Verzeichniss  ein.  Sammlung 
V.  Werken  a.  d.  üesammtgeb.  d.  Rechts-  u.  Staatswiss.  Vorr.  a.  d.  Lager 
V.  R.  L.  Prager  in  Berlin.  (406  SS.)  8.  1886.  Gart.  2  — 

Bibliothek  der  Volkswirtschaftslehre  und  Gesellschaftswissenschaft.    Be- 
gründet von  F.  Stöpel.  Fortgeführt  von  R.  Prager. 

Von  dieser  Bibliothek,  welche  sich  zum  Ziel  gesetzt  hat,   die  hervor- 
ragendsten Werke   der  nationalökonomischen  und    sozialen   Schriftsteller  aller 
Nationen  in  billigen   und  schönen  Ausgaben  und  in  guten  Uebersetzungen    zu 
veröffentlichen,  sind  bisher  die  folgenden  Bände  erschienen: 
Bd.  I.    Carey,  H-  C    Die  Einheit  des   Gesetzes,    nachgewiesen  in  den   Be- 
ziehungen der  Natur-,  Sozial-,  Geistes-  u.  Moralwiss.    Nach  d.  amerik, 
Orig.  v.  F.  Stöpel.  (XX,  434  S.)  8.  1878.  br.  M  5;  eleg.  Halbfrzbd.  6  - 
Bd.  II.  Malthus,  T.  R.  Versuch  über  das  Bevölkerungsgesetz.  Nach  d.  7.  Ausg. 
d.  engl.  Orig.  übers,  v.  F.  Stöpel.  2.  Aufl.,   durchges.  und  verb.  v.  R. 
Prager.  (XVI,  866  S.)  8.  1900.  br.  M  10;  eleg.  Halbfrzbd.  11  25 

„Die  1879  zuerst  erschienene  Uebersetzung-  Stöpels  ist  die  einzige  deutsche,  die 
den  definitiven  Text  des  klassischen  englischen  Werkes  enthält.  Es  ist  deshalb  mit 
Dank  zu  begrüssen,  dass  nach  dem  Tode  Stöpels  diese  Ausgabe  nicht  Tom  Bücher- 
markte verschwunden  ist,  sondern  von  anderer  Hand  in  verbesserter  Form  dem 
Publikum  von  Xcuem  vorgelegt  wird."  (DLitKtg.  1900,  Xo.  39.) 

Bd.  III— VI.  Smith,  Adam.  Untersuchung  über  das  Wesen  und  die  Ursachen 
des  Volkswohlstandes.  Deutsch  v.  F.  Stöpel.  2te  Aufl.  durchgesehen  und 
verbessert  von  Robert  Prager.  4  Bde.  (1263  S  )  8.  1905-07. 

br.  M  7;  in  eleg.  Halbfrzbdn.  9  — 

„Zu  dem  Vorzuge  der  Slöpelsehen  Uebertragung  gehört  eine  gewisse  Schlichtheit 
in  der  Austlrucksweise,  wobei  mehr  auf  die  richtige  "Wiedergabe  des  Textes  als  auf 
glatte  Darstellung  hingezielt  wird." 

(A.  Oncken-Bem  in  den  krit.  Blättern  f.  d.  gcs.  Soziahviss.  April  1905.) 

Bd.  VII.   Smith,  E.  Peshine.  Handbuch  der  politischen  Oekonomie.  Nach  d. 

amerik.  Orig.  v.  F.  Stöpel.  (XVI,  398  S.)  8.  1878. 

br.  M  5;  eleg.  Halbfrzbd.  6  — 
Bd.  VIII.  Blanc,  Louis.  Organisation  der  Arbeit.  Nach  der  9.,  umgearb.  u. 

durch  ein  Kap.  vermehrten  Ausg.   des  -Orig.  übers,  v.  Rob.  Prager. 

(X,  332  S.)  8.  1899.  br.  M  5;  in  eleg.  Hfz.  6  — 

Bd.  IX.  X.  Sismondi,  J.  C  L.  Simonde  de.  Neue  Grundsätze  der  politischen 

Oekonomie.   Nach  d.  2.  Ausg.  (1827)  übers,  v.  Rob.  Prager.  In  2  Bdn. 

(XXVIII,  359  S.  u.  VI,  369  S.)  8.  1901-2.  br.  M  10;  eleg.  Hfrzbd.  12  — 

„^Tevie  Grundsätze  Sismondis  .  .  „dass  diese  auch  heute  noch  von  Interesse  sind 
..und  dass  wir  uns  freuen,  sie  in  einer  neuen  gut  verdeutschten  Ausgabe  begi'üssen 
;,zu  können."  —  (Litt.  Mitt.  d.  Annalen  d.  DR.  1901,  7.)  ■  _     . 

„Die  Arbeit  ist  die  einzige  Quelle  des  Reichturas,  die  Sparsamkeit  das  einzige 
„Mittel,  ihn  zu  bewahren.  Aber  Reichtum  ist  nicht  Selbstzweck,  der  einzige  Zweck- 
„seiner  Anhäufung  ist  der  Genuss.  Ein  AVachsen  des  Xationalreichtums  ohne  gleich- 
„zeitiges  Wachsen  der  nationalen  Genüsse  ist  ein  nationales  Uebel.  Darum  kein  laisser 
„aUer  laisser  faü-e,  keine  zügellose  Concuireuz.  Der  Staat  hat  zu  intervenieren.  Er 
„muss  die  Entwicklung  des  Reichtums  und  seine  gerechte  Verteilung  überwachen,  die 
„Schwachen  und  Armen  durch  Fürsorge  im  Fall  von  Ivrankhcit  und  Altersschwäche 
„schützen  gegen  die  Starken  und  Reichen,  er  muss  neben  die  egoistische  Berechnung 
„des  Einzelnen,  die  nur  auf  Vermehrung  der  Produkte  gerichtet,  eine  das  Gemeinwohl 
„berücksichtigende  Berechnung  treten  lassen,  die  die  Vcrmehiimg  der  Genüsse  und 
„des  "Wohlbefindens  Aller  verfolgt.  So  den  ethischen  Charakter  der  Volkswirtschafts- 
„lehre  betonend,  erscheint  Sismondi,  der  in  seinen  früheren  "Werken  noch  vollständig 
„auf  dem  Standpunkt  der  Adam  Smithschen  Lehre  steht,  in  seineu  Nouveaux  principes 
„in  entschiedenem  Gegensatz  zu  Smith.  Ebenso  aber  auch  zu  den  SociaUsten.  Gleich- 
„sam  ein  Vorgänger  der  sogenannten  Katliedcrsocialistcn  hält  er  an  der  Grundlage 
„und  den  Einrichtungen  des  heutigen  Gesellschaftslcbens  fest  und  ist  iaamcr  nur  be- 
j.müht,  durch  bcHonnene  Reformen  die  Teilnahme  der  Allgemeinheit  an  den  C'ultur- 
,.fortschritton  zu  fördern.  Die  deutsche  Uebersetzung  seines  obengenannten  ti-efiliehen 
„"W^erkes  wird  hoffentlich  zur  richtigen  Würdigimg  des  häufig  falsch  beurteüten  fran- 
„zösischen  IS'ationalökonomen  erhcbUch  beitragen."     (Liter.  Central  bl.  1901  Xo.  3.) 

„Der  Leser  mag  darauf  hingewiesen  werden,  dass  sich  die  bedeutungsvolleren 
Partien  im  2.  Band  vorfinden;  nam.  im  7.  Buch,  das  von  der  Bevölkerung  handelt. 
Hier  spielt  sich  voinehmlich  die  Polemik  mit  Malthus,  Ricardo  und  Say  ab,  die  eine 
dogmengeschichtliche  Bedeutung  besitzt " 


von  R   L.  Prager  in  Berlin.  5 

M.  Pf. 
Bibliothek  der  Volkswirtschaftslehre  etc.    (Fortsetzung.) 

„Voa  erheblieliem  wivtschaftsgesohiohtl.  Interesse  ist  Sismondis  Verhilltais  zu 
Ricardo  im  besondorn.  In  seinen  „Prinoiples  of  Political  Economy  and  Taxation"  (1S17) 
hat  Ricardo  das  ältere  Werk  Sismondis  .,De  la  richesse  commereiale"  mit  Auszeichnung 
zitiert.  In  den  „Xouveaux  principes"  wurde  bei  aller  persönlichen  Hochachtung  niemand 
schärfer  angegriffen  als  Ricardo." 

(A.  e.  ausführl.  Besprechung  A.  Onckens  in  d.  Dtschn.  LitZtg.  1002,  No.  42.) 

„Eine  Biographie  uud  kurze  Darstellung  der  Lehre  Sismondis  Feitet  das  Werk, 
das  uns  hier  in  guter  Uebersetzung  geboten  wird,  ein.  Der  Herausgeber  erblickt  in  Sis- 
mondi  einen  Vorgänger  der  Kathodcrsozialisten,  dem  die  deutsche  Arbeiterversicherung 
als  Ideal  vorgeschwebt  babe."  (Soz.  Praxis  1902.  No.  17.)  —  ..Mit  dem  zweiten  Band 
kommt  die  Neubearbeitung  des  Hauptwerkes  des  franz.  Nationalökonomen  zum  Ab- 
schluss.  Ein  sorgfältig  beai-beitetes  alphab.  Sachregister  erleichtert  die  Benutzung  des 
Werkes.    Die  Uebersetzung,  die  Herr  Prager  besorgt  hat,  liest  sich  leicht  und  gut." 

(eb.  1902,  No.  20.) 

„ liegt  nun  auch  der  2.  Teil  vor.  .  .  .  Die  Uebersetzung  vou  Robert  Prager 

..ist  gut  und  lässt  vergessen,  dass  man  es  mit  einem  fremdsprachlichen  Werke  zu  thuu 
>at."  (Litt.  Mitt.  d.  Annalen  d.  DR.  1901.  12.) 

Bd.  XI.  Kowaleu'sly.,  Maxime.  Die  ökonomische  Entwickelung  Europas  bis 
zum  Beginn  der  kapitalistischen  Wirtschaftsform.  Mit  Genehmigung  des 
Verf.  aus  dem  Russ.  übersetzt  von  L.  Motzkin.  In  6  Bdn.  Bd.  I. :  Rom. 
u.  German.  Elemente  in  der  Entwicklung  der  MA.  Gutsherrschaft  u. 
der  Dorfgemeinde.  (VIII,  539  S.)  8.  1901.  br.  M  7,50 ;  eleg.  Hfrzbd.  8  75 

Bd.  XII.  —  —  Bd.  II.:  Die  Feudalisierung  des  Grundbesitzes  in  Ökonom. 
Beziehung.  (VII,  466  S.)  8.  1902.  br.  M  6;  eleg.  Hfzbd.  7  — 

Bd.  XIII.  —  —  Bd.  III.:  Englische,  Deutsche,  Italienische  und  Spanische 
Wirtschaftsverfassung  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters.  (VIII,  504  S.) 
8.  1905.  br.  M  7,50;  eleg.  Hfzbd.  8  75 

Bd-  IV  erscheint  Ende  des  Jahres  1907. 

„Die  Arbeit  Kowalewsky's  darf  in  gen^-isser  Beziehung  als  bahnbrechend  bezeichnet 
werden,  sie  ist  der  erste  grosse  Versuch,  mit  Hilfe  der  vergleichenden  Methode  eine 
Geschichte  des  Immobiliarbesitzes  und  ImmobiUarrechts  in  Europa  zu  sehreiben. 
Der  Verfasser  beherrscht  die  deufsche,  frz.,  engl.  etc.  Litteratur  über  die  einschlägigen 
Fragen  ebenso  wie  die  RechtsqueUen.  Der  Rechts-  vmd  Wirtschaftshistoriker  wird 
aus  dem  Werke  reiche  Anregung  und  Belehi-ung  empfangen." 

(Litt.  Mitt.  d.  Annalen  d.  DR.  1901,  7.) 

„Der  Verfasser  hat  sich  die  verdienstliche  Aufgabe  gestellt,  in  der  Geschichte 
des  Eigentums  vornehmlich  das  Verhältnis  der  beiden  streitenden  Faktoren  des 
römischen  und  des  deutschen  R.  zu  einander  zu  beleuchten.  In  dem  vorliegenden 
ersten  Bande   behandelt  er  römische  und  germanische  Elemente  in   der  Entwicklung 

der  mittelalterlichen  Gutsherrschaft  und  der  Dorfgemeinde Durchweg  lässt  das 

Buch  ein  ernstes,  wissenschaftliches  Streben  imd  eingehende  Studien  erkennen.  Der 
Schwerpunkt  liegt  weniger  in  neuen  Forschungen,  als  in  der  eigenartigen,  vergleichen- 
den Methode,  die  den  doppelten  Einfluss  römischer  und  germanischer  Kultur  auf  die 
Entwicklung  des  ImmobiliargüterR.  ebenso  klar  wie  anziehend  und  in  üiessendor 
Darstellung  zur  Anschauung  bringt."    Schuck.      (CBl.  f.  RWiss.  1901,  Hft.  10.) 

„L'opera  ci  sembra  molto  importante,  frutto  di  recerche  solide.  Di  essa  dovrä  teuer 
conto  chiunque  nell"  avvenire  si  occuperä  dell'  ordinamento  della  proprietä  medievale. 
E  da  questo   primo   volume  6  lecito   ritenere  che  la  storia  del  K.,  che  va  flno  all'  av- 
vento  del  capitalismo.  rieseirä  all'  altezza  del  difflcilissimo  tema."    Gius.  Salvioli. 
(Schluss  einer  ausführl.  Besprecbg.  in  der  ..Cultura"  Roma.) 

Bd.  XVII.  XVIII.  Thompson,  William.  Untersuchung  über  die  Grundsätze 
der  Verteilung  des  Reichtums  zu  besonderer  Beförderung  menschlichen  Glücks. 
2  Bde.   N.   e.  Einleitung;    Gesch.    der   Sozialist,   Ideen   in   England   von 

H.  S.  Foxwell.  Uebers.  n.  d.  engl.  Orig.-Ausg.  (1824)  von  0.  Collmann. 
(XCn,  457  S.;  VIII,  555  S.)  8.  1903-1904.  2  Bde. 

br.  M  15;  eleg.  Hfzbd.  M  17  50 

„Das  Buch nimmt  in   der  Literatur  des  Sozialismus  keinen  unbedeutenden 

Platz  ein.  Sein  Verfasser,  der  als  ein  äusserst  edler,  hingebender  Charakter  geschildert 
wird  ....  war  ein  sehr  begabter  Schüler  und  Freund  des  englischen  Sozialphilosophen 
Bentham  einerseits  und  rles  Sozialisten  Robert  Owen  andererseits.  Man  könnte 
sagen,  dass  sein  Hauptwerk,   mit   dem   wir  es   hier  zu  tun  haben,   eine  Synthese  von 

Bentham  und  Owen  darstellt Die  Skizze  des  Prof.  Foxwell  über  die  Geschichte 

der  sozialistischen  Ideen  in  England,   die  der  Deutschen  Au.sgabe   vorangeschickt  ist, 

ist in  Einzelheiten  nicht  cinwandsfrei,  aber  voll  interessanter  Angaben  über  den 

englischen  Sozialismus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  dessen  Literatur  wohl 
niemand  so  gut  kennt,  wie  der  Verfasser."  (Dok.  d.  Sozial.  Bd.  III.  4.  IV.  1903.) 

„Die  Bibliothek  der  Volkswirtschaftslehre  und  Gesellschaftswissenschaft,  welche 
uns  schon  manche  hervorragende  Werke  in  billigen  und  gut  ausge\\  ählten  Deutsehen 
Ausgaben  gebracht  hat,  bietet  uns  nun  William  Thompson,  Untersuchung  über  die 
Grundsätze  der  Verteilung  des  Reichtums  in  einer  von  O.  Collmann  veranstalteten 
Deutschen  Uebersetzung."  „.  .  .  .  Vielmehr  ist  die  Frage  nur  die,  ob  sein  Work  über 
die  Verteilung  des  Reichtums  ehier  erneuten  Ausgabe  bedürftig  und  wert  war.    Nach 


6  Verlags-  und  Partie-Artikel 

M.  Pf. 

beiden  Ricbtungen  hin  ist.  die  Frage  zu  bejahen,  denn  Thompsons  AVerk  ist  die  be- 
deutendste wissenschaftliche  Leistung  dos  ong'lischen  Sozialismus.  Zum  Verständnis 
des  Thompsonscheu  Gedankenkreises  trägt  die  Einleitung  von  H.  S.  Foxwell  über  die 
Geschichte  der  sozialistischen  Ideen  in  England  wesentlich  bei.  Die  Uebersetzung  ist 
lobenswert."  (Lit.  Mitt.  d.  Ann.  d.  Dtsch.  R.  1903,  No.  5.) 

Blanc,  Louis.  Organisation  der  Arbeit.  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  VIII. 
Blondel,  G.    De  l'enseignement  du   droit   dans  les  universites   allemandes. 
(XVI,  88  pp.)  gr.  in-8.  Paris  1885.  2  40 

—  La  reforme  des  etudes  juridiques  en  Allemagne.  (16  pp.)  gr.  in-8.  Par. 
1887.  (Extr.)  _  ^       —  80 

—  Etude  camparöe  sur  le  developpement  constitut.  de  la  France  et  de  l'Alle- 
magne.  (15  pp.)  Eoy.-8.  Paris  1891.  -  80 

Blume,  Fr.  Iter  Italicum.  Bd.  I.  Archive,  Bibliotheken  und  Inschriften  in 
den  sardinisch.  u.  österr.  Provinzen.  (XXX,  272  SS.)  8.  1824.  (M  4,50)  3  — 

—  —  Bd.  III.  Archive,  Bibliotheken  und  Inschriften  der  Stadt  Rom.  (IV, 
230  SS.)  1830.  (M  3,75)  2  — 

—  —  Bd.  IV.  Königreich  Neapel,  n.  Nachträgen  u.  Regg.  zu  allen  4  Bden. 
u.  z.  Bibl.  LL.  MSS.  Ital.  (X,  364  SS.)  8.  1836.  (M  6)  4  - 

Bd.  II  ist  vergriffen, 

—  De  geminatis  et  similibus  in  Digestis  invent,  capit.  (68SS.)  8.  Jen.  1820.  1  — 

—  Der  burgundische  Reichstag  zu  Amberieux  501.  (30  SS.)  8.  Lpz.  1847.  1  — 
Bluntschli,  J.  C.    Geschichte   des  schw^eizer.  Bundesrechtes   von  den  ersten 

ewigen  Bünden  bis  auf  die  Gegenw.  (2)  2  Bde.  gr.  8.  1875.  (M  21)  13  — 

Bd.  I:  Geschichtl.  Darstellung.  (IV,  571  SS.)  (M  15)  8  — 

Bd.  II:  Urkundenbuch.  (479  SS.)  nicht  einzeln. 

Büdinger,  M.    Vorlesungen  üb.  engl.  Verfassungsgesch.    (X,  341  SS.)    gr.  8. 

Wien  1880.  (M  9)  4  50 

(Cabet.)  La  femme,  son  malheureux  sort  dans  la  societe  actuelle,  son  bon- 

heur  dans  la  communaute.  8e  ed.  (31  pp.)  16.  Paris  1848.  1  — 

( — )  Le  democrate  devenu  commuuiste  malgre  lui  etc.  (31pp.)16.  Par.  1847.  1  — 
(— )  L'ouvrier,  ses  miseres  actuelles  etc.  4e  ed.  (48  pp.)  16.   Par.  1848.     1  — 
Carey,  H.  C.  Die  Einheit  des  Gesetzes.  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  I. 
Chevalier,  M.    Des  interets  materiels  en  France.    (558  pp.  Avec  une  carte.) 

8.  Paris  1843.  (3  fr.  50  c.)  1  — 

—  La  liberte  aux  Etats-Unis.  (56  pp.)  8.   Paris  1849.  —  60 
Daniels,  A.  v.    Alter   u.  Ursprung  d.   Sachsenspiegels.    (XVIII,  132  SS.)    8. 

Berl,  1853.  -  80 

—  De  Saxonici  Speculi  orig.  (288  SS.)  8.  Berl.  1852.  (M  6)  _  1  — 
Dechesne,  L.  La  conception  du  droit  et  les  idees  nouvelles.  Indep.  individ., 

inegalite  naturelle  des  hommes,  solidarity  sociale,  justice  distribut.  (146  pp.) 
8.  1902.  2  — 

—  L'Evolution  econ.  et  sociale  de  l'industrie  de  la  Laine  en  Angleterre. 
(300  pp.  av.  2  diagr.)  gr.  8.  1900.  3  — 

Deutsch,  H.  Die  Vorhäufer  d.  heutigen  Testamentsvollstrecker  im  Römischen 
Recht.  (VIII,  40  SS.)  gr.  8.  1899.  1  20 

Doren,  A.  Deutsche  Handwerker  und  Handwerkerbruderschaften  im  mittel- 
alterlichen Italien.  (VI,  160  SS.  mit  Tabellen.)  gr.  8.  1902.  5  — 

Duncker,  L.  Das  Gesammteig.  (VII,  231  SS.)  8.  Marb.  1856.  (M  3)  1  80 

—  Die  Lehre  v.  d.  ReaUasten.  (XIII,  240  SS.)  8.  Marb.  1837.  (M  3)         1  80 
Einhard.  Leben  Karl's  d.  Gr.  Einleitg.,  Urschrift,  Erläuterg.,  Urk.-Samml.  hrsg. 

v.  J.  L.  Ideler.  2  Bde.  (XVI,  276  SS. ;  VI,  364 SS.)  8.  Harab.  1839.  (M  9,75)  6  - 
Elvers,  R.  Die  röm.  Servitutenlehre.  (XIV,  862  SS.)  8.  Marb.  1856.  (M  11)  5  — 
Fahlbeck,  P.  E.    La  Royaute   et  le  droit  Royal  Francs  durant  la  premiere 

Periode  de  l'existeuce  du  royaume.   (486-614.)    Trad,  par  J.  H.  Kramer. 

(XV,  346  pp.)  gr.  8.  Lund  1883.  (M  9)  4  50 

—  Beovulfsqvädet  säsom  Källa  for  Nordisk  fornhistoria.  (90  SS.)  gr.  8.  (Se- 
parat-Abdruck  aus  der  Antiq.  Tidskrift  for  Sverige.)  1884.  2  — 

Ferrari,  J.  Les  philosophes  salaries.  (VIII,  168  pp.)  8.  Par.  1849.  (2  fr.  50  c.)  1  — 

Franck,  A.  Le  communisme  juge  p.  I'histoire.  (lOOpp.)  pet. in-8.  Par.  1849.  —  60 

Franklin,  0.    Beiträge  zur   Geschichte  der  Reception    des  röm.   Rechts    in 

Deutschland.  (VI,  186  SS.)  8.  Hann.  1863.  (M  3)  1  50 


von  R.  L.  Prager  in  Berlin.  7 

M.  Pf. 
Friedemann,  A.  Die  Selbsthülfe  in  rechtshistorisch-dogmatischer  Darst.  unter 

bes.  Berücksichtigung  d.  Römischen  Rechts.  (VI,  34  SS.)  gr.  8.  1898.  1  — 
Friedlaender,  E.  DieLehre  v.  d.  unvordenkl.  Zeit.  (X,  101  SS.)8.  Marb.  1843.  1  20 
Fröbel,  J.    Kleine  polit.  Schriften.    2  Bde.    (VIII,  390  SS.;  IV,  413  SS.)    8. 

Stuttg.  1866.  (M  9)  3  — 

Gatti  de  Gamond.  Fourier  et  son  Systeme.  5e  ed.  (384  pp.)  8.  Paris  1842.    1  80 

—  Realisation  d'une  commune  societaire,  d'apres  la  theorie  de  Ch.  Fourier. 
(VI,  409  pp.)  8.  Paris  1840.  Presque  epuise.  5  — 

Goldenweiser,  A.  Das  Verbrechen  als  Strafe  und  die  Strafe  als  Verbrechen. 
Leitmotive  in  Tolstois  „Auferstehung".  Vortrag  gehalten  in  einer  Anwalts- 
versammlung in  Kiew.  (72  SS.)  gr.  8.  1903.  2  — 

—  Zurechnung  und  strafrechtliche  Verantwortlichkeit  in  positiver  Beleuch- 
tung. Zwei  Vorlesungen  gehalten  in  d.  russ.  Hochschule  für  Socialwiss 
in  Paris.   (72  SS.)  gr.  8.  1903.  2  — ' 

Golovine,  I.  Esprit  de  l'economie  politique.  (368  pp.)  8.  Paris  1843,         1  50' 

Göschen,  G.  J.  Theorie  der  auswärtigen  Wechsel  course.  Nach  der  2.  französ 
Ausg.  Leon  Say's  von  Dr.  F.  Stöpel.  (XII,  132  S.)  gr.  8.  Frankf.  a.  M 
1875.  (M  2,40)  1  50 

Gossen,  H.  H.  Entwickelung  der  Gesetze  des  menschlichen  Verkehrs  und 
der  daraus  fliessenden  Regeln  für  menschliches  Handeln.  Neue  Ausgabe. 
(VIII,  278  SS.)  8.  1889.  .     5  - 

Dieses  lange  verschollene,  bei  Vorkommen  im  Antiqnarhandel  hoch 
bezahlte  Buch  wird  hiermit  in  seiner  neuen  Ausgabe  den  Volkswirten 
und  Mathematikern  zugänglich  gemacht.  Das  Werk  prüft  an  der  Hand 
der  Mathematik  die  wirtschaftlichen  Vorgänge  und  sucht  für  sie  die 
feststehende  Formel  zu  finden.  Auch  der  Besitz  an  Grund  und  Boden  und 
die  Möglichkeit,  diesen  in  das  Eigentum  des  Staates  überzuführen, 
findet  eingehende  Prüfung  und  mathematische  Behandlung. 

Grätzer,  R.  Die  Organisation  d.  Berufsiuteressen.  Die  deutschen  Handels- 
u.  Gewerbekammern.  Die  Laudwirthschafts-  u.  Arbeiterkammern.  DerVolks- 
wirthschaftsrath.  Ihre  Geschichte  u.  Reform.  (VIII,  346  SS.)  gr.  8.  1890.  6  ~ 
In  dieser  Schrift  wird  der  Stand  der  Gesetzgebung,  die  Geschichte 
und  die  Reformtendenzen  der  einzelnen  deutschen  Berufsvertretungen 
(Handels-,  Gewerbe-,  Landwirtschaftskammern)  dargestellt  und  eingehend 
kritisiert.  Desgleichen  wird  der  Volkswirtschaftsrat  und  die  preussischen 
Gewerbekammern  bespi-ochen.  Endlich  ist  ein  Abschnitt  den  Bestrebungen 
zur  Herstellung  von  Arbeiterkammern  gewidmet. 

Guillard,  E.  Les  operations  de  Bourse.  Histoire,  pratique,  legislation,  juris- 
prudence, morale,  economic  politique,  reformes.  2.  ed.  augm.  (596  pag.) 
gr.  8.  Paris  1877.  8  — 

—  La  Bourse,  les  agents  de  change  et  les  operations  de  Bourse  en  Belgique. 
(48  pag.)  gr.  8.  Paris  1878.  1  50 

Halban,  A.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Rechtes  in  Podolien,  Wolhynien 
und  der  Ukraine.  (XII,  135  SS.)  gr.  8.  1896.  4  — 

Heydeinann,  L.  E.  Anklänge  d.  Preuss.  Landr.  an  d.  Dtsche.  Parentelen- 
ordug.  (12  SS.)  4.  Berl.  1871.  1  — 

—  De  systemate  jur.  Bor.  comm.  (16  SS.)  4.  Ber.  1851.  1  — 

—  De  jure  success,  ex  stat.  march,  antiq.  (54  SS.)  8.  Ber.  1840,  1  — 
Hirsch,  Dr.  H.  Socialpolitische  Studien.  Beiträge  zur  Politik,  Geschichte  u. 

Ethik  der  socialen  Frage.  Zwei  Bücher.  (VIII,  144  SS.)  gr.  8.  1897.     3  — 

Huschke,    Ph.  E.    Das    alte  Rom.  .Jahr  u.   seine  Tage.    Chron.-rechtsgesch. 

Untersuchg.  in  2  Büchern.  (X,  380  SS.)  8.  Bresl.  1869    (M  8,50)  4  — 

—  Ueber  den  zur  Zeit  d.  Geb.  Christi  gehalt.  Census.  (X,  125  SS.)  8.  eb, 
1840.  (M  2,75)  1  — 

—  T.  Flavii  Syntrophi  Donationis  instrumentum  ed.  illustr.  (56  SS.)  8,  ib, 
1838.  (M  2)  1  — 

—  Ad  leg.  XII  tab.  de  tigno  juncto  comm.  (30  pp.)  4.  Vrat.  1837.  —  80 

—  De  Privileg.  FeceniaeHispalae  SC.  conc.(Liv.XXXlX,  19.)  8.  Gott.  1822.  1  — 
John,  V.  Der  Name  Statistik.  (16  SS.)  gr.  4.  Bern  1883.  (S.-A.)  -  80 


8  Verlags-  und  Partie-Artikel 

M.  Pf. 
Jollos,  B.  G.  Pisma  is  Berlina  (Briefe  aus  Berlin;  russisch).  (VlII,  497  SS.) 

gr.  8.  1904.  4  BO 

Katzenstein,  R.  Die  Todesstrafe  in  einem  neuen  Reichsstrafgesetzbuch.  (VI, 

34  SS.)  gr.  8.  1902.  1  20 

Kowalewsky,  M.  Die  Ökonom,  Entw.  Europas  siehe  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW. 

Bd.  XI-XIII. 
Kromrey,  M.    Baugenossenschaften  und  der  Berliner  Spar-  und  Bauverein. 

(VIII,  96  SS.)  gr.  8.  1904.  2  - 

Kussaka,  J.  T.   Das  Japanische  Geldwesen.  Geschichtlich  und  kritisch  dar- 
gestellt. (VII,  100  SS.)  8.  1890.  2  80 
Laistner,  L.  Das  Recht  in  der  Strafe.  Beitr.  z.  Geschichte  d.  Philosophie  u.  Versuch 

einer  Dialektik  d.  Strafrechtsproblems.  (IV,  198 SS.) 8.  Münch.  187B.  (M3)    1  20 
Landau,  G.    Die  Territorien  in  Bezug  auf  ihre  Bildung  und  Entwickelung. 

(VIII,  392  SS.)  8.  Hamb.  1854.  (M  7,50)  4  — 

Leroux,  P.  Le  carrosse  de  M.  Aguado.  Fragment.  (141  pp.)  8.  Boussac  1848.    1  — 

—  D'une  religion  nationale  ou  du  culte.  (XVIII,  144  pp.)  8.  Bouss.  1846.     1  50 
Le  Rousseau,  J.    De  l'organisation   de  la  demoeratie.   (XII,  480  SS.)    gr.  8. 

Paris  1850.  (7  fr.  50  c.)  3  — 

Liebknecht,   K.    Vorbehaltszahlung   und   Eventualaufrechnung   nach   heute 
geltendem  und  künftigem  Eeichsrecht.  (XII,  217  SS.)  gr.  8.  1099.        5  — 
Lioy.  D.    Die  Philosophie  des  Rechts.  Nach  der  2.  Aufl.   des  Orig.  mit  Ge- 
nehmigung  des  Verf.  übersetzt  von  Dr.   M.  di  Martino.    Neue  wohlfeile 
Ausgabe.  (VIII,  352  SS.)  gr.  8.   1906.  br.  M  4;  geb.  5  - 

Malthus,  T.  R.  Bevölkerungsgeselz   siehe  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  IL 
Marwitz,  B.  Der  Bühneneugagements-Vertrag.    Ein  Handbuch  für  Juristen 
und  Laien.  Unter  Berücksichtigung  der  Rechtsprechung  des  Bühnenschieds- 
gerichts. (VIII,  222  SS.)  8.  1902.  br.  M  4;  eleg.  Lwd.     5  — 

Das  Buch  giebt  eine  eing'ehende  systematische  Darstellung-  der  vertraglichen  Be- 
ziehungen zwischen  Theaterunternehmer  und  Schauspieler.  Ausgehend  von  den  Be- 
stimmungen der  Vertragsformvüare  des  deutschen  Bühnenvereins  und  der  Genossen- 
schaft deutscher  Bühnenangehöriger,  sucht  es  unter  Benutzung  der  Entscheidungen 
des  Bühnensehiedsgerichts  sowie  dor  in-  und  ausländischen  Litteratur  zu  allgemein 
gültigen  Resultaten  zu  kommen,  die  als  Richtschnur  bei  Streitigkeiten  zwischen  Unter- 
nehmer und  Schauspieler  dienen  können.  Am  Schlüsse  giebt  der  Verfasser  einen 
Vertragsentwurf,  der  die  berechtigten  Wünsche  der  Bühnenleiter  und  der  Bühnenrait- 
gUeder  gleichmässig  berücksichtigt.  Ein  ausführliches  Sachregister  wird  die  Benutzung 
des  Buches  wesentlich  erleichtern. 

,.Herr  R.-A.  Dr.  Marwitz,  der  schon  in  so  manchem  die  Bühnenkreiso  betr. 
Prozess  plaidierte,  hat  soeben  im  Verlage  von  R.  L.  Prager,  Berlin,  ein  Werk  er- 
scheinen lassen,  das  seinen  Untertitel  „Ein  Handbuch  für  Juristen  und  Laien"  mit 
Recht  fühi-t.  Es  behandelt  den  ..Bühnen-Engageiiieiitsvertrag"  und  bildet  einen  an 
der  Hand  der  gesamten  einschlägigen  Litteratur  und  Rechtsprechung  aufs  sorgfältigste 
ausgearbeiteten  Leitfaden  durch  die  vielverschlungenen  Pfade  dieses  Gebietes.  Das 
Buch  gewinnt  dadurch  an  Wert,  dass  es  klar,  leicht  fasslich  und  nichts  weniger  als 
trocken  geschiieben  und  ausserdem  von  grosser  Uebersichtlichkeit  ist.  Das  Werk 
kann  allen,  die  es  angeht,  warm  empfohlen  werden." 

Berliner  Börsen-Courier  1902,  No.  .34. 

Mascher,  H.  A.  Die  Preussisch-Deutsche  Polizei.  Polizeigesetzbuch  für  den 
prakt.  Gebrauch  syst,  zusammengestellt.  4./5.  Aufl.  (72  Bog.  =  1147  SS.) 
1885.  br.  M  13,50;  geb.  15  — 

Maurer,  E.  Die  Nikobaren.  Colonial-Geschichte  und  Beschrbg.^  nebst  motiv. 
Vorschlage  z.  Colonisation  dieser  Inseln  durch  Preussen.  Mit  4  Karten. 
(X,  320  S.)  8.  Berl.  1867.  (M  4)  2  ~ 

Mayet,  P.  Landwirtschaftliche  Versicherung  in  organischer  Verb.  m.  Spar- 
anstalten, Bodencredit  und  Schuldenablösung.  (XIV,  449  SS.  u.  9  Bl.  Tabb.) 
gr.  8.  1888.  12  — 

Im  Anhange:  Bauernvergantungen  und  Colonisation.  —  Ablösg.  v. 
Pachtrenten.  —  Die  Landesculturrentenbank.  —  Die  Communaloblig.  — 
Die  Bodencreditanstalt  und  ihre  Beihülfe  zur  organ.  Colonisation  des 
Hokkaido.  —  Die  Ermässigg.  der  Grundsteuer.  —  Das  System  des  Miss- 
ernten-Deckungsfonds in  Japan. 

—  Die  Collectivversicherung  der  Gebäude  in  Japan.  (12  S.)  gr.  4.  1878.     1  50 

—  Dasselbe  in  engl,  Uebersetzung.  (33  pag.)  gr.  8.  1878.  1  50 

—  Dasselbe  in  japanischer  Uebersetzung.  (47  pag.)  8.  1878.  1  50 


von  E.  L.  Prager  in  Berlin.  9 

M.  Pf. 

Mayet,  P.    Japanische  Bevölkerungsstatistik.  Historisch,   roit  Hinblick   auf 

China,  u.  kritisch  betrachtet.  (20  SS.)  gr.  4.  1888.  1  50 

—  Kioikuka  Hike.  Ekitekiyoku  Gakko  Chokin  Ho.  Die  Post-Schul-Sparkasse. 
üebers.  v.  N.  Omura.  (300  SS.)  8.  Tokyo  1886.  Hfz.  In  Japan.  Sprache.    3  — 

—  Die  japanische  Staatsschuld.  Zwei  Vorträge.  (48  SS.)  gr.  4.  1879.  3  — 
Meding,  W.  F.  C.  L.  v.  Geschichte  des  im  Fürstenthum  Lüneburg  heimischen 

altadeligen  Geschlechts  derer    v.  Meding.    Tbl.  I  (einz.).    (XII,    348  SS.) 

Mit  Holzschnitten  u.  Urkunden,  gr.  8.  Lpz.  1866.  (M  7,50)  4  — 

Meidinger,  K.  üeb.  d.  Eechte  an  Kirchenstühlen  nach  kath.  u.  prot.  KR. 

(76  SS.)  8.  1891.  1  60 

Mellien.  Die  Postverwaltung  u.  die  Wechselproteste.  (14  SS.)  8.  1877.  —  50 
Morpurgo,  E.  Die  Statistik  und  die  Socialwissenschaften.  A.  d.  Ital.  (VIII, 

550  SS.)  M.  3  Tfln.  u.  1  Karte,  gr.  8.  Jena  1877.  (M  11)  5  — 

Munk,  W.  Wesen  u.  Voraussetzungen  der  mora  creditoris  im  gemeinen  Recht 

u.  im  BGB.  für  das  Deutsche  Eeich.  (IX,  72  SS.)  gr,  8.  1898.  2  — 

Mutzl,  Seb.  Die  Lex  Baiwariorum  als  geschichtl.  u.  sprachl,  Urkunde.  (13  SS.) 

4.  Eichstätt  1859.  —  60 

Neff,  P.    Beiträge  z.  Lehre  von  der  fraus  legi  facta  in  d.  Dig,   (X,  75  SS.) 

gr.  8.  1895.  1  60 

Negropontes,  M.    Zuständigkeit  der  Staaten    für  die  auf  d.  Meere  begang. 

Verbrechen.  (VIII,  62  SS.)  gr.  8.  1894.  1  60 

Njälssage,  Die,  insbesondere  in  ihren  juristischen  Bestand theilen.  Ein  kriti- 
scher Beitrag  zur  altnordischen  Rechts-  u.  Literaturgeschichte  von  Karl 

Lehmann  und  Hans  Schnorr  von  Carolsfeld.  (VIII,  234  SS.)  8.  1883.  6  — 
Organisation  communale  et  centrale  de  la  republique,  Gouvernement  direct, 

lIV,  421  pp.)  8.  Paris  1851.  (4  fr.  50  c.)  2  — 

Oertmann,  P.    Die  Volkswirthschaftslehre  d.  Corpus  iur.  civ.   (VI,  154  SS.) 

8.  1891.  4  — 

Osenbrüggen,  E.  Deutsche  Rechtsalterthümer  a.  d.  Schweiz.  3  Hefte.  (165  SS.) 

8.  Zur.  1858-59.  (M  4,20)  2  50 

Pecqueur,  C.  De  la  republique  de  Dien.  (XII^  320  pp.)  pet.  in-8.  Par,  1844, 

(2  fr.)  —  80 

Pergament,  Joseph.   Social  problems  of  the  Bar.  Lecture  delivered  on  the 

13  th  February,  1905.  (32  pp.)  8.  (1405.)  —  80 

Pergament,  M.    Konventionalstrafe   und  Interesse  in  ihrem  Verhältniss  zu 

einander.  (XI,  106  SS.)  gr.  8.  1896.  3  — 

Prager,  Robert.  Die  „Ausschreitungen  des  Buchhandels."  Antwort  auf  die 

Denkschrift  des  Akademischen  Schutzvereins.  (IV,  142  SS.)  8.  1903.     1  20 

—  Das  Recht  am  eigenen  Bilde.  Bibliotheken,  Bibliothekare  u.  Buchhandel. 
Die  Bibliothek  des  Börsenvereins.  (44  SS.)  8.  1903.  1  — 

—  Bücher  —  Menschen  —  Dinge,  Besprochen,  (IV,  116  SS.)  8.  1907.      2  — 

—  Die  Organisation  des  Deutschen  Buchhandels.  Die  Verleger-Erklärung 
und  die  Rechtsprechung.  Wissenschaft  und  Buchhandel.  (IV,  163  SS.) 
gr.  8.  1905.  2  — 

—  Urheberrecht  und  Buchhandel  in  sozialistischer  Beleuchtung.  Kleinhandel, 
Warenhäuser,  Rabatt.  Studien.  (34  SS.)  8.  1900.  —  60 

—  Das  Recht  der  Handlungsgehilfen  nach  dem  neuen  HGB.  2  Vortr.  (17  SS.) 
gr.  8.  1898.  -  60 

—  Zum  §  38  d.  n.  HGB.  u.  zur  Buchführung  überh.  (10  SS.)  8.  1898.  —  40 

—  Warenhäuser  u.  Buchhandel.  Eine  Osterbetrachtg.  (8  SS.)  8.  1901.  —  40 
Preuss,  Hugo.  Das  Recht  d.  städt.  Schulverwaltung  in  Preussen.    (99  SS.) 

gr.  8.  1905.  1  50 

Der  Schulkonflikt  in  Berlin  hat  weit  über  die  Grenzen  der  Haupt- 
stadt hinaus  Aufmerksamkeit  erregt.  Deshalb  wird  die  obige  Schrift  des 
Verfassers  des  „städtischen  Amts  rechts",  des  bekannten  Privat- 
dozenten der  Rechte  und  Stadtverordneten  nicht  nur  in  Preussen,  sondern 
auch  in  ganz  Deutschland,  Interesse  finden.  Aber  auch  im  Auslande 
folgt  man  den  Vorgängen  mit  Spannung,  namentlich  in  der  Schweiz, 
in  dem  das  Thema  der  Schulaufsicht,  das  die  Preuss'sche  Schrift  an  der 
Hand  der  Gesetzgebung  und  der  Akten  eingehend  untersucht  und  in 
ganz  neuer  Weise  beleuchtet,  gegenwärtig  aktuell  ist. 


10  Verlags-  und  Partie-Artikel 

M.  Pf. 

Privatbeamten-Pensionsversicherung.  3.  Fassg.  e.  Referenten-Entwurfes, 

bearb.  n.  d.  Beschl.  des  v.  sozialpolit.  Ausschussei  des  österr.  AbgH.  am 

5.  V.  1905  feingesetzten  Unterausschusses.  (32  SS.)\8.  1905.  —  25 

Ranke,  Leopold  von.  Lichtstralilen  aus  seinen  Werken.  Gesammelt  und 
mit  einem  liebensabriss  herausgegeben  von  Arthur  Winckler.  (XXXII, 
176  SS.)  kl.  8.  1885.  eleg.  br.  M  3;  geb.    4  — 

—  —  Dreissig  Expl.  auf  Büttenpapier,  auf  der  Presse  numeriert  und  in  Per- 
gamentumschlag, ä,  10  — 
„Ranke  selbst  soll  eine  lebhafte  Freude  empfunden  haben,  als  er  zu 
seinem  neunzigsten  Geburtstage  die  „Lichtstrahlen"  erhielt.  Er  schien 
darin  eine  Ehre  zu  erblicken,  die  bisher  nur  den  grössten  Geistern  der 
Nation  zu  Theil  geworden  ist.  Wir  besassen  „Lichtstrahlen"  aus  den 
Werken  Goethes  und  Schillers,  Lessings  und  Kants,  aber  noch  keine  aus 
den  Werken  eines  Historikers.  In  den  zahlreichen  Schriften  Rankes 
finden  sich  wie  dazwischen  gestreute  Perlen  tiefe  philosophische  Be- 
trachtungen über  den  Menschen  und  seine  Entwickelung,  über  Religion 
und  Politik,  über  Staat  und  Kirche,  über  Kultur  und  Sitte,  über  Staats- 
formen, über  die  öffentliche  Meinung  und  die  Parteien,  kurz  über  Alles, 
was  im  Verlaufe  seiner  historischen  Darstellung  einer  verallgemeinernden 
Betrachtung  werth  erschien.  Mit  grossem  Fleiss  und  ebenso  grosser 
Liebe  hat  sich  Winckler  in  das  Studium  sämmtlicher  Schriften  des 
Meisters  vertieft  und  die  darin  befindlichen  Stücke  von  allgemeiner  Be- 
deutung gesammelt  und  nach  ihrer  Zusammengehörigkeit  geordnet.  Wer 
das  Buch  besitzt,  wird  es  oft  und  gern  zur  Hand  nehmen;  wo  man  es 
auch  aufschlägt,  überall  findet  man  Gedanken,  die  zum  Nachdenken  auf- 
fordern.    Als  Einleitung  ist   der   Lebensabriss    Rankes  voran  geschickt." 

(Nord  und  Süd.) 

Rectitudines  singularum  personarum  n.  einer  einleit.  abhandlung  üb.  land- 
ansidlung,  landbau,  gutsherl.  und  bäuerl.  Verhältnisse  der  Angelsachsen. 
Hrsg.  V.  H.  Leo.  (XIV,  252  SS.)  8.  Halle  1842.  (M  4,50)  2  — 

Rein,  W.  Das  Privatrecht  u.  der  Civilprocess  der  Römer  von  der  ältesten 
Zeit  bis  auf  Justinianus.  (XIV,  978  öS.)  gr.  8.  Lpz.  1858.  (M  15)        6  — 

Richelot,  H.  Crise  du  Mont-de-piete  de  Paris.  (68  pp.)  gr.  8.  Paris  1844.  —  60 

Rubo,  E.  T.  Zur  Lehre  von  der  Verleumdung  mit  besonderer  Bezugnahme 
auf  alle  gegenwärtig  geltenden  deutschen  StrGB.  (VIII,  160  SS.)  8.  Berl. 
1861.  (M  2,25)  1  - 

Sammlung  der  deutschen  Strafgesetzbücher.  Hrsg.  v.  M.  Stenglein.  13  Hfte, 
cpl.  (2497  S.)  8.  München  1858.  Schreibpapier.  (M  19)  4  — 

Fast  vergriff'eu. 

Sarrazin,  R.  De  partu  vivo  non  vitali.  (30  S.)  8.  Berl.  1870.  —80 

Saxl,  Max.  Zur  Duplik  des  Herrn  Professor  Schücking.  Streiflichter.  (65  SS.) 
gr.  8.  1905.  1  50 

—  Materialien  und  Gesetz.  Eine  staatsr.  Abhdlg.  (76  SS.)  gr.  8.  1905.     1  50 
Schüler,   H.    Die  Liter,   oblig.  d.    alt.  röm.  Rechts.    (VI,  98  SS.)   8.    Bresl. 

1842.  (M  2)  1  50 

Seil,  W.   üeber  bedingte  Traditionen  zugl.  als  Revision  der  Lehre  von  der 

Wirkung   der  Bedingung  bei   Verträgen.    (XXIII,  290  S.)   8.    Zur.   1839. 

(M  2,40)  1  — 

—  lieber  die  röm.-rechtl.  Aufhebungsart  der  Oblig.  durch  concursum  duarum 
causarum  lucratio.  (XII,  190  S.)  8.  Zur.  1839.  1  20 

Senga,  Ts.    Gestaltung  u.   Kj-itik  der  heutigen  Konsulargerichtsbarkeit  in 

Japan.  (VI,  160  SS.)  gr.  8.  1897.  4  — 

Simon,  C.  G.    Etude  sur  le  Compagnonnage   et  s.   qq.   autres  assoc,  d'on- 

vriers.  (VI,  166  pp.)  8.  Paris  1853.  —  80 

Sismondi,  J.  C.  L.  Simonde  de.  Neue  Grunds,  d.  polit.  Oekonomie.  2  Bde. 

siehe  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  IX.  X. 
Slädecek.  Zur  Lehre  der  Pressdelikte.  (25  SS.)  gr.  8.  1896.  -  60 

Smith,  Adam.   Unters,  üb.  d.  Wes.  u.  die  Ursachen  des  Volkswohlst.  4  Bde. 

siehe  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  III-VL 


von  E.  L.  Prager  in  Berlin.  11 

M.  Pf. 
Smith,  E.  Peshine.   Handb.  d.  polit.   Oekonomie.   siehe  Bibl.  d.  VWL.  u, 

GW.  Bd.  VII. 
Stölzel,  A.  Die  Lehre  von  der  operis  novi  nunciatio  und  dem  interdictum 

quod  vi  aut  clam.  (XII,  632  SS.)  gr.  8.  Cass.  1865.  (M  8)  3  — 

Stöpel,  F.    Betrachtungen  üb.   d.  Handelsbilanz   Deutschlands    im  J.  1873. 

l2)  (39  SS.)  8.  Fft.  1875.  —  60 

—  Freihandel  u.  Schutzzoll.  (VIII,  134  SS.)  8.  Fft.  1876.  (M  1,50)  1  - 

—  Die  Handelskrisis  in  Deutschland.  (61  SS.)  8.  Fft.  1875.  (M  1)  —  60 

—  DieIndustrieu.Haudelspolit.d.Schweiz.(IV,84SS.)8.Fft.l876.{Ml,20)  —  80 

—  Landwirthschaft  u.  Industrie.  (IV,  87  SS.)  gr.  8.  Fft.  1876.  (M  1,50)     1  — 

—  Die  fünf  Milliarden.  Geg.  L.  Bamberger.  (22  S.)  gr.  8.  Fft.  1873.      —  40 

—  Adam  Smith  im  Lichte  d.  Geg.  (IV,  135  SS.)  8.  1879.  (M  2)  1  50 
Storch,  H.  Handbuch  d.  Nationalwirthschaftslehre.  A.  d.  Franz.  m.  Zus.  v. 

K.  H.  Hau.  3  Bde.  (XX,  492  SS. ;  VIII,  518  SS. ;  VI,  498  SS.  u.  Tfln.)  8. 

Hamb.  1819-20.  (M  22,50)  5  — 

Streit,  W.  Die  Heeres-Reorganisation  des  Augustus.  (28  S.)  8.  1876.  —  80 
Sturm,  A.  Recht  u.  Rechtsquellen.  (VIII,  199  SS.)  gr.  8.  Kassel  1883.  (M5)  2  50 
Sudendorf,  H.    Berengarius  Turonensis  od.   e.   Sammlung  ihn   betr.  Briefe 

hrsg.  (XVI,  240  SS.)  8.  Hamb.  1850.  (M  3,20)  1  50 

Sullivan,  E.  Schutz  für  die  heim.  Industrie.  A.  d.  Engl.  v.  F.  Stöpel.  (XII, 

96  SS.)  8.  Fft.  1876.  (M  1,50)  —  80 

Temme,  J.  D.  H.  Die  Lehre  von  der  Tödtung  n.  Pr.  R.  (XIV,  242  SS.)  8. 

Lpz.  1839.  (M  3)  1  20 

Thompson,  William.  Unters,  üb.  die  Grundsätze  d.  Vert.  d.  Reichtums  zu  bes. 

Beförd.  menschl.  Glücks.  2  Bde.  siehe  Bibl.  d.  VWL.  u.  GW.  Bd.  XVII.  XVIIL 
Thorsch,  0.  Materialien  z.  e.  Gesch.  d.  öst.  Staatsschulden  vor  d.  18.  Jahrh. 

(V,  117  SS.)  gr.  8.  1891.  3  — 

Tornauw,  N.  v.  Das  moslem.  Recht.  (XXIV,  258 SS.)  gr.8.  Lpz.  1855.  (M7)  4  — 
Totomianz,  V.    u.    E.  Toptschjan.   Die  social-ökonomische  Türkei.    (VIII, 

128  SS.)  8.  1901.  2  — 

Vidal,  F.  Vivre  en  travaillant.  (324  pp.)  8.  Paris  1848.  (3  fr.  50  c.)  1  20 

Villegardelle,  F.    Histoire    des  idees  sociales  avant   la   revol.   frc.    ou  les 

social,  mod.  devances   et  depasses  par  les  anc.  penseurs  et  phllos.  Avec 

textes  ä  l'appui.  (220  pp.)  12.  Paris  1846.  —  80 

Walther,  F.  Die  Rechtsmittel  im  Strafverf.  n.  d.  Grunds,  des  englisch-franz. 

StrPR.  Mit  Vorwort  v.  C.  J.  A.  Mittermaier.  2  Abthign.  (XXVII,  447  S.) 

8.  Münch.  1853-55.  (M  7,60j  3  — 

Weissenfeid,  E.  G.  Der  „geweihte  Degen  Daun's".  Eine  historiographische 

Darlegung.  (16  SS.)  8.  1883.  —  50 

Winavert,  M.  Temoins  testamentaires.  (20  pp.)  gr.  8.  1900.  —  60 

Winckler,  A.    Die   deutsche  Hansa  in  Russland.    Hrsg.   mit   Unterstützung 

_  des  Vereins  für  Hansische  Geschichte.  (VI,  153  SS.)  8.  1886.  4  — 

Ziegler,  F.  V.  v.  Ueber  die  Behandlung  des  Civilrechts  in  der  Gegenwart. 

(48  SS.)  8.  Dessau  1876.  —  60 

—  Denkschrift  üb.  d.  Revision  e.  Universitäts-Statuts.  (48  SS.)  8.  eb.  1876.  —  60 
Zobkow,M.  Die  Theilpacht  n.  röm.  u.  österr.  Recht.  (XII,  156  SS.)  gr.8. 1895.  4  — 
Zucker,  AI.  Ein  Beitrag  zur  Entwickelung  e.  rieht.  Rückfallsstatistik.  (16  SS.) 

gr.  8.  Wien  1894.  —  60 

—  Keine  Berufung  in  der  Schuldfrage.  (22  SS.)  8.  1895.  —  60 


Blichdruckerei  Hans  Adler  {Inh.:  Puff  &  Fanzig),  Greifswald. 


HB  Smith,   Adam 
161  Untersuchung  über  das 

S655  Wesen  und  die  Ursachen  des 

1905  Volkswohlstandes       2.  Aufl. 
Bd. 1-2 


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